NATUR Garten Die Paradies Adam und Eva dienten ihre Blätter als Kleider, Feinschmecker mögen sie zu Fleisch oder als Dessert, und Kranke schätzen ihre heilende Wirkung. Die Feige ist eine vielseitige Frucht. Und: Bei richtiger Sortenwahl wächst sie nicht nur im Paradies, sondern auch im Schweizer Mittelland. Text: Kurt Forster 54 Natürlich | 10-2007 Fotos:René Berner Garten NATUR frucht I n der biblischen Schöpfungsgeschichte steht: «Da gingen den beiden die Augen auf, und sie wurden gewahr, dass sie nackt waren; und sie hefteten Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze.» Auch bei vielen postparadiesischen Marmorstatuen ist die Scham mit einem Feigenblatt bedeckt. Oliven, Trauben, Weizen und Feigen waren die wichtigsten und zugleich ältesten Kulturpflanzen im mediterranen Raum des Altertums. Wildfeigen sind seit rund 5000 Jahren bekannt und wurden von den Assyrern und in Eritrea angebaut. Die Römer betrachteten die Feigen als Wohlstandssymbol. Schon sie kannten eine Vielfalt von Sorten. Sie brachten die Feigen über die Alpen und die seefahrenden Spanier nach Amerika. Seit dem 16. Jahrhundert wurden die Feigen auch in Orangerien gepflegt. Ursprünglich heimisch waren sie in Kleinasien und Arabien. Heute werden sie im ganzen Mittelmeerraum, in Indien, in Afrika und den subtropischen Teilen der USA angebaut. Junge Feigen Feigen aus dem Appenzell Die süssen Früchte werden heute auch in der Schweiz gepflegt. Man findet sie vor allem im südlichen Tessin, am Genfersee, aber auch am Vierwaldstättersee in Sisikon, Weggis oder Gersau, in Quinten am Walensee und im Rheintal, überall dort, wo ideale Weinanbaugebiete liegen. Wilde Exemplare wurden schon entlang der Limmat entdeckt. Aber: Auch in Herisau AR gelingt der Anbau der wärmeliebenden Frucht auf 800 Meter Höhe, nicht zuletzt dank einer geschützten Südhanglage. In diesem milden Jahr 2007 mit den warmen Frühlingstagen erfolgte ein erster Fruchtansatz im April und ein zweiter Mitte Juni, als die ersten Früchtchen gerade mal vier Zentimeter im Durchmesser massen. Es sind nicht primär die Tiefsttemperaturen, die den Anbau begrenzen, sondern starke Fröste im Frühjahr wirken sich auf den Fruchtansatz verheerend aus. Durch einen Schutz mit Noppenfolie können Schäden vermieden werden. Der Versuch im Ausserrhodischen zeigt, dass die Anbaugrenze aufgrund der Klimaerwärmung ansteigt. Vielleicht gelingt in einem Jahrzehnt ein Anbau in noch grösserer Höhe. Der Baum der Erleuchtung Gautama Buddha soll 420 v. Chr. unter einem mächtigen, viele hundert Jahre alten, zu den Feigen gehörenden Pipalbaum (ficus religiosa) Erleuchtung gefunden haben. Im Mittelmeerraum findet man diese mächtigen Baumriesen oft auf Dorfplätzen. Die Schatten spendenden Bäume sind Treffpunkt der Einheimischen. Beim Sitzen unter den grossen Ficusbäumen finden nervöse Menschen Ruhe und Gelassenheit. Die Feigenbäume sind auch Symbol für Süden, Wärme und Lebensfreude. Die echte oder Fruchtfeige (ficus carica) ist ein dekorativer Strauch oder Baum, der durchaus sieben bis zehn Meter hoch werden kann. Er besitzt grosse, derbe, drei bis siebenfach gelappte Blätter, die ein wenig an Weinblätter erinnern. Die Zweige sind ziemlich dick und die Rinde ist hellgrau und glatt. Die echte Feige stammt aus der Familie der Maulbeergewächse (Moraceae) und gehört in die Gattung der Feigen (Ficus). Die Gattung Ficus umfasst eine grosse Fülle von Pflanzen, einige davon haben als Zimmerpflanzen Karriere gemacht. Verschämt versteckte Blüten Bei den Fruchtfeigen (ficus carica) werden verschiedene Typen unterschieden, die ein- bis dreimal jährlich tragen. Wer deswegen nun eine reiche Feigenblust erwartet, wird enttäuscht. Die Blüten verstecken sich in den jungen Feigen. Den Fruchtstand, der aus einer fleischigen, krugartigen, nach innen gewölbten Blütenstandsachse besteht, findet man im Innern der jungen Feigenfrüchte. Durch eine kleine Öffnung an der Spitze kann eine kleine Gallwespenart eindringen und die Blüten bestäuben. Der fleischige Blütenboden schwillt dann an und bildet die Scheinfrucht (Synconnium). Die Früchte sind glatt und von grüner, violetter, hellroter, gelber bis schwarzvioletter Farbe. Nicht die Farbe der Schale Natürlich | 10-2007 55 NATUR Garten entscheidet über die Reife der Frucht, sondern der leichte Fingerdruck zeigt an, ob sie schon weich und reif sind. Das süsse, leicht nussig schmeckende Fruchtfleisch enthält viele Kernchen. Auf Frosthart getrimmt Feigen findet man häufig im Vorderen Orient, dem fruchtbaren Halbmond, der sich von Israel, über die Türkei nach Verschiedene Reifestadien: Am besten schmecken Feigen, wenn sie kurz vor dem Aufplatzen sind – und natürlich auch getrocknet Osten bis in den Irak und Iran erstreckt. Sie lieben ein warmes, subtropisches, eher trockenes Klima. Das kann Mitteleuropa nicht bieten. Es ist aber bekannt, dass selbst auf der dänischen Insel Bornholm seit 50 Jahren Feigen gedeihen, dies dank neueren Züchtungen, die frosthart sind und bis minus 15 Grad ertragen. In Bezug auf die Bodenqualität und die Feuchtigkeit sind die Feigen bescheiden und genügsam. Sie schätzen aber einen Feigen für die Gesundheit In der westlichen Industriewelt mit der zucker-, kohlenhydrat- und fleischreichen Kost und den überzuckerten Softdrinks ist die Gefahr der Körperübersäuerung mit den Folgekrankheiten wie Rheumatismus, Diabetes, Gicht und Hautproblemen gross. Zusätzlich wird durch häufigen Stress die Übersäuerung verstärkt. Da Feigen einer der stärksten Basenspender unter den Nahrungsmitteln sind, bieten sie sich als idealen Energieversorger an. Feigen sind leicht verdaulich und nahrhaft. Frische Feigen enthalten gut 80 Prozent Frucht56 Natürlich | 10-2007 zucker, sind reich an Kalzium, Ballaststoffen und den Vitaminen A, B und C. Feigen wirken entwässernd und abführend. Sie helfen gegen Verstopfung, Dickdarmkatarrh und Hämorrhoiden. Sie werden auch bei Leberstörungen und zur Verhinderung von Haut- und Nagelpilzen empfohlen. Frische Feigen fördern die Heilung von Zahnfleischblutungen, Lippen-, Mundhöhlen- und Kehlkopfentzündungen. Und: Der weisse Milchsaft des Feigenbaumes soll bei Insektenstichen helfen und lässt auch Fleisch zart werden. tiefen, fruchtbaren, durchlässigen Boden, der auch kalkhaltig sein darf. Kann man den Feigenbäumchen eine sonnige, geschützte Südwand zur Verfügung stellen, die sie vor kalten Nordostwinden schützt, so lohnt sich ein Anbauversuch in jeder Weinlage der Schweiz. Feigen ertragen im Winter bis minus 15 Grad. Da sie aber gegen kalte Winde empfindlich sind, lohnt sich ein Schutz der Pflanze mit Noppenfolie, Schilfmatte oder Jutesäcken. Der Wurzelbereich lässt sich am besten mit verrottetem, strohigen Mist und Häckselmaterial schützen. So werden die Pflanzen gleichzeitig sanft gedüngt. Eine zu intensive Düngung verursacht ein starkes vegetatives Wachstum und vermindert die Fruchtbildung. Ideal für Balkon oder Terrasse Eine attraktive Variante ist ein Feigenbaum als Topfpflanze auf dem Balkon, der Terrasse oder im Wintergarten zu halten. Hier sind die Feigen vor kalten Nordostwinden geschützt und haben eine wärmende Mauer im Rücken. Sie benötigen Garten NATUR älter und die Neutriebe kurz sind, erreichen sie die optimale Winterhärte. Auf die Sorte kommt es an Einen Weinstock und einen Feigenbaum zu besitzen, war im alten Israel der Inbegriff von freiheitlichem, sorgenfreiem und geruhsamem Leben. Warum sich dieses mediterrane Gefühl nicht auch ein klein wenig verschaffen? Nichts spricht dagegen, doch muss sich der Züchter bewusst sein: Oft tragen Feigenbäume bei uns keine Früchte. Das kann verschiedene Gründe haben. Kälteempfindliche Sorten bilden in unserem kühlen Klima überhaupt keine Früchte. Zudem gibt es Sorten, die auf eine komplizierte Weise befruchtet werden müssen; auch diese Arten fallen weg. Wildfeigen sind oft einhäusig und tragen deshalb keine Früchte, und die männliche Bockfeige (Ficus carica var. caprificus) bildet nur harte, samenlose, ungeniessbare Früchtchen. Die Qual der Wahl allerdings einen grossen Topf von mindestens 25 Liter Inhalt, genügend Feuchtigkeit und eine Düngerversorgung mit verrottetem Kompost oder einem Beerendünger. Im Winter sollten sie kühl haben, damit sie nicht zu früh austreiben. Speziell für Topfkulturen sind die Sorten Longue d’Août, Isi d’Oro, Goutte d’Or, Filacciano, Early Black, Dalmatie und Violette Dauphine geeignet. Genügsam und pflegeleicht Feigen sind an und für sich recht genügsam. Sie benötigen weder eine spezielle Düngung noch Pflanzenschutzmittel, da sie im Gegensatz zu Obstbäumen recht robust sind und in Europa die typischen Feigenschädlinge nicht auftreten. Feigenbäume schneidet man kaum, ausser einem leichten Rückschnitt der abgestorbenen Äste und einem Formschnitt. Zu starker Schnitt kann Pilzbefall fördern. Jungpflanzen werden im Spätherbst zusammengebunden und mit Vlies oder Schilfmatte vor der Wintersonne geschützt. Erst wenn die Feigen etwas Am besten lässt man sich darum in einem guten Gartencenter bei der Sortenwahl beraten. Weltweit gibt es etwa 2000 Feigensorten, die bezüglich Früchte, Frosthärte, Wachstumsstärke, Blatt- und Fruchtformen sehr unterschiedlich sind. Grundsätzlich gibt es 3 Feigentypen: Die Smyrna: Sie muss durch eine Gallwespenart bestäubt werden, die nur südlich der Alpen vorkommt. Die San Pedro: Sie trägt wohl viele Blütenfeigen, muss aber zur Fruchtbildung ebenfalls bestäubt werden. Die Hausfeige: Sie ist für uns wohl am besten geeignet. Die weiblichen Hausfeigen sind selbstfruchtend und bringen ab Anfang Juli ein bis drei Ernten pro Jahr. Für nördlichere Lagen kommen robuste Feigen wie die Bayernfeige (Violetta), die Nordlandfeige, Contessina, Ronde de Bordeaux, Califfo, Rosetta, Morena, Verdino, Grise Olivette, Black Mission, Dalmatie, violette Dauphine, Longue d’Août, Goutte d’Or, Early Black, Bella Brunetta, Grise St-Jean, Negronne, Filacciano oder Pastilière in Frage. Junge Feigenbäumchen kann man auch selber ziehen, sofern man sich Stecklinge von einer geeigneten Mutterpflanze besorgen kann. Die Steckhölzer werden am besten im zeitigen Frühjahr in wassergefüllte Gläser gestellt und, sobald sich die ersten Wurzelspitzchen zeigen, in mit Anzuchterde und wenig Torf gefüllte Töpfchen gepflanzt. Ins Freiland bringt man sie am besten im späten Frühjahr im Alter von etwa drei Jahren. Erhält man nach drei bis vier Jahren keine Früchte, war die Mühe umsonst – man hat für den ausgesuchten Standort die falsche Sorte gewählt. Feigen für Feinschmecker Feigen sollten am Baum ausreifen und sind pflückreif, wenn das Fruchtfleisch auf leichten Fingerdruck nachgibt und die Schale leichte Risse zeigt. Frische Feigen sind saftig, sehr süss, aber auch empfindlich. Am besten werden sie so schnell wie möglich gegessen. Ob man sie mit oder ohne Schale isst, ist Geschmackssache. Feigen passen hervorragend zu Parmaschinken, Nüssen, Käse oder zu Gerichten wie Ente und Lamm. Frische Feigen schmecken ausgezeichnet in einem Fruchtsalat. Als Dessert werden die Feigen in vier Teile aufgeschnitten und mit einem Tupfer Rahm serviert; so wirken sie wie eine geöffnete Blume. Dieses Dessert kann noch mit einer Mischung von Frischkäse, Honig und gehackten Nüssen bereichert werden. Sie können auch mit etwas Crème fraîche und Cognac oder Portwein serviert werden. Sie eignen sich auch recht gut zum Backen oder in einem Strudel. ■ I N FO B OX Literatur zum Thema: Spezialist für Feigen in der Schweiz ist der «Mercato verde» in Chur. Der Besitzer und Feigenfachmann Gusti Berchtold berät hervorragend und pflegt zurzeit rund 400 Sorten. Mercato Verde, Gürtelstrasse 41, 7000 Chur, Öffnungszeiten: Mitte März bis Mitte November: Mittwoch 13.30–18 Uhr, Samstag 9–12 und 13–16 Uhr, übrige Zeit und im Winter nach Absprache, Telefon 081 284 88 83, www.mercato-verde.ch, [email protected] Internet • www.seeland.net/gemuese/feigen.htm • www.wildeisen.ch • www.marions-kochbuch.de (unter Zutaten «alphabetisch» anklicken, dann Buchstabe «F» wählen) Natürlich | 10-2007 57