Übungen und Vorlesung Heterogene Gleichgewichte L.Ratke Institut für Materialphysik im Weltraum Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt Köln 3000 2500 L 2000 L1 +L2 1500 L 1+<Al> L1 +L2 +<Al> 1000 L 2+Si L1+L 2+Si L1+<Al>+Si L2 +<Al>+Si 500 <Al>+B i+Si 0 10 20 Al 95.19Si 4.81 Termine: Ort: Klausur: 30 40 L2 +Bi+Si 50 60 70 Bi [at%] Bi71.86Si 28.14 Jeden Mittwoch 14 - 15.30 Uhr Hörsaal V, Hauptgebäude Ende des Semesters mit Wiederholungsklausur 1 Literatur Jörn Hansen, Friedhelm Beiner, Heterogene Gleichgewichte Walter de Gruyter Verlag,, Berlin 1974 Bruno Predel, Heterogene Gleichgewichte Steinkopff -Verlag, Darmstadt, 1982 ISBN 3-7985-0595-0 Bruno Predel, Michael Hoch, Monte Pool Phase Diagrams and Heterogeneous Equilibria Springer Verlag, 2004, ISBN: 3-540-14011-5, 75 € Mats Hillert, Phase Equilibria, Phase Diagrams and Phase Transformations, Cambridge University Press,1998, ISBN-10: 0521565847, ca. 50 € G. Masing, Ternary Phase Equilibria, Dover Publications, New York, 1944 A.Prince, Alloy Phase Equilibria, Elsevier, Amsterdam 1966 H. Schumann, Metallographie,, Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Leipzig, 1991 G. Gottstein, Physikalische Grundlagen der Metallkunde, Springer Verlag 1998 D.R.F. West, Ternary Equilibrium Diagrams, 2nd Edition, Chapman and Hall, London 1982 Das gesamte Skript findet sich als PDF-Dateien unter der Web-Adresse www.dlr.de/mp und da unter Lehrveranstaltungen Die im Skript und der Vorlesung verwendeten Abbildungen entstammen den oben genannten Büchern, wenn sie nicht selbst angefertigt wurden, 2 Inhaltsübersicht I. Grundbegriffe und Einstoffsysteme Aufbau von Werkstoffen - Gleichgewicht - Phasenübergänge Aggregatzustände - Gibbsche Phasenregel - Clausius Clapeyron Druck-Temperatur Diagramme - Übungen zu Einstoffsystemen II. Zweistoffsysteme Lösungen und Legierungen Thermodynamik von Legierungen (freie Enthalpie, Entropie, Legierungsmodelle) Umrechnung Atomprozent-Gewichtsprozent Hebelgesetz Übungen Phasendiagramme vollständige und partielle Mischbarbeit Eutektika, Peritektika, Monotektika azeotrope Systeme kongruent + inkongruent schmelzende Verbindungen Übungen III. Dreistoffsysteme Ternärer Körper 2-dimensionale Darstellung Randsysteme Isotherme Schnitte Schwerpunktgesetz Gehaltsschnitte System mit 3 vollständig mischbaren Randsystemen System mit 2 eutektischen und einem mischbaren Randsystem System mit 3 eutektischen Randsystemen System mit 2 peritektischen und einem mischbaren Randsystem System mit 1 eutektischen und zwei mischbaren Randsystem System mit 3 eutetischen Randsystemen mit begrenzter Mischbarkeit im Festen System mit 2 eutektischen und einem Randsystem mit intermetallischer Phase System mit Übergangsreaktion (U-Typ) System mit zwei peritektischen Randsystemen IV. Anhang: Begriffsdefinitionen 3 Thema der Vorlesung/Übung Heterogene Gleichgewichte - was ist das? hetero kommt von ετεροσ = verschieden, entgegengesetzt, anders beschaffen -gen kommt von γενησ = aus etwas entstanden Werkstoffe sind heterogen aufgebaut! Was sind oder woraus bestehen Werkstoffe? Bezeichnung Kupfer Messing Zusammensetzung Anwendungs beispiele Struktur Cu Cu-Zn (<40%) Kabel fcc Armaturen fcc Kühler Bronze Cu-Sn (<20%) Gleitlager, Federn fcc Aluminium Al Folien, Kondensatoren fcc Alu-Legierungen AlSiMg,AlCuMg Gußteile,Fensterprofile fcc Zink Zn Feuerverzinkung hdp Zink-Legierungen Zn-Al Druckguß hdp Lötzinn PbSn (Sb,Cu,Bi,In) fcc Hartmetalle WC-Co Bohreinsätze Schneidplatten (hdp) Nickel-Chrom Ni-Cr (20%) Heizleiter fcc Baustähle Fe-0.2%C bcc Werkzeugstähle Fe-C (-Mo-V-W-Mn-Si) bcc Rostfreie Stähle Fe-Cr-Ni (18/8, 18/10) chem. Industrie, Küche fcc Gläser Na2O,PbO,SiO2,K2O,CaO.... amorph Ton Fe2O3,SiO2,Al2O3 Alle realen Werkstoffe bestehen aus mehreren Komponenten! Komponente = chemisches Element, Verbindung, Molekül Worauf bezieht sich “Gleichgewichte”? 4 Heterogenes Gefüge von Werkstoffen (I) Zink-Cadmium (48 At.%Zn) Zink-Cadmium (26.5 At.%Zn) Zn Zink-Cadmium (14.5 At.%Zn) Zinkblech Cd 5 Heterogenes Gefüge von Werkstoffen (II) Schneeflocke Technische AlSiMg Gusslegierung Eutektische AgAlCu Legierung Eutektische AgAlCu Legierung Werkstoffe bestehen mikroskopisch aus folgenden Grundbausteinen: - reine Elemente - Mischkristalle - Verbindungen Im Gefüge beobachtet man: Körner, Phasen verschiedenster Morphologie: Dendriten, Lamellen, Nadeln, Kugeln, Platten... 6 Gleichgewicht ? Mechanisches Gleichgewicht Potentielle Energie Epot= G*h Epot: G*h1 < G*h2 < G*h3 h3 stabilster Zustand h1 stabil h2 metastabil instabil Frage: Was ist Energie in Legierungen (Werkstoffen)? Wovon hängt sie ab? E=E(x1,x2,x3,...,xn) xk = Zustandsvariable 7 Einstoffsysteme Einstoffsysteme = reines Metall (Al,Cu,Fe,Mg,...) reiner Stoff (Wasser, Alkohol, Schwefelsäure,...) eine und nur eine Komponente Beispiel: Wasser kommt in drei Modifikationen vor Eis Wasser Wasserdampf < 0°C 0 -100°C > 100°C kristallin nahgeordnet Kristalliner Zustand eines staubigen Plasmas Modell für ein Einstoffsystem Was passiert beim Aufheizen? 8 Übergänge beim Wasser 9 Experimentalaufbau Plasmakristall (Schema) Staubinjektion (Sieb mit Latex-Teilchen) Elektrisches Feld 13 MHz Latex-Teilchen werden im Plasma aufgeladen (negativ durch die schnellen Elektronen). Ladungen ca. 5000 bis 10000 Elementarladungen. Diese Aufladung wird durch die positiven Ionen im Plasma teils abgeschirmt, so daß ein Quasi-Atom entsteht: Kern = negativ geladenes Latex-Teilchen; Elektronenhülle = positiv geladene Ionenwolke. Potential um ein Teilche herum ist ein abgeschirmtes Coulomb Potential. Im elektrischen Feldgradienten vor der unteren Elektrode erfahren die Teilchen eine Kraft gegen die Schwerkraft, die proportional ihrem Radius ist (Kapazität eines Kugelkondensators). Im Gleichgewicht kompensiert diese Kraft die Schwerkraft in einer bestimmten Höhe oberhalb der unteren Elektrode. Je nach Druck, Entladungsleistung, etc. etc. ordnen sich die Teilchen auf einem Gitter, bewegen sich wie Atome in einem Fluid oder einem Gas. Für mehr Details über Plasmakristalle, siehe im Internet auf den Webseiten des Max-Planck-Instituts für Extraterrestrische Forschung, Garching, und dort die AG “Komplexe Plasmen”. 10 Plasmakristall Modell eines Einstoffsystems Kristalliner Zustand flüssiger Zustand 11 Plasmakristall gasförmiger Zustand Gasförming = freie Bewegung der Atome 12 Analyse der Beobachtungen am Plasmakristall Kristalliner Zustand: • • • • alle Atome sind auf einem regelmäßigen, sich periodisch fortsetzenden Gitter angeordnet bei hexagonaler Anordnung hat jedes Atom sechs nächste Nachbarn Schwingungen um die Gleichgewichtslage habe eine kleine Amplitude verglichen mit den Abständen im Gitter die Schwingungsamplitude steigt mit steigender Temperatur flüssiger Zustand: • • • • die Schwingungsamplitude der Atome hat stark zugenommen nicht-periodische Anordnung der Atome (manchmal lokal ähnlich zu einem Kristall, aber nicht weitreichend) Zahl der nächsten Nachbarn variiert zwischen 4-8 Dichte der Anordnung hat etwas abgenommen (Zahl der Atome pro Flächeneinheit oder Volumen) gasförmiger Zustand: • • • die Atome bewegen sich frei im Raum zufällige Bewegung der Atome Dichte hat sprunghaft abgenommen (verglichen mit kristallin und flüssig) 13 Aggregatzustände Phasenübergänge Magnesium 80 Quecksilber Hg gasförmig gasförmig 64 1373 K Verdampfen Tv 48 flüssig 32 Verdampfen 923 K Schmelzen Schmelzen Tm 16 fest 0 0 flüssig 200 400 Temperatur [K] kristallin 600 800 0K Regeln: Richardson-Regel: Schmelzwärme ≈ 9 * Tm Trouton-Regel: Verdampfungswärme ≈ 85 J/(mol K)* Tv (dies gilt für viele organische Flüssigkeiten). Für die Elementes des Periodensystems gilt 129 J/(mol K) Der Zustand von fest --> flüssig --> gasförmig kann durch die Temperatur eingestellt werden: Temperatur ist eine Zustandsvariable! 14 15 Aggregatzustände Wirkung von Druck auf Phasenübergänge 10000 100 1 0.01 log p = A-B/T liquid -4 10 10-6 Zink solid 10-8 10-10 0.1 MPa = 1 bar = 1 atm 10-12 10-14 300 400 500 600 700 800 Temperature [K] 20 1000 Gesetzmäßigkeit: Pb Cd 10 Sn Cu 0 Bi -10 0 900 100 200 Clausius-Clapeyronsche Gleichung ∆T= Tm (Vl-Vs) ∆p ∆Hm Vl =1/ρl ∆T= Vs =1/ρs Tm (ρs-ρl) ∆Hmρsρl ∆p Druck [MPa] Wenn Dichte Festkörper größer als Dichte Schmelze, dann steigt mit steigendem Druck die Schmelztemperatur, sonst sinkt sie (Unterschied Metalle zu Halbmetallen und Halbleitern). 16 Druckabhängigkeit des Zustandes eines Stoffes Wasser Magnesium 17 Gibbs'sche Phasenregel Wie stabil ist der Zustand eines Stoffes, einer Legierung bei vorgegebenen Bedingungen? F=K+2-P-S K - Anzahl der Komponenten P - Anzahl der Phasen F - Anzahl der Freiheitsgrade = Anzahl der frei wählbaren Zustandsvariablen p, T, x S - Anzahl der einschränkenden Bedingungen (z.B. P=const --> S=1) Beispiele: K=1, P=2 K=1, P=3 --> F=1 (p oder T frei) --> F=0 (Tripelpunkt) 18 Druck-Temperatur-Diagramme isotherme Schnitte fest flüssig c) 6 b) 5 2 isobare Schnitte 7 1 3 4 a) gasförmig Tv Tm Tp TD Temperatur T Freiheitsgrade der Zustandspunkte: k =1 - 7 Nr. 1 2 3 4 5 6 7 Zahl der Variable Freiheitsgrade p und T 2 p und T 2 p und T 2 p(T), T(p) 1 p(T), T(p) 1 p(T), T(p) 1 Fixpunkt 0 4,5,6 bezeichnen Gleichgewichte zwischen den angrenzenden Phasen (je zwei); 7 = Tripelpunkt=3-Phasengleichgewicht 19 Druck-Temperatur-Diagramme Bezeichnungen Schmelzkurve kritischer Punkt flüssig Verdampfungskurve Tripelpunkt fest gasförmig Sublimationskurve Tp Temperatur T isobare Schnitte: Temperatur T gasförmig TD flüssig Tp Tv a) b) Tm c) 20 Allotrope Modifikationen reiner Stoffe Viele Stoffe oder Mischphasen können in verschiedenen kristallografischen Strukturen auftreten, abhängig von Druck und Temperazur. Z.B. ist Diamant die Hochdruckmodifikation des Kohlenstoffs. Solche allotropen Umwandlungen oder metamorphen Umwandlungen sind technishc wichtig. Z.B. beim Eisen, bei ferroelektrischen Materialien (BaTiO3 kann kubisch oder tetragonal sein, nur im letzten Fall ist es ferroelektrisch). Metall Modifikation Temperaturgebiet Struktur Eisen α-Fe γ-Fe δ-Fe RT 910 1390 - 910 1390 1535 bcc fcc bcc Kobalt α-Co β-Co RT 420 - 420 1492 hdp fcc Mangan α-Mn β-Mn γ-Mn δ-Mn RT 710 1079 1143 - 710 1079 1143 1244 kubisch (79) kubisch (20) fcc bcc Titan α-Ti β-Ti RT 880 - 880 1820 hdp bcc Zinn α-Sn β-Sn T 13 13 232 Diamant tetragonal < - Beispiel BaTiO3 21 Kristallstrukturen Diamantstruktur 22 Kristallstrukturen (II) Kubischflächenzentriert Kubischraumzentriert 23 Übung Komponenten, Phasen, Freiheitsgrade Aufgaben a) Gegeben Sie in den folgenden Beispielen die Anzahl der vorhandenen Komponenten und Phasen an: b) Geben Sie die Zahl der Freiheitsgrade in den folgenden Beispielen an und benennen Sie sie: 1. Zinkdampf/Zink 2. Al-Schmelze/Al-Kristall 3. wässrige Salzlösung in einem Glaskolben wie im oberen rechten Teilbild aber ohne Bodensatz 4. Alkohol/Wasserdampf über Alkohol/Wasser im geschlossenen Behälter 5. Wasser am Tripelpunkt 24 24 c) Fertigen Sie isobare Schnitte des Zustandsdiagrammes von reinem Magnesium bei 0.001 MPa und 0.1 MPa an. Bestimmen Sie grafisch die Überganstemperaturen und geben Sie die Existenzbereiche der auftretenden Phasen und ihren Typ an. 25 25 Lösungen Aufgabe a): • Linkes Teilbild: eine Komponente in zwei unterschiedlichen Aggregatzustnden, also 1 Komponente, 2 Phasen • Rechtes Teilbild: 2 Komponenten (Wasser im Wasserdampf und Salzlösung, Salz in Salzlösung und Bodensatz) 3 Phasen (Dampf, Flüssigkeit, Festkörper) • Unteres Teilbild: 2 Komponenten (Alkohol, Wasser) 2 Phasen (Flüssigkeit, Dampf) Aufgabe b): Formel, die zu verwenden ist: Gibbsche Phasenregel F =K −P +2 (1) Vorgehen: Zahl der Komponenten und Phasen bestimmen, dann ausrechnen: 1. K=1, P=2 → F=1-2+2=1 Druck- oder Temperatur (p oder T) 2. K=1, P=2 → F=1-2+2=1 Druck- oder Temperatur (p oder T) 3. K=2, P=2 → F=2-2+2=2 und c) oder (T und c) Druck- und Temperatur (p und T), oder (p 4. Alkoholdampf und Wasserdampf sind wie alle Gase vollständig mischbar, bilden also eine Phase. Alkohol und Wasser sind ebenfalls vollständig mischbar, bilden also auch eine Phase. K=2, P=2 → F=2-1+2=2 Druck und Konzentration oder Temperatur und Konzentration (Alkoholgehalt) sind Variable 5. K=1, P=3 → F=1-3+2=0 Der Tripelpunkt ist ein Fixpunkt 26 26 Aufgabe c): 27 27 Linien im p-T-Diagramm Ziel der nachstehenden Überlegungen ist die mathematische Beschreibung der Koexistenzlininen in p-T-Diagrammen, also der Grenzlinie zwischen dem Gebiet der festen und flüssigen Phase (Schmelzlinie), flüssig-gasförmigen Gebiet (Verdampfungslinie) und der Sublimationslinie. Wir definieren dazu die sogenannte freie Enthalpie G (auch Gibbs-Energie, Gibbs-Funktion) als G = H − TS (1) Hierin ist H die Enthalpie, T die Temperatur und S die Entropie. Die Enthalpie entspricht im wesentlichen dem Wärmeinhalt des Materials und kann ausgedrückt werden durch die innere Energie und die am System verrichtete Arbeit H = U + pV (2) mit U der inneren Energie, p dem Druck und V dem Volumen. Wir differenzieren den Ausdruck für G dG = dH − T dS − SdT (3) und ebenso den Ausruck für die Enthalpie dH = du + pdV + V dp (4) Die innere Energie des Systems wird definiert durch den Ordnungszustand, die Entropie (Schwingungs- und Konfigurationsentropie) und die durch Volumenänderung geleistete Arbeit dU = T dS − pdV (5) Diese Beziehung ergibt sich aus dem ersten und zweiten Hauptsatz der Thermodynamik. Der erste Hauptsatz stellt eine Beziehung zwischen Wärmeenergie dq und Arbeit am System dw her (diese muss nicht mechanische Arbeit sein, sondern kann zum Beispiel auch elektrische, magnetische sein). dU = dq + dw (6) In einem geschlossenen System können die mechanische Arbeit und die Wärmeenergie ausgedrückt werden als dw = −pdV dq = T dS (7) dq = T dS ist gerade der zweite Hauptsatz der Thermodynamik, der für reversible Prozesse eine Relation zwischen Wärmemenge und Entropie herstellt (für alle nichtreversiblen Prozesse ist nach dem zweiten Hauptsatz 28 28 dq > T dS). Einsetzen dieser beiden Beziehungen in Gl.(6) ergibt Gl.(5). Setzt man die Gln.(4,5) in Gl.(3) ein ergibt sich dG = V dp − SdT (8) Diese Relation zeigt, dass die Gibbs Energie eines Einstoffsystems eine reine Funktion von Druck und Temperatur ist. Für die freie Enthalpie kann man zeigen, dass im Gleichgewicht ihr Wert minimal ist, d.h. wann immer die freie Enthalpie eines beliebiges System nicht minimal ist, werden solange Reaktionen im System ablaufen (wie immer diese aussehen mögen), bis dG = 0 erreicht ist. Um die oben genannten Grenzlinien mathematisch zu beschreiben, muss man wissen, wann zwei (oder mehr )Phasen im Gleichgewicht sind. Dazu benötigt man eine weitere thermodynamische Größe, das sogenannte chemische Potential oder die freie Enthalpie pro Mol. Das chemische Potential µ einer reinen Substanz (bei konstantem Druck und konstanter Temperatur) wird definiert durch die Beziehung µ= ∂G ∂n (9) p,T mit n als Zahl der Mole. Diese Beziehung mag für eine reine Substanz etwas albern aussehen, da für solche Substanzen die freie Enthalpie in äußerst simpler Weise von der Zahl der Mole abhängt, nämlich G = n × Gm (10) mit Gm der molaren freien Enthalpie, aber es zeigt auch gleichzeitig, dass die freie Enthalpie eine extensive Größe ist, die mit der Systemgröße wächst. Daraus folgt banalerweise µ= ∂G ∂n = p,T ∂nGm ∂n = Gm (11) p,T Wenn man bei konstanter Temperatur den Ausdruck der Gleichung (8) integriert und berücksichtigt, dass bei einem idealen Gas gilt V = nRT /p, ergibt sich Z Gf = Gi + nRT pf pi pf dp = G(pi ) + nRT ln p pi (12) oder nach Gl.(11) ergibt sich pf µ = µi + RT ln pi (13) Hier kann man den Wert von pi und damit die freie Enthalpie Gi = G(pi ) sowie µi beliebig wählen. Typischerweise definiert man die Werte bei 298K und Normaldruck (1 bar) als Standardwerte und bezieht alle Größen darauf. 29 29 Mit diesen Definitionen können wir uns jetzt dem eigentlichen Ziel nähern, nämlich die Frage klären, wann zwei Phasen im Gleichgewicht sind. Anschaulich kann man folgende Überlegung anstellen. Nehmen wir an, dass zwei Phasen nebeneinander vorliegen, wie in Abbildung 1 gezeigt1 . Beide Phasen mögen miteinander Atome, Moleküle austauschen können. Ein Gleichgewicht ist dann erreicht, wenn entweder beider Phasen keine Moleküle untereinander austauschen (wie immer man das messen mag) oder besser, wenn der Austausch eine Moleküls von Phase α nach β genauso viel Energie (freie Enthalpie) kostet oder auch bringt wie umgekehrt. Das bedeutet, der Austausch von Molekülen zwischen den Phasen bringt keinen Gewinn an freier Enthalpie mehr. Solange solch ein Gewinn noch möglich ist wird ein Austausch noch stattfinden. Abbildung 1: Zwei Phasen koexistieren nebeneinander mit der Ausbildung einer Grenzfläche. Frage: wan sind diese Phasen im Gleichgewicht? Das lässt sich auch mathematisch präziser formulieren. Zwei Phasen α, β sind im Gleichgewicht, wenn die chemischen Potentiale jeder Komponente in beiden Phasen denselben Wert annehmen. Das natürlich nicht über einen beliebigen Wertebereich von Druck und Temperatur, sondern bei einem definierten Druck und einer definierten Temperatur. Für reine Substanzen heisst das Gm (α) = Gm (β) und ebenso dGm (α) = dGm (β). Allgemein gilt dementsprechend unter Verwendung von Gl.(8): dGαm = dGβm oder α β − Sm dT + Vmα dp = −Sm dT + Vmβ dp (14) wobei der Index m wieder andeuten soll, dass wir Werte pro Mol verwenden (d.h. Vmα,β ist das Molvolumen der beiden Phasen). Wertet man Gl.(14) aus, 1 Die beiden Phasen müssen nicht notwendigerweise eine gemeinsame Grenzfläche haben, auch wenn dies im allgemeinen der Fall sein wird. Man kann zum Beispiel zwei Phasen unterschiedlicher Zusammensetzung nebeneinander in einem gemeinsamen Behälter stellen und sie über die Gasphase miteinander verbinden d.h. Moleküle austauschen lassen. 30 30 erhält man α ∆Sm dp S β − Sm = (15) = mβ α dT ∆Vm Vm − V m Diese Gleichung kann verwendet werden, um die Kurven im p-T-Diagramm zu berechnen. Schmelzlinie Zur Berechnung des Verlaufes der Schmelzlinie bercksichtigen wir, dass die Schmelzentropie ∆Sm mit der latenten Wärme (Schmelzwärme) L des Phasenüberganges fest-flüssig verbunden ist über L = T ∆Sm (16) so dass aus Gl.(15) wird dp L = (17) dT T ∆Vm Sei bei einem Referenzdruck pr der Schmelzpunkt Tr , dann kann man Gleichung (17) integrieren von pr bis p und erhält p(T ) = pr + T L ln ∆Vm Tr (18) als Funktion, die die Schmelzkurve beschreibt, sofern die latente Wärme wie auch die Volumenänderung beim Schmelze/Erstarren nicht druckabhängig sind (was bei den üblichen Drücken und Temperaturbereichen angenommen werden darf). Nähert man den Logarithmus um den Referenzpunkt ln T T − Tr ∼ T − Tr = ln(1 + )= Tr Tr Tr (19) ist um den Referenzpunkt herum die Schmelzlinie eine Gerade psl (T ) = pr + L T − Tr ∆Vm Tr (20) Die Neigung der Geraden wird dadurch bestimmt, ob ∆Vm positiv oder negativ ist. Bei fast allen Metallen ist ∆Vm > 0 und die Neigung positiv, während bei Halbleitern, Halbmetallen ∆Vm < 0 gilt, d.h. der flüssige Zustand hat die höhere Dichte (geringeres Molvolumen) als der feste. Man kann statt des molaren Volumens auch die Dichte verwenden. Das Molvolumen und die Dichte ρ sind verknüpft über das Atomgewicht Aa Vm = Aa /ρ (21) Beispiel: Aluminium hat das Atomgewicht 27, d.h. ein Mol wiegt 27 g. Seine Dichte ist 2700 kg/m3 . Also ist das Molvolumen 10−5 m3 . Mit dieser Definition und ∆Vm = Vml − Vms läßt sich Gleichung (20) umschreiben zu psl (T ) = pr + L ρs ρl T − T r A ρs − ρ l T r (22) 31 31 Bei Halbmetallen und Halbleitern ist die Dichte im festen Zustand kleiner als die Dichte der Schmelze und deshalb die Schmelzlinie negativ geneigt, währednd das bei Metallen umgekehrt ist. Verdampfungslinie Zur Berechnung des Verlaufes der Verdampfungslinie verwenden wir Gl.(17) und definieren aber als latente Wärme des Überganges flüssig-gasförmig ∆Hvap als die Verdampfungswärme dp ∆Hvap = dT T ∆Vm (23) Die Änderung des Molvolumens bei der Verdampfung ist im wesentlichen durch das Molvoulmen des Gases gegeben, das um Größenordnungen über dem von Schmelzen liegt. Das Molvolumen eines idealen Gases ist gegeben durch Vmgas = RT /p (allgemeines Gasgesetz). Einsetzen in Gl.(23) ergibt: dp ∆Hvap = pdT T 2R (24) Sei bei einem Referenzdruck pd die Verdampfungstemperatur Td , dann kann man Gleichung (24) von pd bis p integrieren und erhält ∆Hvap 1 1 ∆Hvap plg (T ) = pd exp − ( − ) = p∗ exp − R T Td RT (25) als Funktion, die die Verdampfungskurve beschreibt, sofern die Verdampfungswärme selbst nicht druckabhängig ist. Hierbei wurde vereinfacht geschrieben ∆Hvap ∗ p = pd exp − ) . (26) RTd Sublimationslinie Für die Sublimationslinie gilt die Betrachtung der Verdampfung mit der einfachen Änderung, dass die Verdampfungsenthalpie durch die Sublimationswärme ∆Hsub ersetzt wird, also ∆Hsub 1 1 ∆Hsub ( − ) = p∗ exp − R T Ts RT psub (T ) = ps exp − (27) wobei wieder vereinfacht geschrieben wurde ∆Hsub p = ps exp − ) RTs ∗ . (28) 32 32