Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 13 / 13. Wahlperiode 03. 07. 2001 43 Antrag der Abg. Brigitte Lösch u. a. GRÜNE und Stellungnahme des Innenministeriums Modellversuch „Platzverweis“ Antrag Der Landtag wolle beschließen, die Landesregierung zu ersuchen zu berichten, I. Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 17. Mai 2001 1. ob sie Rechtsmittel gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 17. Mai 2001 einlegen wiurd und gegebenenfalls aus welchen tatsächlichen Erwägungen; 2. ob sie die Einschätzung von Frauenprojekten teilt, dass durch diesen Beschluss des Verwaltungsgerichts der Modellversuch des Landes gefährdet werden könnte; 3. inwieweit die Landesregierung die Entscheidung des Gerichts über den Einzelfall hinaus für bedeutsam hält; 4. auf welche rechtlichen Schwachstellen der Beschluss des Verwaltungsgerichtes in Durchführung des Modellversuchs „Platzverweis“ hinweist; 5. ob und gegebenenfalls welchen Handlungsbedarf die Landesregierung auf der Grundlage dieses Urteils sieht, insbesondere: – für den Modellversuch des Landes, – für die Bundesgesetzgebung, – für die Landesgesetzgebung (incl. Polizei- und Verwaltungsrecht); 6. welche konkreten Konsequenzen sie daraus ziehen wird; Eingegangen: 03. 07. 2001 / Ausgegeben: 07. 08. 2001 1 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 13 / 43 II. Auswertung des Modellversuchs „Platzverweis“ 7. zu welchen wesentlichen Ergebnissen der Modellversuch bisher geführt hat, insbesondere auch im Hinblick auf eine zukünftige unbefristete Umsetzung des Platzverweises und in Gegenüberstellung zur Praxis in Österreich. 03. 07. 2001 Lösch, Rastätter, Kretschmann, Boris Palmer, Bauer GRÜNE Begründung Die o. g. Entscheidung des Verwaltungsgerichts Stuttgart ist in der Öffentlichkeit als Ermutigung für prügelnde Ehemänner kritisiert worden. Es stellt sich zudem die Frage, ob der Beschluss des Verwaltungsgerichtes über den Einzelfall hinaus bedeutsam ist, zumal in der Begründung zu diesem Beschluss darauf hingewiesen wird, „dass das Bestehen eines gesetzgeberischen Handlungsbedarfs auf dem Gebiet der Bekämpfung häuslicher Gewalt keine Neuheit ist.“ In diesem Zusammenhang ist auch die Frage zu stellen, ob für den laufenden Modellversuch bereits Konsequenzen zu ziehen sind. Stellungnahme Mit Schreiben vom 26. Juli 2001 Nr. 3–1212.3/84 nimmt das Innenministerium in Abstimmung mit dem Sozial- und dem Justizministerium zu dem Antrag wie folgt Stellung: I. Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 17. Mai 2001 1. ob sie Rechtsmittel gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 17. Mai 2001 einlegen wird und gegebenenfalls aus welchen tatsächlichen Erwägungen; Zu 1.: Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 17. Mai 2001, Az.: 5 K 1912/01, ist rechtskräftig, ein Rechtsmittel ist nicht mehr möglich. Im Übrigen war Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung eine bis zum 28. Mai befristete Platzverweismaßnahme. Wegen der prozessualen Eigenart des hier vorliegenden Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes hätte bereits wegen der nach diesem Zeitpunkt eintretenden so genannten Erledigung des Rechtsstreits ein Rechtsmittel keine Aussicht auf Erfolg haben und nicht zu einer inhaltlichen Überprüfung des Beschlusses des Verwaltungsgericht Stuttgart führen können. 2. ob sie die Einschätzung von Frauenprojekten teilt, dass durch diesen Beschluss des Verwaltungsgerichts der Modellversuch des Landes gefährdet werden könnte; Zu 2.: Die Landesregierung teilt diese Einschätzung nicht. Der in Baden-Württemberg praktizierte bundesweit erste Modellversuch auf der Basis des geltenden Polizeirechts hat von Anfang an der Erkenntnisgewinnung gedient, zu der auch die ergehenden gerichtlichen Entscheidungen beitragen. Eine absch- 2 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 13 / 43 ließende Bewertung des Modellversuchs erfolgt im Anschluss an die derzeit laufende Auswertung der Erfahrungsberichte. 3. inwieweit die Landesregierung die Entscheidung des Gerichts über den Einzelfall hinaus für bedeutsam hält; Zu 3.: Der Schwerpunkt der Begründung des Beschlusses liegt in der rechtlichen Würdigung der im konkreten Fall vorgenommenen Gefahrenprognose. Zu Recht wurde in der Entscheidung auf das Vorliegen einer konkreten polizeilichen Gefahr, gestützt auf eine Prognose über das künftige Verhalten der gewalttätigen Person, Bezug genommen. Dabei anerkannte die Kammer, dass sich ein Platzverweisverfahren als milderes Mittel gegenüber einer Ingewahrsamnahme des Verursachers von Tätlichkeiten erweisen kann. Es ist nicht auszuschließen, dass in der Entscheidung angesprochene grundsätzliche Aspekte Hinweise für eine künftige Entscheidungspraxis dieser Kammer, etwa im Hinblick auf die Bedeutung der Anhörung der Beteiligten für die Gefahrenprognose im Platzverweisverfahren, geben können. Den vorangegangenen Entscheidungen dieser Kammer waren vergleichbare Ausführungen zum Platzverweisverfahren nicht zu entnehmen. Die Entwicklung in der Rechtsprechung wird insgesamt weiter zu beobachten sein und in die Auswertung des Modellversuchs einfließen. 4. auf welche rechtlichen Schwachstellen der Beschluss des Verwaltungsgerichtes in Durchführung des Modellversuches „Platzverweis“ hinweist; Zu 4.: In den Gründen des Beschlusses wird zunächst die so genannte „Wesentlichkeitstheorie“ angesprochen, nach welcher u.a. hinsichtlich möglicher Grundrechtseingriffe strengere Maßstäbe an die „Regelungsdichte“ einer administrativen Eingriffsermächtigung zu stellen sind. Es werden „gewisse Zweifel“ daran geäußert, ob ein Platzverweis, der erheblich in die Grundrechte der allgemeinen Handlungsfreiheit (Artikel 2 Abs. 1 GG), der Freizügigkeit (Artikel 11 GG), der Ehe und Familie (Artikel 6 GG) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 GG) eingreifen kann, überhaupt auf die generelle Handlungsermächtigung der polizeilichen Generalklausel (§§ 1 und 3 PolG) gestützt werden könne, oder „möglicherweise“ eine speziellere Eingriffsermächtigung erfordere. Das Gericht stellt selbst diese Bedenken jedoch im Hinblick auf die betroffenen hochrangigen Schutzgüter von Leib, Leben, Freiheit und sexuelle Selbstbestimmung zurück und vertieft diesen Ansatz nicht weiter. Der Beschluss stellt eine einzelfallbezogene Abwägungsentscheidung des Gerichts auf Grund der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO erfolgenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage zum Entscheidungszeitpunkt dar. Die tragenden Gründe bezogen sich auf einen Mangel bei der Begründung der Gefahrenprognose für den konkreten Sachverhalt. 5. Ob und gegebenenfalls welchen Handlungsbedarf die Landesregierung auf der Grundlage dieses Urteils sieht, insbesondere: – für den Modellversuch des Landes, – für die Bundesgesetzgebung, – für die Landesgesetzgebung (incl. Polizei- und Verwaltungsrecht); 6. Welche konkreten Konsequenzen sie daraus ziehen wird; 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 13 / 43 Zu 5. und 6.: Die Landesregierung geht nach wie vor davon aus, dass Platzverweise auf die polizeiliche Generalklausel gestützt werden können. Die Begründung des Beschlusses lässt nicht den Schluss zu, dass aus Rechtsgründen eine Änderung des Polizeigesetzes zwingend erforderlich wäre. II. Auswertung des Modellversuchs „Platzverweis“ 7. zu welchen wesentlichen Ergebnissen der Modellversuch bisher geführt hat, insbesondere auch im Hinblick auf eine zukünftige unbefristete Umsetzung des Platzverweises und in Gegenüberstellung zur Praxis in Österreich. Zu 7.: Nach den bislang vorliegenden Ergebnissen des Modellversuchs Platzverweis hat sich das erprobte Verfahren gut bewährt. Seit Juni 2000 wurden durch den Polizeivollzugsdienst rund 600 Platzverweise ausgesprochen. In ungefähr der Hälfte der Fälle wurden die Platzverweise von den zuständigen Ordnungsämtern bestätigt. In den übrigen Fällen bestand die für die Aufrechterhaltung des Platzverweises erforderliche Gefahrenlage zumeist nicht mehr. Die Dauer der ausgesprochenen Platzverweise reichte von einer Woche bis zu drei Monaten. In nahezu allen Fällen haben die Adressaten der Maßnahme die Platzverweise befolgt. Entgegen mancher Befürchtungen fanden die aus ihrer Wohnung Verwiesenen andernorts Unterkunft, sodass eine behördliche Unterbringung nur sehr selten erforderlich war. Ganz überwiegend verzichteten die Betroffenen auf die Einlegung von Rechtsmitteln. Rechtskräftige Entscheidungen der Verwaltungsgerichte zum Platzverweisverfahren in der Hauptsache sind der Landesregierung derzeit nicht bekannt. In den neun bislang vorliegenden verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen – ergangen im Eilverfahren – wurde der ausgesprochene Platzverweis überwiegend bestätigt. Soweit Platzverweise verwaltungsgerichtlich nicht bestätigt wurden, wurde vom Gericht ein individueller Mangel in der einzelfallbezogenen Begründung der Gefahrenprognose oder ein Wegfall der Gefahrenlage festgestellt. Die Erfahrungsberichte der beteiligten Polizeidienststellen, Ordnungsämter und Beratungsstellen werden derzeit von einer interministeriellen Arbeitsgruppe des Sozial-, Innen- und Justizministeriums detailliert ausgewertet. Nach Abschluss der Auswertung – voraussichtlich zum Ende diesen Jahres – wird auf der Basis des zu erstellenden Abschlussberichts über die weitere Ausgestaltung des Platzverweisverfahrens zu entscheiden sein. Bis zum Abschluss der Auswertung wird das Platzverweisverfahren in Abstimmung mit den Kommunalen Landesverbänden weitergeführt. Hinsichtlich der detaillierten Gegenüberstellung zu der in Österreich praktizierten Verfahrensweise wird auf Ziffer 2 und 3 der Landtagsdrucksache 12/4510 „Gewalt gegen Frauen und Kinder“ vom 27. Oktober 1999 verwiesen. In Vertretung Eckert Ministerialdirektor 4