Nuntium No.11 Sommer 2012

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NUNTIUM NO. 11 | SOMMER 2012
EINE INFORMATION DER ARS PECUNIAE GMBH – AUTHOR: REGINA A. FAHLBUSCH
VOM WIRTSCHAFTEN UND WERT-SCHÄTZEN
Anzeichen häufen sich, dass die Kunstszene in unserer wechselvollen Zeit eine neue Wertschätzung erfährt. Im Kleinen wie im Großen. So wurde beispielsweise am
2. Mai 2012 in New York Edvard Munch’s Gemälde „Der Schrei“
bei einer Auktion für die Rekordsumme von knapp $ 120 Millionen
(inkl. Aufgeld) versteigert. Das Gemälde spiegelt die Grundstimmung der Gesellschaft in der Moderne (um 1900) wider, die in Tendenzen auch heute wieder erkennbar ist: „In bedrückender Eindringlichkeit schafft dieses Gemälde eine Welt der Verzweiflung“1 ein Zustand, den jeder Mensch auch persönlich schon mehr oder
weniger intensiv erlebt hat. Man stelle sich vor: Ein Gemälde, das
die Angst und Verzweiflung des Menschen, also Emotionen, in den
Mittelpunkt stellt, findet eine derart starke (monetäre und damit
ökonomische) Wertschätzung.
Dieses Zusammenspiel vom emotionalen Wert des Bildes einerseits
und der Rationalität seiner wirtschaftlichen Bewertung andererseits
ist Anlass unserer heutigen Gedanken über die rational geprägte
Ökonomie, also das Wirtschaften, und den Menschen mit seinem emotional geprägten Wertesystem.
DAS GUTE UND DAS BÖSE ELEMENT IM WIRTSCHAFTEN
Die Auseinandersetzung mit dem im Zentrum des wirtschaftlichen Geschehens stehenden Menschen
nimmt umso mehr zu, wie sich die Zeichen einer länger anhaltenden Krise verdichten. Die Wirtschaftspolitik, unterstützt von der Wirtschaftswissenschaft, scheint das hehre Ziel von Wachstum und Wohlstand auf
dem Scheiterhaufen der Selbstbereicherung von Eliten geopfert zu haben. Und es drängt sich der Eindruck
auf, dass wir Menschen einmal mehr das gesunde Gleichgewicht verloren hatten bzw. haben. Die Verwissenschaftlichung des Wirtschaftens hat die ethischen und moralischen Grundpfeiler unserer Gesellschaft,
früher repräsentiert durch Mythen, Glaube und Philosophie, ins Abseits gestellt.2 Wir sind dem gerne gefolgt, denn die Scheingenauigkeit der wissenschaftlichen Vorhersagen versprach Sicherheit und Komfort.
Die Diskussion über unsere Werte nimmt Fahrt auf. Hier sei Aristoteles zitiert: „Wir brauchen die Philosophie, damit sie uns den Weg zurück zum Gewöhnlichen zeigt.“3 Eine Protestpartei wie die Piraten regt mit
ihren Urheberschutzthesen zum Diskurs an. Hier geht es nicht nur um das Recht des Einzelnen, sondern
um die Bewertung des gesellschaftlichen Nutzens und die Entlohnung von kulturellen „Dienstleistungen“.
Ironischerweise verfolgen die Piraten damit die ökonomische Regel der Nutzenmaximierung, und zwar
1
„Edvard Munch: Der Schrei – Eine Welt aus Wahnsinn (1892)“ aus: Mahagoni, Magazin für Stil, Lebensart und
Kunst; www.mahagoni-magazin.de/Malerei/
2
„Die Ökonomie von Gut und Böse“, Tomas Sedlacek, Hanser Verlag München 2012; Originalausgabe Prag 2009.
Im Folgenden finden Sie viel Gedankengut aus dem gesamten Werk.
3
Aus Sedlacek, Seite 154
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bezogen auf jeden Einzelnen. Außer Acht bleibt dagegen die ethische Fragestellung, die schon zu Aristoteles‘ Zeiten aufkam: Inwieweit kann das „Gebot“ der Nutzenmaximierung in einer Gesellschaft durch
eine Maximierung des Guten ersetzt werden. Und wie wird das Gute definiert?
DIE IDEE DES FORTSCHRITTS
Fortschritt ist seit jeher unser Credo. Durch Fortschritt alleine entsteht Wachstum. Ihm zugrunde liegt eine
fatale Eigenschaft, die den Menschen in der christlichen Lehre das Paradies gekostet hat: das ewige Begehren nach Mehr, die Gier, gepaart mit Neugier. Diese Unersättlichkeit, unser Egoismus, wurde durch
das Prinzip der freien Marktwirtschaft ethisch reingewaschen und hat das Prinzip der Mäßigung verdrängt. Denn der Markt würde „es“, d.h. auch das unmoralische Eigeninteresse des Einzelnen, schon
richten. Die jüngere Vergangenheit führt dies allerdings Ad Absurdum, indem sie zeigt, dass die Stärke
des Eigeninteresses die Marktwirtschaft schwächen kann.
Obwohl die unsichtbare Hand des Marktes Adam Smith zugesprochen wird, hat der Denkansatz seinen
Ursprung bei seinem (etwas früher lebenden) Zeitgenossen Mandeville. Beide Denker waren Moralphilosophen und keine, wie meist dargestellt, puren Verfechter der Ökonomie. Mandeville steht für einen interessanten Ansatz: Individuelle Laster, wie Eigennutz, Habgier und Betrug, dienen seiner Meinung nach
dem Gemeinwohl, da sie Vorteile für alle bewirken. In der Fabel vom unzufriedenen Bienenstock, vor gut
300 Jahren veröffentlicht, zeigt Mandeville entsprechend auf, dass der Handel, und damit der Wohlstand,
zusammenbricht, als das Bienenvolk auf den Pfad der Tugend zurückkehrt.4
Die Idee des maximalen Wachstums hat alle Lebensbereiche infiltriert, die Entwicklungen beschleunigen
sich. Stärkster Befürworter der positiven Auswirkungen des Fortschritts, d.h. der Befriedigung unserer
Bedürfnisse durch Wachstum, war Keynes. Die Mehrzahl der heutigen ökonomischen Denker teilt diesen
Glauben. Fortschritt und Wissen auf Kosten von innerer Ruhe, Harmonie und Glück? Vielleicht ist der
Zulauf der Menschen zu alternativen Religionen wie dem Buddhismus, ein Zeichen, dass Mangel an diesen
Werten herrscht.
MYTHEN UND ALTE MODELLE
Unsere Sicht auf das Leben und unsere Umgebung ist tief in der Vergangenheit verankert. Ein Blick in die
Historie des Wirtschaftens mag uns mögliche Lösungswege aus diesem Dilemma aufzeigen. Schon im
babylonischen Gilgamesch Epos5, das die wahre Freundschaft zum zentralen Thema hat, findet eine Auseinandersetzung mit wirtschaftlichen Themen statt: nämlich mit der Nutzung des Reichtums der Natur,
den Anstrengungen zur Effektivitätssteigerung und dem Fortschritt in Gestalt der Stadtgründung und der
Arbeitsteilung. Das Ende bleibt offen; denn Gilgamesch kehrt auf der Suche nach der Unsterblichkeit quasi zum Ausgangspunkt der Geschichte zurück.
Im hebräischen Gedankengut finden wir die erste Beschreibung des Konjunkturzyklus: Joseph deutet den
Traum des Pharao und rät, die sieben mageren Jahre durch Rücklagen während der sieben fetten Jahre
aufzufangen. Nach der Flucht aus Ägypten sind Freiheit und Verantwortung wichtiges Gedankengut und
finden auch im Wirtschaften ihren Niederschlag. Das Postulat der Selbstbeschränkung wird umgesetzt in
einer Art Sabbatökonomie6: der Zehnte als Abgabe an die Gemeinschaft, Ruhe am siebten Tag der Woche, keine Feldbestellung alle sieben Jahre (Sabbatjahr) und alle 49 Jahre ein Jahr der (Schulden-) Vergebung. Klare Regeln haben ihren Ausgangspunkt in sozialen und moralischen Ansichten. Vergessen wird
dabei nicht, an den Ruhetagen bzw. –jahren das Erreichte zu nutzen bzw. wertzuschätzen.
Thomas von Aquin kann als Brücke zwischen dem glaubenszentrierten und dem rationalen, wissenschaftlichen Wirtschaften gesehen werden. Er befürwortet eine enge Verbindung von Glauben und Vernunft
und betont, dass die Wissenschaft für die Lehre des Glaubens wichtig ist. Der Philosoph sieht auch, dass
4
Dr. Gerold Blümle u. Dr. Nils Golschmidt: „Ein Lob dem Laster“, SZ vom 31.5.2005
Das Gilgamesch Epos, auf 12 Tontafeln aufgezeichnet, datiert mindestens auf das 18. Jh. v. Chr. zurück . Quellen
dieses Abschnitts sind Wikipedia und Sedlacek (siehe oben)
6
Vgl. Sedlacek, Seite 86ff.
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der Einzelne seinen Egoismus zurückstellen muss, wenn er die Vorteile der Gesellschaft nutzen will. Weiter
unten werden wir sehen, dass Werte unabhängig von der Religion als Tugenden gelebt werden sollten.
Hume, Philosoph und Zeitgenosse von Mandeville und Smith, glaubt ebenfalls nicht an den Kampf zwischen Rationalität und Emotionalität.7 Er sieht vielmehr, dass menschliche Handlungen von Gefühlen und
Emotionen geleitet werden und die Vernunft erst auf zweiter Ebene einwirkt, nämlich im Rationalisierungsprozess. Nach der Denkschule des Behavioral Finance laufen Anlageentscheidungen genau so ab –
und man widerspricht damit der Rationalität der Marktteilnehmer. Interessant jedoch ist, dass Hume die
Meinung vertritt, dass soziale Tugenden sich rational nicht rechtfertigen lassen.
In der modernen Welt (nach 1700) wurde die Auseinandersetzung mit Moral und Wirtschaft über Methoden und Modelle und nicht mehr über die Frage nach dem Warum geführt. Am Anfang der Verwissenschaftlichung stand Descartes, der nur den Verstand anerkannte, da seiner Meinung nach Sinne und Emotionen unvollkommen waren. Interessanterweise schlich sich in sein rationales Denken bereits ein Fehler
ein, der in unseren heutigen Modellen weiterlebt: Ausgehend von sorgfältig ausgewählten Annahmen
kommt man mithilfe zumeist mathematischer Prozesse zu Ergebnissen, die in den Annahmen bereits enthalten sind.
MÖGLICHKEITEN DES GLEICHGEWICHTS
Wir kommen zurück zu unserem Ausgangspunkt, der Angst und dem Gefühl des Ausgeliefertseins. Kurzum: Vertrauen fehlt. Das berühmte Kinderbuch „Wo die wilden Kerle wohnen“8 zeigt mit nur 333 Wörtern und wunderbaren Bildern, was in uns steckt: zuvorderst Angst, aber auch Hoffnung, Abenteuerlust –
und eben ungeheures Potential an Mut und Kreativität.
Die Erneuerung der Marktwirtschaft und die Rückkehr zum Guten stehen im Mittelpunkt vieler Diskussionen. Hans-Jürgen Schinzler, langjähriger Vorstandsvorsitzender der Münchner Rück, wehrt sich gegen das
kurzfristige Gewinnstreben. Er schreibt den heutigen Vertrauensverlust in die Wirtschaftsordnung den
fehlenden ethischen Werten, früher als Tugenden bezeichnet, zu. Verlässlichkeit, Vertrauen und Beständigkeit seien, ebenso wie die persönliche Verantwortung jedes Einzelnen, nicht religiöse Werte, sondern
Basis einer funktionierenden Wirtschaftsordnung9.
Professor Karl-Heinz Paqué sieht in seinem Plädoyer für den allgemeinnützlichen Fortschritt10 die Lösung
nicht etwa in staatlichen Großexperimenten, sondern vielmehr in der menschlichen Innovationskraft, die
durch einen den Menschen motivierenden Ordnungsrahmen die heutigen Herausforderungen in Angriff
nehmen kann.
In einem ausführlichen Interview im Handelsblatt11 stellte Kardinal Reinhard Marx das ethische Gleichgewicht des Wirtschaftens in den Mittelpunkt. Wesentlichen Anteil daran haben sowohl der Staat als auch
die Politik, die Unternehmen und der Einzelne. Ersterer durch eine Wertschätzung von Werten, Letztere,
indem sie Verantwortung tragen und Maß halten. Solidarität im Sinne von Fordern und Fördern ist nicht
nur im europäischen, sondern auch im innenpolitischen Zusammenhang notwendig.
Gelebt wird die Hinwendung zum Menschen im sozialen Unternehmertum, das mit unternehmerischen
Ansätzen zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beiträgt.12 Dies ist eine indirekte Form des Maßhaltens,
steht doch die Maximierung der sozialen Rendite, und nicht der Kapitalrendite, im Vordergrund. Hier bilden sich vermehrt Netzwerke, um Sozialunternehmer zu unterstützen (z.B. Ashoka) und Kapitalgeber und
Unternehmer zusammenzubringen.
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Aus Hume, Prinzipien der Moral, wie bei Sedlacek dargelegt
Maurice Sendak „Wo die wilden Kerle wohnen“, Original: Where the Wild Things Are, 1963
Interview in der Börsenzeitung, 24. April 2012 „Nicht alles, was machbar ist, sollte gemacht werden.“
„Zurück zum Fortschritt“, FAZ vom 11. Mai 2012
„Die Konzentration auf die Kapitalrendite ist eine Verirrung“, Interview, Handelsblatt, 18. Mai 2012
vgl. auch „Weltverbesserer ohne Wollpullis“, FAZ vom 12./13. Mai 2012
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Es geht um Wert-Schätzung in den unterschiedlichsten Facetten: Die oben aufgeführten Argumente, bzw.
auch Tugenden, lassen sich darauf konzentrieren. Auch im Sinne unserer Nachfahren ist unser Einsatz
gefragt. Wie schön wäre es, wenn wir Deutschen ein wenig von unseren französischen Nachbarn annähmen und unser Missfallen laut hören ließen.
AUSBLICK
Die nächsten sechs bis neun Monate halten wir für sehr entscheidend für die Eurozone und die Weltwirtschaft. Dies ist nichts Neues für Sie, verehrte Leser. Wir sehen dies konstruktiv. Wir glauben, dass ein
Wandel in vielen Segmenten unserer Gesellschaft sinnvoll ist und neue Möglichkeiten eröffnet. Alleine
schon aus der Idee heraus, dass die Moral die Geschichte prägt. Das Wirtschaften muss wieder moralischer werden! Die derzeit fehlenden ethischen Rahmenbedingungen im globalen Wirtschaften werden zu
großen Veränderungen führen. Die Herausforderung wird sein, Bestehendes in Frage zu stellen und Neues
frühzeitig zu erkennen.
KONSEQUENZEN FÜR DIE ANLAGEPOLITIK
Das laufende Jahr hat uns vor Augen geführt, dass wir uns derzeit in einem längerfristigen Bärenmarkt
befinden. Chancen gibt es in eher unbeliebten Marktsegmenten. Sie bedürfen des Muts zum antizyklischen Handeln. So sehen wir zum Beispiel den niedrigen Goldpreis als (derzeit) gelungenen Versuch der
westlichen Länder, ihre Verschuldungsproblematik nicht zu offensichtlich zu machen. Exogene Schocks
aus unerwarteten Bereichen halten wir für wahrscheinlich. Derzeit überwiegen die deflationären Tendenzen; dies kann jedoch schnell umschlagen.
Ein üppiges Liquiditätspolster, als Handlungsreserve zu sehen, ist deshalb Kernpunkt der Anlagestrategie.
Wir sehen selektiv Chancen bei Einzeltiteln, die flexibel in den verschiedenen Anlageklassen besetzt werden. An dem Prinzip einer sehr weit gestreuten Vermögensanlage halten wir weiterhin fest; sie ist der
Schlüssel für eine gute Krisennavigation. Unsere Grundstrategie hat sich dementsprechend nicht geändert,
ein Finetuning erfolgt jedoch laufend:
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§
Eine sichere Liquiditätsreserve, dargestellt durch Kontoguthaben.
Weiterhin Fremdwährungen, um konservativ außerhalb des Euros investiert zu sein. Wir halten für
den oben abgesteckten Zeithorizont auch den US-Dollar für attraktiv.
§
Edelmetalle, insbesondere Gold, und Goldminenwerte sind wichtiger Baustein eines risikogestreuten Portfolios.
§
§
§
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Wandelanleihen bleiben fester Bestandteil unserer Anlagestrategie.
Ausschüttungsorientierte Einzeltitel (Aktien) bei günstigem Einstiegsniveau.
Gegebenenfalls Absicherungsinstrumente, um Kursrückgänge abzufedern.
Wichtig bleiben Qualität und Liquidierbarkeit der Anlageinstrumente.
Gerade das zunächst Unerwartete, das beängstigend Chaotische, enthüllt tiefen Sinn.
C.G. Jung
15. Juni 2012
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