Erdgeschichte: Plattentektonik 464 465 G Dossier Die Drift der Kontinente Die äußere Schale unserer Erde ist in einzelne Platten zerbrochen. Diese tragen die Kontinente und Ozeanböden und schwimmen auf dem plastischen Teil des Erdmantels. Weil der, ähnlich wie siedendes Wasser in einem Topf, unablässig in Bewegung ist, kollidieren oder verhaken sich die Platten. Die Folge sind Vulkanausbrüche, Erdbeben und Gebirgsbildungen. Unter Island steigt heißes Magma auf und treibt die Platten Eurasiens und Nordamerikas auseinander. Bei Thingvellir hat das zu einem 60 bis 90 Meter breiten Graben geführt (Straßen und Häuser sind auf diesem Foto wegretuschiert, um den Naturzustand darzustellen) Plattentektonik Text: Jörn Auf dem Kampe 466 V or gut einer Milliarde Jahren hätte ein Wanderer vom heutigen Skandinavien aus zu Fuß Nordamerika erreichen können. Denn damals war der größte Teil der globalen Landmasse in einem Riesenkontinent verbunden. Dessen Zentrum bildete vermutlich Laurentia, das Ur-Amerika. Australien lag hoch im Norden, gleich neben der östlichen Antarktis, und auch Indien war nicht weit entfernt. Viel mehr wissen Geologen nicht über das Aussehen dieses Großkontinents, den sie Rodinia genannt haben. Für gesichert aber halten sie, dass er vor rund 750 Millionen Jahren auseinander gebrochen ist. Und dass es andere Riesenkontinente gegeben hat, vor und nach Rodinia. Schlüsse darauf erlaubt die Weltkarte von heute. Südamerikas Ostküste beispielsweise passt wie in einem Puzzle zur Westküste des südlichen Afrika. Um zu verstehen, wieso die Erde ihre Oberfläche verändern kann, muss man sich Folgendes klar machen: Die äußerste Schale unseres Planeten besteht derzeit aus sieben riesigen und zahlreichen kleineren Lithosphären-Platten, die auseinander driften, aneinander vorbeigleiten oder kollidieren. In diese driftenden Platten eingebettet sind: ein Kontinent (dann spricht man von kontinentaler Kruste) oder ein Stück Meeresboden (ozeanische Kruste) oder beides. Mit ihrem ungeheuren Gewicht lasten die rund 100 Kilometer mächtigen Platten auf einer verformbaren Schicht im oberen Erdmantel, der Asthenosphäre, die für sie eine Art zähes Schmiermittel ist. Sie können auf ihr, gigantischen Flößen gleich, hinweggleiten. Und das verursacht die Be- G Dossier 467 Südamerikas ab: Dort wird die pazifische Nazca-Platte unter die Südamerikanische Platte gedrückt, pro Jahr um zehn Zentimeter. (Bei einer Kollision zwischen kontinentaler und ozeanischer Kruste sinkt stets die ozeanische ab – sie ist dichter und damit schwerer. Kontinentale Landmasse bleibt dagegen fast immer erhalten.) Durch die ungeheuren Zugkräfte, die beim Absinken entstehen, reißt am anderen Ende einer Platte die Erdkruste auf – im Falle der Nazca-Platte etwa 3200 Kilometer westlich. Dort spaltet sich der unterseeische Boden pro Jahr um 7,6 Zentimeter. W E LT I N B E W E G U N G Wenn Kontinente schieben und zerren, dann gestalten sie die Kruste des Planeten um – und schwimmen dabei auf dem flüssigen Gestein der Tiefe. Eurasische Platte Eurasische Platte Juan-de-FucaPlatte wegung der Kontinente, die Entstehung von Vulkanen und neuen Ozeanen, die Entstehung von Gebirgen, nicht zuletzt Erdbeben. Sämtliche Erkenntnisse über die unaufhörliche Mobilität dieser äußersten, starren Schale der Erde, der Lithosphäre, haben die Geologen in einer umfassenden Theorie gebündelt: der Lehre von der Plattentektonik. Sie beschreibt die Bewegungen der Lithosphären-Platten und die zwischen ihnen wirkenden Kräfte und gilt heute als Grundlage der modernen Geologie. Dass aber die wandernden Platten, die wie ein Mosaik die Erdoberfläche bedecken, sich nicht gegenseitig den Weg versperren, folgt aus der so genannten Subduktion: Immer wieder werden Platten bei der Kollision mit einer anderen in die Tiefe gedrückt, sodass sie in den heißen Erdmantel versinken. Dabei gelangt eine Platte in eine Zone mit deutlich höherem Druck und höheren Temperaturen. Die Minerale in ihrem Gestein wandeln sich um, sodass die Platte dichter und damit schwerer wird und noch weiter hinabsinkt. Derzeit spielt sich ein solcher Prozess vor der Westküste Nordamerikanische Platte C Anatolische Platte F B Arabische Platte Philippinische Platte Eine Platte taucht unter die andere und versinkt in der heißen Tiefe des Erdinneren Kontinentporträt Südamerika, Bd. 2 Karibische Platte Pazifische Platte Afrikanische Platte Cocos-Platte IndischAustralische Platte E Somalische Subplatte Südamerikanische Platte NazcaPlatte A D Plattengrenze Antarktische Platte Vulkane Subduktionszonen Kollisionszonen Die Buchstaben korrespondieren mit den Beschreibungen auf Seite 469 Sieben große und zahlreiche kleinere Platten bilden untermeerische Gebirge (D). Gleiten Platten anein- die Oberfläche unseres Planeten – wie die Teile eines ander vorbei, können sie sich ineinander verhaken gigantischen Puzzles. Sie sind, wenn auch sehr lang- und Spannungen aufbauen, die sich mit einem Ruck sam, ständig in Bewegung. Die treibende Kraft dafür lösen – als Erdbeben (F). Prallen sie aufeinander, sind Bewegungen im plastischen Erdmantel, auf schiebt sich meist eine unter die andere und versinkt dem die starren Erdschollen schwimmen, sowie das in einer so genannten Subduktionszone in den Erd- Gewicht der abtauchenden Platten selbst. Wo zwei mantel (A, C). Die obere Platte wird dabei in der Platten auseinander driften, reißt die Erdkruste auf, Kollisionsregion emporgedrückt: Vulkane (rote Punk- und glutflüssiges Gestein quillt hervor (E). Meistens te) brechen aus, und mächtige Gebirge wachsen (B). geschieht das am Grund der Ozeane – so entstehen Erdbeben sind in solchen Zonen häufig.