Das Standardmodell der Elementarteilchen – Theoretische Einführung

Werbung
c 2010-2015 Dr. Tord Riemann, [email protected]
Copyright Work is licensed under a Creative Commons 3.0 (CC BY-NC-ND 3.0 DE) Licence – Attribution-NonCommercial-NoDerivation – NamensnennungNicht-kommerziell-Keine Bearbeitung)
This draft version is not for distribution [2015-01-14 18:16]
Das Standardmodell der Elementarteilchen
– Theoretische Einführung –
1. Vorlesung am 9. Januar 2015:
Einführung und Lokale Eichinvarianz
Technische Universität Dresden im Wintersemester 2014/15
Skripte: http://www-zeuthen.desy.de/~riemann/
Dr. Tord Riemann
Deutsches Elektronensynchrotron
DESY, Zeuthen, Germany
Tord Riemann
1
Standardmodell & Beschleunigerphysik
Draft 2015-01-14 18:16
Teil 01: Einführung
Die Elementarteilchen, ihre Eigenschaften und Wechselwirkungen werden kurz eingeführt. Das Standardmodell muss sie möglichst vollständig und widerspruchsfrei beschreiben/erklären, und es sollte darüberhinaus neue Phänomene vorhersagen. Wir
erwarten von einer erfolgreichen Theorie auch, dass sie Quantenkorrekturen vorherzusagen
erlaubt. Das alles soll mit möglichst wenigen ad-hoc–Annahmen erreicht werden.
Tatsächlich ist dieses Programm weitgehend realisiert worden.
In der ersten Vorlesung erinnern wir an einige experimentelle Fakten, die in diesem
Zusammenhang wichtig sind:
• Elementarteilchen, ihre Massen, Lebensdauern, Quantenzahlen
• Wechselwirkungen und Auswahlregeln
• Übergangsmatrixelemente und observable Grössen – Lebensdauern/Zerfallsbreiten
und Wirkungsquerschnitte
Selbstverständlich würde der Versuch, eine auch nur angenäherte Vollständigkeit zu
erreichen, den Rahmen der Vorlesung sprengen.
1.1
Vorbemerkung
Das Standardmodell der Elementarteilchen wird durch eine Lagrangefunktion beschrieben,
die recht kompakt eingeführt werden kann, jedoch eine Vielzahl von Wechselwirkungen enthält. Das wird mit einer Übungsaufgabe sehr schön veranschaulicht, die man
auf der Webseite [1] von T. Gutierrez http://nuclear.ucdavis.edu/ tgutierr/files/stmL1.html
finden kann, und die hier explizit wiedergegeben wird. T. Gutierrez hat den Lagrangean des Standardmodells aus Anhängen des “Diagrammatica” zusammengestellt.
Der Autor von “Diagrammatica” [2] ist Nobelpreisträger Martinus Veltman. Hier ist
die Lagrangefunktion, deren Herleitung und experimenteller Verifikation wir uns in
den folgenden Lektionen widmen werden:
Exercise 1.1.1.1.1a:
Given locality, causality, Lorentz invariance, and known physical data since 1860, show that the
Lagrangian describing all observed physical processes (sans gravity) can be written:
L =
µ σ a
a 2 a
− 12 ∂ν gaµ ∂ν gaµ − g s f abc ∂µ gaν gbµ gcν − 14 g2s f abc f ade gbµ gcν gdµ geν + 21 ig2s (q̄σ
i γ q j )gµ + Ḡ ∂ G +
g s f abc ∂µḠaGb gcµ − ∂ν Wµ+ ∂ν Wµ− − M 2 Wµ+ Wµ− − 12 ∂ν Zµ0 ∂ν Zµ0 − 2c12 M 2 Zµ0 Zµ0 − 12 ∂µ Aν ∂µ Aν − 12 ∂µ H∂µ H −
w
1 2 2
1
2M 2
+
−
2 + − 1
0
0
0 0
2 mh H − ∂µ φ ∂µ φ − M φ φ − 2 ∂µ φ ∂µ φ − 2c2w Mφ φ − βh [ g2
1
1
2
0 0
+ −
+ 2M
g H + 2 (H + φ φ + 2φ φ )] +
Abschnitt 1
Tord Riemann
Standardmodell & Beschleunigerphysik
Draft 2015-01-14 18:16
2M 4
α − igcw [∂ν Zµ0 (Wµ+ Wν− − Wν+ Wµ− ) − Zν0 (Wµ+ ∂ν Wµ− − Wµ− ∂ν Wµ+ ) + Zµ0 (Wν+ ∂ν Wµ− − Wν− ∂ν Wµ+ )] −
g2 h
igsw [∂ν Aµ (Wµ+ Wν− − Wν+ Wµ− ) − Aν (Wµ+ ∂ν Wµ− − Wµ− ∂ν Wµ+ ) + Aµ (Wν+ ∂ν Wµ− − Wν− ∂ν Wµ+ )] −
1 2 + − + − 1 2 + − + −
2 2 0 + 0 −
0 0 + −
2 2
+
−
2 g Wµ Wµ Wν Wν + 2 g Wµ Wν Wµ Wν + g cw (Zµ Wµ Zν Wν − Zµ Zµ Wν Wν ) + g sw (Aµ Wµ Aν Wν −
Aµ Aµ Wν+ Wν− ) + g2 sw cw [Aµ Zν0 (Wµ+ Wν− − Wν+ Wµ− ) − 2Aµ Zµ0 Wν+ Wν− ] − gα[H 3 + Hφ0 φ0 + 2Hφ+ φ− ] −
1 2
1 M 0 0
4
0 4
+ − 2
0 2 + −
2 + −
0 2 2
+ −
8 g αh [H + (φ ) + 4(φ φ ) + 4(φ ) φ φ + 4H φ φ + 2(φ ) H ] − gMWµ Wµ H − 2 g c2w Zµ Zµ H −
1
1
+ 0
−
−
0
− 0
+
+
0
+
−
−
−
+
2 ig[Wµ (φ ∂µ φ − φ ∂µ φ ) − Wµ (φ ∂µ φ − φ ∂µ φ )] + 2 g[Wµ (H∂µ φ − φ ∂µ H) − Wµ (H∂µ φ −
s2
φ+ ∂µ H)] + 12 g c1w (Zµ0 (H∂µ φ0 − φ0 ∂µ H) − ig cww MZµ0 (Wµ+ φ− − Wµ− φ+ ) + igsw MAµ (Wµ+ φ− − Wµ− φ+ ) −
1−2c2
ig 2cw w Zµ0 (φ+ ∂µ φ− − φ− ∂µ φ+ ) + igsw Aµ (φ+ ∂µ φ− − φ− ∂µ φ+ ) − 14 g2 Wµ+ Wµ− [H 2 + (φ0 )2 + 2φ+ φ− ] −
2
2
1 2 sw 0
1 2 1 0 0
1 2 sw 0 0
+ −
− +
+ −
2
0 2
2
2 + −
4 g c2w Zµ Zµ [H + (φ ) + 2(2sw − 1) φ φ ] − 2 g cw Zµ φ (Wµ φ + Wµ φ ) − 2 ig cw Zµ H(Wµ φ −
Wµ− φ+ ) + 21 g2 sw Aµ φ0 (Wµ+ φ− + Wµ− φ+ ) + 12 ig2 sw Aµ H(Wµ+ φ− − Wµ− φ+ ) − g2 csww (2c2w − 1)Zµ0 Aµ φ+ φ− −
g1 s2w Aµ Aµ φ+ φ− − ēλ (γ∂ + mλe )eλ − ν̄λ γ∂νλ − ūλj (γ∂ + mλu )uλj − d̄λj (γ∂ + mλd )dλj + igsw Aµ [−(ēλ γµ eλ ) +
ig 0
2 λ µ λ
1 λ µ λ
5 λ
λ µ
5 λ
λ µ
2
5 λ
λ µ 4 2
3 (ū j γ u j ) − 3 (d̄ j γ d j )] + 4cw Zµ [(ν̄ γ (1 + γ )ν ) + (ē γ (4sw − 1 − γ )e ) + (ū j γ ( 3 sw − 1 − γ )u j ) +
(d̄λj γµ (1 − 83 s2w − γ5 )dλj )] + ig√ Wµ+ [(ν̄λ γµ (1 + γ5 )eλ ) + (ūλj γµ (1 + γ5 )Cλκ dκj )] + ig√ Wµ− [(ēλ γµ (1 + γ5 )νλ ) +
2 2
2 2
g mλe
ig mλe
† µ
+
λ
5
λ
−
λ
5
λ
κ
5
λ
(d̄ j Cλκ γ (1 + γ )u j )] + √ M [−φ (ν̄ (1 − γ )e ) + φ (ē (1 + γ )ν )] − 2 M [H(ēλ eλ ) + iφ0 (ēλ γ5 eλ )] +
2 2
ig
ig
− λ λ †
5 κ
λ
5 κ
√ φ+ [−mκ (ūλC λκ (1 − γ5 )d κ ) + mλ
u (ū j C λκ (1 + γ )d j ] + 2M √2 φ [md (d̄ j C λκ (1 + γ )u j ) −
j
d j
2M 2
mλ
mλ
mλ
mλ
†
mκu (d̄λj Cλκ
(1 − γ5 )uκj ] − g2 Mu H(ūλj uλj ) − g2 Md H(d̄λj dλj ) + ig2 Mu φ0 (ūλj γ5 uλj ) − ig2 Md φ0 (d̄λj γ5 dλj ) + X̄ + (∂2 −
2
M 2 )X + + X̄ − (∂2 − M 2 )X − + X̄ 0 (∂2 − M
)X 0 + Ȳ∂2 Y + igcw Wµ+ (∂µ X̄ 0 X − − ∂µ X̄ + X 0 ) + igsw Wµ+ (∂µ Ȳ X − −
2
cw
∂µ X̄ + Y) + igcw Wµ− (∂µ X̄ − X 0 − ∂µ X̄ 0 X + ) + igsw Wµ− (∂µ X̄ − Y − ∂µ Ȳ X + ) + igcw Zµ0 (∂µ X̄ + X + − ∂µ X̄ − X − ) +
1−2c2
igsw Aµ (∂µ X̄ + X + − ∂µ X̄ − X − ) − 21 gM[X̄ + X + H + X̄ − X − H + c12 X̄ 0 X 0 H] + 2cw w igM[X̄ + X 0 φ+ −
w
X̄ − X 0 φ− ] + 2c1w igM[X̄ 0 X − φ+ − X̄ 0 X + φ− ] + igMsw [X̄ 0 X − φ+ − X̄ 0 X + φ− ] + 12 igM[X̄ + X + φ0 − X̄ − X − φ0 ]
Der Autor verweist darauf, dass man die Vorzeichen in seiner Funktion überprüfen sollte, bevor man sie verwendet.
Eine sorgfältig getestete Version des Lagrangeans des Standardmodells findet man
zum Beispiel im Lehrbuch von Böhm, Denner u. Joos [3], dessen Konventionen wir
weitgehend folgen werden. Als weitere Basisreferenz, aus Sicht des Experimentalphysikers geschrieben, empfehle ich das deutschsprachige Buch von Berger [4].
Bei den Hörern des Kurses werden Grundkenntnisse zur Kern- und Teilchenphysik
vorausgesetzt.
1.2
Elementarteilchen
Elementarteilchen im Sinne dieser Vorlesung – und der Teilchenphysik (und der
Physik insgesamt) – sind alle beobachtbaren punktförmigen Objekte mit Wechselwirkungen, die mit den Methoden der Physik beschrieben werden können. Man
kann sie durch ihre Masse, den Spin und ladungsartige Quantenzahlen sowie ihre
Lebensdauer klassifizieren. Dass elementare Objekte eine endliche Lebensdauer
2
Abschnitt 1
Tord Riemann
Standardmodell & Beschleunigerphysik
Draft 2015-01-14 18:16
haben können, ist eine durchaus nicht triviale Feststellung. Vor etwa hundert Jahren
kannte man wenige elementare Teilchen:
• Proton und Neutron
• Elektron
• Photon
Diese Liste war dann zu erweitern um das Antiteilchen des Elektrons, das Myon und
sein Antiteilchen (erste Vertreter einer zweiten Teilchengeneration), das lange Zeit
hypothetische Neutrino, später weitere Neutrinos, usw.
Fast alle diese Fermionen wechselwirken elektromagnetisch, aber es gibt auch schwache Zerfälle und die Kernkraft, oder allgemeiner die starke Wechselwirkung (sowie
die Gravitation, die wir hier nicht weiter betrachten werden). Ob die starken und
schwachen Wechselwirkungen durch Teilchen, analog zu den Photonen, übertragen
werden, war lange nicht bekannt.
Andererseits wurden Pionen und weitere Mesonen sowie Baryonresonanzen entdeckt, die auch als elementare Objekte angesehen werden konnten, und es wurde entdeckt, dass Mesonen und Baryonen - im Unterschied zu den Leptonen - nicht punktförmig sind, sondern eine Struktur haben. Paritätsverletzung und CP-Verletzung
sowie diverse Zerfallsregeln (Verbote, globale Quantenzahlen, Leptonenzahlerhaltung etc.) wurden entdeckt. Die Untersuchungsobjekte wurden immer aufwändiger
präpariert:
• Radioaktive Quellen, Kathodenstrahlen usw. im Labor
• Höhenstrahlung, kosmische Strahlung
• Teichenbeschleuniger, Kernkraftwerke
Parallel entstanden neue Nachweisgeräte, die den höheren Energien und Intensitäten
Rechnung trugen.
Beschleunigeranlagen, die wesentliches Beobachtungsmaterial für das Teilchenmodell lieferten, sind u.a.
• diverse Detektoren am SLAC
• Beschleuniger PS mit Detektoren Gargamelle und Funkenkammer am CERN
• Beschleuniger SPS mit den Detektoren UA1 und UA2 am CERN
• Beschleuniger PETRA mit den Detektoren Jade, Mark J, Pluto, Tasso am DESY
3
Abschnitt 1
Tord Riemann
Standardmodell & Beschleunigerphysik
Draft 2015-01-14 18:16
• Beschleuniger LEP mit den Experimenten ALEPH (see also http://aleph.
web.cern.ch/aleph/alpub/draft/AlephHistory.pdf), L3, DELPHI und
OPAL am CERN
• Beschleuniger HERA mit den Experimenten H1, ZEUS, Hermes am DESY
• Beschleuniger Tevatron mit den Experimenten CDF und D0 am Fermilab
• Beschleuniger LHC mit den Experimenten Atlas und CMS am CERN
Ein sehr komplizierter Paradigmenwechsel war mit der Einführung von Quarks mit
der Color-SU(3)-Symmetrie in das Ideengebäude der Physik verbunden, die Mesonen und Hadronen als elementare Objekte ablösen, und die als punktförmig wahrgenommen werden. Quarks wechselwirken im Unterschied zu Leptonen stark, das
wird durch Gluonen vermittelt.1 Zudem wurde eine dritte Generation von Teilchen
entdeckt, zu der Tau-Leptonen und Tau-Neutrinos sowie Top- und Bottom-Quarks
gehören.
Insgesamt hat sich dann in den Siebziger und Achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts das Bild der Elementarteilchen abgerundet, so, wie wir es heute als gesicherte
Erkenntnis betrachten und im Standardmodell beschreiben/erklären.
Erst 1995 wurde das Top-Quark mit einer Masse von etwa 173 GeV entdeckt.
Danach war das einzige “missing link” bei der Verifizierung oder Falsifizierung des
Standardmodells das Higgs-Boson. In den Jahren nach der LEP-Inbetriebnahme
hatte sich die Vorhersagekraft indirekter Messungen der Higgsboson-Parameter beträchtlich erhöht, siehe Abbildung 1.1. Die Topquark-Masse war dabei ein wichtiger
Input-Parameter. Siehe Abbildung 1.1.
[From ETschaYa, translate etc:]
Im Jahr 2012 berichteten die LHC-Kollaborationen ATLAS und CMS über die Beobachtung eines skalaren Teilchens mit einer Masse von etwa 125 GeV [6, 7], die recht
gut mit den indirekten Vorhersagen üebereinstimmte. Inzwischen wird allgemein
akzeptiert, dass es tatsächlich ein Teilchen ist, das dem Higgsboson des Standardmodells wesensgleich oder ähnlich ist. Binnen eines Jahres wurde im Oktober 2013
der Physik-Nobelpreis an Peter Higgs und Francois Englert verliehen, “... for the theoretical discovery of a mechanism that contributes to our understanding of the origin
of mass of subatomic particles, and which recently was confirmed through the discovery of the predicted fundamental particle, by the ATLAS and CMS experiments
at CERNs Large Hadron Collider” [8]. Die ausführliche Begründung der Klasse
für Physik der Königlich-Schwedischen Akademie der Wissenschaften “Scientific
1 Eine
schöne Darstellung aus Sicht eines Physikers, der am DESY in dieser Periode wirkte, gibt P. Söding im Vortrag The Decade
of 1969-1979: How Quarks and Gluons Became Real. Siehe Alternativ: Seminare des DESY in Zeuthen.
4
Abschnitt 1
Tord Riemann
Standardmodell & Beschleunigerphysik
Draft 2015-01-14 18:16
600
mH[GeV]
upper mH limit (all data)
lower mH limit (LEP)
400
200
0
1995
2000
2005
2010
Figure 1.1:
Higgs boson mass measurements. The upper limits and the fit values for MH derive from a
combination of virtual corrections to LEP and similar data, top and W mass measurements, performed by the
LEPEWWG. The lower mass limit is due to LEP direct searches. The lower limits from data combinations are
not shown. Figure taken from [5].
Background on the Nobel Prize in Physics 2013: The BEH-Mechanism, Interactions with Short Range Forces and Scalar Particles” [9] reproduziert den so genannten “blue-band plot” von März 2012 [10], der von der LEP Electroweak Working Group LEPEWWG berechnet wird. Siehe Figure 1.2. Der Plot wird mit der
Standardmodell-Bibliothek ZFITTER berechnet, die Theoretiker aus JINR/Dubna
und DESY/Zeuthen betreuen [11–13].
Dieser Exkurs durch die Begriffswelt hat die Aufgabe, Ihnen einige wichtige (oder
auch: historisch wichtige) Tatsachen zu benennen und Sie anzuregen, sich selbst
genauer zu informieren. Bei weiterer Ausarbeitung der Skripte werden genauere
Ausführungen und vor allem vertiefende Weblinks eingearbeitet. Einige Berücksichtigung finden dabei Wikipedia-Einträge, die im allgemeinen recht zuverlässig
sind und häufig auch auf fachwissenschaftliche Webseiten verweisen. Es sei jedoch
ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Webseiten im Internet per se nicht die Qualität haben, wie man sie von einem guten Lehrbuch sehr wohl erwarten kann; das
surfen im Internet kann das Studium der Fachliteratur [3] keinesfalls ersetzen. Eine
unerschöpfliche Quelle von Definitionen sowie aktuellsten Daten und Parametern ist
der “Review of Particle Physics” [14].
Wir geben in den Tabellen 1.1 und 1.2 eine Zusammenstellung der elementaren
Fermionen, die in Leptonen und Quarks unterteilt werden können, und in Tabelle 1.3
eine Zusammenstellung der Eichbosonen, die die Wechselwirkungen der Fermionen
vermitteln. Wir werden jedoch sehen, dass sie auch Selbstwechselwirkungen haben
können.
5
Abschnitt 1
Tord Riemann
Standardmodell & Beschleunigerphysik
Draft 2015-01-14 18:16
Figure 1.2: Higgs boson mass estimate. Figure of LEPEWWG, taken from [10].
Leptonen
Symbol
1
νe
Masse
< 3 eV
el. Ladung
0
Entdeckung
Cowan, Reines 1956
(inverser β-Zerfall)
e−
0.5110 MeV
−1
Kathodenstrahlen vor
1900 (Positron 1932)
2
νµ
< 190 keV
0
Ledermann, Schwartz,
Steinberger 1962
µ−
105.66 MeV
−1
Kosmische Strahlung
1936
3
ντ
< 18.2 MeV
0
DONUT Experiment
(FNAL) 1997-2000
τ−
1777 MeV
−1
M. Perl et al.
(MARK I Exp.) 1975
Table 1.1: Die drei Lepton-Familien.
6
Abschnitt 1
Tord Riemann
Standardmodell & Beschleunigerphysik
Draft 2015-01-14 18:16
Quarks
1
2
Symbol
Masse
el. Ladung
Entdeckung
dr , dg , db
∼ 1 − 5 MeV
−1/3
∼ 1964
ur , ug , ub
∼ 3 − 9 MeV
+2/3
∼ 1964
sr , sg , sb
∼ 75 − 170 MeV
−1/3
∼ 1964
cr , cg , cb
∼ 1.15 − 1.35 GeV
+2/3
Richter et al. (SLAC),
Ting et al. (BNL) 1974
3
br , bg , bb
∼ 4.0 − 4.4 GeV
−1/3
Lederman et al.
(FNAL) 1977
tr , tg , tb
174.3 ± 5.1 GeV
+2/3
CDF-, D0-Experimente
(FNAL) 1994
Table 1.2: Die drei Quark-Familien. Jedes Quark kommt in drei color-Varianten vor.
Dass auch Neutrinos - sehr kleine - Massen besitzen müssen, ist seit 1998 bekannt,
als mit grossen unterirdisch betriebenen Detektoren Neutrino-Oszillationen für Neutrinos von der Sonne und aus der Höhenstrahlung zweifelsfrei nachgewiesen werden
konnten. Diese Detektoren waren ursprünglich zur Suche nach Protonzerfällen konstruiert worden. Neutrino-Oszillationen sind möglich, wenn die Teilchen massiv sind
und ihre Umwandlung möglich ist, es also keine strenge Leptonenzahlerhaltung gibt.
Siehe dazu auch die entsprechende Lektion.
Die color-Quantenzahl kann drei Werte annehmen: rot, grün, blau (r, g, b). Die
Quarks bilden color-Triplets: (ur , ug , ub ) etc. In der Natur sind nur color-neutrale
Zustände beobachtbar: color-Singlets. Das sind Baryonen (qqq) oder Mesonen (qq̄).
Die Ladungen der Baryonen und Mesonen, z.B. Q(p) = 1 und Q(n) = 0 für Proton
und Neutron:
p = (u, u, d)
n = (u, d, d)
(1.1)
(1.2)
sind Summen der Ladungen ihrer Konstituenten Q(u) = 2/3, Q(d) = −1/3.2
Konkrete Beispiele findet man z.B. hier: buildingparticles. Da es keine freien
Quarks gibt, sind die Massen als effektive Massen zu verstehen [15].
Die Strangeness-Quantenzahl:
Sie wurde eingeführt, um z.B. die assozierte Produktion von K-Mesonen zu beschrei2 We
7
neglect here the aspect of color; proton and neutron are also constructed as color singlets.
Abschnitt 1
Tord Riemann
Kraft
Starke WW
Standardmodell & Beschleunigerphysik
Draft 2015-01-14 18:16
rel. Stärke
wirkt auf
vermittelt durch
Theorie
1
Quarks und Gluonen
(mit Farbladungen)
elektrisch geladene
Teilchen
Quarks, Leptonen
(außer νR ),
W ±, Z0
8 Gluonen g
(masselos, Spin 1)
Photon γ
(masselos, Spin 1)
W +, W −, Z0
(massiv, Spin 1)
Quantenchromodynamik (QCD)
Quantenelektrodynamik (QED)
elektroschwaches
Standardmodell
(GSW)
alle Teilchen
Graviton
(masselos, Spin 2)
Allgemeine
Relativitätstheorie (ART)
Elektromagnet. WW
Schwache WW
10−3
Gravitation
10−38
10−5
Table 1.3: Die Wechselwirkungen der Elementarteilchen im GSW– (Glashow-Salam-Weinberg–) Modell.
ben (1953):
π− + p → K 0 + Λ
(1.3)
wobei K 0 und Λ die Strangeness S = +1 und S = −1 haben; es ist K 0 = (d s̄) und Λ =
(uds) ist ein Baryon mit drei verschiedenen Quarks, siehe http://de.wikipedia.
org/wiki/Kaon und http://en.wikipedia.org/wiki/Lambda_baryon.
SU(3)-flavour-Symmetrie: 1961.
Quarkmodell: Gell-Mann, Zweig 1964.
Substruktur der Hadronen (Partonen):
Hofstadter et al., Friedman, Kendall, Turner et al. (SLAC), 1969.
Wir wissen nicht, warum es N f = 3 Generationen (oder Familien) von Teilchen
gibt. Vielleicht besteht ein Zusammenhang von N f mit der Existenz von CP-Verletzung,
die im Standardmodell durch Fermionen-Mischung entstehen kann, wenn die Fermionen ihre Massen durch Kopplung ans Higgs erhalten, und es mindestens drei Generationen gibt.
Wir wissen auch nicht, warum es Leptonen und Quarks gibt, warum es drei colorFreiheitsgrade gibt (c f = 3), und warum die Quarkladungen gedrittelt sind. Es ist
jedenfalls so, dass das Standardmodell konsistent renormierbar ist (frei von so genannten Anomalien ist), wenn folgende Relation für die Summe der Ladungen, in jeder
Teilchengeneration separat, erfüllt ist:
X
X
Ql + c f
Qq = 0.
(1.4)
l
8
q
Abschnitt 1
Tord Riemann
Standardmodell & Beschleunigerphysik
Draft 2015-01-14 18:16
Hier ist c f = 3 die Zahl der Color-Freiheitsgrade und l sowie q stehen fuer Leptonen
und Quarks in einer Generation (Familie). Tatsächlich gilt: (0 − 1) + 3 × (2/3 − 1/3) =
−1 + 3 × 1/3 = 0.
1.3
Matrixelemente, Zerfallsbreiten, Wirkungsquerschnitte
Das Standardmodell der Elementarteilchen muss verschiedenste Messungen zusammenfassen und erklären:
• Massen und Quantenzahlen der Teilchen
• Zerfallsbreiten bzw. Lebensdauern der Teilchen
• Wirkungsquerschnitte von Streuprozessen
Zerfallsbreiten und Wirkungsquerschnitte sind quantenmechanische Übergangswahrscheinlichkeiten und werden als Absolutquadrate von Matrixelementen berechnet.
Dabei ist zu beachten:
• Anfangs- und Endzustand enthalten Teilchen in Eigenzuständen, z.B. mit wohldefinierten 4-Impulsen.
• Ein Übergang a + b → c1 + c2 + · · · setzt sich im allgemeinen aus mehreren Teilprozessen zusammen. Daher tragen mehrere Matrixelemente Mi kohärent zur
Observablen Oa bei:
X
a
a
Oa = |
M1 + M2 + · · · |2
(1.5)
i
• Es gibt jedoch häufig Situationen, in denen verschiedene Endzustände im Detektor nicht zu unterscheiden sind, obwohl sie formal verschieden sind. Ein
typisches Beispiel: enthält ein Endzustand ein zusätzliches Photon mit verschwindend geringer Energie, wird man es nicht vom Rest des Events abheben
können. In solchen Fällen ist die Observable O durch die inkohärente Summe
der entsprechenden Beiträge zu berechnen (Stichwort: Dichtematrix):
X
O =
Oa
(1.6)
a
Wir haben im Rahmen dieser Vorlesung nicht die Zeit, die Formeln für die Übergangswahrscheinlichkeiten herzuleiten. Wir können sie hier nur anführen.
Die Zerfallsbreite für den Übergang eines Teilchens mit dem Impuls p0 = (E0 , |p|) in
9
Abschnitt 1
Tord Riemann
Standardmodell & Beschleunigerphysik
Draft 2015-01-14 18:16
einen n-Teilchen-Endzustand ist3 [3][1.2.25]:
P
Z 3
d p1 d3 pn 1 (2π)4 δ4 (p0 − pn )
1
= Γ =
···
|hA → b1 · · · bn i|2 (1.7)
3n
τ
2E1
2En (2π)
2E0
Der Ausdruck hA → b1 · · · bn i enthält die Summe aller Matrixelemente der Teilbeiträge zum Endzustand b1 · · · bn . Wenn mehrere Endzustände beitragen, sind die Ausdrücke inkohärent zu addieren. Die Masseinheit ist 1/sec, da wir jedoch stets
~ = c = 1
(1.8)
setzen, wird die Zerfallsbreite in MeV gemessen:
Γ
Γ
=
(1.9)
~
6.587 × 10−22 MeV sec
Der numerische Faktor ist zu berücksichtigen, wenn man eine Breite in MeV berechnet hat und dann in 1/sec umrechnen möchte.
Beispiele: Myon-Zerfall, Pionzerfall, Neutronzerfall.
Analog wird der totale Wirkungsquerschnitt definiert [1.2.24]:
P
Z 3
d p1 d3 pn 1 (2π)4 δ4 (k1 + k2 − pn )
σtot =
···
|hA1 + A2 → b1 · · · bn i|2
q 3n
2E1
2En (2π)
2 λ s, m21 , m22
Γ[1/sec] =
(1.10)
Die Funktion λ(a, b, c) wird auch Kallen-Funktion (??) genannt:
λ s, m21 , m22 = s2 + m41 + m42 − 2sm21 − 2sm22 − 2m21 m22
2
= s − m21 − m22 − 4m21 m22
(1.11)
Der Ausdruck ist relativistisch invariant, wie man mit Hilfe der folgenden Relation
sehen kann:
d3 p
≡ d4 pδ p2 − M 2 θ(p0 )
(1.12)
2E
Man sieht das mit E = p0 und unter Verwendung von Eigenschaften der δ-Funktion,
siehe Anhang ??.
Beispiel:
Der differentielle QED Paar-Produktions-Wirkungsquerschnitt für e+ e− → f + f − lautet für punktförmige Teilchen mit Ladung Q f (hier ist stets Qe = −1):
dσ
πα2
=
[~c]2 1 + cos2 θ Q2f
d cos θ
2s
(1.13)
3 Wir benutzen im allgemeinen die Notation des Lehrbuches [3], und verweisen gegebenenfalls auf entsprechende Formeln darin
mit der Notation [3][1.2.25], oder auch kürzer durch [1.2.25].
10
Abschnitt 1
Tord Riemann
Standardmodell & Beschleunigerphysik
Draft 2015-01-14 18:16
πα2
GeV 2 cm2 (0.1973286)2 × 10−26
1 + cos2 θ Q2f
2
s
2
2 2
πα
−26 GeV cm
2
(0.08938576) × 10
1 + cos θ Q2f
=
2
s
2
GeV
2
= 32.571 nbarn
1 + cos θ Q2f
2
s[GeV ]
=
Dabei ist θ der Streuwinkel (gemessen zwischen e− und f − im center-of-mass system
(cms).
Nach Winkelintegration
Z
1 1
4
(1.14)
d cos θ(1 + cos2 θ) =
2 −1
3
erhält man den totalen Wirkungsquerschnitt:
σtot
4πα2
=
[~c]2
3s
(1.15)
wobei wir verwenden, dass s = 4E 2 , wobei E die Strahlenergie sei und im Schwerpunktsystem gemessen werde, und die Masseinheit des Wirkungsquerschnitts ist:
106 fbarn = 103 pbarn = 1 nbarn = 10−33 cm2
(1.16)
Die Zahl (~c)2 = 0.38937966 mbarn GeV2 = 0.38937966 × 106 nbarn GeV2 wird als
Konversionsfaktor bezeichnet.
Wir führen weitere Konstanten an (siehe auch Appendix ??):
1 GeV
c
~
αem
Gµ
=
=
=
=
=
1.519 × 1024 ~/sec
2.998 × 1010 cm/sec
6.582 × 10−25 GeV sec
1/137.06
1.166 × 10−5 /GeV2
(1.17)
(1.18)
(1.19)
(1.20)
(1.21)
Der Wirkungsquerschnitt ist ein Mass für die Zählraten am Beschleuniger:
N = L × T × σtot ,
(1.22)
wobei N die gemessene Zahl von Ereignissen ist, T die Messdauer, und die Luminosity L ist eine Beschleuniger- und Detektor-spezifische Grösse; z.B war bei LEP1
1032
LLEP = 2
cm sec
11
(1.23)
Abschnitt 1
Tord Riemann
Standardmodell & Beschleunigerphysik
Draft 2015-01-14 18:16
und beim LHC wird erreicht:4
1034
LLHC = 2
cm sec
(1.24)
Bei LEP beträgt ein typischer Wirkungsquerschnitt 1 nbarn = 10−33 cm2 . Für die
Hadron-Produktion am LEP ergibt sich ein Wert von etwa 20 nbarn. Ein typisches
Jahr hat 100 Tage, d.h. etwa 107 sec, und das bedeutet eine typische Zählrate von
1032
× 10−33 cm2 × 107 sec = 106 Ereignisse
N=
2
cm sec
(1.25)
Mit Millionen von Ereignissen
kann man erwarten, Wirkungsquerschnitte mit einer
√
Genauigkeit von etwa N/N = 10−3 , also von einem Promille, zu messen.
1.4
Einige experimentelle Fakten
Die Theorie der schwachen Wechselwirkungen muss eine Anzahl von experimentellen Fakten beschreiben:
• Massive Teilchen zerfallen in der Regel spontan in Mehrteilchenendzustände
leichterer Teilchen. Manchmal gibt es nur einen Zerfallskanal, manchmal auch
mehrere. Beispiele sind:
n →
µ− →
µ+ →
π+ →
π+ →
π+ →
p + e− + ν¯e
νµ + e− + ν¯e
ν̄µ + e+ + νe
e+ + νe
e+ + νe + γ
µ+ + νµ
(1.26)
(1.27)
(1.28)
(1.29)
(1.30)
(1.31)
• Betrachten wir (1.27). Das Übergangsmatrixelement hat die Form:
i
GF h
M = √ ψµ γr (1 − γ5 )ψν̄µ ψe γr (1 − γ5 )ψνe
2
(1.32)
Die totale Zerfallsrate (inverse Lebensdauer) berechnet sich daraus zu:
G2F 5
1
1
Γµ =
=
m
=
µ
τµ
192π3
(2.19703 ± 0.00004) × 10−6 s
(1.33)
4 Ein
Überblick zum LHC – Technik, Detektoren, Physikprogramm – wird im Vortrag von P. Sphicas (CERN) zu “The Upcoming
Dawn of CMS and the LHC” gegeben. Siehe alternativ: “Seminare des DESY in Zeuthen”.
12
Abschnitt 1
Tord Riemann
Standardmodell & Beschleunigerphysik
Draft 2015-01-14 18:16
Die Beziehung von Lebensdauer und Fermi-Konstante im Fermi-Modell lautet
genauer:
!"
!#
G2F 5
m2e
α 25
1+
mµ 1 − 8
− π2 ,
(1.34)
Γµ =
3
mµ 2
2π 4
192π
wobei die runden Klammern eine final-state Phasenraumkorrektur enthalten,
und die eckigen Klammern Einschleifen-QED-Korrekturen (1956-1959, [16,
17]). Die Stärke verschiedenster schwacher Zerfälle wird durch die universelle
Fermi-Konstante sehr genau beschrieben:
G F = 1.16637 × 10−5 GeV−2 .
(1.35)
Zweischleifen-QED-Korrekturen (1999, [18]) zu (1.34) bewirken, dass der Zahlenwert von 1.16639 zu 1.16637 korrigiert wird. Siehe auch Appendix ?? dazu
und Appendix ?? zu einer genaueren Behandlung des Phasenraumfaktors und
zur Berücksichtigung des W-Boson-Propagators. handelt. Später werden wir
die schwachen Korrekturen behandeln, die eine modfizierte Formel für die MyonLebensdauer ergeben, denn die Theorie sagt G F vorher, unter Berücksichtigung
von (1.34):
παem
(1 + ∆r) ,
(1.36)
GF = √
2
2s2W MW
wobei ∆r Korrekturen höherer Ordnung enthält. Für Details siehe Kapitel 4.6.2.1
in [3] und später folgende Lektionen.
• Die Zerfälle sind alle maximal paritätsverletzend, vom Typ γr (1 − γ5 ), d.h. die
Übergangsmatrixelemente sind wie in (1.32) von der Form ψA γr (1 − γ5 )ψB.5
• Es handelt sich um charged-current Reaktionen; elektrische Ladung wird zwischen den Strömen ausgetauscht.
• Die Zerfälle mit Hadronen (oder Mesonen) haben scheinbar eine etwas geringere Stärke als die rein leptonischen. Dieses Phänomen wird durch das CabibboMixing verursacht: Das u-Quark koppelt nicht nur an das d-Quark, sondern
an eine Mischung aus dem d-Quark und dem s-Quark, so dass sich der Kopplungsanteil des d-Quarks effektiv etwas vermindert.
• Während es eine Vielzahl von charged-current–Reaktionen gibt, sind vergleichbar starke neutral-current–Reaktionen, die nicht durch Photonen vermittelt
werden, lange Zeit nicht beobachtet worden: Flavor-changing neutral-current–
Reaktionen sind unterdrückt.
5 Wir erinnern daran, dass die Kombination 1 (1 − γ ) masselose freie Fermionen auf Zustände mit z-Spinkomponente entgegen der
5
2
Bewegungsrichtung projiziert.
13
Abschnitt 1
Tord Riemann
Standardmodell & Beschleunigerphysik
Draft 2015-01-14 18:16
• Die beschriebenen Eigenschaften von Zerfallsreaktionen zeigen auch die durch
schwache Wechselwirkungen vermittelten Streuprozesse an Beschleunigern oder
auch in Kernreaktoren. Beispiele sind:
νl + N → l + N̄, l = e± , µ± , N = p, n,
νl + e− → l + νe
(1.37)
(1.38)
wobei auch diese Reaktionen nur unter Beachtung der Erhaltung elektrischer
Ladung möglich sind.
• Neben der elektrischen Ladungserhaltung gibt es eine Reihe von weiteren Auswahlregeln, die formuliert wurden, um das Fehlen von kinematisch erlaubten
Reaktionen formal zu beschreiben. Dabei spielen die sogenannte Hyperladung
und die Strangeness eine wichtige Rolle.
Add text here.
• In Analogie zur QED erwartet man sogenannte Strahlungskorrekturen zu den
Matrixelementen wie (1.32). Eine renormierbare Quantenfeldtheorie, die das
leiten könnte, ist nicht ohne weiteres zu finden.
Die Formulierung und Ausarbeitung einer Theorie, die die aufgezählten Phänomene
auch quantitativ beschreibt, führt uns zum elektroschwachen Standardmodell. Das
ist der Gegenstand dieser Vorlesung.
Zusammen mit der Quantenchromodynamik (QCD) bildet die elektroschwache Theorie das Standardmodell der Elementarteilchen.
1.5
What will be assumed to be known
Unsere Vorlesungen setzen gedanklich voraus einen Zyklus von Vorlesungen mit
einer Einführung zu formalen Aspekten der Quantenfeldtheorie, wie sie etwa an der
Universität Dresden von Professor Dominik Stöckinger angeboten wird.
Nevertheless, in a one-semester course of about thirteen lectures it is impossible
to introduce the complete theoretical framework needed here for a well-founded understanding of the Standard model as a field theory. We will assume that the basic
facts on field quantization, the derivation of the perturbative series and of Feynman
rules are known [or may be intuitively understood].
A nice open-source introduction to the corresponding formulae may be found
from Maria-Laach-Vorlesungen 2004 by Thorsten Ohl:
http://maria-laach.physik.uni-siegen.de/Folien/2008/Ohl/Laach2008.
pdf
http://maria-laach.physik.uni-siegen.de/Folien/2008/Ohl/Laach2008-loesunge
14
Abschnitt 1
Tord Riemann
Standardmodell & Beschleunigerphysik
Draft 2015-01-14 18:16
pdf
A similar Presentation is given by Thomas Binoth at the Maria Laach School in 2004:
http://maria-laach.physik.uni-siegen.de/2004/Folien/Binoth/binoth.
ps.gz is given by Thomas Binoth at Maria Laach School in 2004.
References
[1] T. D. Gutierrez, webpage http://nuclear.ucdavis.edu/ tgutierr/files/stmL1.html.
[2] M. J. G. Veltman, Diagrammatica: The Path to Feynman Rules. Cambridge, UK: Univ. Pr. (1994) 284 p. (Cambridge
lecture notes in physics, 4).
[3] M. Böhm, A. Denner, H. Joos, Gauge Theories of the Strong and Electroweak Interaction, 3rd Edition, B.G. Teubner,
Stuttgart, Leipzig, Wiesbaden, 2001, 789 p.
[4] C. Berger, Elementarteilchenphysik - Von den Grundlagen zu den modernen ExperimentenSpringer, Berlin, Heidelberg, New York, 2. Auflage 2006, 496 S.
[5] A. Akhundov, A. Arbuzov, S. Riemann, T. Riemann, ZFITTER 1985-2013 (2013). arXiv:1302.1395v2.
URL http://arxiv.org/abs/1302.1395v2;http://arxiv.org/pdf/1302.1395v2
[6] G. Aad, et al., Observation of a new particle in the search for the Standard Model Higgs boson with the ATLAS
detector at the LHC, Phys. Lett. B716 (2012) 1–29. arXiv:1207.7214, doi:10.1016/j.physletb.2012.08.
020.
[7] S. Chatrchyan, et al., Observation of a new boson at a mass of 125 GeV with the CMS experiment at the LHC, Phys.
Lett. B716 (2012) 30–61. arXiv:1207.7235, doi:10.1016/j.physletb.2012.08.021.
[8] Press release from Royal Swedish Academy of Sciences, 8 October 2013, available from http://www.
nobelprize.org/nobel_prizes/physics/laureates/2013/press.pdf.
[9] The Class for Physics of the Royal Swedish Academy of Sciences. Scientific Background on the
Nobel Prize in Physics 2013:
The BEH-Mechanism, Interactions with Short Range Forces and
Scalar Particles. Available from http://www.nobelprize.org/nobel_prizes/physics/laureates/2013/
advanced-physicsprize2013.pdf.
[10] Blue-band plot of the LEPEWWG (March 2012),
winter2012/w12_blueband.pdf.
http://lepewwg.web.cern.ch/LEPEWWG/plots/
[11] Webpage of the ZFITTER project, http://zfitter.com.
[12] D. Bardin, M. Bilenky, P. Christova, M. Jack, L. Kalinovskaya, A. Olchevski, S. Riemann, T. Riemann, ZFITTER v.6.21: A semi-analytical program for fermion pair production in e+ e− annihilation, Comput. Phys. Commun. 133 (2001) 229–395, doi:10.1016/S0010–4655(00)00152–1. arXiv:hep-ph/9908433, doi:10.1016/
S0010-4655(00)00152-1.
[13] A. Arbuzov, M. Awramik, M. Czakon, A. Freitas, M. Grünewald, K. Mönig, S. Riemann, T. Riemann, ZFITTER:
A Semi-analytical program for fermion pair production in e+ e− annihilation, from version 6.21 to version 6.42,
Comput. Phys. Commun. 174 (2006) 728–758. arXiv:hep-ph/0507146, doi:10.1016/j.cpc.2005.12.009.
[14] C. Amsler, et al., Review of particle physics, Phys. Lett. B667 (2008) 1. doi:10.1016/j.physletb.2008.07.
018.
[15] D. E. Groom, et al., Review of particle physics, Eur. Phys. J. C15 (2000) 1–878.
[16] R. E. Behrends, R. J. Finkelstein, A. Sirlin, Radiative corrections to decay processes, Phys. Rev. 101 (1956) 866–873.
doi:10.1103/PhysRev.101.866.
[17] T. Kinoshita, A. Sirlin, Radiative corrections to Fermi interactions, Phys. Rev. 113 (1959) 1652–1660. doi:10.
1103/PhysRev.113.1652.
[18] T. van Ritbergen, R. G. Stuart, Complete 2-loop quantum electrodynamic contributions to the muon lifetime in the
Fermi model, Phys. Rev. Lett. 82 (1999) 488–491. arXiv:hep-ph/9808283, doi:10.1103/PhysRevLett.82.
488.
15
Abschnitt 1
Tord Riemann
2
Standardmodell & Beschleunigerphysik
Draft 2015-01-14 18:16
Teil 02: Lokale Eichinvarianz
Die Quantenelektrodynamik ist eine qualitativ und quantitativ erfolgreiche Beschreibung der Wechselwirkung von elektrisch geladenen Teilchen und Photonen. Sie erlaubt die Berechnung von sogenannten Strahlungskorrekturen im Rahmen der quantenfeldtheoretischen Störungstheorie für eine Vielzahl von Observablen. Die Renormierung – Beseitigung der sogenannten Ultraviolett- (UV-) Singularitäten – ist durch
die Eichinvarianz der Theorie unter Verwendung endlich vieler Renormierungskonstanten zu allen Ordnungen der Störungstheorie möglich.
Diesem Beispiel folgend soll eine Theorie gefunden werden, die analoges leistet
auch für die starken und schwachen Wechselwirkungen, und möglicherweise auch
für die Gravitation. Eine vereinheitlichte Beschreibung der verschiedenen Wechselwirkungen in einer höhersymmetrischen Theorie wäre dabei natürlich wünschenswert.
Es hat sich gezeigt, dass tatsächlich ein Standardmodell der elektroschwachen und
starken Wechselwirkungen formuliert werden kann, indem man Lagrangefunktionen
mit nichtabelscher Eichsymmetrie postuliert, deren Symmetrie spontan gebrochen
ist (Higgs-Mechanismus), d.h. durch die Annahme eines nicht-symmetrischen Vakuumzustands der Theorie bei zugleich ungebrochen lokal eichinvarianten Wechselwirkungen.
In dieser Vorlesung behandeln wir:
• Freie Felder
• Invarianz der QED bei abelschen lokalen Eichtranformationen der U(1)-Gruppe
• Invarianz der Yang-Mills-Theorie bei nicht-abelschen lokalen Eichtranformationen der SU(N)-Gruppe
2.1
Freie Felder
Eine systematische Darstellung der Grundlagen der Quantenfeldtheorie wird in den
Vorlesungen “Quantenphysik II” und “Quantenfeldtheorie” gegeben. Wir folgen
hier, insbesondere auch bei der Wahl der Konventionen, dem Lehrbuch [1].
Freie Teilchen mit Spin s= 12 werden durch 4-komponentige Dirac-Spinoren Ψa (x)
beschrieben. Diese genügen der Dirac-Gleichung:
0 = (iγ∂ − m) Ψ(x)
4 X
µ
=
iγαβ ∂µ − m 1αβ Ψβ (x).
(2.1)
(2.2)
α=1
16
Abschnitt 2
Tord Riemann
Standardmodell & Beschleunigerphysik
Draft 2015-01-14 18:16
Das freie Dirac-Feld hat Komponenten mit Erzeugungsoperatoren a+ , b+ und Vernichtungsoperatoren a, b und definierter Projektion des Drehimpulses auf die Bewegungsrichtung j3 = ± 12 ( j3 ist Erhaltungsgrösse):
Z
i
1 X d3 p̄ h
−ipx
+
+ipx
Ψα (x) =
u
(p,
j
)a
(p)e
+
v
(p,
j
)b
(p)e
. (2.3)
α
α
3 j3
3 j3
2E p
(2π)3 j
3
Die Bezeichnungen sind:
px = p0 x0 − p̄ x̄
p0 = E p
(2.4)
(2.5)
und es gilt
p2
Ψ̄
o
n
Ψα (x), Ψα0 (x0 ) = Ψ̄α (x), Ψ̄α0 (x0 )
o
n
Ψα (x), Ψ̄α0 (x0 )
= m2
= Ψ+ γ0
= 0
(2.6)
(2.7)
(2.8)
= iS αα0 (x − x0 , m)
= (iγ∂ + m)i∆(x − x0 , m)
(2.9)
mit
1
∆(x − x , m) = −
(2π)3
0
Z
d4 pδ(p2 − m2 )sign(p0 )e−ipx
Die γ-Matrizen erfüllen die Relationen
{γµ , γν } = γµ γν + γν γµ = 2gµν 1
i
γ5 = iγ0 γ1 γ2 γ3 = − µνρσ γµ γν γρ γσ
4!
2.2
(2.10)
(2.11)
(2.12)
Lokale Eichinvarianz der Quantenelektrodynamik (QED)
Der Lagrangean der QED lautet:
h
i
1
LQED = − Fµν F µν + Ψ̄ iγµ ∂µ − m − eQγµ Aµ Ψ
4
(2.13)
Bei einer lokalen Eichtranformation des Spinorfeldes hängt der Eichparameter θ(x)
vom Ort x ab:
Ψ(x)0 = e−ieQθ(x) Ψ(x)
Ψ̄(x)0 = Ψ̄(x)e+ieQθ(x)
17
(2.14)
(2.15)
Abschnitt 2
Tord Riemann
Standardmodell & Beschleunigerphysik
Draft 2015-01-14 18:16
Hier ist e die Elementarladung mit
e2
αem =
= 1/137.03600.
4π
(2.16)
und Q die Ladung des jeweiligen Fermions. Insbesondere gilt für das Elektron
Q(e) = −1.
(2.17)
Der Feldstärketensor Fµν hängt mit dem Vektorfeld Aµ (x) zusammen:
Fµν = ∂µ Aν − ∂ν Aµ .
(2.18)
Betrachten wir nun das Transformationsverhalten des Spinorteils des Lagrangeans:
i
h
(2.19)
L0QED = Ψ̄0 iγµ ∂µ − m − eQγµ A0µ Ψ0
h
i
= Ψ̄(x)e+ieQθ(x) iγµ ∂µ − m − eQγµ A0µ e−ieQθ(x) Ψ(x)
h
i
= Ψ̄(x) iγµ ∂µ − m − eQγµ A0µ + iγµ ∂µ e−ieQθ(x) Ψ(x)
Bei globaler Eichinvarianz wäre θ = const., und wir hätten A0 = A. Der Unterschied
zur globalen Eichinvarianz entsteht hier durch den Term
h
i
iγ∂ e−ieQθ(x) Ψ(x) = eQγ (∂θ(x)) + iγ∂ e−ieQθ(x) Ψ(x)
(2.20)
Der Zusatzterm e−ieQθ(x) Ψ(x) eQγ∂θ(x) kann kompensiert werden, indem eine entsprechende
Eichtransformation auf das Vektorfeld angewendet wird:
A(x)0 = A(x) + ∂θ(x)
(2.21)
Dadurch wird der Spinorteil des Lagrangeans invariant gegenüber lokalen Eichtransformationen. Unabhängig davon ist auch der Feldstärketensor eichinvariant:
h
i
0
Fµν = ∂µ [Aν + ∂ν θ(x)] − ∂ν Aµ + ∂µ θ(x)
(2.22)
= Fµν ,
weil [∂µ ∂ν − ∂ν ∂µ ]θ(x) = 0.
Die Forderung nach Eichinvarianz der Theorie wird durch die sogenannte minimale Kopplung erfüllt. Sie erlaubt zugleich, die Wechselwirkung von Materieteilchen
und Photonen zu finden.
Wir fassen zusammen. Die Lagrangefunktion der QED enthält die minimale Kopplung von Spinoren und Vektorteilchen:
h
i
1
(2.23)
LQED = − Fµν F µν + Ψ̄ iγ∂ − m − eQAµ γµ Ψ
4
18
Abschnitt 2
Tord Riemann
Standardmodell & Beschleunigerphysik
Draft 2015-01-14 18:16
Die Felder transformieren sich unter einer lokalen Eichtransformation mit dem Eichparameter θ(x):
Ψ0 = e−ieQθ(x) Ψ
Ψ̄0 = Ψ̄e+ieQθ(x)
A0µ = Aµ + ∂µ θ(x)
(2.24)
(2.25)
(2.26)
Unter einer kombinierten Anwendung dieser drei Transformationen ist die LagrangeFunktion invariant.
Der Term − 14 Fµν F µν ist alleine eichinvariant. Da er bilinear ist, enthält er keine
Wechselwirkungsterme.
2.2.1 e+ e− -scattering with photon exchange ... ist nicht ausgearbeitet ...
The Lagrangean of QED describes many of the physical phenomena of everyday life,
atomic physics, optics etc. In our context, it is worth mentioning that the quantum
field theory of electromagnetism allows to evaluate perturbative quantum corrections
to basic processes originating from higher order corrections. A systematic presentation of the apparatus of quantum field theory is well beyond the scope of this lecture
course. We just like to mention here that a systematic perturbative expansion of scattering amplitudes may be derived and interpreted in terms of Feynman diagrams.
The Feynman diagrams may be constructed with Feynman rules. The Feynman rules
contain interaction vertices, in case of QED there is only one such object:
e-e-g vertex
Let us have a look at e+ e− -annihilaion. This reaction is used in particle accelerators for the discovery and production of other particles and for the study of their
properties. The simplest reaction is:
The corresponding cross-section may be evaluated to be:
For quark-pair production, one has a factor of three compared to muon-pair production due to the incoherent production of three different kinds of quarks. This
reflects the existence of the color quantum number.
Experimentally, this has been studied by measuring the ratio of two cross-sections,
σhadrons
R =
σµ
X
=
,
(2.27)
Q2µ
19
Abschnitt 2
Tord Riemann
Standardmodell & Beschleunigerphysik
Draft 2015-01-14 18:16
where for the hadronic cross-section some theoretical ansatz has to be chosen. The
correct one is, in certain kinematical regions, due to quark-pair production (ideally
with higher-order corrections). One calculates the incoherent sum over quark pair
production cross-sections:
P
Ncolor q Q2q
(2.28)
R =
Q2µ
This is a truly simple observable, and it allows to measure e.g. the color degrees
of freedom, or to check on the charges of “open” quark degrees of freedom. Open
degrees are those which are accessible by the kinematics, i.e. are not too heavy to be
produced.
Nature is much richer than quantum electrodynamics, and for that reason we have
to go on.
2.3
SU(N)-Symmetrien
Die Elementarteilchen, ihre statischen Eigenschaften und ihre Wechselwirkungen
weisen auf Symmetrien der SU(N)-Gruppen hin:
• Zerfälle von schwach wechselwirkenden Teilchen zeigen Isospin-Symmetrie,
die als Invarianz unter der Gruppe SU(2) interpretiert werden kann;
• Die Wechselwirkungen stark wechselwirkender Teilchen zeigen SU(3)-Symmetrie,
d.h. sie können beschrieben werden, indem die Teilchen in entsprechenden Multipletts angeordnet werden. Es gibt allerdings zunächst keine Kandidaten für die
Fundamentale Darstellung (Quarks in Triplets).
Kann man diese Beobachtungen zur Konstruktion einer Feldtheorie benutzen, die
diese Wechselwirkungen dann auch quantitativ beschreibt? Beispielhaftes Vorbild
ist die Quantenelektrodynamik mit lokaler U(1)-Symmetrie:
Die Renormierbarkeit von Quantenfeldtheorien und die Einschränkung der Form
von Wechselwirkungstermen in der Lagrange-Funktion erfordern das Vorhandensein
von lokaler Eichinvarianz.
2.4
Einige Begriffe
Die Felder (der Materie-Teilchen) formen Multiplets (Vektoren) Ψi , mit i = 1 · · · n,
die sich entsprechend einer Darstellung Dg einer Symmetriegruppe G mit den Elementen g ∈ G transformieren.
Die Generatoren T a werden durch (n × n)-Matrizen dargestellt.
20
Abschnitt 2
Tord Riemann
Standardmodell & Beschleunigerphysik
Draft 2015-01-14 18:16
Die lokale Eichtransformation der Felder ist dann:
a
Ψi (x) → Ψi (x)0 = eiθa (x)T i j Ψ j (x)
(2.29)
wobei exp[iθa (x)T a ] ebenso wie T a durch (n × n)-Matrizen dargestellt werden kann;
infinitesimale Transformationen sind z.B.:
h
i
iδθT
2
e
= 1 + iδθT + O (δθ) ,
(2.30)
mit infinitesimal kleinem δθ(x). Globale Eichinvarianz gilt für θa (x) = const or δ θ =
0.
Wir nehmen nun an, die Materiefelder (Spinorfelder) seien in der fundamentalen
Darstellung (Darstellung der Gruppe G mit kleinster Dimension).
2.4.1
SU(2)-Gruppe
Die fundamentale Darstellung ist zweidimensional, die Multiplets sind Dublets. Die
entsprechenden Generatoren sind (bis auf einen Faktor) die drei Pauli-Matrizen τa :
T
a
τa
=
2
Eine Darstellung der Pauli-Matrizen:
!
!
!
0
1
0
−i
1
0
τ1 =
, τ2 =
, τ3 =
1 0
i 0
0 −1
(2.31)
(2.32)
Produkt und Summe von Gruppenelementen sind wieder Gruppenelemente. Die
Kommutatorrelationen der Gruppengeneratoren T a definieren die Strukturkonstanten f abc der Gruppe:
h
i
T a , T b = i f abc T c
(2.33)
Die Paulimatrizen erfüllen die Relation:
τa τb = δab + i abc τc
(2.34)
woraus unmittelbar folgt, dass die Strukturkonstanten der SU(2) lauten:
f abc = abc .
(2.35)
Hier ist abc der total antisymmetrische Tensor; die nicht verschwindenden Elemente
sind:
123 = 231 = 321 = − 132 = − 231 = − 321 = 1.
21
(2.36)
Abschnitt 2
Tord Riemann
Standardmodell & Beschleunigerphysik
Draft 2015-01-14 18:16
Die (n × n)-Matrizen der Darstellung der Symmetriegruppe formen eine Lie-Algebra
der Gruppe. Die Ordnung der Gruppe oder auch Dimension der Gruppe ist die
Anzahl der unabhängigen Generatoren (Erzeugenden).
Der Rang r der Gruppe ist die maximale Anzahl der vertauschenden Generatoren.
SU(3): r=2.
Beispiel: Die Gruppe der unitären (N × N)-Matrizen mit Determinante 1, SU(N), hat
N 2 − 1 Generatoren: für SU(2): 3 Generatoren, und für SU(3): 8 Generatoren.
Für semi-simple kompakte Gruppen können die Strukturkonstanten total antisymmetrisch gewählt werden. Für die SU(2) ist das mit den abc evident.
Neben der fundamentalen Darstellung ist im weiteren die adjungierte Darstellung
der Gruppe wichtig. Sie wird durch die Strukturkonstanten f abc definiert:
a
T adj
= −i f abc
(2.37)
bc
Das sind also für die Gruppe SU(N) jeweils N 2 − 1 Matrizen der Dimension N. Für
die SU(2):


0 0 0 


1
1ab
T ad
= 0 0 −i ,
(2.38)
j = (−i)


0 i 0


0 0 −i


2
2ab
T ad
= 0 0 0  ,
(2.39)
j = (−i)


i 0 0


0 −i 0


3
3ab
i
0
0
T ad
=
(−i)
=
(2.40)


j

0 0 0
2.4.2
SU(3)-Gruppe
Die Gruppe SU(3) definiert die Symmetrie-Eigenschaften der starken Wechselwirkungen und wird in dieser Vorlesung nicht im Zentrum stehen. Trotzdem seien hier kurz
einige grundlegende Eigenschaften gegeben.
Die fundamentale Darstellung ist dreidimensional, und die Materiefelder werden
in Triplets zusammengefasst. Die Generatoren in dieser Darstellung sind (wieder bis
auf eine Konstante) die acht Gell-Mann-Matrizen λa :
Ta =
22
λa
,
2
(2.41)
Abschnitt 2
Tord Riemann
Standardmodell & Beschleunigerphysik
Draft 2015-01-14 18:16
mit
λ1
λ4
λ7

0

= 1

0

0

= 0

1

0

= 0

0




1 0
1 0
0 −i 0



3
2 


0 0 , λ =  i 0 0 , λ = 0 −1




0 0
0 0 0
0 0




0 1
0 0
0 0 −i



6
5 
0 0 , λ = 0 0 0  , λ = 0 0




0 10
i 0 0
00



0 0 
1 0 0 
1 


8
0 −i , λ = √ 0 1 0 

3 0 0 −2
i 0

0

0

0

0

1

(2.42)
Zwei Generatoren sind diagonal, der Rang der Gruppe ist also zwei: λ3 , λ8 .
Die Strukturkonstanten f abc der SU(3)-Gruppe können total antisymmetrisch gewählt
werden. Sie können wieder benutzt werden zur Darstellung der acht Generatoren in
der adjungierten Darstellung, die hier 8x8-Matrizen sind:
bc
a
= −i f abc ,
(2.43)
T adjg.
mit den folgenden Werten nichtverschwindender Strukturkonstanten:
f 123 = +1
1
f 147 = − f 156 = f 246 = f 257 = f 345 = − f 367 =
2√
3
f 458 = f 678 =
2
2.5
(2.44)
(2.45)
(2.46)
Lokal eichinvariante, nicht-Abelsche Wechselwirkungen: Yang-Mills-Theorien (1954)
Wir kommen nun zur lokalen Eichinvarianz von Lagrangefunktionen, die bei Transformationen der Gruppe G invariant sein sollen.
Die Verallgemeinerung zu nicht-Abelschen Gruppen führt zu bemerkenswerten
Konsequenzen, die im Artikel “Conservation of Isotopic Spin and Isotopic Gauge
Invariance”, C.N.Yang and Mills, Phys. Rev. 96 (1954) 91 [2] untersucht wurden.
Die Autoren betrachten Kernkräfte und versuchten deren Beschreibung als Wechselwirkungen mit Isospin-Invarianz (die ja beobachtet wurde) bei lokalen Eichtransformationen.
Als Multiplet stelle man sich ein Dublet von Proton und Neutron vor. Es zeigt
sich, dass Invarianz unter lokalen Isospin-Rotationen die Existenz von “b-Feldern”
23
Abschnitt 2
Tord Riemann
Standardmodell & Beschleunigerphysik
Draft 2015-01-14 18:16
erfordert (dies in Analogie zum Vektorfeld der QED), die nichtlineare Differenzialgleichungen erfüllen. Diese “b-Felder” müssen Spin=1, Isospin=1, und drei elektrische Ladungszustände mit Q = ±e und Q = 0 haben. Nichtlineare Differenzialgleichungen für diese Felder bedeuten, abweichend von den Photonen der QED, dass
diese Felder Selbstwechselwirkungen haben. Die Masse der “b-Felder” scheint, wie
auch die der Photonen, wegen der Eichinvarianz Null sein zu müssen. Das war aber
1954 eine Killer-Eigenschaft, weil masselose Überträger von Isospin-verändernden
Wechselwirkungen nicht beobachtet wurden.
Die kovariante Ableitung ist allgemein:
Dµ,i j (x) = ∂µ − igAbµ (x)T ibj
(2.47)
wobei die Generatoren T b hier natürlich wieder in der fundamentalen Darstellung
mit den Spinor-Multipletts wirken sollen.
In der Gruppe SU(2) gibt es drei Generatoren in der fundamentalen Darstellung als
2x2-Matrizen.
In der Gruppe SU(3) gibt es acht Generatoren in der fundamentalen Darstellung als
3x3-Matrizen.
Wie jedoch transformieren sich die Eichfelder Abµ ?
Die Transformationen der Eichfelder sollen diejenigen der Materiefelder kompensieren.
Es muss ebenso viele Generatoren geben, wie es Eichfelder gibt.
Also wählt man die Generatoren der Transformationen der Eichfelder in der adjungierte Darstellung, von der man genau diese Eigenschaft kennt:
Eichfelder transformieren sich entsprechend der adjungierten Darstellung der Eichgruppe. Die Generatoren sind die Strukturkonstanten f abc , siehe (2.37).
In der Gruppe SU(2) gibt es drei Generatoren als 3x3-Matrizen in der adjungierten
Darstellung, und für die SU(3) sind es acht 8x8-Matrizen.
Der Feldstärketensor und die Lagrangefunktion werden daher wie folgt angesetzt:
a
(x) = ∂µ Aaν (x) − ∂ν Aaµ (x) + g f abc Abµ (x)Acν (x) und kein Massenterm (2.48)
Fµν
h
i
1 a
LY M = − Fµν
(x)F µν,a (x) + Ψ̄(x) iγµ Dµ,i j (x) − m 1i j Ψ(x)
(2.49)
4
Ohne den Term mit f abc Abµ Acν , den es in der QED nicht gibt, gibt es auch keine
Selbstwechselwirkung der Eichfelder Abµ (x).
Die folgenden infinitesimalen Feldtransformationen lassen die Lagrangedichte invariant:
Ψ0i (x) = eiδθ
24
a (x)T a
ij
Ψ j (x)
(2.50)
Abschnitt 2
Tord Riemann
Standardmodell & Beschleunigerphysik
a
a
Ψ̄i (x)0 = Ψ̄ j (x)e−iδθ (x)T ji
1 ad j
Ai0µ (x) = Aiµ (x) + Dµ,i j (x) δθ j (x)
g
Draft 2015-01-14 18:16
(2.51)
(2.52)
In (2.52) ist die kovariante Ableitung (2.47) in der adjungierten Darstellung zu verwenden, in (2.49) jedoch in der fundamentalen Darstellung. Es folgt aus der Transformationsregel für die Eichfelder Aiµ (x) diejenige für den Feldstärketensor:
Fµν,i (x)0 = Fµν,i (x) + f i jk Fµν, j (x) δθk (x)
(2.53)
In der QED ist (siehe (2.22)):
Fµν (x)0 = Fµν (x)
(2.54)
Der Lagrangean für die Eichfelder alleine ist eichinvariant, der für die Spinorfelder
alleine ist das nicht der Fall.
Exemplifizieren.
Verglichen mit den experimentellen Erfahrungen, sind die bis hier angeführten
Formeln nicht sehr nützlich.
Man erwartet, dass Eichbosonen der schwachen Wechselwirkung, fals es sie gibt,
massiv sind. Das liest man zum Beispiel aus der Fermi-Konstanten ab, die dimensionsbehaftet ist. Das wäre eine natürliche Tatsache, wenn die Fermi-Konstante reflektieren würde, dass die Energieskala der Wechselwirkungen, die sie beschreibt,
sehr klein ist im Vergleich zur Eichbosonmasse:
"
#
GF
g 2
1
g2
M∼ √ ∼ √
→
(2.55)
2
2
8MW
2
2 2 p2 − MW
Exemplifizieren.
Wären jedoch die Eichbosonen massiv, wäre der Lagrangean nicht mehr eichinvariant, wie man leicht sieht:
blablabla
Um eine Yang-Mills-Theorie zur Beschreibung der Elementarteilchen-Wechselwirkungen
anwenden zu können, ist es also notwendig, entweder massive Eichbosonen in das
Kalkül einzubeziehen, oder zu verstehen, weshalb es zwar masselose Eichbosonen
gibt, sie sich jedoch der Beobachtung entziehen. Erstaunlicherweise scheint die
Natur beide Varianten realisiert zu haben, und jede von ihnen ist in der Realisierung
durchaus komplexer Art.
Ersteres ist durch den Higgsmechanismus gelungen und ermöglichte die Formulierung der Theorie der elektroschwachen Wechselwirkungen.
25
Abschnitt 2
Tord Riemann
Standardmodell & Beschleunigerphysik
Draft 2015-01-14 18:16
Letzteres erwies sich als Schlüsselansatz zur Quantenchromodynamik als Theorie
der starken Wechselwirkungen.
Ein weiteres Problem bestand darin, dass die (charged-current) schwachen Wechselwirkungen maximal paritätsverletzend sind. Es ist aber evident, dass naiv konstruierte Massenterme für chirale Fermionen verschwinden:
Lm f = const m f (ψ¯L )ψL = const m f ψ̄RLψ = 0
(2.56)
Es gelten für die chiralen Projektoren L und R
1
(1 − γ5 ),
2
1
R = (1 + γ5 )
2
L =
(2.57)
(2.58)
die üblichen Eigenschaften L2 = L, R2 = R, LR = 0, L + R = 1.
Wir verwenden hier auch, dass (ψ¯L ) = (ψL )† γ0 = (Lψ)† γ0 = ψ† L† γ0 = ψ† Lγ0 =
−ψ† γ0 R etc.
Siehe dazu auch Appendix ??.
Eine Anwendung der sehr eleganten Idee lokaler nicht-abelscher Eichinvarianz
hing also entscheidend davon ab, Teilchenmassen konsistent zu beschreiben. Für die
schwachen Wechselwirkungen leistet das der Higgsmechanismus.
References
[1] M. Böhm, A. Denner, H. Joos, Gauge Theories of the Strong and Electroweak Interaction, 3rd Edition, B.G. Teubner,
Stuttgart, Leipzig, Wiesbaden, 2001, 789 p.
[2] C.-N. Yang, R. L. Mills, Conservation of isotopic spin and isotopic gauge invariance, Phys. Rev. 96 (1954) 191–195.
doi:10.1103/PhysRev.96.191.
26
Abschnitt 2
Herunterladen