M. Rücker: Wirtschaftswerbung unter dem Nationalsozialismus - H-Net

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Matthias Rücker. Wirtschaftswerbung unter dem Nationalsozialismus: Rechtliche Ausgestaltung der Werbung und Tätigkeit des Werberats der deutschen Wirtschaft. Frankfurt am Main:
Peter Lang, 2000. 399 S. $63.95 (cloth), ISBN 978-3-631-36875-6.
Reviewed by Waltraud Sennebogen
Published on H-Soz-u-Kult (November, 2002)
M. Rücker: Wirtschaftswerbung unter dem Nationalsozialismus
Die Werbegeschichtsschreibung in Deutschland ist
ein junges Feld, dessen Methodik noch dabei ist, sich zu
entwickeln. Vgl. Gries, Rainer / Ilgen, Volker / Schindelbeck, Dirk: Kursorische Überlegungen zu einer Werbegeschichte als Mentalitätsgeschichte, in: dies.: Ins Gehirn
”
der Masse kriechen¡‘. Werbung und Mentalitätsgeschichte, Darmstadt 1995, S. 1-28. Über Grenzen und Möglichkeiten derselben besteht ein erheblicher Diskussionsbedarf, was auch Dussel in seinen kritischen Anmerkungen über das Wundermittel Werbegeschichte“ zum Aus”
druck brachte. Vgl. Dussel, Konrad: Wundermittel Werbegeschichte? Werbung als Gegenstand der Geschichtswissenschaft, in: NPL 42 (1997), S. 416-430.
3] In diesem Zusammenhang sind besonders zwei
neuere Sammelbände von Bedeutung: Bäumler, Susanne
(Hrsg.): Die Kunst zu werben. Das Jahrhundert der Reklame, Köln 1996; sowie: Borscheid, Peter / Wischermann,
Clemens (Hrsg.): Bilderwelt des Alltags. Werbung in der
Konsumgesellschaft des 19. und 20. Jahrhunderts. Festschrift für Hans Jürgen Teuteberg, Stuttgart 1995 (Studien zur Geschichte des Alltags 13). Die Geschichte der
wirtschaftlichen Werbung in Deutschland seit der Industrialisierung stellt sich auch heute noch weitgehend als
eine Terra incognita dar, die bisher nur in Einzelaspekten und ersten Überblicken erschlossen worden ist.[3]
In ganz besonderem Maß trifft dies für die Zeit des
Nationalsozialismus zu. Wenngleich sich die vorzügliche Studie des Wirtschaftshistorikers Reinhardt vor fast
zehn Jahren unter anderem diesem Zeitabschnitt widmete Reinhardt, Dirk: Von der Reklame zum Marketing Geschichte der Wirtschaftswerbung in Deutschland, Berlin
1993 (Rez.: Dussel, Konrad, in: NPL 41 (1996), S. 303f.).
, und einzelne weitere Beiträge Teilaspekte der Wer”
bung im Dritten Reich“ näher beleuchteten Vgl. zuletzt:
Berghoff, Hartmut: Von der Reklame“ zur Verbrauchs”
lenkung. Werbung im nationalsozialistischen Deutschland, in: ders. (Hrsg.): Konsumpolitik. Die Regulierung
des privaten Verbrauchs im 20. Jahrhundert, Göttingen
1999, S. 77-112; sowie: Schindelbeck, Dirk: Werbung für
alle? Kleine Geschichte der Gemeinschaftswerbung von
der Weimarer Republik bis zur Bundesrepublik Deutschland, in: Wischermann, Clemens / Borscheid, Peter / Ellerbrock, Karl-Peter (Hrsg.): Unternehmenskommunikation im 19. und 20 Jahrhundert. Neue Wege der Unternehmensgeschichte, Dortmund 2000, S. 63-97 (Untersuchungen zur Wirtschafts-, Sozial- und Technikgeschichte
19). , blieb Westphals so betitelte, journalistische geprägte
Monographie jahrelang die einzige Arbeit, die sich ausschließlich der Thematik widmete Westphal, Uwe: Werbung im Dritten Reich, Berlin 1989. Zur Wertung dieser
Arbeit als eine populärwissenschaftliche Aufbereitung
”
des Stoffes, nicht jedoch eine tiefergreifende Analyse“
vgl. Reinhardt: Von der Reklame zum Marketing, S. 12.
.
Mit seiner rechtshistorischen Dissertation unternimmt es Matthias Rücker, die rechtliche Ausgestaltung
”
der Werbung“ unter dem Nationalsozialismus und die
Tätigkeit des Werberats der deutschen Wirtschaft“ zu
”
betrachten. Damit findet die zentrale Instanz der nationalsozialistischen Organisationsstruktur des deutschen
Werbewesens nach langer Zeit wieder wissenschaftliche
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Beachtung in monographischer Form. Vgl. Bickelhaupt,
Heinz: Der Werberat der deutschen Wirtschaft, Diss.
Bonn 1953. Erheblich erschwert wurde Rückers Vorhaben durch den anscheinend völligen Verlust der Unterlagen des Werberates selbst - laut seiner Einleitung wurden
sie 1944 bei einem Bombenangriff auf Berlin zerstört (S.
20). So blieb Rücker nur der konsequente Rückgriff auf
Sekundär- und Parallelüberlieferungen - unter anderem
in den Aktenbeständen von Reichspropagandaministerium, Reichswirtschaftsministerium und Neuer Reichskanzlei.
zu problematisieren versteht - mangelte es dem Werberat
mitunter an Zwangsmitteln, um seine Bekanntmachungen, Bestimmungen und sonstigen Anordnungen durchsetzen zu können.
Nach dem Werberat wendet sich Rücker im Abschnitt
Die nationalsozialistische Werbepolitik“ den zwei wich”
tigsten Teilaspekten dieser Politik zu (S. 175-278): Der
Reglementierung der Werbung“ - und zwar sowohl hin”
sichtlich des Inhalts und der äußeren Form, als auch im
Hinblick auf einzelne Werbemittel (Anzeigenwerbung,
Außenwerbung, Verkehrswerbung usw.) - sowie dem
Einsatz der Werbung im Rahmen der Wirtschaftslen”
kung“. Ein ergänzender Ausblick auf Werbeästhetik und
”
Entwicklung der Werbeumsätze“ schließt diesen Teil der
Arbeit ab.
Im ersten Teil der Arbeit steht zunächst Die Ent”
wicklung der Werbung in Deutschland bis zum Beginn
der nationalsozialistischen Herrschaft“ im Mittelpunkt
(S. 21-62). Nach äußerst knapp gehaltenen Begriffsbestimmungen zu Werbung“, Reklame“, Propaganda“
”
”
”
und Wirtschaftswerbung“ (S. 21f.) widmet sich Rücker
”
der Entwicklung der Werbung im Hinblick auf ihre Periodisierung und gesellschaftliche Akzeptanz, bevor er
auf ihre gesetzlichen Reglementierungen zu sprechen
kommt. Ein Abriß der organisatorischen Gliederung der
Werbewirtschaft - verbunden mit einer Beschreibung der
Stimmungslage in der Branche zu Beginn der 30er Jahre
- rundet diesen Teil ab.
In einem 5. Teil folgt Die Gleichschaltung der Wer”
bewirtschaft“(S. 279-303). Überblicksartig unterscheidet
Rücker hier zwischen der “Dienstaufsicht des Werberats
unterstehende[n] Werbeverbände[n]“, sonstige[n] [die”
sem] zugeordnete[n] Organisationen“ und dem Wer”
berat nicht unterstehende[n] Organisationen“. Darüber
hinaus plaziert er an dieser Stelle die Ausschaltung jüdi”
scher Werbefachleute“, was aufgrund der ansonsten thematischen Orientierung des Kapitels am Werberat und
Das Kapitel Der staatliche Zugriff auf die Wer- seinen Kompetenzen fragwürdig erscheint.
”
bung im Rahmen nationalsozialistischer WirtschaftspoAnschließend untersucht Rücker die Stellung des
litik“ (S. 63-101) schließt sich als nächster Abschnitt an.
Werberates innerhalb der Wettbewerbsordnung des
Rücker umreißt die Grundsätze nationalsozialistischer
”
”
Wirtschaftspolitik“ und ihre Auswirkungen […] auf die Dritten Reichs“ (S. 305-345). Er bemüht sich zunächst um
”
Wettbewerbsordnung“. Vor diesem Hintergrund wertet den allgemeinen Nachweis, daß ”nationalsozialistisches
er das Gesetz über Wirtschaftswerbung vom 12. Septem- Gedankengut“ das Wettbewerbsrecht beeinflußt hat. Die
ber 1933 (kurz: WWG) als Ausdehnung des totalitären folgende Passage über die ”Stellung des Werberats“ in”
nerhalb der Wettbewerbsordnung selbst orientiert sich
Machtanspruchs“ der Nationalsozialisten auf das Gebiet
sehr stark an damals diskutierten Problemfeldern - etder Werbung. Seine Darstellung beschränkt sich allerdings im wesentlichen auf die Genese des WWG, so- wa dem ”Verhältnis des Werberats zu ordentlichen Gewie auf dessen inhaltliche Reproduktion, welche die zum richten“ - und beschränkt sich größtenteils auf deren ReGesetz erlassenen Durchführungsverordnungen mit ein- produktion. Der letzte Abschnitt dieses Teils thematisiert
wettbewerbsrechtliche Reformbestrebungen“. Er stützt
schließt.
”
sich im wesentlichen auf eine einzige Sitzung des Fach”
Das WWG schuf auch die rechtliche Grundlage des ausschusses für Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht
Werberates der deutschen Wirtschaft“, der damit als bei der Akademie für Deutsches Recht“ und befremdet
”
zentrale Instanz des nationalsozialistischen Werbewe- deswegen zunächst. Dieser Aspekt ließe sich lediglich als
sens errichtet wurde. Der dritte Teil von Rückers Arbeit Kompensation für das Fehlen derartiger Zeugnisse hin(S. 103-174) behandelt insbesondere die Aufgabenberei- sichtlich des Werberats selbst aufgrund der bereits erör”
che“, die Organisation und Rechtsstellung“, sowie die terten Quellensituation rechtfertigen.
”
Instrumentarien des Werberats zur Durchführung sei”
Im letzten Abschnitt Die Auflösung des Werbener Aufgaben“. Mit der Genehmigungspflicht“ für alle
”
”
rats und die Neuordnung der Werbewirtschaft in der
auf dem Gebiet der Werbung tätigen Berufsgruppen existierte eine zentrale Steuerungsmöglichkeit für die gesam- Bundesrepublik Deutschland“ (S. 347-355) streift Rücker
te Branche. Jedoch - wie Rücker zumindest ansatzweise die Situation unmittelbar nach Kriegsende (Verbot der
Amtsausübung des Werberats) und die Neuordnung der
”
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Werbewirtschaft“ bis hin zum noch heute existierenden
Deutschen Werberat“ kursorisch.
”
Mitunter offenbart die Arbeit Schwächen in der
Darstellung. Die bloße Rekonstruktion des Faktischen,
wenngleich in mühevoller Kleinarbeit unter nicht ganz
einfachen Umständen geleistet, befriedigt nicht immer.
Zu unverbunden stehen viele der Befunde nebeneinander. Bereits die Gliederung wirkt nicht schlüssig: So erschiene es angemessener, die Gleichschaltung der Werbewirtschaft (5. Teil) unmittelbar im Anschluß an die
Darstellung des staatlichen Zugriffs auf die Werbung (2.
Teil) abzuhandeln und die Teile 3 (Werberat der deutschen Wirtschaft) und 4 (Die nationalsozialistische Werbepolitik) im Sinne eines Ursache-Folge-Verhältnisses zu
tauschen. Denn der 6. Teil (Der Werberat innerhalb der
Wettbewerbsordnung des Dritten Reichs) steht in direktem Bezug zu Teil 3. Die Einzelteile sind aber eben jeweils
nicht aufeinander bezogen und so verschenkt Rücker
die Gelegenheit, über das rein Fragmentarisch-Faktische
hinausgehend einen größeren Zusammenhang herzustellen. Die beeindruckende Detailfülle seiner Gliederung
relativiert sich bei Lektüre der Arbeit - offenbart sie sich
dabei doch als größtenteils originalgetreue Übernahme
und Wiedergabe der einzelnen Bestimmungen und Regelungen des Werberates der deutschen Wirtschaft“. Är”
gerlich ist zudem die andauernde Wiederkehr der Bezeichnung Werbungstreibender“ (etwa S. 125) anstel”
le des korrekten Werbungtreibender“ Vgl. etwa: Naue,
”
Erich / Röttger, Martin: Werbung! Zulässig oder verboten? , Berlin 1937, S. 203. - zugleich aber der einzige
sachliche Fehler einer ansonsten äußerst korrekten Arbeitsweise. So dürfte nun endlich auch Klarheit herrschen, über die genaue Anzahl der Bekanntmachungen
des Werberates Bisher widersprachen sich Westphal und
Lill diesbezüglich und auch im Hinblick auf die Anzahl
der zum WWG erlassenen Durchführungsverordnungen.
Vgl. Lill, Ursula, Die pharmazeutisch-industrielle Werbung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Stuttgart
1990, S. 384 bzw. Westphal, Werbung im Dritten Reich,
S. 171-174. , die Rücker in seinen Anhängen (S. 361-376)
- unter anderem neben Kurzbiographien zu wichtigen
Personen der Wirtschaftswerbung im Dritten Reich“ ”
übersichtlich aufzulisten versteht. Ein sehr sorgfältiges
Quellen- und Literaturverzeichnis (S. 377-399) schließt
den Band ab und bietet eine gute Ergänzung der bibliographischen Gesamtsituation des Forschungsfeldes.
So ist Rückers Wirtschaftswerbung unter dem Na”
tionalsozialismus“ insgesamt betrachtet doch ein gelungener Beitrag zur Rekonstruktion der organisatorischen
und wettbewerblichen Verhältnisse im Werbewesen des
Dritten Reichs“. Denn seine Untersuchung über den
”
Werberat der deutschen Wirtschaft“ ist die erste Mo”
nographie zu dieser Thematik seit den 50er Jahren und
zugleich die einzige, die diese Bezeichnung überhaupt
verdient. Bickelhaupts mittlerweile schwer zugängliche,
lediglich sechzig Seiten umfassende Studie kann heutigen Ansprüchen weder in Zitierweise noch in fachlicher
Hinsicht genügen. Gerade bezüglich der gesetzlichen Regelungen der Wirtschaftswerbung erweist sie sich nach
Lektüre Rückers als überaus fehlerhaft. Vgl. Bickelhaupt,
Werberat. Mit ihr wagt sich ein Rechtshistoriker auf ein
Gebiet, das die historische Forschung erst in den letzten Jahrzehnten für sich entdeckte und das sie sich auf
der Basis der von ihm rekonstruierten Fakten in Zukunft
leichter wird erschließen können.
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Citation: Waltraud Sennebogen. Review of Rücker, Matthias, Wirtschaftswerbung unter dem Nationalsozialismus:
Rechtliche Ausgestaltung der Werbung und Tätigkeit des Werberats der deutschen Wirtschaft. H-Soz-u-Kult, H-Net
Reviews. November, 2002.
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