Gerechtes Wirtschaften aus biblischer Sicht Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin, am 1. und 2. 12. 2011 Lassen Sie mich steil starten mit einer bündigen Definition aus einem theologischen Lexikon: „Der Begriff ‚Wirtschaft’ umfasst die Gesamtheit aller individuellen Handlungen und sozialen Interaktionen, die der Bereitstellung von Gütern (Waren, Dienstleistungen) zum Zwecke der menschlichen Bedürfnisbefriedigung dienen“ (Religion in Geschichte und Gegenwart). Somit schafft Wirtschaften die unerlässlichen Voraussetzungen für den gedeihlichen Bestand eines menschenwürdigen Gemeinwesens. Das liegt auch der Bibel am Herzen. Allerdings würden wir sie überfordern, erwarteten wir von ihr eine detaillierte Wirtschaftslehre. Aber da sie ins pralle Menschleben greift, kommt Wirtschaften in seinen vielfältigen Facetten durchgängig vor. Im Alten Testament bezieht es sich auf Ackerbau und Viehzucht, Handwerk und Handel im Rahmen des Volkes Israel. Im Neuen Testament greift Jesus häufig auf Szenen aus dem Wirtschaftsleben zurück. Im weiteren Verlauf finden sich manche Belege aus dem Erwerbsleben, nun ausgeweitet auf die Welt des Römischen Reiches. Dort nehmen die christlichen Gemeinden nur eine marginale, vom Staat feindselig beäugte Position ein. Auf jeden Fall werden in der Bibel Akzente gesetzt, die über die damalige Zeit hinaus wirksam geworden sind und auf die zu hören sich heute auf jeden Fall lohnt, soll Wirtschaften wirklich dem Menschen nachhaltig zugute kommen und sich positiv auf das Miteinander einer Gesellschaft auswirken. Die Maßstäbe, die in der Bibel gesetzt werden, sind für alle Menschen hilfreich, auch gegenüberstehen. für solche, Zwar lassen die der sich biblischen diese Botschaft Maßstäbe nicht abständig immer 1:1 übertragen, aber als ordnende Rahmenbedingungen erweisen sie sich als höchst lebensdienlich. Sie helfen zu einem gerechten Wirtschaften, von dem nicht nur einige wenige profitieren, sondern von dem alle Beteiligten ihren Gewinn haben. Sie setzen nicht auf kurzzeitige Effekte, sondern auf dauerhafte positive Wirkung. Lassen Sie mich einige Aspekte formulieren: Wie sieht gerechtes Wirtschaften aus biblischer Sicht aus? Dabei beschränke ich mich standhaft auf diese Perspektive, obwohl die Versuchung mächtig ist, an manchen Passagen auf heutige Situationen einzugehen. 1. Gerechtes Wirtschaften orientiert sich an der „Gerechtigkeit“ Gottes. Diese sichert die Würde des Menschen. Am Anfang der biblischen Botschaft steht nicht der Mensch mit seinen Anliegen und Bedürfnissen, sondern Gott als Schöpfer und Erhalter der Welt. Gott ist das Maß aller Dinge. Von ihm wird behauptet, er sei “gerecht“. Damit ist vor allem seine umfassende Güte gemeint, die „seine Sonne aufgehen lässt über Böse und Gute und es regnen lässt über Gerechte und Ungerechte“ (Mt 5,45). „Gottes Gerechtigkeit ist seine Barmherzigkeit“, konnte Martin Luther als befreiende Botschaft formulieren. Diese Barmherzigkeit hat die Welt ins Leben 2 entlassen. Den Menschen hat sie gewürdigt, Gottes Ebenbild und Partner zu sein (1Mo 1,27). Diese Vorgabe hat praktische Folgen: Jedem Menschen, ganz gleich welcher Hautfarbe, welchen Herkommens und Einkommens, kommt dieselbe Würde zu. Jeder einzelne ist wertvoll und kann sich für das Gemeinwohl einbringen. Entsprechend sorgfältig ist mit ihm umzugehen. Gerechtigkeit walten zu lassen heißt, „jedem Glied der Gesellschaft gleichermaßen die Chance zur Entfaltung und Gestaltung seines Lebens“ zu geben (Helmut Burkhardt). Diesem Geist verdankt sich der Spitzensatz unseres Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. In diese Würde sind auch die „Fremdlinge“ eingebunden, Migranten, die aus anderen Völkern in Israel eine Heimat gefunden haben (2Mo 22,20 u.ö.). Auch ihnen gebühren Solidarität, Würdigung und Liebe. Es gibt keine Menschen minderen Ranges. Das gilt in neutestamentlicher Zeit auch für Sklaven, die anders als im Römischen Reich üblich - als vollwertige Menschen geachtet und deshalb auch in die Gemeinden eingebunden werden. Man begegnet einander auf Augenhöhe. Die Art, wie Gott sich gegenüber seinen Menschen verhält und wie Jesus mit ihnen umgeht, normiert das Handeln. „Ehrt jedermann“ ermahnt der Apostel Petrus seine Gemeindeglieder (1Petr 2,17). Paulus schlägt in die gleiche Kerbe: „Einer komme dem andern mit Ehrerbietung zuvor“ (Röm 12,10). So wird Gottes umfassende „Gerechtigkeit“ zum Maßstab dafür, nun auch im Wirtschaftsleben unterschiedlichen Menschen „gerecht“ zu werden, sie „höher als sich selbst“ (Phil 2,3) zu achten und ihrem Bedarf zu entsprechen. Ob es beim Wirtschaften gerecht zugeht, wird sich darin erweisen, dass alle Beteiligten davon in gleichem Umfang profitieren. Hier wird allen Formen von Geringschätzung und Ausbeutung, Rassismus und Apartheid der Nährboden entzogen. 2. Gerechtes Wirtschaften bewegt sich im Rahmen christlicher Ethik Die „Gerechtigkeit Gottes“ legt es darauf an, den Umgang der Menschen miteinander zu prägen. Denn christlicher Glaube bildet kein abgegrenztes Segment für bestimmte Lebenszonen und -augenblicke, sondern will zum Vorzeichen für alle Bereiche werden. Auch das Wirtschaftsleben soll im Sinne Gottes gestaltet sein. Es kann demzufolge keine „Eigengesetzlichkeiten“ in dem Sinne geben, dass an bestimmten Punkten christliche Ethik außer Kraft gesetzt wäre, weil der „Markt“ oder ungezügelte Kräfte der Wirtschafts- und Finanzwelt regieren. Im biblischen Sinn zu wirtschaften wird heißen: Alles vollzieht sich coram deo, unter Gottes Augen. Ihm sind wir letztlich verantwortlich. Diese Tatsache bezeugt die Bibel höchst praktisch. Sie entfaltet lebensnah, was zu achten und was zu ächten ist. Im Alten Testament wird durch mehrere Propheten eine scharfe Klinge geschlagen. Sie wenden sich gegen die Außerkraftsetzung der göttlichen Gebote, was im Wirtschaftsleben besonders krass zutage tritt. Diese Linie wird im Neuen Testament - unter anderen 3 gesellschaftlich-politischen Verhältnissen - kräftig ausgezogen, ja sogar verstärkt. 3. Gerechtes Wirtschaften respektiert und fördert auskömmliches Eigentum Im alten Israel wird das persönliche Eigentum als hohes Gut betrachtet, was sich in zwei Geboten des Dekalogs niederschlägt: „Du sollst nicht stehlen“ (2Mo 20,15) und „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus.. und alles, was sein ist“ (2Mo 20,17; 5Mo 5,21b). Das persönliche Eigentum des Einzelnen ist schützenswert. Aber das Eigentumsrecht gilt nicht absolut. Es ist vor allem relativ zu Gott hin, dem „die Erde gehört und alles, was darinnen ist“ (Ps 24,1; Hag 2,8). Das gilt insbesondere vom Grundbesitz. Gott ist der eigentliche Eigentümer des Landes. Er hat es den Bewohnern des Volkes Israel zu guten Händen anvertraut (3Mo 25,23). Der Theologe Herrmann Cremer (1834-1903) stellt fest: „Israel war das einzige Volk des Altertums, bei dem die Eigentumsbildung und Eigentumsverfügung ganz bedeutenden Schranken unterlag“. Die Verfügbarkeit über das Landeigentum wird durch göttliches Recht eingeschränkt. Um den Leihcharakter des Landes zu unterstreichen, soll alle 50 Jahre („Jobeljahr“) der Grundbesitz derjenigen Sippe zurückgegeben werden, der es ursprünglich zugeteilt worden war und die es zwischenzeitlich veräußert oder verloren hatte (3Mo 25,8-24). „Da soll ein jeder bei euch wieder zu seiner Habe und zu seiner Sippe kommen“ (3Mo 24,10). Darüber hinaus findet alle sieben Jahre ein Schuldenerlass statt („Sabbatjahr“; 5Mo 15,1.12ff). Dabei werden auch Israeliten freigelassen, die sich als Schuldsklaven verkauft haben. Landverkauf und die entsprechenden Gewinne werden gründlich relativiert. Eine Kumulation von Landeigentum auf Kosten der Schwächeren gilt als Verstoß gegen das göttliche Gebot und wird entsprechend angeprangert (Jes 5,8; Micha 2,2 u.ö.). „Landrückgabe und Schuldenerlass sollen die Bildung von Eigentum in den Händen weniger und die Verarmung der vielen anderen verhindern“ (Helmut Burkhardt). Aus diesem Grund wird der freche königliche Zugriff auf einen Weinberg, der einem anderen gehört, streng geahndet (1Kön 21). Eigentum ist schützenswert. Wer sich dagegen vergeht, muss mit herben Sanktionen rechnen. So soll der Dieb das Gestohlene zweifach erstatten (2Mo 22,1-14). „In die Nähe des Diebstahls wird auch das Zurückhalten des Lohnes gerückt“ (Helmut Burkhardt; Jer 22,13 u.ö.). Eigentum ist nach biblischem Verständnis sozialpflichtig. Weil der Mensch von seinen Ursprüngen her als Sozialwesen entworfen ist, wirkt sich jede Störung negativ auf das Ganze des Zusammenlebens, aber auch auf das Befinden des Einzelnen aus. Ein gegen Gott und seine Gebote gerichtetes Verhalten stellt also kein lediglich individuelles Problem dar, sondern schädigt den Kontext des Miteinanderlebens. Es zersetzt das soziale Gefüge und schädigt damit auch den, der den Zersetzungsprozess ausgelöst hat. Er zieht sich selbst langfristig „alles Unglück“ (Jes 3,9) zu, wenngleich ihm sein 4 Verhalten zunächst materielle Vorteile einbringen mag. Es darf um Gottes willen keine Entsolidarisierung geben. Diese führt zu Rissen in der Gesellschaft und zu entsprechenden Verwerfungen. Weil Eigentum verpflichtet, wenden sich die Propheten mit scharfen Worten gegen alle, die das vernachlässigen und auf Kosten anderer ihre unguten Geschäfte treiben. Wenig schmeichelhaft werden die reich gewordenen Frauen betrügerischer Geschäftsleute als „fette Kühe“ bezeichnet (Amos 4,1). Ihr Wohlleben verdanken sie den üblen Machenschaften ihrer Männer. Diese sind durch Betrug aller Art, wie beispielsweise Wucherzinsen (Hes 22,12), Fälschen von Maßen und Gewichten (Amos 8,5) zu Reichtum gekommen. Der gottgemäße Umgang mit Eigentum verpflichtet zur Redlichkeit. Paulus ermahnt die Gemeindeglieder in Thessalonich: „Keiner übervorteile den anderen im Handel“ (1Thess 4,6). Es soll im Geschäftsleben ehrlich zugehen. Die Partner sollen sich aufeinander verlassen können. Ein erschütterndes Beispiel gegenteiligen Verhaltens wird uns aus der frühen christlichen Gemeinde überliefert (Apg 5). Zwei Gemeindeglieder haben ihren Acker verkauft. Sie bringen das Geld zum Gemeindevorsteher Petrus und geben vor, den gesamten Erlös der Gemeinde zu spenden. In Wahrheit haben sie etwas für sich zurückbehalten. Das war keineswegs verboten. Aber die beiden erwecken gezielt den Eindruck, die gesamte Summe gespendet zu haben. Das Ende für die beiden wird tragisch: Sie sterben umgehend. Menschen betrügen und Gott betrügen gehören sachlich eng zusammen. Eigentum ist darüber hinaus auch ökologiepflichtig. Der Mensch findet sich eingewoben in eine gute Schöpfung Gottes vor. Das ihm aufgetragene „Bebauen und Bewahren“ (1Mo 2,15) verpflichtet zu einem sorgsamen Umgang mit allem Geschaffenen. Dazu gehört auch das Verhalten gegenüber Tieren. „Der Gerechte erbarmt sich seines Viehs“ (Spr 12,10; Sir 7,24). Tiere gehören zu den Segensgaben Gottes (Ps 107,38). Entsprechend wertschätzend ist mit ihnen umzugehen. Das gilt auch für Felder, Ölbäume und Weinberge. Alle sieben Jahre sollen sie nicht bebaut und abgeerntet, sondern brach liegengelassen werden (3Mo 24, 1-7). Das Land, das Gott gehört, soll „einen Sabbat feiern“ (5Mo 24,2). Es soll sich gleichsam erholen und neue Kräfte schöpfen. Das Ursprüngliche soll wiederhergestellt werden (restitutio in integrum), was sich segensreich für Mensch, Tier und die gesamte Schöpfung auswirken wird. 4. Gerechtes Wirtschaften will den Menschen „dienen“ In der Mitte von Wirtschaftsprozessen in der Bibel steht nicht der Profit, sondern der Dienst am Nächsten. „Dient einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat“ (1Petr 4,10). Diese Aussage bezieht sich zwar zunächst auf das Gemeindeleben, hat aber umfassenden Charakter. „Dienen“ orientiert sich am Dienst Jesu, der seinen Jüngern die Füße wäscht (Joh 13,1ff). Der Dienende sucht das Wohl und den Vorteil für den anderen. 5 Wer dagegen primär sein eigenes Vorwärtskommen und seinen persönlichen Gewinn im Auge hat, verfehlt nicht nur den Sinn seines eigenen Lebens (Joh 12,25), sondern er schädigt zugleich das soziale Netz, in dem er sich befindet und dem er sich verdankt. 4.1. dem Kunden Zum Dienstcharakter gehört, Solidität und Qualität zu liefern und hinsichtlich der eigenen Angebote keine überzogenen Erwartungen zu wecken. Beispielhaft hierfür ist die Herrnhuter Brüdergemeine im 18. Jahrhundert, in deren Mitte eine umspannende, blühende Großfirma entstand. Deren Chef Abraham Dürninger vertrat folgenden Grundsatz: „Wir treiben die Sache nicht, um uns zu bereichern, sondern unseren Brüdern und Geschwistern damit zu dienen... Mein Kauf und Verkauf hat den Dienst meiner Nächsten zum Zweck, und wo das nicht erreicht wird, so verzichte ich gern auf allen Handel, von welcher Wichtigkeit er mir auch sein möchte“. Unerlässlicher Bestandteil des Wirtschaftslebens aus biblischer Sicht ist die Verlässlichkeit. „Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel“, schärft Jesus seinen Jüngern ein (Mt 5,37). Daraus wurde in der Herrnhuter Brüdergemeine die bis zum heutigen Tag beispielhafte Verpflichtung: „Ein Handwerksmann und Künstler soll sein Wort auf den Tag halten, oder wenigstens zwei oder drei Tage vorher die Ursach, warum er’s nicht halten kann, dem Besteller anzeigen“. Jeder konnte wissen: Hier geht es reell zu, ganz im Sinne der biblisch vorgegebenen Werte. Das Zugesagte wird eingehalten bzw. wird rechtzeitig informiert, warum es nicht sein kann. So wird verlässliches Wirtschaften möglich. 4.2. den Firmenangehörigen In einer Beispielgeschichte geht Jesus davon aus, dass ein Verwalter (griech. „Ökonom“) die selbstverständliche Pflicht hat, nicht nur das Vermögen seines Herrn zu sichern und zu mehren, sondern auch den Angestellten das Nötige zukommen zu lassen. Er soll ihnen „zur rechten Zeit zu essen“ (Mt 24,45) geben, dazu das, „was ihnen zusteht“ (Lk 12,42). Es versteht sich auch von selbst, dass nach harter Arbeit im Weinberg abends der vereinbarte Lohn ausgezahlt wird (Mt 20,8). Ein Betrieb hat somit auch eine soziale Funktion. Er bietet den dort Beschäftigten sowohl Lohn und Brot als auch Entfaltungsmöglichkeiten ihrer Persönlichkeit. Hier wird gefördert und gefordert. Im besten Fall wird eine Firma zu einer Art Heimat, in deren Netzwerk sich der Einzelne gut aufgehoben weiß. Der Lohn muss auskömmlich sein. „Ein Arbeiter ist seines Lohnes wert“, formuliert Jesus (Luk 10,7). Das Alte Testament rät: „Du sollst dem Ochsen, der da drischt, nicht das Maul verbinden“ (5Mo 25,4). Diese Aussage ist offensichtlich derart wichtig, dass sie gleich zweimal im Neuen Testament wiederholt wird (1Kor 9,9; 1Tim 5,18). 6 Der damalige Tageslohn von einem Silbergroschen (Mt 20,2) reichte damals einer Familie für einen Tag zum Leben. Stillschweigend geht die Bibel davon aus: Wer ganztägig arbeitet, kann vom erhaltenen Lohn mit seiner Familie leben. Das Einkommen muss das Auskommen gewährleisten. Wird Lohn vorenthalten, „schreit“ das zum Himmel (Jak 5,4). Lohndrückerei und Hungerlöhne sind Sünde. 4.3. dem Eigentümer Auch der Unternehmende soll von seinem Eigentum und Engagement profitieren. Im Wirtschaftsleben Gewinn zu erzielen, ist durchaus beabsichtigt (Mt 24,14-30). „Wo man arbeitet, da ist Gewinn“, weiß bereits das Buch der Sprüche (14,23; 31,18). Doch auf dem Gieren nach „unrechtem Gut“ (Jer 17,11) und „schändlichem Gewinn“ (1Tim 3,8) ruht kein Segen. Denn hier ist Gewinn auf Kosten derer erzielt worden, die ihn mit ihrer Hände Arbeit ermöglicht haben. Die Absicht „wir wollen Handel treiben und Gewinn machen“ (Jak 4,13) wird vom Apostel als durchaus berechtigt hingestellt. Allerdings warnt er davor, dabei Gott und die eigene, begrenzte Lebenszeit zu vergessen: „Ihr wisst nicht, was morgen sein wird (Jak 4,14). Alles Planen gehört daher unter den Vorbehalt “Wenn der Herr will, werden wir leben und dies oder das tun“ (Jak 4,16). 5. Gerechtes Wirtschaften richtet ein besonderes Augenmerk auf die „Armen und Elenden“ Wie geht eine Gesellschaft mit denen um, die sich an deren Rand befinden, die in ihren Möglichkeiten beschränkt sind und oft von der Mehrheit ausgegrenzt werden? Die göttlichen Vorgaben sind klar: Die ökonomischen Gewinnabsichten sollen zugunsten der sozial Schwachen begrenzt sein (2Mo 21,1-11. 25f; 22,20-26; 23,10-12). Praktisch heißt das beispielsweise für den Landwirt im Alten Testament: Beim Abernten eines Feldes bleibt eine kleine Ecke mit Getreide stehen, damit auch Arme etwas vom Feldertrag abhaben können (3Mo +19,9f). Generell soll der „Überfluss“ der einen dem „Mangel“ derer abhelfen, die sich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befinden und denen es am Lebensnotwendigen mangelt. So schärft es der Apostel Paulus der Gemeinde in Korinth ein. Dort bittet er um Spenden für die verarmte Gemeinde in Jerusalem (2Kor 8.9). Modern gesprochen: Gewinne gehören sozialisiert. Die Schere zwischen den Vermögenden und den Armen darf nicht allzu weit auseinanderklaffen. Es muss einen Ausgleich geben, der beiden Seiten zugute kommt: Den einen wird aus ihrem akuten Mangel geholfen, die anderen profitieren durch den sozialen Frieden, der sich dadurch einstellt. Dem dient auch die Abschaffung der Schuldsklaverei zugunsten von Lohnarbeit (3Mo 25). Auch das Zinsverbot (5Mo 23,20) dient dazu, Arme vor der Willkür derer zu bewahren, die am wirtschaftlich längeren Hebel sitzen und 7 dazu neigen, die Notlage der Armen zwecks eigener Gewinnvermehrung auszunutzen. Das Verbot, Zinsen zu nehmen, bezieht sich auf Konsumkredite, nicht – wie heute meist üblich – auf Investitionskredite. „Moralisch problematisch ist also nicht der Zinsverkehr selbst, sondern nur sein Missbrauch in Ausnutzung einer individuellen Notlage und zu überhöhten Zinsen“ (Helmut Burkhardt). In der gesamten Bibel und damit auch im Neuen Testament ist Reichtum keineswegs verboten. Die Anhäufung von Vermögen kann im Alten Testament sogar als ausdrücklicher Erweis göttlichen Segens gelten (Hi 42,12). Aber Reichtum wird durchaus auch kritisch gesehen. Auf welche Weise ist es dazu gekommen? Ist er redlich erworben worden? Wie geht der Vermögende damit um? „Reichtum heißt, mehr haben, als man für sich selbst sinnvoll nutzen kann. Armut heißt, weniger haben, als man zum Unterhalt und zur Entfaltung des eigenen Lebens braucht“ (Helmut Burkhardt). Reichtum wird weder dämonisiert noch glorifiziert. Er kann zum Gefahrenpotential werden, weil er dazu verleitet, Sicherheiten vorzugaukeln, die sich am Ende, spätestens im Tod, als trügerisch und hohl erweisen (Luk 12,20f). Mehrfach verweist Jesus darauf, sein Leben nicht auf „Sand“ zu bauen (Mt 7,26f) und sich auf etwas zu verlassen, das am Ende doch „rostet“ und von „Motten“ aufgefressen wird (Mt 6,19f). Es reicht nicht, reich zu sein. Die Gefahr lauert, die „Seele an den Reichtum zu hängen und so Gott zu verlieren“1. Jesus und die späteren Apostel hätten an diesem Punkt nicht so vehement auftreten müssen, wäre nicht in Israel und in den frühen christlichen Gemeinden die Gefahr groß gewesen, den Verlockungen des Reichtums zu erliegen. Schon im alten Israel haben leider die Kräfte der Stärkeren und Unverfrorenen immer wieder dafür gesorgt, dass Arme unterdrückt und ausgebeutet wurden, um den Reichtum Weniger zu mehren. Fehlendes Maßhalten und Übergriffe auf das Gut anderer liegen gefährlich nahe beieinander. Dem stellt sich die gesamte Bibel massiv entgegen. Raffgier und Geiz werden als Sünde gegenüber Gott und den Menschen gebrandmarkt. Habsucht ist Götzendienst (Mt 6,24; Kol 3,5), „Geldgier die Wurzel alles Übels“ (1Tim 6,10). „Geizige werden das Reich Gottes nicht ererben“ (1Kor 6,10), stellt Paulus lapidar fest. Weil der Gierige das Irdische absolut setzt, kreist er um sich selbst, verhärtet gegenüber dem Bedarf seiner Mitmenschen und verliert darüber Gott aus den Augen. Wer dem Laster der Gier anheimfällt, verfehlt Würde und Sinn seines Lebens. Mildtätigkeit dagegen wird als etwas Selbstverständliches betrachtet. „Wohlhabende sollen etwas von ihrem Reichtum abgeben, ohne sich als Wohltäter aufzuspielen und ohne ihrer linken Hand zu sagen, was die rechte tut“ (Nicola Leibinger-Kammüller). Das wird vom Hebräerbrief unterstrichen: „Gutes zu tun und mit anderen zu teilen vergesst nicht; denn solche Opfer 1 , in: Claudia Schulz / Gerhard Wegner (Hg), Wer hat, dem wird gegeben, Neukirchen-Vluyn 2009, 38 8 gefallen Gott“ (Hebr 13,16). Der junge Gemeindeleiter Timotheus wird von Paulus ausdrücklich aufgefordert: „Den Reichen gebiete, dass sie reich werden an guten Werken, gern geben, behilflich seien“ (1Tim 6,17f). Die Forderung: „Jeder arbeite und schaffe mit eigenen Händen das nötige Gut“, hat ihren Sinn auch darin, dass man dadurch „dem Bedürftigen abgeben kann“ (Eph 4,28; siehe auch Apg 20,35). Arbeit hat somit auch eine caritative Komponente: Ihr Ertrag versetzt in die Lage, Alte, Kranke und Gebrechliche zu unterstützen. Wer dagegen bewusst nicht arbeitet, kann zum Gemeindwohl nichts beitragen. Er bleibt anderen etwas schuldig. 6. Gerechtes Wirtschaften schließt ein bewusstes Arbeitsethos ein Nach biblischem Verständnis arbeiten wir nicht, um zu leben, sondern wir leben, um zu arbeiten - und das in durchaus verschiedenen Facetten. Arbeit stellt keinen Notbehelf dar („von irgendetwas muss man ja leben“), sondern Arbeit gilt als unverzichtbares Lebenselixier. In ihr drückt sich die Gottebenbildlichkeit des Menschen aus. Drastisch bringt das Nikolaus Graf von Zinzendorf (1700-1760), der Gründer der Herrnhuter Brüdergemeine, auf den Punkt: „Man arbeitet nicht allein dass man lebt, sondern man lebt um der Arbeit willen, und wenn man nichts mehr zu arbeiten hat, so leidet man oder entschläft“. Arbeit ist aus biblischer Sicht ein Privileg. Im Arbeiten entfaltet sich das Potential, das Gott in einen Menschen hineingelegt hat. Arbeiten zu können, ist deshalb zutiefst menschlich. Der ideale Fall ist diejenige Arbeit, die einem Menschen und seinen Fähigkeiten entspricht und die ihn nicht seinem Wesen „entfremdet“. Arbeit sichert Unterhalt, vermittelt Anerkennung und ermöglicht Teilhabe am sozialen Leben. Hier kommt den Verantwortlichen auf den unterschiedlichen Ebenen die hohe Aufgabe zu, jedem zu helfen, den richtigen Platz und die angemessene Aufgabe zu finden. Angestellte sollen mit Lust und Liebe arbeiten und sich mit der Tätigkeit und ihren Produkten identifizieren. Mit der Arbeit soll sich persönlicher Sinn verbinden – auch über den bloßen Broterwerb hinaus. Dass dieses positive Effekte sowohl für das Betriebsklima als auch für die gesundheitliche Situation der Beschäftigten zeitigt, steht außer Frage. Sich an den biblischen Vorgaben zu orientieren, tut allen Beteiligten gut. Der Apostel Paulus versteht sich als Vorbild, wenn er betont: Ich verdiene meinen Unterhalt mit meiner eigenen Hände Arbeit (Apg 20,34f u.ö.). Das zu unterstreichen war dazumal ausgesprochen wichtig, denn unter den Gebildeten seiner Zeit war körperliche Arbeit verpönt. Anders jedoch soll es in der christlichen Gemeinde zugehen. „Wer nicht arbeiten will (obwohl er könnte), der soll auch nicht essen“ (2Thess 2,10). Der Arbeitsunwillige darf nicht mit der Milde anderer rechnen. Auf ihn wird gezielt Druck ausgeübt. Der „Faule“ soll sich am Fleiß der Ameise ein Beispiel nehmen (Spr 6,6). Besonders im Buch der Sprüche wird die Faulheit als ein offensichtlich weit verbreitetes Übel 9 bildreich angeprangert. Sehr deutlich heißt es in einer Gemeindeschrift aus dem 4. Jahrhundert: „Der Herr unser Gott hasst die Faulen“. Übrigens: Der Fleiß der Christen brachte ihnen auch ökonomischen Wohlstand ein, „was für die Römer oft ein zusätzlicher Grund war, sie zu diskriminieren und zu verfolgen“ (Alvin J. Schmidt). Es war Martin Luther, der die normale berufliche Tätigkeit im Sinne des Neuen Testaments kolossal aufgewertet hat. Mit Paulus versteht er Arbeit, ganz gleich in welchem Bereich, als „Gottesdienst“ (Röm 12,1f). Es gibt keine Arbeit zweiter Klasse. Martin Luther: „Wer treulich arbeitet, der betet doppelt“. Arbeitslosigkeit in unserem heutigen Sinn war in biblischer Zeit kein nennenswertes Thema. Die Felder des Geschäfts- und Arbeitslebens waren arbeitskräfteintensiv. Jeder wurde gebraucht und konnte sich einbringen. Das hat sich heute geändert. Aber weil das Arbeiten als zweckmäßig geordnete Tätigkeit konstitutiv zum Menschsein gehört, muss es – so die biblischen Vorgaben - den Verantwortlichen am Herzen liegen, allen, die arbeiten wollen – ob im Erwerbsleben, im Ehrenamt, im häuslichen Bereich etc -, eine Möglichkeit einzuräumen, sich zu betätigen, dadurch Sinn zu erleben und an produktiven Prozessen teilzuhaben. Arbeitslosigkeit zieht Sinn- und Bedeutungsverlust nach sich. 7. Abschluss Zusammenfassend gilt auch für das Wirtschaftsleben der Rat des Apostels: „Was wahrhaftig ist, was ehrbar, was gerecht, was rein, was liebenswert, was einen guten Ruf hat, sei es eine Tugend, sei es ein Lob - darauf seid bedacht.. so wird der Gott des Friedens mit euch sein“ (Phil 4,8f). Sich an den biblischen Vorgaben zu orientieren – das hat Zukunft und wirkt sich segensreich für alle Beteiligten aus.