Einführung in die Politikgeschichte des industriellen Zeitalters

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Einführung in die Politikgeschichte des industriellen
Zeitalters
A. Politische Grundbegriffe
13.1. Parteien und Parteiensysteme (Stykow, S. 111ff.; 153ff.)
Politische Parteien entstanden im 19. Jahrhundert als Eliten- oder
Honoratiorenparteien und stützten sich auf vorpolitische Zusammenhänge
kleiner sozial gehobener Zirkel auf Basis persönlicher Netzwerke. Mit
vorpolitischen Zusammenhängen können informelle persönliche Beziehungen,
aber auch Geselligkeits- und Kulturvereine, Honoratiorenclubs oder
Berufsvereinigungen oder Geschäftspartnerschaften gemeint sein.
Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts entstanden in Konkurrenz zur
Honoratiorenpartei ideologisierte Massenparteien, auch Massenintegrationsparteien genannt. Dieser Typus beruht auf Massenmitgliedschaft, innerem
Organisationsausbau in Richtung Parteiapparat und vielfältigen Verbindungen
zu politischen und vorpolitischen Organisationen.
Vorfeldorganisationen der Parteien ( „Kollateralorganisationen“)
verschaffen den Massenintegrationsparteien eine Stammwählerschaft.
Es handelt sich um einen Milieuunterbau, wobei allerdings die Bindungen
zwischen Gesinnungsmilieu und Partei unterschiedlich eng ausfallen
können.
Hinter der engen Vernetzung von Massenintegrationsparteien und
Milieuvorfeld verbergen sich jeweils landesspezifische Muster von
Konfliktlinien sozialökonomischer und kultureller Art.
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Nach dem II. Weltkrieg entwickeln sich auf Basis der parteiübergreifenden
Leitbilder „Modernisierung“ und „Wohlfahrtsstaat“ sog. „Volksparteien“, die
sich gegenüber neuen Wählergruppen außerhalb der angestammten Klientel
öffneten. (übertriebene Bezeichnung als „Catch-all-Party“)
In der westlichen Welt entsteht seit den 1970er Jahren ein neuer Parteityp, die
„professionalisierte Wählerpartei“, die sinkende Mitgliederaktivitäten mit einer
Professionalisierung des Apparates und der Parteieliten verbindet. Er kommt zur
Beherrschung der Parteien durch Berufspolitiker, die eine schrumpfende
ehrenamtlich mitwirkende Parteibasis zurückdrängen.
Bereits die klassische Parteisoziologie des frühen 20. Jahrhundert hat solche
Verselbständigungstendenzen der Parteien gegenüber ihrer sozialen Basis
beschrieben. Viel diskutiert worden ist das „Eherne Gesetz der Oligarchie“, das
der Soziologe Robert Michels 1911 in der damaligen europäischen
Parteienlandschaft glaubte entdecken zu können. Ihm zufolge orientierten sich die
Führungsgruppen in großen Mitgliederparteien immer mehr an den eigenen
Interessen und am Bestandserhalt der Organisation als den Interessen der Klientel.
Während sich in früheren Zeiten die Verselbständigungsprozesse als
organisationsinterne Entfremdungsprozesse beschreiben lassen, gehen heutige
Theorien von einer Tendenz der Kartellbildung unter den etablierten Parteien
aus. Es existiert unter den etablierten marktbeherrschenden Parteien ein
informeller Konsens, den Zutritt neuer Konkurrenten zu verhindern.
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Parteiensysteme sind nur dann ihren Vermittlungs- und Repräsentationsaufgaben
gewachsen, wenn alle Parteien die Konfliktlinien, die die Gesellschaft
durchziehen, in ihren abgrenzenden Profilbildungen programmatisch deutlich
herauskehren.
Die vorherrschenden Konfliktlinien prägen die Rechts-Links-Polarisierung
und das gesamte Gefüge des Rechts-Links-Spektrums eines Parteiensystems. In
der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war dies bis zur Wende von 1989/90
international der Klassenkonflikt zwischen Kapital und Arbeit.
Entsprechend strukturierten sich die nationalen Parteiensysteme auf dem RechtsLinks-Kontinuum nach dieser Konfliktlinie. Das heißt: das Rechts-Links-Spektrum
stellte sich eindimensional dar.
Kommt es zu einer Überlagerung gleichgewichtiger, der Sachsubstanz nach
unterschiedlicher Konfliktlinien, wird das Rechts-Links-Kontinuum
inkonsistent, d.h. es wird mehrdimensional. Infolgedessen lockert sich das
Verhältnis der Parteien zueinander. Dies führt zu einer Destabilisierung des
jeweiligen Parteiensystems, weil die Zuordnung und die Einordnung im RechtsLinks-Kontinuum unklar und zweideutig wird und damit das Koalitionspotential
und die Koalitionspräferenzen von Parteien uneindeutig werden.
(Beispiel: Überlagerung der Konfliktlinien „soziale Verteilungskonflikte“ und
„ökologischer Umbau der Gesellschaft“ in Gestalt ökolibertärer und
wertkonservativer Trends bei der Partei der Grünen mit der Folge neuer
Koalitionsoptionen und einer mehrdimensionalen Erweiterung und
Destabilisierung des überkommenen Rechts-Links-Kontinuums.)
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Die zentralen Funktionen von Parteiensystemen in pluralistischen
Gesellschaften:
o Interessenvertretung,
o Mehrheitsbildung
o und Regierungsverantwortung,
hängen von unterschiedlichen Merkmalen ab:
§ Fragmentierung: Anzahl der relevanten Parteien und ihre relative
Stärke
§ Asymmetrie: Größenverhältnisse zwischen den stärkeren Parteien
§ Polarisierung: programmatische Distanz zwischen den Parteien
§ Volatilität: Wählerwanderungen und Verschiebungen von
Stimmanteilen
§ Segmentierung: reale Koalitionsfähigkeit der Parteien untereinander.
Diese Merkmale haben Einfluss darauf, wie stabil Parteiensysteme sind und damit
die von ihnen abhängigen Regierungssysteme.
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Auf der methodischen Ebene sei hier zum Verständnis der
Argumentationslogik vorausgeschickt, dass externe Faktoren wirtschaftlicher,
politischer oder sonstiger Art in diesem Faktorenmodell keine
Berücksichtigung finden. Hier geht es nur - isoliert betrachtet - um die
Eigenwirkungen /Eigengesetzlichkeiten von Parteiensystemen im Sinne
modelltheoretischer Annahmen. In der konkreten Wirklichkeit beeinflussen
stets auch andere Faktoren in unterschiedlicher Weise das jeweilige
Parteiensystem. Mit anderen Worten: Dieses Modell sieht von anderen,
möglicherweise gegenwirkenden Faktoren ab, um die Zusammenhänge von
Parteiensystemen und Regierungsstabilität für sich genommen unverfälscht
betrachten zu können. Um Eigengesetzlichkeiten entdecken zu können, bedarf
im Sinne einer vergleichenden Politikforschung des systematischen
Vergleichs von Parteiensystemen. Auf diese Weise lassen sich besondere
nationale und zeitbedingte Rahmenbedingungen und die
Eigengesetzlichkeiten von Parteiensystemen analytisch voneinander trennen.
Beispiel: Wenn bei einer vergleichender Betrachtung die Vielparteiensysteme
Deutschlands und Frankreichs in der Zwischenkriegszeit des 20. Jahrhunderts
trotz unterschiedlicher politischer Rahmenbedingungen labile
Regierungsverhältnisse hervorbringen, und die Zwei- bis Dreiparteiensysteme
Großbritanniens und der USA zu dieser Zeit mit stabileren
Regierungsverhältnissen einhergehen, dann legt dies die Vermutung nahe,
dass unabhängig von wirtschaftlichen Krisenbedingungen und belastenden
außenpolitischen Konfliktfeldern auch die Art des Parteiensystems den
Stabilitätsgrad von Regierungsverhältnissen beeinflusst.
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Folgende Zusammenhänge lassen sich hinsichtlich Parteiensystem und
Regierungsstabilität unter pluralistischen Bedingungen festhalten:
Je fragmentierter Parteiensysteme sind, d.h. je zerspitterterer sie als
Vielparteiensysteme sind, um so stärker sind die zentrifugalen Tendenzen,
um so weniger gelingt eine stabile Mehrheitsbildung um die politische Mitte
herum. In diesem Falle zwingen Koalitionsbildungen, die zwangsläufig die
politische Mitte einbeziehen müssen, die beteiligten Parteien zu hoher, mitunter
belastender Kompromissfähigkeit, die das Risiko von Wählerabwanderung und
Abspaltungen an den der politischen Mitte abgewandten Rändern birgt. Dies
begünstigt zentrifugale Tendenzen.
In einem Zweiparteiensystem zeigen sich im Gegenteil zentripedale
Tendenzen, da dort die Orientierung zur Mitte hin mit der Mehrheit und der
Option auf Alleinregierung belohnt wird.
Mit Blick auf die Volatilität zeigt sich ein Zusammenhang zwischen
Wählerwanderungen und der Kompromissfähigkeit von Parteien. Starke
Wählerwanderungen verunsichern die Parteien; und deshalb mindern sie die
Koalitionsfähigkeit von Parteien. Die Volatilität hängt vom Milieuunterbau der
Parteien ab.
Die Art der Segmentierung, also der Aufteilung des Parteiensystems
entscheidet darüber, welche realen Koalitionsalternativen und-optionen es
unabhängig von rein rechnerischen Möglichkeiten der Mehrheitsbildung gibt.
Die Segmentierung hängt von der Verortung der Parteien auf dem RechtsLinks-Kontinuum (ein- oder mehrdimensional) ab und obendrein vom
ideologischen Abstand zueinander, also auch vom Merkmal Polarisierung.
Das Maß der Polarisierung, Fragmentierung und Segmentierung hängt von
einer Vielzahl historisch gewachsener Voraussetzungen ab, vor allem von der
Vielgestaltigkeit der Gesellschaft nach sozialen, religiösen, ethnisch-kulturellen
oder sonstigen Merkmalen mit den entsprechenden Ausprägungen
sozialmoralischer Milieus, die soziale und weltanschauliche Gemeinsamkeiten
aufweisen..
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Auch dem Wahlsystem schreibt die Forschungsliteratur teilweise Folgewirkungen
für die Ausgestaltung des Parteiensystems zu:
o Mehrheitswahlsystemen wird ein Trend in Richtung Zweiparteiensystem,
o Verhältniswahlsystemen ein Trend in Richtung Vielparteiensystem
zugeschrieben.
Der Faktor Wahlsystem ist in seinen Wirkungen auf die Fragmentierung von
Parteiensystemen überschätzt worden, weil auch in regional, sozial, ethnisch und
kulturell heterogenen Gesellschaften das Mehrheitswahlsystem zu einem Mehrund Vielparteiensystem führen kann.
Umgekehrt wird bei der Einführung von Verhältniswahlsystemen als
rechtfertigendes Argument angeführt, dass bei stark heterogener Bevölkerung etwa
in religiöser oder ethnischer Hinsicht aus Gründen des Minderheitenschutzes das
Verhältniswahlsystem gerechter sei und eine Vielzahl von Parteien in Parlamenten
eher integrierend wirke, als wenn Minderheiten durch das Mehrheitswahlsystem
unrepräsentiert blieben. Das heißt also: Die Kausalität wirkt nicht nur in der Weise,
das das Wahlsystem als Ursache der Fragmentierung des Parteiensystems und der
Gesellschaft betrachtet wird, sondern die Fragmentierung der Gesellschaft wird
umgekehrt als Motiv angeführt, das Verhältniswahlsystem einzuführen, weil man
ihm als gerechterem System integrative Wirkungen zuschreibt wegen der besseren
Repräsentationschancen von Minderheiten.
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Die Hauptthemen und Hauptkonfliktlinien, die zum strukturierenden Bezugspunkt
von Parteiensystemen werden können, lassen sich nach sieben Dimensionen
klassifizieren:
§ sozialökonomische Themen
§ religiöse Themen
§ kulturell-ethnische Themen
§ Stadt-Land-Problem
§ Legitimität des politischen Systems
§ Außenpolitik
§ postmaterielle Werte
Diese Dimensionen können im Hinblick auf Konflikthaftigkeit unterschiedlich
stark ausgeprägt sein. Eine Dimension kann durchaus allein als strukturprägende
Dimension im Vordergrund stehen;
es können sich aber auch mehrere Dimensionen in unterschiedlichen
Konstellationen überlagern, verschränken oder in Konflikt zueinander treten und
damit die Verortung auf dem Rechts-Links-Kontinuum erschweren, wenn nicht gar
unmöglich machen.
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Funktionen des Rechts-Links-Spektrums von Parteiensystemen
Das Rechts-Links-Spektrum hat sowohl für das Verhältnis der Parteien untereinander als auch für die Wahlbevölkerung eine unverzichtbare
Orientierungsfunktion, die die Kräftefelder, Spannungszonen und
Koalitionsmöglichkeiten strukturiert. Diese Strukturen bilden die Basis der
Mehrheitsbildung, wobei Parteien der Mitte eine bevorzugte Stellung haben, weil
sie eine parlamentarische Schlüsselstellung innehaben, was zu bedeuten hat, dass
sie zur Mehrheitsbildung erforderlich sind.
Aus diesem Grunde birgt beträchtliches Verunsicherungspotential, wenn es keine
dominante strukturprägende Dimension für die Rechts-Links-Einteilung gibt,
sondern zwei oder mehrere Dimensionen gleichrangig sind. Gerade in
Umbruchzeiten, in denen sich neue Politikfelder nach vorn schieben, gerät das
Rechts-Links-Zurordnungsschema ins Wanken, bis sich eine neue Rangordnung
der Dimensionen herausbildet.
Das „sozialökonomische Themenfeld“ hat in der Bundesrepublik Deutschland bis
1990 im Gleichklang mit dem „außenpolitischen Politikfeld Ost-West-Konflikt“
die Rechts-Links-Zuordnung geprägt. Der Gleichklang dieser beiden Dimensionen
hat die außerordentliche Stabilität des altbundesdeutschen Parteiensystems
mitbewirkt. Erst mit der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986, dem
Zusammenbruch des Ostblocks 1989/90 und der öffentlichen Wahrnehmung der
demographischen Ungleichgewichte schoben sich neue Politikfelder auf die
obersten Ränge und destabilisierten das überkommene Parteiensystem, vor allem
die „Frage des Umweltschutzes“ und die „Frage der privaten Lebensformen
incl. der Geschlechterfrage“. Infolgedessen traten Unsicherheiten über die
Einordnung der Partei der Grünen auf, die diese beiden Politikfelder offensiv
besetzte.
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Schwer absehbar war, inwieweit diese aufsteigenden Politikfelder die Dominanz
des sozialökonomischen Politikfeldes würden erschüttern können, nachdem der
Ost-West-Konflikt als wichtige Orientierungsgröße zurückgefallen war.
Im Deutschen Kaiserreich strukturierte sich das Rechts-Links-Kontinuum nach
dem Themenfeld „Legitimität des politischen Systems“, ergänzt um die
allmählich nach vorn drängende Dimension der „wirtschaftlichen
Verteilungskämpfe“. Das dominante Kriterium lautete: Je näher eine Partei dem
monarchischen Machtanspruch und den dahinter verborgenen adligen Interessen
(Standes- und Wirtschaftsinteressen) stand, um mehr verortete sie sich rechts. Das
heißt: die Deutsch-konservative Partei hatte als äußerst rechte Partei zu gelten.
Relativ spät erst brach diese Dominanz-Struktur auf, als sich die Frage der
„imperialistischen Mächterivalität“ und damit verknüpft die Frage nach der
“Lastenverteilung bei der Rüstungsfinanzierung“ in den Vordergrund schob.
Nunmehr wurde die Außenpolitik zu einem gleichrangig dominanten
Einordnungskriterium: Je mehr eine Partei auf imperialistische Machtpolitik setzte
und konsequenterweise auf massive Aufrüstung setzte, um so weiter war sie rechts
zu verorten. Das heißt: die Nationalliberale Partei rückte an die DeutschKonservative Partei heran und begann mit ihr um die äußerst rechte Position des
Parteienspektrums zu konkurrieren.
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Parteienpräferenzen der Wähler und ihre Determinanten
Für die Untersuchung des Wahlverhaltens als Grundlage des Parteienwettbewerbs
liegen unterschiedliche Erklärungsansätze vor.
Soziologische Ansätze rücken sozialstrukturelle Merkmale in den Vordergrund,
um die große Vielzahl individueller Wahlentscheidungen und stabiles
Wahlverhalten erklären zu können.
Makrosoziologische Ansätze heben auf Merkmale ab, die überindividuelle
Gemeinsamkeiten zum Ausdruck bringen:
o Zugehörigkeit zu politisierten Milieu- und Gruppenstrukturen, in die der
einzelne Wähler eingebunden ist;
o Sozialstrukturelle oder kulturelle Merkmale wie Zugehörigkeit zu einem
Berufsstand, einer sozialen Klasse oder Weltanschauungsgemeinschaft, aus
denen sich politische Konfliktlinien ergeben.
Mikrosoziologische Ansätze rücken die Wirkungen der Gruppenzugehörigkeit für
den einzelnen in den Vordergrund:
§ Sozialisationseinflüsse
§ kommunikative Bindungen
§ Abschottung gegen Andersdenkende
§ Gruppendruck
§ Anpassungs- und Harmoniebedürfnisse um der Gruppenzugehörigkeit willen
§ politisch selektive Mediennutzung.
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Die Grenzen zwischen mikrosoziologischen und sozialpsychologischen Ansätzen
sind fließend.
Sozialpsychologische Erklärungsansätze rücken die psychologische Bedeutung
der Inhalte von Wahlalternativen in den Vordergrund:
§ Parteiidentifikation (Bedürfnis nach übergreifender Gruppenidenität unter
spezifisch biographischen Voraussetzungen)
§ Themenorientierung (Interesse für bestimmte Politikbereiche)
§ Kandidatenorientierung (Ausstrahlung der Persönlichkeit)
§ Grundeinstellung zur politischen Kultur (z. B. Toleranzfähigkeit, Sehnsucht
nach dem ‚starken Mann’ und Autoritätsorientierung, Konfliktfähigkeit und
Nähe zu demokratischen Streitkulturen, staatsbürgerliche Verantwortung,
karitative Gemeinwohlorientierung etc.)
Ökonomische Erklärungsansätze stellen rationalistische Motive in den
Mittelpunkt; es geht dabei nicht im engeren Sinne nur um sozialökonomische
Bestimmungsgrößen und das Kalkül wirtschaftlichen Eigennutzes. Die
weitverbreitete sozialwissenschaftliche Handlungstheorie des „Rational
Choice“ steckt den Rahmen ökonomischer Motive weiter ab.
Demnach bestimmt die Haltung des Wählers eine nüchtern abwägende Auswahl
unter mehreren Wahloptionen auf Basis eines persönlichen Nutzenkalküls, wobei
der Nutzen nicht nur wirtschaftliche Interessen einschließt, sondern auch ideelle
Interessen. Z. B. kann den Ausschlag geben, dass eine Partei den moralischen
Grundsätzen eines Wählers im Hinblick auf Sexual- und Familienethik entspricht,
obwohl der Wähler von den betreffenden Grundsätzen in seiner persönlichen
wirtschaftlichen Existenz nicht betroffen ist.
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Das Modell des „Rational-Choice“-Handelns, das ja nüchterne Kosten-NutzenKalküle zugrunde legt, dürfte am ehesten auf die Mentalität des Wechselwählers
zutreffen, auf den psychologische Merkmale wie Anhänglichkeit oder
Verhaltensmaximen wie Treue nicht zutreffen.
Interessant sind die vorgestellten Ansätze, weil sie Erklärungsinstrumente
darstellen, um das Wahlverhalten zu erklären, dabei im einzelnen:
o das Phänomen des Stammwählers und Wechselwählers
o Erosionen der Wählerbindung
o langfristige Wählerwanderungen und -verschiebungen im Zusammenhang
mit einem Wandel des Parteiensystems.
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