Die Krebstherapie der Zukunft

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Forschung und Technik
23.05.12 / Nr. 118 / Seite 58 / Teil 01
# NZZ AG
Die Krebstherapie der Zukunft
Herausforderungen im Zeitalter der genetischen Tumor-Entschlüsselung. Von JeanPhilippe Theurillat
Die Analyse des Erbguts von
Tumoren steht vor der klinischen
Einführung. Dadurch könnten
sich die Heilungschancen bei
Krebs erhöhen. Die erfolgreiche
Entwicklung neuer Therapien
hängt aber auch vom Zugang zu
den Patientendaten ab.
In der Vergangenheit haben Pathologen
Tumore nach äusseren Merkmalen wie
Grösse, Bezug zu anatomischen Strukturen und mikroskopischem Erscheinungsbild beschrieben. Diese Angaben dienten dem Onkologen als Richtlinien für
die Therapiewahl. Heute gehen Ärzte
dank neueren Entwicklungen in der
Krebsforschung zunehmend den Ursachen des Tumorwachstums nach.
Eine Krankheit der Gene
Krebs ist weitgehend eine Krankheit
der Gene. Durch Genmutationen werden im Tumor krebstreibende Gene
(Onkogene) aktiviert und krebshemmende Gene (Tumorsuppressoren) inaktiviert. Die krebstreibenden Genveränderungen, die nicht nur die Bildung
des Tumors, sondern auch dessen
Wachstum fördern, werden auch als
Fahrermutationen bezeichnet.
Diese biologische Erkenntnis eröffnet Möglichkeiten für die zielgerichtete
Therapie von Krebs. Denn die mutierten
Gene, beziehungsweise die daraus hervorgehenden Eiweisse, sind dem Tumor
eigen. Medikamente, welche sie treffen,
bekämpfen die Wachstumsursache des
Tumors und lassen normale Zellen unbehelligt. So hat etwa der Einsatz des (gezielten) Wirkstoffs Vemurafenib bei Patienten mit fortgeschrittenem Melanom
(schwarzer Hautkrebs) zu einem heilungsähnlichen Tumorrückgang geführt.
Die rasante Entwicklung im Bereich
der Erbgutanalyse wird es künftig ermöglichen, beim Patienten eine Kartografie der krebsspezifischen Veränderungen zu erstellen. Der Hoffnung auf
Heilung durch eine massgeschneiderte
Therapie (personalisierte Medizin) stehen jedoch noch Hürden im Weg. So ist
unser Wissen über das Tumorerbgut
noch lückenhaft. Obwohl einige Fahrermutationen schon seit Jahren bekannt
sind, stossen Tumorgenetiker immer
wieder auf neue Mutationen, die in
Tumor-Kollektiven nicht zufällig verteilt sind und deshalb für die Tumorentstehung wichtig sein könnten. So wurde
etwa kürzlich ein bei Prostatakrebs häufig mutiertes Gen namens SPOP nachgewiesen. Ob Mutationen in diesem
und anderen neuen Genen therapeutisch genutzt werden können, wird zurzeit erforscht.
Erst wenige der in den letzten Jahren
beschriebenen Fahrermutationen sind
heute therapeutisch angreifbar. Die
pharmazeutische Industrie hat sich bisher auf die Hemmung einer Gruppe von
Eiweissen konzentriert, die krebsfördernde Signale in Form von Phosphatgruppen übertragen (Kinasen). Diese
Moleküle besitzen eine enzymatische
Tasche, die durch kleine chemische Verbindungen gehemmt werden kann. Die
Entdeckung, dass Rapamycin, eine von
Bakterien produzierte Substanz, hochspezifisch die wachstumsfördernde Kinase mTOR inaktiviert und gegen Nieren- und Leberkrebs wirkt, hat die Entwicklung weiterer Kinase-Hemmstoffe
ermutigt und Medikamente wie das erwähnte Vemurafenib hervorgebracht.
Frühere Fehlschläge
Viele Fahrermutationen fallen aber
nicht in die Gruppe der Kinasen. Bestrebungen, auch gegen diese Substanzen Hemmstoffe zu entwickeln, sind in
der Vergangenheit fehlgeschlagen. Beispielhaft für die als unerreichbar («undruggable») geltenden Eiweisse sind
Transkriptionsfaktoren, die durch komplizierte Bindungen mit der DNA und
bestimmten Eiweissen viele Gene aktivieren. Komplexe Eiweiss-Interaktionen stellen bis anhin auch bei den sogenannten GTPasen, einer weiteren
Gruppe von Signalschaltmolekülen, ein
Problem dar. Der Ausdruck «undruggable» ist jedoch irreführend, da es nicht
prinzipiell unmöglich ist, diese Eiweisse
zu hemmen. Um das damit verbundene
Potenzial zu illustrieren, sei erwähnt,
dass Bauchspeicheldrüsenkrebs – einer
der aggressivsten Tumore überhaupt –
fast ausschliesslich durch aktivierende
Fahrermutationen in einer GTPase
(KRAS) gekennzeichnet ist.
Der Zeitdruck in der Pharmaindustrie, in rascher Folge neue Medikamente auf den Markt zu bringen, begünstigt
die Entwicklung von Substanzen, die
sich gegen einfach erreichbare Moleküle richten. Im Gegensatz zu den
schwierigen Zielmolekülen mit starkem
Krankheitsbezug zeichnen sich diese oft
durch ein schwaches therapeutisches
Potenzial aus. Das führt dazu, dass viele
Arzneimittel nach teuren späteren klini-
schen Studien scheitern. Vielversprechender wäre deshalb eine auf längere
Frist angelegte Grundlagenforschung
mit der Aussicht, fundamental neue Behandlungsmöglichkeiten zu schaffen.
Fehlende Nachhaltigkeit
Noch haben zielgerichtete Krebstherapien mit der (fehlenden) Nachhaltigkeit
ihrer Wirkung zu kämpfen: Viele Substanzen nützen nur kurzfristig, und die
Rückkehr des Tumors ist oft nur eine
Frage der Zeit. Auch beim erwähnten
Melanom-Medikament Vemurafenib
geht die Wirkung nach durchschnittlich
sieben Monaten verloren. Das hat damit
zu tun, dass es unter der Therapie zu
einer Selektion neuer Mutationen
kommt, die den gehemmten Signalpfad
wieder reaktivieren. Dadurch wird der
therapeutische Effekt aufgehoben.
Die Resistenzentwicklung ist dabei
Ausdruck einer flexiblen Wechselwirkung zwischen dem Tumorerbgut und
der Behandlung. Forscher hoffen, durch
die gleichzeitige Bekämpfung von mehreren miteinander kooperierenden Fahrermutationen den Krebs härter treffen
zu können und damit der Resistenzentwicklung entgegenzuwirken. Ähnlich
wie bei der HIV-Therapie, die ebenfalls
unter dem Problem eines flexiblen Erbguts leidet (in diesem Fall des HIVirus), könnte eine gezielte Kombinationstherapie bei vielen Krebsarten den
Übergang von tödlichen zu kontrollierbaren Krankheiten ermöglichen.
Was aber bedeutet das für die Onkologie? Sie muss sich vom alten Paradigma lösen, neue Medikamente nur in
Kombination mit etablierten, meist unspezifischen Standardtherapien auszutesten. Denn diese Strategie ignoriert
die Möglichkeit, dass die Wirkung von
gezielten Medikamenten durch Standardtherapien aufgehoben oder abgeschwächt werden kann. Neuerdings
werden deshalb erste klinische Studien
durchgeführt, in denen gezielte Therapien in Kombination getestet werden –
ohne vorgängigen Nachweis, dass die
Substanzen auch einzeln wirksam sind.
Eine wichtige Voraussetzung für ein solches Vorgehen ist die Kenntnis, welche
Fahrermutationen den Tumor im
Wachstum antreiben.
Die Bestimmung des Tumorerbguts
als Teil des Patientenmanagements wird
zweifellos neue Türen öffnen. Anders
als bis anhin erscheint der Tumor eines
Patienten nicht mehr als undefinierte
Grösse. Die enge Beziehung zwischen
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den genetischen Tumorveränderungen
und dem Ansprechen des Patienten auf
eine Therapie kann genutzt werden, um
dem Patienten eine auf seine Fahrermutationen abgestimmte Behandlung zu
ermöglichen. Zudem können klinische
Verlaufsdaten von genetisch definierten
Tumoren wichtige Rückschlüsse auf ein
allfälliges Therapieversagen liefern.
Datenbanken über Therapie-, Verlaufs- und Erbgutinformationen werden
es ermöglichen, Untergruppen von Patienten mit ungewöhnlich gutem oder
schlechtem Ansprechen zu identifizieren. Dadurch können Hypothesen zu
den Gründen für die beobachteten Unterschiede formuliert werden, die dann
im Labor und in klinischen Studien
überprüft werden müssen. Auf diese
Weise konnte etwa gezeigt werden, dass
der erwähnte Wirkstoff Vemurafenib
(Inhibitor der onkogenen BRAF-Kinase) bei Dickdarmkrebspatienten mit
aktivierenden BRAF-Mutationen weit
weniger wirkt als bei Melanompatienten mit der gleichen Mutation. Kürzlich
ist auch der Grund dafür gefunden worden: Im Dickdarmkrebs führt die Hemmung von BRAF zu einer Aktivierung
des
vorgeschalteten
Zellrezeptors
EGFR, der den gleichen Signalpfad
aktivieren kann. Melanomzellen hingegen verfügen nicht über diesen molekularen Ersatzmechanismus.
Weiter konnten die Forscher im Labor zeigen, dass die kombinierte Hemmung von BRAF (durch Vemurafenib)
und EGFR (durch Cetuximab) das
Überleben von Dickdarmkrebszellen
ähnlich stark beeinträchtigt wie die alleinige Behandlung von Melanomzellen
mit Vemurafenib. In klinischen Studien
muss nun die Kombinationstherapie bei
Dickdarmkrebspatienten überprüft werden. Dieses Beispiel zeigt eindrücklich,
warum die Wirksamkeit von gezielten
Therapien nicht nur als Einzelbehandlung beurteilt werden kann. Solche Forschungserfolge machen aber auch klar,
dass die Bedeutung von Patientendaten
in Zukunft stark zunehmen wird, da wir
nun viel direkter von den behandelten
Patienten lernen und dadurch die Behandlungskonzepte stetig verbessern
können. Der Fortschritt zielgerichteter
Therapien hängt deshalb ganz entscheidend von der Bereitschaft der Patienten
ab, ob sie in eine Verwendung ihrer
Daten (wie Erbgutanalyse des Tumors
und klinische Therapie- und Verlaufsdaten) einwilligen werden. Es ist vorstellbar, dass solche Daten an Tumorzentren
verwaltet und für die behandelnden
Mediziner sowie für Forscher in anonymisierter Form zugänglich gemacht
werden.
Biologisches Verständnis
Schon in wenigen Jahren könnten die
Kosten für die komplette Entschlüsselung eines Tumorerbguts unter die
Grenze von 1000 Dollar fallen – was
etwa den derzeitigen Kosten für den
Nachweis einer einzigen Genveränderung entspricht. Doch erst das biologische Verständnis dieser Information
wird uns erlauben, Herausforderungen
wie die Resistenzentwicklung während
der Krebsbehandlung zu meistern. Dies
wird nur unter einer engen Zusammenarbeit von akademischer Grundlagenforschung, pharmazeutischer Industrie
und Medizin gelingen.
Die Schweiz kann aufgrund ihrer
Stärke in diesen Bereichen die Entwicklung der zielgerichteten Krebstherapie entscheidend mitgestalten. Der
Aufbau von Zentren, an denen die Tumorgenetik als integraler Bestandteil
von Diagnostik und Therapie eingesetzt wird, wird Krebspatienten eine
optimale Behandlung ermöglichen. In
Norwegen ist diesen März das weltweit
erste Pilotprogramm gestartet worden,
welches die erbgutweite Analyse von
Tumoren ins nationale Gesundheitssystem integriert. In diese Richtung
sollte die Entwicklung gehen. Denn die
Grundlagen der zielgerichteten Krebstherapie sind in den letzten Jahrzehnten
erarbeitet worden. Jetzt gilt es, die nötigen Rahmenbedingungen und Strukturen zu schaffen, um das Potenzial dieses
Therapieansatzes auszuschöpfen und
damit hoffentlich viele Patienten heilen
zu können.
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Jean-Philippe Theurillat ist Pathologe und Krebsforscher. Er arbeitet als Stipendiat des Nationalfonds
(SSMBS) am Broad Institute of MIT and Harvard in
Cambridge, USA. Weiterführender Artikel zum Thema
in: Cell 147, 26–31 (2011).
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