Klinische Pathophysiologie - ReadingSample - beck

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Klinische Pathophysiologie
Bearbeitet von
Walter Siegenthaler, Hubert Erich Blum, Beatrice Amann-Vesti, Christian Arnold, Robert Bals, Felix
Beuschlein, Michael Böhm, Ulrich Büttner, Rainer Düsing, Fikret Er, Michael Fromm, Steffen Gay, Michael
Geißler, Roland Gärtner, Michael Hallek, Sigrid Harendza, Ulrich Hoffmann, Reinhard Hohlfeld, Dieter
Häussinger, Lothar Kanz, Stefan Kaufmann, Michael Kindermann, Jürgen Kohlhase, Karl-Anton Kreuzer,
Ulrich Laufs, Andreas Link, Michael Ludwig, Christoph Maack, Stephan Martin, Darius Moradpour, Ulf
Müller-Ladner, Peter P. Nawroth, Christoph Neumann-Haefelin, Wolfgang H. Oertel, Oliver G. Opitz, Rolf
Ostendorf, Ulf Panzer, Eberhard Passarge, Hans-Hartmut Peter, Werner J. Pichler, Martin Reincke,
Werner O. Richter, Felix Rosenow, Tom Schaberg, Bruno Scheller-Clever, Karsten Schepelmann, Werner
A. Scherbaum, Andre Schneider, Jochen Schopohl, Henning Schwacha, Abdul Nasser Semmo, Konstanze
Spieth, Rolf A.K. Stahl, Peter Staib, Eggert Stockfleth, Christian Strasburger, Federico Tató, Rudolf Tauber,
Friedrich Thaiss, Robert Thimme, Claus Franz Vogelmeier, Katja C. Weisel, Ulrich Wenzel, Walter Zidek,
Reinhard Ziegler, Michael Zimmermann, Marek Zygmunt, Arnold von Eckardstein
überarbeitet 2006. Buch. 1232 S. Hardcover
ISBN 978 3 13 449609 3
Format (B x L): 19,5 x 27 cm
Weitere Fachgebiete > Medizin > Sonstige Medizinische Fachgebiete > Pathologie,
Cytopathologie, Histopathologie
Zu Inhaltsverzeichnis
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30
Dünndarm
R. Thimme, C. Neumann-Haefelin und H. E. Blum
Frühere Bearbeitung: J. D. Schulzke und E. O. Rieckert
30.1
Physiologische Grundlagen ... 817
30.2
Allgemeine und spezielle
Pathophysiologie ... 821
Anatomie und Histologie ... 817
Motilität und Sekretion ... 817
Störungen der
Dünndarmfunktion ... 821
Definitionen ... 821
Klinische Auswirkungen der gestörten
Dünndarmfunktion (Leitsymptome) ... 821
Motilität ... 817
Sekretion ... 818
Transport, Transportproteine und
Transportmechanismen ... 818
Aktiver und passiver Transport ... 818
Verdauung und Absorption
ausgewählter Nährstoffe ... 818
Neuroendokrine Stimulation des
Dünndarms ... 819
Intestinale Schutzmechanismen und
Immunsystem ... 820
Erkrankungen des Dünndarms ... 822
Enzym- und Transportdefekte ... 822
Einheimische Sprue (glutensensitive
Enteropathie) ... 823
Tropische Sprue ... 824
Autoimmunenteropathie ... 825
Morbus Whipple ... 825
Eosinophile Gastroenteritis ... 825
Morbus Crohn ... 826
Infektiöse und toxische Enteritiden ... 826
Bakterielle Überwucherung des Dünndarms ... 826
Kurzdarmsyndrom ... 827
Vaskulopathien ... 827
Exsudative Enteropathie (enterales oder intestinales
Eiweißverlustsyndrom) ... 827
Auswirkungen endokriner Erkrankungen auf den
Dünndarm ... 828
Neuroendokrine Tumoren ... 828
Dünndarmtumoren ... 829
Immunopathien ... 829
Pneumatosis cystoides intestinalis ... 830
Siegenthaler, Blum, Klinische Pathophysiologie (ISBN 3134496097), 䊚 2006 Georg Thieme Verlag KG
30.1 Physiologische Grundlagen
30.1
Physiologische Grundlagen
Die wichtigste Funktion des Dünndarms ist die Aufnahme der Nahrungsstoffe (Resorption). Die Resorption setzt die Zerlegung in resorptionsfähige Moleküle voraus (Digestion).
Anatomie und Histologie
Der Dünndarm gliedert sich in 3 Abschnitte:
➤ Duodenum,
➤ Jejunum und
➤ Ileum.
Durch ein dreidimensionales Bauprinzip wird die innere Oberfläche des Dünndarms um etwa das 600fache
vergrößert, wobei insbesondere die Querfalten, die
Zotten und der Bürstensaum eine entscheidende Rolle
spielen (Abb. 30.1).
Resorptionsepithel. Resorption und Sekretion sind Leistungen des hochprismatischen Resorptionsepithels, das
verschiedene Charakteristika aufweist. Die luminale
Zelloberfläche ist zu einem Bürstensaum von Mikrovilli
aufgefaltet, denen eine von den Enterozyten selbst gebildete Glykoproteinschicht aufgelagert ist, die zahlreiche
Enzyme und Transportproteine enthält. Die lateralen
Membranen benachbarter Zellen, die den Interzellularspalt bilden, sind durch verschiedene Zellverbindungen
miteinander verknüpft: Tight Junction, Desmosom und
Konnexon.
➤ Tight Junctions sind charakteristisch für Epithelien
und bilden eine Barriere zwischen den Epithelzellen, können aber auch einen parazellulären Transport vermitteln. Tight Junctions bestehen aus 3 Proteinfamilien: Occludin, Claudien und Junctional Adhesion Molecules (JAM).
➤ Das Desmosom ist gürtelförmig aufgebaut, dient
dem Zusammenhalt der Epithelzellen und bildet zusammen mit der Tight Junction den Schlussleistenkomplex.
➤ Das Konnexon bildet aus sog. Konnexionen Kanäle
von Zelle zu Zelle.
Transepithelialer Transport. Dieser kann auf 2 Wegen erfolgen:
➤ Der transzelluläre Weg führt durch die apikale und
basolaterale Membran der Epithelzelle.
➤ Der parazelluläre Weg führt durch die Tight Junctions und somit die gesamte Länge des Interzellularspalts.
Motilität und Sekretion (19, 22)
Motilität
Die wichtigsten Aufgaben der Dünndarmmotilität
sind die Durchmischung des Speisebreis (Chymus)
mit den Verdauungssekreten und der Weitertransport des Darminhalts sowie die Absorptionsförderung.
Regulation. Die Dünndarmmotilität wird durch myogene, neurale und hormonelle Kontrollmechanismen reguliert. Primär werden die Durchmischungsbewegungen
durch einen myogenen Rhythmus gesteuert, dem langsame Wellen (slow waves) zugrunde liegen. Der Schrittmacher der langsamen Wellen hat im Duodenum eine
intrinsische Frequenz von ca. 12/min, die bis zum Ileum
auf 8/min abnimmt, sodass durch dieses Frequenzgefälle
eine langsame Verschiebung des Darminhalts gewährleistet wird. Die gastrointestinale Motilität hat nach
Nahrungsaufnahme und im Nüchternzustand unterschiedliche Motilitätsmuster.
Abb. 30.1 Dreidimensionaler Aufbau des Dünndarms mit Querfalten (a), Zotten (b) und Bürstensaum (c).
Postprandiales Motilitätsmuster. Postprandial, in der digestiven Phase, setzen phasische Bewegungsmuster ein,
die zum einen durch eine propulsive Peristaltik zum
Transport der Nahrung, zum anderen durch eine nichtpropulsive Peristaltik zur Durchmischung des Speisebreis mit Verdauungssäften führen. Die nichtpropulsive
Peristaltik beruht auf ringförmigen Kontraktionen. Die
Durchmischung wird weiterhin durch Segmentationen
(lokale Kontraktionen der Ringmuskulatur), Pendelbewegungen (rhythmische Kontraktionen der Längsmuskulatur) und Zottenbewegungen erreicht. Die Peristaltik
wird durch komplexe lokale Reflexe ausgelöst, die über
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Dünndarm
das enterische Nervensystem gesteuert werden. Übergeordnet kann auch das ZNS über den N. vagus und parasympathische Nervengeflechte sowie über sympathische Fasern des Plexus thoracolumbalis die Motilität beeinflussen.
Wandernder myoelektrischer Motorenkomplex. In der interdigestiven Phase bestimmt der wandernde myoelektrische Motorenkomplex die Magen- und Dünndarmmotilität. Er beginnt im Antrum des Magens und ist
durch eine propulsive Peristaltik gekennzeichnet. Durch
diese Bewegungen werden u. a. Nahrungsreste und Bakterienreste nach aboral transportiert. Der wandernde
myoelektrische Motorenkomplex wird deshalb auch als
„Housekeeper“ bezeichnet. Die Zyklen wiederholen sich
in Abständen von 90 – 120 min, bis wieder eine Nahrungsaufnahme erfolgt. Der myoelektrische Motorenkomplex wird wahrscheinlich primär durch parasympathische Efferenzen gesteuert, obwohl er durch das enterische Nervensystem oder durch gastrointestinale Hormone oder Peptide (z. B. Motilin, VIP, Substanz P etc.)
modifiziert werden kann.
Motilitätsstörungen. Motilitätsstörungen im Dünndarm
können selten primäre oder sekundäre Störungen sein,
z. B. bei neurologischen, endokrinologischen (u. a. Diabetes) oder Muskel- und Kollagenerkrankungen. Die
Symptome sind meist sehr unspezifisch und reichen von
einer bakteriellen Fehlbesiedlung des Dünndarms mit
nachfolgender Diarrhö bis zur intestinalen Pseudoobstruktion.
Sekretion
Die Dünndarmmukosa produziert täglich 2,5 – 3 l eines
bicarbonat- und muzinreichen Sekrets. Die Muzine
werden von den Becherzellen der Zotten und der Lieberkühn-Krypten produziert und überziehen das Epithel gelartig („unstirred layer“). Die Muzine schützen
das Darmepithel u. a. vor Proteasen und Säure. Die
Hauptzellen der Dünndarmkrypten sezernieren eine
plasmaisotone NaCl-Lösung, die Brunner-Drüsen ein
muzin- und bicarbonatreiches alkalisches Sekret. Somit enthält das Dünndarmsekret praktisch keine Enzyme. Die Sekretion wird durch lokale Reflexe über Efferenzen des enterischen Nervensystems zu den Drüsenzellen aktiviert. An der Sekretionssteuerung sind gastrointestinale Hormone (z. B. Sekretin, Gastrin), Neurotransmitter (z. B. VIP, Substanz P, Neurotensin) und das
vegetative Nervensystem beteiligt.
Transport, Transportproteine
und Transportmechanismen (7)
Die Zellmembranen und Epithelien gewährleisten
durch ihre Barrierefunktion sowie durch den Transport von Soluten und Wasser ein konstantes Milieu.
Dem Transport dienen 2 unterschiedliche integrale
Membranproteine: Kanäle und Carrier.
Kanäle. Kanäle regulieren das Zellmembranpotenzial erregbarer Zellen (Ionenkanäle) und dienen dem Transport. Sie interagieren nur wenig mit den transportierten
Teilchen und können ihre Permeabilität sprunghaft ändern („gating“). Kanäle kommen an der Zellmembran in
geringerer Anzahl vor als Carrier.
Carrier. Carrier transportieren entweder nur eine Teilchensorte (Uniporter) oder in Flusskoppelung mehrere
Teilchensorten gemeinsam. Dabei ist der Kotransport als
Symport (in die gleiche Richtung) oder Antiport möglich. Als Pumpen werden Carrier bezeichnet, die ATP als
Energiespender für den Transport nutzen, wie z. B. die
Na+-K+-ATPase.
Aktiver und passiver Transport
Sowohl der aktive als auch der passive Transport benötigen Energie, die entweder durch ATP-Hydrolyse oder
durch physikalische Gradienten geliefert wird. Während der passive Transport durch den elektrochemischen Gradienten getrieben wird und somit stets mit
dem Gradienten verläuft, kann der aktive Transport
auch gegen Konzentrations- und Spannungsgradienten
erfolgen.
Passiver Transport. Er erfolgt über:
➤ Diffusion (z. B. parazelluläre Ionenresorption),
➤ erleichterte Diffusion (z. B. D-Fructose über einen
Uniporter),
➤ Osmose (Diffusion von Wasser), ggf. mit Teilchenmitführung (Solvent Drag).
Aktiver Transport. Beim aktiven Transport unterscheidet
man:
➤ primär aktiver Transport: durch Stoffwechselenergie
(z. B. ATP) angetriebener Transport,
➤ sekundär aktiver Transport: Der Antrieb für den
Transport erfolgt durch einen primär aktiven Gradienten, wobei die als Antrieb dienende intrazelluläre Na+-Konzentration von der primär aktiven N+K+-ATPase erzeugt wird. Symporter und Antiporter
weisen eine Flusskoppelung auf, d. h. sie transportieren z. B. Na+ und Glucose für den Na+-GlucoseCarrier ausschließlich gemeinsam.
Verdauung und Absorption
ausgewählter Nährstoffe (19, 22)
Kohlenhydrate. Kohlenhydrate können nur in Form von
Monosacchariden absorbiert werden. Die Hydrolyse von
Kohlenhydraten erfolgt durch in der Bürstensaummembran lokalisierte Oligosaccharidasen, die Kohlenhydrate
in Glucose, Galactose und Fructose spalten. Glucose und
Galactose werden sekundär aktiv im Symport mit Natrium absorbiert und gelangen an der basolateralen
Membran über eine erleichterte Diffusion über einen
Glucosetransporter in das Interstitium. Die Absorption
von Fructose erfolgt transepithelial durch Glucosetrans-
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30.1 Physiologische Grundlagen
porter. Sie erfolgt schnell und ist bereits im oberen
Dünndarm weitestgehend abgeschlossen.
Proteine. Proteine werden durch Endo- und Exopeptidasen sowie Amino- und Oligopeptidasen hydrolytisch gespalten. Die Absorption der Di- und Tripeptide erfolgt
durch einen H+-Oligopeptid-Symport. In den Enterozyten werden die Di- und Tripeptide durch zytoplasmatische Aminopeptidasen zu L-Aminosäuren hydrolysiert
und durch erleichterte Diffusion und Aminosäuren-Antiporter über die basolaterale Membran in das Interstitium abgegeben. Die Absorption der Aminosäuren erfolgt
natriumabhängig über verschiedene Transportproteine.
Fette. Fette werden im Dünndarm emulgiert und durch
Pankreaslipasen intraluminal hydrolytisch gespalten. Da
die Produkte der Lipolyse überwiegend schlecht wasserlöslich sind, werden sie zum weiteren Transport im
wässrigen Milieu des Darminhalts gemeinsam mit den
fettlöslichen Vitaminen A, D, E und K in Mizellen eingebaut, deren Grundgerüst aus Gallensäuren besteht. Die
Mizellen werden durch die Lipidphase der Bürstensaummembran aufgenommen, zu Triglyceriden und
Phospholipiden resynthetisiert und in Chylomikronen
verpackt in die Darmlymphe abgegeben. Kurz- und mittelkettige Fettsäuren diffundieren in die Enterozyten
und von dort direkt ins Blut. Die im Lumen verbleibenden Gallensäuren werden im distalen Ileum im Symport
mit Na+ aktiv zurückgewonnen und dem enterohepatischen Kreislauf zugeführt.
Resorptionsorte. Die Resorptionsorte entlang des Dünndarms sind in Abb. 30.2 a dargestellt. Von pathophysiologischer Bedeutung ist, dass Gallensäuren und Vitamin
B12 ausschließlich im Ileum resorbiert werden. Gallensäuren rezirkulieren im enterohepatischen Kreislauf 2bis 15-mal täglich, wobei 250 – 500 mg ausgeschieden
und neu synthetisiert werden (Abb. 30.2 b).
Neuroendokrine Stimulation
des Dünndarms (13, 22)
Der Dünndarm verfügt in den basalen Abschnitten
der Darmschleimhaut über zahlreiche neuroendokrine Epithelzellen sowie das in Nervenplexus organisierte enterale Nervensystem (ENS). Beide setzen regulatorische Peptide frei.
Neuroendokrine Systeme. Neuroendokrine Systeme beeinflussen direkt oder indirekt die Transportfunktionen
(Sekretion und Resorption), die Motilität, das Zellwachstum und die Apoptose. Die neuroendokrinen Systeme
können durch zentralnervöse und hormonale Einflüsse
sowie durch chemische (Nahrung, Säure) und mechanische Faktoren (Dehnungsreize) aktiviert werden.
Synthese und Wirkung. Enteroendokrine Hormone werden in Form größerer Polypeptidvorstufen synthetisiert
und anschließend posttranslationell modifiziert, wobei
Teile der Kette enzymatisch abgespalten werden können. Die Folge hiervon ist die Bildung einzelner oder
mehrerer regulatorischer Peptide mit definierter biologischer Aktivität sowie multiplen molekularen Formen
(z. B. Gastrin, Cholezystokinin, Somatostatin). Mit molekularbiologischen Methoden ist es gelungen, die Existenz unbekannter regulatorischer Peptide mit eigenständiger biologischer Wirkung nachzuweisen, wie z. B.
Calcitonin Gene related Peptide (CGRP), Glucagon-like
Peptide 1 (GLP-1 = Inkretin) und GLP-2. Die Wirkungen
neuroendokriner Hormone sind in Tab. 30.1 aufgeführt.
Hinsichtlich ihrer Bedeutung für gastrointestinale Erkrankungen sind unsere Kenntnisse weitestgehend auf
Hormon sezernierende Tumoren beschränkt.
Abb. 30.2 Epithelialer Transport.
a Resorption des Dünndarms.
b Enterohepatischer Kreislauf der
Gallensäuren.
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30
Dünndarm
Tabelle 30.1
Neuroregulatorische Peptide/Mediatoren und Neurotransmitter
Mediator
Hauptvorkommen
Wirkung
Haupteffekt
Bombesin/Gastrin releasing
Peptide (GRP)
Magen, Darm
N
Freisetzung regulatorischer Peptide 앖, Darmmuskelkontraktion 앖
Calcitonin Gene related
Peptide (CGRP)
Magen, Darm,
Pankreas
N
Magensäure 앗, Pepsin 앗, Freisetzung regulatorischer
Peptide 앗
Cholezystokinin
Duodenum, Jejunum E
Pankreasenzyme 앖, Gallenblasenkontraktion 앖
Enkephalin
Ösophagus, Darm
Magensäure 앗, Darmmuskelkontraktion 앖, WasserElektrolyt-Sekretion 앗
Enteroglucagon
Ileum, Kolon
E
Magensäure 앗
Gastrin
Antrum, Duodenum
E
Magensäure 앖, trophischer Faktor
Gastric inhibitory Peptide
(GIP)
Duodenum, Jejunum E
Magensäure 앗, Insulin 앖
Motilin
Duodenum, Dünndarm
E
Magen-Darm-Motilität 앖
Neurotensin
Ileum
E
Magensäure 앗, Vasodilatation 앖, Wasser-ElektrolytSekretion 앖
Polypeptid YY (PYY)
Ileum, Kolon
E
Magensäure 앖, Pepsin 앗
Sekretin
Duodenum, Jejunum E
Pankreasbikarbonat 앖
Somatostatin
Magen, Darm,
Pankreas
P/N
Freisetzung und Wirkung regulatorischer Peptide 앗,
Magensäure 앗, Pankreassekretion 앗
Substanz P
Duodenum, Kolon
N/E
Darmmuskelkontraktion 앖, Wasser-Elektrolyt-Sekretion
앖, Vasodilatation
Vasoactive intestinal Polypeptide (VIP)
Magen, Darm,
Pankreas
N
Wasser-Elektrolyt-Sekretion 앖, Vasodilatation, Darmmuskelkontraktion 앗
Acetylcholin (Ach)
Magen, Darm,
Pankreas
N
Wasser-Elektrolyt-Sekretion 앖, Magen-Darm-Motilität 앖
Atrial natriuretic Peptide
(ANP)
Dünndarm, Kolon
N/P
Wasser-Elektrolyt-Sekretion 앖, Vasodilatation
N
Serotonin (5-HT)
Dünndarm, Kolon
P/N
Wasser-Elektrolyt-Sekretion 앖
Pituitary Adenylate Cyclase
activating Peptide (PACAP)
Darm
N
Wasser-Elektrolyt-Sekretion 앖
Prostaglandin E2 (PGE2)
Magen, Darm
P
Wasser-Elektrolyt-Sekretion 앖, Vasodilatation 앖,
Mukussekretion 앖
N = Neurotransmitter, P = parakrin, E = endokrin
Intestinale Schutzmechanismen
und Immunsystem (21)
Die Darmmukosa bildet die größte Grenzfläche zwischen dem Organismus und der Außenwelt und
kommt somit ständig mit Fremd- und Schadstoffen
in Kontakt. Neben unspezifischen Schutzmechanismen, wie z. B. dem Muzinschutzfilm, Makrophagen,
der Abtötung von Bakterien durch die Salzsäure des
Magens etc., verfügt der Dünndarm über ein eigenes
Immunsystem. Dieses Immunsystem wird auch als
„GALT“ bezeichnet: Gut-associated lymphoid Tissue.
Es umfasst 20 – 25% der Darmschleimhaut und enthält ca. 50% aller lymphatischen Zellen. Zu dem
GALT gehören Lymphfollikel der Mukosa und die
Peyer-Plaques sowie Lymphozyten, Plasmazellen
und Makrophagen.
Peyer-Plaques und Lymphfollikel. Antigene werden von
spezialisierten Oberflächenzellen, sog. Microfold-Zellen
(M-Zellen), aufgenommen und von diesen mit Antigen
präsentierenden Zellen wie Makrophagen und dendritischen Zellen in Kontakt gebracht (Abb. 30.3). Diese präsentieren in den Peyer-Plaques und Lymphfollikeln die
Antigene Lymphozyten, die somit aktiviert werden.
Nach der Aktivierung wandern die stimulierten Zellen in
die mesenterialen Lymphknoten aus, wo sie sich vermehren und über den Ductus thoracicus und den Blutweg zurück in die Mukosa gelangen (sog. „homing“), um
ihre verschiedenen Effektorfunktionen auszuüben.
B-Zell-Immunität. B-Zellen sind Vorläuferzellen der Plasmazellen, die für die Antikörperbildung verantwortlich
sind und gleichzeitig an der Oberfläche membrangebundene Immunglobuline als Erkennungsstrukturen (Rezeptoren) exprimieren. IgM tragende B-Lymphozyten
reifen mit Unterstützung von T-Helferzellen (CD4 +-T-
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30.2 Allgemeine und spezielle Pathophysiologie
Plasmazellen in der Lamina propria heran. Mukosaständige Plasmazellen produzieren überwiegend dimeres
IgA, das aus 2 monomeren IgA-Molekülen besteht, die
über ein Glykoprotein miteinander verbunden sind. Das
IgA-Dimer bindet an eine sog. Sekretionskomponente in
der basolateralen Membran der Enterozyten und wird
dann durch Transzytose zur luminalen Seite der Enterozyten transportiert und ins Darmlumen sezerniert. Sezerniertes IgA verhindert aufgrund seiner neutralisierenden Wirkung das Eindringen von Antigenen in die
Mukosa. T-Zellen in den Peyer-Plaques und Lymphfollikeln können antigenspezifisch IgM-B-Zellen zu IgA-BZellen transfomieren („switching“) und so die IgA-Synthese verstärken.
Abb. 30.3 Darmassoziiertes lymphatisches Gewebe. Antigene
treten über die epithelialen M-Zellen in den lymphatischen Follikel
ein, der überwiegend aus B-Zellen besteht und in den Randbereichen auch T-Zellen aufweist.
Lymphozyten) bzw. mithilfe von durch T-Helferzellen
produzierten Zytokinen (wie z. B. IL-4) zu IgA bildenden
30.2
T-Zell-Immunität. T-Zellen können vereinfacht in CD4 +Helferzellen und CD8 +-zytotoxische T-Zellen eingeteilt
werden. Weiterhin tragen auch natürliche Killerzellen
zu der Immunantwort im Dünndarm bei. Verschiedene
Suppressorzellen (z. B. CD4 +CD25 +-Zellen) sind für die
orale Immuntoleranz verantwortlich, die bewirkt, dass
nicht jedes Antigen in der Nahrung eine Immunantwort
oder Überempfindlichkeitsreaktion auslöst.
Allgemeine und spezielle Pathophysiologie
Störungen der
Dünndarmfunktion
Klinische Auswirkungen der gestörten
Dünndarmfunktion (Leitsymptome) (13)
Gestörte Dünndarmfunktionen können sich klinisch
vielfältig äußern und zu direkten, den Dünndarm betreffenden, und indirekten Symptomen führen.
Definitionen
Störungen der Dünndarmfunktion können mit oder
ohne morphologische Veränderungen der Darmwand
einhergehen. Pathophysiologisch wirken Störungen
der Verdauung (Maldigestion) und Resorption (Malabsorption) zusammen. Das resultierende klinische Bild
ist das Malassimilationssyndrom.
Maldigestion. Unter Maldigestion versteht man eine Störung der Verdauungsfunktion als Folge einer
Krankheit oder Anomalie, bei der durch angeborene
oder erworbene Krankheit die Aktivität pankreatischer Verdauungsenzyme, die Gallensäurekonzentration oder die Aktivitäten digestiver Dünndarmmukosaenzyme erniedrigt sind oder fehlen.
Malabsorption. Unter Malabsorption versteht man
eine Störung der Resorption von Nahrungsprodukten, die durch eine Störung der Membrantransportvorgänge in der Dünndarmschleimhaut ohne morphologische Veränderungen (primäre Malabsorption), durch eine Verminderung des Resorptionsepithels bei morphologischen Veränderungen (sekundäre Malabsorption) oder durch eine Abflussbehinderung bedingt ist.
Direkte Symptome
Diarrhö. Eine Diarrhö (Durchfall) ist definiert
als mehr als 3 dünnflüssige Stühle pro Tag.
➤ Eine osmotische Diarrhö tritt auf, wenn schlecht resorbierbare Substanzen im Dünndarm osmotisch aktiv sind und zu einem Flüssigkeitseinstrom in das Lumen führen. Sie kann auch auftreten, wenn bei gestörter intestinaler Funktion normale Nahrung nicht
aufgenommen werden kann. Osmotische Diarrhöen
sistieren nach Unterbrechung der oralen Zufuhr.
➤ Sekretorische Diarrhöen sind durch das Fortbestehen
wässriger Durchfälle nach Sistieren der Nahrungsaufnahme und durch hohe Elektrolyt- und Wasserverluste charakterisiert. Die sekretorische Diarrhö wird
u. a. durch bakterielle Gifte (Toxine von Choleravibrionen, Salmonellen und Clostridien) ausgelöst, die
über eine Aktivierung von Cl-Kanälen die Chloridsekretion steigern. Weiterhin können VIP oder Serotonin produzierende Tumoren zu einer gesteigerten
Sekretion führen.
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Dünndarm
➤ Eine motilitätsbedingte Diarrhö kann z. B. beim irritablen Darmsyndrom und beim Postvagotomiesyndrom auftreten.
➤ Eine Leckflussdiarrhö beruht auf einem passiven Verlust von Teilchen und Wasser aufgrund einer epithelialen Barrierestörung des Darms (z. B. bei chronisch
entzündlichen Darmerkrankungen). Sie sistiert nach
Nahrungsaufnahme.
Es können auch mehrere Mechanismen an einer Diarrhö
beteiligt sein, wie z. B. bei der HIV-Enteropathie mit malabsorptiven, sekretorischen und Leckflussmechanismen.
Steatorrhö. Eine Steatorrhö ist definiert als eine Stuhlfettausscheidung ⬎ 7 g/d. Ursächlich können alle an der
Lipidassimilation beteiligten Strukturen gestört sein,
wie z. B. Pankreas (Lipasemangel), Galle (Störung der
mizellären Phase), terminales Ileum (gestörte Gallensäurerückresorption) und Dünndarmkapazität (Kurzdarmsyndrom). In der Regel besteht auch eine Malabsorption der fettlöslichen Vitamine A, D, E und K.
Ileus. Beim Ileus kann der Darminhalt nicht weiter transportiert werden, es resultiert ein Stuhl- und Windverhalt. Ein Ileus kann zum einen durch eine mechanische
Behinderung (z. B. Verlegungen des Darmlumens bei
Tumoren, Einstülpungen oder Verdrehungen des
Darms, narbige Verwachsungen) bedingt sein (mechanischer Ileus). Zum anderen kann er durch Motilitätsstörungen (z. B. nach Bauchoperationen, bei einer akuten
Pankreatitis oder Peritonitis) ausgelöst werden (funktioneller Ileus).
Abdominalschmerz. Leibschmerzen sind ein vieldeutiges Symptom und haben häufig extraintestinale Ursachen. Klinisch sind sie seltener bei Erkrankungen des
Dünndarms als des Dickdarms. Der viszerale Schmerz
nimmt seinen Ausgang von den Nn. splanchnici in der
Darmwand, die auf Dehnung und Wandspannung ansprechen. Er ist bohrend, brennend im Charakter und
nicht präzise lokalisierbar. Demgegenüber ist der somatische Schmerz lokalisierbar. Er wird durch Gewebeläsionen ausgelöst. Viszerale und somatische Schmerzen
treten bei zahlreichen Störungen gleichzeitig auf. Dünndarmbedingte Schmerzen stehen häufig in zeitlichem
Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme und müssen v. a. von solchen des Magens, des Pankreas und der
Gallenwege abgegrenzt werden.
Blähungen und Völlegefühl. Blähungen und Völlegefühl sind Missempfindungen, die meist in Beziehung zu
Tonus und Motilitätsstörungen des Darms stehen und
vom Patienten als krankhafte Gasansammlung im Leib
empfunden werden. Es ist gemessen worden, dass auch
hier nur jeweils 200 ml Gas im Darm vorhanden sind,
dass aber ein verzögerter Gastransport durch den Darm
besteht und der Gasrückstrom in den Magen erhöht ist.
Zahlreiche Nahrungsmittel tragen zu vermehrter Gasbildung bei (Zwiebeln, Hülsenfrüchte). Auch Malabsorption und Maldigestion führen infolge bakterieller Fermentation zu vermehrter Gasbildung.
Blut und Schleim im Stuhl. Gesunde Menschen verlieren bis zu 4 ml Blut pro Tag über den Darm aus diskreten
Läsionen. Bis zu mehreren Dezilitern Blut können makroskopisch inapparent bleiben (okkulte Blutung). Massive Blutentleerungen aus dem Dünndarm sind selten.
Die normale Kotsäule ist von einem in der Regel unsichtbaren Mukusfilm überzogen. Gesteigerte Schleimsekretion aus dem Dünndarm tritt v. a. im Rahmen von Entzündungen auf und ist als aktive Leistung des Epithels
intrazellulär z. B. durch cAMP als Second Messenger vermittelt.
Indirekte Symptome
Leitsymptome globaler Malabsorption sind
Gewichtsverlust, Anämie, Ödembildung sowie Knochenschmerz und Tetanie.
Anämie. Bei der Anämie spielen je nach Krankheitsprozess und Lokalisation Eisen-, Folsäure- und/oder Vitamin-B12-Resorptionsstörungen eine Rolle, hinzu kommen bei entzündlichen Veränderungen Blut- und Eiweißverluste.
Enteraler Eiweißverlust. Der Eiweißverlust kann zur
Ödembildung führen, wenn die kompensatorisch gesteigerte Albuminsynthese (auf das 2- bis 3fache) den
Verlust nicht mehr ausgleicht und das Serumalbumin
auf Werte unter 30 g/l absinkt.
Osteopathie und Tetanie. Vitamin-D-Resorptionsstörungen, Calciumverluste im Zusammenhang mit der
enteralen Eiweißausscheidung und Calciumaufnahmestörungen z. B. infolge Steatorrhö führen zur enteralen
Osteopathie. Das Absinken des ionisierten Calciums
kann zu Missempfindungen (Ameisenlaufen) und tetanischen Krämpfen führen.
Erkrankungen des Dünndarms
Enzym- und Transportdefekte (12)
Es sind verschiedene seltene hereditäre Defekte von
Verdauungsenzymen sowie Transportproteinen im Resorptionsepithel des Dünndarms bekannt. Einige dieser Defekte führen zu schweren neuropsychiatrischen
Entwicklungs- sowie Gedeihstörungen (Tab. 30.2).
Häufig, jedoch weniger schwerwiegend, ist eine
Lactoseintoleranz aufgrund eines Lactasemangels.
Lactoseintoleranz. Eine primäre Lactoseintoleranz entwickelt sich bei ca. 10% der Erwachsenen in Europa, jedoch bei bis zu 90% der schwarzen Bevölkerung in den
USA, der Afrikaner und Asiaten. Genetische Faktoren
spielen ebenso eine Rolle wie eine niedrige Milchzufuhr,
die die Lactaseexpression im Dünndarmepithel supprimiert, sodass sich allmählich ein Lactasemangel einstellt. Ein sekundärer Lactasemangel findet sich häufig
bei der einheimischen Sprue, bei gastrointestinalen Infektionen (meist reversibel) und bei zahlreichen anderen gastrointestinalen Erkrankungen. Physiologischerweise wird das Disaccharid Lactose im Dünndarm zu
Glucose und Galactose hydrolysiert.
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30.2 Allgemeine und spezielle Pathophysiologie
Tabelle 30.2
Primäre angeborene Resorptionsstörungen
Krankheit
Enzymdefekt
Klinisches Bild
Lactoseintoleranz
Lactasemangel
Diarrhö und Blähungen nach Milchzufuhr, Gedeihstörungen
Saccharose-Isomaltose-Intoleranz
Saccharase- und Isomaltasemangel
Diarrhö auf Rohr- und Rübenzucker, Gedeihstörungen
Trehaloseintoleranz
Trehalasemangel
Diarrhö und Blähungen nach Pilzgerichten
Glucose-Galactose-Intoleranz
Transportdefekt für Glucose und Galacto- Diarrhö, Gedeihstörungen
se
Enterokinasemangel
Enterokinasemangel
Diarrhö, Retardierung
Hartnup-Erkrankung
defekter Transporter für neutrale Aminosäuren
neuropsychiatrische Störungen, pellagroide Hautveränderungen, asymptomatische Verläufe
Zystinurie
defekter Transporter für Zystin und dibasische Aminosäuren
Nephrolithiasis, chronische Pankreatitis
Blue-Diaper-Syndrom (Syndrom der
blauen Windeln*)
Tryptophanmalabsorption
Obstipation, Erbrechen, Gedeihstörung,
Fieber, Hyperkalzämie und Nephrokalzinose
Oasthouse-Syndrom
Methioninmalabsorption
geistige Retardierung, Krämpfe
Vitamin-B12-Malabsorption
Mangel an Intrinsic Factor, Rezeptormangel im Ileum
megaloblastäre Anämie, funikuläre Myelopathie
Kongenitale Chloridorrhö
Defekt des Cl--HCO3--Anionenaustauschers
chloridhaltige Durchfälle, metabolische
Alkalose
* Das nicht resorbierte Tryptophan wird von Darmbakterien zu Indican abgebaut, welches resorbiert werden kann. Das renal ausgeschiedene Indican
wird zu Indigoblau oxidiert.
Bei Lactasemangel gelangt ungespaltene
Lactose ins Kolon und wird dort von Bakterien in CO2, H2 und Lactat gespalten. Hierdurch kommt es zu Blähungen, Tenesmen, Flatulenz
und Diarrhö. Therapeutisch kommen lactosearme Milch
oder Lactasesubstitution, bei schweren Formen eine
milch- und milchproduktfreie Diät zur Anwendung.
Einheimische Sprue (glutensensitive
Enteropathie) (1, 2, 6, 16)
Die einheimische Sprue bezeichnet ein Malabsorptionssyndrom mit charakteristischer, jedoch nicht
spezifischer Zottenatrophie im Dünndarm. Ursache
ist eine Überempfindlichkeit gegenüber Gluten in
Weizen, Gerste und Roggen. Unter glutenfreier Diät
kommt es klinisch sowie strukturell zur Remission;
bei Glutenreexposition kommt es zum Rezidiv.
Ätiologie und Pathogenese. In der Pathogenese der einheimischen Sprue spielen Umweltfaktoren (Glutenexposition), genetische Faktoren (Assoziation mit bestimmten HLA-Allelen) sowie immunologische Faktoren
(CD4- und CD8-Lymphozyten, Antikörper, Zytokine) eine entscheidende Rolle (Abb. 30.4).
Glutene sind die wasserunlöslichen Eiweißfraktionen aus Getreide. Für die einheimische Sprue entschei-
dend sind die Glutene aus Weizen (Gliadine), Gerste
und Roggen, die besonders reich an Glutamin und Prolin sind. Die Glutene werden nach ihrer Absorption in
der Lamina propria von dendritischen Zellen den CD4Lymphozyten (Helferzellen) präsentiert. Diese induzieren daraufhin die Produktion von IgA- und IgG-Antikörpern durch Plasmazellen sowie die Produktion von
proinflammatorischen Zytokinen wie IFNγ, Interleukinen, TNFα und TGFβ durch CD8-Lymphozyten. Eine potenzierende Wirkung bei der Antigenpräsentation von
Gluten spielt die ubiquitär exprimierte Gewebetransglutaminase: Sie deaminiert Glutaminreste der Glutene zu negativ geladenen Glutamatresten und verstärkt
somit deren Immunogenität.
Bereits seit längerem ist eine Assoziation der einheimischen Sprue mit bestimmten HLA-Klasse-II-Allelen
bekannt. So sind etwa 90% der Patienten positiv für
HLA-DQ2 (DQA1*0501, DQB1*0201). Eine Erklärung
hierfür wurde vor kurzem gefunden: Die Aminosäurereste 56 – 75 des α-Gliadins stellen ein dominantes, von
HLA-DQ2 präsentiertes T-Zell-Epitop dar. Durch eine
Deaminierung durch die Gewebetransglutaminase
(Q65 E) erhöht sich die Immunogenität weiter. Andererseits tragen bis zu 30% der europäischen Bevölkerung das Merkmal HLA-DQ2, doch nur ein kleiner Teil
entwickelt eine einheimische Sprue.
Mögliche auslösende Kofaktoren könnten eine frühe
Glutenbelastung (unterschiedliche Formeln der Babynahrung) oder virale Infekte sein. So wird aufgrund einer Homologie zwischen α-Gliadin und eines Hüllproteins des Adenovirus 12 ein „molecular mimicry“ in der
Pathogenese der einheimischen Sprue diskutiert.
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Dünndarm
Abb. 30.4 Pathogenese der einheimischen Sprue. APC = Antigen
präsentierende Zelle.
Strukturelle Veränderungen. Diese betreffen typischerweise ausschließlich die Mukosa des Dünndarms, und
zwar am ausgeprägtesten der proximalen Abschnitte
(Duodenum, Jejunum), in denen die Glutenexposition
am stärksten ist. Aufgrund einer Zottenatrophie mit
kompensatorischer Kryptenhypertrophie kommt es zu
einer deutlichen Verkleinerung der Verdauungs- und
Resorptionsfläche. Die absorptiven Zellen sind nicht nur
in ihrer Anzahl vermindert, sondern weisen auch strukturelle und funktionelle Defekte auf (verkürzte, verplumpte Mikrovilli, zytoplasmatische und mitochondriale Vakuolisierung, aufgehobene Kernpolarität, vermindertes endoplasmatisches Retikulum, gestörte Tight
Junctions). Kompensatorisch ist die Anzahl undifferenzierter Kryptenzellen stark erhöht. Zudem kommt es zu
einer Invasion von Entzündungszellen in die Mukosa
(CD4-Lymphozyten) sowie Lamina propria (CD8-Lymphozyten, B-Zellen und Plasmazellen).
Klinik und Therapie. Die einheimische Sprue
manifestiert sich meist nach Beginn einer glutenhaltigen Nahrung im 2. bis 3. Lebensjahr.
Ein zweiter Altersgipfel liegt im 4. Lebensjahrzehnt. Typische Symptome sind massige, fettige Durchfälle, Blähungen, Gewichtsverlust und Gedeihstörungen. Extraintestinale Symptome sind überwiegend durch Mangelerscheinungen bedingt (z. B. Anämie bei Eisen-, Folsäure-, Vitamin-B12-Mangel, periphere Polyneuropathie, Proteinmangelödeme). Zudem sind eine Reihe anderer, vermutlich immunpathologisch bedingter Erkrankungen mit der einheimischen Sprue assoziiert
(u. a. Diabetes mellitus, Epilepsie, Dermatitis herpetiformis Duhring). Bei unzureichender Glutenkarenz ist das
Risiko von intestinalen T-Zell-Lymphomen deutlich erhöht (ca. 6 pro 100 Patienten), die dann eine sehr
schlechte Prognose haben. Häufig verläuft die einheimische Sprue symptomarm; dann stehen ggf. die extraintestinalen Symptome im Vordergrund, sodass die Diag-
nose oft schwierig ist. Die Diagnose erfolgt durch Endoskopie mit Biopsie des distalen Duodenums. Eine sehr
hohe Sensitivität sowie Spezifität hat jedoch auch die
Bestimmung der Transglutaminase-Antikörper bzw. der
Endomysiumantikörper. Therapeutisch steht eine glutenfreie Diät im Mittelpunkt.
Tropische Sprue (20)
Die tropische Sprue zeigt ähnliche Schleimhautveränderungen wie die einheimische Sprue. Sie kommt
jedoch nur selten bei Kindern vor und ist auf bestimmte tropische Regionen (u. a. Puerto Rico, Kolumbien, Indien, Südostasien) beschränkt. Bei Reisenden tritt sie in der Regel nur bei mehrmonatigen
Aufenthalten auf.
Ätiologie und Pathogenese. Die Genese der tropischen
Sprue ist noch umstritten und vermutlich regional unterschiedlich. Ursächlich wird eine persistierende Dünndarmkontamination mit koliformen Bakterien (u. a. E.
coli, Klebsiellen, Enterobacter), Viren (Orthomyxoviren,
Coronaviren) oder Protozoen vermutet, die zu einer unspezifischen Mukosschädigung führen.
Klinik und Therapie. Häufig beginnt die
Symptomatik mit einer akuten, wässrigen
Diarrhö, gefolgt von einer chronischen Diarrhö mit Steatorrhö, Abdominalkrämpfen und Gewichtsverlust. Bei längerem Verlauf kommt es aufgrund von
Folsäure- und Vitamin-B12-Mangel zu megaloblastärer
Anämie, Stomatitis und Glossitis sowie Proteinmangelödemen. In der Therapie sind ein Ausgleich des Wasserund Elektrolythaushalts sowie Folsäure- und Vitamin-
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30.2 Allgemeine und spezielle Pathophysiologie
B12-Substitution wichtige symptomatische Maßnahmen. Eine antibiotische Therapie, insbesondere mit
Tetrazyklinen, zeigt in einigen Regionen ein rasches Ansprechen.
Autoimmunenteropathie (14)
Die Autoimmunenteropathie betrifft vor allem Kleinkinder und Kinder. Auch diese Entität ist durch eine
Zottenatrophie der Dünndarmmukosa charakterisiert. Im Gegensatz zur einheimischen Sprue spricht
die Erkrankung jedoch nicht auf eine glutenfreie Diät
an; zudem tritt sie gehäuft in Familien mit Autoimmunerkrankungen wie Diabetes mellitus Typ 1, Glomerulonephritis, hämolytische Anämie, Asthma
oder Ekzeme auf.
Ätiologie und Pathogenese. Bei etwa der Hälfte der Patienten lassen sich Antikörper gegen Enterozyten nachweisen; vermutlich sind jedoch insbesondere T-Lymphozyten an der Pathogenese beteiligt.
Klinik und Therapie. Die Diarrhö spricht
nicht auf eine Diät an, sondern erfordert eine
immunsuppressive Therapie mit Steroiden
oder Cyclosporin.
Morbus Whipple (11)
Der Morbus Whipple ist eine seltene, chronisch verlaufende Erkrankung, die erstmals 1907 von George
Hoyt Whipple beschrieben wurde.
Ätiologie und Pathogenese. Der Erkrankung liegt eine Infektion mit dem Bakterium Tropheryma whipplei zugrunde, das zu den Aktinomyzeten zählt und erstmals
1992 mittels PCR nachgewiesen werden konnte. Die
Kapsel weist eine innere glykoproteinhaltige Schicht auf,
die die charakteristische PAS-Färbung bedingt. Histologisch lässt sich in der Lamina propria der Dünndarmschleimhaut eine dichte Infiltration mit PAS-positiven
Makrophagen nachweisen, die zahlreiche sichelzellartige Einschlüsse enthalten (SPC-Zellen: sickleform particles containing cells) (Abb. 30.5). Der Erreger lässt sich
aber auch in vielen anderen Geweben nachweisen, wie
z. B. in Lymphknoten, ZNS, Augen, Herz, Leber, Lunge und
Nieren. Es liegen auch generelle Defekte in der Immunantwort von Abwehrzellen vor, wie z.B eine verminderte
Produktion von bestimmten Zytokinen wie Interferon γ
und Interleukin-12.
Abb. 30.5 PAS-positive Makrophagen in der Lamina propria des
Dünndarms bei Morbus Whipple (PAS-Färbung, 125fach vergrößert) (aus Hahn EG, Riemann JF. Klinische Gastroenterologie. Thieme 1996).
Klinik. Der Morbus Whipple betrifft überwiegend Männer im mittleren Lebensalter. Es
handelt sich um eine systemische Erkrankung, die neben dem Darm und seinen Lymphabflusswegen auch das Herz, die Gelenke und das ZNS betrifft.
Zu den typischen Symptomen gehören Arthralgien,
Diarrhöen mit Zeichen der globalen Malabsorption, abdominelle Schmerzen, Lymphadenopathie, Gewichtsverlust, Fieber und eine verstärkte Pigmentierung der
Haut. Die Therapie der Wahl ist eine langfristige Antibiotikatherapie, die zu einem kompletten Rückgang der
klinischen Symptome und histologischen Veränderungen führen kann. Aufgrund der häufigen ZNS-Beteiligung sollte ein liquorgängiges Antibiotikum gewählt
werden, wie z. B. Cotrimoxazol.
Eosinophile Gastroenteritis (10)
Die eosinophile Gastroenteritis ist eine relativ seltene Erkrankung, die durch das Vorhandensein gastrointestinaler Symptome, den Nachweis eosinophiler Zellinfiltrate im Gastrointestinaltrakt sowie das
Fehlen parasitärer oder extraintestinaler Erkrankungen charakterisiert ist.
Ätiologie und Pathogenese. Die Ätiologie der eosinophilen Gastroenteritis ist unbekannt. Es wird vermutet, dass
es sich um eine allergische oder immunologische Reaktion auf Nahrungsmittelantigene handelt, die von Mastzellen vermittelt und durch Immunglobulin E ausgelöst
wird. Die eosinophile Gastroenteritis tritt gehäuft bei
Personen mit topischen Erkrankungen (z. B. Asthma) sowie nach viralen oder parasitären Infektionen auf.
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