CURRICULUM Schweiz Med Forum 2005;5:379–388 379 Was bedeuten die Resultate der Women’s-Health-Initiative zur Hormonersatztherapie für die tägliche klinische Arbeit? Martin H. Birkhäuser Leiter der Abteilung für gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin, Universitäts-Frauenklinik, Inselspital, Bern Was bedeuten die Resultate der Women’s-Health-Initiative zur Hormonersatztherapie für die tägliche klinische Arbeit? Quintessenz 쎲 Die Publikation der amerikanischen Women’s-Health-Initiative (WHI) hat auch in Europa zu einer beträchtlichen Verunsicherung von Laien und Ärzten darüber geführt, ob bei Frauen nach der Menopause eine Hormonersatztherapie (HET) weiterhin vertretbar ist. 쎲 Dabei wurde leider von der Fachpresse und Laienmedien nicht berücksichtigt, dass die Studienpopulation insbesondere vom Alter zu Beginn der HRT, vom Body-MassIndex und von den kardiovaskulären Risikofaktoren her nicht derjenigen Population entspricht, bei welcher bei uns mit einer HRT begonnen wird. 쎲 Es wurde auch unterlassen, darauf hinzuweisen, dass die WHI allein zur Prüfung der Hypothese durchgeführt worden ist, dass eine Östrogenprävention einen kardiovaskulären Nutzen bringen könnte. Es wurde zuwenig betont, dass die Studie nicht dazu angelegt wurde, die Hauptindikation jeder HRT zu überprüfen, nämlich die Wirkung auf das klimakterische Syndrom und auf die Lebensqualität. 쎲 Die Wahrnehmung der Resultate der WHI wurde zusätzlich dadurch fehlgeleitet, dass sowohl bei den Nutzen als auch bei den Risiken der HRT nur das relative Risiko und nicht die absoluten Zahlen mitgeteilt wurden. Nur das absolute Risiko erlaubt es einer Patientin, sich ein reelles Bild des für sie relevanten Nutzen-Risiko-Verhältnisses zu machen. 쎲 Als Grundprinzip gilt für uns, dass die Menopause etwas Natürliches ist. Sie benötigt als solche, im Gegensatz zu allfälligen Beschwerden wegen des postmenopausalen Östrogenmangels, keine Behandlung. 쎲 Auch nach der WHI gilt aber weiterhin, dass die Verordnung einer HRT zur Behandlung des klimakterischen Syndroms und einer wegen Östrogenmangels verschlechterten Lebensqualität korrekt ist. Bei gleichzeitig erhöhtem Osteoporoserisiko garantiert, auch nach den Daten der WHI, die HRT eine Frakturprävention. 쎲 Wird die HRT unmittelbar nach der Menopause begonnen, so besteht kein signifikant erhöhtes Risiko für kardio- und zerebrovaskuläre Ereignisse, wie dies bei den über 10 Jahre älteren Frauen der WHI der Fall war. Innert der ersten 5 Behandlungsjahre besteht nach der WHI auch kein signifikant erhöhtes Brustkrebsrisiko. Que signifient les résultats de la Women’s Health Initiative sur le traitement hormonal substitutif (THS) pour la pratique clinique courante? Quintessence 쎲 La publication de la Women’s Health Initiative (WHI) américaine a déclenché en Europe aussi une très grande incertitude chez les profanes et les médecins, sur le fait de savoir si une hormonothérapie substitutive était encore défendable chez les femmes après leur ménopause. 쎲 La presse scientifique et les médias tout public n’ont malheureusement pas mentionné le fait qu’en matière d’âge au début du THS, de Body Mass Index et de facteurs de risque cardiovasculaire, la population de cette étude n’était pas la même que celle chez qui un THS est mis en route chez nous. 쎲 Ils ont de même oublié de préciser que la WHI n’a été mise sur pied que pour vérifier l’hypothèse qu’une prévention par œstrogènes peut procurer un bénéfice cardiovasculaire. Ils n’ont pas assez insisté sur le fait que cette étude n’a pas été conçue pour vérifier l’indication principale de tout THS, à savoir son effet sur le syndrome climatérique et la qualité de vie. 쎲 La perception des résultats de la WHI a en outre été faussée par la mention du risque relatif uniquement, et sans les chiffres absolus, aussi bien pour les bénéfices que pour les risques du THS. 쎲 Le principe de base pour nous est que la ménopause est quelque chose de naturel. En tant que telle, et contrairement aux éventuels problèmes dus au manque d’œstrogène à la postménopause, elle n’a besoin d’aucun traitement. 쎲 Même d’après la WHI, il est toujours vrai que la prescription d’un THS est correcte pour le traitement du syndrome climatérique et d’une qualité de vie amputée par le manque d’œstrogènes. S’il y a en plus un risque accru d’ostéoporose, il garantit une prévention des fractures même d’après les données de la WHI. 쎲 Si le THS est mis en route immédiatement après la ménopause, il n’y a pas de risque significativement accru d’accidents cardio- ni cérébrovasculaires, ce qui fut le cas chez les femmes de la WHI de 10 ans plus âgées. Au cours des 5 premières années de traitement, il n’y a de même, selon la WHI, aucun risque significativement accru de cancer du sein. Traduction Dr G.-A. Berger * CME zu diesem Artikel finden Sie auf S. 403 oder im Internet unter www.smf-cme.ch * Vous trouverez les questions à choix multiple concernant cet article à la page 403 ou sur internet sous www.smf-cme.ch CURRICULUM Results of the Women’s Health Initiative concerning hormone replacement therapy: what is their bearing on everyday clinical practice? Summary 쎲 In Europe, too, the publication of the American Woman’s Health Initiative (WHI) has caused considerable disquiet among the lay public and the medical community as to whether hormone replacement therapy (HRT) in postmenopausal women continues to be justified. 쎲 Regrettably, in this neither the specialist press nor the lay media have taken into account the fact that the study population, in particular with regard to age at the start of Schweiz Med Forum 2005;5:379–388 HRT, body mass index and cardiovascular risk factors, is different from the population in which HRT is started in Europe. 쎲 They further fail to mention that the WHI was carried out solely to test the hypothesis that oestrogen prevention may bring cardiovascular benefits. It was not sufficiently emphasised that the study was not designed to verify the main indication for any HRT, i.e. the effect on the postmenopausal syndrome and quality of life. 쎲 Perception of the results of the WHI was additionally distorted by the fact that in regard to both the benefits and the risks of HRT only the relative risk and not absolute figures were reported. Only the absolute risk enables a patient to form a real picture of the relevant risk/benefit ratio for herself. 380 쎲 However, it remains true even after the WHI that prescribing HRT to treat the postmenopausal syndrome and an impaired quality of life due to oestrogen deficiency is correct. Where there is a parallel increase in the risk of osteoporosis, HRT ensures – as the WHI data also bear out – fracture prevention. 쎲 If HRT is started immediately after the menopause, no significantly increased risk of cardio- or cerebrovascular events arises, as was the case in the over 10 years older women in the WHI. According to the WHI there is likewise no significantly increased risk of breast cancer in the first 5 years of treatment. Translation R. Turnill, MA 쎲 In our view the basic principle is that the menopause is a natural process. As such – unlike any symptoms due to postmenopausal oestrogen deficiency – it requires no treatment. Zusammenfassung Die Women’s-Health-Initiative (WHI) ist die letzte von drei randomisierten kontrollierten Studien («RCT» zur Thematik der Hormontherapie nach der Menopause [1–9]). In die an sich ausgezeichnete Studie wurden überwiegend asymptomatische ältere Frauen aufgenommen. Studienziel war die Beurteilung von Nutzen und Risiken einer kombinierten Hormonersatztherapie (HET) oder einer Östrogen-Monotherapie (EET) zur sekundären Prävention von metabolischen Erkrankungen, insbesondere in bezug auf kardiovaskuläre Erkrankungen, zerebrales Altern und Mammakarzinom. Allerdings sind Frauen, welche in Europa eine Hormonersatztherapie beginnen, im Durchschnitt über zehn Jahre jünger als die Studienteilnehmerinnen der in den USA durchgeführten WHI: Die Volontärinnen für diese grossangelegte Studie sind ungefähr 12 Jahre nach ihrer Menopause rekrutiert worden. Somit waren sie bereits zu Beginn der Studie deutlich älter als Europäerinnen, welche ihre HET/EET im Mittel mit 51–52 Jahren beginnen. Im Gegensatz zur WHI sind in Europa klimakterische Beschwerden die Hauptindikation für die Aufnahme einer HET/EET. Auch sind Europäerinnen bei Beginn ihrer HET/EET gesünder, weniger dick und weisen weniger kardiovaskuläre Risikofaktoren auf als die WHI-Teilnehmerinnen. Daher stimmen die Selektionskriterien, welche zur Rekrutierung für die WHI eingesetzt worden sind, nicht mit dem Profil derjenigen Frauen überein, welche in der täglichen Praxis eine HET/EET erhalten. Schliesslich werden zahlreiche Europäerinnen mit anderen Behandlungsschemata substituiert als in den USA. Häufig erhalten sie peroral oder transdermal 17b-Östradiol anstelle von konjugierten equinen Östrogenen, kombiniert mit einem anderen Gestagen als mit dem für die USA typischen Medroxyprogesteron-Acetat. Trotz dieser pharmakologischen Unterschiede bleibt aber der Hauptgrund, weswegen die Schlussfolgerungen der WHI nicht automatisch auf Europa übertragen werden können, die anderen Selektionskriterien für die Studienteilnehmerinnen. Was ist die Women’sHealth-Initiative (WHI)? Die Women’s-Health-Initiative (WHI) ist nach dem HERS- [9] und dem ERA-Trial [8] die letzte von drei grossen randomisierten kontrollierten Studien («RCT»; [1–9]) zur Untersuchung von Nutzen und Risiken einer Hormontherapie nach der Menopause. Sie wurde als grosse NIHgesponserte, randomisierte, multizentrische Studie geplant und war vor allem auf die Beurteilung der Wirkungen auf das kardiovaskuläre System, das zerebrale Altern und das Mammakarzinom ausgelegt. Zur Beurteilung der Wirkungen einer HET/EET in einer den rekrutierten Frauen vergleichbaren Population ist die WHI eine ausgezeichnet geplante Studie. Leider wurden die Resultate der WHI sowohl der Fachwelt als auch der Laienpresse und den Massenmedien auf eine ungeschickte Art mitgeteilt, welche bei den Ärzten zu CURRICULUM Tabelle 1. Ausgangscharakteristika im kombinierten Arm (CEE + MPA) [1]. Charakteristika HRT n = 8506 Plazebo n = 8102 Alter beim Screening [Jahre]* frühere Hormoneinnahme [%] Body-Mass-Index [kg/m2]* nie geraucht [%] Diabetes [%] Erhöhte Cholesterinwerte, behandlungsbedürftig [%] art. Hypertonie [%] Statineinnahme bei Beginn [%] Aspirineinnahme bei Beginn [%] FA pos. für Mamma-Ca [%] Anamnese positiv für Myokardinfarkt** [%] Anamnese einer CABG/PTCA** [%] 63,2 (7,1) 26,1 28,5 (5,8) 49,6 4,4 12,5 35,7 6,9 19,1 16,0 1,6 1,1 63,3 (7,1) 25,6 28,5 (5,9) 50,0 4,4 12,9 36,4 6,8 20,1 15,3 1,9 1,5*** * Werte sind Mittel (SD) ** Inzidenz total für kardiovaskuläre Erkrankungen = 7,7% *** p = 0,04 vs. HRT Tabelle 2. Ausgangscharakteristika im CEE-Arm (CEE allein) [2]. Charakteristika ERT n = 5310 Plazebo n = 5429 Alter beim Screening [Jahre]* frühere Hormoneinnahme [%] nie geraucht [%] Diabetes [%] Erhöhte Cholesterolwerte, behandlungsbedürftig [%] art. Hypertonie [%] Statineinnahme bei Beginn [%] Aspirineinnahme bei Beginn [%] FA pos. für Mamma-Ca [%] Anamnese positiv für Myokardinfarkt** [%] Anamnese einer CABG/PTCA** [%] 63,6 (7,3) 47,8 51,9 7,7 14,5 48,0 7,4 19,4 18,0 3,1/5,1 2,3 63,6 (7,3) 48,9 50,4 7,6 15,9 47,4 7,9 19,7 17,1 3,2/5,7 2,1*** * Werte sind Mittel (SD) ** Inzidenz total für kardiovaskuläre Erkrankungen = 7,7% *** p = 0,04 vs. HRT Verwirrung und Verunsicherung und bei den Frauen zu massiven Ängsten führte. Von den für die Studie kontaktierten 373 000 Frauen waren weniger als 10% bereit, an der Studie teilzunehmen, so dass diese für die Gesamtbevölkerung nur bedingt repräsentativ ist. Schliesslich wurden in die WHI rund 27 000 Frauen im Alter zwischen 50 und 79 Jahren mit einem mittleren Alter von 63 Jahren eingeschlossen. Die Rekrutierung dauerte von 1993 bis 1998. Eine Untergruppe innerhalb der Studie umfasste Frauen mit einer Hormoneinnahme. Dieser Teil der Studie bestand aus einem kombinierten Östrogen-Gestagen-Arm (HET-Arm) und einem Östrogen-allein-Arm bei hysterektomierten Frauen (EET-Arm). Das Studienziel lag in der Evaluation von Nutzen und Risiken einer mehrjährigen Gabe von HET oder EET zur Prävention von Stoffwechselerkrankungen. Als primärer Nutzen der Studie wurden koronare Herzkrankheiten (KHK), nichttödliche Herzinfarkte oder Tod durch KHK festgelegt, als primäres Risiko die Diagnose eines invasiven Mammakarzinoms. Zur Evaluation der Summe aller Summen und Schweiz Med Forum 2005;5:379–388 381 Risiken wurde ein globaler Index festgelegt. Das Ende der Studie war für 2005 geplant. Allerdings wurde der HET-Arm [1] 2002 durch das Data- and Safety-Monitoring Board (DSMB) gestoppt, weil die Summe der Risiken die Summe des Nutzens überstieg (Erreichen der vorbestimmten Limiten). Der mittlere Follow-up des kombinierten HET-Arms betrug 5,2 Jahre. Im HET-Arm bestand die Behandlung aus der Gabe von konjugierten equinen Östrogenen (CEE; 0,625 mg/Tag), fest kombiniert mit Medroxyprogesteron-Acetat ([MPA] 2,5 mg/Tag) (n = 8506), oder von Plazebo (n = 8102). Die totale Drop-outRate war 42% im HET-Arm und 38% im PlazeboArm. Der EET-Arm wurde im Februar 2004 abgebrochen [2]. Der mittlere Follow-up des Östrogen-allein-Armes lag bei 6,8 Jahre. Im EET-Arm bestand die Behandlung aus der Gabe von CEE (0,625 mg) allein (n = 5310) oder Plazebo (n = 5429). Die Charakteristika der Teilnehmerinnen an den beiden Studienarmen sind in den Tabellen 1 und 2 p zusammengefasst. Das Alter bei der Rekrutierung der Studienteilnehmerinnen war ungewöhnlich hoch: Das mittlere Alter der in die WHI eingeschlossenen Frauen betrug 63,2 Jahre (HET-Arm) bzw. 63,6 Jahre (EET-Arm) bei Studieneinschluss, so dass das mittlere Alter bei Studienende auf 68 bzw. 70 Jahre anstieg. Im Gegensatz dazu sind Frauen bei der Aufnahme einer HET/EET in Europa mindestens 10 Jahre jünger (im Mittel, je nach Land, 51–52 Jahre). Betrachten wir die gesundheitliche Situation zum Zeitpunkt der Rekrutierung, so sind wir erstaunt, dass die Werte des Body-Mass-Index zwischen Übergewicht und Adipositas liegen, dass wir eine ungewöhnlich hohe Indizenz an arterieller Hypertonie bereits bei Studienbeginn finden (insbesondere im EET-Arm) und dass ein hoher Anteil der Teilnehmerinnen bereits beim Studieneinschluss regelmässig Aspirin oder Statine einnimmt. Alle diese Beobachtungen weisen auf das Vorhandensein mehrerer kardiovaskulärer Risikofaktoren bei rund der Hälfte der Studienpopulation bereits bei Studieneinschluss hin. Diese Frauen können nicht als «gesund» bezeichnet werden, wie dies im Titel des ersten Artikels zur WHI behauptet wird [1]. Für jede Frau ist es entscheidend, ihr individuelles Risikoprofil zu kennen, wenn sie eine Hormoneinnahme in Erwägung zieht. Bei der immer notwendigen vollen Information über Nutzen und Risiken einer HET oder EET sollten aber die absoluten und nicht die relativen Risiken verwendet werden, wie dies leider meistens getan wird. Die Verwendung der Begriffe des «Relativen Risikos (RR)» oder «Hazard Ratio (HR)», wie dies auch zur Information der Medien über die Resultate der WHI getan wird, ist die Ursache der meisten Missverständnisse über die Ergebnisse der WHI und über die daraus zu ziehenden Kon- CURRICULUM sequenzen. Folgendes Beispiel mag dies illustrieren: Im ersten Artikel über den HET-Arm der WHI wurde festgehalten, dass die HR, ein kardiovaskuläres Ereignis zu erleiden, durch eine HET um 29% ansteigt. Das absolute Risiko eines kardiovaskulären Ereignisses betrug allerdings nur 0,37% im HET- und 0,30% im Plazebo-Arm, oder 37 versus 30 Ereignisse auf 10 000 Frauenjahre einen Erkrankungsüberschuss von 0,7 Ereignissen auf 1000 Frauenjahre. Somit ist das absolute Risiko, als Folge einer HET von einer schwereren Komplikation betroffen zu werden, auch bei älteren Frauen äusserst gering und bei jüngeren Frauen praktisch nicht vorhanden (siehe unten). Allerdings gilt dieselbe Bemerkung auch für die absoluten Zahlen des Nutzens einer HET/EET. So ist zum Beispiel das absolute Risiko, eine Fraktur zu erleiden, bei jüngeren Frauen in der menopausalen Übergangszeit gering. Die Fakten aus der WHI: die absoluten Risiken bei jüngeren und bei älteren Frauen Aus dem einleitend Gesagten folgt, dass wir zur Beurteilung der reellen Nutzen-Risiko-Bilanz die absoluten Risiken kennen müssen. Für die absoluten Risiken der Gesamtpopulation sei auf die Literatur verwiesen [1–6]. Allerdings ist es für die Praxis relevanter, die altersentsprechende Bilanz einer HET oder EET einschätzen zu können. Tabelle 3 p gibt daher getrennt die absolute Anzahl Ereignisse für die Altersgruppe der 50- bis 59jährigen und der 70- bis 79jährigen Frauen wieder, unterteilt in die Ereignisse unter alleiniger Östrogengabe und unter der kombinierten Östrogen-Gestagen-Behandlung. Es sei hier nochmals betont, dass in dieser Aufstellung die Wirkung auf das klimakterische Syndrom (normalerweise der Hauptnutzen einer Hormongabe) nicht miterfasst ist, weil 90% der Studienteilnehmerinnen keine klimakterischen Sym- Tabelle 3. WHI: Ereignisse per 10 000 Frauen/Jahr. 50–59 Jahre 70–79 Jahre E + P/Pl. 50–59 Jahre E + P/Pl. 50–59 Jahre E + P/Pl. 70–79 Jahre E allein/Pl. 70–79 Jahre 22/17 +5 14/24 78/55 +23 88/84 Zerebrovaskulärer Insult 14/10 +4 16/16 0 61/48 +13 71/57 +14 TVT ? 15/13 +2 ? 40/28 +12 Frakturen nur Schenkelhals 111/141 –30 1/3 –2 ? 4/1 +3 224/285 –61 33/48 –15 ? 32/52 –20 Kolonkarzinom 4/5 –1 7/12 –5 14/28 –14 32/15 +17 Mammakarzinom 31/26 +5 21/29 –8 54/41 +13 32/34 –2 KHK –10 ? = keine altersspezifischen Daten verfügbar; KHK = koronare Herzkrankheiten; TVT = thromboembolische Erkrankung; E + P = konjugierte equine Östrogene + Medroxyprogesteron-Acetat; E = konjugierte equine Östrogene als Monotherapie. +4 Schweiz Med Forum 2005;5:379–388 382 ptome aufwiesen. In Tabelle 3 sind Nutzen und Risiken als Ereignisse (nicht Todesfälle) pro 10 000 Frauen pro Jahr ausgedrückt. Hypothese: Die Resultate der WHI sind nicht direkt auf Europa übertragbar In der Studienanlage und bei den Einschlusskriterien der WHI finden sich verschiedene schwerwiegende Verfälschungen («Biases»), welche die Übertragung der Resultate auf europäische Frauen, die eine HET/EET beginnen, stark erschweren. Unsere Hypothese postuliert, dass die Studienanlage und die Patientinnenselektion der WHI typisch ist für eine Untersuchung zur sekundären kardiovaskulären Prävention bei der älteren und nicht zur primären kardiovaskulären Prävention bei der jüngeren Frau: 1. Die in der WHI untersuchte Population entspricht nicht derjenigen, welche wir in Europa bei postmenopausalen Frauen antreffen, die mit einer HET/EET neu behandelt werden, sowohl was ihr Alter als auch ihren Body-Mass-Index und auch die vorbestehenden kardiovaskulären Risikofaktoren angeht, wie dies z.B. die ungewöhnlich hohe Inzidenz einer arteriellen Hypertonie bei Studieneinschluss zeigt. 2. Die WHI wurde als Studie zur kardiovaskulären Prävention bei älteren Frauen entworfen. Die für die WHI rekrutierten Frauen wiesen mehrheitlich keine klimakterischen Symptome auf, während in der klinischen Routine eine Hormontherapie üblicherweise in der menopausalen Übergangszeit zur Behandlung klimakterischer Symptome begonnen wird. Zwischen diesen beiden Populationen könnten pathophysiologische Unterschiede bestehen. 3. In der WHI wurde im Gegensatz zur europäischen Praxis, die oft auch parenterale Präparate sowie transdermale Systeme, Gels oder intranasale Sprays einsetzt, ausschliesslich ein perorale Kombination von CEE und MPA eingesetzt. 4. Die Nutzen-Risiko-Balance, wie sie sich aus der für die WHI selektionierten Population ableiten lässt, ist daher nicht kritiklos auf Europa anwendbar. Die Resultate der WHI können auch nicht auf andere Verabreichungsformen und andere Gestagene übertragen werden. Sieben Punkte zur Stützung der obigen Hypothese Alter bei Studienbeginn Das mittlere Alter der in die WHI eingeschlossenen Frauen betrug 63,2 Jahre (HRT) und 63,6 Jahre (EET). CURRICULUM Im HET-Arm waren 33,4% der Volontärinnen zwischen 50 und 59 Jahre und 45,3% zwischen 60 und 69 Jahre alt. Schliesslich war ca. 1/5 (21,3%) bei Beginn der Hormoneinnahme zwischen 70 und 79 Jahre alt. Die Altersverteilung im EET-Arm war ähnlich [2]. Demzufolge waren ca. zwei Drittel aller Frauen beim Einschluss in die WHI in einem Alter zwischen 60 und 80 Jahren. Im Mittel ist die Population der WHI bei Beginn der Hormoneinnahme rund 12 Jahre älter als die Frauen, welche in unserer täglichen Praxis eine HET/EET aufnehmen, und nur 3 Jahre jünger als die Teilnehmerinnen am HERS-Trial, einer Studie zur kardiovaskulären Sekundärprävention. Das mittlere Alter der im HERS- [9] und ERA-Trial [8] eingeschlossenen Frauen war 67 bzw. 65 Jahre. Im Gegensatz dazu ist die Population, welche in der Schweiz in der Peri- oder unmittelbaren Postmenopause eine Behandlung mit HET oder EET beginnt, signifikant jünger: 97% aller Frauen sind bei Beginn einer HET/EET zwischen 45 und 59 Jahre alt. Somit ist keine der drei neueren RCT für diejenige Altersgruppe repräsentativ, in der bei uns in der täglichen Praxis eine Hormonbehandlung begonnen wird. Grund zur Verschreibung einer Hormontherapie In der WHI war der Hauptgrund zum Beginn einer HET/EET die kardiovaskuläre Prävention, wogegen in Europa wie auch in den meisten anderen Regionen der Welt die Hauptindikation für eine Hormonverschreibung die Behandlung klimakterischer Symptome oder einer als Folge des Östrogenabfalls verminderten Lebensqualität ist. In der WHI weisen nur ca. 10% aller Studienteilnehmerinnen klimakterische Beschwerden auf [7]. Deshalb ist die WHI auch nicht in der Lage, eine signifikante Verbesserung der Lebensqualität unter HET/EET nachzuweisen. Im Gegensatz dazu zeigte eine schwedische Beobachtungsstudie [11], welche bei symptomatischen postmenopausalen Frauen durchgeführt worden war, unter der Hormongabe eine signifikante Verbesserung der Lebensqualität. Dieser scheinbare Widerspruch zwischen den beiden Studien ist nicht die Folge der unterschiedlichen Studienanlage (Beobachtungsstudie gegen randomisierte kontrollierte Studie), sondern sie ist in der unterschiedlichen Selektion der Studienteilnehmerinnen zu suchen. Dies wurde durch eine weitere, solide durchgeführte randomisierte kontrollierte Studie illustriert, den HERS-Trial [4, 9]. Im HERS-Trial wurde nachgewiesen, dass die Besserung depressiver Symptome und der geistigen Gesundheit unter HET/EET vom Vorhandensein oder Fehlen von Wallungen vor Beginn der HET abhängt [4]: Nur Frauen mit klimakterischen Beschwerden können mit einer Besserung ihrer depressiven Verstimmung und ihrer Lebensqualität durch eine Hormongabe Schweiz Med Forum 2005;5:379–388 383 rechnen. Diese Resultate des HERS-Trials lassen vermuten, dass die in der WHI untersuchte zu 90% asymptomatische Population sich in ihrer Physiologie möglicherweise von den symptomatischen Frauen unterscheidet, welchen in der täglichen Praxis eine HET/EET verschrieben wird. Während der Rekrutierungszeit der WHI wurde in der täglichen Praxis auch in den USA eine HET/EET überwiegend wegen klimakterischer Beschwerden verschrieben [10]. In 46% war der Grund für die Verschreibung einer HET/EET das Vorhandensein klimakterischer Beschwerden, in 31% die Osteoporoseprävention und nur bei 15% die Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen. Somit ist die WHI auch nicht für die übliche Verschreibungspraxis innerhalb der USA während der 1990er Jahre repräsentativ. Andererseits stützen die WHI-Daten die Zweitindikation einer HET/EET, die Prävention von osteoporotischen Frakturen ([5]; Tab. 4 p). Tabelle 4. WHI: Prävention von Frakturen durch CEE/MPA und CEE allein [2, 5]. Hazard Ratio Nominales 95% CI CEE + MPA CEE allein 0,67 0,61 0,47–0,96 0,41–0,91 CEE + MPA CEE allein 0,65 0,62 0,46–0,92 0,41–0,93 0,71 0,59–0,85 0,76 0,70 0,69–0,83 0,63–0,79 Schenkelhals WS Vorderarm CEE + MPA Total CEE + MPA CEE allein Die WHI war entworfen worden, um eine zu diesem Zeitpunkt vielversprechend aussehende potentielle Indikation der HET zu untersuchen – die kardiovaskuläre Prävention bei der älteren Patientin – und nicht um eine Nutzen-RisikoAnalyse der Hauptindikation der HET vorzunehmen, der durch das klimakterische Syndrom hervorgerufenen Beschwerden. Die Inzidenz von kardiovaskulären Risikofaktoren Nach der Definition der WHI beträgt der BodyMass-Index für untergewichtige Frauen <18,5 kg/m2, für ein normales Gewicht 18,5–24,9 kg/m2, für Übergewicht 25–29,9 kg/m2 und für Adipositas 030 kg/m2. In der WHI betrug der mittlere Body-Mass-Index im HET-Arm 28,5 und im EET-Arm 30,1 kg/m2, was den Definitionen von Übergewicht bzw. Adipositas entspricht. Im Gegensatz dazu ist der mittlere Body-Mass-Index bei Beginn einer HET/EET in der täglichen Praxis in Europa signifikant niedriger (Tab. 5 p), was uns zeigt, dass Europäerinnen diesem wichtigen Risikofaktor weniger ausgesetzt sind. CURRICULUM Tabelle 5. Body-Mass-Index (BMI): Vergleich Schweiz*–USA (WHI, [1]). Body-Mass-Index, kg/m2 mittlerer BMI / Anteil Frauen in % Schweiz* WHI <25 (normal oder nieder) 56,2 25–29 (Übergewicht) 29,1 (A1) 030 (Adipositas) 11,4 (A2) A1 + A2 = 40,5 30,6 35,2 (B1) 34,1 (B2) B1 + B2 = 69,4 * Frauen zwischen 50 und 64 Jahren, Bundesamt für Statistik, 2003. In der WHI ist eine arterielle Hypertonie bei Behandlungsbeginn im HET-Arm bei 35,7% und im EET-Arm bei 48,0% der Teilnehmerinnen vorhanden. Auch hier ist die Inzidenz einer arteriellen Hypertonie bei Schweizerinnen zu Beginn einer HET/EET mit 13,6% signifikant niedriger. Im übrigen benützen in der WHI 26% der Frauen im HETArm und 36,8% im EET-Arm bereits bei Studienbeginn Statine oder Aspirin, was wiederum auf das Vorhandensein von kardiovaskulären Risikofaktoren bereits beim Studieneinschluss in einem hohen Prozentsatz der Teilnehmerinnen hinweist. Daten, welche bei älteren Frauen mit verschiedenen kardiovaskulären Risikofaktoren bei Behandlungsbeginn erhoben worden sind, können und dürfen nicht auf jüngere und gesündere Frauen übertragen werden, die sich von den Studienpopulationen von WHI, HERS und ERA [1–9] unterscheiden. Die WHI wurde nicht zur Untersuchung der Primärprävention von kardiovaskulären Erkrankungen entworfen Frauen beginnen eine HET/EET zur Behandlung von klimakterischen Beschwerden im allgemeinen in ihrer Peri- oder frühen Postmenopause. Im Gegensatz dazu wiesen die 2763 Teilnehmerinnen des HERS-Trials [9] mit nachgewiesener KHK ein mittleres Alter von 66,7 Jahren auf, die Studienteilnehmerinnen der WHI hatten ein mittleres Alter von 63,2 bzw. 63,6 Jahren (HETund EET-Arme). Die Ausgangscharakteristika der für die WHI rekrutierten Frauen weisen auf das Vorhandensein kardiovaskulärer Risikofaktoren bei der Mehrheit der Teilnehmerinnen Tabelle 6. Wirkung von CEE + MPA und CEE allein auf das Risiko von koronarer Herzkrankheit. Hazard Ratio vs. Plazebo 95% CI 1,29 1,02–1,63* 1,24 0,89 1,00–1,54 0,52–1,45 0,91 0,59 0,75–1,12 0,30–1,03 1. CEE + MPA (Ereignisse innert 5,2 Jahren) Erstpublikation, 2002 [1] alle Teilnehmerinnen Revidierte Daten, 2003 [6] alle Teilnehmerinnen Frauen <10 Jahre seit der Menopause 2. CEE allein (Ereignisse innert 6,8 Jahren [2]) alle Teilnehmerinnen Alter 50–59 Jahre * nominal Schweiz Med Forum 2005;5:379–388 384 bereits zu Studienbeginn hin (s. oben) und lassen uns vermuten, dass zahlreiche Frauen bereits atherosklerotische koronare Läsionen besassen, eine Veränderung, welche bei jungen Frauen, welche ihre HET/EET unmittelbar nach der Menopause beginnen, deutlich weniger wahrscheinlich ist. Es muss somit zugegeben werden, dass die WHI nicht als Studie einer Primärprävention sensu strictiori der koronaren Herzkrankheit angelegt war. Dies wird bestätigt durch die Subanalyse der WHI-Daten durch Manson et al. [6] (Tab. 6 p). Die HR (Hazard Ratio) von 0,89 bei Frauen mit einer Distanz der Menopause von weniger als 10 Jahren ist deutlich geringer als das früher publizierte erhöhte kardiovaskuläre Risiko in der WHI-Gesamtpopulation ([1]; Tab. 6). Leider ist die statistische Power der WHI 10mal zu gering, um einen kardioprotektiven Effekt bei denjenigen Frauen nachzuweisen, welche die Hormontherapie in der menopausalen Übergangszeit begonnen hatten [28, 29]. Jedoch gleicht das relative Risiko, welches in der WHI in der Untergruppe der jüngeren Frauen gefunden worden war, stark den Resultaten aus den bekannten und soliden Beobachtungsstudien, wie z.B. der Nurses’ Health Study [12–14] oder dem EPA-Trial [15]: Beide hatten bei jüngeren Frauen unter EET eine Kardioprotektion gefunden. Diese Ergebnisse beim Menschen sind vereinbar mit den experimentellen Daten beim Rhesusaffen, welche von der Arbeitsgruppe von Clarkson et al. publiziert worden sind [16, 17]. Alle diese Studien weisen auf ein kardioprotektiven Effekt bei Frauen hin, welche eine HET/EET in der Peri- und unmittelbaren Postmenopause beginnen («Opportunitätsfenster», siehe unten). Schliesslich muss noch darauf hingewiesen werden, dass bei der Gesamtpopulation der WHI der Anstieg der kardiovaskulären HR im fünften Jahr der WHI [1] viel eher die Folge eines momentanen Abfalls der Inzidenz kardiovaskulärer Ereignisse in der Plazebo-Gruppe und nicht die Konsequenz einer Zunahme der Ereignisse in der HET-Gruppe ist. Insgesamt gilt bis zum Vorliegen neuer Daten aber, dass eine HET/EET nicht allein zur kardiovaskulären Prävention verschrieben werden soll, obschon Östrogene bei jüngeren Frauen einen günstigen Effekt auf das kardiovaskuläre System haben könnten, wenn die Hormongabe früh begonnen wird («echte» Primärprävention). Zur Sekundärprävention ist eine HET/EET kontraindiziert. Die heute verfügbaren Daten lassen für die Neuroprotektion einen ähnlichen Mechanismus vermuten, wenn die HET/EET früh begonnen wird [23]. Ein ähnliches Muster kann auch für die zwei einzigen schwereren Nebenwirkungen postuliert werden, welche im Östrogen-allein-Arm der WHI beobachtet wurden [2]: Bei Frauen, welche ihre EET im Alter von 50–59 Jahren begannen, CURRICULUM trat nur eine zusätzliche thromboembolische Erkrankung und nur 0,1 zusätzlicher Fall eines Schlaganfalls auf, deutlich weniger als in den höheren Altersgruppen. Zum Risiko von Malignomen in der WHI Mammakarzinom oder Kolonkarzinom gehören zu den absoluten Risiken und zum absoluten Nutzen einer HET bei älteren Frauen (Tab. 7 p). Die Resultate der WHI zum Brustkrebs sind widersprüchlich: Im HET-Arm findet sich ein kleiner absoluter Anstieg, im EET-Arm ein Abfall des Risikos. Zudem zeigt die Unteranalyse der Daten, dass das relative Risiko eines Mammakarzinoms bei denjenigen Frauen nicht signifikant ansteigt, die vor ihrem Einschluss in die WHI nie Östrogene erhalten hatten und somit im Mittel nur 5,2 Jahre Hormone eingenommen hatten [3], und lässt im weiteren vermuten, dass das Mammakarzinom-Risiko in den jüngeren Altersgruppen niedriger ist, als es in der WHI bei den älteren Frauen beobachtet worden ist [1, 3] (Tab. 7). Interessanterweise findet sich bei Frauen unter Östrogen-Monotherapie kein Risikoanstieg für Mammakarzinome [2] (Tab. 7). Die WHI kann nicht ohne Erwähnung der Million Women Study (MWS) [24] diskutiert werden, deren Resultate in der gleichen Zeitperiode veröffentlicht wurden. Die MWS (Evidence-Level II) ist eine englische Beobachtungsstudie bei Frauen, welche an einem nationalen Mamma-ScreeningProgramm teilnahmen. Die MWS berichtete, dass alle Varianten der HET/EET eine Zunahme des Mammakarzinom-Risikos mit sich bringen, und dies vom ersten Einnahmejahr an. Das Auftreten eines signifikanten Risikos bereits im ersten Jahr suggeriert deutlich, dass der Überschuss an Mammakarzinomen auf einen Beobachtungsbias zurückgeht und dass er nicht durch die Hormongabe induziert worden war [24, 25, 29]. Diese Sicht wird von der Tatsache unterstützt, dass das Brustkrebsrisiko zwischen 1 und 5 Jahren nach Abbruch der HET/EET wieder verschwindet. Tabelle 7. Wirkung von CEE + MPA und CEE allein auf das Krebsrisiko. Hazard Ratio vs. Plazebo 95% CI 1,26 1,06 1,00–1,59* 0,81–1,38 0,63 0,43–0,92* 0,77 0,72 0,59–1,01 0,43–1,21 1,08 0,59 0,75–1,55 0,25–1,41 1. CEE + MPA (Ereignisse innert 5,2 Jahren) Invasives Mammakarzinom alle Teilnehmerinnen [1] nie HET vor WHI [3] Kolorektales Karzinom [1] 2. CEE allein (Ereignisse innert 6,8 Jahren) Invasives Mammakarzinom [2] alle Teilnehmerinnen Alter 50–59 Jahre Kolorektales Karzinom [2] alle Teilnehmerinnen Alter 50–59 Jahre * nominal Schweiz Med Forum 2005;5:379–388 385 Die Rolle des verwendeten Gestagens Natürliches Progesteron und synthetische Gestagene werden nur zum Schutz des Endometriums benötigt. Gerhard et al. haben gezeigt, dass Progesteron die endothelabhängige Vasodilatation der Arteria brachialis nicht neutralisiert, wie sie durch eine Östrogengabe bei postmenopausalen Frauen ausgelöst wird [18]. Beim Rhesusaffen verhindert Progesteron den kardioprotektiven Effekt einer Gabe von 17b-Östradiol nicht [16]. Somit hat natürliches Progesteron keine negative Wirkung auf die Arterienwand. Im Gegensatz dazu sind die experimentellen Daten für die Kombination von CEE mit MPA widersprüchlich [19–22]. Auch die WHI stützt die Hypothese, dass MPA den günstigen Effekt einer alleinigen Östrogengabe neutralisieren könnte. Im Gegensatz zur in den USA vorherrschenden Meinung sind zahlreiche europäische Kliniker nicht damit einverstanden, dass aus den mit MPA erhaltenen Resultaten der WHI ein Klasseneffekt für alle Gestagene abgeleitet werden darf. Auch die älteren Daten, welche bei Rhesusaffen erhalten wurden, unterstützen einen solchen Klasseneffekt nicht. Adams et al. haben gezeigt, dass die kombinierte Gabe von Östradiol und Progesteron [15] nicht den gleichen negativen Effekt auf die Arterienwand auslöst wie eine Kombination von CEE und MPA [20]: MPA – aber nicht Progesteron – kann je nach Versuchsanordnung den Nutzen einer Östrogenbehandlung neutralisieren. Obschon spätere Daten derselben Arbeitsgruppe die Hypothese einer ungünstigen Wirkung von MPA nicht unterstützen [21, 22], schliessen die heute vorliegenden experimentellen [15–22] und klinischen [1, 2] Daten es nicht aus, dass bestimmte Gestagene den möglichen kardiovaskulären Nutzen einer Östrogenbehandlung abschwächen könnten. In der WHI fanden sich klinisch bedeutende Unterschiede zwischen dem Einsatz von CEE allein [2] und der kombinierten Gabe von CEE und MPA [1, 3, 6]. Insbesondere führte CEE allein auch bei der älteren Frau nicht zu einem Anstieg des kardiovaskulären Risikos oder des Risikos, an einem Mammakarzinom zu erkranken [2]. Schliesslich mögen bestimmte Gestagene einen negativen Effekt auf das Zentralnervensystem ausüben, indem sie dort die günstige Östradiolwirkung antagonisieren. Sherwin [26] verglich die Wirkung auf den Depressionsscore einer CEE-Gabe (CEE = konjugierte equine Östrogene) 0,265 mg bzw. 1,25 mg/Tag, kombiniert mit einem Plazebo, mit derjenigen einer gleich hoch dosierten CEE-Gabe, kombiniert mit MPA (5 mg/Tag). Sie zeigte, dass MPA den günstigen Effekt von CEE allein auf den Depressionsscore wieder aufhebt. Verabreichungsform Perorale und parenterale Verabreichungsformen einer HET/EET können unterschiedliche günstige und ungünstige Wirkungen haben. Dies ist am besten an den verschiedenen Auswirkun- CURRICULUM gen auf das thromboembolische Risiko zu erkennen, welche durch eine perorale oder parenterale Östrogengabe ausgelöst werden. In der WHI haben sowohl eine HET [1] als eine EET [2] einen geringen absoluten Risikoanstieg des thromboembolischen Risikos bewirkt (1,8 zusätzliche Fälle per 1000 Frauenjahre). Scarabin et al. [27] verglichen in einer multizentrischen, spitalbasierten Fallkontrollstudie bei postmenopausalen Frauen die Wirkung auf das thromboembolische Risiko einer peroralen Östrogengabe mit derjenigen einer transdermalen Östrogengabe. Die korrigierte gepaarte Odds-Ratio betrug 3,9 (2,0–7,6) für die perorale und 1,0 (0,7–1,7) für die transdermale Östradiolverabreichung. Die Autoren weisen darauf hin, dass die orale, aber nicht die transdermale EET bei postmenopausalen Frauen mit einem erhöhten Risiko von venösen Thromboembolien vergesellschaftet sein könnte und dass eine transdermale EET in dieser Hinsicht sicherer sein könnte als eine perorale Östrogengabe. Es ist daher gewagt, aus der WHI zu schliessen, dass eine nichtorale HET/EET automatisch zu einem gleichen Nutzen-Risiko-Muster führt wie die orale HET/EET. Schlussfolgerung: 10 Empfehlungen für die Praxis 1. Die WHI ist eine ausgezeichnete grossangelegte prospektive randomisierte Studie für Frauen in ihrer späteren Postmenopause, welche – zumindest teilweise – bereits beim Studieneinschluss verschiedene kardiovaskuläre Risikofaktoren aufweisen. Frauen, die in Europa eine HET/EET beginnen, sind im Mittel über 10 Jahre jünger als die Teilnehmerinnen an der WHI. Sie sind weniger übergewichtig und leiden an weniger kardiovaskulären Risikofaktoren als die Frauen der WHI. Somit stimmen die Selektionskriterien der WHI nicht mit dem Profil derjenigen Frauen überein, die in der täglichen Praxis in Europa eine HET/EET erhalten. 2. Die WHI war nicht dazu entworfen worden, die Wirkung einer HET oder EET auf symptomatische peri- und unmittelbar postmenopausale Frauen zu untersuchen. Ihre Ergebnisse dürfen daher nicht auf symptomatische Frauen in ihrer menopausalen Übergangszeit übertragen werden. Noch weniger dürfen die Daten der WHI, ebensowenig wie diejenigen des HERS-Trials, auf Frauen mit einer frühen (40–50 Jahre) oder vorzeitigen (<40 Jahre) Menopause übertragen werden. 3. Werden die Charakteristika der untersuchten Population genauer betrachtet, so gleicht die WHI mehr einer Untersuchung zur kardiovaskulären Sekundär- als Primärprävention. Während die Daten für das Gesamtkollektiv des kombinierten Armes (CEE + MPA [1]) in Schweiz Med Forum 2005;5:379–388 386 Widerspruch zu den älteren Resultaten aus soliden Beobachtungsstudien bei jüngeren Frauen stehen, wie zum Beispiel der Nurses’ Health Study [12–14], zeigt der CEE-alleinArm [2] keine Zunahme des kardiovaskulären Risikos. In der Untergruppe der jüngeren Frauen (<10 Jahre seit der Menopause) findet sich auch im kombinierten CEE/MPA-Arm keine Zunahme des kardiovaskulären Risikos [6]. Allerdings war die Power der WHI 10mal zu niedrig, um bei denjenigen Frauen einen kardioprotektiven Effekt zeigen zu können, die ihre HET/EET während ihrer menopausalen Übergangszeit begannen [28]. Somit müssen wir uns für diese Altersgruppe allein auf Beobachtungsstudien stützen. Diese zeigen bei Beginn der Hormongabe in der Periund unmittelbaren Postmenopause einen kardioprotektiven Effekt («echte» Primärprävention), wobei allerdings die mögliche Beeinflussung der Resultate durch den sog. «Healthy User»-Effekt berücksichtigt werden muss. Dennoch sollte auch bei jüngeren Frauen eine HET/EET nicht allein zur primären kardiovaskulären Prävention verschrieben werden. Randomisierte prospektive Studien werden dringend dazu benötigt, um in dieser Altersgruppe den kardioprotektiven Effekt einer Östrogengabe definitiv zu beurteilen. Zur sekundären kardiovaskulären Prävention bei älteren Frauen ist eine HET kontraindiziert. 4. Aus den Daten der 50- bis 59jährigen Frauen kann abgeleitet werden, dass für die präventiven Wirkungen einer HET/EET möglicherweise ein sogenanntes «Window of Opportunity» existiert: Wird eine HET/EET während der menopausalen Übergangszeit begonnen, so wäre ein protektiver Effekt auf das HerzKreislauf-System und wahrscheinlich auch auf das Zentralnervensystem (Morbus Alzheimer) denkbar. Wird die gleiche Hormongabe später begonnen, so sind deren kardio- und zerebrovaskuläre Auswirkungen eher ungünstig. Somit scheint die metabolische Wirkung einer neu begonnenen HET/EET vom Menopausenalter abzuhängen. 5. In den USA führten die Resultate der WHE zur Schlussfolgerung, dass für die Gestagene ein Klasseneffekt existiert. Diese Schlussfolgerung ist ausserhalb der Vereinigten Staaten nicht allgemein akzeptiert, weil die verschiedenen Gestagene verschiedene Affinitäten, verschiedene Eigenschaften und verschiedene metabolische Wirkungen besitzen. Die Resultate, welche mit MPA erhalten worden sind, können nicht einfach auf andere Gestagene, wie sie ausserhalb der Vereinigten Staaten häufig eingesetzt werden, übertragen werden. Allein gestützt auf die WHI-Daten, wird die Bedeutung der Rolle und des Typus des eingesetzten Gestagens unterschätzt. Wir CURRICULUM Korrespondenz: Prof. Dr. med. Martin H. Birkhäuser Abteilung für gynäkologische Endokrinologie Universitäts-Frauenklinik Inselspital Effingerstrasse 102 CH-3010 Bern Schweiz Med Forum 2005;5:379–388 387 benötigen daher Studien, welche die metabolischen Wirkungen anderer Gestagene als MPA genauer untersuchen. 6. Die Verabreichungsform der Östrogen- und der Gestagenkomponente beeinflusst wahrscheinlich die Nutzen-Risiko-Balance. Deshalb hat eine transdermale Gabe von HET/EET andere metabolische Folgen als eine perorale Gabe der gleichen Steroide [27]. Wir benötigen daher Studien, welche die perorale und die parenterale Gabe (transdermale Systeme, Gels, Nasalsprays) von 17b-Östradiol genauer vergleichen. 7. Die Daten der WHI erlauben es nicht, irgendwelche obligatorischen Beschränkungen zur Therapiedauer aufzuerlegen. Es gibt keinen Grund, willkürlich eine HET/EET bei Frauen zu stoppen, welche ihre Hormoneinnahme in der Peri- und frühen Postmenopause begonnen haben und sich darunter wohl fühlen [1–9, 29]. Da der Anstieg von kardiovaskulären Erkrankungen bei vorzeitiger und früher Menopause nachgewiesen ist [12–14] und da nach einer Beendigung der HET/EET ein Verlust der Kardioprotektion eintritt [30], kann ein solcher brüsker Therapieabbruch sogar ungünstig sein. Hingegen gilt es, regelmässig zu überprüfen, ob noch eine Indikation zur Weiterführung der HET/EET vorhanden ist. 8. Es ist entscheidend, die Dosis und die Verabreichungsform individualisiert einzusetzen. Ältere Frauen benötigen meist niedrigere Dosierungen als jüngere. Die angemessene Dosis muss für die Behandlung jedes klimakterischen Symptoms und für die präventive Wirkung auf jedes Organ individuell festgelegt werden. Es ist die niedrigste wirksame Dosis anzustreben. 9. Die WHI ist eine Studie unter anderen. Sie muss zu ihrem effektiven Wert genommen und darf nicht zu einem Mythos hochstilisiert werden. 10.Deshalb dürfen die Schlussfolgerungen der WHI nicht unkritisch auf Frauen aus anderen Regionen und Ländern übertragen werden, welche in einem andern Umfeld leben, eine HET/EET für andere Indikationen einnehmen, in einem andern Lebensalter mit der Hormoneinnahme beginnen und andere Östrogene und Gestagene benützen. Literatur 11 Wiklund I, Karlberg J, Mattsson LA. Quality of life of postmenopausal women on a regimen of transdermal estradiol therapy: a double-blind placebo-controlled study. Am J Obstet Gynecol 1993;168:824–30. 12 Grodstein F, Manson JE, Colditz Gam Willett WC, Speizer FE, Stampfer MJ. 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