Herausforderung „Verhaltensstörungen“ Ein Impulsreferat 1 Welche Assoziationen haben Sie zum Stichwort „Verhaltensstörung“? • • • • • • • Problemverhalten Herausforderndes Verhalten Störung des Sozialverhaltens Verhaltensbehinderung Verhaltensbeeinträchtigung Verhaltensstörung Sonderpädagogischer Förderbedarf im Bereich sozial- emotionale Entwicklung 2 Ist dieses „Phänomen“ neu? „Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet die Autorität. Sie widersprechen ihren Eltern, legen ihre Beine übereinander und tyrannisieren die Lehrer“ Nimmt die Zahl der Schüler mit Verhaltensstörungen zu? Ärzteverband: Ja. Ursachen: Gesellschaft, Leistungsdruck, mangelnde Elternkompetenz Berufsverband der Psychotherapeuten: Ja. Gab es schon immer, aber wir sehen eine Zunahme vor allem bei Jugendlichen Ursachen: Familie als fehlendes Vorbild, lebt keine Orientierung vor 3 GEW: Beobachtet eine Zunahme. (Sagen die Grundschullehrer) Tendenz lässt sich schon in den KITAs beobachten Ursache: mangelnde Fähigkeit zur Konzentration, Defizite im Kommunikations- und Sozialverhalten Berufsverband für Kinder- und Jugendpsychiatrie: Warnt vor einer Zunahme psychischer Störungen Ursache: zu wenig Betreuung durch ausreichende Facharztpraxen und Therapeutenteams Arbeitsgemeinschaft psychiatrischer Krankenhäuser: 20% der Minderjährigen haben Auffälligkeiten Ursache: sozial schwache Familien keine angemessene Behandlung Was macht das mit Ihnen? 4 Wahrnehmungsprozess 1. Es werden häufig problematische „Fälle“ vorgeführt (Wer interessiert sich schon für normale und unauffällige Kinder) 2. (Einzel)fälle werden häufig verallgemeinert 3. Tendenz der inklusiven Bildung wird als problematisch angesehen (historische Perspektive der Separation) 4. „Problematische“ Kinder und Jugendliche müssen zu ihrer besseren Förderung und zum „Schutz der Anderen“ separiert werden. • Das „Phänomen Verhaltensstörung“ ist weder neu, noch nimmt es zu. • Sie sind nicht hilflos Prozessen ausgeliefert, die Sie nicht beeinflussen können. • Es ist nie zweifelsfrei nachgewiesen worden, dass separierte Förderung „behinderte“ Kinder und Jugendliche besser fördert. (Vgl.Hildeschmidt/ Sander 1996; Wocken 2007) 5 Ist jedes unangepasste normwidrige Verhalten eine „Verhaltensstörung“? Ein kleiner Exkurs in die „Abgründe“ menschlichen Verhaltens Menschliches Verhalten ist determiniert durch • Situation • Motivation • Verhaltenserwartung der Interaktionspartner 6 Wir orientieren uns weniger nach Regeln und Geboten/ Verboten, sondern nach Situationen und dem emotionalen Gewinn unter Berücksichtigung möglicher Konsequenzen Tempo 30 7 Wir bitten Sie, die Einkaufskörbe in die dafür vorgesehenen Boxen zu stellen. Vielen Dank. Wir bitten Sie, die Liegen am Pool nicht vor 10.00 Uhr zu belegen 8 Laut Statistik verzeichnen Hotelbesitzer jedes Jahr einen Verlust durch Diebstahl in Höhe von 10.000 bis 15.000 € Handtücher Bücher Kugelschreiber Seifenspender Bademäntel Gläser Shampoo Dekoration Kleiderbügel STOP 9 Ausgangsfragestellung Wann sprechen wir von einer „Verhaltensstörung“ im (sonder)pädagogischen Sinn? • • • • Die Definition von problematischen Verhalten fällt schwer, da es fließende Übergänge zum Normbereich von Verhalten gibt. Leitner (S.15/2007) schlägt vor: Problemverhalten lässt sich als Verhalten beschreiben: das auf den sich verhaltenden Menschen selbst und/oder seine Umwelt und Mitwelt über einen längeren Zeitraum belastend und verunsichernd wirkt das in der Auswahl und Intensität nicht der Situation angepasst erscheint das Entwicklungsmöglichkeiten behindert, anstatt sie zu fördern das eine Diskrepanz zwischen erwartetem und gezeigtem Verhalten aufweist 10 Myschker (2002) • Eine Verhaltensstörung ist ein von den zeit- und kulturspezifischen Erwartungsnormen abweichendes Verhalten, das organogen und/ oder mileureaktiv bedingt ist, wegen der Mehrdimensionalität, der Häufigkeit und des Schweregrades die Entwicklungs-, Lern- und Arbeitsfähigkeit sowie das Interaktionsgeschehen in der Umwelt beeinträchtigt und ohne besondere pädagogisch- therapeutische Hilfe nicht oder nur unzureichend überwunden werden kann. 11 Klassifikationen (nach Myschker) Kinder- und Jugendliche mit externalisierendem, aggressiv- ausagierendem Verhalten aggressiv, überaktiv, impulsiv, aufsässig, tyrannisierend regelverletzend Aufmerksamkeitsstörungen Kinder- und Jugendliche mit ängstlich, traurig, internalisierendem, ängstlich interessenlos, gehemmtem Verhalten zurückgezogen, freudlos, somatische Störungen, kränkelnd, Schlafstörungen, Minderwertigkeitsgefühle Klassifikation Kinder und Jugendliche mit sozial unreifem Verhalten nicht altersentsprechend, leicht ermüdbar, konzentrationsschwach Kinder und Jugendliche Verantwortungslos, mit sozialisiertreizbar, aggressiv, delinquentem Verhalten gewalttätig, leicht frustriert, Normen missachtend, Beziehungsstörungen 12 Spezielle Störungen • Übermäßige Angst/ Aggressivität • Hirnschädigungen/ Hyperaktivität/ Aufmerksamkeitsstörungen/ Cerebrale Funktionsstörungen/Lernstörungen • Psychophysische Störungen wie: Essen von Ungenießbarem, Magersucht, Bulimie, Fettsucht • Suizidalität • Psychopathologische Syndrome wie: Schizophrenie, Depressivität, Frühkindlicher Autismus, BorderlineSyndrom, Epilepsie • Delinquentes Verhalten/ Kriminalität/ Drogenabhängigkeit Verwandte Begriffe Termini aus folgenden Bereichen: Medizin Psychologie Kinder- und Jugendhilfe Rechtswissenschaft… Zur Inanspruchnahme bestimmter Hilfen (z.B. Begriff „Seelische Behinderung“) 13 Assistenz vs. Therapie Was können wir leisten? • • • • • • • Aufmerksamkeitsstörung Minderwertigkeit Konzentrationsschwach Frustration Normen missachtend Beziehungsstörungen Ängstlichkeit Christopher 14 Faktoren, die das Verhalten bestimmen (psychische Prozesse) Erkenntnisprozesse Wahrnehmen und Bewerten von Situationen: z.B. Auslöser von Konflikten Die Geschichte mit dem Hammer Ein Mann will ein Bild aufhängen. Den Nagel hat er, nicht aber den Hammer. Der Nachbar hat einen. Also beschließt der Mann, hinüberzugehen und ihn auszuborgen. Doch da kommen ihm Zweifel: Was, wenn der Nachbar mir den Hammer nicht leihen will? Gestern grüßte er mich nur so flüchtig. Vielleicht war er in Eile. Aber vielleicht war die Eile nur vorgeschützt, und er hat etwas gegen mich. Und was? Ich habe ihm nichts getan, der bildet sich da was ein. Wenn jemand von mir ein Werkzeug borgen wollte, ICH gäbe es ihm sofort. Und warum ER nicht? 15 Wie kann man einem Mitmenschen einen so einfachen Gefallen abschlagen? Leute wie dieser Kerl vergiften einem das Leben. Und dann bildet er sich noch ein, ich sei auf ihn angewiesen. Bloß weil er den Hammer hat. Jetzt reicht`s mir wirklich- und so stürmt er hinüber, läutet- der Nachbar öffnet, doch bevor er „Guten Tag“ sagen kann, schreit ihn unser Mann an: „Behalten Sie ihren Hammer, Sie Rüpel!“ Watzlawick „Anleitung zum Unglücklichsein“ 16 • Die wichtigsten Informationen haben Vorrang • Bestimmte Details sind einprägsamer als andere • Unwichtige Dinge rücken in den Hintergrund Beispiel: Zeugenbefragungen 17 • Welche Startnummer hatte das Pferd? • Wie viele Personen sind auf dem Bild zu sehen? • Welche Farbe hat die Kappe des Reiters? • Wie ist das Wetter? Wahrnehmung ist abhängig von: • • • • Vigilanz (Wachheit) Selektive Aufmerksamkeit Gedächtnis (Arbeitsspeicher) Emotionen Wahrnehmung, Motivation, Gedächtnis und Aufmerksamkeit sind die wichtigsten Grundlagen für Lernprozesse auch i.S. von Handlungssteuerung und Handlungsfolgenvorwegnahme 18 Aufmerksamkeit und Wachheit Wir bitten um äußerste Konzentration und Aufmerksamkeit !!!!! Die an dieser Stelle eingespielten Videosequenzen finden Sie unter: http://www.youtube.com/watch?v=vJG698U2Mvo und http://www.youtube.com/watch?v=dbjPnXaacAU&feature=endscreen&NR=1 Kleine Zusammenfassung • Bitte nennen Sie Maßnahmen, die Christopher NICHT benötigt • Was wäre IHR erster Schritt? 19 Nicht die Erziehung, sondern die Beziehung ist das Entscheidende • Wie schwerwiegend die Folgen emotionaler Vernachlässigung sind, zeigt ein historisches Beispiel: Besonders bekannt ist der „Deprivationsversuch“, den Kaiser Friedrich II. (1194-1250) durchgeführt hat. Um die Ursprache des Menschen zu ermitteln, stellte er Versuche an Kleinkindern an. Er wählte eine Anzahl verwaister Neugeborener aus und befahl den Pflegerinnen, sie sollten den Kindern reichlich Nahrung geben, sie baden und waschen, aber nicht mit ihnen sprechen; auch durften sie die Kinder weder streicheln noch freundlich zu ihnen sein. Die Kinder starben alle noch im Säuglingsalter an den Folgen der Deprivation (deprivare-berauben). (vgl. Trube-Becker, 1982, S. 82) 20 Wie baue ich „Beziehung“ auf ? • Die Beziehungsgestaltung zwischen Lehrern und Schülern ist nicht über ein pädagogisches Konzept sicher und vorhersagbar zu gestalten. • Wichtig ist, dass sich die Beziehungserfahrungen deutlich von den bisher gemachten Erfahrungen unterscheiden, die zu den beobachteten Verhaltensauffälligkeiten geführt haben. Einige hilfreiche Hinweise • Eine unbedingte Empathie bei der Bewertung von Verhalten • Transparenz und Zuverlässigkeit bezüglich der Konsequenzen von außerhalb der gemeinsam festgelegten Gruppennorm liegenden Verhaltensweisen • Emotionale Sicherheit und Verlässlichkeit. • Der Lebensbereich Schule sollte als fürsorgliche Gemeinschaft und verlässliche Basis erlebt werden, auf deren Grundlage neue positive Beziehungserfahrungen gemacht werden und sich anhand der optimierten Beziehungserfahrungen ein repräsentativ anderes Bild von Beziehung herausbildet. 21