Ratgeber Gesundheit/16_Neurodermitis/_2011/Druck_Neurodermitis - Bogen S.36-37 vg - 16.09.2011 09:57 36 WOHER KOMMT NEURODERMITIS? BILD 1 Stadtkinder haben ein höheres Erkrankungsrisiko als Landkinder BILD 2 Schmutz ist nicht nur schlecht BILD 1 Dagegen haben sich die Lebensumstände rapid umgeformt. Die Bedeutung der „westlichen“ Lebensweise belegen viele Studien. Zwar gibt es in Afrika und Asien ebenfalls Länder und Städte mit hohen Raten an Neurodermitis bei Kindern. Durchschnittlich ist der Anteil in Industrienationen aber deutlich höher. Er steigt 쐍 mit der Höhe des Breitengrads 쐍 mit dem Bruttoinlandeinkommen 쐍 mit der Abnahme der durchschnittlichen Temperatur – je kälter, desto mehr 쐍 mit Ernährungsgewohnheiten oder -zutaten – je mehr Fisch, desto weniger. Untersuchungen zu Neurodermitis und Allergien förderten in Industrienationen einige weitere Zusammenhänge zutage: 쐍 Unter Landkindern sind sie seltener als unter Stadtkindern: Regelmäßiger Kontakt zu Staub, Dreck und Bakterien soll ihr Immunsystem trainieren. Im Stallstaub kommt unter anderem Arabinogalaktan vor. Das Zuckermolekül kann Allergien zumindest bei Mäusen verhindern. 쐍 In der Stadt steigt der Anteil betroffener Kinder mit dem Einkommen und der Bildung ihrer Eltern: Diese Kinder wachsen häufiger in keimärmeren Haushalten mit hohem Hygienestandard auf. BILD 2 Die Hygiene-Theorie Trotz aller Unsicherheiten schälen sich zwei Trends heraus: Schmutz und Infektionen sind nicht schlecht. Darauf basiert die Hygiene-Theorie (auch Bauernhoftheorie). Danach begegnet das Immunsystem in Industrienationen durch die zunehmende Hygiene zu wenigen Krankheitserregern und Allergenen. Dem Immunsystem mangelt es eventuell an Übung und Erfahrung, um sicher zwischen „gefährlich“ und „ungefährlich“ unterscheiden zu können. Oder wird es „nervös“, weil es unterbeschäftigt ist, und reagiert deshalb aufbrausend gegen harmlose Reize? Vielleicht beides. Manche Fachleute glauben allerdings, dass nicht die Zahl der Infektionen den Ausschlag gibt, sondern die Art der Erreger: In einer dänischen Studie mit 24 000 Müttern erhöhte jede Infektion, die Babys im ersten halben Lebensjahr durchgemacht hatten, die Gefahr, bis zum 18. Lebensmonat an Neurodermitis zu erkranken. Andererseits hatten jene Kinder ein niedriges Risiko, die früh in die Kinderkrippe kamen, in Großfamilien oder auf dem Bauernhof aufwuchsen. Deshalb vermuten einige Wissenschaftler, dass es „böse“ und „gute“ Keime gibt. Lebensumstände und Lebenswandel Es gibt ein paar weitere Unterschiede bei den Lebensumständen, die zumindest statistisch eine Rolle für die Entstehung von Neurodermitis spielen. Wie und wie stark sie diesen Vorgang allerdings beeinflussen, ist im Detail meist noch nicht bekannt. 쐍 Schadstoffe in der Außenluft: In der Umgebung viel befahrener Straßen bekommen mehr Kinder Neurodermitis als in schadstoffarmen Gegenden. INFO 쐍 Raumluft: Tabakrauch erhöht das Risiko für Neurodermitis und Allergien. Allergene wie Schimmelpilzsporen, Hausstaubmilbenkot sowie Tierhaare und -federn können zu Allergien führen und Neurodermitis beeinflussen. Zu trockene Raumluft kann Ekzeme auslösen und verstärken. 쐍 Ernährung: Es gibt keine gesicherten Hinweise darauf, dass bestimmte Lebensmittel oder Ernährungsweisen in der Kindheit oder Schwangerschaft Neurodermitis verursachen oder das Risiko beeinflussen. Würmer gegen Allergien? Eine Unterabteilung der Hygienetheorie widmet sich Parasiten. Das sind kleine oder größere Tiere wie Bandwürmer. Diese leben im Darm von befallenen Menschen oder Tieren und holen sich dort ihre Nahrung. Mit Würmern im Bauch muss man sich weniger Sorgen um Allergien machen. Das entdeckten Forscher aus Venezuela, die in den 1980er Jahren einheimische Stadt- und Waldbewohner untersuchten: Bei 90 Prozent der indianischen Dschungelbewohner fanden sie Würmer, Allergien aber bei keinem Einzigen. Die hatten dagegen mehr als 40 von 100 der Städter. Von ihnen wiesen nicht einmal zehn Prozent Wurminfektionen auf. Die „Wurmtheorie“ blickt in die Vergangenheit zurück: Damals hatten viele Menschen Würmer. In der Evolution passten sich beide aneinander an. Der Wurm wurde zum Begleiter des Menschen und hielt dessen Immunsystem in Schach. Doch in neueren Studien wirkten manche Wurmtherapien kaum, andere waren sogar schädlich. Offenbar gibt es auch „gute“ und „schlechte“ Würmer. Welche Würmer aber unter welchen Bedingungen Allergien abblocken, müssen Forscher erst noch herausfinden. Schottische Wisseschaftler entdeckten, dass die Parasiten in Mäusen ein spezielles Protein absondern. Es regt das Immunsystem dazu an, Abwehrreaktionen zu unterdrücken. Diese Experten und andere Forschungsgruppen arbeiten daran, aus Wurmproteinen neue Medikamente gegen Neurodermitis zu entwickeln. 37