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Verband der Diätassistenten -
- Deutscher Bundesverband e.V.
16. Änderung der Diät-Verordnung
Praktische Konsequenzen für die Gemeinschaftsverpflegung und die
Ernährungsberatung bei Diabetes Mellitus
Am 24.09.2010 hat der Bundesrat in seiner 874. Sitzung der 16. Änderung der Diätverordnung (DiätVo) zugestimmt. Die Änderung betrifft die Streichung spezieller Anforderungen an Diabetiker-Lebensmitteln, um die Verordnung den gemeinschaftlichen Vorgaben anzupassen. Die Ernährungs-Empfehlungen für Menschen mit Diabetes mellitus unterscheiden sich heute kaum noch von den
Ernährungsempfehlungen für Gesunde. Bei einem Typ 2- Diabetes mit Übergewicht,
steht eine Gewichtsreduktion im Rahmen einer kalorien- und fettarmen Ernährung im
Vordergrund. Bei einem Typ 1 – Diabetes hingegen wird noch die exakte Berechnung der Mahlzeiten nach ihrem Kohlenhydratgehalt und die Abstimmung mit der
Insulinzufuhr als sehr wichtig erachtet.
Was ändert sich in der Diät-Verordnung?
Die Änderung der Diät-Verordnung hat direkte Konsequenzen für die Industrie (Herstellung von speziellen Diabetiker-Lebensmitteln) sowie indirekt auf die Ernährungsberatung und die Gemeinschaftsverpflegung.
Folgende Änderungen sind für die Berufsgruppe der Diätassistenten/Diätassistentinnen besonders wichtig:
1. Deklaration von diätetischen Lebensmittel für Diabetes mellitus
Die Veränderung der § 2 + 3 DiätVo sieht vor, dass zukünftig Lebensmittel für
Patienten mit Diabetes mellitus nicht mehr mit der Bezeichnung „ zur besonderen
Ernährung bei Diabetes mellitus im Rahmen eines Diätplanes“ deklariert werden
dürfen.
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2. Anforderungen an spezielle Diabetiker-Lebensmittel
Die Streichung des § 12 hat zur Folge, dass zukünftig keine Vorgaben mehr für
die Anforderungen an Lebensmittel für Patienten mit Diabetes mellitus gestellt
werden. Bisher waren Hersteller, die diätetische Lebensmittel für Betroffene mit
Diabetes mellitus in den Verkehr bringen, dazu verpflichtet, auf den Einsatz von
Disacchariden, Maltodextrin u.a. Zuckerarten mit einem hohen glykämischen
Index mit wenigen Ausnahmen zu verzichten. Lediglich der Einsatz von Süß- und
Zuckeraustauschstoffen war bisher erlaubt. Bereits 2008 stellte das Bundesinstitut für Risikobewertung in einer Stellungsnahme dar, dass der Einsatz von Kohlenhydraten, wie beispielsweise Fruchtzucker mit einem niedrigen glykämischen
Index keinen signifikanten Vorteil für die betroffenen Patienten darstelle, zumal
sich der glykämische Index eines Lebensmittels durch das Vorhandensein von
Fett und/oder Ballaststoffen nachhaltig verändert.
Auch die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) sieht in ihren evidenzbasierten
Leitlinien eine moderate Aufnahme von freiem Zucker in der Diät bei Typ1- und
Typ 2- Diabetes von bis zu 50 g/Tag im Rahmen eines befriedigenden
Blutglucosespiegels als möglich an. Sie empfiehlt die Beschränkung auf 10 %
freien Zuckers auf die Gesamtenergie unter Beachtung weiterer Reduktion im
Rahmen einer Gewichtsabnahme. Unter „freiem Zucker“ definiert die DDG alle
Mono- und Disaccharide die bei der Lebensmittelherstellung zugesetzt werden,
plus Zucker der natürlich in Honig, Fruchtsäften und Sirup vorkommt (4).
Trotzdem sollte beachtet werden, dass eine Kost unter Einsatz freier Zucker in
Getränken laut diversen Studien (4), im Vergleich zum Einsatz süßstoffhaltiger
Getränke nachteilig auf das Körpergewicht und Plasmalipide wirkte. Bei einer
Reduktionskost mit 1200 Kcal, entspricht ein Maximum von 10 % freiem Zucker
ohnehin 120 Kcal, und damit einer Maximalaufnahme von ca. 30 g freiem
Zucker/Tag (siehe Tabelle 1).
3. Die Broteinheit
Die Streichung des §§ 20 und 20a bedeutet ein Wegfallen der Deklaration von
Broteinheiten bei Diabetiker-Lebensmitteln. Auch die Definition der Broteinheit mit
12 g Kohlenhydraten bzw. den Zuckeralkoholen Xylit und Sorbit pro BE entfällt.
Laut Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) gibt es das Konzept der Brot- bzw.
Kohlenhydrateinheit (BE bzw. KE) nur in Deutschland, Österreich und der
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Schweiz. In einigen Ländern werden laut BfR zum Teil 5 g, 15 g, 25 g oder auch
10 g Kohlenhydratportionen in Form von Küchenmaßen benutzt (1). Europäische
Diabetes-Gesellschaften fordern daher eine einheitliche Nährwertkennzeichnung
auf verpackten Lebensmitteln. Angedacht ist von den europäischen Diabetes-Gesellschaften eine Angabe von Brennwert, Eiweiß, Fett, Kohlenhydraten, Gesamtzucker, gesättigten Fettsäuren, Ballaststoffen, Natrium und Kochsalz.
Brot- bzw. Kohlenhydrateinheiten können jedoch weiterhin als didaktische Hilfe in
der Schulung von Patienten eingesetzt werden.
4. Übergangsregelung
Für die Industrie wurde in § 28 eine Übergangsfrist bis zum 24.09.2012 festgelegt. Hersteller von Diabetiker-Lebensmitteln dürfen damit bis zu diesem Datum
die genannten Waren weiterhin vertreiben.
5. Konsequenzen für die Praxis
5.1 Ernährungsberatung
In der Ernährungsberatung können sich Diätassistenten weiterhin an den
Empfehlungen für eine gesunde Ernährung bei Diabetes mellitus orientieren.
BE und KE können weiterhin als didaktisches „Schätzmittel“ in der
Schulung/Beratung im Rahmen einer intensivierten Insulintherapie verwendet
werden. Bei übergewichtigen Patienten mit Typ 2-Diabetes steht weiterhin die
Gewichtsreduktion im Vordergrund. Empfohlen werden wie bisher eine ballaststoffreiche Kost und eine Beschränkung freier Zucker.
Empfehlenswerte spezielle Lebensmittel für Patienten mit Diabetes mellitus stellen nach wie vor Süßstoffe und süßstoffhaltige Limonaden dar.
5.2 Pflegeheime
Die evidenzbasierte Diabetes-Leitlinie der DDG, DGG, Diagnostik, Therapie und
Verlaufskontrolle des Diabetes mellitus im gehobenen Alter legt fest:
Grundsätzlich unterscheiden sich die Ernährungsempfehlungen für ältere Menschen mit Diabetes mellitus nicht von denen für Stoffwechselgesunde oder jüngere Menschen mit Diabetes mellitus. Der Nutzen einer spezifischen
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Diabeteskost bei Heimbewohnern ist nicht gesichert. Eine Vollkost bei Heimbewohnern mit Diabetes mellitus steigert zwar die Nüchternblutglukose (0,6 mmol/l
über 8 Wochen), führt kurzfristig jedoch nicht zur Blutglukoseentgleisung. Zu
empfehlen ist eine ausgewogene bedarfsangepasste Mischkost nach den Prinzipien der DGE. Die Kalorienaufnahme sollte an den Bedarf angepasst werden.
Spezielle „Diabetesdiäten“ sind nicht zu empfehlen. Dies gilt im Besonderen für
Pflegeheime. (6)
5.3 Krankenhäuser und Rehabilitationskliniken
Die Empfehlungen für eine diabetesgerechte Ernährung ändern sich nicht. Nach
wie vor wird eine Kost mit 10-20 % Eiweiß, max. 35 % Fett, 45-60 % Kohlenhydrate und mind. 20 g Ballaststoffe/1000 Kcal empfohlen (4). Der Einsatz von
freiem Zucker kann entsprechend den o.g. Empfehlungen z.B. in berechneten
Mengen in Form von handelsüblichem Gebäck erfolgen. Der Einsatz spezieller
Diabetikerprodukte mit Zuckeraustauschstoffen ist weder sinnvoll noch notwendig. Der Einsatz energiereduzierter Lebensmittel mit Süßstoff kann weiterhin
sinnvoll sein. Müssen aus organisatorischen bzw. hygienischen Gründen verpackte Lebensmittel mit dem Tablett auf Station transportiert werden, können zukünftig für den Klinikbereich einzelverpackte Lebensmittel mit bekannten Nährwertangaben wie Kohlenhydrate, Kalorien und dem Gehalt an zugesetztem Zucker eingesetzt werden. Als Süßungsmittel ist Süßstoff aufgrund der Unwirksamkeit auf den Blutzuckerspiegel und dem geringeren Energiegehalt nach wie vor
üblichem Zucker zu bevorzugen. Süße Hauptgerichte sollten zuckerreduziert oder
mit wenig Süßstoff hergestellt werden. Süße Brotaufstriche können auch aus dem
herkömmlichen, zuckerhaltigen Sortiment angeboten werden – alternativ kann der
Einsatz süßstoffhaltiger Marmeladen beibehalten werden, um z.B. adäquat zur
eingesparten Kalorienmenge Lebensmittelportionen wie Vollkornbrot zu erhöhen.
Milchsuppen, Milchbreie und Desserts werden bei der Herstellung mit wenig Süßstoff gesüßt.
Eis kann auch als konventionelles Produkt angeboten werden, Limonade mit
Süßstoff („Light-Getränke“).
Patienten, z.B. schlanke Menschen mit Typ1-Diabetes, die keine Gewichtsreduktion benötigen, können am normalen Essen teilnehmen.
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Lediglich bei einer Insulin-Neu-Einstellung sollten die Kohlenhydrate weiterhin
einschätzbar sein. Zwar ist die BE/KE in der Diät-Verordnung nun abgeschafft.
Der BE/KE-Faktor mit dem die Insulindosis berechnet wird, findet aber bis auf
Weiteres in der Praxis deutscher Kliniken weiterhin Anwendung.
6. Fazit
Die 16. Änderung der Diätverordnung liberalisiert nun endlich auf juristischem
Wege die Diät bei Diabetes mellitus. Verwirrungen um die BE-Angaben ohnehin
nicht/kaum blutzuckerwirksamer Produkte mit Zuckeraustauschstoffen und irritierende „Diabetiker-Lebensmittel“, die missverständlich zu einer fälschlichen Mehraufnahme bei Betroffenen führte - sind nun endgültig abgeschafft.
Der Wegfall strikter Vorgaben und gewohnter Wege der Herstellung einstiger „Diabetes-Diäten“ und „Diabetiker-Lebensmittel“ in den Kliniken verlangt nun nach
einer Neuorientierung der Klinikküchen und Lebensmittelhersteller.
Diätassistenten/Diätassistentinnen sind dazu aufgefordert, zukünftig auch freien
Zucker in Kontrollberechnungen mit einzubeziehen, um die allgemeinen Ernährungs-Empfehlungen nicht zu überschreiten. Der Einsatz von Süßstoff ist bei der
Vielzahl an übergewichtigen Typ 2- Diabetikern weiterhin sinnvoll. Auch die
BE/KE-Berechnung kann als didaktisches Hilfsmittel in der Beratung weiterhin
von Vorteil, wenn auch nicht bindend sein. Eine Berechnung und Verteilung der
Kohlenhydrate in der Klinik-Kost ist insbesondere im Rahmen einer Neueinstellung bei einer Insulintherapie sinnvoll und entfällt daher nicht pauschal.
Eine vollständige „Abschaffung“ sog. „Diabetes-Diäten“ zugunsten einer „normalen Kost“ kann dann angebracht sein, wenn es sich um geriatrische Patienten in
Pflegeheimen handelt oder wenn die Klinik über eine Kostform verfügt, welche
den allgemeingültigen Richtlinien für eine Diabetes-Ernährung entspricht.
Die AG Diabetes des VDD e.V. empfiehlt daher für die praktische Umsetzung der
Empfehlungen in den Krankenhäusern:
-
eine Diabeteskost mit BE/KE/Kohlenhydratangaben gemäß der Empfehlungen
der Deutschen Diabetes-Gesellschaft für Patienten, die neu mit einer Insulintherapie eingestellt werden,
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-
eine Reduktionskost, welche die allgemeingültigen Angaben für Gesunde und
Patienten mit Diabetes mellitus erfüllt, für übergewichtige Typ 2- Diabetiker
ohne Insulintherapie.
-
in Pflegeheimen und bei geriatrischen Patienten kann auf eine Diabetes-Kost
verzichtet werden.
Tabelle 1: Freier Zucker in Lebensmittel (5)
Konfitüre, 25 g (50% Zuckeranteil)
Zucker
KH
Kcal
10
17
70
Honig, 20 g
15
15
61
Fruchtjoghurt, 1,5 % Fett
15
22
124
18
18
90
21 g
51 g
415
150 g, mit Zucker, i.D.
200 ml Orangensaft, 100% Fruchsaft
Rührkuchen, 1 Stück i.D.
1
1
Hergestellt mit 250 g Zucker/12 Portionen
Quellenverzeichnis:
(1) Bundesinstitut für Risikobewertung, BfR befürwortet ersatzlose Streichung von
Diabetikerlebensmitteln, Stellungsnahme Nr. 043/2009 des BfR vom
14.10.2009
(2) Bundesinstitut für Risikobewertung, Spezielle Lebensmittel für Diabetiker sind
nicht nötig, Stellungsnahme Nr. 017/2008 des BfR vom 23.08.2007
(3) Bundesrat, Drucksache 475/10, 16. Änderung der Diät-Verordnung, Verordnung des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, 06.10.2010
(4) Deutsche Diabetes Gesellschaft, Evidenzbasierte Leitlinien „ Diabetes und Ernährung“2005, http://www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de, Diabetes und
Stoffwechsel 14/2005, Seite 75 ff.
(5) Werte berechnet mit Nährwertberechnungsprogramm EbisDiaita
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(6) Deutsche Diabetes Gesellschaft, Evidenzbasierte Leitlinien „ Diabetes und
Ernährung“2005, http://www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de, Diabetes und
Stoffwechsel 13/2004, S. 44
Autoren:
Sandra Hagenbucher
Diätassistentin, Diabetesberaterin DDG
Gisela Hogenaar
Diätassistentin, Diabetesberaterin DDG
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