Religion — Sprache — Wirklichkeit

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Religion — Sprache — Wirklichkeit*
Professor Dr. Soren H o l m , Regensen, Kopenhagen K
Man kann die Sprache dazu benutzen, um die Gedanken klarzulegen
und um sie zu verschleiern, aber niemals dazu, um eine Wirklichkeit aufzudecken, die wir nicht vermittels anderer Wege kennen. Von dieser These
aus sind die folgenden Überlegungen geschrieben, und ich bin daher alles
andere als der advocatus Dei der modernen Sprachphilosophie. Ich glaube
nicht, daß ein verbesserter Sprachgebrauch uns ein größeres Verständnis
des Verhältnisses der religiösen Vorstellungen zu einer Wirklichkeit, die
hinter ihnen liegen sollte, geben kann.
Es sind sicher nicht alle Religionen, die ein notwendiges Verhältnis
zur Sprache haben. Die altnordische und die altgriechische Religion hatten
es z. B. nicht, während es ebenso feststeht, daß sowohl die alttestamentliche als auch die neutestamentliche Religion es haben. Gottes Wort kam
zu den Propheten, der Herr redete und sprach, und man sollte das Wort
des Herrn hören. Man spricht vom neutestamentlichen Kerygma, das eine
Botschaft in Worten bedeutet, man spricht von dem »Wort«, und Evangelium bedeutet die frohe Botschaft. Der Inhalt des Evangeliums kann
nicht mitgeteilt werden, ohne daß das durch die Sprache geschieht, und
Luther spricht von den Sprachen als der Scheide, die das Schwert des
Geistes enthält. Am deutlichsten kommt es sicher bei Schleiermacher heraus, wenn er in der »Glaubenslehre«, § 15, sagt: »Christliche Glaubenssätze sind Auffassungen der christlich frommen Gemütszustände in der
Rede dargestellt.«
Diese Glaubenssätze sollen zu einer organischen Ganzheit zusammengefügt werden, und es ist gerade Sache der Dogmatik, diese Arbeit zu
leisten, die die Sprache als ihr notwendiges Instrument hat. Das Gottesbewußtsein selbst, oder der Glaube selbst, ist in einer Weise ein sprachliches Phänomen, das sein besonderes sprachliches Kleid erfordert, das das
Gegebene oder das Seiende ausdrücken soll. Dieses Sein ist also im Verhältnis zur Sprache das Primäre, aber ohne die Sprache kann es nicht zum
Ausdruck kommen oder anderen mitgeteilt werden, ja nicht einmal bei
denen selber, die diese frommen Gemütszustände als Individuen besitzen.
Voraussetzung ist hier überall, daß die Sprache von einer Wirklichkeit spricht, die im Verhältnis zu der beschreibenden Sprache ein Prius
hat; aber im folgenden ist es gerade das umgekehrte Verhältnis, das uns
hier beschäftigen soll. In den biblischen Schriften und bei Schleiermacher
ist die Sprache der allgemeinverständliche Ausdruck des Erlebnisses; aber
in der Angelegenheit, die hier behandelt werden soll, ist der Inhalt des
Glaubens, sind die christlichen Gemütszustände, der Gegenstand einer
sprachlichen Untersuchung. Es geht nicht darum, das Wort weiterzugeben,
Aus dem dänischen Manuskript überset/.t von Hans-Martin Junghans
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das Jahwe gesprochen hat, sondern darum, zu untersuchen, ob dieses Wort
einen Sinn hat und inwieweit mit vollgültigem Sinn an eine Wirklichkeit
hinter den gesprochenen Worten gedacht werden kann.
Dies ist eine Situation, die weder die Verfasser der biblischen Schriften
noch Luther oder Schleiermacher oder viele andere gekannt haben; aber
sie ist in unserem Jahrhundert aktuell geworden, unter anderem dank
dem logischen Empirismus und der englischen sprachanalytischen Philosophie, die ihr Zentrum in Oxford gehabt hat, während die Vertreter des
logischen Empirismus eine Zeitlang der Wiener Kreis genannt wurden.
Wenn wir im folgenden von der Religion sprechen, ist damit hauptsächlich an das Christentum gedacht, und dieses wird theologisch in den
beiden systematischen Disziplinen dargestellt, die man Ethik und Dogmatik nennt. In diesem Zusammenhang wird es praktisch sein, zwischen
ihnen nach denselben Kriterien zu unterscheiden, die Schleiermacher anwandte, wenn er sagte, der Gegenstand der Dogmatik sei: Was muß sein?,
während derjenige der Ethik laute: Was muß werden? Dies führt die
Konsequenz mit sich, daß die Aussagen der Dogmatik objektbezogen sind,
während diejenigen der Ethik das nicht sind, und daher hat die Dogmatik
Relation zu einer Ontologie, während das für die Ethik nicht der Fall ist,
da sie im Imperativ spricht, wohingegen die Dogmatik im Indikativ redet.
Ethische Begriffe wie Ehrlichkeit, Gerechtigkeit, Wohltätigkeit usw. haben
keine korrelaten Gegenstände; sie sind nicht auf dieselbe Weise objektbestimmt wie die Begriffe der Dogmatik: Himmel, Engel, der Jüngste Tag
usw. Audi das, was man die Rechtfertigung genannt hat, war ein wirklicher Prozeß, ganz so, wie der Durchzug durch das Rote Meer, nur war
der letztere physisch, der erstere psychisch.
Es fällt modernen Theologen schwer, diese Auffassung festzuhalten,
und wenn sie es dennoch tun, drücken sie es »mit ein bißchen anderen
Worten« aus, die in Wirklichkeit auch etwas sagen, was »ein bißchen anders« ist. Wenn wir diese Begriffe und Prozesse nicht mehr buchstäblich
realistisch als Begebenheiten und Objekte in Zeit und Raum auffassen
können, werden wir genötigt zu fragen, ob sie auch wirklich sind, ob sie
Ausdruck der Wahrheit sind. Das Wort Wahrheit soll hier weder skeptisch-nihilistisch wie bei Pilatus oder persönlich wie bei Jesus verstanden
werden, der sich selbst den Weg und die Wahrheit nannte. Das Wort soll
objektiv und erkenntnistheoretisch verstanden werden wie überall, wo
wir von der Erkenntnis von extramentalen Gegenständen sprechen, die
nicht wie die Gegenstände der Logik und der Mathematik selbstgeschaffen
sind, sondern die ebenso wie die der empirischen Wissenschaften vorgefunden sind und also sowohl extra als auch praeter nos existieren. Audi
wenn man diese Begriffe und Aussagen axiologisdi nennen wollte, führen
sie uns mit Notwendigkeit weiter in eine Ontologie hinein. (Das war es
wohl, was die Ritsdilsdie Theologie nicht richtig gesehen hatte oder woraus
sie nicht die Konsequenzen gezogen hatte.)
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Das heißt mit anderen Worten, wir sind genötigt zu fragen, ob es
sich bei diesen Aussagen um Facta oder um Ficta handelt. Sind sie Ausdruck für eine Wirklichkeit, oder sind sie nur phantasiegeborene Vorstellungen, die nicht näher präzisiert und erklärt werden können? Letzteres
ist nicht bloß gleichbedeutend damit, daß sie wissenschaftlich nicht verifiziert werden können, sondern es bedeutet auch, daß sie nicht immer auf
eine sinnhafte Formel gebracht werden können. Wir wollen, um das zu
illustrieren, ein Beispiel nehmen. Vor ein paar Jahren hörte ich einen
theologischen Fachgenossen in einer Diskussion, die er selbst eröffnet hatte,
sagen — und er hat es kürzlich im Druck wiederholt: »Gott hat die Welt
in Christus geschaffen.« Das war schwerlich etwas, was er selbst ersonnen
hatte, da Paulus etwas Entsprechendes Kolosser l Vers 16 sagt.
Sprachlich betrachtet sollte tier Satz in Ordnung sein, sowohl hinsichtlich des Lexikalischen als auch der Formenlehre und der Syntax. Er
ist ebenso korrekt wie der Satz: Ein Mann ging hinab von Jerusalem nach
Jericho; aber er gibt schwerlich einen so klaren Sinn. Letzterer Satz führt
ohne Schwierigkeit ein Anschauungsbild herbei, das nur in bezug auf Einzelheiten und Nebenumstände von einer Person zur anderen verschieden
ist; alle Leser meinen aber das gleiche mit der Aussage, die man absolut
sinnhaft nennen muß.
Demgegenüber ist es unmöglich, sich ein Ansdiauungsbild zu machen
oder einen wirklichen Sinn mit dem Satz zu verbinden, daß Gott die Welt
in Christus geschaffen hat. Sprachlich kann man den Satz natürlich analysieren; aber das hat er ja mit so vielen anderen, keinen Sinn habenden
Sätzen gemein, die offenbare Widersprüche in sich selbst enthalten. Sprachlich betrachtet ist der Satz 2 + 2 ist 5 ja in der schönsten Ordnung; er
ist bloß offenkundig falsch. Von dem Satz, daß Gott die Welt in Christus
geschaffen hat, können wir dagegen weder sagen, er sei wahr, noch er sei
falsch, denn dies würde fordern, daß wir erst seinen Sinn verstehen
könnten. Es ist möglich, daß Paulus von den Voraussetzungen seiner Zeit
aus eine Art Sinn mit ihm hat verbinden können; aber ein heutiger neutestamentlicher Exeget kann es nicht.
Von unseren Voraussetzungen aus bezeichne ich den Satz als ohne
Sinn. Falls einige behaupten sollten, sie könnten wohl sagen, was damit
gemeint ist, so können sie es jedenfalls nicht auf eine solche Weise erklären, daß andere es auch verstehen können, daß er wahr ist. Diese anderen wissen nämlich nicht, was diese Worte in sich begreifen sollen, und
deshalb behaupten sie, daß hier eine sprachliche Aussage vorliegt, die nicht
eine Wirklichkeit beschreibt, sondern nur die Auswirkung einer Phantasie
ist, die in ihren Ausdrucksformen nicht besonders klar ist, wenn Paulus
auch vielleicht wohl einen etwas klareren Sinn mit den Worten verband,
als Menschen der Gegenwart ihn haben. Ein Jude und ein Mohammedaner
werden den Satz für falsch erklären, aber das geschieht aus dogmatischen
Gründen und nicht, weil sie seinen Inhalt falsifiziert haben. Ein Anhänger
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des logisdien Empirismus wird sagen, daß die Behauptung nicht auf einen
Elementarsatz zurückgeführt werden kann, wie Wittgenstein es nannte,
oder auf einen Protokollsatz, um mit Rudolf Carnap zu sprechen. Ein
Kantianer würde erklären, daß der Inhalt unseres Satzes in keiner connexio stehen kann, während der Thomist sich philosophisch dahingehend
äußern müßte, daß seine adaequatio nicht bewiesen werden kann.
Es dürfte also darüber Einigkeit herrschen, daß die Wahrheit des
Satzes nicht bewiesen werden kann und daß schwerlich gesagt werden
kann, er habe einen Sinn; aber damit schneiden wir das Problem vom
Verhältnis zwischen Sinn und Wahrheit an. Professor Mogens Blegvad
(Professor für Philosophie an der Kopenhagener Universität) schreibt in
»Vor Tids Filosofi« (Die Philosophie unserer Zeit), 1961, S. 119: »Den
Sinn eines Satzes zu analysieren, das ist, eine Weise anzugeben, die entscheidet, daß er wahr ist.« Die Richtigkeit dieser Identifikation von Sinn
und Wahrheit muß ich bestreiten. Ein Satz kann nämlich voll Sinn sein,
obgleich er falsch ist, und das gilt unabhängig davon, ob das Falschsein
kontrolliert werden kann oder nicht. Daß London die Hauptstadt in
Irland ist, ist ein völlig sinnhafter Satz, wie sehr er auch falsifiziert
werden kann, und daß die Engel Flügel haben, ist ein ebenso sinnhafter
Satz, wie unmöglich es auch sein dürfte, ihn zu verifizieren. Wenn ein
Satz eine Beziehung zwischen bekannten Begriffen ausdrückt, hat er Sinn,
desungeaditet, ob er wahr oder falsch ist. Daß ein Satz sinnhaft ist, ist
daher nicht gleichbedeutend damit, daß er wahr ist, und es scheint kein
zwingender Grund für die Behauptung vorzuliegen, daß sinnhafte Sätze
empirisch kontrollierbar sein müssen.
Wenn es sich bei den Begriffen um etwas Übersinnliches handelt,
dessen Existenz durch die dichterische Phantasie ausgedrückt wird, hat die
Neigung bestanden, zu leugnen, daß diese Gedankenprodukte sinnhaft
sein sollten, und als Beispiel können wir die Platonischen Ideen nennen.
Man kann kaum nicht von der Wirklichkeit dieser Ideen sprechen; aber
es liegt nicht darin, daß sie keinen Sinn haben sollten, denn ein solcher
ist deutlich intendiert. Wir können zwei Aussagen aus Platos »Phaidros«
(246 B, 247 A) betrachten, wo Plato sagt, daß wir Gott nur in bildlicher
Form auffassen können; die Wahrheit über ihn können wir nicht ausdrücken, und Gott »möchte mir vergeben«, wenn er vermessen geredet
hat. Das übersinnliche Sein, das im Himmlischen ist, bezeichnet Plato
danach als »das Sein, das nicht Farbe, nicht Form hat, und das man nicht
berühren kann, das aber doch die eigentliche Realität im Dasein ist, aber
eine Realität, die nur von der Vernunft allein, die der führende und
lenkende Teil der Seele ist, angeschaut werden kann, und die der Gegenstand dessen ist, was wir Erkenntnis nennen«.
Plato sagt hier direkt, daß seine Erkenntnis der Ideen nicht adäquat
ist, und daher kann sie auch nicht 100°/oig wahr sein — aber gibt das
jemand das Recht, zu behaupten, daß diese Auffassung ohne Sinn sei?
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Wir wissen doch alle, was das so ungefähr ist, worauf Plato mit seinen
Worten zielt. Es ist höchst wahrscheinlich, daß er darin unrecht hatte,
die Welt der Ideen als eine supranaturale Wirklichkeit von höherem
Seinsgrad als die Sinnenwelt aufzufassen, aber von da bis zu der Behauptung, daß sein Reden von der Welt der Ideen ohne Sinn sei, dürfte
doch wohl ein Sprung sein. Wahrheit ist nicht dasselbe wie Sinninhalt,
und wahr zu sein ist nicht damit identisch, sinnhaft zu sein.
Indessen wollen wir dieses Verhältnis etwas näher betrachten und
zuerst fragen, ob man sowohl von Wörtern wie von Sätzen sagen kann,
sie haben Sinn. Wenn Sinn dasselbe ist wie Wahrheit, scheinen nur Sätze
wahr sein zu können, denn Aristoteles hatte recht, wenn er behauptete,
daß die Wahrheit nicht den Dingen zukommt, sondern nur unseren
Urteilen über die Dinge. Wörter wie blau, Farbe und Leinwand können
nicht »wahr« sein, und wenn Wahrheit und Sinn dasselbe wären, könnten
sie auch keinen Sinn haben. Dies bedeutet indessen nicht, daß sie sinn/os
sind, denn das würde ja erfordern, daß sie in Beziehung zu etwas ständen,
womit sie sich in Widerspruch befinden könnten, und das tun sie als
Einzelwörter und Absoluta ja nicht. Dagegen können sie den Gedanken
in eine bestimmte Richtung lenken, da die meisten Menschen (die die
betreffende Sprache, hier also Deutsch, sprechen) dieselbe Auffassung
davon haben, was diese drei Wörter bezeichnen sollen. Ob man dies damit
ausdrücken will, daß die Wörter Sinn haben, oder ob man nur sagen will,
daß sie objektivbezogen sind, kann nur eine Frage des individuellen
Sprachgebrauchs sein.
Im Gegensatz hierzu liegt das Verhältnis klarer, wenn von Sätzen
die Rede ist, die eine nach grammatischen Regeln vorgenommene Zusammenstellung von Wörtern sind. »Der Stoff wird blau gefärbt« ist ein
Satz, der einen vollständigen und klaren, eindeutigen Sinn hat, ohne
Rücksicht darauf, ob im Augenblick gefärbt wird oder nicht, also ohne
Rücksicht auf die empirische Wahrheit der Aussage — ja vielleicht wird
der Stoff sogar rot gefärbt. Im letzteren Falle ist die Behauptung falsch,
aber ihr Sinn bleibt trotzdem intakt.
Wenn wir sagen, ein Begriff könne nicht wahr oder falsch sein, so
könnte dies Widerspruch erregen, denn es gibt ja Wörter, die sinnlos sind,
weil sie in sich selbst widersprechend sind oder überhaupt nichts bezeichnen. Letzteres haben wir in »Abracadabra«, das kein Wort in einer
Sprache ist und auch kein Begriff, nicht mehr, als es das Bellen des Hundes
ist. Im Dänischen spricht man oft von einem »Jernkakkelovn« (= eisernen
Kachelofen), weil man die Bedeutung des Wortes »Kachel« vergessen
hat; deshalb fühlt man den Widerspruch in sich nicht so stark wie in der
deutschen Wendung »hölzernes Eisen«. Dieses Wort lenkt indessen die
Vorstellung in eine bestimmte Richtung — oder auch zwei — und ein
solches Wort nenne ich lieber sinnwidrig als sinnlos; denn in Wirklichkeit
enthält das Wort ein verstecktes Urteil, das falsch ist, weil es in sich
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selbst widersprechend ist. »Hölzernes Eisen« ist in Wirklichkeit ein
camouflierter Satz, der falsch ist und ein solches Urteil zu fällen ist unmöglich.
Sätze, die zu verwerfen sind, können also sein 1. sinnlos (Abracadabra ist = 100 Grad), 2. logisch falsch (Die Winkelsumme im Dreieck
beträgt 190 Grad), 3. widersprechend in sich (Der Kachelofen ist aus
Eisen) und 4. empirisch falsch (Luther war auf dem Reichstag in Worms
des Jahres 1530 anwesend). Aber keiner kann billigerweise bestreiten,
daß alle diese Sätze, sprachlich betrachtet, korrekte Sätze sind, die gleichberechtigt mit wahren Urteilen Gegenstand einer grammatischen Analyse
sein können.
Wie erwähnt, sind die dogmatischen Sätze, die in einer Religion vorkommen, oft gegenstands- oder begebenheitsbestimmt. Wir brauchen nur
an Engel, den Himmel, die Auferstehung und die Himmelfahrt zu denken.
Von einigen dieser Gegenstände und Begebenheiten wird oft behauptet,
daß sie im Widerspruch zu unserem empirischen Wissen stehen, und von
anderen, daß sie über die Grenzen unserer Erfahrung hinausgehen. Zu der
letzteren Gruppe gehört z. B. die Behauptung, daß Gott im Himmel ist,
von wo aus er die Welt regiert.
Diese Behauptung wurde in alten Tagen zur Metaphysik gerechnet,
die die Lehre vom Übersinnlichen war, und keiner hat ja jemals Gott gesehen, wie es bei Plato heißt und im Johannes-Evangelium Kapitel l,
Vers 18 steht. Die Behauptung kann durch direkte Erfahrung weder verifiziert noch falsifiziert werden, und einige werden daher bei einem »non
liquet" haltmachen. Es möge der Ausdruck eines persönlichen Werturteils
werden, ob man annimmt, daß es einen Gott im Himmel gibt oder nicht.
Die Metaphysik liegt außerhalb des Gebietes der Physik und außerhalb des Umkreises der Sinneserfahrung, und: wovon man nicht reden
kann, muß man schweigen, beschloß Wittgenstein seinen berühmten
»Tractatus«. In Entsprechung zur Metaphysik hat man von der Metaethik gesprochen, jedoch in einer ganz anderen Weise. Über die Metaphysik
— hat man gemeint — könne man sprechen, ohne ihren Inhalt zu erkennen oder zu beobachten, und sie ist später von der Physik ins Wanken
gebracht worden. Gerade umgekehrt verhält es sich mit der Metaethik,
denn sie ist es, die die Ethik ins Wanken gebracht hat, und hier ist es nicht
die Erfahrung, sondern die Sprache, die diese Arbeit vollbracht hat. Die
Ethik wollte feststellen, was als gut oder böse getan oder unterlassen
werden soll, während die Metaethik fragt, ob es überhaupt einen Sinn
gibt, von Böse und Gut zu sprechen und Gebote über dieses oder jenes
aufzustellen. Wenn die Metaethik dies hat bezweifeln wollen, rührt das
daher, daß sie die ethischen Urteile und Gebote als reine Gefühlsausbrüche
auffaßt, die von nichts erzählen und die nichts anderes beschreiben als die
eigene Gemütsstimmung des Redenden.
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Die Metaethik ist sozusagen die Erkenntnistheorie der Ethik geworden, die deren sprachliche Aussagen analysiert, und sie fragt nicht —
wie vormals Kant — danach, was sein muß, damit Moral sein kann, sondern will im Gegenteil zeigen, daß Ethik nicht sein kann, weil die
ethischen Aussagen ohne Sinn sind und daher weder wahr noch falsch
sein können.
Es sind besonders die Upsalaer Philosophie, der logische Empirismus
und die englische sprachanalytische Philosophie, die mit diesen Gedanken
gearbeitet haben. Axel Hägerström, der Begründer der Upsalaer Philosophie, schrieb bereits im Jahre 1911 über »Die Wahrheit der moralischen
Vorstellungen« und behauptete, daß sie eine solche nicht haben könnten,
weil die ethischen Aussagen keine Wirklichkeit beschreiben, sondern nur
der Ausdruck persönlicher Gefühle bei denen seien, die sie aussprächen.
Der logische Empirismus konnte für diese ethischen Aussagen unter seinen
möglichen Satzformen keinen Raum gewinnen, und die sprachanalytische
Philosophie meint, daß die ethischen Urteile weder etwas Wahres noch
etwas Falsches ausdrücken, sondern bloß gewisse moralische Gefühle.
Wenn man dies von der nicht objektbezogenen Ethik sagen kann,
muß es um so mehr gesagt werden können, wenn von den Aussagen der
objektbezogenen Dogmatik die Rede ist, die man hat anfechten wollen,
weil sie nicht von einer möglichen Erfahrung aus geprüft und daher auch
nicht in einer möglichen Sprache ausgedrückt werden können. Wenn die
Physik den metaphysischen Satz, daß Gott die Welt in Christus geschaffen hat, hat bestreiten wollen, ist es deswegen, weil der Inhalt des
Satzes außerhalb des unendlichen Universums liegt, das die Physik angenommen hat, und wenn die Sprachphilosophie ihn abgewiesen hat, ist
es deshalb, weil behauptet wird, daß der Satz keinen verständlichen Sinn
hat.
Während die Physik antimetaphysisch in des Wortes eigentlicher Bedeutung war, sind der logische Empirismus und die sprachanalytische
Philosophie nicht so sehr anti-metaphysisch als vielmehr a-metaphysisch.
Daß Gott die Welt in Christus geschaffen hat, ist also keine Aussage, die
beweisbar falsch ist; aber sie ist beweisbar ohne Sinn, und folglich muß
die Behauptung wegfallen. Sie kann weder auf einen Wittgensteinschen Elementarsatz noch auf einen Carnapschen Protokollsatz zurückgeführt werden, die dasselbe sind wie eine unmittelbare und recht unzusammengesetzte Beobachtung, die das einzige ist, was wirklich in eine
sinnhafte sprachliche Form gebracht werden kann.
Wittgenstein behauptete im »Tractatus«, daß die Philosophie erst
auf Probleme stößt, wenn die Sprache uns auf Abwege führt, indem wir
Fragen formulieren, wo keine Fragen gestellt werden können, und die
Problemlösungen der Philosophie bestehen in Wirklichkeit bloß im Verstehen der Sinnlosigkeit und Inhaltslosigkeit der Problemstellungen. Die
Folge ist, daß wir die Sprache so zurechtlegen müssen, daß sie uns nicht
N. Zcitschr. f. systemat. Theologie 9
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Seren Holm
auf Abwege führt. Eben weil die Philosophie nicht darin besteht, Thesen
aufzustellen, sondern Thesen klarzulegen, ist sie keine Wissenschaft, sondern eine Tätigkeit. Während man sie früher als eine Lehre von der Wirklichkeit auffaßte, soll sie nun eine Sprachkritik oder eine Lehre von der
Sprache sein.
Einen Satz, der nur einen einzigen möglichen Sachverhalt ausdrückt,
nannte Wittgenstein einen Elementarsatz, und jede sinnhafte Aussage ist
entweder selbst ein Elementarsatz oder eine Wahrheitsfunktion eines
solchen. Wenn nicht, ist er ohne Sinn. Jede sinnhafte sprachliche Aussage
muß durch die Zurückführung auf einen Elementarsatz entweder verifiziert oder falsifiziert werden können, und es ist das spezielle Kennzeichen
eines Elementarsatzes, daß kein anderer Elementarsatz in Widerspruch
zu ihm stehen kann.
Darüber waren die Männer des logisdien Positivismus einig. Rudolf
Carnap schuf das Wort Protokollsatz, das der Ausdruck für unmittelbare Erlebnisse oder Feststellungen war, und Moritz Schlick sagte, daß
die elementaren Feststellungen die einzigen synthetischen Sätze sind, die
keine Hypothesen darstellen, daß sie die einzigen wahren Formulierungen
der Wirklichkeit sind. Eino Kaila behauptete, daß es, abgesehen von den
Tautologien, keine wahren Sätze geben kann, die von der Erfahrung unabhängig sind, und jede Theorie, die die Wirklichkeit betrifft, muß in die
Sprache der Erfahrung umgesetzt werden können. Sprache und Wirklichkeit scheinen also so genau miteinander verbunden zu sein, daß es keinen
Sinn ergibt, die Sprache zu benutzen, wenn nicht von einer Wirklichkeit
gesprochen wird, die sich unseren Sinnen offenbart. Man lehnt somit die
alte religiöse Aussage ab: Das kann nicht erklärt werden, aber es kann
erfahren werden. Was extramental da ist, muß auch sprachlich verständlich ausgedrückt werden können — wenn nicht, stehen wir auch nicht vor
einer Wirklichkeit.
Was sinnhaft ist, muß also in einem eindeutigen sprachlichen Satz
ausgedrückt werden können, und hierzu kommt als zweites, daß ein notwendiger Zusammenhang zwischen Sinn und Sprachgebrauch bestehen
muß. Die erstere Behauptung dürfte richtig sein, aber sicherlich nur in dem
Fall, wo wir einer Person gegenüberstehen, die vermag, sich in der einen
oder der anderen sinnvollen Sprache auszudrücken, und die nicht nur
denken kann. Der zweite Satz ist sicher verkehrt. Die Erfahrung zeigt
nämlich, daß sprachlich etwas sehr Verständliches gesagt werden kann,
was bei genauerer Analyse sich als ganz ohne Sinn erweist, z. B.: »Nun
sollt Ihr hören, wieviele Küken, ich habe ein Huhn, das hat.« Es gibt
offensichtlich Sätze, die nicht sinnhaft sind, die aber durch einen Denkakt
einen Sinn beigelegt bekommen, den sie nicht in sich selber haben. Damit
berühren wir das alte Problem des Prioritätsverhältnisses von Gedanke
und Sprache, das aber sicher ebenso nichtig ist wie die Frage nach dem,
was zuerst da war, das Ei oder das Huhn.
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Es muß klar sein, daß metaphysische, überempirische und a-empirische Begriffe, wie gegenstandsbezogen sie auch sein möchten, nicht auf
Elementarsätze zurückgeführt werden und sinnhaft in derselben Bedeutung wie diese sein können, und ebenso klar ist es, daß die Dogmatik
viele solcher Sätze enthält. Die Sprachanalyse scheint den Wirklichkeitscharakter dieser Aussagen vernichtet zu haben, und dadurch scheint sie
sowohl als wirklichkeitsschaffend wie auch als wirklichkeitsvernichtend
zu wirken, indem die Sprache selbst uns soll sagen können, was Wirklichkeit ist und was keine ist. Nun entsteht aber die Frage, ob es eine andere
Anwendung der Sprachanalyse gibt, die zu einem anderen Resultat führen
könnte, und das haben wirklich mehrere versucht. Wir wollen hier den
Engländer Jan T. Ramsey und den Dänen Gustav Br0ndsted nennen.
Dr. Jan T. Ramsey von Oxford (Bischof in Durham 1966) hat dies
in seinem letzten Buch »Christian Discourse« von 1965 versucht; es trägt
den Untertitel »Some Logical Explorations« und führt Gedanken seines
Werkes von 1957 »Religious Language« weiter. Ramsey macht in seinem
neuen Buch darauf aufmerksam, daß in dem Bericht des Johannes-Evangeliums von den zwei Jüngern an Jesu Grab und ihren Erlebnissen drei
verschiedene Wörter für »sehen« gebraucht werden: Blepö soll das Erleben ^von Einzelheiten angeben, theoreö soll der Ausdruck für das Auge
des G.laubens sein und horaö soll den Blick auf die Transzendenz hin
öffneni oder gibt eine Offenbarung, disclosure, die Ramsey selbst als kosmisch bezeichnet. An anderer Stelle spricht er davon, daß es nicht genug
ist, zu sehen und aufzufassen; wir sollen auch verstehen, understand, und
dieses Verständnis gibt uns wiederum eine kosmische Offenbarung oder
disclosure, die als ihren Gegenstand etwas hat, wofür wir keine besseren
Worte besitzen als Reich Gottes. Wer mit dem Auge des Glaubens gesehen
hat, hat auch eine Überzeugung von etwas, das unser praktisches Verhalten tragen und leiten kann, das irgendwie die Antwort auf eine Offenbarung des Transzendenten sein muß.
Ramsey betont stark, daß viele biblische Ausdrücke Metaphern sind,
und wir sollen überhaupt die Sprache mehr metaphorisch als deskriptiv
gebrauchen, wenn sie kosmische Offenbarungen ausdrücken und davon
reden soll, was die Welt des Sichtbaren transzendiert, und das heißt
wiederum, wenn von den Mysterien gesprochen werden soll, die nur mit
dem Augenblick des Glaubens wahrgenommen werden können. Wenn sich
Dr. John Robinson geweigert hat, von der Persönlichkeit Gottes zu
sprechen, kritisiert Dr. Ramsey ihn dahingehend, daß er das Wort allzu
buchstäblich und nicht metaphorisch aufgefaßt habe, denn jede Sprache,
die etwas von Gott sagen soll, muß es so tun, daß von der »cosmic
disclosure« geredet werden kann, die das Hauptwort in dem ganzen
Buch von Dr. Ramsey ist.
Alle Arten und Weisen — oder Modelle —, von Gott zu reden,
können kritisiert und eliminiert werden, und sie können nach Rangfolge
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oder Geeignetheit angeordnet werden, aber dennoch sollen sie einen
kosmischen Einblick in Gottes Wesen geben. Als Menschen können wir
Gottes sicher sein, aber als Theologen sind wir immer unterwegs und
niemals am Ziel. Wenn wir uns des rechten Sprachgebrauchs bedienen,
sollten wir auch verstehen können, was das Wort Gott bedeutet und was
der Sinn einer Aussage über Gott ist. Analogien aus dem empirischen
Bezirk sollten die Gedanken zum Verständnis der religiösen Dimension
hinführen können, und hier sollte die religiöse Aussage wirklich einen
Sinn haben können.
Ramseys Gedanken entsprechen in einer Weise der Auffassung des
späteren Wittgenstein in seinem posthumen Werk »Philosophische Untersuchungen« von 1953. Hier will Wittgenstein nicht mehr behaupten, daß
kompliziertere Sätze Funktionen von Elementarsätzen sind, auf die sie
zurückgeführt werden können, sondern daß die Sprache auf viele verschiedene Weisen gebraucht werden kann, von denen jede einzelne ein
»Spiel« mit seinen verschiedenen Regeln ausdrückt. Es gilt nur, die Regeln
nicht zu vermengen, denn in dem Falle wird es die Aufgabe der Philosophie, die Fäden wieder zu entwirren. Dies ergibt als Folge, daß religiöse und metaphysische Fragen nicht mehr als ohne Sinn betrachtet
werden können. Man darf nur nicht ein Wahrheitskriterium auf Bereiche
anwenden, wo es nicht hingehört. Im Anschluß hieran hat Professor
John Wisdom in Cambridge behauptet, daß nicht alles, was in Religion
und Kunst Wert hat, klar und unzweideutig ausgedrückt werden kann
und daß es auch anderes als verifizierbare Behauptungen gibt, das uns
etwas sagen kann.
Indessen ist es die Frage, ob diese sinnhaften Aussagen uns etwas
über die Wirklichkeit sagen können, die extra et praeter nos ist. Dies dürfte
Wittgenstein schwerlich behaupten trotz der Änderung in seiner Philosophie, die ihn veranlaßte, das Unsagbare, das er als ein ontologisdies
Negativum betrachtet hatte, dann als ein epistemologisches Privativum
zu betrachten, das an und für sich wohl ein ontologisdies Positivum sein
könnte — wir wissen es nur nicht. Dr. Ramsey glaubt an die Wirklichkeit
dieser Transzendenz; aber da er sich über sie nur symbolisch äußern
kann, ist es ja immer noch eine Frage, ob sie eine Wirklichkeit in derselben Bedeutung ist, wie man es von der alten Supranatura annahm.
Wenn Wittgenstein sagte: über das, worüber man nicht reden kann,
soll man schweigen, hatte dies zur Voraussetzung, daß nur eine Sprache
zur Verfügung stand; aber in seiner späteren Philosophie wagte er dies
ja nicht mehr zu behaupten. Von zwei verschiedenen Sprachen in unserem
Verhältnis zum Dasein spricht nun Gustav Brondsted (gestorben 1959) in
seinem Buch »To Verdenssyn — to Sprog« (Zwei Weltansichten — zwei
Sprachen) von 1955. Das Buch erregte in manchen Kreisen in Dänemark
Aufmerksamkeit, und es kann sicher auch außerhalb der dänischen Landesgrenzen Interesse haben.
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Brondsted behauptet, daß das Evangelium nicht nur ein
sond ern auch eine Weltsc/?^« oder eine Einstellung dem Dasein gegenüber
hat, die recht weit verschieden ist von der modernen wissenschaftlichen Ansicht, die die damalige Zeit nicht kannte und in die sie sich nicht umsetzen läßt. Jede der beiden Einstellungen hat ihr Grundgepräge und
spricht ihre eigene Sprache, und es kann keine Übersetzung von der
einen in die andere vorgenommen werden. Die eine Sprache gebraucht
Definitionen, die andere arbeitet mit Symbolen, die eine zielt auf die
Beherrschung der Welt, die andere will eine Brücke zwischen den Menschen sein.
Diese beiden Sprachen drücken zwei verschiedene Grundverhältnisse
und zwei Funktionen in unserem Dasein aus, ein empfangendes und ein
sich bemächtigendes, und jedes von diesen beiden Grundverhältnissen
schafft sich seine eigene Sprache. Die Empfängersprache ist irrational für
die Nehmersprache und umgekehrt. Mit der Nehmersprache kann man
einander erobern, aber nicht mit und für einander leben. Analysierte
Treue ist keine Treue mehr, begründete Liebe ist keine Liebe mehr, und
Gnade, die begründet ist, ist keine Gnade mehr. Christus ist die Wahrheit,
und wenn die Wahrheit zu einer Idee gemacht wird, die ohne Autorität
oder Vollmacht für unsern gegenwärtigen Augenblick ist, dann ist die
Wahrheit nicht mehr eine an uns gerichtete Rede, sondern nur ein Wort
für unsere Art und Weise, von der Wirklichkeit zu reden, und in diese
Sprache kann das Evangelium nicht übersetzt werden, weil es nicht in
einer Sprache verkündet werden kann, die mit der der Wissenschaft konform ist. Wo es methodische Begründungen gibt, kann es keinen Raum
für den frei handelnden Gott des Evangeliums geben. Deshalb muß das
Evangelium seine Sprache zu uns sprechen, die wir selber eine andere
sprechen, indem wir die Relativität der Weltbilder und die mangelnde
Fähigkeit anerkennen, Menschen unter Verantwortungsbewußtsein zu
stellen.
Diese Sprache redet von einem bestimmten Ereignis, das Christi
Auferstehung heißt, und dies wird von vielen Christen als überaus gut
bezeugt betrachtet, während die Vertreter der Wissenschaft schlechterdings sich weigern, es anzuerkennen. Das Evangelium der Apostel von
der Auferstehung läßt sich nicht erörtern, weder zwecks Bestätigung noch
zwecks Entkräftung noch zwecks einem neuen und besseren Verständnis.
Es kann uns nur von Gott verkündet werden ohne alles schriftgemäße
Recht oder solchen Rückhalt. Falls man hier von Sicherheit oder Wahrscheinlichkeit reden will, hat man nicht verstanden, daß ein Ereignis als
Wirklichkeit etwas ganz anderes ist als ein Ereignis als Tatsache oder
Faktum. Die Wirklichkeit ist über uns und kann uns ergreifen — aber wir
wollen stattdessen versuchen, es zu greifen, weil unsere Sprache eine
Sprache des Nehmens statt des Empfangens geworden ist, für die wir
hier einzig und allein Gebrauch haben. Wo die Auferstehung vor eine
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Soren Holm
menschliche Instanz gestellt wird, sei es ein Werturteil oder ein Urteil
wissenschaftlicher Forschung, da ist es nur angemessen, daß sie beurteilt
und abgelehnt wird; aber sie weder kann noch darf beurteilt werden,
wenn sie uns als eine Wirklichkeit ergreift. Nein, die Auferstehung ist
keine Tatsache, sondern eine Wirklichkeit, die unsere Wirklichkeit gebrauchen kann wie eine Sprache, aber selbst kann sie nicht in dieser
Sprache beschlossen werden.
Dies klingt sowohl schlicht und einfach als auch richtig, aber was
ist in letzter Instanz der Sinn? Wenn die Auferstehung nicht ein Ereignis
ist, das wirklich stattgefunden hat, dann sollte man glauben, es wäre
der Ausdruck für ein Werturteil oder wäre bloß eine reine Fiktion, an die
pragmatisch zu glauben man vielleicht gut täte. Gibt es eine dritte Möglichkeit? »Zwei Weltansichten — zwei Sprachen« sollte die Antwort
geben, tut es aber nicht. Ein Däne ist einen Augenblick lang versucht zu
vermuten, es werde von zwei verschiedenen Arten von Wirklichkeit gesprochen, die jede in ihrer Sprache ausgedrückt wird, so wie es von dem
dänischen Philosophen Rasmus Nielsen vor 100 Jahren behauptet wurde,
ohne daß er jedoch von »Sprachen« redete. Aber von einer solchen Verdopplung der Wirklichkeit in eine für den Glauben und eine andere für
das Wissen will Br0ndsted doch kaum sprechen, und man darf nicht
vergessen, daß das Buch Zwei Weltansicbten und nicht Zwei Welten
heißt.
Es sollte also die gleiche ontologische Wirklichkeit sein, von der in
den beiden Sprachen gesprochen wird, aber das kann schwerlich der
Sinn sein, da die Auferstehung ja nicht sowohl eine historische Tatsache
als auch keine solche sein kann. Ob man nun Tatsache oder Wirklichkeit
sagt, die dahinter liegende Realität muß doch dieselbe sein, und Brondsted
will sich ja auch nicht dafür einsetzen, die Wirklichkeit der Auferstehung
als ein reines Symbol zu betrachten. Wir bleiben im unklaren. Brondsted
wird sagen, daß die Sprache des Nehmens nicht die Wirklichkeit ergreifen kann, und seine Gegner werden sagen, daß die Empfängersprache
nicht von Realitäten spricht. Das Buch führt uns in eine Sackgasse, wie
gut es auch — wie man sagen muß — geschrieben ist.
Falls wirklich von einer Verdopplung des Daseins geredet werden
kann, so muß angenommen werden, daß eine Welt über, hinter oder
neben der Sinnenwelt liegt, sie sei nun eine Supranatura in der alten
Bedeutung, eine Ding-an-sidi-Welt in Kantischer Bedeutung oder etwas
ganz und gar Drittes, was nicht ausgesagt werden kann; oder hier muß
man doch sicher fordern können, daß man imstande ist, in einer sinnhaften Sprache auszudrücken, woran man denkt. Das konnten die Alten
mit ihrer Supranatura, das konnten Kant so einigermaßen mit seinem
Ding an sich und Plato mit seinen Ideen, weil beide sich nicht in positiven
Termini äußerten, sondern die via negationis oder die via eminentiae
gebrauchten, die auch nichts Positives sind. Aber weder Kant oder Plato
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Religion — Sprache — Wirklichkeit
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kon nen als Erklärung dafür gebraucht werden, was es bedeutet, daß Gott
die Welt in Christus geschaffen hat, was eine positive Aussage ist.
Der logische Empirismus und die analytische Sprachphilosophie haben unrecht, wenn sie behaupten wollen, die Sprache könne die Wirklichkeit ergreifen und charakterisieren. Man kann auch etwas im tiefsten
Seh weigen erleben, zudem ohne eine innere Stimme. Die Meta-Ethik kann
nicht die Nicht-Sinnhaftigkeit der Ethik nachweisen, und die Physik kann
nicht die Sinnlosigkeit der Metaphysik nachweisen, falls also die Metaphysik nicht die Forderung erhebt, Supranaturalismus zu sein und von
»Hinterwelten« in der Nietzscheschen Bedeutung des Wortes zu sprechen.
Aber sprachphilosophische Denker wie Ramsey und Br0ndsted haben
auch nicht recht, weil sie nicht in sinnhafter Weise erklären können, was
mit »Transzendenz« (Ramsey) und »Wirklichkeit« (Brondsted) gemeint
wird. Als Konsequenz scheint sich zu ergeben, daß sie entweder nur von
intramentalen Vorstellungen oder von einer Meta-Ontik reden, die die
Existenz einer extramentalen Welt außerhalb der Welt, die der Gegenstand der Wissenschaft ist, annimmt; aber da sich die beiden Welten,
z. B. bei der Auferstehung, kreuzen müssen, sind wir gleich weit gekommen, wenn man denn nicht noch einen Schritt weitergehen und eine MetaLogik annehmen will, die mit ganz anderen Gesetzen als den rein logischen arbeitet.
Beide Richtungen scheinen darin unrecht zu haben, daß sie nicht
zwischen der Realität im psychophysischen Sinne und der Geltung unterschieden haben. Letztere gehört in die Seinsmodalität, die ich Geist genannt habe (vgl. meine »Religionsphilosophie« von 1961), wo weder
von Zeit noch von Raum gesprochen werden kann, sondern wo wir eine
Geltungsweise wie die logische und mathematische haben, die weder extranoch intramental, sondern rein generell ist. Wenn Gott als eine ewiggültige Idee aufgefaßt wird, die weder mit der Zeit noch mit dem Raum
verknüpft ist, kann von ihm nur in einer Symbolsprache geredet werden,
die nur insoweit eine Wirklichkeitssprache ist, als sie von etwas Endgültigem redet. Wenn man aber darüber in empirischen Formen reden
will, kommt man nicht nur dazu, es zu verzeichnen, sondern man kommt
auch in Widersprüche hinein, die man nicht lösen kann.
Über die letzten »Dinge«, über das Ewiggültige, kann man nie
adäquat sprechen, aber es kann in einer solchen Weise sinnhaft gesprochen
werden, daß die Intention verstanden werden kann und die Welt nicht
eingeengt wird, wie es im reinen Empirismus, er sei nun logisch oder nicht,
geschieht. Ob wir es sind, die die Aussicht auf die Transzendenz haben,
oder ob die Transzendenz sich uns offenbart, kann leichtlich ein Streit
um Worte werden; aber wo nur empirische Einzelglieder und Einzelbeziehungen anerkannt werden, kommen wir niemals über die Immannenz hinaus. Zwar ist die Zahl der Relationen unendlich, aber dem
Unendlichkeits- oder Transzendenzdrang, den der Mensch besitzt, entUnauthenticated
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Seren H o l m
spricht man nicht mit etwas, was allzusehr an das erinnert, was Hegel
»die schlechte Unendlichkeit« nannte.
Die Sprache kann dazu gebraucht werden, sowohl die Religion wie
die Wirklichkeit zu beleuchten und zu erhellen; aber sie kann nicht dazu
gebraucht werden, um zu diktieren, was Religion und Wirklichkeit sein
sollen, und überhaupt schon nicht dazu, um die Wirklichkeit zu konstituieren und die Religion zu eliminieren. Während die Wirklichkeit durch
eine Sprache beschrieben wird, spricht die Religion zugleich in einer
Sprache; aber obgleich es zwei verschiedene Funktionen sind, die in den
beiden Fällen vollzogen werden, gibt es keinen zwingenden Grund für
die Behauptung, daß es sidi um zwei verschiedene Sprachen handelt. Wie
sehr man auch behauptet, daß das Evangelium das Reden Gottes zu
Menschen sei, darf man doch nicht vergessen, daß die Sprache das »KoineGriechische« war, das die nicht-christlichen Schriftsteller zur gleichen Zeit
gebrauchten und das allen gemeinsam war.
Daß die Verkündigung von einer anderen Seinsmodalität als der der
beschreibenden wissenschaftlichen Sprache redet, ist eine Tatsache; aber
diese darf uns nicht gedankenlos zu der Ansicht verleiten, daß in den
beiden Fällen in zwei verschiedene Formen oder Schichten der Wirklichkeit hineingesprochen wird. Der Pfarrer verkündigt ja auf einer Kanzel,
die der Tischler gemacht hat. Verschiedene Aspekte sind nicht identisch
mit verschiedenen Welten, sondern höchstens identisch mit verschiedenen
Welfcm5/c&ten, und eine besondere religiöse Sprache kann keine besondere
religiöse Ontologie konstituieren.
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