Leseprobe zum Titel: Was ist Theologie?

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6 I. Wie kann von Gott geredet werden?
wie nach außen hin, das Spezifische der christlichen Religion im Gegenüber zu
den anderen Religionen zu bestimmen und zu verantworten. Was bedeutet die
Pluralität von Religionen für deren jeweils eigenen Wahrheitsanspruch und was
für den der christlichen Religion in ihrem Verhältnis zu den anderen? Worin liegt
das Eigentümliche der christlichen Religion, das sie von anderen Religionen unterscheidet?
Eine solche religionsvergleichende Fragestellung hat im gegenwärtigen Diskurs um Religion, angesichts der Herausforderungen durch die multireligiösen
Gesellschaften, zunehmend an Bedeutung gewonnen. Das Thema selbst hat die
Theologie und Philosophie vor allem seit der Aufklärung besonders beschäftigt.
Hier wurden erste Ansätze zu einer religionsvergleichenden Perspektive ausgearbeitet, die auf die Unterschiede der Religionen abheben und die Besonderheit
der christlichen zu bestimmen versuchen. Daneben ist das Programm einer vernünftigen, in ihren Aussagen von allen Menschen gleichermaßen anzuerkennenden Religion als Grundlage des politisch gemeinen Wesens entfaltet worden, das
in der gegenwärtigen Religionsdebatte einen gewissen Nachhall gefunden hat.
Die Aufgabe einer reflektierten Bestimmung der christlichen Religion in ihrer
Unterschiedenheit von den nichtchristlichen Religionen bildet eine zentrale
Aufgabe der Theologie in der Gegenwart. Wie und nach welchen Kriterien geht
sie diese Aufgabe an?
5. Theologie und Philosophie
Neben und vor der christlichen Rede von Gott gab und gibt es Rede von Gott
auch in Gestalt der Philosophie. Dort, wo die Philosophie das Verständnis des
Menschen und den Weltbegriff letztinstanzlich nicht ohne den Gottesgedanken
meint erfassen zu können, tritt sie mit ihrer Rede von Gott neben die spezifisch
christliche Theologie.8 Damit entsteht unweigerlich die Frage danach, wie das
Verhältnis zwischen philosophischer und im engeren Sinne theologischer Rede
von Gott näher zu fassen ist. Die Theologie hat diese Herausforderung, wie sie
durch die philosophische Frage nach der wahren Bestimmung des Gottesgedankens gestellt ist, angenommen. Sie hat darauf in unterschiedlicher Weise reagiert,
8
Dass auch die Philosophie sich in Einzeldisziplinen ausdifferenziert hat und im Zuge dessen weniger bzw. kaum mehr die Frage nach Letztbegründung stellt, sondern das Gewicht auf
die Behandlung von einzelnen Spezialthemen legt, ist eine Entwicklung, von der die Philosophie im 20. Jahrhundert voll erfasst wurde. Von wenigen Ausnahmen abgesehen ist sie von dem
Grundtenor geprägt, dass die ›Metaphysik‹ – auch in ihrer transzendentalphilosophischen Variante – verabschiedet ist und sich Letztbegründungsfragen verbieten. Zu den Ausnahmen in der
deutschsprachigen philosophischen Zunft gehört etwa Dieter Henrich. Zur philosophischen
Auseinandersetzung um diese Frage vgl. Dieter Henrich, Konzepte. Essays zur Philosophie
in der Zeit, Frankfurt a. M. 1987; darin besonders die Beiträge: Was ist Metaphysik – was Moderne? Zwölf Thesen gegen Jürgen Habermas, S. 11–43; Die deutsche Philosophie nach zwei
Weltkriegen, S. 44–65; Wohin die deutsche Philosophie?, S. 66–78.
6. Der Gegenstand der Theologie: Gott, Glaube, Kirche, Christentum?
7
je nach ihrem eigenen Verständnis davon, was Theologie ist und worin der
Erkenntnisgrund und die Bestimmtheit ihrer Aussagen über Gott liegen. Die innere Dynamik, von der diese konstruktiv-kritische, bisweilen rein kritische Auseinandersetzung zwischen Theologie und Philosophie bewegt ist, hat ihr treibendes Movens darin, dass beide gleichermaßen den Anspruch geltend machen,
über den Menschen und die Welt nicht nur Teilaspekte auszusagen, sondern
deren Wesen zu erfassen; und dass sie beide von Gott als demjenigen handeln,
das notwendig gedacht werden muss, wenn Mensch und Welt wahrhaft verstanden werden sollen. Dass die Philosophie für den Vollzug des Denkens und die
aus ihm gewonnenen Aussagen den Anspruch auf Allgemeingültigkeit erhebt,
die Theologie wiederum unabdingbar auf Person und Geschichte Jesu Christi
und damit auf einen geschichtlichen Bezugspunkt in höchst konkreter Gestalt
verwiesen ist, macht diese Auseinandersetzung spannend und umso spannender
dann, wenn die Theologie daran festhält, dass Person und Geschichte Jesu
Christi den Charakter individueller Besonderheit von zugleich universaler Bedeutung haben.
6. Der Gegenstand der Theologie: Gott, Glaube, Kirche, Christentum?
Ist die Theologie – so fragen wir in einem letzten Gedankengang – überhaupt
primär durch denjenigen ›Gegenstand‹ bestimmt, den wir eingangs mit Luther
als ›Rede von Gott‹ eingeführt haben? Müssen nicht andere Zugangsweisen
gewählt werden, um Selbstverständnis und Aufgabe der Theologie zu klären?
Wäre hier nicht viel eher auf das christliche Glaubensbewusstsein als Begründungszusammenhang für die Theologie zu rekurrieren? Müsste nicht von vorneherein der Bezug zur Kirche für das Selbstverständnis der Theologie zum Zug
gebracht werden? Käme damit nicht – und der Sache angemessener – die Unterscheidung zwischen individuellem Glaubensbewusstsein und auf Gemeinschaft
hin ausgerichteter, institutionell verfasster Kirche in den Blick und folglich zugleich die Frage danach auf, was die Theologie eigentlich für beide und nicht
zuletzt für den gesellschaftsöffentlichen Diskurs austrägt? Oder ist auch die Perspektive auf die Kirche noch eine verengte, so dass eigentlich das Christentum in
Geschichte und Gegenwart und mithin die gesamtgesellschaftliche Bedeutung
desselben im Fokus des Selbstverständnisses der Theologie stehen müsste? Hätte
die so eingenommene Perspektive nicht den Vorteil, den Prozess der Säkularisierung in den Blick nehmen, damit die gegenwärtige religionskulturelle Gesamtlage besser erfassen und angesichts ihrer die Bedeutung des Christentums für die
modernen Gesellschaften behaupten zu können? Kurzum: Müsste sich die
Theologie nicht viel eher als Kulturwissenschaft verstehen und exponieren, um
so ihren Geltungsanspruch zu behaupten?
Sowohl die Vertreter der Auffassung, Gott sei der vornehmliche ›Gegenstand‹
der Theologie, als auch jene, die das Glaubensbewusstsein, die Kirche bzw. das
Christentum in den Fokus rücken, scheinen bei aller Unterschiedlichkeit der
8 I. Wie kann von Gott geredet werden?
Zugangsweise doch klären zu müssen, was denn nun eigentlich die spezifisch
christliche Rede von Gott ausmacht, wodurch das christliche Glaubensbewusstsein eigentümlich geprägt ist, was für die Bestimmung der Kirche charakteristisch ist, was das Wesen des Christentums bildet. Das heißt: Sie müssen in
irgendeiner Weise den Begriff des Christlichen klären. Dies wird nicht ohne den
Rückgang auf Person und Geschichte Jesu Christi erfolgen können, um die in
ihm begründete Rede von Gott, den Grund des Glaubensbewusstseins sowie
die durch ihn in der Kraft des Heiligen Geistes freigesetzte Wirkungsgeschichte
in der Kirche und im Christentum zu verstehen. Dass und inwiefern dieser
Bezugspunkt das Selbstverständnis christlicher Theologie in all ihren Varianten
geprägt hat, wenn auch unterschiedlich stark und verschiedenartig begriffen –
womit etwa auch die konfessionell bestimmte Differenz in der Wahrnehmung
der Theologie einhergeht –, davon geben die folgenden Kapitel einen Eindruck.
Weiterführende Literatur:
Christine Axt-Piscalar, Das wahrhaft Unendliche. Zum Verhältnis von vernünftigem
und theologischem Gottesbegriff bei Wolfhart Pannenberg, in: Der Gott der Vernunft.
Protestantismus und vernünftige Gotteserkenntnis, hg. von J. Lauster/B. Oberdorfer,
Tübingen 2009, S. 319–337.
Ulrich Barth, Was ist Religion? Sinndeutung zwischen Erfahrung und Letztbegründung, in: Ders., Religion in der Moderne, Tübingen 2003, S. 3–28.
Ders., Säkularisierung und Moderne. Die soziokulturelle Transformation der Religion,
in: Ders., Religion in der Moderne, Tübingen 2003, S. 127–166.
Rudolf Bultmann, Theologische Enzyklopädie, hg. von E. Jüngel/K. W. Müller, Tübingen 1984.
Ingolf U. Dalferth, Evangelische Theologie als Interpretationspraxis. Eine systematische Orientierung, Leipzig 2004.
Christian Danz, Die Deutung der Religion in der Kultur: Aufgaben und Probleme der
Theologie im Zeitalter des religiösen Pluralismus, Neukirchen-Vluyn 2008.
Eberhard Jüngel, Thesen zum Verhältnis von Existenz, Wesen und Eigenschaften Gottes, in: ZThK 96 (1999), S. 405–423.
Friederike Nüssel, Theologie als Kulturwissenschaft?, in: ThLZ 130 (2005), Sp. 1153–
1168.
Charles Taylor, Das Unbehagen an der Moderne, Frankfurt a. M. 1995.
II.
Die biblischen Schriften als Reflexionsgestalten
der Gotteserfahrung und das Verstehen als genuines
Moment des Glaubensvollzugs
Theologie in einem elementaren Sinn, so sei zunächst bemerkt, ist keine Sache,
die erst in Gestalt der großen ausgearbeiteten Werke der theologischen Lehre –
wie etwa in der Summa theologica des Thomas von Aquin, in Melanchthons Loci
theologici, der Institutio christianae religionis von Johannes Calvin, in Schleiermachers Glaubenslehre oder Karl Barths Kirchlicher Dogmatik – vorliegt, um
einige Konzeptionen herauszugreifen, die in den folgenden Kapiteln zur Darstellung gelangen. Auch wenn wir für gewöhnlich bei dem Begriff ›Theologie‹
vornehmlich an die entsprechende akademische Disziplin an den Universitäten
denken, so ist sie doch keine Unternehmung, die allein mit ihrer Wahrnehmung
im akademischen Kontext gleichzusetzen wäre. Dies soll nicht heißen, dass es
keinen guten Sinn hat, ›professionelle‹ Denker und Denkerinnen damit zu betrauen, die Sache der Theologie eingebunden in den allgemeinen Wissenschaftsdiskurs und in öffentlicher Verantwortung zu vertreten und deren Bedeutung für
Kirche und Gesellschaft sowie für die Wissenschaften zur Geltung bringen. Deshalb gehört die Theologie als eine wissenschaftliche Disziplin an staatliche Universitäten. Und deshalb verlangen Kirche und Staat von denjenigen, die im schulischen und kirchlichen Bereich die Sache der Theologie öffentlich vertreten,
dass sie in aller Regel ein akademisches Studium durchlaufen und eine entsprechende theologische Kompetenz erworben haben.
Dennoch fällt Theologie nicht mit ihrer akademisch betriebenen Form ineins.
Insofern es dem persönlichen Glauben eigentümlich ist, sich über sich selbst,
und sei es auch nur in ganz elementarer Weise, Rechenschaft zu geben, ist dies ein
Nachdenken über Grund und spezifischen Inhalt des Glaubens; und mithin ist
auch im individuellen Glaubensleben mehr im Spiel als lediglich ein unmittelbarer Glaube im Sinne eines vorreflexiven Gefühls. Zum Glauben gehört auch ein
Glaubenswissen, wie Luther nachdrücklich betont und zum Zweck einer volkspädagogischen Maßnahme in Sachen Grundkenntnis des christlichen Glaubens
den Großen und Kleinen Katechismus verfasst hat.1 Indem der Glaube sich auf
1
Vgl. Martin Luther, Großer und Kleiner Katechismus, in: Die Bekenntnisschriften der
evangelisch-lutherischen Kirche (= BSLK), 9. Auflage, Göttingen 1982, S. 501–733. In den jeweiligen Vorworten geht Luther auf den Notstand ein, der im Blick auf das Grundwissen des
Glaubens unter dem Volk herrscht. Für Luther gehören das Vaterunser, die zehn Gebote, das
Glaubensbekenntnis und das Verständnis von Taufe und Abendmahl zu demjenigen, »so ein
iglicher Christ zur Not [i. e. notwendigerweise, C. A.-P.] wissen soll«, BSLK, S. 554. Er fährt an
besagter Stelle fort: »[A]lso daß, wer solchs nicht weiß, nicht künnde unter die Christen gezählet und zu keinem Sakrament zugelassen werden. Gleichwie man einen Handwerksmann, der
seines Handwerks Recht und Gebrauch nicht weiß, auswirfet und fur untüchtig hält«.
10 II. Die biblischen Schriften als Reflexionsgestalten der Gotteserfahrung
seinen Grund und seine spezifische Bestimmtheit besinnt, ist er gleichsam im
Übergang zur Reflexion begriffen; ja er ist, indem er auf den Grund des Glaubens bezogen ist, wie er sich durch das Evangelium worthaft selbst bezeugt und
in der Kraft des Heiligen Geistes im Glauben existenzbestimmend ergriffen
wird, nie nur ein unbestimmtes, vorreflexives Gefühl. Der Glaube ist nicht ohne
eine in ihm mitgesetzte Gotteserkenntnis, mit der ein neues Selbst- und Weltverstehen einhergeht. Die reflexive Selbsterfassung des Glaubens ist nichts, was ihm
äußerlich ist. Sie ist auch nichts, was ihm abträglich ist. Es gehört genuin zum
Glauben dazu, sich über seinen Grund und Inhalt in elementarer Weise zu verständigen, sich selbst durchsichtig zu werden. Der Glaube drängt aus sich selbst
heraus zum Verstehen seiner selbst – fides quaerens intellectum.
Gemeint ist hiermit nicht schon diejenige Reflexionsgestalt, die den Gegenstand des Glaubens nach allen seinen Bestimmungen im Zusammenhang entfaltet und seinen Wahrheitsanspruch in der Auseinandersetzung mit den anderen
Wissenschaften bewährt. Dies bildet die spezifische Aufgabe der wissenschaftlich betriebenen Theologie. Gemeint ist vielmehr, dass der Glaube über das, was
seinen Grund und sein Wesen ausmacht, eine elementare Kenntnis und Einsicht
hat.2 Was heißt es, an Jesus Christus zu glauben? Was hat es mit der Freiheit auf
sich, zu der der Christenmensch im Glauben befreit ist? Welches Verständnis
von Gott ist im Glauben eröffnet? Was bedeutet es, sich in seinem Leben auf
den christlichen Gott zu verlassen? Was heißt es, ein gottwohlgefälliges Leben zu
führen und das Gute zu tun? Wie können wir mit der Fragmentarizität unseres
Lebens und unserer Schuldverhaftetheit umgehen?
Durch Taufe und Glauben ist jeder Christenmensch zu einem mündigen
Christsein berufen. Über das, was Grund und Wesen des Glaubens ist, soll er zu
einer elementaren Einsicht gelangen. Damit geht einher, dass der Glaubende das
Recht und die Pflicht hat, die kirchliche Lehre zu prüfen und das falsche Evangelium zu verwerfen.3 Es verbinden sich damit des Weiteren das Recht und die
Aufgabe für den Christenmenschen, den Glauben eigenverantwortlich vor der
Welt zu bezeugen. Dies geschieht mittels sprachlicher Kommunikation, die elementares Verstehen voraussetzt und auf Verstehen beim anderen hin ausgerichtet ist. Der Glaube ist kein Geheimwissen, das nur unter Eingeweihten oder gar
überhaupt nicht kommuniziert wird und im Selbstgenuss aufgeht. Wenn Paulus
betont, dass der Glaube aus dem Hören kommt,4 dann ist damit die kommunikative Dimension des Glaubens ausgesprochen, der im Hören auf das Wort Gottes gründet, insofern auf Verstehen hin angelegt ist und zugleich zur sprachlichen
Mitteilung des Evangeliums drängt. Die Worthaftigkeit des Geschehens, das den
Glauben wirkt, ihn sich begreifen und ihn sich kommunizieren lässt, führt das
2
Dass die Verkündigung des Paulus sich genau dies zur Aufgabe macht, zeigt das folgende
Kapitel.
3
Vgl. 1 Kor 14; 1 Thess 5, 21.
4
Vgl. Röm 10, 17.
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