Einführung in die Physik I Mechanik der starren Körper O. von der Lühe und U. Landgraf Starrer Körper • • • • • • • Bislang wurden nur Massen als Punktmassen idealisiert behandelt, eine ausgedehnte Verteilung der Masse spielte eine unwesentliche Rolle Definition eines starren Körpers: Anordnung von i Punktmassen mi r r An den Orten i i=1…N Abstände sind zueinander konstant Übergang zu kontinuierlichen, ausgedehnten Körpern Mechanik der starren Körper mi r ri 2 Freiheitsgrade • • • Freiheitsgrade: Zahl der Parameter, die benötigt werden, um die Lage des Körpers eindeutig festzulegen Positionen der N Punktmassen (3N Koordinatenwerte) minus der Zahl der Bedingungen für die konstanten Abstände Im allgemeinen sind sechs Angaben ausreichend: Einzelne Punktmasse 3 Zwei Punktmassen 5 Drei und mehr Punktmassen 6 – Position des Schwerpunkts – Rotation um die Schwerpunktslage Mechanik der starren Körper 3 Kinematik des starren Körpers • • • Für die Schwerpunktsbewegung eines starren Körpers gelten die kinematischen Gesetze für Punktmassen Neu sind Drehungen des starren Körpers um eine gegebene Achse „Infinitesimale“ Drehung: r dϕ r dr r r r r r dr = dϕ × r • Winkelgeschwindigkeit: r r dr r r dϕ r r r = v (r ) = ×r = ω×r dt dt r ω r v r r Siehe auch: Kinematik 1 Folie 19 Mechanik der starren Körper 4 Dynamik des starren Körpers • r Rotationsenergie – eine Rotationsbewegung enthält die Summe der kinetischen Energien der einzelnen Massenpunkte 1 2 = ∑ mi ⋅ (v(r⊥ ,i )) i =1 2 ω r⊥ N Erot 1 2 N 2 = ω ∑ mi ⋅ (r⊥ ,i ) 2 i =1 • Senkrechter Abstand r⊥ einesr Massenpunkts von der Achse ω r r wird durch das Kreuzprodukt ω × r vermittelt Mechanik der starren Körper r v (r⊥ ) r ω r⊥ 5 Dynamik des starren Körpers • r Integralform der Rotationsenergie: ω – Massendichte ρ – „infinitesimales Volumenelement“ dV – Infinitesimales Massenelement ρ dV Erot 1 2 2 = ω ∫ r⊥ ⋅ ρ ⋅ dV 2 V • Die Dichte ρ kann ortsabhängig sein • Der Ausdruck mit dem Integral ist eine Eigenschaft des Körpers und der Lage der Rotationsachse Mechanik der starren Körper r⊥ ρ ⋅ dV 6 Dynamik des starren Körpers • • Analogie zur kinetischen Energie: bei der Rotationsenergie spielt der Ausdruck mit dem Integral bezüglich der Rotationsachse die Rolle der Masse bei der kinetischen Energie Trägheitsmoment J Erot = 1 2 2 ω ∫ r⊥ ⋅ ρ ⋅ dV 2 V 1 2 v ⋅m 2 1 = v 2 ∫ ρ ⋅ dV 2 V Ekin = J = ∫ r⊥2 ⋅ ρ ⋅ dV V • Ein Massenelement trägt umso mehr zum Trägheitsmoment bei, je weiter es von der Achse entfernt ist Mechanik der starren Körper 7 Dynamik des starren Körpers • • Beispiel für Trägheitsmoment: Stab mit konstanter Dichte und der Länge L Rotationsachse durch das Stabende: L J = ∫ r⊥2 ⋅ ρ ⋅ dV = ρ ⋅ A∫ x 2 ⋅ dx = 0 V L A x 1 1 ρ ⋅ A ⋅ L3 = ML2 3 3 L • A Rotationsachse durch die Stabmitte: L2 1 3 1 J = 2 ρA ∫ x ⋅ dx = 2 ρA ⋅ L = ML2 3⋅8 12 0 x 2 Mechanik der starren Körper 8 Dynamik des starren Körpers • • • Satz von Steiner: „Das Trägheitsmoment eines Körpers bezüglich einer beliebigen Drehachse setzt sich zusammen aus dem Trägheitsmoment bezüglich einer dazu parallelen Achse durch den Schwerpunkt und dem Trägheitsmoment der Gesamtmasse“ a S J = JS + M ⋅ a2 Beispiel Stab: 2 1 3 1 ⎛L⎞ J Ende = J Mitte + M ⋅ ⎜ ⎟ = ML2 + ML2 = ML2 12 12 3 ⎝2⎠ Mechanik der starren Körper 9 Dynamik des starren Körpers • • Drehmoment T: Analogon zur Kraft bei der Translation Erhöht oder erniedrigt die Rotationsenergie r T r r r F r r • Eine Kraft F greift an einem Punkt r , ausgehend vom Drehpunkt an • Das Drehmoment ist ein Vektor, der sowohl auf dem Ortsvektor des Angriffspunkts als auch auf dem Kraftvektor senkrecht steht Mechanik der starren Körper r r r T = r ×F 10 Dynamik des starren Körpers • • • Drehimpuls L: Analogon zum linearen Impuls Für einen ausgedehnten Körper ergibt sich der Drehimpuls aus der Summe der Drehimpulse seiner Bestandteile Der Drehimpuls wird bestimmt relativ zu einer Drehachse r ω r⊥ r v (r⊥ ) r L= r r m ⋅ r ∑ i i × vi N i =1 = r r r m ⋅ r ∑ i i × (ω × ri ) N i =1 • Für einen Körper, der um eine Symmetrieachse rotiert, gilt r r N L = ω ∑ mi ⋅ r⊥2,i i =1 Mechanik der starren Körper 11 Dynamik des starren Körpers • Ein kräftefreier Körper kann ohne Einwirkung von außen seinen Rotationszustand nicht verändern (Reaktionsprinzip!) • Ein kräftefreier Körper rotiert um eine Achse durch seinen Schwerpunkt • Man kann die Trägheitsmomente eines Körpers bezüglich dreier Rotationsachsen durch den Schwerpunkt bestimmen. Die Komponenten lassen sich in Form eines Tensors anordnen (Trägheitstensor) • Der Drehimpuls ist in der Regel nicht parallel zur Drehachse Mechanik der starren Körper r L r ω z y x ⎛ J xx ⎜ J = ⎜ J yx ⎜J ⎝ zx J xy J yy J zy J xz ⎞ ⎟ J yx ⎟ J zz ⎟⎠ r r L = Jω 12 Trägheitstensor • • Rechenvorschrift, allgemeines Koordinatensystem (rechts) Wählt man ein geeignetes, and den Symmetrieachsen des Körpers ausgerichtetes Koordinatensystem („Hauptachsensystem“), dann verschwinden die Nichtdiagonalterme J xx = ∑ m (y J yy = ∑ m (x J zz = 2 i + zi2 ) 2 i + zi2 ) 2 2 m x + y ∑ i i i ) N i =1 i N i =1 N i ( i =1 N J xy = J yx = − ∑ mi xi yi i =1 ⎛ J xx ⎜ J=⎜ 0 ⎜ 0 ⎝ 0 J yy 0 0 ⎞ ⎟ 0 ⎟ J zz ⎟⎠ N J xz = J zx = − ∑ mi xi zi i =1 N J yz = J zy = − ∑ mi yi zi i =1 Mechanik der starren Körper 13 Dynamik des starren Körpers • Der Drehimpuls ist eine Erhaltungsgröße • Nur äußere Drehmomente können den Drehimpuls eines Körpers ändern • Innere Kräfte können den Drehimpuls nicht ändern • Ohne äußere Kräfte bleiben Betrag und Richtung des Drehimpuls erhalten • Bewegungsgleichung der Rotation Mechanik der starren Körper r dL r& r = L =T dt 14 Gerthsen Physik Mechanik der starren Körper 15 Gleichgewicht und Bewegung • Ein starrer Körper ist im Gleichgewicht, wenn die Summe der auf ihn einwirkenden Kräfte und Drehmomente verschwindet r F =0 r T =0 – Schwerpunktsbewegung konstant – Drehbewegung konstant • r r1 Hebelgesetz: – Die Kräfte an den Enden verhalten sich umgekehrt zu den Längen der Hebelarme r r r r r1 × F1 = − r2 × F2 r1 F = 2 r2 F1 Mechanik der starren Körper r r2 r F1 r F2 r r F1 + F2 16 Schwerpunkt • • Ein starrer Körper ändert seine Drehbewegung nicht, wenn alle Drehmomente bezüglich des Schwerpunkts sich aufheben Der Schwerpunkt ergibt sich aus der räumlichen Verteilung der Masse r m ⋅ r ∑ i i n r rS = i =1 n ∑m i =1 r rS = 1 = M n r ∑m ⋅r i =1 i i i r r r ( )dr r ⋅ ρ r ∫ V r r 1 r ( )dr r ⋅ ρ r r r = ∫ M V ∫ ρ (r )dr V • Ein starrer Körper im Gravitationsfeld muss im Schwerpunkt unterstützt werden, damit die vom Feld ausgeübten Drehmomente ausgeglichen sind Mechanik der starren Körper 17 Gleichgewichte • Stabiles Gleichgewicht: – Kehrt nach einer kleinen Auslenkung in die Ruhelage zurück • Labiles Gleichgewicht: – Jede noch so kleine Auslenkung wird vergößert • Indifferentes Gleichgewicht: – Jede Auslenkung führt in ein neues Gleichgewicht Mechanik der starren Körper 18 Gleichmäßig beschleunigte Rotation • • Walze rollt auf schiefer Ebene (ohne zu gleiten) r r r Drehmoment T = r×F T = r ⋅ sin α ⋅ M ⋅ g r ·sin α r • Trägheitsmoment der Walze – Auflagelinie ist Drehachse – Steinerscher Satz J = JS + M ⋅ r • Bewegungsgleichung F = M·g 2 r r& r T = L = Jω& ( α ) M ⋅ g ⋅ r ⋅ sin α = J S + Mr 2 ⋅ ω& • Bewegung des Schwerpunkts Mechanik der starren Körper aS = r ⋅ ω& = r M ⋅ g ⋅ r ⋅ sin α JS + M ⋅ r2 19 Gleichmäßig beschleunigte Rotation • Trägheitsmomente: • Vollzylinder 1 J S = Mr 2 2 • Hohlzylinder (dünnwandig) J S = Mr 2 • Kugel 2 J S = Mr 2 5 Mechanik der starren Körper 20 Drehschwingungen und Pendel • Schwingung eines homogenen Stabs • Drehmoment und Bewegungsgleichung T = − M ⋅ g ⋅ a ⋅ sin ϕ ≈ − M ⋅ g ⋅ a ⋅ϕ = J ⋅ ω& = J ⋅ ϕ&& ϕ (t ) = ϕ 0 ⋅ sin (ϖt ) • • Lösung ϖ = Mechanik der starren Körper S M ⋅ g ⋅a J S + M ⋅ a2 ϖ = lred ϕ -M·g M ⋅ g ⋅a = J Vergleich mit Fadenpendel („reduzierte Länge“) a g lred = M ⋅ g ⋅a J S + M ⋅ a2 J S + M ⋅ a2 = M ⋅a 21 Kreisel • Rotationssymmetrischer Körper • „Figurenachse“ durch den Schwerpunkt • Kräftefreier Kreisel: S – Unterstützt im Schwerpunkt – Drehachse gleich Figurenachse • Allgemein: – Drehachse nicht Figurenachse – Nutationsbewegung – Äußere Kräfte Präzessionsbewegung Mechanik der starren Körper S 22 Gerthsen Physik Mechanik der starren Körper 23