Übersichtsartikel Medikamentöse Nebenwirkungen und Kieferorthopädie Side Effects of Drugs in Orthodontics Autoren E. Bekto, F. Weiland, A. P. Muchitsch, M. Pichelmayer Institut Klinische Abteilung für Kieferorthopädie, Universitätsklinik für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, Medizinische Universität Graz, Österreich Schlüsselwörter " Nebenwirkungen l von Medikamenten Zusammenfassung Abstract ! ! Untersuchungen und Studien der letzten Jahre haben gezeigt, dass medikamentöse Nebenwirkungen in der Kieferorthopädie eine immer größere Rolle spielen. Das Ziel dieser Arbeit war es, anhand wissenschaftlicher Studien und Untersuchungen eine kurze Zusammenfassung zu erstellen über pharmakologische Substanzen und Medikamente, aber auch körpereigene Stoffe, die auf die kieferorthopädische Zahnbewegung Einfluss haben können. Sie verursachen Veränderungen, die sich auf Alveolarknochen, Desmodont und den Zahn selbst auswirken. Es werden Stoffe und Substanzen erläutert, wie z. B. Wachstumshormone, Somatomedine, Vitamin D3, Kalzitonin, Östrogene, Androgene, Insulin, Glukagon, Bisphosphonate und NSAR (nichtsteroidale Antirheumatika), die durch pathologische Prozesse im Körper und als synthetische, zugeführte Mittel die kieferorthopädische Zahnbewegung verlangsamen, behindern oder stoppen können. Im Gegensatz dazu gibt es aber auch Substanzen, welche die kieferorthopädische Zahnbewegung zu fördern scheinen und ihre Geschwindigkeit zu erhöhen vermögen. Dazu zählen Kortikosteroide, Schilddrüsenhormone, das Eicosanoid-System, vor allem Prostaglandine und Leukotriene oder das Parathormon. Zur besseren Übersicht und einfacheren Handhabung wurden sowohl die Freinamen als auch die Handelsnamen gängigster Medikamente und Substanzen tabellarisch aufgelistet. Die Tatsache, dass Medikamente und sowohl künstliche als auch natürliche Substanzen so weitreichende Nebenwirkungen haben können, soll als Auftrag einer genauen allgemeinmedizinischen Anamnese verstanden werden. Exakte Medikamentenauflistungen müssen ein wichtiger Bestandteil der Patientengeschichte werden, um die kieferorthopädische Therapie dem Patienten individuell anpassen zu können. A number of studies have shown that drugs and systemic factors may have effects on the alveolar bone, the desmodont and the tooth itself. These substances can decrease the rate of bone resorption, which is considered to be the most important factor to enable orthodontic tooth movement. Growth hormone, IGF-I, IGF-II, vitamin-D3, calcitonin, oestrogens, androgens, insulin, glucagon, bisphosphonats and NSAID (nonsteroidal anti-inflammatory drugs) seem to decrease the rate of bone resorption and consequently inhibit orthodontic tooth movement. On the other hand, there are other drugs and factors, such as corticosteroids, thyroid hormones, prostaglandins, leukotrienes or parathormone, which appear to stimulate bone resorption, increase the velocity of tooth movement and shorten orthodontic treatment time. For a better overview, tables with nonproprietary names, together with the most common registered names of mentioned substances are presented. Special attention should be paid to the exact anamnesis in order to avoid the side effects and to provide individual optimum treatment to the orthodontic patients. Key words " side effects of drugs l Bibliografie DOI 10.1055/s-0028-1098832 Inf Orthod Kieferorthop 2009; 41: 43–50 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York · ISSN 0022-0336 Korrespondenzadresse Dr. E. Bekto Klinische Abteilung für Kieferorthopädie Universitätsklinik für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde Medizinische Universität Graz Auenbruggerplatz 12 A-8036 Graz Tel.: +43 / 3 16 / 3 85 24 24 oder -29 30 Fax: +43 / 3 16 / 3 85 68 59 [email protected] Bekto E et al. Medikamentöse Nebenwirkungen und Kieferorthopädie. Inf Orthod Kieferorthop 2009; 41: 43 – 50 43 44 Übersichtsartikel Immer größere medizinische Fortschritte ermöglichen Menschen, nicht zuletzt durch moderne und effiziente pharmakologische Wirkstoffe und Medikamente, eine höhere Lebenserwartung und bessere Lebensqualität. Die synthetische Zusammensetzung und der nicht selten sehr komplexe Aufbau dieser Stoffe bewirken oft unterschiedlichste Nebenwirkungen. Aufgrund der Multimorbidität, die einerseits durch ein immer höheres Lebensalter und andererseits durch die Folgen der westlichen Zivilisationsgesellschaft, deutlich vermehrt auftritt, müssen viele Menschen auch mehrere Medikamente gleichzeitig einnehmen. Diese Tatsache sorgt zusätzlich für gegenseitiges Beeinflussen dieser Arzneimittel. Es sind aber nicht nur künstliche Wirkstoffe, die das Auftreten der oben genannten Phänomene verursachen. Körpereigene Substanzen, die durch unterschiedliche metabolische, endokrine, immunologische u. a. Erkrankungen aus dem Gleichgewicht geraten, haben in einigen Fällen ähnliche Folgen. Viele wissenschaftliche Studien der letzten Jahre belegen, dass medikamentöse Nebenwirkungen auch im Fach der Kieferorthopädie ein Thema sind. Pharmakologische, aber auch systemische, also körpereigene Substanzen, beeinflussen die kieferorthopädische Zahnbewegung [1]. Sie haben Auswirkungen auf Alveolarknochen, Wurzelzement und Desmodont, bzw. den Zahn selbst [2]. Im Folgenden sollen sowohl die Substanzen, die einen hemmenden Einfluss auf die kieferorthopädische Zahnbewegung haben, als auch jene, die sie in irgendeinem Zusammenhang fördern können, näher erläutert werden. Substanzen, die die Zahnbewegung hemmen können ! Wachstumshormone Das Wachstumshormon (STH, syn. Somatotropin, somatotropes Hormon), kann bei Überfunktion der somatotropen Zellen des Hypophysenvorderlappens zu einer gesteigerten bzw. bei Unterfunktion zu einer erniedrigten Kollagensynthese führen. STH wirkt generell stimulierend auf die Ausbildung von Osteoblasten sowie auf deren Differenzierung zu Osteozyten. Daraus resultiert eine hemmende Wirkung auf die kieferorthopädische Zahnbewegung [2]. Beim Kind verursacht der STH-Mangel auch einen verzögerten Zahndurchbruch. Zu beachten ist eine medizinisch indizierte Zufuhr bei Patienten mit Minderwuchs, Ullrich-Turner-Syndrom, Prader-Willi-Syn- Tab. 1 drom, chronischer Niereninsuffizienz bzw. Kleinwuchs infolge " Tab. 1). An misseiner intrauterinen Wachstumsverzögerung (l bräuchliche Anwendung ist zu denken bei Bodybuilding, da STH auf Muskelaufbau und Fettabbau stark stimulierend wirkt. Somatomedine IGF-I (insulinlike growth factor, syn. Somatomedin C) ist ein Wachstumsfaktor, der durch STH-Stimulierung hauptsächlich von der Leber sezerniert wird. IGF-II (Somatomedin A) ist ebenso ein Wachstumsfaktor mit dem gleichen Syntheseweg, wie IGF-I. Beide agieren als Mediatoren von STH nur mit zeitlich versetzter Wachstumsförderung. Sie wirken auf die kieferorthopädische Zahnbewegung wie STH hemmend [2]. Vitamin D3 und 1,25-Dihydroxycholecalciferol Vitamin D3 (syn. Cholecalciferol, Kalciol) leitet sich vom Cholesterin ab und ist ein fettlösliches Vitamin, das in der Haut mit Hilfe von UV-3-Licht gebildet wird und in seinen Vorstufen hormonähnliche Eigenschaften aufweist. Seine eigentliche Wirkform, 1,25-Dihydroxycholecalciferol (Calcitriol) entsteht erst in der Niere, stimuliert durch Parathormon bzw. durch einen Abfall der Kalzium- und der Phosphatkonzentration im Blut [3]. Eine zusätzliche Verabreichung erfolgt, außer bei Mangelzuständen, auch bei Osteoporose, renaler Osteopathie, als Schutz vor einigen Krebsarten, als Vorbeugung von Autoimmunerkrankungen oder " Tab. 2). Durch seine knochenstärkende Schuppenflechten (l Wirkung dürfte es in entsprechender Dosierung die kieferorthopädische Zahnbewegung hemmen. Allerdings gibt es auch Befunde, die dafür sprechen, dass Calcitriol an der Proliferation und Differenzierung von Osteklasten mitbeteiligt ist [3]. Dies würde dafür sprechen, dass es die Knochenresorption fördert [4]. Kalzitonin Kalzitonin ist ein Polypeptid, welches in den C-Zellen der Schilddrüse gebildet wird. Die Ausschüttung erfolgt beim Anstieg der Kalziumionen über die obere Grenze der Normwerte. Kalzitonin hemmt die Osteoklastentätigkeit und damit die Abgabe von Kalzium aus dem Knochen in das Blut [3]. Durch die osteoklastenhemmende Wirkung unterdrückt es die Knochenresorption und verlangsamt bzw. behindert dadurch die kieferorthopädische Zahnbewegung. Vorsicht ist geboten bei: Morbus Paget, Hyper- Wachstumshormon – gängigste Präparate. Freiname Handelsname Anwendungsgebiet Effekt auf Zahnbewegung Somatotropin Genotropin ® Norditropin ® Saizen ® Omnitrope ® (Biosimilar) Minderwuchs, Ullrich-TurnerSyndrom, Prader-Willi-Syndrom, chronische Niereninsuffizienz, Kleinwuchs infolge intrauteriner Wachstumsverzögerung hemmt die Knochenresorption hemmt die Zahnbewegung Anwendungsgebiet Effekt auf Zahnbewegung Mangelzustände Osteoporose Schutz vor einigen Krebsarten Vorbeugung von Autoimmunerkrankungen Schuppenflechte hemmt bei entsprechender Dosierung die Zahnbewegung Tab. 2 Vitamin D3 und Derivate – gängigste Präparate. Freiname Cholecalciferol (Vitamin D 3) und Derivate Handelsname ® Vigantol (Tab., Öl, Amp.) Dedrogyl ® (Tropfen) Rocaltrol ® (Kaps.) Doss® (Kaps.) Bondiol ® Bekto E et al. Medikamentöse Nebenwirkungen und Kieferorthopädie. Inf Orthod Kieferorthop 2009; 41: 43 – 50 Übersichtsartikel kalzämie, Knochenschmerzen bei Metastasen, Morbus Sudeck und Osteoporose [3]. Kalzitonin wird entweder injiziert oder mit" Tab. 3). tels Nasenspray inhaliert (l Östrogene Die weiblichen Sexualhormone haben Einfluss auf Knochen und Desmodont [2]. Im Desmodont erhöhen sie die Kollagensynthese, während die Knochenresorption durch ihre Mitwirkung gehemmt wird. Östrogene unterdrücken die Produktion von einigen Zytokinen, hauptsächlich Interleukin-1 (IL-1), Tumornekrosefaktor (TNF-α) und Interleukin-6 (IL-6) [1]. Diese Substanzen stimulieren Osteoblasten und deren Differenzierung, was in Folge zur Hemmung der Knochenresorption führt und dadurch die kieferorthopädische Zahnbewegung stoppt oder verlangsamt. Einige Autoren behaupten, dass Östrogene direkt die Knochenbildung beeinflussen, indem sie die Osteoblasten stimulieren [5]. Zu beachten ist dies bei oralen Kontrazeptiva, bei der Regulierung der Menorrhoe, der Therapie bei Amenorrhoe, bei Beschwerden Tab. 3 Androgene Androgene hemmen, ähnlich wie Östrogene, die Knochenresorption, da sie die Wirkung der Osteoklasten unterdrücken. Sie üben einen stimulierenden Einfluss auf die Osteblasten aus. Außerdem erhöhen Androgene die Knochendichte beim Mann, sodass bei Mangelerscheinungen mittelfristig schwere Osteoporose zu erwarten ist [6]. Zudem kontrollieren Androgene auch das Wachstum und die Entwicklung der Muskulatur [1]. Diese Tatsachen resultieren in einer Verlangsamung oder Abstoppung der kieferorthopädischen Zahnbewegung. Therapeu- Calcitonin – gängigste Präparate. Freiname Kalzitonin Tab. 4 im Klimakterium. Osteoporose nimmt eine besondere Stellung ein, vor allem durch neue Medikamente (SERM = selektive Estrogenrezeptormodulatoren), wie z. B. Raloxifen. Die Verbindung zu den Östrogenen sind die Rezeptoren, da die Wirkung von Raloxifen auch über Östrogenrezeptoren vermittelt wird " Tab. 4) [3]. (l Handelsname ® Karil (Amp., Nasenspray) Anwendungsgebiet Effekt auf Zahnbewegung Morbus Paget Hyperkalzämie Knochenschmerzen bei malignen Erkrankungen Morbus Sudeck Osteoporose unterdrückt die Knochenresorption hemmt die Zahnbewegung Anwendungsgebiet Effekt auf Zahnbewegung Östrogene – gängigste Präparate. Freiname Handelsname ® Estradiol Estrifam (Tab.) Estraderm ® (Pflaster) Estracomb TTS ® Estring ® (Vaginalring) Progynova ® (Drag.) Regulierung der Menorrhoe Therapie bei Amenorrhoe Wechselbeschwerden SERM (Raloxifen, Tamoxifen, Toremifen, Clomiphen) Evista ® Novaldex ® Fareston ® Osteoporose Conceplan ® Eve ® Femigoa ®, Valette ® Leios ® Miranova ® Cilest ® Lyn ® Gravistat ® … orale Kontrazeptiva Tab. 5 stimuliert die Knochenbildung unterdrückt die Knochenresorption hemmt die Zahnbewegung Androgene – gängigste Präparate. Freiname Handelsname Anwendungsgebiet Testosteron Testosteronenantat Testosteronundecanoat Androtop® (Gel) Testogel ® Andriol ® (Kaps.) Substitution bei Mangel Nandrolondecanoat (Anabolika) Deca-Durabolin ® Anorexia nervosa iatrogener Hyperkortizismus kachektische Zustände bei chronischen Infektionskrankheiten und Tumoren Osteoporose schlecht heilende Knochenbrüche Röntgenkater Missbrauch beim Bodybuilding Effekt auf Zahnbewegung stimuliert die Knochenbildung erhöht die Knochendichte unterdrückt die Knochenresorption hemmt die Zahnbewegung Bekto E et al. Medikamentöse Nebenwirkungen und Kieferorthopädie. Inf Orthod Kieferorthop 2009; 41: 43 – 50 45 46 Übersichtsartikel tisch werden Androgene zur Substitution bei Mangel des männ" Tab. 5). lichen Geschlechtshormons eingesetzt (l Insulin Das Insulin wird von den Langerhansinseln des Pankreas gebildet und beeinflusst nicht nur Glukoseaufnahme und Glukoseverwertung durch die Zellen, sondern es wirkt auch hinsichtlich des Eiweißstoffwechsels anabol. Diese Wirkung hat Insulin auch auf die Fibroblasten. Es fördert die Bildung kollagener Strukturen und der Glykosaminoglykane, welche ihrerseits im Knochen eine Kittfunktion übernehmen und dadurch stabilisierend wirken [2]. Dies induziert eine Verlangsamung kieferorthopädischer Zahnbewegung. Insulin wird bei Diabetes mellitus verabreicht " Tab. 6). (l Glukagon Glukagon wird ebenfalls im Pankreas, von den A-Zellen, gebildet und es fördert direkt oder durch seine Vorstufen und Derivate die Sekretion von Insulin, Kalzitonin und STH. Das kann indirekt zu einer relativen Verlangsamung der kieferorthopädischen Zahnbewegung führen. Die seltene Anwendung findet beispielsweise " Tab. 7). beim hypoglykämischen Schock statt (l Bisphosphonate Bisphosphonate können auf den Knochenstoffwechsel zwei Wirkungen haben: " Hemmung der Knochenmineralisation und " Hemmung des Knochenabbaus. Beide Wirkungen hängen damit zusammen, dass Bisphosphonate analog zu Pyrophosphat aufgebaut sind und sich wie dieses auf die Oberfläche der Mineralsubstanz des Knochens auflagern. Die Hemmung der Mineralisation scheint ein physiko-chemischer Effekt zu sein, die des Knochenabbaus verläuft dagegen zellulär und trifft direkt die Osteoklasten. Nach oraler Gabe beträgt die Verweildauer der Bisphosphonate im Blut nur wenige Stunden. Ihre Bindung im Knochen ist jedoch sehr stark. Die Halb- Tab. 6 wertszeit für die Elimination aus dem Knochen liegt im Bereich von Monaten bzw. Jahren [3, 9]. BONJ (bisphosphonate-associated osteonecrosis of the jaw), d. h. bisphosphonatassoziierte Knochennekrose im Kieferbereich, die einer Osteoradionekrose sehr ähnelt und schwer bzw. gar nicht therapierbar ist, stellt nur bei hohen intravenös applizierten Dosen ein Risiko dar [7, 8]. Anwendungsgebiete sind: Osteoporose in der Menopause, Morbus Paget, tumorbedingte Hyperkalziämie, Osteolyse durch Knochenmetastasen oder hämatologische Neoplasien und Prophy" Tab. 8). Bisphophosponate laxe von Weichteilkalzifizierungen (l hemmen die kieferorthopädische Zahnbewegung [9]. NSAR (Nichtsteroidale Antirheumatika) Die NSAR bzw. NSAID (nonsteroidal antiinflammatory drugs), wie sie im angloamerikanischen Sprachgebrauch genannt werden, sind entzündungshemmende Schmerzmittel nichtopioiden Ursprungs, welche symptomatisch auch in der Rheumatherapie angewendet werden. Ihre pharmakologische Wirkung basiert auf der Hemmung der Cyclooxigenaseaktivität. Zu unterscheiden sind die nichtselektiven NSAR von den selektiven COX-2-Hemmern, die weniger Nebenwirkungen im Verdauungstrakt hervor" Tab. 9) [3]. rufen (l Studien haben gezeigt, dass Natriumsalizylate die Knochenresorption hemmen [1]. Auch klinische Erfahrungen belegen, dass die Zahnbewegung bei Patienten unter lang andauernder Therapie mit Azetylsalizylsäure stark verlangsamt ist. Beim Absetzen des Medikaments kommt es jedoch schlagartig zu einer Beschleunigung der Zahnbewegung [1, 10]. Nicht nur der Knochen, sondern auch das Desmodont wird durch NSAR beeinflusst [11, 12]. Andere Autoren wiederum haben in experimentellen Studien an Ratten gezeigt, dass nicht alle NSAR, vor allem nicht alle selektiven COX-2-Hemmer, die unerwünschte Verlangsamung der Zahnbewegung zur Folge haben müssen [12 – 14]. Insulin – gängigste Präparate. Freiname Handelsname Anwendungsgebiet orale Antidiabetika Orabet ® Euglucon ® Starlix® NovoNorm ® Glucophage ® Actos ® Avandia ® Diabetes mellitus inhalierbares Insulin Exubera ® Diabetes mellitus kurz, intermediär oder lang wirksames Insulin Humolog ® NovoRapid ® Apidra ® Levemir ® Insulin Lente ® Ultratard ® Lantus ® Diabetes mellitus Tab. 7 Effekt auf Zahnbewegung stabilisiert den Knochen verlangsamt die Zahnbewegung Glukagon – gängigste Präparate. Freiname Handelsname Anwendungsgebiet Effekt auf Zahnbewegung Glukagon GlucaGen ® selten, z. B. beim hypoglykämischen Schock relative Verlangsamung der Zahnbewegung bei entsprechender Dosierung Bekto E et al. Medikamentöse Nebenwirkungen und Kieferorthopädie. Inf Orthod Kieferorthop 2009; 41: 43 – 50 Übersichtsartikel Tab. 8 Bisphosphonate – gängigste Präparate. Freiname Etidronsäure Handelsname ® Anwendungsgebiet Diphos (Tab.) Fosamax ® (Tab.) Actonel ® (Tab.) Bondronat ® Osteoporose in der Menopause Etidronsäure Tiludronsäure Riesedronsäure Pamidronsäure Zoledronsüre Diphos ® (Tab.) Skelid ® (Tab.) Actonel ® (Tab.) Aredia ® Aclasta ® Zometa ® (Inf.) Morbus Paget Coldronsäure Bonefos ® Ostac ® (Inf.) Skelid ® (Tab.) Aredia ® Aclasta ® Zometa® (Inf.) tumorbedingte Hyperkalziämie Osteolyse durch Knochenmetastasen oder hämatologische Neoplasien Pamidronsäure Ibandonsäure Bonefos ® Ostac ® (Inf.) Aredia ® Bondronat ® Etidronsäure Diphos ® (Tab.) Prophylaxe von Weichteilkalzifizierungen Alendronsäure Pamidronsäure Zoledronsüre Fosamax ® (Tab.) Aredia ® Aclasta ® Zometa ® (Inf.) Begleittherapie bei lang andauernder, hoch dosierter Kortisontherapie Alendronsäure Effekt auf Zahnbewegung Riesedronsäure Ibandonsäure Tiludronsäure Pamidronsäure Zoledronsüre Coldronsäure Tab. 9 hemmt die Knochenmineralisation hemmt die Knochenresorption hemmt die Zahnbewegung NSAR – gängigste Präparate. Freiname nicht selektive NSAR: ASS ASS-Lysin Ibuprofen Naproxen Diclofenac Indometacin selektive COX-2-Hemmer (Coxibe): Celecoxib Etoricoxib Parecoxib Handelsname Anwendungsgebiet Effekt auf Zahnbewegung Erkrankungen des rheumatischen und degenerativen Formenkreises Schmerztherapie Aspirin ® Aspisol ® Aktren ® Dolgit ® Dolormin ® Proxen ® Voltaren ® Amuno ® Mobilat ® Elmetacin hemmt die Knochenresorption hemmt die Zahnbewegung chronisch-entzündliche Erkrankungen Schmerztherapie Celebrex ® Araxia ® Dynastat ® (Inj.) Substanzen, welche die Zahnbewegung fördern können ! Kortikosteroide Mit dem Begriff Kortikosteroide (Kortikoide) wird eine Stoffgruppe bezeichnet, welche sowohl die ca. 50 in der Nebennierenrinde (NNR) gebildeten Steroidhormone als auch chemisch ähnliche, synthetisch hergestellte Substanzen beschreibt. Der gemeinsame Ausgangstoff ist das Cholesterin. Die in der NNR gebildeten Hormone können weiterhin in drei Gruppen unterteilt werden: Androgene, Mineralkortikoide und Glukokortikoide. Neben zahlreichen anderen Funktionen und Wirkungen im menschlichen Körper beeinflussen sie auch den Alveolarknochen, das Desmodont und die Zahnsubstanz [1, 2, 16 – 19]. Im Allgemeinen erfolgt die kieferorthopädische Zahnbewegung unter Einfluss von Kortikosteroiden schneller [2, 16]. Zu beachten ist allerdings der aufgrund der schlechten Knochenqualität instabile Therapieerfolg [2, 16, 18]. Eine verstärkte glukokortikoide Stoffwechselwirkung hat eine verminderte Synthese der Knochengrundsubstanz sowie die vermehrte Kalzium-Mobilisation aus dem Knochen zur Kompensation renaler Kalziumverluste und enteraler Minderresorption von Kalzium zur Folge [3]. Außerdem hemmen Kortikosteroide direkt die Osteoblastenfunktion und somit auch die gesamte Knochenmasse [1]. Hohe Dosen können auch Wurzelresorptionen verursachen [17]. Hauptsächliche Indikationen für die Gabe von Kortikosteroiden sind arthritische Erkrankungen, Allergien, Asthma bronchiale, Nierenerkrankungen, Bluterkrankungen, aber auch diverse Neo" Tab. 10). plasien (l Schilddrüsenhormone In den Follikelepithelzellen der Schilddrüse werden die Schilddrüsenhormone gebildet: Triiodthyronin (T3) und Tetraiodthyronin (T4, Thyroxin). T3 und T4 sind sehr potente Stoffwechselhormone, Bekto E et al. Medikamentöse Nebenwirkungen und Kieferorthopädie. Inf Orthod Kieferorthop 2009; 41: 43 – 50 47 48 Übersichtsartikel die während der Kindheit auch das Wachstum fördern. Sie werden hauptsächlich als Substitutionstherapie bei allen Formen von verminderter oder fehlender Schilddrüsenfunktion angewendet " Tab. 11) [3]. T -Therapie erhöht anscheinend das Bone-Remo(l 4 deling. Außerdem fördert es die resorptive Knochenaktivität und vermindert die Knochendichte [1]. Diese Tatsachen lassen den Schluss zu, dass die Therapie mit Schilddrüsenhormonen, die kieferorthopädische Zahnbewegung fördert [1, 20]. Außerdem wird, laut einigen Autoren, die kieferorthopädisch induzierte Wurzelresorption unter T4-Therapie signifikant vermindert [1, 20, 21]. Prostaglandine Prostaglandine sind eine Sammelbezeichnung für zahlreiche natürliche oder teilsynthetisch hergestellte hormonähnliche Substanzen (Gewebshormone bzw. Mediatorstoffe). Sie gehören zum Eicosanoid-System und sind Derivate der Prostansäure. Eine andere Vorstufe ist auch die Arachidonsäure [3]. Neben zahl- Tab. 10 reichen anderen Funktionen im Körper, vermitteln Prostaglandine Entzündungsprozesse, sensibilisieren Schmerzrezeptoren im betroffenen Gebiet, sind beteiligt an reproduktiven Vorgängen wie Ovulation, Konzeption, Nidation und Wehen [3]. Prostaglandine stimulieren und aktivieren Osteoklasten, was in weiterer Folge zur erhöhten Knochenresorption führt [1, 22 – 24, 27]. In experimentellen Studien wurde gezeigt, dass die lokale Applikation von Prostaglandinen die Geschwindigkeit der kieferorthopädischen Zahnbewegung zum Teil um ein Vielfaches erhöhen kann [25, 26]. Weitere Studien und Untersuchungen werden notwendig sein, um die Möglichkeit, Prostaglandine als Behelfe in der Kieferorthopädie anzuwenden, in Erwägung zu ziehen. In der Allgemeinmedizin werden Prostaglandine auf vielen Gebieten angewandt: in der Augenheilkunde zur Glaukomtherapie, in der Angiologie als vasoaktive Substanzen, in der Gastroenterologie zur Prävention von Magenschleimhautschäden, in " Tab. 12). der Pränatalmedizin zur Auslösung von Wehen (l Kortikosteroide – gängigste Präparate. Freiname Handelsname Anwendungsgebiet Kortisonazetat Prednison Prednisolon Prednisolonazetat Methylprednisolon Dexamethason Betamethason Cloprednol Fluocortolon Triamcinolon Decortin ® (Tab.) Decortin H ® (Tab.) Duraprednisolon ® Urbason ® (Tab.) Celestamine ® (Tab.) Syntestan ® (Tab.) Ultralan ® (Tab.) Delphicor ® (Tab.) Volon ® (Tab.) Substitutionstherapie Allergien Autoimmunkrankheiten rheumatische Erkr. entzündl. Krankheiten im Darmbereich: Colitis ulcerosa und Morbus Crohn Hemmung einer Transplantatabstoßung Leukämien Behandlung von Hauterkrankungen Beclomethasondiproprionat Budesonid Sanasthmyl ® Beclomet Easyhaler® (Pulver) Pulmicort ® Atermur ® Flutide ® Alvesco ® Inhalationstherapie bei Asthma bronchiale Fluticasonproprionat Ciclesonid Tab. 11 Effekt auf Zahnbewegung fördert die Zahnbewegung erschwerte Retention durch instabile Knochenverhältnisse Schilddrüsenhormone – gängigste Präparate. Freiname Handelsname Anwendungsgebiet Effekt auf Zahnbewegung L-Thyroxin = Levo-Thyroxin Euthyrox ® (Tab.) Thevier ® (Tab.) Thybon ® (Tab.) Substitutionstherapie bei allen Formen von verminderter oder fehlender Schilddrüsenfunktion erhöht das Bone-Remodeling erhöht die Knochenresorption erniedrigt die Knochendichte fördert die Zahnbewegung Anwendungsgebiet Effekt auf Zahnbewegung Liothyronin = L-Triiodthyronin Tab. 12 Prostaglandine – gängigste Präparate. Freiname Handelsname ® Bimatoprost Latanoprost Travoprost Lumigan Ganfort® Xalatan ® Xalacom ® Travatan ® DuoTrav ® Glaukomtherapie in der Augenheilkunde Alprostadil Iloprost Prostavasin ® Ilomedin ® Ventavis ® als vasoaktive Substanzen in der Angiologie Misoprostol Sulprostan Cytotec ® Arthotec ® Nalador ® Prävention von Magenschleimhautschäden in der Gastroenterologie Dinoprostan Minoprostin E2 ® Prepidil ® Propess ® Auslösung von Wehen in der Pränatalmedizin Bekto E et al. Medikamentöse Nebenwirkungen und Kieferorthopädie. Inf Orthod Kieferorthop 2009; 41: 43 – 50 stimuliert die Osteoklasten erhöht die Knochenresorption fördert die Zahnbewegung Übersichtsartikel Tab. 13 Leukotriene – gängigste Präparate. Freiname Zafirlukast Montelukast Tab. 14 Handelsname ® Accolate Singulair ® Anwendungsgebiet Effekt auf Zahnbewegung Leukotrien-Antagonisten in der Behandlung von Asthma bronchiale erhöht die Knochenresorption fördert die Zahnbewegung Parathormon – gängigste Präparate. Freiname Handelsname Anwendungsgebiet Teriparatid Forsteo ® (Injektor) parathyreoprive Tetanie Osteoporose Cinacalcet (senkt die ParathormonFreisetzung) Mimpara ® (Tab.) Hyperparathyreoidismus Leukotriene Sowie Prostaglandine gehören auch Leukotriene zum EicosanoidSystem. Sie sind ebenfalls Derivate der Arachidonsäure und werden unter Vermittlung des Enzyms Lipoxygenase direkt aus ihr gebildet. Der Hauptentstehungsort dieser sehr kurzlebigen Substanzen sind die Leukozyten und die Mastzellen [3]. Leukotriene wirken in Kombination mit anderen Substanzen gefäßerweiternd. Sie steigern die Gefäßpermeabilität, verengen die Bronchien und werden bei anaphylaktischen Reaktionen freigesetzt [3]. In experimentellen Studien wurde demonstriert, dass sowohl Leukotriene als auch Prostaglandine im Prozess des Bone-Remodeling eine Rolle spielen. Auch Leukotriene scheinen die Knochenresorption zu stimulieren, was sie ebenso zu Mediatoren der kiefer" Tab. 13) [1, 28, 29]. orthopädischen Zahnbewegung macht (l Therapeutisch werden allerdings nur Leukotrien-Antagonisten eingesetzt, und zwar bei der Behandlung von Asthma bronchiale [3]. Diese jedoch können die kieferorthopädische Zahnbewegung verlangsamen [29]. Parathormon Parathormon wird in der Glandula parathyreoidea (Nebenschilddrüse) gebildet und dessen Freisetzung wird durch das Absinken der Konzentration der Kalziumionen im Blut stimuliert. Es wirkt rückkoppelnd, indem es das Kalzium im Blut erhöht und das Phosphat erniedrigt [3]. Unter dauerhaft erhöhten Parathormonwerten im Blut werden im Knochen die Osteoklasten aktiviert mit der Folge einer verstärkten Knochenresorption [2, 3, 30]. Durch diesen Effekt scheint die kieferorthopädische Zahnbewegung begünstigt zu werden. Zudem regt das Parathormon in der Niere die Bildung des Vitamin-D-Hormons an. Therapeutisch eingesetzt wird Parathormon bei parathyreopriver Tetanie (Ausfall der Nebenschilddrüse) und bei Osteoporose in Form einer intermittierenden, gepulsten Zufuhr des Teriparatids, eines Derivates des Parathormons. Dieser wiederum stimuliert die Osteoblasten, was zu einer Zunahme der Knochenmasse führt [3]. Bei Hyperparathyreoidismus wird manchmal das Cinacalcet verabreicht, was die Parathormon-Frei" Tab. 14) [3]. setzung senkt und so den Knochen schützt (l Zusammenfassend ist zu betonen, dass eine genaue Anamnese über die Allgemeinerkrankungen und Medikamenteneinnahme kieferorthopädischer Patienten enorm wichtig ist und in der Zukunft sicherlich noch an Bedeutung gewinnen wird. Alle oben angegebenen Informationen sind als Richtlinien im Sinne einer optimalen und an Nebenwirkungen armen kieferorthopädischen Therapie zu verstehen, welche an die individuel- Effekt auf Zahnbewegung erhöht die Knochenresorption fördert die Zahnbewegung len Umstände und den speziellen Gesund- oder Krankheitsstatus eines jeden Patienten angepasst werden sollte. In einzelnen Fällen kann es notwendig sein, die medikamentöse Therapie nach Rücksprache mit dem behandelnden Arzt für die Zeit der kieferorthopädischen Behandlung zu modifizieren. Literatur 1 Tyrovola JB, Spyropoulos MN. 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