Gestalteter Übergang ins Erwerbsleben Wangen 29.11.2013 Prof. Dr. Michael Kölch Kliniken für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Vivantes Netzwerk für Gesundheit Berlin Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie Universitätsklinikum Ulm Berufseinstieg und KJP • KJP „kann gut“ mit Schule und Jugendhilfe • Kann KJP aber auch gut mit Berufseinstieg? Richtungsweisend für unser Leben: Berufseinstieg Berufswahl legt den Grundstock für – – – – – Art und Dauer der Ausbildung, den späteren Tätigkeitsbereich, Beschäftigungsperspektiven, den gesellschaftlichen Stellenwert, berufliche und persönliche Entwicklungsmöglichkeiten, – die finanzielle Situation und – persönliche Erfüllung und Zufriedenheit Probleme für psychisch kranke Jugendliche und junge Erwachsene Temporäre psychische Instabilität während Pubertät und Adoleszenz kann langfristig zu Exklusion aus Beruf und Arbeit führen! Gefahr der lebenslangen Belastung bzw. Funktionseinschränkung: • durch Erkrankung und Rezidive • durch früh erworbene Funktionsverluste oder nicht gelungene Entwicklungsschwellen. • Der Ausbildungseinstieg ist besonders für psychisch kranke Jugendliche mit hoher Gefahr des Scheiterns belastet. • Basisanforderungen, wie Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und Lernvermögen sind oftmals bei psychischen erkrankten Jugendlichen eingeschränkt. • Scheitern führt zu „Scheiterketten“ Anforderungen seitens einer Handelskette an einen Auszubildenden : „ Du bringst mit:“ Pünktlichkeit Zuverlässigkeit Engagement Angemessenes Verhalten Größtmögliche „Fehlerfreiheit“ Steile Lernkurve Sauberes Schriftbild Mit Charisma und Köpfchen punkten. Klare Perspektiven, ausgezeichnete Aufstiegschancen. Eigenverantwortlich erfolgreich sein, Menschen führen und zugleich im Team arbeiten, Budgets verwalten, sich aktiv in Projekte einbringen, analytisches Denken und kaufmännischen Weitblick zeigen, das alles sind Herausforderungen, die dich interessieren (…) Vorausgesetzt, du bringst gute Noten und das (Fach-) Abitur mit, nimmst du an unserer systematischen Nachwuchsförderung teil, die dich auf dem Weg zur Führungskraft begleitet. Einer für Alle, Alle für Einen. Risikogruppen für das Nichtgelingen der Ausbildungsintegration „Die Häufigkeit psychischer Auffälligkeiten folgt einem sozialen Gradienten: Je höher der soziale Status der Herkunftsfamilie, desto geringer ist der Anteil der Kinder und Jugendlichen mit psychischen Auffälligkeiten“ (vgl. KiGGS 2014). Jugendliche mit folgenden Konstellationen sind Risikogruppen für das Nichtgelingen der Ausbildungsintegration … mit eigener psychischer Störung … in Bedarfsgemeinschaften lebend: - hohe Arbeitsmarktferne der Eltern, - mangelnde Unterstützung durch die Bedarfsgemeinschaft. Generelle Frage: ist dieses Verhalten in dem Alter normal? Normale Schritte? Pubertät? Ist das eine Depression? Oder etwas anderes? Häufigkeit psychischer Störungen bei Minderjährigen Jede(r) fünfte unter 18 Jahren ist von psychischen Problemen betroffen Häufigkeit psychischer Störungen bei Minderjährigen Auffälligkeit und Diagnosen: Ein Fünftel (20,2%) der Kinder und Jugendlichen in Deutschland kann der Risikogruppe für psychische Auffälligkeiten zugeordnet werden (vgl. KiGGS 2014). Aber: nicht alle diese Kinder sind (entsprechend den Kriterien der Weltgesundheitsorganisation aufgrund diagnostischer Kriterien) erkrankt und bedürfen einer ambulanten oder stationären Behandlung. 6 % aller Kinder unter 18 Jahren sind behandlungsbedürftig psychisch krank. Neueste Zahlenbasis: KiGGS-Survey Robert Koch-Institut (Hrsg) (2014) Psychische Auffälligkeiten. Faktenblatt zu KiGGS Welle 1 Insgesamt ist die kinderpsychiatrische Morbidität leicht steigend. Charakteristika psychischer Störungen Typische Eigenschaften von psychischen Störungen sind, • • • • dass sie sehr eingeschränkt willentlich zu steuern sind sie länger dauern sie Leiden verursachen sie das Leben beeinträchtigen (Familie, Schule, Ausbildung) Ein Teil der Störungen sind qualitative Veränderungen im psychischen Erleben, ein Teil davon entwicklungsphysiologische Normvarianten Erhebliche krankheitswertige Abweichungen im Erleben oder/und Verhalten zeigen sich auf folgenden Ebenen • • • Denken, Fühlen, Handeln Woran erkenne ich behandlungsbedürftige Probleme? Normal Krisenhaft Gelegentliche Experimente mit Drogen Gebrauch/ Missbrauch von Drogen Bedeutung für Identität, Emotionsregulation Sex. Experimente mit Peers, Schüchternheit/ Unsicherheit Promiskuitive sex. Beziehungen / Mangel an Beziehungen Geringe Fluktuation v. Interessen Schulverweigerung, keine Interessen mehr Auseinandersetzungen über Musik, (…) Eltern provozieren durch überzogenes Verhalten Eltern hassen, basale gesellsch. Werte bekämpfen, ungeordnetes Denken, Suizidgedanken Unzufriedenheit, Langeweile Angst, unfähig, Leben zu genießen, depressiv Beispiel „Sozialverhalten“: Nicht alles bleibt, aber es kann zu langfristigen Folgen führen Störung des Sozialverhaltens: • 7 % der männlichen Kinder und Jugendlichen und 3 % der weiblichen Jugendlichen (Meltzer et al., 2000; Loeber et al., 1998; Lavigne et al., 1996) Altersverteilung bei Delikten im Jugendalter: • gipfelartig mit einem steilen Anstieg in Pubertät und ebenso steilen Abfall im jungen Erwachsenenalter (Overbeek et al., 2001; Moffitt et al., 1993, 1996) Typische psychische Störungen und Phänomene bei Jugendlichen • • • • • • • • • • Depressive Störungen ADHD Essstörungen Zwangsstörungen Substanzabusus und Suchtentwicklung „Borderline“-Störungen Selbstverletzendes Verhalten Schizophrene Störungen Bipolare Erkrankungen Angsterkrankungen (…) Typisches erstmaliges Auftreten bestimmter Störungen über das Jugendalter hinweg 12 14 16 18 20 22 Depressionen, Zwangsstörungen Angststörungen und spezifische Phobien Selbstverletzendes Verhalten, Essstörungen Sucht und Delinquenz, Psychosen Persönlichkeitsstörungen 16 Jahre Häufigkeiten bestimmter Störungen • • • • • • • Angst ADHD Depression Essstörungen Zwang Tic Psychosen 17 •Substanzabusus? •Sucht? Hürden beim Berufseinstieg - Beispiel I Depressive Störungen Symptomebene: Entwicklung über das Jugendalter hinweg: • Depressive Episoden im Kindes- und Jugendalter bergen ein hohes Risiko des Wiederauftretens im Erwachsenenalter. (Harrington & Dubicka, 2001) • 45% der Teenager, die sich schon einmal von einer depressiven Episode erholt hatten, erkrankten erneut im Alter zwischen 19 und 24 Jahren. (Lewinsohn et al, 1999) • Depression und SSV: ca. 30% Drogengebrauch 40% Alkoholabusus. (Fombonne et al. 2001) Hürden beim Berufseinstieg - Beispiel II ADHD ADHD Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung Symptomebene: • Unaufmerksamkeit • Impulsivität • motorische Unruhe Berufliche Eignung reduziert? • z.B. bei Berufen mit kontinuierlicher Aufmerksamkeitsanforderung und situativen Entscheidungen. • Dem Berufswahlprozess ist auch deswegen besondere Beachtung und Sorgfalt zu schenken, weil von Aufmerksamkeitsstörung betroffene Menschen überdurchschnittlich oft Ausbildungen abbrechen, ihre Stellen wechseln und verstärkt von Arbeitslosigkeit bedroht sind. Weitere Beispiele • • • • Essstörungen Selbstverletzendes Verhalten Persönlichkeitsstörungen Substanzabusus und Sucht Was ist der Auslöser? – Was hilft? – Was beugt vor? Verschiedene Faktoren wie Familienstruktur, Konfliktverhalten, Wahrnehmung von Unterstützung etc. für die Ausbildung von Störungen relevant (Newacheck et al. Pediatrics 2008) Erklärungsmodell für psychische Störungen und ihre Behandlung im Kindes- und Jugendalter: biopsychosoziales Modell Biologische Faktoren Resilienzfaktoren Psychische Faktoren Psychische Störung Soziale Faktoren Resilienzfaktoren 21 Was ist von anderen Systemen zu lernen? Erkrankungen werden nach der International Classification of Disorders (ICD) klassifiziert. Aber: Erkrankung nur zum Teil spezifisch für Einschränkungen im Funktionsniveau, weil die Symptome (z.B. Schmerzen, Denkstörungen, Konzentrationsstörungen etc.) zu subjektiven Beeinträchtigungen mit sehr großen interindividuellen Unterschieden führen können. Analog zur International Classification of Functioning (ICF) der WHO sinnvoll, die aus einer Erkrankung entstehenden Defizite in der Teilhabe/Funktionsniveau zu beschreiben, da diese letztlich für das soziale Leben beschränkend sind und eine umfassendere Beschreibung der Auswirkung von Erkrankung zeigen Zusätzlich Erfassung von Ressourcen notwendig (Fegert, Kölch 2006, Kölch et al. 2007). Typische Einschränkungen (Hilfebedarfe) Typische Einschränkungen (Hilfebedarfe) haben die beschriebenen Jugendlichen und jungen Menschen in den Bereichen: • der sozialen Kompetenz, • Ausdauer, Belastbarkeit & Verlässlichkeit, • in den schulischen Leistungen (fehlende oder niedrig qualifizierte Schulabschlüsse), • im Bereich der Selbständigkeit von Alltagsorganisation, Lebensplanung und Berufsorientierung. Ehrenamtliche AusbildungsbegleiterInnen helfen! Was können wir tun? Familiäre Strukturen, aber auch Einbindung in eine stabile Peer-Group können protektiv bei psychischen Störungen wirken. Die Einbindung in ein soziales Umfeld, Förderung etc. können bei Jugendlichen salutogenetisch wirken. Neben unmittelbaren Familienmitgliedern können als Unterstützer auch Verwandte, aber auch Mitglieder der Peer-group oder andere Dritten fungieren. Gelingen erhöht die Wahrscheinlichkeit einer langfristigen positiven Entwicklung! Berufsintegration kann über Hilfesysteme unterstützt werden: SGB VIII und SGB II/III Oftmals bedarf es zudem punktueller Unterstützung: Behandlung, Beratung, Mentoring & Coaching Betreuung psychisch kranker Jugendlicher über die Systeme viele Systeme - Verzahnung möglich? SGB V: Kinderund Jugendpsychiatrie Junger Mensch SGB VIII: Jugendhilfe Junger Mensch Alter Psychiatrie SGB IX/SGB XII: Sozialhilfe Junger Mensch Junger Mensch Junger Mensch Junger Mensch Junger Junger Mensch Mensch SGB II/ SGB III: AA Bessere Fördermöglichkeiten Beispiele • • • • Berufsbildungswerke U-25 Agenturen Projekt VerA Berufseinstiegsbegleiter • Die systematische Zusammenarbeit erhöht die Chance, weniger die Vielzahl der Angebote Berufseinstiegsbegleiter Bildungsketten Zweite Säule des Sonderprogramms ist die Tätigkeit der Berufseinstiegsbegleiterinnen und -begleiter. Sie sind die persönlichen Betreuer und kompetenten Unterstützer der Jugendlichen, sie sitzen an der Schnittstelle zwischen Schule und einer angestrebten und passenden Ausbildung. Etwa 1.000 hauptamtliche Berufseinstiegsbegleiter – kurz: BerEb – werden in den folgenden Jahren bis zu 30.000 Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf über mehrere Jahre hinweg betreuen. Servicestelle Bildungsketten beim Bundesinstitut für Berufsbildung Projekt VerA - SES VerA: Fit für den Beruf mit SES-Ausbildungsbegleitern In Deutschland bricht jeder fünfte Jugendliche seine Ausbildung vorzeitig ab, oft schon im ersten Lehrjahr – keine guten Nachrichten für den Arbeitsmarkt, aber ein guter Grund zu handeln. Ende 2008 hat der Senior Experten Service (SES) – eine der größten deutschen Ehrenamtsorganisationen für Fach- und Führungskräfte im Ruhestand – zusammen mit den Spitzenverbänden der deutschen Industrie, des Handwerks und der freien Berufe die Initiative VerA aufgelegt. VerA wird im Rahmen der Initiative Bildungsketten vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. VerA ist ein Angebot an alle, die in der Ausbildung auf Schwierigkeiten stoßen und mit dem Gedanken spielen, ihre Lehre abzubrechen. Auf Wunsch stellt der SES diesen Jugendlichen berufs- und lebenserfahrene Senior Expertinnen und Experten zur Seite – Profis im Ruhestand, die auf ihre Aufgabe gezielt vorbereitet werden. U 25 Agenturen • Spezielle Agenturen für Jugendliche und junge Erwachsene mit kontinuierlichem und speziellem Förderbedarf bei Ausbildung und Beruf Zusammenfassung • Psychische Störungen können ein Hemmnis für die Berufs- und Ausbildungsintegration sein • Risikokonstellationen erkennen • Hilfenetze kennen • Indizierte Hilfen nutzen • Oftmals bedarf es auch punktueller Unterstützung: Behandlung, Beratung, Mentoring/Coaching • Die Einbindung in ein soziales Umfeld, Förderung etc. können bei Jugendlichen salutogenetisch wirken. Neben unmittelbaren Familienmitgliedern können als Unterstützer auch Verwandte, aber auch Mitglieder der Peer-group oder andere Dritten fungieren. Die Stiftung Achtung!Kinderseele Die Stiftung möchte Sie als ehrenamtliche Ausbildungsbegleiter darin schulen, wie Sie Auszubildende im Umgang mit psychischen Belastungen und Krankheiten unterstützen können. Wir möchten einen Beitrag leisten, psychische Störungen früher zu erkennen erfolgreicherer zu vermeiden angemessen zu behandeln Besser zu bewältigen www.achtung-kinderseele.org Der Förderverein Verein zur Förderung der Stiftung Achtung! Kinderseele e.V. Werden Sie Mitglied! Mit einem Beitrag von 5,00 Euro/Monat helfen Sie, diesem wichtigen Thema in der Öffentlichkeit endlich ausreichend Gehör zu verschaffen, die seelische Gesundheit und die Lebenschancen von Kindern und Jugendlichen zu verbessern und für die Zukunft eine bessere seelische Gesundheit unserer Gesellschaft zu erreichen. Was macht die Stiftung konkret? Wissen als Basis für mehr Verständnis und Übernahme von Verantwortung Das Kita-Patenprogramm Das Kita-Patenprogramm Aufklärung und Beratung In Planung: Projekt „Alte Meister“ Vernetzung Projektförderung Informations- und Serviceplattform im Internet: www.achtung-kinderseele.org! Achtung! Kinderseele Kita-Patenprogramm Bundesweite Aufklärung zur seelischen Entwicklung von Kita-Kindern Worum geht es beim Kita-Patenprogramm? Gesunde seelische Entwicklung fördern - lernen, wann sie gefährdet ist Angebot Erfahrene Kinder- und Jugendpsychiater und -Psychotherapeuten beraten Eltern und ErzieherInnen persönlich. Sie übernehmen ehrenamtlich eine Patenschaft für eine Kita. Je nach Bedarf wird die Patenschaft individuell gestaltet. In der Regel begleiten die Paten und Patinnen 4 x im Jahr Elternabende fachlich. www.achtung-kinderseele.org Welche Themen werden angesprochen? Paten bieten Themenspektrum an, Eltern und ErzieherInnen wählen, was sie bewegt Ablauf Themen Einführungsabende: Grundlegender Überblick über emotionale Entwicklung, mögliche Auffälligkeiten und Störungen. Eltern und ErzieherInnen wählen ihre Wunschthemen aus, z.B. Trotzverhalten, Schlafstörungen, Umgang mit Trennung. Was bedeutet seelisch gesund erwachsen werden? Wie lassen sich psychische Belastungen erkennen? Wie kann man vorbeugen? Auch Einzelgespräche mit den Paten sind möglich. Inhaltlich verantwortlich: Prof. Dr. Michael Kölch, Vorstand der Stiftung Achtung!Kinderseele Fotonachweise: - Junge mit Ideen (erworben bei Shutterstock) - Junge mit Ordnern (erworben bei Shutterstock) - Mädchen vor Wand (erworben bei Shutterstock)