Predigt über Johannes 1,1-5.10-12.14.16 THEMA: JESUS, GOTT SEIT EWIG? Pfr. Daniel Eschbach am 13.09.2015 in der EMk Bülach Liebe Gemeinde, Jesus von Nazareth hatte eine unvergleichliche Wirkung auf die Menschen, denen er begegnete: Ein Pharisäer und hochrangiger Jude ( Nikodemus; vgl. Jh 3), der um seinen guten Ruf fürchtete, konnte es dennoch nicht lassen, Jesus bei Nacht und Nebel in ein langes Gespräch zu verwickeln. Eine menschenscheue, durch zahlreiche Affären ausgenutzte und verletzte Frau trommelte in der grössten Tageshitze ein ganzes Dorf zusammen, weil Jesus da war (vgl. Jh 4). Ein erfolgsorientierter Zöllner mit guter Karriere verliess Knall auf Fall seinen Arbeitsplatz, um mit Jesus übers Land zu ziehen ( vgl. Mk 2,13ff par). Erfahrene und hochgelehrte Priester und Schriftgelehrte hingen stundenlang an den Lippen des erst zwölfjährigen Jesus und konnten gar nicht genug hören von dem, was er sagte (vgl. Lk 2,41ff). Und dann habe ich alle die Wunder und Heilungen noch gar nicht erwähnt, die von Jesus berichtet werden. Unglaublich, welche Wirkung dieser Jesus von Nazareth auf Menschen hatte. Er war etwas ganz Besonderes. Die wenigsten Menschen, die ihm damals begegneten, hätten genau formulieren können, was eigentlich das Besondere war an diesem Jesus. Sie spürten zwar: In ihm kommt der Gott Israels und Schöpfer der Welt nahe, ganz neu und noch einmal ganz anders als bisher in der Geschichte des Volkes Gottes. Und man begann davon zu reden, dass Jesus ein Mann Gottes sei, einer, der vom Geist Gottes gesalbt sei. Er sei mit Gott eins, wie vor ihm noch keiner. Ja sogar, in ihm werde der himmlische Vater sichtbar. – Es dauerte allerdings mehrere Jahrhunderte, bis diese Bilder und Vergleiche in einem Glaubensbekenntnis formuliert waren, das von allen Seiten Zustimmung fand: „In Jesus ist Gott Mensch geworden. Christus ist wahrer Mensch und wahrer Gott, der in zwei Naturen zwar unvermischt und unverwandelt, aber auch ungetrennt und ungesondert erkannt wird.“ So formulierte und bekannte im Jahr 451 n.Chr. das KONZIL VON CHALKEDON. Damit konnte endlich ein Schlussstrich gezogen werden unter die leidigen und leidvollen Streitigkeiten, wer Jesus denn nun wirklich sei. Eine ganz wichtige Hilfe auf dem Weg zu diesem Meilenstein des christlichen Glaubensbekenntnisses war der Anfang des 4.Evangeliums, der sogenannte Johannes-Prolog. Teile daraus will ich nun lesen, in einer Übertragung von Fabian Vogt. Und dann will ich von da aus weiter der Frage nachspüren, wer denn dieser Jesus von Nazareth, den Gläubige Christus nennen, sei: Am Anfang war das Wort. Und das Wort war bei Gott, weil Gott selbst das Wort war. So gehört das Wort von Anfang an zu Gott. Alles ist durch das Wort entstanden, und nichts, was existiert, existiert ohne das Wort. Im Wort kam das Leben selbst zu uns – Das Leben, das zum Licht der Menschen wurde, zu einem Licht, das die Finsternis erhellt, und von der Finsternis nicht überwunden werden konnte. Jesus, das Wort kam auf die Welt, die Welt, die er selbst geschaffen hat, aber die Welt erkannt ihn nicht. Er kam in seine eigene Schöpfung, und seine Geschöpfe wollten ihn nicht aufnehmen. Doch allen, die ihn aufnahmen, schenkte er das Recht, Kinder Gottes zu werden, allen die an ihn glaubten. Das Wort wurde zu einem Menschen und lebte mitten unter uns. Wir konnten seine Herrlichkeit sehen, die Herrlichkeit, die der Vater seinem einzigen Sohn gegeben hat, all seine Gnade und Wahrhaftigkeit. Und aus dieser Fülle sind wir alle mit unendlich viel Güte beschenkt worden. Johannes 1,1-5.10-12.14.16 (nach FABIAN VOGT) Dieser sog. Prolog des 4.Evangeliums ist in gewisser Weise die Weihnachtsgeschichte nach Johannes. Er ist allerdings nicht unbedingt für Soschu-Weihnachtsfeiern geschrieben, sondern hat eine andere Zielgruppe. Das Jh-Ev ist für Gemeinden geschrieben, die sich stark mit griechischer Philosophie beschäftigten. Und der Evangelist muss sehr lange darüber nachgedacht haben, wie er diesen Menschen das Geheimnis der Geburt Jesu klar machen könne. Er suchte Formulierungen, die von Griechen verstanden und doch von Juden akzeptiert werden konnten. So kam er auf die geniale Idee, das Ganze am Begriff des ‚Wortes’ aufzuhängen. I. DAS ‚W ORT’ Das ‚Wort’ ( Hebr: ‚)’דברist im AT der Inbegriff der Wirkungsmacht Gottes. Schon im Schöpfungsbericht – auf der ersten Seite der Bibel – wird das überdeutlich: Gott sagt ein Wort … und dann geschieht, was er gesagt hatte. Der mit Abstand häufigste Satz im AT heisst: „Und Gott sprach.“ Ausserdem begegnet immer wieder die eigenartige Formulierung: „Das Wort Gottes geschah“. Für das AT ist klar: Wenn etwas gesagt wird – und vor allem: Wenn Gott etwas sagt – dann geschieht auch etwas. Im Begriff ‚Wort’ verdichtet sich für das AT die wirksame Macht Gottes. Aber auch im griechischen ( ‚hellenistischen’) Denken spielt das Wort eine grosse Rolle. Der ‚Logos’ ( Griech: ‚ ’), wie das Wort dort heisst, ist so etwas wie die Urvernunft. Es ist das, was die Welt im Innersten zusammenhält. Keiner Aussage konnte ein Grieche so überzeugt zustimmen wie dem Satz: „Am Anfang war der Logos“ ( ‚Wort’). Und auch, dass dieser Logos zum Bereich des Göttlichen gehörte, hätte kaum ein Grieche ernsthaft bestreiten wollen, und ein Jude sowieso nicht. Das Wort gehört zu Gott. Und durch das Wort wurde die Welt geschaffen. So konnte der Evangelist Johannes also mit seinem ersten Satz ‚Am Anfang war das Wort’ sowohl Juden als auch Griechen bei ihrer eigenen Weltanschauung abholen. Dem konnten beide Seiten uneingeschränkt zustimmen. Eine neue Entscheidung wurde erst nötig, wenn dieses ‚Wort’ mit Jesus identifiziert wurde. Genau dies tat der Jh-Prolog freilich. In V.10 heisst es: „Jesus, das Wort, kam auf die Welt.“ WAS IST DAMIT AUSGESAGT? Ich sehe drei Punkte: Jesus gehört ganz zu Gott. Das enge Verhältnis von Jesus zu Gott kann man eigentlich nur in Bildern beschreiben. Am häufigsten ist im NT die Formel: ‚Jesus ist Gottes Sohn’. Auch das ist nur ein Bild für die unvergleichlich enge Beziehung zwischen Jesus und Gott. Johannes drückt dasselbe zunächst anders aus. Er benutzt den Begriff des Wortes, weil das Wort mit dem, der es spricht, ganz eng verbunden ist. „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.“ Jesus war schon vor dem Anfang der Welt da. Wenn Jesus ‚das Wort’ ist, dann kann er nicht mit der Schöpfung erschaffen worden sein, sondern muss schon vorher da gewesen sein. Die Griechen glaubten an diese ‚Präexistenz’ des Logos. Die Juden wussten darum, dass die Welt durch ‚das Wort’ geschaffen wurde. Wenn Jesus also ‚das Wort’ ist, dann gehört er nicht auf die Seite des Geschaffenen, sondern auf die Seite des Schöpfers. Das ist eine steile Aussage, dass Jesus bei der Erschaffung der Welt prägend mitbeteiligt war und dass er vor aller Zeit schon da war. Doch den ersten Christen war diese Glaubenaussage sehr wichtig. Darum taucht sie nicht nur im Johannes-Prolog auf, sondern z.B. auch – wie ganz zu Beginn gehört ( Grusswort) - im Kolosserbrief (vgl. ebenfalls 1.Korinther 8,6; Hebr 1,2 u.a.). Es ist das, was Jesus von allen Propheten vor ihm unterscheidet: Er verkündet nicht nur das Wort Gottes, sondern er ist dieses Wort von Anfang an gewesen. Und das führt zum dritten Punkt. Jesus ist der Grund, der die Welt im Innersten zusammenhält. Nach Überzeugung der Griechen war der Logos das innere Prinzip, nach dem die Welt funktioniert. Ohne Logos würde die ganze Welt in sich zusammenfallen. Und für Juden war auch klar: Wenn Gott der Welt sein schöpferisches und segnendes Wort entzieht, dann bricht das Weltgefüge zusammen. Wenn nun also Johannes Jesus als das ‚Wort’ bzw. den Logos bezeichnet, dann heisst das: Er ist die tragende Mitte, Jesus ist die Achse, um die sich das ganze Weltgefüge dreht. Ohne ihn gäbe es nichts, kein Licht, kein Leben, keine Wahrheit, keinen Sinn. II. DIE KATASTROPHE Damit ist die Grundlage gelegt. Im Folgenden liefert der Jh-Prolog eine Kurzfassung der gesamten biblischen Botschaft. Das AT erzählt ja nach den Schöpfungsberichten zuerst, dass die Menschen sich von Gott abgewendet haben. Doch der will sich damit nicht abfinden. Ab der Sündenfallgeschichte geht es eigentlich nur darum, dass und wie Gott die dadurch entstandene Trennung wieder überwinden will. Gott geht den Menschen nach, er spricht weiter zu ihnen, durch Mose und durch die Propheten. Schliesslich spricht er in Jesus sein definitives Wort zu uns Menschen. Klarer und eindeutiger als in Jesus Christus hat Gott nie gesprochen und kann er auch nicht sprechen. Der Jh-Prolog fasst Jesus Mission so zusammen: „Das Licht erhellt die Finsternis“. Mit ‚Finsternis’ ist jene abgrundtiefe Dunkelheit gemeint, in die sich die Menschheit durch ihre Trennung von Gott hineinmanövriert hat. In diese Dunkelheit hinein wird Jesus geboren. Er kommt, wie das Lk-Ev erzählt, als Kind in die Armut des Stalles von Bethlehem. Das Licht kommt in die Finsternis, um sie zu erleuchten. Der Engel verkündete den Hirten die beste aller Nachrichten: „Siehe, ich verkündige euch grosse Freude, denn heute ist euch der Heiland geboren! Christus, der Retter ist da!“ (vgl. Lk 2,10f). Doch dann passiert das Unfassbare. Der Jh-Prolog formuliert: „Er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn gemacht; aber die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum; und die Seinen nahmen ihn nicht auf.“ – Die totale Katastrophe. Eigentlich gar nicht denkbar, was da passiert ist. Wie kann die Welt den, nach dessen Vor- und Urbild sie gemacht ist, nicht erkennen? Wie kann der Ursprung allen Seins, der König aller Könige, in sein Reich und Eigentum kommen, und die Seinen nehmen ihn nicht auf? Was hier passiert, ist wie ein ‚zweiter Sündenfall’. Noch einmal sagen die Menschen ‚Nein’ zu Gott. Gott macht in Jesus das ultimative Angebot bedingungsloser Liebe und Vergebung. Doch die Menschen lehnen ab. Unfassbar. Die Finsternis kann sich tatsächlich dem Licht gegenüber verweigern. Die Menschen können tatsächlich Gottes Liebe ausbremsen. Gott schickt sein Wort, seinen Sohn, seinen Mittler – doch die Menschen schlagenihn ans Kreuz. Nun fragt sich doch Ist die Mission damit definitiv gescheitert? – Nicht ganz, sagt Johannes. Gottes Angebot in Jesus Christus steht nach wie vor. III. GOTTES ANGEBOT Wenigstens einige Leute haben Gottes Liebesangebot auch angenommen. Und „denen gab er das Recht, Gottes Kinder zu werden.“ Erstaunlicherweise waren darunter viele offensichtliche (stadtbekannte) Sünder, während die grosse Mehrheit der ‚anständigen’ Leute das Angebot ablehnte. Natürlich gab es auch Ausnahmen, Pharisäer, die Jesus glaubten (z.B. Nikodemus; Josef von Arimatia) und sog. Sünder, die ihn ablehnten (z.B. der zweite mit Jesus gekreuzigte Verbrecher). Doch insgesamt hatten Menschen mit offensichtlicheren Sünden ein stärkeres Bewusstsein dafür, dass sie Gottes Vergebung brauchten. Unsere von Gott abgewandte Lebenshaltung kann sich in offensichtlichen Sünden wie Mord, Diebstahl, Ehebruch niederschlagen, aber auch in eher verborgenen wie Stolz, Gleichgültigkeit oder Rechthaberei. Vergeben werden kann alles. Jede noch so grosse Sünde kann getilgt werden, wenn wir sie Gott hinhalten mit der Bitte um Vergebung. Und umgekehrt trennt uns jede noch so kleine Sünde von Gott, wenn wir sie nicht wahrhaben wollen, sie verleugnen, verdrängen oder beschönigen. Der grosse Unterschied zwischen den Menschen ist nicht der zwischen Sündern und Nichtsündern. Aber es gibt Menschen, die ihre Schuld zugeben und um Vergebung bitten, und es gibt jene, die meinen, keine Vergebung nötig zu haben. Am Ende der Zeit wird uns Gott nämlich nicht nach unseren Taten fragen, sondern er wird wissen wollen, ob wir das Angebot in seinem Sohn, Jesus Christus, angenommen haben. Der ist ja das ultimative Liebes- und Vergebungsangebot Gottes an alle. Alle haben sich von Gott losgesagt und sind schuldig geworden. Die Frage ist, ob wir das ‚Wort’ der Vergebung annehmen, ob wir das Angebot der Vergebung und Versöhnung, das Gott uns in Jesus macht, erkennen und anerkennen. „Allen, die ihn aufnahmen, schenkte er das Recht, Gottes Kinder zu werden.“ In gewisser Weise, nämlich von ihrer Herkunft her, sind ja alle Menschen Gottes Kinder: Alle wurden von ihm geschaffen. Jene aber, die Jesus Christus annehmen, werden in einem viel intimeren Sinne zu seinen Kindern. Sie werden Söhne und Töchter Gottes im Sinne einer Herzensbeziehung. Obwohl das gar nicht ginge, wenn es nicht Jesus für uns bewerkstelligen würde. Indem er unser Bruder wird, werden wir wieder im vollen Sinne des Wortes Gottes Kinder. Solange Jesus als Mensch auf der Erde lebte, war ganz klar, wie man ihn aufnehmen konnte: Viele Menschen haben ihn buchstäblich als Gast in ihrem Haus aufgenommen. Andere folgten ihm nach, gingen mit ihm von Ort zu Ort und bauten mit ihm an Gottes Reich. – Heute bedeutet ‚Jesus annehmen’ in ganz ähnlicher Weise, seine Botschaft und seine Person annehmen, ihn in sein Herz aufnehmen, eine persönliche Beziehung zu ihm eingehen. Und das geht, weil er nicht tot, sondern vom Tod auferstanden und durch seinen Geist bei uns gegenwärtig ist. IV. AUSWIRKUNGEN DER GOTTESKINDSCHAFT Am Schluss seines Vorwortes zum Evangelium beschreibt Johannes, welche Folgen es hat, wenn wir Jesus annehmen: Wer Jesus annimmt, sieht ein Stück der ‚Herrlichkeit Gottes’. Man kann fast nicht übersetzen, was in diesem Begriff alles mitschwingt. Das Wort bedeutet: Glanz, Präsenz, Schönheit, Klarheit, aber auch Strenge, Macht und Reinheit. Zu atl Zeit galt: Wer Gottes Herrlichkeit sieht, überlebt das nicht. In und dank Jesus hingegen sehen wir die Herrlichkeit Gottes, ja haben wir daran teil, ohne selbst dabei zugrunde gehen zu müssen. Wer Jesus in sein Leben aufnimmt, merkt, dass Gott selbst durch Jesus Worte redet. Und er wird immer wieder Erfahrungen machen, in denen etwas von der Herrlichkeit, etwas vom Licht Gottes aufblitzt. Wer Jesus annimmt, erfährt ‚Gnade um Gnade’: Die erste und grundlegende Gnade ist die Vergebung unserer Sünde. In Jesus finden wir Frieden mit Gott. Damit hören wir zwar nicht auf, Sünder zu sein. Aber wir bleiben nicht darauf festgelegt. Ein zweiter Aspekt der Gnade ist, dass wir immer wieder die Erfahrung machen, von Gott grundlos und über alle Massen beschenkt worden zu sein. Das bewirkt drittens eine positive Veränderung unserer Persönlichkeit. Wir werden Schritt für Schritt liebevoller, einfühlsamer, wahrhaftiger oder doch zumindest für andere erträglicher Durch Gottes Gnade können wir plötzlich Dinge, die wir vorher nicht konnten. Die Gnade, die uns erreicht und verändert, bleibt nicht dabei stehen, sondern erreicht und verändert durch uns auch andere Menschen. Nun ergibt all das, was ich gesagt habe, schon längstens eine ausgewachsene Predigt. Dabei habe ich den Eindruck, als wäre ich immer noch ganz am Anfang mit der Auslegung von Johannes 1. Vielleicht hängt das damit zusammen, dass dieser Prolog des 4.Evangeliums ein poetischer Text ist. Seine Sprache ist extrem verdichtet. Man kann ihn gar nicht zu Ende erklären. Vielleicht würde man ihn besser meditieren, d.h. in sich über eine längere Zeit jeden Tag mal vornehmen, ihn durchlesen und dabei die Gedanken schweifen und zum Gebet werden lassen. So käme man ihm vielleicht noch viel näher. Wer weiss, vielleicht versucht der eine oder die andere das ja mal. – Es könnte sich lohnen. (Amen)