Nur rund zehn Prozent aller Menschen haben völlig gesundes Zahnfleisch. Das 50plus-Interview zum Thema gesunde Zähne mit Professor Joachim S. Hermann. Können Zähne krank machen? Ja. Besonders bei Zähnen, die eine schwere Zahnfleischentzündung aufweisen (aggressive Parodontitis), werden besondere Bakterien über die Blutbahn mit jedem Pulsschlag im gesamten Körper verstreut. Dies geschieht bei wundem Zahnfleisch häufig sogar einfach beim Zähneputzen. Welche Krankheiten können mit erkrankten Zähnen in ­direktem Zusammenhang ­stehen? Herzinfarkt, Hirnschlag, Lungenentzündung und Asthma sind oft direkt damit verbunden. Aggressive Keime aus der Mundhöhle ­können zum Beispiel die Blutge­ 30 50PLUS_5/14 fässe am Herzen oder im Hirn verstopfen und so diese lebens­ bedrohlichen Krankheiten mit auslösen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat übrigens diese vier Erkrankungen als ­ Haupttodesursachen weltweit identifiziert, wodurch eine gesunde Mundhöhle wesentlich zur Langlebigkeit eines Menschen beitragen kann. Daneben gibt es eine ganze Anzahl weiterer Krankheiten, die mit erkrankten Zähnen in Zusammenhang gebracht werden: Dazu gehören unter anderem Diabetes, Alzheimer, entzündliche Gelenkserkrankungen, bösartige Geschwülste im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich etc. Wie viele Menschen in der Schweiz leiden an einer schweren Zahnfleischentzündung ? Nur etwa zehn Prozent aller Menschen haben völlig gesundes Zahnfleisch. Deshalb sind Zahnfleischentzündungen eine Art Volkskrankheit, der jedoch immer noch zu wenig Bedeutung beigemessen wird. Wohl zirka 20 Prozent haben sich mit diesen speziellen Bakterien angesteckt und leiden an einer aggressiven Parodontitis. Es handelt sich also nicht um einen Schicksalsschlag oder um eine genetisch vererbte Erkrankung, sondern um eine bakterielle Ansteckung. Aufgrund der aggressiven Natur dieser Keime kommt es dabei häufig schnell zur Auflösung des Zahnhalteapparates. Unbehandelt führt das unweigerlich zum Zahn- oder Implantatverlust. Eine komplette Heilung ist heutzutage im Rahmen einer fachzahnärztlichen Betreuung im Team mit einer Den- FOTO: FOTALIA Gesund beginnt im Mund – Warum gesunde Zähne so wichtig sind GESUNDHEIT FOTO: ZVG talhygienikerin über zirka sechs bis neun Monate in vielen Fällen möglich. Dabei ist es entscheidend, dass alle Bakterien schonend aus den meist tiefen Knochentaschen entfernt werden. Dies geschieht heutzutage am besten über Handinstrumente. Zudem können maschinenbetriebene Instrumente zusätzlich eingesetzt werden (Ultraschallins­trumente). Laser scheinen in diesem Zusammenhang keine Alternative zu sein. Darüber hinaus sind eine Desinfektionskur mit speziellen Medikamenten und nach spezifischem Bakteriennachweis die Anwendung von individuell passenden Antibiotika sehr sinnvoll. Schliesslich kommen auch noch entsprechende Heilgels zur Anwendung, welche die Wundheilung erheblich fördern können. Eine Dentalhygienikerin kann solch eine aggressive Erkrankung alleine wohl nicht ausheilen. Weitere zirka 60 Prozent sind an einer chronischen Parodontitis erkrankt. Da haben sich normale Mundbakterien durch nicht perfekte Mundhygiene vermehrt. Dies kann im Laufe der Zeit zum Zahn- oder Implantatverlust führen. Eine Ausheilung ist hier in zirka drei bis sechs Monaten durch eine allgemeinzahnärztliche Betreuung im Team mit der Dentalhygienikerin meistens möglich. Zirka weitere zehn Prozent haben eine einfache, oberflächliche Zahnfleischentzündung (Gingivitis), wobei es zu keinem Schwund des Kieferknochens im Gegensatz zu einer Parodontitis kommt. Diese Erkrankung kann in einer ­Woche durch eine professionelle Betreuung ausgeheilt werden. Wie kann man sich mit solchen aggressiven Bakterien anstecken? Das geschieht vermutlich einfach über einen Austausch von Speichel (Schmützli, gleiches Essbesteck, Getränkeflasche etc.), wie dies schon seit vielen Jahren von der Zahnfäule (Karies) her bekannt ist. Wie lässt sich eine Ansteckung vermeiden? Vermeiden lässt sich dies nur durch die konsequente Reinigung des Bereichs zwischen den Zähnen. Auch modernste Schallzahnbürsten erreichen nur 85 Prozent der Zahn- oder Implantatoberflächen. Deshalb ist die Reinigung der Zwischenräume unseres Gebisses die wichtigste Prävention, damit sich keine Bakterien einnisten können. Dafür sollte man diese Stellen konsequent einmal täglich mit Zahnseide oder einem Zwischenzahnbürstchen reinigen. Hat man komplett gesundes Zahnfleisch, so kann man sich nicht mit aggressiven Keimen anstecken. Welches sind die ersten ­Anzeichen einer schweren Zahnfleischentzündung? Als Patient bemerkt man diese Erkrankung immer erst sehr spät. Ein erstes Anzeichen ist meist schlechter Mundgeruch. Er entsteht fast ausnahmslos durch diese aggressive Bakterienansammlung in Zahnfleischtaschen und nur selten wegen Magenproblemen. Zudem bemerkt man beim Zähneputzen oft ein Zahnfleischbluten. Auch wenn man regelmäs­ sig zur Kontrolle und Zahnreinigung geht und seine Zähne gut pflegt, können bereits wenige dieser aggressiven Bakterien eine Zahnfleischerkrankung verur­ sachen. Es lohnt sich deshalb, bei den ersten Anzeichen einen spezialisierten Fachzahnarzt aufzu­ suchen. Grundsätzlich ist es empfehlenswert, sich seine Zähne einmal jährlich mit einem Zahnfleischfühler (Parodontalsonde) untersuchen zu lassen. Bei Zahnfleischtaschen von vier Millimetern oder mehr liegt eine Parodontitis vor. Was sollte man vor dem ­Setzen eines Implantates ­unbedingt beachten? Bei mangelnder Mundhygiene erhöht sich die Chance für eine Zahnfleischentzündung rund um Implantate um zirka das 11-Fache. Eine konsequente Mundhygiene ist deshalb entscheidend. Bei einer bestehenden Zahnfleischentzündung zum Zeitpunkt der Implantation hat man ein 5-faches Risiko eines frühzeitigen Implantatverlustes. Nach deren Ausheilung und einer erst danach erfolgten Implantation sollte alle drei bis vier Monate bei einem spezialisierten Zahnarztteam (Fachzahnarzt/Allgemeinzahnarzt/Dentalhygienikerin) eine Kontrolle durchgeführt werden. Wird im gesunden Mund implantiert und diese Gesundheit regelmässig kontrolliert, liegen die besten Langzeitprognosen für zahnärztliche Implantate vor. Prof. Dr. med. dent. Joachim S. Hermann ist Allgemeinzahnarzt und eidg. dipl. Fachzahnarzt für Parodontologie (Zahnfleischerkrankungen/ Implantologie). Seine Weiterbildung erfolgte in ­Basel, Zürich und San Antonio (USA). Er arbeitet schwerpunktmässig in der Privatpraxis mit einem Fokus auf Parodontologie, Implantologie und ­Ästhetischer Zahnmedizin in Nänikon-Zürich. www.gesund-beginnt-im-mund.ch 50PLUS_5/14 31