NUNTIUM 24 Herbst 2015

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NUNTIUM NO. 24 | HERBST 2015
EINE INFORMATION DER ARS PECUNIAE GMBH – AUTHOR: REGINA A. COSTELLO
SEQUENZEN UND IHRE FOLGEN
Die Vielfalt der aktuell interessanten Entwicklungen animiert zu einem NUNTIUM, der sequentiell Themen
in Szene setzt. Wir benutzten dabei technische Stilmittel der schönen Künste, die, ob Musik oder Film,
Meister der verschiedenen Blickwinkel sind. Das Votum zugunsten der schönen Künste, die aufgrund von
Budgetkürzungen in vielen Ländern sehr zu kämpfen haben, ist der Überzeugung geschuldet, dass diese
uns immer wieder zwingen, Realität und Wahrnehmung zu reflektieren. Wir sind gut beraten, bei den sich
derzeit andeutenden Trends fortwährend den berühmten Schritt zurückzutreten, um die Perspektive nicht
zu verlieren und auf das eigene Wohlbefinden zu achten.
DRAMATISCHE REALE SEQUENZEN
Sequenzen als abgewandelte Wiederholung eines Motivs – bei der realen Sequenz verändert sich z.B. die
Tonart durch die Gleichmäßigkeit der verrückten Intervalle1 – kommen in der Musik in vielfältigen Erscheinungsformen vor2. Diese musikalischen Stilmittel, gerne zur Steigerung der Dramatik genutzt, haben Ähnlichkeit mit einer Sequenz, die eine einschneidende Entwicklung in die Landesgeschichte Deutschlands
darstellt: die sich weiter verstärkenden Flüchtlingsströme und ihre Konsequenzen. Die Dimension des
Problems wird z.B. daran augenfällig, dass derzeit nur ca. 5 Prozent der durch die (Bürger-) Kriege in der
MENA-Region3 heimatlos gewordenen Menschen in Europa angekommen sind. Die damit verbundenen
Herausforderungen und Konsequenzen für Deutschland und Europa sind vielfältig.
Die als größte Flüchtlingskrise seit dem II. Weltkrieg bezeichnete moderne Völkerwanderung trifft auf
andere Voraussetzungen als die vor siebzig Jahren. Uns begegnen Menschen aus anderen Kulturkreisen
mit unterschiedlichen Werten, vor allem was die Rolle der Frau betrifft. Deutschland rechnet realistisch
allein im Jahr 2015 mit Neuankömmlingen in
Höhe von ca. einem Prozent seiner Bevölkerung.
Durch das Familienzuzugsrecht wird sich diese
Anzahl in den Folgejahren automatisch vervielfachen. Das Ausmaß des Zustromes unterhöhlt
die legalen und sozialen Werte der Europäischen
Union. Zwar hat man sich auf eine Umverteilung
der Ankommenden geeinigt, lässt jedoch das
Problem der Zweitwanderung außer Acht: Einmal angekommen, kann man sich gemäß europäischer Statuten frei bewegen. Das SchengenAbkommen, einer der europäischen Grundpfeiler, ist in Gefahr. Die absehbaren, und teils
schon spürbaren Belastungen von Infrastruktur,
Sozialsystemen und der Gesellschaft sind enorm.
Eine weitere Zunahme des Populismus ist absehbar, diesmal nicht nur in den mediterranen
Ländern.
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Die tonale Sequenz behält ihre Tonart durch variabel verrückte Intervalle. www.wikipedia.org.
www.wissen.de.
MENA = Middle East North Africa.
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Diese Entwicklung ist schon länger absehbar und es ist erstaunlich, dass die europäische Politik die geopolitische Einmischung in der MENA-Region den Amerikanern und Russen überlassen hat. Noch viel weniger
ist verständlich, dass man keine direkte Hilfe in den betroffenen Ländern geleistet hat, um diese schon
lange schwelende humane Katastrophe zu mildern. Selbst nach vier Jahren ist eine weiter zunehmende
Destabilisierung der MENA-Staaten feststellbar. Leider muss man zugeben, dass geopolitische Überlegungen der westlichen Industrieländer die Region ins Chaos gestürzt haben. Ein Extrembeispiel stellt Libyen
dar, für dessen Volk durch al-Gaddafi lange Jahre Reichtum und Stabilität ermöglicht wurden4. Zu dieser
Zeit existierte auch eine Vereinbarung mit der EU, die Flüchtlingsströme Afrikas an der Landesgrenze Libyens zu stoppen. Fragwürdig ist auch das syrische Kriegstheater, dessen Protagonisten erst durch die Unterstützung der USA, Saudi Arabiens und Russlands eine ganze Region in ein jahrelanges blutiges Chaos
versenkt haben. Ein Ende ist dort nicht abzusehen.
Zwei jüngere Ereignisse lassen aufhorchen: Die neuesten Angriffe Russlands verschärfen einen potentiellen
Konflikt mit der westlichen Weltmacht USA, die seit vier Jahren keine Antwort auf die russische Aggressivität gefunden hat. Die Türkei als westlicher Verbündeter und derzeitiges Transitland für Flüchtlinge
nimmt dabei eine Schlüsselrolle ein. Wachsam zu beobachten ist auch die weitere Entwicklung Saudi Arabiens. Das Land ist durch den niedrigen Ölpreis, hohe Wohlfahrtszahlungen und ein großes Militärbudget
finanziell in einer Krise. Die Stabilität des Landes ist fragil. So sehen wir das gerade erfolgte Dementi hinsichtlich einer Abwertung des Riyads als Vorbereitung zur Abkoppelung vom US-Dollar.
Völkerrecht und Moral werden in diesen Tagen viel diskutiert. Was sind die Grenzen der Zumutbarkeit
und wie definieren wir das universelle Recht jedes Volkes auf Selbstbestimmung? Was ist mit einer internationalen Gerechtigkeit, die den Zufall der Geburt in einem Krisen- oder Wohlstandsland mitigieren würde? Die Genfer Flüchtlingskommission von 1951 regelt vieles, beinhaltet aber kein Recht auf Asyl. Wir sind
noch nicht am Ende der aktuellen Völkerwanderung, wenn man berücksichtigt, dass wir eine weitere
Welle von Klimaflüchtlingen erwarten können. Wann wird eine Krise zum Dauerzustand, den man mit
einer vorübergehenden Aussetzung von Verträgen wie dem Schengen-Abkommen nicht mehr bewältigen
kann?5 Es stünde den Europäern gut zu Gesicht, endlich Flagge zu zeigen und gemeinsam zu agieren. Das
hätte auch den Vorteil, die Bürger Europas bei der Bewältigung der großen Herausforderungen dieser
noch nicht absehbaren sequentiellen Problematik ideell zu stärken.
SEQUENZ ODER KONSEQUENZ?
In der Welt des Films ist die Anordnung von Sequenzen wichtig für Schlüssigkeit und Spannungsbogen
einer Erzählung. Die Sequenz versteht sich dort als eine Einheit im Geschehen, die sich von anderen Handlungen deutlich abhebt. Damit dient sie dem Betrachter zum klareren Erkennen von Strukturen. Im Gegensatz zum Film sind in der Realität die Strukturen, d.h. die Anordnung der Sequenzen, nicht immer so
klar ersichtlich. Daher wird sich eine Gesellschaft insbesondere in Zeiten großer Veränderungen, wie sie
aktuell erfolgen/geschehen/passieren, mit ihren Werten und Strukturen auseinandersetzen müssen.
Vor diesem Hintergrund ist die Diskussion um eine nachhaltige Wirtschaftsform in der westlichen Hemisphäre interessant, ist der Kapitalismus doch seit Jahrzehnten in selbst so unterschiedlichen Kulturen wie
Chile, Japan und China auf dem Vormarsch. Doch das kapitalistische System ist vor allem seit der Finanzkrise in die Kritik geraten. Wenn so unterschiedliche Länder und Kulturen den Kapitalismus nutzen, ist das
System offensichtlich anpassungsfähig und vorteilhaft, nicht zuletzt da es Freiheit, Fortschritt und Chancen für den Einzelnen ermöglicht6. Konkurrierende Modelle wie der Kommunismus und der Sozialismus,
sind immer wieder gescheitert. Die intensive Kritik an diesem, unserem Wirtschaftssystem verwechselt
Ursache und Wirkung. Da das System nur so gut funktionieren kann wie die handelnden Personen, sind
Fehlentwicklungen nicht systemimmanent, sondern beruhen auf menschlichen Schwächen. Die Reaktion
in den letzten Jahren war eine Vielzahl neuer Gesetze und Vorschriften, die die Fehlentwicklungen verhindern soll(t)en. Sie scheinen nicht wirksam, da sie nicht das gewünschte Verhalten belohnen, sondern mit
starren Gesetzen dynamische Märkte regeln wollen. Darüber hinaus haben es die Profiteure verstanden,
die handelnden Personen der Aufsichtsbehörden in ihr Boot zu holen.
4
Garikai Chengu: „Gaddafis Libyen war Afrikas reichste Demokratie“, Du Bois Institut für Afrikaforschung, Harvard
University, 2013.
5
Prof. Reinh. Merkel: „Das Leben der Anderen – armselig und kurz“, FAZ v. 22.9.2015.
6
Allan Melzer: „Why Capitalism?“, Oxford Univ. Press, New York, 2012.
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In seinem 2013 erschienenen und kontroversen Buch7 stellt Thomas Piketty fest, dass die Chancengleichheit des Einzelnen durch Leistung und Verdienst in den letzten Jahrzehnten stark abgenommen hat. Er
führt dies darauf zurück, dass in den Nachkriegsjahrzehnten das Wirtschaftswachstum höher als die Vermögensrenditen ausfiel und damit die relative Bedeutung der privaten Vermögen zurückging. Seit den
1970er Jahren förderte das stetig sinkende Wirtschaftswachstum, dass schnell unter die langfristige Vermögensrendite von ca. 4% fiel, die zunehmende Konzentrierung des Vermögens in wenigen Händen. Die
nebenstehende Grafik8 zeigt diese
Problematik an der Entwicklung des
realen durchschnittlichen amerikanischen Wochenverdienstes in den
letzten 50 Jahren. Die Konsequenzen
sind gesellschaftlich gravierend, signalisieren sie doch eine schleichende
Aushöhlung der Mittelschicht und
damit eine zunehmende Instabilität
der Gesellschaft. Piketty sieht als
Lösung eine globale Vermögenssteuer der sehr Wohlhabenden, um den
Staaten wieder Handlungsfähigkeit
zur Stabilisierung von Gesellschaft
und Staatsfinanzen zu geben.
Was jedoch, wenn die kapitalistischen Wirtschaftssysteme durch die neue informationstechnologische
Revolution auf Dauer nicht bestehen können? Der britische Wirtschaftsjournalist Mason hat dies in seinem
gerade erschienenen Werk9 diskutiert. Er glaubt, dass wir zu einer neuen Wirtschaftsform mit neuen Werten und Dynamiken finden, die er Postkapitalismus nennt. Wie jeder Übergang wird auch dieser durch
externe Schocks und veränderte Werte der neuen Generationen beschleunigt, die sich schon heute andeuten. Drei neue Trends sieht Mason als Wegbereiter zu einem alternativen Wirtschaftssystem. Erstens
wird die klassische Form der Arbeit durch die Automation obsolet; Arbeit als alleiniges Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts wird wegfallen. Derzeit stagniert dieser Trend, da unsere gegenwärtigen Sozialsysteme mit diesem Trend überfordert sind. Die zweite Entwicklung können wir an den großen Internetunternehmen beobachten: Technologische Vernetzung zersetzt die Fähigkeit, durch Verknappung Preise
zu setzen. Das alte System kann nur durch die Bildung von Monopolen verteidigt werden. Der dritte, noch
sehr junge Trend ist der weltweite spontane Zusammenschluss von Menschen zur Produktion von Gütern
und Leistungen außerhalb hierarchischer Strukturen. Wikipedia ist eines der ersten Beispiele und hat nicht
nur eine Branche zerstört, sondern entzieht der Werbeindustrie auch jährlich geschätzte 3 Mrd. US-Dollar.
Wir haben in früheren Ausgaben auf die schon existierenden neuen Werte außerhalb der messbaren Wirtschaftsleistung, des Bruttosozialprodukts, hingewiesen. Die Währung des Postkapitalismus ist somit nicht
Geld, sondern Freizeit, die „Community“ und der (Aus-)Tausch von Dienstleistungen und Produkten. Jüngere Generationen betonen heute schon genau diese Werte in ihren Lebensentwürfen. In der neuen Welt
werden Menschen mit Kreativität und Flexibilität reüssieren.
FORTSCHRITTSWELLEN – ODER VIELLEICHT EHER WELTEN?
Auch in der Mathematik finden sich Sequenzen. Dabei handelt es sich um eine Reihenfolge von Teilaussagen mittels derer häufig Beweise einer Regel erfolgen. Denn in dieser klassischen Wissenschaft arbeitet
man – im Gegensatz zur Ökonomie – mit strengen Regeln und Gesetzen. Diese Systematik hat man sich
auch in den Kapitalmärkten zur Erkennung von Mustern, den Zyklen, zu Eigen gemacht.
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8
9
Th. Piketty: „Das Kapital im 21 Jhdt.“, Original erschienen in Paris, 2013.
Quelle: Federal Reserve Esonomic Data Base.
P. Mason: „PostCapitalism. A Guide to Our Future“, London, 2015.
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Kondratieff hatte in der ersten Hälfte des 20.Jhdt. festgestellt, dass es langfristige Auf- und Abwärtsbewegungen in Wirtschaft und Aktienmärkten gibt, die auf die Einführung von revolutionären Technologien
zurückgeführt werden können. Sie wiederholen sich alle 50 bis 60 Jahre. Anfang des 21. Jahrhunderts hat
Alexander diese Aussage näher untersucht10 und kam zu interessanten Ergebnissen. Danach unterscheidet
man langfristige Auf- und Abwärtsbewegungen, die durch die Höhe der Unternehmensgewinne geprägt
sind. Darüber hinaus sind Zins und
onsniveau bestimmend, da bei Inflation die
Unternehmensgewinne
unterschiedlich
wahrgenommen werden. Es sieht so aus, als
habe die Informationstechnologie als nächste technologische Revolution zu einer Verzögerung des Kondratieff-Zyklus geführt.
Danach befinden wir uns in einer nun länger andauernden Korrekturphase (vgl. auch
das Schaubild), die ohne weiteres noch
einige Jahre andauern kann. Es bleibt abzuwarten, ob die oben genannten Ideen
zum Postkapitalismus die langjährigen Zyklen außer Kraft setzten werden.
ANLAGEPOLITISCHE KONSEQUENZEN
So wie der Gärtner für die verschiedenen Jahreszeiten zu unterschiedlichen Zeiten Pflanzen sät, setzt und
erntet, sind in verschiedenen Phasen der Kapitalmärkte unterschiedliche Strategien und Wertpapiere sinnvoll. Im heutigen Umfeld sind wir sehr vorsichtig bei Anleiheinvestments. Wir halten dabei nicht so sehr
einen starken Zinsanstieg für realistisch, sondern die Verschlechterung von Bonitäten und Schwierigkeiten
bei der Rückzahlung in verschiedenen Segmenten. Nach den Korrekturen der letzten vier Monate sind wir
auf der Aktienseite mittelfristig optimistisch für verschiedene Märkte und Branchen. Dabei legen wir großen Wert auf Qualität bei unseren Portfolioinvestments. Dementsprechend liegt derzeit unser Augenmerk
auf:
§
Vorhalten von Kontoguthaben zur Investition in Korrekturphasen.
§
Kurzlaufende, erstklassige Unternehmens- oder Staatsanleihen als quasi-liquide Handlungsreserve.
§
Managed Futures und Fonds mit positivem Handlungsspielraum in fallenden Märkten.
§
Solide finanzierte, erstklassige Unternehmen bei attraktiver Bewertung
§
Totgeglaubte Anlagekategorien und Branchen nach Bodenbildung.
§
Einige europäische und asiatische Märkte, wobei wir hier differenziert investieren.
„Geduld ist bitter, ihre Früchte sind süß.“
Aristoteles
19. Oktober 2015
10
M. Alexander. „Stock Cycles”, Writers Club Press, New York, 2000.
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