Universität Erfurt

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Universität Erfurt
Bachelor Arbeit im Seminar Finanzwissenschaften IIWintersemester 2011/2012 (12 LP)
Kritische Grenzen der Staatsverschuldung
Eingereicht bei: Prof. Dr. Dr. Helge Peukert
Erfurt, 21.3.2012
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung................................................................................................................................3
2 Staatsschulden und Investitionen............................................................................................4
2.1 Investitionsorientierte Verschuldung...............................................................................4
2.2 Realwirtschaftliches Crowding Out ...............................................................................6
2.3 Finanzielle Crowding Outs..............................................................................................7
2.4 Staatsschulden, monetäre und Investitionen..................................................................11
2.5 Kritische Grenzen der Staatsverschuldung im Bezug auf die Investitionen.................11
3 Staatsschulden und Wachstum..............................................................................................13
3.1 Langfristige Wirkungen.................................................................................................13
3.2 Konjunkturbedingte Verschuldung................................................................................16
3.3 Kritische Grenzen der Staatsverschuldung im Bezug auf das Wachstum.....................18
4 Verteilungswirkung von Staatsschulden...............................................................................19
4.1 Interpersonell.................................................................................................................20
4.1.1 Staatsverschuldung als Alternative zur Steuerfinanzierung..................................21
4.1.2 Durch Staatsverschuldung induzierte Inflation. ...................................................23
4.1.3 Weitere Aspekte.....................................................................................................23
4.2 Intertemporär ................................................................................................................25
4.3 Kritische Grenzen der Staatsverschuldung bzgl. der Verteilungswirkung:...................27
5 Staatsschulden und Vertrauen...............................................................................................28
5.1 Vertrauen der Bürger in den Staat.................................................................................29
5.1.1 Vertrauen in die Händelbarkeit von Staatsschulden..............................................29
5.1.2 Vertrauen in die politische Klasse/den Staat allgemein ........................................30
5.2 Investorenvertrauen.......................................................................................................32
5.3 Kritische Grenzen der Staatsverschuldung bzgl. Vertrauen..........................................33
6 Fazit.......................................................................................................................................33
Literaturverzeichnis …............................................................................................................... I
2
1 Einleitung
In der öffentlichen Wahrnehmung unserer Gesellschaft galt das Problem der Staatsüberschuldung lange Zeit nur als ein Problem von Entwicklungs- und Schwellenländern. In den letzten
Monaten und Jahren hat sich dies in Folge der Finanzkrise drastisch geändert. Island, Irland
und Griechenland sind nur die prominentesten von einem Staatsbankrott akut gefährdeten
Länder. Sogar der Euro galt und gilt mittlerweile durch die Staatsschuldenkrise in seinem Bestand bedroht.
Aber Staatsschulden haben noch weit größere Auswirkungen: So wird periodisch entweder
darüber geklagt, dass der Schuldenstaat das Erbe von zukünftigen Generationen aufzehren
würde, oder es wird das Betreiben von Deficit Spending gefordert, um damit die Konjunktur
anzukurbeln. Es wird darauf verwiesen, dass Investitionen in Bildung oder Infrastruktur quasi
selbstfinanzierend seien, oder es wird die unsoziale Verteilungswirkung von Staatsschulden
moniert.
Zu allen Thesen gibt es extrem unterschiedliche Meinungen und Bewertungen. Exemplarisch
mögen dafür der Ausspruch von David Ricardo „Die Staatsverschuldung ist eine der schrecklichsten Geißeln, die jemals zur Plage einer Nation erfunden wurden “1 und die Meinung von
Lorenz von Stein: „Ein Staat ohne Staatsschuld tut entweder zu wenig für die Zukunft oder er
fordert zu viel von seiner Gegenwart“2, stehen.
In dieser Bachelor Arbeit soll deswegen untersucht werden, welche kritischen Grenzen es für
eine Staatsverschuldung gibt. Aspekte, auf die hierbei ein besonderer Fokus gelegt werden
soll, sind die öffentlichen und privaten Investitionen, das Wachstum, die Verteilungswirkung
von Einkommen und Vermögen und das Vertrauen der BürgerInnen in den Staat. Zur Erklärung sollen hierbei Faktoren wie das Bruttoinlandsprodukt (BIP), das Steueraufkommen, das
Potentialwachstum, die Leistungsbilanz, und andere mehr herangezogen werden.
Da es so gut wie keine in der Literatur vorgeschlagenen festen Grenzen für Staatsschulden
gibt und eine angemessene eigenständige empirische Untersuchung den Rahmen dieser Arbeit
bei weitem sprengen würde, wird im nachfolgenden versucht wichtige Wirkungsmechanismen
der Staatsverschuldung aufzuzeigen, um anschließend daraus kritische Grenzen abzuleiten.
Dabei ist allerdings einschränkend zu bemerken, dass auch hier eine auch nur halbwegs ab1
2
Vgl. Klaus Steiniz: Die Entwicklung der öffentlichen Verschuldung. S.1.
Vgl. Heinz-J.Bontrup: Missverstandene Staatsschulden. In:Taz. 25.08.2005.
3
schließende Klärung deutlich mehr Raum in Anspruch nehmen würde als in einer Bachelorarbeit möglich ist. Das einzige, was erreicht werden kann, ist es einige Theorieansätze zu
erörtern und offene Fragen aufzuzeigen.
Von solchen gibt es mehr als genug, denn nach dem Eindruck des Verfassers ist der Umfang
der relevanten Literatur zu diesem Thema erstaunlich beschränkt.
Der Reiz, diese Bachelor Arbeit zu schreiben, hat sich dadurch noch vergrößert. Ob sie auch
gelungen ist, möge der geneigte Leser selbst entscheiden.
2 Staatsschulden und Investitionen
In diesem Teil soll behandelt werden, welchen Einfluss die Staatsverschuldung auf den Stand
der Investitionen hat und umgekehrt.
2.1 Investitionsorientierte Verschuldung
Die investitionsorientierte Verschuldung wird von Richard Musgrave3 mit dem „Pay-as-youuse-Prinzip“ begründet : Da zukünftige Generationen von derartigen Schulden profitieren,
sollten sie dafür auch bezahlen. Allerdings ist kritisch anzufragen, ob es im Vorhinein ausreichend bestimmbar ist, was sich zukünftige Generationen wünschen (Beispiel: autogerechte Innenstadt). Außerdem müssen diese Nachfolger zusätzlich Folgekosten wie z.B. Unterhaltsaufwendungen bezahlen. 4
Trotz solcher Bedenken ist diese Argumentation vom Grundsatz her höchst plausibel. Generell scheint Einigkeit darüber zu bestehen, dass die investitionsorientierte Verschuldung keine
Gefahr für Staaten darstellt und sogar nützlich sein kann („Goldene Regel der Finanzpolitik“).
So spricht sich der Sachverständigenrat in seinem Gutachten zur Einführung der Schuldenbremse für ebendieses Konzept aus5. Allerdings ist eine ökonomische Abgrenzung von Investitionen schwierig. Der Sachverständigenrat berücksichtigt nur die Sachinvestitionen und lässt
die Investitionsförderung und die Investitionen in Humankapital beiseite. Dies geschieht deswegen, weil diese anderen beiden Investitionsarten nur schwer zu messen sind. Auch besteht
3
4
5
Vgl. Konrad, Kai, Zschäpitz, Holger: „Schulden ohne Sühne“ S.77
Vgl. Duwendag, Dieter: Staatsverschuldung
Vgl. Sachverständigenrat: Staatsverschuldung wirksam begrenzen.
4
insbesondere bei der Investitionsförderung die Gefahr von Mitnahmeeffekten, während es
beim Humankapital zu naturgemäß bedingt extrem hohen Abschreibungen kommt, weswegen
der Nettoeffekt auf die Investitionen vergleichsweise klein ausfallen würde6. Auch beachtet
der Sachverständigenrat nur die Nettoinvestitionen (sowohl Abschreibungen als auch Deinvestionen, wie z.B. Privatisierungen, müssen dementsprechend also abgezogen werden), da
nur diese Wachstums relevant sind.
Punktuell7 taucht auch die Forderung auf, dass die investitionsorientierte Verschuldung die
Schuldenstandsquote nicht erhöhen solle. Dies ist aber angesichts der hohen Schuldenstandsquote in den meisten Industrieländern und des geringen Investitionsanteil momentan auch wenig relevant.
Die sich derart freundlich darstellende Rezeption des Modells einer investitionsorientierten
Verschuldung mag darin begründet liegen, dass selbst bei der Existenz von Crowding-Out Effekten das Produktionspotential gegenüber privaten Investitionen der gleichen Mittelmenge
dann nicht verkleinert wird, wenn staatliche Investitionen mindestens eine marktübliche Rendite hervorbringen. Wenn die Rendite direkt oder indirekt (also z.B. über Interaktionen) höher
liegt, wird das Produktionspotential sogar vergrößert8. Soda-Brücken können also wohl kaum
als investitionsbedingte Verschuldung gelten.
Die Frage, wie hoch die tatsächliche Rendite von Staatsinvestitionen ist, ist dabei letztlich nur
empirisch zu ermitteln. Hierbei tritt das Problem auf „[...] dass häufig in den Schätzungen keine Daten für den Kapitalstock unter Berücksichtigung von Abschreibungen, sondern nur für
den Bruttokapitalstock oder nur die Investitionen des Staates zur Verfügung stehen. Hinzu
kommt, dass auch andere, nicht als investiv verbuchte Ausgaben positive Wachstumseffekte
haben können“9 Weiterhin ist der Zusammenhang mit den privaten Investitionen zu berücksichtigen, wobei hier ein überwiegend komplementärer Zusammenhang zu bestehen scheint10.
Die konkrete Rendite der staatlichen Investitionen scheint dabei stark nach der jeweils gewählten Berechnungsmethode zu schwanken. So kommt der IMF auf eine Produktionselastizität von 0,811, während es bei Verwendung von Vektorautoregressiven Modellen zu deutlich
6
7
8
9
10
11
Ebenda S.5
Vgl. Schmahl, Hans-Jürgen: Struktur des Staatsdefizits und Konsolidierungspolitik
Vgl. Sachverständigenrat: Staatsverschuldung wirksam begrenzen. S.50
Ebenda S.52
Ebenda S.53
Zweifel am Ergebnis sind aber angebracht; dies zeigt sich nicht zuletzt an den ermittelten Werten für Arbeit
und Kapitaleinsatz ( vgl. ebenda S. 52)
5
niedrigeren, aber immer noch positiven Werten kommt.12 Eine Selbstfinanzierung der Investitionen ist also möglich, aber nicht sicher (zumindest gilt dies ab einem gewissen Niveau, bis
zu dem privatwirtschaftliches Wachstum stark durch das Nichtvorhandensein von öffentlichen
Leistungen und Infrastruktur gehemmt ist). Wesentlich dürfte auch die Wahl der konkreten Investitionsart sein. So erzielen in den USA insbesondere Investitionen in Energieträgerinfrastruktur, Wasserversorgung, Gebäude und öffentliche Verkehrswege, ausgenommen Straßen,
eine überdurchschnittliche Rendite, während Investitionen in den Straßenbau unterdurchschnittlich abschneiden.13 14 Für Deutschland fallen die Ergebnisse mit 10,3% gegenüber einem Durchschnitt von 7% oder kleiner übrigens besonders positiv aus. Ähnlich scheinen sich
die Effekte auf den Arbeitsmarkt und die privaten Investitionen zu verhalten.15
2.2 Realwirtschaftliches Crowding Out
Einer der am häufigsten vorgebrachten Einwände gegen Staatsschulden ist, dass sie private
Investitionen verdrängen würden. Dieser Einwand beruht meist auf dem stilisierten Modell einer vollbeschäftigten Volkswirtschaft, in dem die Wünsche Ersparnis zu bilden mindestens
gleich großen Investitionswünschen gegenüberstehen16. Ein Ansteigen der Staatsverschuldung
würde dadurch die Investitionen im selben Maße reduzieren. Es sprechen aber folgende Einwände dagegen, dass dieses Argument immer zutrifft:
1. Ein klassisches Crowding out ist dann ausgeschlossen, wenn dabei nur private von öffentlicher Kreditaufnahme verdrängt wird, weil nun der Staat Aufgaben übernimmt, die
vorher in privater Zuständigkeit lagen.
2. Auch spricht es noch nicht für die Existenz von Crowding Out, dass die Privatausgaben
sinken und Staatsausgaben steigen. In Rezessionen geschieht dies z.B. ohne Crowding
Out. Und auch in Wachstumsphase kann es sein, dass überproportional steigende Staatsausgaben nicht auf Crowding Out Effekte hindeuten, sondern darauf, dass der Staat das
Wachstum aufrecht erhält. Es sind im Gegenteil sogar Crowding-In Effekte möglich.
3. Allgemein lässt sich bemerken, dass Existenz und Ausmaß von Crowding Out wesentlich von der Inflationserwartung, der Geldpolitik, dem Umfang und der Struktur der Er12 Ebenda S.52
13 Vermutlich lassen sich diese Unterschiede einfach durch das Gesetz des abnehmenden Grenznutzens
erklären, da die öffentliche Infrastruktur in den USA bekanntlich im allgemeinen sehr marode ist, aber auf
die Instandhaltung der Straßen großer Wert gelegt wird.
14 Ebenda S. 53
15 Ebenda S. 53
16 Vgl. Schmahl, Hans-Jürgen: Struktur des Staatsdefizits und Konsolidierungspolitik S.96
6
sparnisse und der Kreditnachfrage, der Leistungsbilanz und dem Zinsgefälle zum Ausland, etc. abhängen.
Allerdings gibt es aber auch viele Problemkonstellationen, in denen es zu realwirtschaftlichen
Crowding Outs kommt. So ergeben sich starke Verdrängungseffekte insbesondere in den Teilen der Wirtschaft (wie z.B. Bau- und Energiegewerbe), die von Konjunkturprogrammen traditionell sehr häufig betroffen sind. Diese unterliegen dann sehr drastischen Schwankungen,
die zu einer sehr starken Unterauslastung bei ausbleibender Staatsaktivität und Preisschüben
oder Mengenbegrenzungen während des staatlichen Eingreifens führen. Diese Bewegung verläuft zwar im Verhältnis zum gesamtwirtschaftlichen Trend antizyklisch, doch ist dies bloß
eingeschränkt von Nutzen, da von einer nur sehr begrenzten Transformierbarkeit der benötigten Produktionsmittel ausgegangen werden kann. Eine Verstetigung der Ausgaben in diesen
Branchen wäre daher besser, um die beschriebenen Ineffizienzen zu vermeiden.17 Zugleich ist
der beschriebene Effekt auch für das von Wray als „Hire-From-The-Top“ beschriebene Phänomen verantwortlich, dass es beim Vorhandensein von Bottlenecks nicht möglich ist, die Unterauslastung der Wirtschaft bzw. die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, sondern staatliches
Eingreifen in diesem Fall nur zur Verzerrung der bisherigen Wirtschaftsstruktur führt.18
2.3 Finanzielle Crowding Outs
Neben realwirtschaftlichen Verdrängungseffekten besteht der zweite wichtige Wirkungsmechanismus von Crowding Outs in Zinssteigerungen, da gegenüber der zinsrobusten Kreditaufnahme19 des Staates private Kreditnehmer besonders bei langfristigen und kapitalintensiven
Zinsvorhaben sehr zinsempfindlich sind20. Ein durch Crowding Out verursachter Investitionverlust wiegt unter Umständen also doppelt schmerzlich, da ja allgemein ein Mehr an langfristig orientiertem Wirtschaften angemahnt wird. Falls aber Verschuldungspläne von privater
und staatlicher Seite das Kreditangebot übertreffen sollten, kommt es zu Finanzierungslücken
und damit einhergehenden Zinssteigerungen. Allerdings ist dies nur für eine geschlossene
Volkswirtschaft notwendige Folge.
In einer offenen Volkswirtschaft kann es alternativ auch zur Rückführung von Investitionen
im Ausland, daher der Nettokapitalexporte kommen.Es besteht also ein direkter Zusammen17 Vgl. Duwendag, Dieter: Staatsverschuldung.
18 Vgl. Wray, L.Randall: Understanding Modern Money
19 Die Zinsrobustheit ergibt sich dadurch, dass die beschlossenen Verschuldungspläne des Staates um jeden
Preis/Zinssatz durchzusetzen sind.
20 Vgl. Duwendag, Dieter: Staatsverschuldung.
7
hang zwischen der Staatsverschuldung und der Zahlungsbilanz. Für Länder mit einem sehr
hohen Außenbilanzüberschuss könnte sich eine diesbezügliche Veränderung vielleicht sogar
als positiv erweisen21.
Zurückkehrend zur Annahme einer geschlossenen Volkswirtschaft , ist ebenfalls zu beachten,
dass auch erwartete Zinssteigerungen bei der Planung von Investitionen eine wichtige Rolle
spielen22. Einerseits sind Unternehmenskredite wesentlich häufiger als Privatkredite nicht festgelegt, sondern schwanken mit den Marktzinsen. Andererseits verändert sich (gegenüber Finanzprodukten in deutlich abgemilderter Form) auch der Wert von realwirtschaftlichen Investitionen selbst mit dem Zinsniveau 23. Bei diesen Effekten handelt es sich also um zinsinduzierten Investitionsverzicht. Davon zu unterscheiden ist der zwangsinduzierte Konsumverzicht, der sich aufgrund der Erwartung von Steuererhöhungen infolge der aufgenommenen
Staatsschulden ergibt.
Wie stark sich der Zinssatz im Falle des finanziellen Crowding Out verändert, hängt von der
Zinssatzelastizität ab. Empirische Untersuchungen schwanken hierbei zwischen einem Zinssatzanstieg von 0,2-1% laut einer Untersuchung von Gale and Orszag bei einem Anstieg der
Defizitquote um 1%. Dabei gilt: „ it is essential to take expected future deficits accounts into
examining the linkages between deficits and interest rates“24. Eine Erhöhung der Schuldenstandsquote um 1% führt hingegen zu einer Zinssteigerung von 0,02 bis 0,06% 25. Interessant
ist hierbei, dass einerseits allein Defizitprognosen den Zinssatz zum Teil erheblich verändern,
andererseits der Effekt der Schuldenstandsquote mit einem erhöhten Konsumanteil größer
wird26. Für Deutschland sind die entsprechenden Werte höher als im Durchschnitt.
Neben diesen schon recht praktisch ausgerichteten Ansätzen gibt es aber auch Autoren, die
auf Effekte verweisen, die einem finanziellen Crowding Out widersprechen, bzw. es zumindest abmildern. So ist bei Annahme der Ricardianischen Äquivalenz27 ein Crowding Out meist
ausgeschlossen bzw. kann als zumindest deutlich verringert angenommen werden. Denn da
die BürgerInnen die durch den zukünftigen Schuldendienst zu erwartenden Belastungen antizipieren, verändert sich ihre Erwartung bzgl. ihres Lebenseinkommens nicht. Da von diesem
wesentlich der Konsum beeinflusst wird, wird das durch die Staatsverschuldung in der Aus21
22
23
24
25
26
27
Vgl. Sachverständigenrat: Staatsverschuldung wirksam begrenzen. S. 32
Vgl. Duwendag, Dieter: Staatsverschuldung
ebenda
Vgl. Gale, William; Orzsag, Peter: The Economic Effects of Long Term Fiscal Discipline S.25
Sachverständigenrat: Staatsverschuldung wirksam begrenzen S.39
Sachverständigenrat: Staatsverschuldung wirksam begrenzen S. 40
Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Ricardianische_%C3%84quivalenz
8
gangsperiode entstehende zusätzliche Einkommen im vollem Umfang gespart. Robert Barro
vermutet sogar, dass die Individuen aufgrund von Risikoscheue zusätzliche Rücklagen bilden.
Somit entstehen mindestens Ersparnisse in der Höhe der Staatsverschuldung. Damit ist aber
auch ausgeschlossen, dass über Staatsschulden die Nachfrage stimuliert werden kann.
Allerdings gibt es auch zahlreiche Kritikpunkte an der Gültigkeit des Ricardianischen Äquivalenztheorems. So ist ein altruistisches Erbschaftsmotiv für die Ricardianische Äquivalenz
konstitutiv. Es kann aber als sicher gelten, dass dieses nur annäherungsweise erreicht wird.
Auch bestreitet z.B. die neokeynesianische Theorie, dass überhaupt keine Nachfragewirkung
auftreten würde. Denn selbst bei vollkommen zutreffender Erwartungsbildung der Individuen
würden einige Individuen trotzdem mehr konsumieren als sie es bisher getan hätten, da sie
bisher aufgrund von mangelnder Liquidität schlicht nicht mehr konsumieren konnten.
Genauso widerspricht die Fontänentheorie28 (zumindest in ihrer Reinform) der Existenz von
Crowding Outs. Während die ihr entgegengesetzte Quellentheorie nämlich von einem im Vorhinein abschätzbaren Volumen finanzieller Mittel ausgeht (Maßstab ist hierbei die volkswirtschaftliche Geldvermögensbildung), nimmt die Fontänentheorie überspitzt formuliert an, dass
sich jede Kreditnachfrage ihr Angebot selber schafft29. Da die aufgenommenen Mittel durch
den Kauf von Gütern oder durch Transfers/ Steuerentlastungen wieder bei den Bürgern
landen, die sie erneut anlegen würden, ergebe sich ein Mittelkreislauf30.
Daran, dass dies vollständig so geschieht, sind Zweifel angebracht: Einerseits müsste die Wiederveranlagung vollständig im Inland erfolgen (es darf also nicht - um beim Beispiel zu bleiben - zu Spritzverlusten kommen). Auch müsste die Struktur der Wiederanlagewünsche der
Struktur der (staatlichen) Anlagemöglichkeiten entsprechen. Privatanleger legen aber nur
einen verhältnismäßig kleinen Teil ihrer Ersparnisse in Staatsanleihen an. Zudem schwankt
die Anlagepräferenz stark, was ebenfalls einer automatischen Entsprechung widerspricht
(während Anfang der 90er Jahre noch ca. 40% der Bundesschuld von Privatanlegern gehalten
wurden, sind es jetzt nur noch ca. 2%31). Möglich ist allerdings, dass die Banken und die anderen Finanzintermediäre, denen das Geld primär zufließt, es sekundär dann doch wieder in
Staatsanleihen anlegen. Dies ist aber kein Zwang.
Hinzukommen Beschränkungen aufgrund von Mindestreservesätzen und aufgrund der Risiko28
29
30
31
Vgl. Duwendag, Dieter: Staatsverschuldung
Vgl. Stützel, Ober- und Untergrenzen der öffentlichen Verschuldung
Wie dies auch bei der Fontäne eines Brunnes der Fall ist - daher der Name
Vgl. Schumann, Harald: Finanzkrise- Schuld und Segen.
9
und Fristentransformation entstehende Beschränkungen der Transformationsmöglichkeiten.
Ad absurdum lässt sich die Fontänentheorie mit dem Hinweis führen, dass die Fontänentheorie dann ja auch auf die private Kreditnachfrage zutreffen müsste. Zusammenfassend lässt
sich sagen, dass die Wiederanlagemöglichkeit zwar notwendig, aber ohne die entsprechende
Wiederanlagebereitschaft nicht hinreichend ist. Aber auch die Quelltheorie ist äußerst angreifbar, denn da sich hinter den beiden großen Posten Geldvermögensbildung und Kreditaufnahme Komponenten ganz unterschiedlicher Beschaffenheit verbergen und der Quotient von
Geldvermögensbildung zu vergebenen Krediten äußerst breit schwankt, kann keinesfalls von
einer im Voraus abzuschätzenden Kreditmenge ausgegangen werden (wenn auch die Geldvermögensbildung hierfür natürlich wertvolle Hinweise liefert). Es ist deswegen anzunehmen,
dass der reale Kreditbildungsvorgang Elemente beider Theorien enthält.
Um der Annahme finanziellen Crowding Outs noch ein anderes Extrem gegenüberzustellen,
zeigt zum Beispiel Herbert Timm in seinem Modell auf32, dass Staatsverschuldung unter bestimmten Bedingungen sogar zur Finanzierung der Investitionen notwendig sein kann. Er geht
dabei von einem gleichbleibend stabilen Wirtschaftswachstum aus, in dem die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes, der Investitionsanteil und die Staatsquote konstant bleiben (die
letzten beiden Faktoren werden auch als optimal angenommen). Die Wirtschaft befindet sich
damit in einem moving equilibrium, in dem alle Individuen ihre Erwartungen stets bestätigt
finden. Außerdem setzt diese These einen ausgeglichenen Staatshaushalt voraus. Aufgrund
dieser Annahmen ist damit klar, dass zusätzliche Investitionen/die Erhöhung des BIPs einer
Erhöhung der Geldmenge bedürfen. Um das benötigte zusätzliche Geld von der Zentralbank
zu bekommen, müssen die Geschäftsbanken dafür Sicherheiten hinterlegen, die sie von den
Unternehmen bekommen. Wenn die Unternehmen aber nicht in ausreichendem Maße bereit/in
der Lage sind, ihre Kredite mit Papieren zu hinterlegen, welche bei der Zentralbank
remonetisierbar sind, entsteht eine Finanzierungslücke. Diese kann, wie Herbert Timm zeigt,
auch nicht durch Veränderungen des Bankensystems beseitigt werden. Wenn von der
Möglichkeit, die Restriktionen der Zentralbank bzgl. der hinterlegungsfähigen Papiere zu
lockern abgesehen wird, bleibt als Ausweg nur die Möglichkeit der Staatsverschuldung (es
wird hierbei angenommen, dass Staatsanleihen remonetisierbar sind - dieser Fall dürfte auch
die Regel darstellen). Diese muss unter Berücksichtigung des Geldmultiplikators gerade
ausreichen, um die Finanzierungslücke zu stopfen. Später anfallende Zinsausgaben müssen
dann ebenfalls über eine zusätzliche Neuverschuldung abgedeckt werden, da sonst die
32 Vgl: Timm, Herbert: Staatsverschuldung zur Finanzierung des Wirtschaftswachstums
10
Finanzierungslücke wieder aufreißen würde. Auch müssen weitere Details (wie z.B. die
Verwendung der aufgenommenen Mittel) beachtet werden, da sich sonst das annahmegemäß
optimale Verhältnis zwischen staatlichen/privaten Ausgaben und zwischen
Konsum/Investitionen verschieben könnte33.
2.4 Staatsschulden, monetäre und Investitionen
Monetäre Effekte im Zusammenhang mit Staatsschulden üben aber nicht nur über Crowding
Out Einfluss auf die Investitionen aus. So könnte, wie Peter Bofinger bemerkt, in den einzelnen Euro-Ländern der Effekt eintreten, dass aufgrund des Nachfrageschocks, den ein plötzlicher Defizitrückgang hervorruft und der damit einhergehenden Deflation, der Realzins stark
steigen, da die Nominalzinsen ja europaweit fixiert sind. Dies würde sich wiederum äußerst
nachteilig auf das private Investitionsvolumen auswirken. 34
Eine andere Gefahr besteht darin, dass mit abnehmender Laufzeit Staatsschulden verstärkt zu
Geldsurrogaten werden und somit sehr kurzfristig finanzierte Staatsschulden die Inflation ankurbeln35, was sich wiederum langfristig nachteilig auf die Investitionen niederschlagen würde. Es ist daher wichtig, dass das Debt Management des Staates nicht nur auf die Optimierung
der Zinsausgaben gerichtet ist, sondern eine bewusste Strukturpolitik betreibt. So hilft
beispielsweise die Existenz von Mittel- und Langläufern auch bei der Investitionsplanung, da
sie eine gewisse Sicherheit über Anlagemöglichkeiten und die generellen Rahmenbedingungen schafft.
2.5 Kritische Grenzen der Staatsverschuldung im Bezug auf die Investitionen
Zusammenfassend lässt sich also Folgendes festhalten36:
1.
Jede Staatsverschuldung/Rückführung des Vermögens ist kritisch,
◦ wenn bei Berücksichtigung aller Effekte von staatlichen Investitionen ihre Rendite
unter von privaten liegt. Dies ist insbesondere dann zu vermuten, wenn für die Investitionsentscheidung primär politökonomische Gründe ausschlaggebend waren.
33 Interessant bei diesem Modell ist, dass es relativ offensichtlich ist, dass - wenn die Staatspapiere
notenbankfähig sind - fast der gleiche Effekt eintritt, als wenn die Notenbank den Staat direkt finanzieren würde.
34 Sachverständigenrat: Staatsverschuldung wirksam begrenzen S. 157
35 Hier ergibt sich ein potentieller Teufelskreislauf, da sich die Laufzeiten der Staatsschulden beim Auftreten
von Inflationsmüdigkeit zunehmend verkürzen.
36 Hierbei ist (dies gilt auch für die übrigen Zusammenfassungen zu den kritischen Grenzen) die Annahme,
dass alles übrige gleich bleibt, zugrunde gelegt.
11
◦ wenn es dadurch zu finanziellen Crowding Out Effekten in Form von Zinssteigerungen oder der Erwartung dieser kommt
◦ wenn sich dadurch große Marktverzerrungen oder in den von Konjunkturprogrammen betroffenen Branchen zu große Marktschwankungen ergeben
◦ wenn die Bürger Steuererhöhungen bzw. andere negative Leistungsanreize erwarten und deswegen Investitionen unterlassen
2. Von einem zu geringen Schuldenniveau ist dann auszugehen, wenn mögliche DrawingIn Effekte unterbleiben
3. Ambivalent bleibt die Rückführung der Nettokapitalexporte durch eine erhöhte
Staatsverschuldung, da diese bei einem bereits bestehenden Leistungsbilanzdefizit die
Problemlage zusätzlich verschärft.
Ähnlich verhält es sich mit den monetären Effekten der Staatsverschuldung. Eine kritische Grenze ist dabei dann erreicht, wenn Umfang oder Struktur der Staatsverschuldung
die Ziele der Geldpolitik und somit die Preisstabilität ernsthaft gefährden.
4. Eine viel zitierte (und relative klare) These besteht darin, dass das dauerhafte
Überschreiten der investitionsorientierten Verschuldung negativ zu bewerten ist.
12
3 Staatsschulden und Wachstum
Wachstum
Bei den Auswirkungen, die die Staatsverschuldung auf das Wirtschaftswachstum hat, ist zu
berücksichtigen, dass ein Großteil der Effekte mit (den oben behandelten) Investitionen zusammenhängt.Nichtsdestotrotz ergeben sich auch beträchtliche eigenständige Interaktionen
zwischen den Staatsschulden und dem Wirtschaftswachstum. Die entstehenden Effekte werden im Nachfolgenden je nach Wirkungszeitraum grob in kurz- und langfristig unterschieden.
3.1 Langfristige Wirkungen
Langfristig ist es sicherlich von Bedeutung ob, wie häufig37 erörtert wird, durch die
Möglichkeit der Staatsverschuldung die Staatstätigkeit schneller steigt. Diese Vermutung wird
dadurch genährt, dass sowohl die Staatsverschuldung wie auch die Staatsquoten in den
Industrieländern von Beginn der 70er bis Ende der 80er Jahre stark gestiegen sind. Da die
meisten Industrieländer eine schon relativ hohe Staatsquote aufweisen und die Auswirkungen
von sehr hohen Staatsquoten auf das Wirtschaftswachstum mehrheitlich als negativ eingestuft
werden (z.B. aufgrund von fehlenden Leistungsanreizen, etc.) könnte somit ein indirekter
negativer Effekt von Staatsschulden auf das Wirtschaftswachstum vermutet werden.
Allerdings lassen sich steigende Staatsquoten auch anders erklären, wie z.B. über das
Wagner'sche Gesetz, das eine steigende Staatstätigkeit damit erklärt, dass die staatlichen
Aufgaben superiore Güter seien und somit mit steigender Wirtschaftskraft notwendigerweise
ein Anstieg der Staatsquote einhergehe (dies erhöhe übrigens den gesellschaftlichen Nutzen)38.
Oft wird auch eine Verringerung der privaten Leistungsanreize39 durch die
Staatsverschuldung erwähnt.40 Hier mag an das sinkende Vertrauen und die Befürchtung von
zukünftigen Steuererhöhungen gedacht sein. Konkrete Details dazu ließen sich aber trotz
intensiver Recherche nicht finden.
Ebenfalls störend könnte sich im Euro- Raum auf die gewünschte Wachstumsstabilisierung
auswirken, dass durch die monetären Folgen41 der Staatsverschuldung die Einhaltung des EZB
37
38
39
40
Vgl. z.B. Duwendag Dieter: Staatsverschuldung
Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Wagnersches_Gesetz
Auch andere Friktionen wie z.B. die Verschiebung der Risikopräferenz werden genannt
Beispielsweise Gandenberger, O.: Intertemporale Verteilungswirkungen der Staatsverschuldung
41 Vgl. Duwendag, Dieter: Staatsverschuldung
13
Referenzwertes für das Geldmengenwachstum (derzeit 4,5% pro Jahr)42 erschwert bis
unmöglich gemacht werden könnte. Dieser Referenzwert soll aber dazu dienen, die
Erwartungen der Individuen auf eine bessere Basis zu stellen und somit indirekt die
Konjunktur zu verstetigen. Die geldpolitischen Auswirkungen der Staatsverschuldung
könnten somit die erwünschte konjunkturelle Stabilisierung verhindern.
Die bisher präziseste Theorie bezüglich der Auswirkungen auf das Wachstum ist die These
von Reinhart und Rogoff,43 dass bei einer Staatsverschuldung von über 90% am BIP das
Wachstum fast zum Stillstand komme. Krugmann44 erwidert, dass die ermittelten Effekte
hauptsächlich durch die Ergebnisse der englischsprachigen Länder in der Nachkriegszeit
zustande kommen , in denen es eine kriegsbedingt hohe Verschuldung und davon
unabhängige negative Wachstumseffekte gegeben habe. So war in England die sinkende
Partizipationsrate der Frauen am Erwerbsleben für den Rückgang des BIPs verantwortlich.
Diese ergab sich aber daraus, dass mit dem Ende des zweiten Weltkriegs die Männer nach
Hause, auf die Arbeitsplätze zurückkehrten und damit die traditionellen Rollenmuster neue
Gültigkeit bekamen. Und in Italien45 flaute in den 80er Jahren das Wachstum deutlich vor
Überschreiten der 90% Marke ab46.
Einen tendenziell wachstumserhöhenden Effekt hat die von Stützel aufgestellte These47,
wonach durch ein gewisses Maß an öffentlicher Verschuldung eine Dämpfung der
Schwankungen in der privaten Investitionstätigkeit erreicht werden kann. Wenn es nämlich
keine Staatsverschuldung gibt, kann man verallgemeinernd sagen, dass die Privatpersonen
sich in einer Gläubiger- und die Unternehmen sich in einer Schuldnerposition befinden. Da es
hierbei oft ein größeres Bedürfnis gibt, die Ersparnisse in Anleihen statt in direkten
Beteiligungen wie z.B. Aktien anzulegen, entwickelt sich eine ungünstige EigenkapitalFremdkapital Ratio. Dies bedroht einerseits die Stabilität von Unternehmen. Andererseits
schwankt die Eigenkapitalrendite stark prozyklisch (Leverage-Effekt). Und da angenommen
werden kann, dass sich sowohl die Investitionsbereitschaft positiv mit den bisher erzielten
Gewinn wie auch die Investitionsfähigkeit in Relation zu den zur Verfügung stehenden
Reserven verändert, würden auch die Investitionen aufgrund dieses Effekts stark prozyklisch
42
43
44
45
46
http://de.wikipedia.org/wiki/Geldmengenwachstum#Referenzwert_f.C3.BCr_das_Geldmengenwachstum
Vgl. Reinhart, Carmen; Rogoff, Kenneth: Growth in a Time of Debt
Vgl. Krugman, Paul: Debt an Growth in the G7 bzw. Krugman, Paul: Debt and Growth yet again
Ebenda
Es ergibt sich wohl sogar eine umgekehrte Kausalität, dass nicht die hohe Staatsverschuldung für das
sinkende Wachstum sondern das sinkende Wachstum für die hohe Staatsverschuldung verantwortlich ist.
47 Vgl. z.B. Stützel: Ober- und Untergrenzen der öffentlichen Verschuldung S.438
14
schwanken. Die Möglichkeit, Kredite auch in Form von Staatsanleihen zu vergeben, bietet
daher einen gewissen Puffer.
Auch müssten ohne Möglichkeit der Schuldenaufnahme die Staatsausgaben parallel zu den
Staatseinnahmen schwanken. Bei größeren Projekten, die über die Aufnahme von Schulden
über mehrere Jahre finanziert werden können, müsste es zu außerordentlichen
Steuererhöhungen für eine kurze Zeit kommen (dieser Effekt wäre vor allem bei den Ländern
und Kommunen sehr ausgeprägt). Hier leistet die Staatsverschuldung eine auch als Tax
Smoothing bekannte wichtige „Ausgleichsfunktion“.
Auch eine säkuläre Neuverschuldung erscheint sinnvoll, wenn mensch von der Existenz von
dauerhaften Nachfragelücken ausgeht, wie lange in der keynesianischen Theorie angenommen
wurde. Dieser Gedanke baut auf der Überlegung auf, dass das von den Firmen gewünschte
Investitionsvolumen geringer als das von den Privathaushalten (bei gegebener Sparquote) bei
Vollbeschäftigung gewünschte Sparvolumen ist. Das BIP wird nun so lange sinken, bis sich
Ersparnisse und Investitionen wieder entsprechen. Die Aufnahme von Staatsschulden würde
in diesem Szenario friktionslos vonstatten gehen, da sie mit dem brach liegenden Sparkapital
finanziert werden kann. Andererseits würde sich damit auch das BIP erhöhen. Allerdings
ergibt sich daraus als Frage, wie brach liegendes Sparkapital erkannt werden kann. Auch wird
aktuell von der überwiegenden Zahl der Wirtschaftswissenschaftler die Möglichkeit von
dauerhaften Nachfragestörungen verneint. Sie gehen davon aus, dass sich Angebot und Nachfrage von Krediten über die Kreditzinsen selbst einpendeln.
Ebenfalls zu einer langfristigen Neuverschuldung führt das Argument des Normaldefizits, das
der Sachverständigenrat über mehrere Jahrzehnte verfolgt hat. So schreibt er in seinem
Jahresgutachten 1976: „Mit anderen Worten, wir gehen davon aus, daß der private Sektor der
Wirtschaft darauf eingerichtet ist, daß der Staat einen bestimmten Anteil des
Produktionspotentials mit kreditfinanzierten Ausgaben in Anspruch nimmt“48 Mit Wachstum
des Produktionspotentials wächst also auch das absolute Volumen der Neuverschuldung. Ein
dabei gleich bleibender Verschuldungsanteil (vom Rat wurden jahrelang 1,5% als Ziel
angegeben) galt als neutrale Verschuldung49. Da es an diesem Konzept aber erhebliche Kritik
gab, wechselte der Sachverständigenrat zum Konzept der investitionsorientierten
Verschuldung.
48 Zitiert aus Duwendag, Dieter. Vermutlich: Jahresgutachten 76/77 Textziffer 277
49 Ebenda S. 51
15
Falls hingegen nicht ein dauerhafter Anstieg der Staatsverschuldung zur Wachstumsstärkung,
sondern stattdessen eine dauerhafte Rückführung der Schuldenstandsquote durch Wachstum
beabsichtigt wird, sollte bedacht werden, dass dazu nur dann realistische Aussicht besteht,
wenn das Potentialwachstum deutlich die erwarteten Defizitquoten übersteigt. Da das
Wachstum in den Industrieländern aber tendenziell erlahmt50, sollte niemand zu große
Hoffnungen in diese Lösung setzen51. Weiterhin ist interessant, dass auch das immer als
Beispiel angeführte Sinken der Staatsschuldenquote in den USA von 108,6% in 1946 auf 36%
in 2006 nur zu 46% durch Wachstum, aber zu 54% durch Preissteigerungen bedingt war.52
3.2 Konjunkturbedingte Verschuldung
Im Vergleich zu den langfristigen Zusammenhängen mit der Staatsverschuldung werden die
kurzfristigen Wirkungen in der öffentlichen Meinung nach Einschätzung des Verfassers dieser
Arbeit weit stärker diskutiert. Dies liegt am Konzept der Konjunkturbedingten Verschuldung.
Diese soll den volkswirtschaftlichen Zyklus stabilisieren53, indem der Staat in Boomphasen
die Steuern erhöht, die Ausgaben senkt bzw. die automatischen Stabilisatoren nicht
diskretionär in Erscheinung treten. In der Phase der Austerität passiert dann das Gegenteil.
Das beschriebene Konzept läuft also darauf hinaus, dass sich Überschüsse in Auf- und
Abschwung ausgleichen. Die konjunkturbedingte Verschuldung wird dabei berechnet, indem
einerseits die momentane Steuerquote auf das potentielle BIP übertragen wird. Die Differenz
zwischen tatsächlichen und potentiellen Steuereinnahmen gilt dann als konjunkturbedingt.
Auf der Ausgabenseite werden Posten wie das Kurzarbeitergeld, etc. berücksichtigt. Falls es
gelingen sollte, auf diesem Wege die Konjunktur zu stabilisieren, könnte sich dies dann auch
auf das Investitionsvolumen positiv auswirken. Eine schwankende Wirtschaftsentwicklung
erhöht die Unsicherheit. Damit sinkt ceteris paribus die Investitionsfreudigkeit. Eine
Stabilisierung durch eine aktive Konjunkturpolitik könnte deswegen auch für mehr private
Investitionen sorgen.54 Dies konnte auch empirisch gezeigt werden. So heisst es in einer
Studie von Aghion und Marinescu: „Our secound-stage regressions suggest that growth in
50 Zumindest ist das die momentane Tendenz und es gibt gute Gründe, die für die Unmöglichkeit dauerhaften
expotentiellen Wachstums sprechen.
51 Und in den momentanen von Staatsschuldenkrisen betroffenen Ländern wird dies tatsächlich ja auch nur als
teilweise Problemlösung angenommen. Vgl. z.B. http://www.onvista.de/analysen/alleanalysen/artikel/24.11.2011-16:30:52-italien-kann-mittelfristig-nicht-aus-schulden-herauswachsen
52 http://www.welt.de/die-welt/wirtschaft/article6567383/Herauswachsen-Wegen-schwacher-Konjunktur-fastunmoeglich.html
53 Sehr klar wird dies im Ausspruch Karls Schillers „Konjunktur ist nicht unser Schicksal, sondern unser
Wille“
54 Sachverständigenrat: Staatsverschuldung wirksam begrenzen S.46
16
EMU countries could be fostered if the budget deficit in the Eurozone became more
countercyclical“55
In der praktischen Anwendung wird die konjunkturbedingte Verschuldung allerdings dann
problematisch, wenn sich ein einseitiger Keynesianismus herausbildet, der darauf hinaus läuft,
dass in schlechten Zeiten Schulden aufgenommen werden, die Rückzahlung in den guten
Zeiten aber unterbleibt. Dafür verantwortlich sind einerseits realwirtschaftliche Effekte, wie
z.B. die notwendigen Unterhaltskosten der im Zuge von Konjunkturprogrammen getätigten
Investitionen. Andererseits spielen auch politökonomische Phänomene eine Rolle.
1. So stellen Buchanan und Wagner die These auf, dass PolitikerInnen, um gewählt zu
werden, ihren WählerInnen möglichst viel zu einem möglichst geringen Preis bieten müssen56.
Da Steuern voll als Belastung wahrgenommen werden, die durch Schulden entstehenden
zukünftigen Belastungen hingegen nicht (Fiskalillusion), erfolge die Leistungsgewährung
hauptsächlich über Schulden. Die PolitikerInnen befinden sich hierbei in einem
Gefangenendilemma: Wenn sie sich weigern Schulden zu machen, werden sie nicht
wiedergewählt. Stattdessen übernimmt jemand anders die Macht, der bereit ist die
Staatsverschuldung zu erhöhen. Beim Zurückfahren von einmal gewährten Leistungen ist
dieser Effekt besonders ausgeprägt. Es entsteht ein Sperrklinkeneffekt.
Es kann weiterhin davon ausgegangen werden, dass bei der Einbeziehung von Erwartungen,
Konjunkturprogramme ihre Wirkung verlieren, wenn sie allzu regelmäßig erfolgen. So gab es
von von 1974 bis 1983 15 Konjunkturprogramme also 1 ½ pro Jahr57. Es ist anzunehmen, dass
die Wirtschaftssubjekte dies in ihre Überlegungen miteinbeziehen und dann beispielsweise in
Phasen der Hochkonjunktur Investitionen vorziehen, um einer Verschärfung der
Kreditkonditionen zuvorzukommen. Im Extremfall kann ein solches Verhalten sogar zu einer
Verstärkung der Konjunkturzyklen führen.
Die konjunkturbedingte Staatsverschuldung kann auch langfristige Wachstumseinbußen
bewirken, wenn es keine Versuche gibt, nicht konjunkturell bedingte Probleme durch
Konjunkturprogramme zu lösen und damit die notwendigen Anpassungsreaktionen verzögert
werden.58
Auch ist nur von einer geringen Wirkung auszugehen, wenn konjunkturpolitische Maßnahmen
55
56
57
58
Vgl. Aghion, P., Marinescu I.: Cyclical Budgetary Policy and Economic Growth S.272
Vgl. Duwendag: Dieter: Staatsverschuldung
Ebenda
Vgl. Gaul, Claus Martin: Konjunkturprogramme in der Geschichte der BRD S. 18
17
in einer offenen Volkswirtschaft ohne internationale Abstimmung vorgenommen werden, da
sich dann eine „Free-Rider“-Problematik ergibt59
Weitere praktische Probleme stellen die Wirkungsverzögerungen dar, die bei jeder Maßnahme
der Konjunkturpolitik auftreten. Bei der diskretionären Fiskalpolitik sind sie aber besonders
groß, da dort erst der Bedarf erkannt und die entsprechende Maßnahme beschlossen werden
muss. Hinzukommt ein weiterer Timelag bis die beschlossenen Maßnahmen real Nachfrage
wirksam werden. Dies kann dazu führen, dass die Maßnahmen erst dann ihre volle Wirkung
entfalten, wenn sich die Konjunktur chon wieder in der nächsten Zyklusphase befindet.60
Dass diese Wirkungsverzögerungen aufgrund der entfallenden Beschlussnotwendigkeit
deutlich reduziert sind, ist ein großer Vorteil der automatischen Stabilisatoren wie
Einkommenssteuer und Sozialversicherungssystem, die eine immanent antizyklische Wirkung
haben. Wohl deswegen besteht weitestgehend Einigkeit darüber, dass die Wirksamkeit dieser
Instrumente nicht beschränkt werden soll. Diese wird umso stärker, je progressiver das
Steuersystem und je größzügiger die Staatsleistungen ausgestaltet sind. Eine OECD Studie 61
zeigt, dass automatischen Stabilisatoren die konjunkturellen Schwankungen in den
Industrieländern um ca. ein Viertel vermindern. In Deutschland beträgt die Wirkung sogar ein
Drittel.
3.3 Kritische Grenzen der Staatsverschuldung im Bezug auf das
Wachstum
Als Ergebnis der oben dargestellten Diskussion kann also die Staatsverschuldung dann als zu
niedrig betrachtet werden, wenn durch eine höhere Staatsverschuldung starke Leverage und
damit einhergehende Investitionsschwankungen vermieden werden könnten, bzw. durch eine
höhere Staatsverschuldung ein Tax Smoothing ermöglicht würde. Auch bei der Existenz von
dauerhaften Nachfragelücken müsste von einer zu geringen Staatsverschuldung ausgegangen
werden.
Zu hoch wäre das Staatsdefizit hingegen dann, wenn dadurch Leistungsanreize vermindert
würden. Ein langfristiges Problem entsteht auch dann, wenn eine Staatsschuld aufgebaut wird,
ohne dass ein hinreichendes Wachstumspotential oder andere Faktoren (wie z.B. eine Reform
der Staatsfinanzen) bestehen, die darauf hindeuten, dass sich in Zukunft Tilgungsmöglichkei59 Ebenda S.21
60 Sachverständigenrat: Staatsverschuldung wirksam begrenzen S.48
61 Ebenda S. 47
18
ten ergeben könnten (Sonderereignisse wie das Auftreten von Naturkatastrophen sind von dieser Annahme vielleicht ausgenommen). Dadurch könnte dann auch eine Situation entstehen,
in der aufgrund zu hoher Staatsschulden das Funktionieren der automatischen Stabilisatoren
nicht mehr gewährleistet werden kann, bzw. ihre Wirkung durch Sozialkürzungen stark zurückgefahren werden muss.
Konjunkturpolitische Verschuldung kann generell (also ab einem Niveau von 0) als schädlich
angesehen werden, wenn die konjunkturpolitischen Intentionen durch das Auftreten von Gewöhnungseffekten unwirksam werden bzw. wenn es aufgrund von Timelags durch eine konjunkturpolitische Verschuldung sogar zu prozyklischen Effekten kommt. Auch das Entstehen
von (politischen und/oder ökonomischen) Sperrklinkeneffekten spricht dafür, die konjunkturpolitische Verschuldung komplett zu unterlassen.
Unklar sind die kritischen Grenzen, wenn es zu Gewöhnungseffekten an ein langfristiges
Schuldniveau gekommen ist, weil jede Veränderung dann mit einiger Wahrscheinlichkeit zu
Schocks führen würde. Und, wie schon oben erwähnt, müssen auch die monetären Auswirkungen (z.B. auf den Referenzwert der EZB) der Staatsverschuldung als ambivalent angesehen werden.
4 Verteilungswirkung von Staatsschulden
Vorbemerkung: Bei allen Details sollte bzgl. der Verteilungswirkung der Staatsschulden nicht
vergessen werden, dass Schulden an sich keinen Verteilungsspielraum schaffen. Denn auch,
wenn es häufig zu Schuldenrestrukturierungen kommt, ist es unmittelbar verständlich, dass
Kredite nur dann vergeben werden, wenn die im Durchschnitt geleisteten Zins- und Tilgungszahlungen wenigstens dem ursprünglich beliehenen Betrag sowie einem halbwegs üblichen
Marktzins entsprechen. Eine Ausnahme liegt nur im Fall einer Ponzi Finanzierung vor62. Diese ist aber nur dann nachhaltig, wenn das volkswirtschaftliche Wachstum dauerhaft über dem
Zinsniveau auf die Staatsverschuldung liegt (dann wäre sie sogar paretoeffizient, da sich niemand verschlechtert, aber einige verbessern). Da die meisten Industriestaaten mit abnehmenden Wachstumsraten konfrontiert sind, kann diese Möglichkeit jedoch ausgeschlossen werden.
62 Vgl. Nowotny, Zagler: Der öffentliche Sektor S. 495 ff.
19
4.1 Interpersonell
Der erste bzgl. der Verteilungswirkung von Staatsschulden zu untersuchende Aspekt ist die interpersonelle Verteilung. Der klassische Ansatz (Transferansatz) geht hierbei davon aus, dass
Staatsschulden von Vermögenden gekauft werden, die für die Steuer- und Zinszahlungen erforderlichen Steuern aber von allen BürgerInnen getragen werden müssen. Demnach würde
eine negative Verteilungsdynamik der Staatsverschuldung inhärent innewohnen. Dies ist aber
aus mehreren Gründen anzuzweifeln:
1. Besteht die Möglichkeit, dass es auch ohne Staatsverschuldung für die Investoren ähnlich lukrative Anlagen gegeben hätte, so dass sie ohnehin ihre Zinseinkünfte erzielt
hätten.
2. Stellt sich in der Realität bisweilen die Anleihehaltung überraschend proportional zu den
Steuerzahlungen da. Dies belegt beispielsweise eine Tabelle für Deutschland im Jahr
198263, wonach der Unterschicht 13% Zinszahlungen zufließen, sie aber an der
Steuerlast nur mit 7% beteiligt ist. Die Besserverdienenden erhalten wiederum 30% der
Zinszahlungen bezahlen, aber 40% der Steuern.
3. Auch lässt sich die Verteilungswirkung der Staatsverschuldung nur dann beurteilen,
wenn mensch auch analysiert, was alternativ geschehen wäre. Es ist daher zu fragen,
was die alternative Finanzierung zu Schulden wäre, welche Ausgaben ohne Schulden
gesenkt bzw. nicht erhöht würden und mit welchen Abgaben der Zinsesdienst finanziert
wird. Ohne die Beantwortung aller dieser Fragen lässt sich kaum eine sinnvolle Aussage
über die Distributionswirkung treffen.
Daher sollen im weiteren andere Ansätze zu der interpersonellen Verteilungswirkung dargestellt und ergänzende Aspekte erörtert werden.
63 Verteilungswirkung öffentlicher Verschuldung, S.334. Allerdings bestehen bzgl. der korrekten Bestimmung
der Zinsanteile aufgrund des hohen Anteils von Intermediären erhebliche Unklarheiten, wer letztlich
Besitzer der Staatsanleihen ist (wobei nach Eindruck von staatlichen Stellen wie z.B. der Bundesbank wenig
unternommen wird, um diese Unklarheiten zu beheben). Auch ist dieser Vergleich natürlich höchst abhängig
von Art und Umfang des Steuersystems, das in den Industrieländern sehr unterschiedlich ist. Auch wurden in
Deutschland seit 1982 bekanntlich erhebliche Steuerreformen zugunsten von Besserverdienenden
vorgenommen. Trotzdem ist die Statistik insofern aussagekräftig, dass zumindest die Möglichkeit besteht,
dass Geringverdiener stärker von den Zinszahlungen profitieren als sie von der Steuerzahlungen belastet
werden.
20
4.1.1 Staatsverschuldung als Alternative zur Steuerfinanzierung
Einkommensverteilung
Wenn mensch statt des Transfersansatzes bei gegebenen Ausgaben einen Vergleich zu einer
alternativen Steuerfinanzierung wählt (Differenzansatz), ergibt sich ein deutlich
differenzierteres Bild. So stellt Dieter Pohmer ein Modell auf, in dem davon ausgegangen
wird, dass die Steuerbelastung von Kleineinkommen als zu hoch empfunden wird, der
Haushalt gerade durch die bestehenden Einnahmen gedeckt, aber eine Erhöhung der Steuern
von Besserverdienenden (aufgrund politischer oder ökonomischer Probleme) nicht möglich
ist. Bei einem angenommenen Wirtschaftswachstum würde eine im Verhältnis zur
bestehenden Steuerstruktur neutrale Zinssteuer aufgrund der Progression vor allem von den
Besserverdienenden getragen. Durch die Aufnahme von Staatsschulden kann die
Steuerentlastung somit vorverlagert werden. Allerdings ergeben sich aus diesem Modell auch
zahlreiche Probleme und seine Realitätsnähe darf bezweifelt werden.
Es wird also klar, dass je nach Ausgestaltung und Verwendung der Schuldenaufnahme sich
unterschiedlichste Verteilungseffekte ergeben können, die nur in der konkreten Situation
beurteilt werden können.
Vermögensverteilung
Auch die Vermögensverteilung sollte berücksichtigt werden. So könnte eine durch Schulden
finanzierte steuerliche Entlastung, die die Einkommensverteilung unberührt lässt, die
Vermögensverteilung verändern, da einkommensstarke Bürger tendenziell eine höhere
Sparquote haben und somit infolge der Entlastung mehr Vermögen bilden dürften.
Eine direkte Möglichkeit über Staatsverschuldung in die private Vermögensverteilung
einzugreifen ist es, die BürgerInnen zur Aufnahme von Staatsanleihen zu zwingen. Es ist zwar
anzunehmen, dass der Haupteffekt solcher Zwangsanleihen in einer Verlagerung der Sparform
besteht, allerdings ist es wahrscheinlich, dass zumindest in einem gewissen Grade auch
zusätzliche Ersparnis damit veranlasst würde, da die Zwangsanleihen in Hinsicht auf die
Wünsche der BürgerInnen bezüglich Liquidität, Laufzeit, etc. wohl nur bedingte Substitute
darstellen.
Zwangsanleihen sind besonders dann wirksam, wenn die Sparquote nahe 1 liegt oder
zumindest sehr hoch ist und die durch die Anleihen aufgebrachten Mittel zur Entlastung
21
verwendet werden.
Eine wesentlich realitätsnäheres Szenario als die BürgerInnen zur Aufnahme von
Staatsanleihen zu zwingen ist der Versuch, sie dazu zu motivieren. Dies kann einerseits
mittels Werbung geschehen - beispielsweise gab es in den USA und England während des
zweiten Weltkriegs und in der Zeit danach entsprechende große, patriotisch eingefärbte
Werbekampagnen64.
Ebenso wichtig ist es aber, die Modalitäten (Laufzeit, Rückgaberecht, etc.) von Staatsanleihen
den Bedürfnissen der Kleinanleger anzupassen. So wurden beispielsweise die
Bundesschatzbriefe 1969 entsprechend ausgestaltet, um damit breite Bevölkerungsschichten
zur Vermögensbildung anzuregen. So soll z.B. der im Laufzeitverlauf progressive Zinssatz
einen Anreiz zur Haltung bis zum Ende der Laufzeit schaffen. Außerdem dürfen die
Bundesschatzbriefe nur von natürlichen Personen oder gemeinnützigen Einrichtungen
erworben werden. Da Finanzprodukte aktuell hauptsächlich über Banken vertrieben werden
(bzw. indirekt durch die Beteiligung an Fonds, etc. gehalten werden), welche sehr Rendite
orientiert arbeiten, dürfte inzwischen aber auch dem Zinssatz eine deutlich höhere Bedeutung
zukommen als dies früher der Fall war.
Ganz generell liegt bzgl. des Verteilungserfolges das Hauptgewicht auf dem Zinssatz. Denn
selbst wenn es gelingen sollte, mehr Kleinanleger von Staatsschuldtiteln zu überzeugen, so
ergäbe sich der daraus resultierende Verteilungserfolg primär als Differenz zum
Kontensparen. Verglichen mit diesem fällt die Differenz zugegebenermaßen meist recht
attraktiv aus und auch die gute Liquidität und verhältnismäßig hohe Sicherheit dürfte
Kleinanlegern entgegenkommen. Es ist nämlich wahrscheinlich, dass die Menschen vor allem
ihre Anlagen umschichten und nur sekundär mehr sparen. Keynes nimmt diesbezüglich ja eine
Zinselastizität von Null an.
Unter der getroffenen Annahme, dass vor allem die Zinssatzdifferenz entscheidend ist, kann
die Staatsverschuldung dann aber selbst bei höchsten Anstrengungen nur einen geringen und
teuer erkauften Beitrag zu mehr Verteilungsgerechtigkeit leisten, da erhebliche Streuverluste
zu befürchten sind.
64 Vgl. Dreißig: Wilhelmine: Zu einigen Fragen der staatlichen Schuldenpolitik. Erfahrungen aus der Zeit nach
dem Zweiten Weltkrieg
22
4.1.2
Durch Staatsverschuldung induzierte Inflation.
Inländische Staatsschulden (ausländische nur eingeschränkt) bergen die Gefahr in sich, dass
es einerseits durch eine direkte Notenbankfinanzierung des Staates zur Geldschwemme und
damit verbunden zur Inflation kommt. Andererseits rufen Staaten zuweilen mutwillig eine
Inflation hervor, um damit den realen Wert ihrer Schulden zu drücken65. Durch diese wird bei
nicht Vorhandensein von Preisstopps die Kaufkraft von Geldeinkommen unverhüllt
gemindert. Sollte es hingegen durch Preis- oder Mengenbegrenzungen von Gütern zu
Friktionen wie einer Entstehung von Schwarzmärkten kommen, sind absolut unvorhersehbare
und drastische Verteilungseffekte die Folge.
Unabhängig davon findet durch eine Inflation eine Umverteilung zwischen Staat und Privat
(Staatsschuldenabbau), aber auch zwischen den einzelnen Privaten statt. Wie Keynes in
schrieb, bereichern sich Unternehmerkapitalisten (Sachwertbesitzer) an Geldkapitalisten
(Rentiers). Dies wurde beispielsweise auch durch die Hyperinflation 1923 bestätigt.
Geldvermögensbesitzer behielten damals noch ca. 10% ihrer Forderungen (und dies auch nur
aus teilweise politischen Gründen), während Sachvermögensbesitzer fast ungeschoren
blieben. Ebenfalls ist davon auszugehen, dass kurzfristig beschäftigte und gut organisierte
ArbeitnehmerInnen ihr Reallohnniveau besser halten können als langfristig Beschäftigte. Dies
führte zu dem interessanten Ergebnis, dass nach der Hyperinflation 1923 die Lohnspreizung
deutlich zurückgegangen war66.
4.1.3
•
Weitere Aspekte
Wie relevant die verteilungspolitischen Auswirkungen sind, hängt insbesondere von
der Zinslastquote (Zinszahlungen/BIP) ab. So ist in einem Land wie Griechenland mit
einer Zinslastquote von 6% des BIPS67 die Verteilungswirkung sicherlich größer als in
Deutschland in dem für die Bundesschuld nur 1,52% des BIPs aufgebracht werden
müssen68. Diese Quote ist in einer doppelten Beziehung mit der Schuldenquote verbunden. Denn klassischerweise wird angenommen, dass mit steigenden Schulden auch
65 Die dabei entstehende Inflation kann dabei die Marke, die durch die Optimierung von
Geldschöpfungsgewinnen erklärt werden kann, weit überschreiten. Vgl. Rogoff, K; Reinhart, C: Dieses Mal
ist alles anders 1993 ff.
66 Quelle: Bewältigung der deutschen Staatsbankrotte. Evtl. könnte die positivere Haltung linker im Vergleich
zu konservativen Parteien damit erklärt werden, dass aufgrund des oben beschriebenen Phänomens die
Klientel ersterer deutlich weniger Angst vor der Inflation haben muss.
67 Vgl. http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Zinslastquote.PNG&filetimestamp=20101006162937
68 Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Zinslastquote#Staaten
23
ein steigendes Zinsniveau einhergeht.
•
Auf ein interessantes Detail hat Oberhauser hingewiesen: Die Einkommen der UnternehmerInnen schwanken weit stärker im Konjunkturverlauf als die der abhängig Beschäftigten. Unter der Annahme, dass eine antizyklische Konjunkturpolitik Wirkung
zeigt, stabilisiert somit die konjunkturbedingte Staatsverschuldung die UnternehmerInneneinkommen.
•
Die oben angesprochene Notwendigkeit der Erörterung möglicher Alternativen von
Staatsschulden hat auch durchaus interessante politökonomische Aspekte. So ist beispielsweise die Situation denkbar, dass sich die Regierung nach Jahren der Staatsverschuldung zu einer Vermögensabgabe gezwungen sieht, um die Schuldenquote wieder
auf ein erträgliches Niveau zurückzuführen. Dass aber der Versuch die Staatsverschuldung durch die Alternative der verstärkten Steuerfinanzierung gar nicht erst anwachsen zu lassen, zu einer Anhebung der Konsumsteuern (die insbesondere kleine und
mittlere Einkommen treffen) geführt hätte.
Leider69 ist in den meisten Industrieländern allerdings ein entgegengesetztes Szenario
realistisch: Im Falle des Staatsbankrott/ der akuten Staatsüberschuldung muss es bei
den dann notwendigen Umstrukturierungen meist außerordentlich schnell gehen. Da
Erfolge am schnellsten zu erreichen (und am wenigsten Widerstände zu befürchten)
sind durch Einschnitte bei den Sozialleistungen, Erhöhungen von Konsumsteuern und
Privatisierungen, … werden diese Segmente meist überproportional hart getroffen.
Dies zeigen einerseits die Erfahrungen der letzten Zeit (z.B. in Griechenland, Irland,
etc.), andererseits gibt es hierfür auch eine Vielzahl von historischen Beispielen (z.B.
Argentinien 2001, Philippinen 1983, Deutschland 1923).
•
Ohne die Existenz von Staatsanleihen würden sich wohl negative Effekte auf Stiftungen, die Versorgungen von Mündeln, etc. ergeben, da hier typischerweise ein Bedarf
an sicheren Anlageformen besteht.
•
Bei Annahme von zwei Risikoklassen für die Kreditvergabe kann sich die Situation ergeben, dass Geringverdiener höhere Zinsen als die Besserverdienenden bezahlen
müssten. Da in den meisten Fällen von einer hohen Bonität des Staates ausgegangen
werden kann (bei einer geschlossenen Volkswirtschaft sogar immer), ergäbe sich für
69 Wenn in Folge eine wertende Aussage wie leider oder negativ getroffen wird, dann geschieht die vor der
Annnahme, dass allgemein eine gleichere Einkommens- und Vermögensverteilung als wünschenswert
angesehen wird.
24
die unteren Bevölkerungsschichten die Sachlage, dass sich für sie eine Schulden finanzierte Entlastung bzw. Übernahme von ansonsten privat zu finanzierenden Staatsausgaben lohnend darstellt, da die Staatsschulden mit einer niedrigeren Rate wachsen als
die alternativen, privat aufzunehmenden Kredite.
•
Zusätzliche Verteilungseffekte ergeben sich aus der genauen Ausgestaltung der
Schuldpapiere. Eine Steuerbefreiung von Zinseinnahmen wie es beispielsweise in den
USA für kommunale Wertpapiere üblich ist, kommt aufgrund des progressiven Einkommenssteuersystems, das es in den meisten Industrieländern gibt, am stärksten den
oberen Einkommensschichten zugute. Dieser Effekt würde sich natürlich aufheben,
wenn wir davon ausgehen, dass von dieser Gruppe der komplette Bestand an so ausgestatteten Anleihen aufgekauft wird und wir es mit einem effizienten Markt zu tun haben. Dann würden sich nämlich die Zinsen auf das Marktpreisniveau minus gesparte
Einkommensteuern einpendeln.
Genauso verhält es sich mit den reduzierten Eigenkapitalanforderungen für Finanzinstitute beim Kauf von Staatspapieren.
•
Durch starke Zinsschwankungen (die z.B. durch eine starke Veränderung der Staatsverschuldung, durch die erzeugten monetären Effekte, etc. hervorgebracht werden
könnten) ist die Unterschicht tendenziell stärker betroffen, da sie nicht nur auf die
Zinszahlungen, sondern potentiell auch auf den Rückgriff auf den Anleihewert angewiesen ist. Dieser schwankt aber (gerade bei langfristigen Anleihen) beträchtlich, in
Abhängigkeit vom Zinsniveau.
4.2 Intertemporär
Bezüglich der intertemporalen Verteilung gibt es verschiedene Ansätze, die jeweils aus ihrer
eigenen Perspektive die Frage beleuchten, ob eine Last von der einen zur nächsten Generation
transferiert wird:
1. Die neue Orthodoxie70 bestreitet, dass Staatsschulden intergenerationale Verteilungen
hervorbringen können. Denn sowohl bei einer Steuer- wie auch bei einer Anleihefinanzierung müssten die notwendigen Ressourcen für Investitionen oder
Konsumausgaben im Ausgangszeitraum aufgebracht werden. Intertemporale Übertragungen von Schulden seien also nur zwischen Individuen, nicht aber einer Ge70 Vgl. Duwendag, Dieter: Staatsverschuldung
25
sellschaft als Ganzes möglich (dabei wird von einer geschlossenen Wirtschaft ausgegangen). Die zukünftigen Generationen zahlen die Zinsen dann an sich selber, was zu
interpersonellen, nicht aber zu intertemporalen Verteilungseffekten führt.
2. Der Utility Approach von James Buchanan71 verfolgt im Unterschied zur neuen
Orthodoxie einen individualistischen statt einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz. Auch
wird nicht auf die realwirtschaftliche Last, sondern auf die individuell empfundene
Nutzeneinbuße abgestellt. Die Ausgangssituation ist eine marktwirtschaftliche Ordnung,
in der Pareto-Effizienz vorherrsche. Es kann also kein Individuum besser gestellt
werden, ohne ein anderes schlechter zu stellen. Durch die Steuererhebung fällt die Last
für die Staatsausgaben in der Gegenwart an. Die Anleiheausgabe wird hingegen nicht
als Last empfunden, denn es ist ja freiwillige Entscheidung der Individuen, in dieser
Form zu sparen. Die in Zukunft notwendige Zinssteuer wird von den Individuen
hingegen wieder als Belastung empfunden. Somit verschiebe sich die Belastung von der
Gegenwart in die Zukunft. Ein Unterschied zwischen öffentlicher und privater
Verschuldung bestehe nicht.
Der Nutzenansatz scheint gewisse Schwächen zu haben. Wie verhält es sich zum
Beispiel im Fall, dass Bürger schon in der Gegenwart wegen der Zinssteuer der Zukunft
sparen. Da dies freiwillige passiert, wäre dies nach Buchanan keine Last. Allerdings ist
dies äußerst kontraintuitiv.
3. Einen wiederum anderen Ansatz verfolgt der Aggregate Investment Approach.
Ausgegangen wird von einer Wirtschaft, die unter Vollbeschäftigung arbeitet. Eine
Finanzierung der Staatsausgaben mittels Steuer greift stärker in den Konsum ein als die
Anleihefinanzierung. Somit fallen die Investitionen im Anleihefall schwächer aus,
wodurch wiederum der zukünftige BIP Zuwachs kleiner ausfällt. Der Unterschied
zwischen den beiden Zuständen stellt hierbei die Last der Staatsverschuldung dar.
•
Bzgl. der Möglichkeiten der Verteilungspolitik im Zeitablauf sollte nicht vergessen
werden, dass eine sehr hohe Zins-Steuer-Belastung die Möglichkeiten nachfolgender
Generationen auf dann akute Verteilungsfragen einzugehen, deutlich einschränkt. Der
Sachverständigenrat vermeidet es zwar eine diesbezügliche Grenze anzugeben72, aber
bereits jetzt lassen sich die Folgen in Berlin bei einer Zins-Steuer-Quote von 18,6%
71 Vgl. Duwendag, Dieter: Staatsverschuldung
72 Vgl. Sachverständigenrat: Staatsverschuldung wirksam begrenzen
26
bzw. dem Bund mit ca 12,3%73 deutlich spüren. Die führenden
•
Unter der Annahme, dass eine intergenerationale Umverteilung möglich ist, liegt ein
politökonomisches Dilemma darin, dass der Widerstand , der stellvertretend für die
nachkommenden Generationen geleistet wird, um einiges niedriger sein dürfte, als derjenige, der von den durch eine intergenerationale Umverteilung Betroffenen kommt.
Es besteht daher eine gewisse Tendenz zu einer überzogenen intergenerationalen Umverteilung.74
•
Die wohl mit Abstand wichtigste intertemporale Verteilung besteht im Zustand, in
welchem wir unseren Kindern die Umwelt hinterlassen. Da realistischerweise angenommen werden kann (s.u), dass die Möglichkeit, Ausgaben über Schulden zu finanzieren, die Hemmschwelle für die Verwirklichung von Projekten herabsetzt, könnte
eine höhere Staatsverschuldung für mehr Umweltschutz sorgen. Für diese These
spricht auch, dass infolge der starken Konsolidierungsbemühungen in Deutschland die
Ausgaben für Umwelt seit 1991 real gesunken sind.75
4.3 Kritische Grenzen der Staatsverschuldung bzgl. der
Verteilungswirkung:
Grundsätzlich negative Verteilungswirkungen haben Staatsschulden wohl dann, wenn die
Staatsanleihen hauptsächlich von den besser gestellten Wirtschaftskreisen gehalten werden
(und ihnen somit auch fast die komplette Zinszahlungen zufließen). Ähnlich verhält es sich,
wenn die alternativ zur Staatsverschuldung eingetretenen Szenarien (Steuererhöhungen, Senkungen von primär für Reiche interessante Ausgaben, etc.) bessere verteilungspolitische Erfolge gehabt hätten. Auch eine ungünstige Ausgestaltung (wie z.B. Einkommenssteuerbefreiungen von Zinsen aus Staatsanleihen) mögen aus der Perspektive der Verteilungspolitik für
einen völligen Verzicht auf Defizite sprechen. Falls durch die Staatsverschuldung (in hohem
Maße) Inflation hervorgerufen wird, ergeben sich dadurch unvorhersehbare Verteilungseffekte
und meist auch erhebliche Wohlfahrtsverluste. Zusätzlich führen Staatsbankrotte oft zu Sozialkürzungen, etc. und sind damit indirekt für negative Verteilungseffekte verantwortlich.
Andererseits kann das Schuldenniveau als zu niedrig angesehen werden, wenn mit einer höhe73 Vgl. http://www.berlin.de/imperia/md/content/senatsverwaltungen/finanzen/haushalt/
stabilit__tsbericht_2010.pdf?start&ts=1286268184&file=stabilit__tsbericht_2010.pdf
http://de.wikipedia.org/wiki/Schuldendienstdeckungsgrad
74 Dies zeigt sich insbesondere bei den ökologischen Schulden.
75 http://de.wikipedia.org/wiki/Staatsausgaben#cite_note-4
27
ren Staatsverschuldung Kleinanleger zu einer stärkeren Vermögensbildung motiviert werden
können (und dieser Weg höchstens so kostenintensiv wie die zur Verfügung stehenden Alternativen ist). Auch eine gewünschte stärkere Stabilisierung der Unternehmereinkommen bzw.
Aspekte der Versorgung von Mündeln und Stiftungen oder die Annahme des „Zwei-Risikoklassen-Modells“ sprechen dafür, dass es nicht nur zu hohe, sondern auch zu niedrige Grenzen der Staatsverschuldung gibt.
Ein Spezialfall ergibt sich, wenn die Wachstumsrate dauerhaft über dem Zinsniveau liegt. Ein
Ponzi Spiel bietet dann die Chance für mögliche Wohlfahrtsgewinne.
Intertemporär ist nach dem Nutzenansatz jede Verschuldung als Belastung für zukünftige Generationen zu beurteilen.
Die These der neuen Orthodoxie schließt hingegen jede Lastübertragung aus.
Einen mittleren Standpunkt bildet der Wachstumsansatz, nach dem eine kritische Grenze im
Bezug auf die intertemporale Verteilung dann überschritten wird, wenn es durch die Staatsverschuldung zu einem geringeren Einkommen kommt.
Eine weitere kritische Grenze ist dann erreicht, wenn die aufgrund der Staatsverschuldung zu
erwartende Zinssteuerquote zukünftige Generationen in ihrer Handlungsfreiheit stark einschränkt. Dies alles würde nach der Überzeugung des Autors dieser Arbeit aber dann aufgewogen, wenn die Staatsverschuldung einen wie auch immer gearteten Beitrag für einen höheren Umweltschutz leistet.
5 Staatsschulden und Vertrauen
Vorbemerkung: Die immense Bedeutung, die der Faktor Vertrauen für die Schuldentragfähigkeit und die Stabilität von politischen Systemen besitzt, steht diametral im Widerspruch zur
allgemeinen ökonomischen Vorhersagbarkeit. Einerseits gehört Vertrauen76 bzw. Vertrauensschaffung wohl hauptsächlich in den Bereich der Psychologie und der Kommunikationswissenschaften, andererseits ist es sehr stark abhängig von Institutionen und dem Gesamtkontext.
Wie stark das Vertrauen zu einem bestimmten Zeitpunkt ist, lässt sich also eher deskriptiv beobachten. Auch ist erst dann zu bestimmen, welches Vertrauen/Misstrauen welcher Gruppe in
der konkreten Situation besonders bedeutend war. Deshalb kann dieser Abschnitt noch weniger als vorherstehende den Anspruch erheben, ein auch nur teilweise vollständiges und kor76 Nicht ohne Grund kommt Vertrauen vom lateinischen credere= glauben, vertrauen.
28
rektes Bild über den Zusammenhang von Vertrauen und Staatsschulden spiegeln zu können.
5.1 Vertrauen der Bürger in den Staat
Investitionen in Staatsschulden durch BürgerInnen
Wie viel Vertrauen darin steckt, wenn BürgerInnen Staatsanleihen aufnehmen, zeigt sich z.B.
durch den im ersten Weltkrieg populär gewordenen Satz „Gold gab ich für Eisen“ und die
Tatsache, dass sogar entsprechender Schmuck geprägt wurde77. Wie viel Vertrauen durch
einen Staatsbankrott bei den BürgerInnen verloren geht, zeigt wiederum der bittere
Nachgeschmack, mit dem noch Jahrzehnte später dieser Satz ausgesprochen wurde. Und so ist
wohl auch das deutlichste Anzeichen für Bürgervertrauen. wenn BürgerInnen bereit sind auch
eigenes Geld in Staatsschuldenpapiere zu investieren. Wo etwa - wie es mit deutschen
Tagesanleihen in der Finanzkrise gegangen ist - sich die privaten Anlagen in staatliche
Produkte (wenn auch auf niedrigem Niveau) verdoppeln und eine Werbefigur wie Günter
Schild als Sympathieträger fungieren kann78, gilt der Staat als sichere Zukunft. Wo es aber,
wie in Griechenland79, zu einer massiven Kapitalflucht kommt, kann das Vertrauen der
BürgerInnen als nachhaltig erschüttert betrachtet werden.
5.1.1
Vertrauen in die Händelbarkeit von Staatsschulden
Neben dem durch die unmittelbare Investition in Staatsanleihen gezeigten Vertrauen ist wohl
die zweite wichtige Frage, welches Vertrauen die BürgerInnen in das Management der
bestehenden Staatsschulden und den Nutzen der Schuldenaufnahme haben. Dies lässt sich
beispielsweise an folgenden Phänomenen ablesen
1. Dass die Bürger tendenziell kein Vertrauen in den Segen von Staatsverschuldung haben,
zeigt sich daran, dass das Einführen von direkter Demokratie laut dem Aufsatz von
Funk und Gathmann80 einen Rückgang der Ausgaben um 13,5 % zur Folge hat, die
Staatseinnahmen dabei aber nur um 6,5% sinken. Es scheint demnach also so zu sein,
dass die BürgerInnen ein deutlich größeres Interesse an einem Abbau der
Neuverschuldung als an einer unmittelbaren Entlastung haben. Dies zeigt sich auch
darin, dass in einer Forsa Umfrage 201081 sich 45% der BürgerInnen dafür aussprachen,
77
78
79
80
81
Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Gold_gab_ich_f%C3%BCr_Eisen
Vgl. Völklein, Marco: Auf Nummer Sicher.
Vgl. Diehl, Jörg; Batzoglou, Ferry: Euro-Exodus lässt Griechenland ausbluten.
Vgl. Funk, Patricia; Gathmann, Christina: Does Direct Democracy Reduce the Size of Government
Forsa: Verwendung der Steuereinnahmen.
29
mit den erwarteten Mehreinnahmen die Schulden zu senken, 41% für mehr
Investitionen plädierten (was indirekt ebenfalls die Schuldentragfähigkeit erhöht) und
nur 13% eine Steuerentlastung präferierten.
2. Als wichtiges Zeichen kann es auch interpretiert werden, ob die BürgerInnen Vertrauen
in die Erbringung staatlicher Leistungen haben. Denn staatliche Leistungsverpflichtungen können zumindest teilweise auch als Staatsschulden interpretiert
werden – sie werden deshalb oft auch unter dem Begriff implizite Schulden zusammengefasst82. Wenn die BürgerInnen also anfangen sollten, für eigentlich durch
soziale Sicherungssysteme zugesagte Leistungen zu sparen, kann dies als sicheres
Zeichen für einen Vertrauensverlust interpretiert werden. Die unmittelbare Folge davon
ist, dass die ursprünglich mit der Errichtung der Sicherungssysteme intendierten Ziele
nicht mehr erreicht werden.
3. Die BürgerInnen sind sich ihrer Befürchtungen bzgl. Staatsverschuldung oft auch
explizit bewusst. So gaben in einer vor dem Hintergrund der momentanen EuroSchuldenkrise durchgeführten Forsa Studie83 58% der BürgerInnen Angst davor zu
haben, dass die Schulden immens steigen. Davor, Opfer einer kriminellen Gewalttat zu
werden, hatten hingegen nur 17% Angst.
5.1.2
Vertrauen in die politische Klasse/den Staat allgemein
Eine der wohl bekanntesten Thesen zum Zusammenhang zwischen Staatsverschuldung und
Staatsvertrauen ist die „Zerrüttungsthese“ von Buchanan und Wagner.84 Demnach komme es
durch die sich aufgrund von polititökonomischen Effekten (s.u.) fast zwingend ergebende
einseitige Anwendung von Keynes zu überbordenden Staatsquoten und Staatsverschuldungen.
Inflationsschübe sind die Folge. Dadurch geht das Vertrauen der Bürger in die Demokratie
verloren. Einen Hinweis ob sie damit recht haben mag die Tatsache geben, dass 73% aller
82 Die impliziten Schulden sind vom Volumen her sogar meist weitaus bedeutender. So beträgt die explizite
Staatsschuldenquote ca. 80%, während die implizite Schuldenstandsquote einen Stand von 270% des BIPS
erreicht hat. Beide Quoten kann mensch dann zur sogenannten Tragfähigkeitslücke zusammenfassen. Diese ist
aber nur beschränkt aussagekräftig, da es wichtige Unterschiede zwischen expliziter und impliziter Verschuldung
gibt. So wird die implizite Schuld nicht verzinst und kann durch Leistungsreduzierungen zurückgenommen
werden (Staatsverschuldung wirksam begrenzen S.2 ). So wurde nach Berechnungen der Stiftung
Marktwirtschaft durch die erfolgten Rentenreduzierungen (Nachhaltigkeitsfaktor, Erhöhung Renteneintrittsalter)
der implizite Schuldenstand auf 172,3% reduziert (Sachverständigenrat: Staatsverschuldung wirksam begrenzen
S. 25). Die Last dieser Reduzierung müssen dann die bisher vorgesehenen Leistungsempfänger tragen. Wohl
auch wegen dieser relativ einfachen Reduzierbarkeit ist insbesondere das Vertrauen in implizite Schulden wie
Renten und Pensionen derzeit stark eingeschränkt.
83 Forsa: Sorgen der Deutschen. Stern, Nr. 4, 19.01.2012, Seite 28
84 Vgl. Buchanan, James; Wagner, Richard: Democracy in Deficit.
30
BürgerInnen nach einer Emnid Umfrage der Auffassung sind dass die Politik eher
Einzelinteressen als das Gemeinwohl verfolge.85 Allerdings ist der Umgang mit den
öffentlichen Finanzen natürlich nur ein Faktor unter vielen und immerhin 64% der deutschen
BürgerInnen sind andererseits wieder zumindest teilweise mit der Demokratie zufrieden86. Die
schlechte Einschätzung, die die BürgerInnen von den PolitikerInnen haben, ist wohl
zumindest teilweise realistisch, da auf Machterhalt gerichtetes Verhalten nachgewiesen
werden kann. So kommt eine OECD Studie zu dem Schluss, dass je größer die Polarisierung
im Parteiensystem eines Landes ist, je kürzer die Legislaturperioden, je größer die
Abwahlwahrscheinlichkeit der derzeitigen Regierung und je mehr Parteien an einer Koalition
beteiligt sind, desto größer fallen die zu erwartenden Budgetdefizite aus. Mögliche
Erklärungsansätze hierfür sind kurzfristiges Denken, Koordinationsschwächen (jedeR in der
Koalition würde gerne sparen, aber bloß nicht in seinem Fachbereich), aber auch durch das
strategische Beschneiden der Handlungsspielräume der Nachfolgeregierung87.
Für starke politische Anreize der Staatsverschuldung spricht auch, dass die alte Fassung des
Art. 115 GG, in der die Verschuldung auf den Betrag der Investitionen begrenzt wurde und
Abweichungen formal nur bei einer schweren Störung des gesamtwirtschaftlichen
Gleichgewichtes möglich waren weitestgehend wirkungslos geblieben ist, indem sehr häufig
eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts festgestellt wurde. Allerdings gibt es
auch abweichende Indikatoren: Deutschlands Ausgaben sind von 1998 bis 2008 real sogar um
-0,2 % pro Jahr gesunken88- scheinbar schon eine Tendenz zum Maßhalten (zumindest auf der
Ausgabenseite). Die Staatsquote ist im gleichen Zeitraum von 48% auf 44% gesunken89
Aber auch zu wenig Schulden sind laut dem Gutachten des wissenschaftlichen Beirats des
Bundeswirtschaftsministeriums von 1968 für das Verhältnis von Bürger und Staat schädlich,
da damit die Wirtschaftsstruktur verzerrt werde. Auch sei „bei weiterem volkswirtschaftlichen
Wachstum aus gesellschaftspolitischen Gründen eine steigende volkswirtschaftliche
Schuldenquote der öffentlichen Hand [A.d.V. : zu empfehlen] [...] da in diesem Fall die
Staatsbürger nicht nur als steuerverpflichtete Schuldner, sondern auch als mittelbare
85 Vgl. TNS Emnid: Politik: Gemeinwohl vs. Einzelinteressen.
86 Vgl. Sozialwissenschaftliches Forschungszentrum: Wie zufrieden sind Sie mit der Demokratie in
Deutschland?
87 Vgl. Weizsäcker, Robert: Repräsentative Demokratie und öffentliche Verschuldung. S.6
88 Vgl. http://www.boeckler.de/6752_1869.htm
89 Vgl. http://www.bundesfinanzministerium.de/nn_4316/DE/BMF__Startseite/Service/Downloads/Abt__I/
Entwicklung__der__Staatsquote__24022012,templateId=raw,property=publicationFile.pdf. Die
Memorandum Arbeitsgruppe nennt sogar noch drastischere Zahlen.
31
Eigentümer realen öffentlichen Vermögens dem Staat gegenübertreten würden“90. Die
Gläubigerposition der Privaten wird im Übrigen insbesondere dann gestärkt, wenn sie
Schuldtitel direkt und nicht nur über den Umweg der Banken halten. Eine umgekehrte
Konstellation, nach der die Bürger beim Staat Schulden haben birgt die Gefahr von starken
Abhängigkeitsverhältnissen. Ein sehr altes Beispiel bietet hierfür die Josephsgeschichte91.
Abschließend noch einmal ein Hinweis auf die Wirkung der Inflation. Falls mensch mit Wray
übereinstimmt, der sämtliches Geld als Staatsschuld (eine Perspektive, die meist aufgrund der
fehlenden Zinszahlungen verworfen wird) definiert, würde sich der Vertrauensverlust der mit
der Inflation einhergeht, noch einmal erhöhen. Aber auch sonst kann die (bei hohen
Inflationsraten) auftretende Abwanderung in die (staatlich meist verbotene)
Schattenwirtschaft und den Naturalienhandel als tiefgreifende Legitimationskrise für den
Staat begriffen werden, da dieser es nicht mehr schafft, das gesetzliche Zahlungsmittel Geld
auch als tatsächliches durchzusetzen.
5.2 Investorenvertrauen
Eine grundsätzliche Grenze des Investorenvertrauens dürfte bestehen, wenn sich
Staatsschulden ökonomisch definitiv nicht mehr als bedienbar darstellen. Dies ist z.B. dann
der Fall, wenn die Staatsverschuldung ein mehrfaches des BIP erreicht hat (z.B. Deutschland
nach dem zweiten Weltkrieg mit mind. 400%92) und gleichzeitig kein hinreichendes
Wachstumspotential vorhanden ist. Dabei ist zu beachten, dass formell gesehen ein Staat, der
sich in eigener Währung und auf eigener Rechtsbasis verschuldet bei entsprechender
Inflationstoleranz seine Staatsschulden immer bedienen kann. Bei Auslandsschulden93 sieht
die Lage entsprechend anders aus.
Ebenfalls eine andere Problemkonstellation ergibt sich, wenn die Aufnahme von neuen
Schulden geplant ist. bzw. eine Umschuldung ansteht. Hier reicht es nicht, die Schulden
formell bedienen zu können, sondern es müssen das Vertrauen der Investoren in Geldstabilität
und Rückzahlungswille dazukommen. Gelingt es nicht dieses zu wecken (und dies kann auch
90 Gutachten wissenschaftlicher Beirat S.431 wahrscheinlich von 1968 (konnte nicht verifiziert werden). Auf
dieses Gutachten wird zurückgegriffen, da im Moment wohl kaum jemand sich über solche Phänomene
Gedanken macht, da sie rein theoretisch sind
91 Vgl. Genesis Kap. 47 V. 13ff. (Einheitsübersetzung)
92 Vgl. http://www.staatsverschuldung.de/schuldquoteseit1876quellen.pdf
93 Nach „Dieses Mal ist alles anders“ S. 172 machen die Auslandsschulden 20-60% der gesamten Staatsschuld
aus (wobei der Anteil in den entwickelten Ökonomien eher sinkt). Die sich daraus ergebenden Effekte
können also als beträchtlich angesehen werden.
32
bei wirtschaftlich positiven Ausgangsbedingungen passieren- nicht ohne Grund unterscheidet
der IWF zwischen Insolvenz und Illiquidität), dann ist eine zweite kritische Grenze erreicht.
Wray legt in seinem Buch „Understanding Modern Money“94 eine weitere wichtige
Bedingung an: Eine potentiell ausreichende Wirtschaft genügt nicht, wenn kein ausreichendes
leistungsfähiges Steuersystem existiert, um die notwendigen Zahlungen auch einzutreiben. So
ist es nach Wray beispielsweise den Südstaaten im US-Amerikanischen Bürgerkrieg
ergangen.
5.3 Kritische Grenzen der Staatsverschuldung bzgl. Vertrauen
Staatsschulden dürften mit sofortiger Wirkung das Vertrauen der BürgerInnen in das politische System senken, wenn aufgrund politökonomischer Effekte mehr Schulden aufgenommen
werden, als sie sich das wünschen.
Wenig Vertrauen dürfte unabhängig vom Niveau auch jede Staatsschuld genießen, die nicht
durch ein leistungsfähiges Steuersystem besichert ist. Auch bei einem intransparenten/infeffizienten/etc. Regierungssystem und/oder einem politischen Spitzenpersonal, das als inkompetent oder korrupt wahrgenommen wird, dürfte die Staatsschuld zu negativen Vertrauenseffekten führen.
Ein sicheres Zeichen dafür, dass die Bürger kein Vertrauen mehr in die Schuldentragfähigkeit
haben, ist es, wenn sie anfangen Rücklagen zu bilden, um staatliche Leistungen, die eine implizite Staatsschuld darstellen, zu ersetzen.
6 Fazit
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass es bezogen auf die zu untersuchenden
Aspekte eine Vielzahl von Schwellen gibt, deren Überschreitung möglicherweise tiefgreifende
negative Konsequenzen hat.
Dazu zählen unter anderem eine sehr hohe Verschuldung - gemessen am BIP, ein nicht funktionsfähiges Steuersystem, eine hohe Auslandsverschuldung, eine rein konsumorientierte Verschuldung, schockartige Verschuldungsänderungen sowie wenig vertrauenerweckende Politiker und Institutionen.
94 Wray, Randall L.: Understanding Modern Money
33
Neben diesen recht klassischen Faktoren ist festzuhalten, dass auch das oft geforderte Zurückfahren des Schuldenstandes auf 0 definitiv eine Reihe von negativen Konsequenzen nach sich
ziehen würde.
Allerdings sind diese Ergebnisse nur Tendenz-Aussagen und haben somit nur eine eingeschränkte Gültigkeit und Erklärungskraft.
Als Verfasser kann ich deswegen konstatieren, dass für mich die Beschäftigung mit dieser Bachelor Arbeit aufgrund des hohen Lerneffekts und des interessanten Ergebnisses sehr befriedigend war. Das Ergebnis ist es nicht.
Es ist kaum gelungen an klaren Kriterien zu messende feste Grenzen zu identifizieren. Solche
werden in der untersuchten Literatur schlichtweg nicht genannt95 .
Die These von Reinhart und Rogoff, dass ab einer Staatsverschuldung von 90% kein Wachstum mehr auftrete, war insofern fast ein Fortschritt, obwohl sie offensichtlich falsch ist.
Anerkennung verdient, dass hier überhaupt einmal ein Zahlenwert genannt wird.
Ansonsten scheint es vielmehr eine Tendenz dazu zu geben, falsifizierbare Theorien zu vermeiden, da den Autoren die Angreifbarkeit ihrer Modelle wohl nur allzu gut bewusst ist. Deswegen überwiegen in der (allgemein recht schmalen) Literatur historische Studien, allgemeine
Überblicke, die empirische Untersuchung von Einzelphänomenen oder theoretische und hochabstrahierte Modelle.
Die Angabe von eindimensionalen Grenzen wäre allerdings auch relativ sinnlos, da Art, Umfang und Umfeld der Staatsverschuldung sich größtenteils aus unterschiedlichen ökonomischen Phänomen ableiten lassen.96 Auch übt jeder dieser Faktoren einen verhältnismäßig kleinen Einfluss aus, so dass sich, außer in Extremfällen, sicherlich immer eine Kombination von
anderen Faktoren ergibt, die darauf egalisierent wirken. Es ergibt sich also eine Vielzahl von
multiplen Gleichgewichten.
Selbst wenn es gelingt, einen eindeutigen Einfluss von Staatsschulden auf diese oder jene
Zielgröße nachzuweisen, so ergibt sich immer noch das Problem, dass die Staatsschulden wiederum eine Vielzahl von einander abhängigen und auch teilweise entgegengesetzten Effekten
95 Eine Ausnahme bildet hier vielleicht die Angabe von Marken, bei denen es gehäuft zu Zahlungsausfällen
kommt. Hier sind besonders die Ratingagenturen aktiv. Aber auch deren Ergebnisse lassen sich mit guten
Gründen anzweifeln.
96 Z.B. wird oft die These vertreten, dass das Defizit im politischen Prozess eine Ausgleichsgröße darstellt,
nachdem Einnahmen und Ausgaben festgelegt wurden.
34
auf eine breite Menge von Faktoren ausübt.
Aus alledem folgt dennoch aber nicht, dass eine systematische Untersuchungen der Staatsschuldenproblematik sinnlos ist. Im Gegenteil: Nötig wären konzertierte Anstrengungen, um
die umfassenden Wissenslücken zu beheben. Notwendige wäre als erstes die Erstellung einer
umfassenden und detaillierten Datenbasis. Als zweites scheint dem Verfasser Erfolg versprechender zu sein nach Kombinationen von Faktoren zu suchen, bei denen es regelmäßig
„schief geht“ als nur unikausale Ursache-Wirkungszusammenhänge zu betrachten.
Eine solche Untersuchung kann nur interdisziplinär und über die Schulgrenzen hinweg erfolgen, da bei der Entstehung und für die Auswirkungen der Staatsschulden mindestens politische, ökonomische, soziologische, juristische und psychologische Faktoren eine Rolle spielen.
Auch haben die verschiedenen ökonomischen Schulen je eigene Ansätze entwickelt, die jeweils einen Beitrag zur Erklärung der Realität leisten können.
Am Ende eines solchen Prozesses stehen als Ergebnis hoffentlich Handlungsempfehlungen,
die adäquater auf die Bedürfnisse und Gegebenheiten der einzelnen Länder eingehen anstelle
von allgemeinen Empfehlungen wie z.B. starre Verschuldungsgrenzen einzurichten oder (von
vulgär-keynesianischer Seite) möglichst viel Schulden zu machen.
Dass diese Lösungsvorschläge nicht einmal annähernd die Komplexität der Auswirkungen
von Staatsverschuldung berücksichtigen, ist durch diese Bachelor Arbeit hoffentlich deutlich
geworden.
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