Gerechtes Wirtschaften aus biblischer Sicht

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Gerechtes Wirtschaften aus biblischer Sicht
Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin, am 1. und 2. 12. 2011
Lassen Sie mich steil starten mit einer bündigen Definition aus einem
theologischen Lexikon: „Der Begriff ‚Wirtschaft’ umfasst die Gesamtheit aller
individuellen Handlungen und sozialen Interaktionen, die der Bereitstellung
von
Gütern
(Waren,
Dienstleistungen)
zum
Zwecke
der
menschlichen
Bedürfnisbefriedigung dienen“ (Religion in Geschichte und Gegenwart). Somit
schafft Wirtschaften die unerlässlichen Voraussetzungen für den gedeihlichen
Bestand eines menschenwürdigen Gemeinwesens.
Das liegt auch der Bibel am Herzen. Allerdings würden wir sie überfordern,
erwarteten wir von ihr eine detaillierte Wirtschaftslehre. Aber da sie ins pralle
Menschleben greift, kommt Wirtschaften in seinen vielfältigen Facetten
durchgängig vor. Im Alten Testament bezieht es sich auf Ackerbau und
Viehzucht, Handwerk und Handel im Rahmen des Volkes Israel. Im Neuen
Testament greift Jesus häufig auf Szenen aus dem Wirtschaftsleben zurück. Im
weiteren Verlauf finden sich manche Belege aus dem Erwerbsleben, nun
ausgeweitet auf die Welt des Römischen Reiches. Dort nehmen die christlichen
Gemeinden nur eine marginale, vom Staat feindselig beäugte Position ein.
Auf jeden Fall werden in der Bibel Akzente gesetzt, die über die damalige Zeit
hinaus wirksam geworden sind und auf die zu hören sich heute auf jeden Fall
lohnt, soll Wirtschaften wirklich dem Menschen nachhaltig zugute kommen
und sich positiv auf das Miteinander einer Gesellschaft auswirken.
Die Maßstäbe, die in der Bibel gesetzt werden, sind für alle Menschen
hilfreich,
auch
gegenüberstehen.
für
solche,
Zwar
lassen
die
der
sich
biblischen
diese
Botschaft
Maßstäbe
nicht
abständig
immer
1:1
übertragen, aber als ordnende Rahmenbedingungen erweisen sie sich als
höchst lebensdienlich. Sie helfen zu einem gerechten Wirtschaften, von dem
nicht nur einige wenige profitieren, sondern von dem alle Beteiligten ihren
Gewinn haben. Sie setzen nicht auf kurzzeitige Effekte, sondern auf dauerhafte
positive Wirkung.
Lassen Sie mich einige Aspekte formulieren: Wie sieht gerechtes Wirtschaften
aus biblischer Sicht aus? Dabei beschränke ich mich standhaft auf diese
Perspektive, obwohl die Versuchung mächtig ist, an manchen Passagen auf
heutige Situationen einzugehen.
1. Gerechtes Wirtschaften orientiert sich an der „Gerechtigkeit“ Gottes.
Diese sichert die Würde des Menschen.
Am Anfang der biblischen Botschaft steht nicht der Mensch mit seinen
Anliegen und Bedürfnissen, sondern Gott als Schöpfer und Erhalter der Welt.
Gott ist das Maß aller Dinge. Von ihm wird behauptet, er sei “gerecht“. Damit
ist vor allem seine umfassende Güte gemeint, die „seine Sonne aufgehen lässt
über Böse und Gute und es regnen lässt über Gerechte und Ungerechte“ (Mt
5,45). „Gottes Gerechtigkeit ist seine Barmherzigkeit“, konnte Martin Luther als
befreiende Botschaft formulieren. Diese Barmherzigkeit hat die Welt ins Leben
2
entlassen. Den Menschen hat sie gewürdigt, Gottes Ebenbild und Partner zu
sein (1Mo 1,27).
Diese Vorgabe hat praktische Folgen: Jedem Menschen, ganz gleich welcher
Hautfarbe, welchen Herkommens und Einkommens, kommt dieselbe Würde zu.
Jeder einzelne ist wertvoll und kann sich für das Gemeinwohl einbringen.
Entsprechend sorgfältig ist mit ihm umzugehen. Gerechtigkeit walten zu lassen
heißt, „jedem Glied der Gesellschaft gleichermaßen die Chance zur Entfaltung
und Gestaltung seines Lebens“ zu geben (Helmut Burkhardt). Diesem Geist
verdankt sich der Spitzensatz unseres Grundgesetzes: „Die Würde des
Menschen ist unantastbar“.
In diese Würde sind auch die „Fremdlinge“ eingebunden, Migranten, die aus
anderen Völkern in Israel eine Heimat gefunden haben (2Mo 22,20 u.ö.). Auch
ihnen gebühren Solidarität, Würdigung und Liebe. Es gibt keine Menschen
minderen Ranges. Das gilt in neutestamentlicher Zeit auch für Sklaven, die anders als im Römischen Reich üblich - als vollwertige Menschen geachtet und
deshalb auch in die Gemeinden eingebunden werden. Man begegnet einander
auf Augenhöhe.
Die Art, wie Gott sich gegenüber seinen Menschen verhält und wie Jesus mit
ihnen umgeht, normiert das Handeln. „Ehrt jedermann“ ermahnt der Apostel
Petrus seine Gemeindeglieder (1Petr 2,17). Paulus schlägt in die gleiche Kerbe:
„Einer komme dem andern mit Ehrerbietung zuvor“ (Röm 12,10).
So wird Gottes umfassende „Gerechtigkeit“ zum Maßstab dafür, nun auch im
Wirtschaftsleben unterschiedlichen Menschen „gerecht“ zu werden, sie „höher
als sich selbst“ (Phil 2,3) zu achten und ihrem Bedarf zu entsprechen. Ob es
beim Wirtschaften gerecht zugeht, wird sich darin erweisen, dass alle
Beteiligten davon in gleichem Umfang profitieren. Hier wird allen Formen von
Geringschätzung und Ausbeutung, Rassismus und Apartheid der Nährboden
entzogen.
2. Gerechtes Wirtschaften bewegt sich im Rahmen christlicher Ethik
Die „Gerechtigkeit Gottes“ legt es darauf an, den Umgang der Menschen
miteinander zu prägen. Denn christlicher Glaube bildet kein abgegrenztes
Segment für bestimmte Lebenszonen und -augenblicke, sondern will zum
Vorzeichen für alle Bereiche werden. Auch das Wirtschaftsleben soll im Sinne
Gottes gestaltet sein. Es kann demzufolge keine „Eigengesetzlichkeiten“ in dem
Sinne geben, dass an bestimmten Punkten christliche Ethik außer Kraft gesetzt
wäre, weil der „Markt“ oder ungezügelte Kräfte der Wirtschafts- und Finanzwelt
regieren. Im biblischen Sinn zu wirtschaften wird heißen: Alles vollzieht sich
coram deo, unter Gottes Augen. Ihm sind wir letztlich verantwortlich.
Diese Tatsache bezeugt die Bibel höchst praktisch. Sie entfaltet lebensnah,
was zu achten und was zu ächten ist. Im Alten Testament wird durch mehrere
Propheten eine scharfe Klinge geschlagen. Sie wenden sich gegen die
Außerkraftsetzung der göttlichen Gebote, was im Wirtschaftsleben besonders
krass zutage tritt. Diese Linie wird im Neuen Testament - unter anderen
3
gesellschaftlich-politischen Verhältnissen - kräftig ausgezogen, ja sogar
verstärkt.
3. Gerechtes Wirtschaften respektiert und fördert auskömmliches Eigentum
Im alten Israel wird das persönliche Eigentum als hohes Gut betrachtet, was
sich in zwei Geboten des Dekalogs niederschlägt: „Du sollst nicht stehlen“
(2Mo 20,15) und „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus.. und alles,
was sein ist“ (2Mo 20,17; 5Mo 5,21b). Das persönliche Eigentum des Einzelnen
ist schützenswert. Aber das Eigentumsrecht gilt nicht absolut. Es ist vor allem
relativ zu Gott hin, dem „die Erde gehört und alles, was darinnen ist“ (Ps 24,1;
Hag 2,8).
Das gilt insbesondere vom Grundbesitz. Gott ist der eigentliche
Eigentümer des Landes. Er hat es den Bewohnern des Volkes Israel zu guten
Händen anvertraut (3Mo 25,23). Der Theologe Herrmann Cremer (1834-1903)
stellt fest: „Israel war das einzige Volk des Altertums, bei dem die
Eigentumsbildung und Eigentumsverfügung ganz bedeutenden Schranken
unterlag“.
Die Verfügbarkeit über das Landeigentum wird durch göttliches Recht
eingeschränkt. Um den Leihcharakter des Landes zu unterstreichen, soll alle 50
Jahre („Jobeljahr“) der Grundbesitz derjenigen Sippe zurückgegeben werden,
der es ursprünglich zugeteilt worden war und die es zwischenzeitlich veräußert
oder verloren hatte (3Mo 25,8-24). „Da soll ein jeder bei euch wieder zu seiner
Habe und zu seiner Sippe kommen“ (3Mo 24,10). Darüber hinaus findet alle
sieben Jahre ein Schuldenerlass statt („Sabbatjahr“; 5Mo 15,1.12ff). Dabei
werden auch Israeliten freigelassen, die sich als Schuldsklaven verkauft haben.
Landverkauf und die entsprechenden Gewinne werden gründlich relativiert.
Eine Kumulation von Landeigentum auf Kosten der Schwächeren gilt als
Verstoß gegen das göttliche Gebot und wird entsprechend angeprangert (Jes
5,8; Micha 2,2 u.ö.). „Landrückgabe und Schuldenerlass sollen die Bildung von
Eigentum in den Händen weniger und die Verarmung der vielen anderen
verhindern“ (Helmut Burkhardt). Aus diesem Grund wird der freche königliche
Zugriff auf einen Weinberg, der einem anderen gehört, streng geahndet (1Kön
21).
Eigentum ist schützenswert. Wer sich dagegen vergeht, muss mit herben
Sanktionen rechnen. So soll der Dieb das Gestohlene zweifach erstatten (2Mo
22,1-14). „In die Nähe des Diebstahls wird auch das Zurückhalten des Lohnes
gerückt“ (Helmut Burkhardt; Jer 22,13 u.ö.).
Eigentum ist nach biblischem Verständnis sozialpflichtig. Weil der Mensch
von seinen Ursprüngen her als Sozialwesen entworfen ist, wirkt sich jede
Störung negativ auf das Ganze des Zusammenlebens, aber auch auf das
Befinden des Einzelnen aus. Ein gegen Gott und seine Gebote gerichtetes
Verhalten stellt also kein lediglich individuelles Problem dar, sondern schädigt
den Kontext des Miteinanderlebens. Es zersetzt das soziale Gefüge und
schädigt damit auch den, der den Zersetzungsprozess ausgelöst hat. Er zieht
sich selbst langfristig „alles Unglück“ (Jes 3,9) zu, wenngleich ihm sein
4
Verhalten zunächst materielle Vorteile einbringen mag. Es darf um Gottes
willen keine Entsolidarisierung geben. Diese führt zu Rissen in der Gesellschaft
und zu entsprechenden Verwerfungen.
Weil Eigentum verpflichtet, wenden sich die Propheten mit scharfen Worten
gegen alle, die das vernachlässigen und auf Kosten anderer ihre unguten
Geschäfte treiben. Wenig schmeichelhaft werden die reich gewordenen Frauen
betrügerischer Geschäftsleute als „fette Kühe“ bezeichnet (Amos 4,1). Ihr
Wohlleben verdanken sie den üblen Machenschaften ihrer Männer. Diese sind
durch Betrug aller Art, wie beispielsweise Wucherzinsen (Hes 22,12), Fälschen
von Maßen und Gewichten (Amos 8,5) zu Reichtum gekommen.
Der gottgemäße Umgang mit Eigentum verpflichtet zur Redlichkeit. Paulus
ermahnt die Gemeindeglieder in Thessalonich: „Keiner übervorteile den
anderen im Handel“ (1Thess 4,6). Es soll im Geschäftsleben ehrlich zugehen.
Die Partner sollen sich aufeinander verlassen können.
Ein erschütterndes Beispiel gegenteiligen Verhaltens wird uns aus der frühen
christlichen Gemeinde überliefert (Apg 5). Zwei Gemeindeglieder haben ihren
Acker verkauft. Sie bringen das Geld zum Gemeindevorsteher Petrus und
geben vor, den gesamten Erlös der Gemeinde zu spenden. In Wahrheit haben
sie etwas für sich zurückbehalten. Das war keineswegs verboten. Aber die
beiden erwecken gezielt den Eindruck, die gesamte Summe gespendet zu
haben. Das Ende für die beiden wird tragisch: Sie sterben umgehend.
Menschen betrügen und Gott betrügen gehören sachlich eng zusammen.
Eigentum ist darüber hinaus auch ökologiepflichtig. Der Mensch findet sich
eingewoben in eine gute Schöpfung Gottes vor. Das ihm aufgetragene
„Bebauen und Bewahren“ (1Mo 2,15) verpflichtet zu einem sorgsamen Umgang
mit allem Geschaffenen. Dazu gehört auch das Verhalten gegenüber Tieren.
„Der Gerechte erbarmt sich seines Viehs“ (Spr 12,10; Sir 7,24). Tiere gehören
zu den Segensgaben Gottes (Ps 107,38). Entsprechend wertschätzend ist mit
ihnen umzugehen.
Das gilt auch für Felder, Ölbäume und Weinberge. Alle sieben Jahre sollen sie
nicht bebaut und abgeerntet, sondern brach liegengelassen werden (3Mo 24,
1-7). Das Land, das Gott gehört, soll „einen Sabbat feiern“ (5Mo 24,2). Es soll
sich gleichsam erholen und neue Kräfte schöpfen. Das Ursprüngliche soll
wiederhergestellt werden (restitutio in integrum), was sich segensreich für
Mensch, Tier und die gesamte Schöpfung auswirken wird.
4. Gerechtes Wirtschaften will den Menschen „dienen“
In der Mitte von Wirtschaftsprozessen in der Bibel steht nicht der Profit,
sondern der Dienst am Nächsten. „Dient einander, ein jeder mit der Gabe, die
er empfangen hat“ (1Petr 4,10). Diese Aussage bezieht sich zwar zunächst auf
das Gemeindeleben, hat aber umfassenden Charakter. „Dienen“ orientiert sich
am Dienst Jesu, der seinen Jüngern die Füße wäscht (Joh 13,1ff). Der Dienende
sucht das Wohl und den Vorteil für den anderen.
5
Wer dagegen primär sein eigenes Vorwärtskommen und seinen persönlichen
Gewinn im Auge hat, verfehlt nicht nur den Sinn seines eigenen Lebens (Joh
12,25), sondern er schädigt zugleich das soziale Netz, in dem er sich befindet
und dem er sich verdankt.
4.1. dem Kunden
Zum Dienstcharakter gehört, Solidität und Qualität zu liefern und hinsichtlich
der eigenen Angebote keine überzogenen Erwartungen zu wecken. Beispielhaft
hierfür ist die Herrnhuter Brüdergemeine im 18. Jahrhundert, in deren Mitte
eine umspannende, blühende Großfirma entstand. Deren Chef Abraham
Dürninger vertrat folgenden Grundsatz: „Wir treiben die Sache nicht, um uns zu
bereichern, sondern unseren Brüdern und Geschwistern damit zu dienen...
Mein Kauf und Verkauf hat den Dienst meiner Nächsten zum Zweck, und wo
das nicht erreicht wird, so verzichte ich gern auf allen Handel, von welcher
Wichtigkeit er mir auch sein möchte“.
Unerlässlicher Bestandteil des Wirtschaftslebens aus biblischer Sicht ist die
Verlässlichkeit. „Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist
vom Übel“, schärft Jesus seinen Jüngern ein (Mt 5,37). Daraus wurde in der
Herrnhuter
Brüdergemeine
die
bis
zum
heutigen
Tag
beispielhafte
Verpflichtung: „Ein Handwerksmann und Künstler soll sein Wort auf den Tag
halten, oder wenigstens zwei oder drei Tage vorher die Ursach, warum er’s
nicht halten kann, dem Besteller anzeigen“. Jeder konnte wissen: Hier geht es
reell zu, ganz im Sinne der biblisch vorgegebenen Werte. Das Zugesagte wird
eingehalten bzw. wird rechtzeitig informiert, warum es nicht sein kann. So wird
verlässliches Wirtschaften möglich.
4.2. den Firmenangehörigen
In einer Beispielgeschichte geht Jesus davon aus, dass ein Verwalter (griech.
„Ökonom“) die selbstverständliche Pflicht hat, nicht nur das Vermögen seines
Herrn zu sichern und zu mehren, sondern auch den Angestellten das Nötige
zukommen zu lassen. Er soll ihnen „zur rechten Zeit zu essen“ (Mt 24,45)
geben, dazu das, „was ihnen zusteht“ (Lk 12,42). Es versteht sich auch von
selbst, dass nach harter Arbeit im Weinberg abends der vereinbarte Lohn
ausgezahlt wird (Mt 20,8).
Ein Betrieb hat somit auch eine soziale Funktion. Er bietet den dort
Beschäftigten sowohl Lohn und Brot als auch Entfaltungsmöglichkeiten ihrer
Persönlichkeit. Hier wird gefördert und gefordert. Im besten Fall wird eine
Firma zu einer Art Heimat, in deren Netzwerk sich der Einzelne gut aufgehoben
weiß.
Der Lohn muss auskömmlich sein. „Ein Arbeiter ist seines Lohnes wert“,
formuliert Jesus (Luk 10,7). Das Alte Testament rät: „Du sollst dem Ochsen, der
da drischt, nicht das Maul verbinden“ (5Mo 25,4). Diese Aussage ist
offensichtlich derart wichtig, dass sie gleich zweimal im Neuen Testament
wiederholt wird (1Kor 9,9; 1Tim 5,18).
6
Der damalige Tageslohn von einem Silbergroschen (Mt 20,2) reichte damals
einer Familie für einen Tag zum Leben. Stillschweigend geht die Bibel davon
aus: Wer ganztägig arbeitet, kann vom erhaltenen Lohn mit seiner Familie
leben. Das Einkommen muss das Auskommen gewährleisten. Wird Lohn
vorenthalten, „schreit“ das zum Himmel (Jak 5,4). Lohndrückerei und
Hungerlöhne sind Sünde.
4.3. dem Eigentümer
Auch der Unternehmende soll von seinem Eigentum und Engagement
profitieren. Im Wirtschaftsleben Gewinn zu erzielen, ist durchaus beabsichtigt
(Mt 24,14-30). „Wo man arbeitet, da ist Gewinn“, weiß bereits das Buch der
Sprüche (14,23; 31,18). Doch auf dem Gieren nach „unrechtem Gut“ (Jer 17,11)
und „schändlichem Gewinn“ (1Tim 3,8) ruht kein Segen. Denn hier ist Gewinn
auf Kosten derer erzielt worden, die ihn mit ihrer Hände Arbeit ermöglicht
haben.
Die Absicht „wir wollen Handel treiben und Gewinn machen“ (Jak 4,13) wird
vom Apostel als durchaus berechtigt hingestellt. Allerdings warnt er davor,
dabei Gott und die eigene, begrenzte Lebenszeit zu vergessen: „Ihr wisst nicht,
was morgen sein wird (Jak 4,14). Alles Planen gehört daher unter den
Vorbehalt “Wenn der Herr will, werden wir leben und dies oder das tun“ (Jak
4,16).
5. Gerechtes Wirtschaften richtet ein besonderes Augenmerk auf die „Armen
und Elenden“
Wie geht eine Gesellschaft mit denen um, die sich an deren Rand befinden,
die in ihren Möglichkeiten beschränkt sind und oft von der Mehrheit
ausgegrenzt werden?
Die göttlichen Vorgaben sind klar: Die ökonomischen Gewinnabsichten sollen
zugunsten der sozial Schwachen begrenzt sein (2Mo 21,1-11. 25f; 22,20-26;
23,10-12). Praktisch heißt das beispielsweise für den Landwirt im Alten
Testament: Beim Abernten eines Feldes bleibt eine kleine Ecke mit Getreide
stehen, damit auch Arme etwas vom Feldertrag abhaben können (3Mo +19,9f).
Generell soll der „Überfluss“ der einen dem „Mangel“ derer abhelfen, die sich
in
wirtschaftlichen
Schwierigkeiten
befinden
und
denen
es
am
Lebensnotwendigen mangelt. So schärft es der Apostel Paulus der Gemeinde in
Korinth ein. Dort bittet er um Spenden für die verarmte Gemeinde in Jerusalem
(2Kor 8.9). Modern gesprochen: Gewinne gehören sozialisiert. Die Schere
zwischen
den
Vermögenden
und
den
Armen
darf
nicht
allzu
weit
auseinanderklaffen. Es muss einen Ausgleich geben, der beiden Seiten zugute
kommt: Den einen wird aus ihrem akuten Mangel geholfen, die anderen
profitieren durch den sozialen Frieden, der sich dadurch einstellt.
Dem dient auch die Abschaffung der Schuldsklaverei zugunsten von
Lohnarbeit (3Mo 25). Auch das Zinsverbot (5Mo 23,20) dient dazu, Arme vor
der Willkür derer zu bewahren, die am wirtschaftlich längeren Hebel sitzen und
7
dazu neigen, die Notlage der Armen zwecks eigener Gewinnvermehrung
auszunutzen. Das Verbot, Zinsen zu nehmen, bezieht sich auf Konsumkredite,
nicht
–
wie
heute
meist
üblich
–
auf
Investitionskredite.
„Moralisch
problematisch ist also nicht der Zinsverkehr selbst, sondern nur sein
Missbrauch in Ausnutzung einer individuellen Notlage und zu überhöhten
Zinsen“ (Helmut Burkhardt).
In der gesamten Bibel und damit auch im Neuen Testament ist Reichtum
keineswegs verboten. Die Anhäufung von Vermögen kann im Alten Testament
sogar als ausdrücklicher Erweis göttlichen Segens gelten (Hi 42,12). Aber
Reichtum wird durchaus auch kritisch gesehen. Auf welche Weise ist es dazu
gekommen? Ist er redlich erworben worden? Wie geht der Vermögende damit
um?
„Reichtum heißt, mehr haben, als man für sich selbst sinnvoll nutzen kann.
Armut heißt, weniger haben, als man zum Unterhalt und zur Entfaltung des
eigenen Lebens braucht“ (Helmut Burkhardt). Reichtum wird weder dämonisiert
noch glorifiziert. Er kann zum Gefahrenpotential werden, weil er dazu verleitet,
Sicherheiten vorzugaukeln, die sich am Ende, spätestens im Tod, als trügerisch
und hohl erweisen (Luk 12,20f). Mehrfach verweist Jesus darauf, sein Leben
nicht auf „Sand“ zu bauen (Mt 7,26f) und sich auf etwas zu verlassen, das am
Ende doch „rostet“ und von „Motten“ aufgefressen wird (Mt 6,19f). Es reicht
nicht, reich zu sein. Die Gefahr lauert, die „Seele an den Reichtum zu hängen
und so Gott zu verlieren“1.
Jesus und die späteren Apostel hätten an diesem Punkt nicht so vehement
auftreten müssen, wäre nicht in Israel und in den frühen christlichen
Gemeinden die Gefahr groß gewesen, den Verlockungen des Reichtums zu
erliegen. Schon im alten Israel haben leider die Kräfte der Stärkeren und
Unverfrorenen immer wieder dafür gesorgt, dass Arme unterdrückt und
ausgebeutet wurden, um den Reichtum Weniger zu mehren. Fehlendes
Maßhalten und Übergriffe auf das Gut anderer liegen gefährlich nahe
beieinander. Dem stellt sich die gesamte Bibel massiv entgegen. Raffgier und
Geiz werden als Sünde gegenüber Gott und den Menschen gebrandmarkt.
Habsucht ist Götzendienst (Mt 6,24; Kol 3,5), „Geldgier die Wurzel alles Übels“
(1Tim 6,10). „Geizige werden das Reich Gottes nicht ererben“ (1Kor 6,10), stellt
Paulus lapidar fest. Weil der Gierige das Irdische absolut setzt, kreist er um
sich selbst, verhärtet gegenüber dem Bedarf seiner Mitmenschen und verliert
darüber Gott aus den Augen. Wer dem Laster der Gier anheimfällt, verfehlt
Würde und Sinn seines Lebens.
Mildtätigkeit
dagegen
wird
als
etwas
Selbstverständliches
betrachtet.
„Wohlhabende sollen etwas von ihrem Reichtum abgeben, ohne sich als
Wohltäter aufzuspielen und ohne ihrer linken Hand zu sagen, was die rechte
tut“ (Nicola Leibinger-Kammüller). Das wird vom Hebräerbrief unterstrichen:
„Gutes zu tun und mit anderen zu teilen vergesst nicht; denn solche Opfer
1
, in: Claudia Schulz / Gerhard Wegner (Hg), Wer hat, dem wird gegeben, Neukirchen-Vluyn 2009, 38
8
gefallen Gott“ (Hebr 13,16). Der junge Gemeindeleiter Timotheus wird von
Paulus ausdrücklich aufgefordert: „Den Reichen gebiete, dass sie reich werden
an guten Werken, gern geben, behilflich seien“ (1Tim 6,17f).
Die Forderung: „Jeder arbeite und schaffe mit eigenen Händen das nötige
Gut“, hat ihren Sinn auch darin, dass man dadurch „dem Bedürftigen abgeben
kann“ (Eph 4,28; siehe auch Apg 20,35). Arbeit hat somit auch eine caritative
Komponente: Ihr Ertrag versetzt in die Lage, Alte, Kranke und Gebrechliche zu
unterstützen. Wer dagegen bewusst nicht arbeitet, kann zum Gemeindwohl
nichts beitragen. Er bleibt anderen etwas schuldig.
6. Gerechtes Wirtschaften schließt ein bewusstes Arbeitsethos ein
Nach biblischem Verständnis arbeiten wir nicht, um zu leben, sondern wir
leben, um zu arbeiten - und das in durchaus verschiedenen Facetten. Arbeit
stellt keinen Notbehelf dar („von irgendetwas muss man ja leben“), sondern
Arbeit
gilt
als
unverzichtbares
Lebenselixier.
In
ihr
drückt
sich
die
Gottebenbildlichkeit des Menschen aus. Drastisch bringt das Nikolaus Graf von
Zinzendorf (1700-1760), der Gründer der Herrnhuter Brüdergemeine, auf den
Punkt: „Man arbeitet nicht allein dass man lebt, sondern man lebt um der
Arbeit willen, und wenn man nichts mehr zu arbeiten hat, so leidet man oder
entschläft“.
Arbeit ist aus biblischer Sicht ein Privileg. Im Arbeiten entfaltet sich das
Potential, das Gott in einen Menschen hineingelegt hat. Arbeiten zu können, ist
deshalb zutiefst menschlich. Der ideale Fall ist diejenige Arbeit, die einem
Menschen und seinen Fähigkeiten entspricht und die ihn nicht seinem Wesen
„entfremdet“. Arbeit sichert Unterhalt, vermittelt Anerkennung und ermöglicht
Teilhabe am sozialen Leben.
Hier kommt den Verantwortlichen auf den unterschiedlichen Ebenen die hohe
Aufgabe zu, jedem zu helfen, den richtigen Platz und die angemessene
Aufgabe zu finden. Angestellte sollen mit Lust und Liebe arbeiten und sich mit
der Tätigkeit und ihren Produkten identifizieren. Mit der Arbeit soll sich
persönlicher Sinn verbinden – auch über den bloßen Broterwerb hinaus. Dass
dieses positive Effekte sowohl für das Betriebsklima als auch für die
gesundheitliche Situation der Beschäftigten zeitigt, steht außer Frage. Sich an
den biblischen Vorgaben zu orientieren, tut allen Beteiligten gut.
Der Apostel Paulus versteht sich als Vorbild, wenn er betont: Ich verdiene
meinen Unterhalt mit meiner eigenen Hände Arbeit (Apg 20,34f u.ö.). Das zu
unterstreichen war dazumal ausgesprochen wichtig, denn unter den Gebildeten
seiner Zeit war körperliche Arbeit verpönt. Anders jedoch soll es in der
christlichen Gemeinde zugehen. „Wer nicht arbeiten will (obwohl er könnte),
der soll auch nicht essen“ (2Thess 2,10). Der Arbeitsunwillige darf nicht mit
der Milde anderer rechnen. Auf ihn wird gezielt Druck ausgeübt. Der „Faule“
soll sich am Fleiß der Ameise ein Beispiel nehmen (Spr 6,6). Besonders im Buch
der Sprüche wird die Faulheit als ein offensichtlich weit verbreitetes Übel
9
bildreich angeprangert. Sehr deutlich heißt es in einer Gemeindeschrift aus
dem 4. Jahrhundert: „Der Herr unser Gott hasst die Faulen“.
Übrigens: Der Fleiß der Christen brachte ihnen auch ökonomischen
Wohlstand ein, „was für die Römer oft ein zusätzlicher Grund war, sie zu
diskriminieren und zu verfolgen“ (Alvin J. Schmidt).
Es war Martin Luther, der die normale berufliche Tätigkeit im Sinne des
Neuen Testaments kolossal aufgewertet hat. Mit Paulus versteht er Arbeit,
ganz gleich in welchem Bereich, als „Gottesdienst“ (Röm 12,1f). Es gibt keine
Arbeit zweiter Klasse. Martin Luther: „Wer treulich arbeitet, der betet doppelt“.
Arbeitslosigkeit in unserem heutigen Sinn war in biblischer Zeit kein
nennenswertes Thema. Die Felder des Geschäfts- und Arbeitslebens waren
arbeitskräfteintensiv. Jeder wurde gebraucht und konnte sich einbringen. Das
hat sich heute geändert. Aber weil das Arbeiten als zweckmäßig geordnete
Tätigkeit konstitutiv zum Menschsein gehört, muss es – so die biblischen
Vorgaben - den Verantwortlichen am Herzen liegen, allen, die arbeiten wollen
– ob im Erwerbsleben, im Ehrenamt, im häuslichen Bereich etc -, eine
Möglichkeit einzuräumen, sich zu betätigen, dadurch Sinn zu erleben und an
produktiven
Prozessen
teilzuhaben.
Arbeitslosigkeit
zieht
Sinn-
und
Bedeutungsverlust nach sich.
7. Abschluss
Zusammenfassend gilt auch für das Wirtschaftsleben der Rat des Apostels:
„Was wahrhaftig ist, was ehrbar, was gerecht, was rein, was liebenswert, was
einen guten Ruf hat, sei es eine Tugend, sei es ein Lob - darauf seid bedacht..
so wird der Gott des Friedens mit euch sein“ (Phil 4,8f). Sich an den biblischen
Vorgaben zu orientieren – das hat Zukunft und wirkt sich segensreich für alle
Beteiligten aus.
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