Zur Prävention von Traumafolgestörungen - Dr. Marion Koll

Werbung
Zur Prävention von Traumafolgestörungen
Dr. marion krüsmann
zur
prävention
von
traumfolgestörungen
57
Einleitung
Dass traumatische Ereignisse, wie zum Beispiel ein Unglück mit Todesfolge, ein
Gewaltverbrechen an einer Schule, ihre Spuren hinterlassen, ist seit Menschengedenken bekannt. Und schon immer wusste man, dass die Betroffenen eine
besondere Form von Unterstützung benötigen, da sie selber oft nicht mehr in
der Lage sind, die traumatische Situation zu bewältigen. Aber erst 1980 wurden
die psychischen Symptome, die nach einer extremen Erfahrung auftreten können, erstmals als Diagnose der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTB) im
Diagnostischen und Statistischen Manual der American Psychiatric Association
beschrieben und klassifiziert. (APA 1980) .
Seit dieser Zeit hat sich das Wissen über den Umgang mit traumatisierten Menschen erheblich verbessert und es stehen mittlerweile fundierte Unterstützungsprogramme – auch unmittelbar nach der traumatischen Situation - zur
Verfügung. Diese Konzepte beginnen im Grunde schon vor einer möglicherweise traumatisierenden Situation. Die Vorbereitung auf einen möglichen Notfall – oder gesamtgesellschaftlich gesehen, auf eine Katastrophe – trägt zur
bestmöglichen Bewältigung des Ereignisses bei und nicht nur in Hinblick auf
organisatorische Abläufe, sondern eben auch in Hinblick auf die ablaufenden
psychischen Prozesse. Gerade das Ausmaß der erlebten Hilflosigkeit in der Si59 Einleitung
tuation, ein wichtiger Auslöser von Handlungsunfähigkeit und innerem Chaos,
61 Traumafolgestörungen erkennen und verstehen
kann durch eine präventive Vorbereitung auf mögliche traumatische Ereignisse,
63
verringert werden.
Was passiert genau, wenn wir sagen, ein Mensch ist
traumatisiert worden?
68 Traumafolgestörungen bei Kindern und Jugendlichen
Auch mittel- und langfristig steht eine Reihe von Interventionsmöglichkeiten
71 Die Verarbeitung traumatischer Erfahrungen
zur Verfügung. Nicht selten aber werden diese von den Betroffenen nicht ab-
72 Zur Prävention von Traumafolgestörungen
gerufen oder aufgesucht. Daher ist ein wichtiger Bestandteil funktionierender
73 Primäre Prävention
präventiver Unterstützungsprogramme die Sicherstellung einer professionellen
75 Sekundäre Prävention
Begleitung über den Zeitraum der Akutsituation hinaus.
77 Inhalte der Psychoedukation
Niemand setzt sich gerne damit auseinander, dass auch Kinder und Jugendli-
78 Tertiäre Prävention
che an Schulen von einem Unfall oder einem Gewaltverbrechen betroffen sein
79 Ausblick
können, sei es als vom Unfall oder der Gewalttat Betroffene, als Zeugen oder
80 Literatur
Klassenkameraden.
58
zur
prävention
von
traumafolgestörungen
zur
prävention
von
traumfolgestörungen
59
Der Mensch will sich für gewöhnlich ungern auf solche Möglichkeiten vorbereiten, da man befürchtet dadurch seine Sicherheit im Leben zu verlieren. Oft
sind nur diejenigen bereit, sich gedanklich auf eine traumatische Notsituation
Traumafolgestörungen erkennen
und verstehen
vorzubereiten, die in ihrem Leben schon einmal Ähnliches erlebt haben. Diese Menschen wissen oft, wie alleine man in und nach so einer Situation sein
Das Erleben, Beobachten oder Helfen in oder nach einer extremen Situation
kann und wie wichtig daher Unterstützung von außen ist, gerade wenn man
führt nicht automatisch und immer zu einer Traumatisierung. Nur dann, wenn
selber den Boden unter den Füßen verliert. Daher haben Interventionen, die
betroffene Menschen auf das Ereignis mit Hilflosigkeit, Angst und Entsetzen
unmittelbar nach dem traumatischen Ereignis angeboten werden, immer das
reagieren – wissenschaftlich würde man sagen: ein Mensch dissoziiert –, man
Ziel durch eine umfassende Unterstützung das Sicherheitsempfinden und die
würde aus klinisch psychologischer Sicht von einer Traumatisierung, im enge-
mittelfristige Stabilisierung der betroffenen Menschen zu erhöhen. Langfristi-
ren Sinn von einer Akuten Belastungsreaktion sprechen. Das wissenschaftliche
ges Ziel ist es, neben dieser generellen Unterstützung für Alle, zur Prävention
Diagnosemanual DSM-IV (APA 1996) nennt als Beispiele für potenziell trauma-
der posttraumatischen Belastungsstörung bei besonders betroffenen Personen
tisierende Ereignisse kriegerische Auseinandersetzungen, Terroranschläge,
beizutragen.
gewalttätige Angriffe auf die eigene Person, Vergewaltigung, körperliche Angriffe, Raubüberfälle, Entführungen, Geiselnahmen, Folterungen, Kriegsgefan-
Eine Problematik bei dieser Störung ist die geringe Wahrscheinlichkeit, dass
genschaft und Gefangenschaft in einem Konzentrationslager, Natur- oder durch
sich Betroffene von alleine Hilfe holen können. Zum Einen, weil die Symptome
Menschen verursachte Katastrophen, schwere Autounfälle und die Diagnose
oft nicht als Krankheit erkannt werden, zum Anderen, weil die Tendenz besteht,
einer lebensbedrohlichen Erkrankung.
alles zu vermeiden, was mit dem Trauma zu tun hat. Dies kann dazu führen,
dass Betroffene oft nur körperliche Beschwerden beim Hausarzt behandeln
Bei Traumatisierungen im schulischen Kontext treffen potenziell traumatisie-
lassen, aber nicht nach professioneller psychologischer Unterstützung suchen.
rende Ereignisse einerseits auf Menschen, die im Rahmen ihrer beruflichen
Ihr eigentliches Problem wird so oft übersehen.
Tätigkeit traumatisiert wurden, sie treffen auf Kinder und Jugendliche und auf
Angehörige. Diese sind zwar nicht unmittelbare Betroffene oder Zeugen der
Als Präventionsmaßnahmen in Zusammenhang mit traumatisierten Menschen
traumatischen Situation, können aber auch durch das Ereignis genauso trau-
werden Interventionen beschrieben, die auf das Ereignis vorbereiten (Primäre
matisiert werden, wie die unmittelbar Betroffenen.
Prävention), des weiteren Maßnahmen, die die Aufarbeitung des traumatischen
Für Menschen, die dann in den Tagen und Wochen nach einer traumatisieren-
Ereignisses strukturieren, so dass ein für die Betroffenen günstiger Verlauf
den Erfahrung an extremen und unkontrollierbaren Veränderungen im Erleben
und Betreuung und Beratung unmittelbar und in den Tagen nach dem Ereignis
und Verhalten leiden, werden diese Veränderungen neben dem Symptomstress
(Sekundäre Prävention) gewährleistet ist. Und diese Interventionen in der
an sich zum enormen Belastungsfaktor (Maercker, 1997) .
peritraumatischen Phase sollen auch immer eine Brückenfunktion zu wei-
Betroffene Menschen verstehen nicht, was mit ihnen los ist, sie haben Angst
terführenden Hilfsmaßnahmen und zu Behandlung und Therapie erkrankter
davor, was noch mit ihnen passieren wird und wissen nicht, was zu tun ist.
Personen (Tertiäre Prävention) führen.
Wenn schulische Systeme das Glück haben, dass in ihrer Organisation bereits
Präventionskonzepte, die wirklich greifen, vorhanden sind, dann verstehen sie
durch vorausgegangene Maßnahmen im Idealfall ihre Symptomatik und wissen,
was zu tun ist. Dieses Wissen schützt vor Belastung und fördert die Bewältigung
der Symptome.
60
zur
prävention
von
traumafolgestörungen
zur
prävention
von
traumfolgestörungen
61
Kommen erkrankte Menschen in Behandlung oder erfahren sie eine Beratung
durch speziell ausgebildete Kolleginnen oder Kollegen, so sollte das erste Ziel
sein, den Menschen zu vermitteln, was gerade mit ihnen passiert, dass das
Was passiert genau, wenn wir sagen ein Mensch ist
traumatisiert worden?
angemessene und physiologisch erklärbare Symptome sind, die so normal sind
wie die Schmerzen bei einem Schädelbruch oder einer Wirbelverletzung. Denn
Traumatisiert zu werden, bedeutet im Grunde eine Verletzung des Gehirns, die
allein das Wissen um »Normalität« der beängstigenden Symptome wirkt stabi-
genauso real ist wie eine körperliche Verletzung. Was geht da vor sich? Man
lisierend und heilend.
kann sich das Gehirn wie einen Rechner vorstellen, wir können jeweils nur
auf einer Festplatte (Amygdala oder Cortex) arbeiten, wir können unglaublich
Im Rahmen dieser sogenannten Psychoedukation sollten möglichst einfach die
schnell umschalten, aber nicht gleichzeitig denken und fühlen. Im Hippocam-
Ursachen und die Ausprägungen der Symptomatik beschrieben und am bes-
pus werden neben vielen anderen Prozessen unsere Alarmreaktionen über die
ten auch schriftlich aufgezeigt werden. Ein Ziel der folgenden vereinfachten
Ausschüttung von Cortisol hinuntergekühlt, es wird entweder sehr schnell oder
Darstellung ist es auch, fachlich entsprechend informierte Leser in die Lage zu
aber auch langsam die Stressreaktion nach unten reguliert. Normale Stressre-
versetzen, die Informationen selbst für Schulungen und Psychoedukation zu
aktionen, z. B. die Reaktion auf einen sehr lauten Knall, laufen nun folgender-
verwenden, daher liegt eine verkürzte auch für Betroffene verständliche Be-
maßen ab: In der Amygdala wird eine Alarmrektion ausgelöst, der Hippocampus
schreibung vor.
steuert eine unglaublich schnell verlaufende Informationssuche in den Strukturen des Cortex. Was ist das für ein Geräusch, kenne ich es, weiß ich, was zu tun
ist, kann ich fliehen oder muss ich angreifen?
Cortex „Hirnrinde“
Der Körper reagiert entsprechend dieser Einschätzung mit Entspannung (nur
(u.a. Denken, Wahrnehmung)
ein Überschallflugzeug) oder Aktivierung (ein Unfall, der Notarzt muss gerufen
werden). Jede Form von Aktivierung kann man letztendlich auf eine Angriffs-
Amygdala „Mandelkern“
oder Fluchtreaktionen reduzieren. Bei Stressreaktionen schalten wir unglaub-
(u.a. Gefühle, Körper)
lich schnell zwischen Denken und Fühlen, bzw. Wahrnehmen und körperlich
Reagieren hin und her, die Abstimmungsprozesse im Gehirn verlaufen optimal,
Hippocampus „Seepferdchen“
um die Situation zu lösen (Krystal et al. 1995) .
(u.a. Cool-System)
Anders ist das bei einer Traumatisierung. Der erste Einschätzungsprozess führt
zu der Bewertung, die nicht unbedingt bewusst ablaufen muss: Dies ist lebensbedrohlich, es gibt keine Erfahrung mit der Situation und auch keine Lösung.
Hilflosigkeit, Angst und Entsetzen führen dann zu einer Art Notfallreaktion, welche als Dissoziation bezeichnet wird. Dies bedeutet, dass Cortex und Hippocampus blockiert sind, die Informationen, die dort gespeichert sind, können
nicht mehr abgerufen werden, der Mensch erstarrt oder läuft desorientiert im
Kreis. Eine Art Notfallprogramm (Kapfhammer et al. 2001) wie ein Totstellreflex
läuft an, der vielleicht auch beim Menschen signalisieren soll, ich stelle keine
62
zur
prävention
von
traumafolgestörungen
zur
prävention
von
traumfolgestörungen
63
Gefahr mehr dar oder ich brauche Hilfe aus der Umgebung. Betroffene nehmen
onserleben und dissoziative Amnesie« (APA 1996, S. 496) beschrieben. Weitere
die Gefahr, die Schmerzen nicht mehr war, das sichert unter Umständen das
Symptome der ‚Akuten Belastungsstörung’ sind das Wiedererleben des trau-
Überleben in der Situation, kann die Situation aber auch verschlimmern.
matischen Ereignisses und die Vermeidung verschiedenster Reize, die an das
Trauma erinnern. Treten Vermeidungsverhalten und Wiedererleben ohne Angst,
Übererregung und dissoziative Zustände auf, würde man nicht von einer ABS
Dissoziation
sprechen. Denn diese Reaktionen sind, wenn sie allein auftreten, ganz normale
(Spaltung, Fragmentierung)
Cortex „Hirnrinde“
und gesunde Anpassungs- und Verarbeitungsreaktionen nach einer traumati-
(u.a. Denken, Wahrnehmung)
schen Erfahrung. In den Tagen und ersten Wochen nach einem traumatischen
Ereignis treten diese Reaktionen so gut wie immer auf. Die Diagnose der ‚Aku-
Amygdala „Mandelkern“
ten Belastungsstörung’ setzt voraus, dass das Störungsbild innerhalb von vier
(u.a. Gefühle, Körper)
Wochen nach dem traumatischen Ereignis beobachtet wird und mindestens
zwei Tage, höchstens aber vier Wochen andauert. Bei anhaltenden Symptomen
Hippocampus „Seepferdchen“
spricht man dann von einer ‚Posttraumatischen Belastungsstörung’ (PTBS).
(u.a. Cool-System)
‚Akute Belastungsreaktion’, ‚Akute Belastungsstörung’ und ‚Posttraumatische
Belastungsstörung’ lassen sich also hauptsächlich durch den Faktor Zeit voneinander abgrenzen.
Eine Posttraumatische Belastungsstörung kann nicht vor dem Ablauf von vier
Wochen nach dem Ereignis diagnostiziert werden. Die drei Symptomcluster der
Posttraumatischen Belastungsstörung sind Wiedererleben, Vermeidung und
Die Reaktionen, die unmittelbar nach einer Traumatisierung zu beobachten
Hyperarousal mit folgenden Belastungen (APA 1996) .
sind, werden als ‚Akute Belastungsreaktion’ (ABR) bezeichnen. Sie können begleitet werden von schnell wechselnden Gefühlen der Angst, von Wut und Verzweiflung. Die Entwicklung einer ABR, die laut ICD-10 (das Manual nach dem für
die Krankenkassen diagnostiziert wird) „im allgemeinen innerhalb von Stunden
Be wä lt i g ung
oder Tagen abklingt“ (WHO, 1993, S. 168) ist nach einer traumatischen Erfahrung
V erarbe it ung
nichts Außergewöhnliches und auch nichts Besorgniserregendes, denn die
V erarbe it ung
Symptome klingen in der Regel innerhalb von zwei bis drei Tagen, häufig schon
nach wenigen Stunden, ab.
ABR
Ist dies nicht der Fall, so spricht man von einer ‚Akuten Belastungsstörung’. Hier
ABS
stehen starke, nicht kontrollierbare Ängste und eine vegetative Übererregung
PTB
im Vordergrund. Auch dissoziatives Erleben ist Bestandteil der Störung, dieses
PTB
chronifiziert
wird als »subjektives Gefühl emotionaler Taubheit, (…), Beeinträchtigung der
bewussten Wahrnehmung der Umwelt, Derealisationserleben, Depersonalisati-
64
zur
prävention
von
traumafolgestörungen
bis
48 stunden
zur
prävention
bis zu
4 wochen
von
bis zu
3 m o n at e
traumfolgestörungen
65
Das Wiedererleben der traumatischen Erinnerung äußert sich in so genannten
häufig von extremer Schreckhaftigkeit berichtet.
Intrusionen, dies sind sich aufdrängende, quälende Erinnerungen an das belastende Ereignis. Diese sind häufig nicht im »sprachlichen Gedächtnis« veran-
Die beschriebenen Symptomcluster der PTBS bedingen sich gegenseitig und
kert, sie werden als fragmentiertes Erinnern oder Wiedererleben von Inhalten
halten sich auch wechselseitig aufrecht (Ehlers et al. 2000) . Nach drei Monaten
oder Sequenzen der traumatischen Erfahrung beschrieben. Dies kann sowohl
spricht man von einer ‚Chronifizierung’ und halten die Symptome an, führt dies
in Form von Geräuschen, Gerüchen oder Bildern, aber auch in Form von Ge-
nicht selten zu weiteren destruktiven Veränderungen im Leben eines betrof-
dankenfetzen, vor dem inneren Auge ablaufenden Filmen oder im Extremfall
fenen Menschen. Die Diagnose der »andauernden Persönlichkeitsänderung
als »flashback« auftreten. Bei einem flashback erlebt man sich, als sei man in
nach Extrembelastung« im ICD-10 beschreibt diese Veränderungen als ein
der traumatisierenden Situation und kann dabei auch den Realitätsbezug ver-
Muster von Problematiken in den folgenden Bereichen: eine feindliche oder
lieren. Viele Betroffene durchleben die Ereignisse auch, oft über Jahre hinweg,
misstrauische Haltung der Welt gegenüber, sozialer Rückzug, Gefühl der Leere
in quälenden Alpträumen. Dazu kommen starke psychische und körperliche
und Hoffnungslosigkeit, chronisches Gefühl von Nervosität wie bei ständigem
Stressreaktionen bei Konfrontation mit solchen Reizen, die an das traumatische
Bedrohtsein und Entfremdung. Um die Diagnose stellen zu können, muss die
Ereignis erinnern. Diese werden zum Teil gar nicht bewusst wahrgenommen.
Persönlichkeitsänderung über mindestens zwei Jahre bestehen. Auch wenn
Menschen können durch unbewusst verlaufende Reaktionen auf Triggerreize,
diese schwere Form eine Traumafolgestörung nur selten ist, kann sie auch nach
die meist entfernt einen Bezug zu der traumatischen Erfahrung haben, hoch
einer berufsbedingten Traumatisierung auftreten. Dann kann es zu extremen
belastet sein, ohne zu verstehen, was die Stressreaktionen, die im Extremen
zwischenmenschlichen und familiären Probleme kommen, lange Krankschrei-
dissoziativen Charakter haben können, ausgelöst hat.
bungen bis hin zu Frühberentungen können in selten Fällen möglich sein. Präventive Konzepte wollen genau dies verhindern.
Der zweite Symptomkomplex einer PTBS, das Vermeidungsverhalten, bezieht
sich auf das Vermeiden von inneren und äußeren Erinnerungsauslösern, also
Die PTBS ist nicht die einzige Erkrankung, die nach einer traumatischen Erfah-
von traumabezogenen Gedanken und Gefühlen (z. B. Aufregung), aber auch
rung auftreten kann. Häufig finden sich Suchterkrankungen, Alkohol kann als
generell auf die Vermeidung, über das Ereignis zu sprechen, die Vermeidung
ein Versuch der Selbstmedikation angesehen werden, der unbedingt erkannt
von Orten, Situationen und Tätigkeiten, die an die traumatische Erfahrung er-
und aufgefangen werden sollte. Andere Krankheiten, die auftreten können, sind
innern. Daneben kann es zu einer allgemeinen Abstumpfung, einem »In-sich-
Angststörungen, Depressionen oder psychosomatische Erkrankungen. Gerade
zurückziehen« (Konstriktion) kommen. Betroffene können das Interesse an Din-
bei berufsbedingter Traumatisierung finden sich im Vorfeld von Traumafolgestö-
gen verlieren, die ihnen früher Freude gemacht haben, und fühlen sich ihren
rungen nicht selten Burn-Out Symptome, die für sich genommen keine Erkran-
Mitmenschen gegenüber entfremdet. Darüber hinaus kann es zu ausgeprägten
kung darstellen, aber als Risikofaktor für die Entwicklung von Traumafolgestö-
Erinnerungslücken kommen, ohne dass dies durch einen somatischen Befund
rungen zu sehen sind (Beerlage et al. 2006) .
zu erklären wäre, man spricht dann von einer ‚psychogenen Amnesie’.
Die dritte Symptomgruppe beschreibt die anhaltende Veränderung des Erregungsniveaus, die nach traumatischen Ereignissen auftreten kann (Hyperarousal). Die oftmals beschriebenen Schlafstörungen sind hierbei für die Betroffenen genauso qualvoll wie extreme Konzentrationsschwierigkeiten, die nicht
selten eine Wiederaufnahme des beruflichen Alltags erschweren. Ebenso wird
66
zur
prävention
von
traumafolgestörungen
zur
prävention
von
traumfolgestörungen
67
Traumafolgestörungen bei Kindern
und Jugendlichen
Auch Kinder und Jugendliche können in den verschiedenen Entwicklungsphasen typische traumabedingte Reaktionsmuster auf extreme Erfahrungen entwickeln. Je nach Entwicklungsphase können aber zusätzliche, für diese Phase
spezifische, Problematiken hinzukommen. So können z.B. jüngere Kinder nach
einer traumatischen Erfahrung extreme Trennungsängste entwickeln, Jugendliche können z.B. Suchterkrankungen entwickeln.
Problematisch ist, dass diese traumabedingten Symptome - und hier gerade
auch starke Leistungseinbrüche auf Grund der chronischen Übererregung – oftmals missgedeutet werden. So werden die Symptome häufig übersehen und
nicht behandelt und entfalten so destruktive schwerwiegende Auswirkungen
Kleinkinder zwischen 1 und 3 Jahren können zusätzlich folgende Anzeichen zeigen:
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Gefühlsschwankungen
Hyperaktivität
Unruhestände
Apathie
Angst
Ängstlich angespannte Wachsamkeit
Sprachlosigkeit
Anklammerndes Verhalten
Entwicklungsrückschritte
Misstrauen in die menschliche Beziehung
auf die Entwicklung z.B. die schulische Entwicklung oder das Sozialverhalten.
Hierbei ist grundsätzlich zu sagen: je näher eine traumatische Situation dem
Kinder von 3 bis 6 Jahren entfalten zu den Kleinkindsymptomen oft-
Kind und seiner vertrauten Umgebung kommt, desto gravierender sind die psy-
mals auch:
chischen Folgen für die betroffenen Kinder und Jugendlichen.
In den folgenden Ausführungen sind typische Symptome, in Abhängigkeit des
Entwicklungsstadiums aufgezeigt:
Typische Symptome bei 0- bis 1-jährigen Kinder können sein:
•
•
•
•
•
•
68
Schreien
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Wiederholen traumatischer Erlebnisse mit Spielsachen
Evtl. Äußerungen über Flashbacks, wenn danach gefragt wird
Ins-Leere-Starren
Körperliche Beschwerden ohne Krankheitsbefund
Sozialer Rückzug
Rückläufige Sprachentwicklung
Verlust bereits erlangter sozialer Fähigkeiten
Aggressives Verhalten
Vermehrte Schreckhaftigkeit
Verminderte Beruhigbarkeit
Zusätzlich zu den Symptomen der 1- bis 6-jährigen zeigen Kinder von
Schlafstörungen
6 bis 10 Jahren auch folgende Symptome:
Fütterstörungen
•
•
•
Gedeihstörungen
zur
prävention
von
traumafolgestörungen
zur
Zunehmend die Symptome einer PTBS
Fortgesetztes oder wieder eintretendes Einnässen, Einkoten
Schulleistungsstörungen
prävention
von
traumfolgestörungen
69
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Die Verarbeitung traumatischer Erfahrungen
Konzentrationsstörungen
Veränderte, pessimistische Sicht auf die Welt
Quälende Schuldgefühle
Niedergedrückte Stimmung
Auch hier ist wieder ein kurzer Blick in unser Gehirn hilfreich. Die rot markier-
Risikoverhalten
ten Regionen kennzeichnen unsere unterschiedlichen Gedächtnisstrukturen.
Selbstverletzendes Verhalten
Das explizite Gedächtnis, auch Wissensgedächtnis genannt, ist im Neocortex
Suizidalität
lokalisiert. Das implizite Gedächtnis, auch Verhaltensgedächtnis genannt, wird
Zwanghaftes Verhalten
in subcoritkalen Regionen gesteuert. Implizite Erinnerungen sind somit nicht
Alles gelegentlich auch hinter einer „ganz normalen“ Verhaltensfassade
immer dem Bewusstsein unterworfen und sind daher oft nur sehr schwer zu
steuern. Bei Ängsten spielt die Amygdala eine bedeutende Rolle und auch
traumatische Erfahrungen werden bei einer Erkrankung zunächst in diesen
Während Jugendliche von 10 bis 14 Jahren zusätzlich zu den Sympto-
Hirnregionen gespeichert. In den Tagen und Wochen nach einer traumatischen
men der 6- bis 10-jährigen folgende Anzeichen geben können:
Erfahrung kann sich bei einer optimalen Verarbeitung, durch die Auseinander-
•
•
•
•
•
•
•
setzung mit dem Geschehen, der Ort der Gedächtnisspeicherung verändern.
Zunehmend Symptome im Sinne der klassischen PTBS
Durch diese Auseinandersetzung werden große Teile der Erinnerung vom impli-
Bei Gewalterfahrungen ein „Wiederherstellen“ traumatischer Situationen
ziten ins explizite Gedächtnis »verschoben«. Die Erinnerungen sind dann nicht
in verschiedenen Beziehungen (zu Gleichaltrigen, Erwachsen usw.)
mehr unkontrollierbar, es werden nicht mehr durch die niederschwelligen, oft
Ess-Störungen
nicht bewussten Reize von außen qualvoller Erinnerungsfetzen ausgelöst, das
Selbstverletzendes Verhalten
Ereignis kann dann weiter verarbeitet, bewältigt und integriert werden.
Vermehrt Suizidalität
Drogenkonsum
Andere psychiatrische Krankheitszeichen
Implizites Gedächtnis
Explizites Gedächtnis
Jugendliche von 14 bis 18 Jahren können oftmals neben den Symptomen, die schon 10- bis 14Jährige zeigen, auch einen sogenannten
Teufelskreis des Scheiterns entwickeln:
•
•
•
•
•
•
70
Schlechte Selbstwahrnehmung
Soziales und/oder schulisches Scheitern
(Symptombedingte) misslungene erste Beziehung
vermehrt Drogenkonsum
Perversionen
Weitreichende existentielle Zukunftsängste
zur
prävention
von
traumafolgestörungen
zur
prävention
von
traumfolgestörungen
71
Diese Auseinandersetzung ist aber nicht immer unmittelbar nach dem Ereig-
(Caplan, 1964). Unter Primärer Prävention wird das Eingreifen, die Unterstüt-
nis oder in den sich anschließenden Tagen und Wochen möglich. Gerade bei
zung vor dem Auftreten eines belastenden Ereignisses im Sinne einer Vorsor-
schwerer interpersonaler Gewalt oder wenn im Rahmen einer berufsbedingten
gemaßnahme verstanden. Sekundäre Prävention beschreibt das Eingreifen eng
Traumatisierung Schuldgefühle vorhanden sind, muss Zeit vergehen. Eine Aus-
nach dem Auftauchen erster Belastungen, mit dem Ziel, eine Erkrankung zu
einandersetzung ist erst dann sinnvoll, wenn sich die ersten schweren Symp-
verhindern. Tertiäre Prävention, die auch als Rehabilitation bezeichnet werden
tome gelöst haben. Bei vielen Betroffenen ist dies schon nach wenigen Tagen
kann, kennzeichnet das Eingreifen nach der Ausbildung einer manifesten Stö-
der Fall, genauso häufig aber benötigen traumatisierte Menschen eine längere
rung, mit dem Ziel, vorhandene Symptome zu mildern und die Chronifizierung
Zeit des Abstands.
zu verhindern.
Zur Prävention von Traumafolgestörungen
Primäre Prävention
Warum Primärprävention, was hilft es zum Beispiel an Schulen, etwas über die
Die zeitlich gesehen erste Berufsgruppe, die sich systematisch mit der Pro-
Thematik zu wissen, wenn man och nicht verhindern kann, dass es zu einer
blematik der akuten Traumatisierung beschäftigte, waren Einsatzkräfte. Die-
Traumatisierungen kommt. Forschungsergebnisse zeigen, dass Personen, die
se entwickelten vor ca. 15 Jahren, sicher auch aus dem Erleben der eigenen
mehr Wissen über die Thematik haben, weniger belastet sind.
Überlastung heraus, einerseits Systeme wie die Krisenintervention, die Unter-
In der Untersuchung der Münchner Arbeitsgruppe (Krüsmann et al. 2011) zeigt
stützung für die Allgemeinbevölkerung vorhält. Andererseits wurde die eigene
die Auswertung von N = 1016 Teilnehmern aus 30 Wehren, 15 geschulten und
Überlastung wahrgenommen und thematisiert. Auf der Suche nach Möglich-
15 Kontrollwehren, dass die Belastung bei den Einsatzkräften, die durch Schu-
keiten, Einsatzkräfte selbst zu unterstützen, wurde man in den USA fündig und
lungen präventiv Wissen erworben hatten, im Durchschnitt um 17 % sinkt (p =
übernahm von dort das Konzept des Criticl Incident Stress Debriefings, das von
.027, das Ergebnis wird auf dem 5 % Niveau signifikant, RMSEA = .038)
Mitchel und Everly (1995) entwickelt worden war. Bundesweit etablierten sich
in den letzten Jahren unterschiedliche Konzepte für die Unterstützung von Ein-
Wissen um die Thematik der Traumafolgestörungen heißt einerseits, zu verste-
satzkräften (z. B. die SbE Bundesvereinigung zur Stressbearbeitung nach belas-
hen, wie sich traumatische Erfahrungen auswirken können und andererseits,
tenden Einsätzen e.V. oder das Mediatorenmodell des Malteser Hilfsdienstes).
Kenntnisse über die Bewältigung der Symptome und dysfunktionalen Gedanken
Gemeinsame Merkmale dieser Programme waren zum Einen die Etablierung
(ich werde nie mehr gesund, nur mir geht es so) und Gefühle (Schuld, Scham,
von so genannten »peers«, Betreuungskollegen und Betreuungskolleginnen,
Angst) erworben zu haben. Für die Primärprävention werden daher folgende
die als generelle Ansprechperson als Vermittlung für die Thematik fungieren
Ziele vorgeschlagen:
und zum Anderen die Konzentration auf Angebote, die nach extrem belastenden Einsätzen durchgeführt wurden (Krüsmann 2003) .
Mittlerweile hat sich, wie bereits erwähnt, die Unterteilung der Präventionskonzepte in die Bereiche Primäre, Sekundäre und Tertiäre Prävention etabliert
72
zur
prävention
von
traumafolgestörungen
zur
prävention
von
traumfolgestörungen
73
Sekundäre Prävention
Strukturelle Ziele
•
•
•
•

Verantwortlichkeiten für Präventionsarbeit festlegen;
Entwicklung eines passenden Präventionskonzeptes;
Bei der Sekundären Prävention geht es zum einen darum, unmittelbar nach
Wenn gewollt, Ausbildung von Beratungskollegen (z. B. Schulpsychologe);
dem Ereignis zu stützen; zum andern sind auch psychoedukative und beraten-
Einbindung und Schulung von Führungskräften fördern;
de Interventionen in den ersten Wochen nach dem Ereignis der Sekundären
Prävention zuzuordnen.
Bereitstellung von Systemen die die Sekundäre und Tertiäre Prävention
Interventionen im peritraumatischen Intervall (in den Stunden nach dem Er-
gewährleisten.
eignis oder solange z. B. Personen akut vermisst werden) dienen der Unterstützung der Betroffenen. Sie sollen helfen, die Situation zu strukturieren und
Ressourcen zu aktivieren. Im Kontext von Traumatisierung im schulischen Kontext, werden z.B. von Seiten der Regierung und der Kirchen Systeme zur Unter-
Inhaltliche Ziele
•
•
•
•
•
•
•

stützung bereit gehalten. Die Inhalte einer Betreuung müssen an die jeweilige
Sensibilisierung für die Thematik;
Situation angepasst werden, sollten sich aber an folgenden Zielen orientieren
Keine Tabuisierung, keine Dramatisierung;
(Krüsmann & Müller-Cyran 2005) .
Wissen über Traumafolgestörungen erhöhen;
•
•
•
Normalisierung von Belastung;
Erhöhung von Bewältigungswissen;
Ressourcen aktivieren;
Symptome erkennen und frühzeitig behandeln lassen;
Allgemeine Gesundheitsfürsorge fördern.
•
•
•
•
•
•
•
•
Übersicht über die Lage verschaffen;
Stabilisierung unterstützen und sichere Räume schaffen;
Situation strukturieren und Transparenz der zu erwartenden Abläufe herstellen;
innere Ressourcen fördern;
Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit fördern:
Evtl. Abschiednahme von dem oder der Verstorbenen;
Information der Angehörigen gewährleisten
Unterstützung beim Umgang mit Medien
Unterstützung der Führungskräfte
Einbeziehung der sozialen Ressourcen
Planung des weiteren Vorgehens
Peritraumatische Interventionen sind grundsätzlich sinnvoll, sie sollten aber immer an das Befinden der betroffenen Personen angepasst werden, denn nicht
immer sind deren Bewältigungskapazitäten erschöpft. Dann sollte peritraumatische Interventionen das Selbstwirksamkeitserleben der Betroffenen nicht reduzieren und sich auf das wirklich Nötige konzentrieren. Ummittelbar nach einer
74
zur
prävention
von
traumafolgestörungen
zur
prävention
von
traumfolgestörungen
75
extremen Traumatisierung ist Unterstützung sinnvoll und wichtig, gerade das
wie sie mit diesen ungewohnten Veränderungen konstruktiv umgehen können.«
Moment – meine Organisation, meine Schule ist für mich da und lässt mich hier
Inhalte der Psychoedukation sollten sein:
nicht alleine hängen – hat protektive Wirkung. Die Entwicklung von Symptomen
lässt sich durch diese Maßnahmen allerdings nicht vollständig verhindern, hier
sind dann die nächsten Tage und Wochen ausschlaggebend, denn es geht darum, zu verhindern, dass betroffene Menschen durch das Ereignis langfristig
Inhalte der Psychoedukation sollten sein:
erkranken. Sekundäre Prävention, mit den richtigen Inhalten, ist hier wirkungsvoll (Bryant et al, 1998) .
Wer soll diese durchführen? Die Wahrscheinlichkeit, in den Tagen nach einer
Beschreibung des Vorgangs der Traumatisierung
Traumatisierung an Schulen auf extrem belastete Menschen zu treffen, ist
Wichtig ist, dass die Betroffenen verstehen, wie Menschen in einer trau-
hoch. Daher sollten idealerweise schon zu diesem Zeitpunkt Fachkräfte für die
matischen Situation reagieren können. Am besten ist es, dies schriftlich zu
Psychoedukation, für Beratung und/oder Behandlung hinzugezogen werden.
erklären (Kopf aufzeichnen, den Vorgang der Dissoziation erklären und nor-
Was sind die richtigen Inhalte? Gruppeninterventionen sind nicht unbedingt die
malisieren). So können die Betroffenen die Aufzeichnung mit nach Hause
Methode der Wahl, nicht alle Interventionen sind das Richtige für alle Betrof-
nehmen, ihren Angehörigen zeigen, sie können sich vergegenwärtigen, was
fenen. Vergegenwärtigt man sich die unterschiedlichen Adaptationsprozesse,
sie gehört haben, denn sicher wurde nicht alles gespeichert.
wird deutlich, dass wir es mit unterschiedlichen Personengruppen zu tun haben. Diese befinden sich in unterschiedlichen Prozessen und sind daher auch
Beschreibung der Symptome
unterschiedlich zu behandeln und zu
Die Normalisierung von Dissoziation, Angst und Übererregung, mit dem
beraten.
Hinweis verbunden, dass diese Symptome in der Regel von Tag zu Tag weniger werden, steht hier im Vordergrund. Auch andere Symptome sollten
Menschen, die nach einer berufsbedingten Traumatisierung erkrankt sind,
beschrieben und erklärt werden, wichtig ist immer der Blick auf den physio-
brauchen Schutz und unter Umständen eine Auszeit, eine Behandlung der Er-
logischen Hintergrund. Auch wenn man die Verletzung im Kopf nicht sehen
krankung ist sinnvoll, sie vermeiden Gespräche über das Ereignis. Diejenigen,
kann, ist sie so real wie eine körperliche Verletzung.
die nicht erkrankt sind und die Auseinandersetzung nicht vermeiden müssen,
können oft schnell wieder in den Arbeitsprozess zurück, sie suchen häufig die
Wie wird ein Trauma verarbeitet?
Gespräche mit Kollegen und Kolleginnen über das Ereignis, und das tut ihnen
Hier sollten die Betroffenen verstehen, dass belastete und erkrankte Men-
auch gut. Es ist also wichtig, zu bedenken, dass wir es mit unterschiedlichen
schen in den ersten Wochen unterschiedliche Bedürfnisse haben, Unter-
Gruppen zu tun haben.
schiedliches benötigen, um das Geschehene zu überwinden. Wichtig ist
Was aber immer für beide Gruppen sinnvoll, wichtig und anzuraten ist, ist eine
aber auch, dass verstanden wird, dass grundsätzlich die Auseinanderset-
gute Psychoedukation. Wichtig ist hier, dass das Ereignis nur am Rande erwähnt
zung mit dem Ereignis heilend ist. Dies kann in Form eines Gespräches, des
wird. Man könnte sich folgenden einleitenden Satz denken »Wir sind hier, sie
Niederschreibens, des Nachdenkens, des Gebetes passieren, hier gibt es in-
sind hier weil ... geschehen ist. Heute wollen wir nicht weiter darauf eingehen,
terindividuelle und interkulturelle Unterschiede, die zu beachten sind. Auch
das kann zu schwierig sein. In einigen Wochen mag das anders sein und dann
die Wichtigkeit einer Balance zwischen Abstand und Auseinandersetzung
wird es wichtig sein, sich damit auseinanderzusetzen. Heute geht es eher dar-
sollte hier thematisiert werden.
um, dass ich Ihnen erkläre, was durch so ein Ereignis ausgelöst werden kann und
76
zur
prävention
von
traumafolgestörungen
zur
prävention
von
traumfolgestörungen
77
Wie verhält man sich am Besten, was unterstützt?
Ausblick
Atmungsübungen gegen Hyperventilation, Überkreuzübungen wie Tappen
(z. B. abwechselnd langsam auf die Schenkelregion über dem Knie klopfen)
gegen Dissoziation, leichte Bewegung zur Entspannung, Schlafhygiene, so-
Schön wäre es, vorhandene Konzepte flächendeckend umzusetzen, um so für
ziale Unterstützung annehmen, kein weiterer Stress, Schonung (Vermeidung
alle Menschen, die im Kontext Schule durch eine traumatische Erfahrung belas-
darf in den ersten Tagen sein)
tet wurden, ein System zu schaffen, welches verhindert, dass sich Menschen
unerkannt erkrankt durchs Leben quälen müssen. Traumafolgestörungen wer-
Planung der nächsten Schritte
den von den Betroffenen selbst nicht als Krankheit erkannt. Sie denken, die
Symptome sind nach dem, was sie erlebt haben, folgerichtig und nicht zu verändern. Viele Klienten und Klientinnen, die ich – immer noch viel zu oft Monate
oder gar Jahre nach dem Ereignis – behandelt habe, sagten Sätze wie:
Tertiäre Prävention
„Wäre ich früher zu ihnen gekommen, hätte ich mir viel Leid und Elend
sparen können. Im Grunde war jeder Tag der Qual unnötig.“
Tertiäre Prävention ist Therapie und muss auch psychologischen oder medizinischen Psychotherapeuten vorbehalten sein. Hier nur einige wichtige Grundsät-
„In Zukunft werde ich alles dafür tun, dass die Kollegen, denen das Glei-
ze für Interventionen, die in der akuten Phase durchgeführt werden. Diese gel-
che passiert, sofort in Behandlung kommen, ich hätte nie gedacht, dass
ten grundsätzlich auch für die Anfangsphase einer psychotraumatologischen
das so gut hilft“.
Behandlung. Immer sollten im Rahmen einer Therapie die Auseinandersetzung
und das Annehmen der Erfahrung auf einer Basis von Sicherheit und Ressour-
Kommen Menschen nach einer Traumatisierung schon in den ersten Tagen
cenaktivierung stattfinden. Dazu ist es in der akuten Phase und zu Beginn der
oder Wochen nach dem Ereignis in eine traumafokussierte Behandlung, kann
Behandlung einer Chronifizierung notwendig, folgende Punkte zu beachten
der unnötig lang andauernde Symptomstress verhindert werden. Sehr oft kann
(Krüsmann 2010) .
dann der Entwicklung einer PTBS präventiv begegnet werden und die Betroffenen können nach wenigen Stunden Therapie alleine den Weg der Verarbeitung
•
•
Kognitives Vorgehen, keine emotionale Vertiefung;
und Integration des Ereignisses beschreiten, das allein ist ja schon eine Her-
Arbeiten in Gegenwart und Zukunft, keine Reaktivierung der traumati-
ausforderung.
•
alle Elemente der Psychoedukation (siehe Sekundäre Prävention) durch-
•
•
•
78
schen Erfahrung;
führen;
ndividuelle Bewältigungsstrategien und Ressourcen nützen;
Stunden sollten strukturgebend, stützend und planend sein;
Klient bzw. Klientin sollte erste Sitzungen nicht schlechter gestimmt verlassen als sie begonnen wurde.
zur
prävention
von
traumafolgestörungen
zur
prävention
von
traumfolgestörungen
79
Literatur
Maercker A (1997): Therapie der posttraumatischen Belastungsstörungen. Berlin, Heidelberg, New York: Springer
Mitchell, J. T.; Everly, G. S. J. (1995): The critical incident stress debriefing (CISD) and the
prevention of work-related traumatic stress among high risk occupational groups. In:
Everly, G. S.; Lating, J. M. (Hg.): Psychotraumatology: Key papers and core concepts in
post-traumatic stress. New York, S. 267 – 280.
APA (American Psychiatric Association) (1996): Diagnostisches und statistisches Ma-
WHO (World Health Organization) (1993): Internationale Klassifikation psychischer Stö-
nual psychischer Störungen. DSM-IV. 4. Aufl. Dt. Bearb. v. H. Saß, H.-U. Wittchen & M.
rungen. ICD-10 Kapitel V (F). Diagnostische Kriterien für Forschung und Praxis. 2. korr.
Zaudig. Göttingen.
u. erg. Aufl.; übersetzt und herausg. v. Dilling, H.; Mombour, W.;Schmidt, M. H.; Schulte-
Beerlage, I,; Hering, T.; Nörenberg, L. (2006): Entwicklung von Standards und Empfeh-
Markwort, E.. Bern.
lungen für ein Netzwerk zur bundesweiten Strukturierung und Organisation psychosozialer Notfallversorgung. Schriftreihe der Schutzkommission beim Bundesminister des
Inneren. Herg. V. Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe im Auftrag
des BMI. Neue Folge Band 57, Bonn
Bryant, R.A., Harvey, A.G., Dang S.T., Sackville, T. & Basten, C. (1998). Treatment of
acute stress disorder: A comparison of cognitive-behavioral therapy and supportive
counseling. Journal of consulting and clinical Psychology, 66 (5) 862-866.
Caplan, G. (Hg.) (1964): Principles of Preventive Psychiatry. New York.
Ehlers, A.; Maercker, A. & Boos, A. (2000). Predictors of chronic PTSD following political
imprisonment: The role of mental defeat, alienation, and perceived permanent change.
Journal of Abnormal Psychology, Vol. 109, S. 45-55.
Kapfhammer, H.P.; Dobmeier, P.; Ehrentraut, H.B. & Rothenhäusler, H-B. (2001).
Trauma und Dissoziation – eine neurobiologische Perspektive. Psychotherapie in Psychiatrie, Psychotherapeutischer Medizin und Klinischer Psychologie, Vol. 6, S. 114-129.
Krüsmann, M. (2003): Prävention posttraumatischer Störungen im Einsatzwesen. In: Butollo, W.; Hagl, M. (Hg.): Trauma, Selbst und Therapie. Konzepte und Kontroversen in der
Psychotraumatologie. S. 147 – 161.Bern, Hans Huber
Krüsmann, M. (2010): Sind Helfer gegen Belastung immun? Vortrag gehalten auf der 5.
Fachtagung »Wer ist für die Helfer da?« Uni-Greifswald.
Krüsmann, M.; Müller- Cyran, A. (2005). Trauma und frühe Interventionen. München,
Pfeiffer bei Klett Cotta
Krystal, J.H., Bremner, D., Southwick, S.M., & Charney, D.S. (1998). The emerging
neurobiological of dissoziation: Implications für treatment of posttraumatic stress disorder. In: J.D. Bremner & C.R. Marmar. (Eds.) Trauma, memory and dissociation. (312363). Washington: American Psychiatric Press.
80
zur
prävention
von
traumafolgestörungen
zur
prävention
von
traumfolgestörungen
81
Herunterladen