Preisträger des Wissenschaftspreises 2005 Univ. Prof. Dr. Wolfgang C. Müller, Mag. Marcelo Jenny, Dr. Barbara Steininger, Dr. Martin Dolezal, Dr. Wilfried Philipp a und Mag. Sabine Preisl-Westphal, „Die österreichischen Abgeordneten. Individuelle Präferenzen und politisches Verhalten.“, WUV Universitätsverlag, Wien 2001 Univ. Ass. Dr. Patricia Heindl, „Die politische Partei im Verfassungsrecht – Parteiendemokratie, Parteienbegriffe und Parteienfreiheit“, Dissertation, Wien 2002 9 Die österreichischen Abgeordneten Individuelle Präferenzen und politisches Verhalten von Wolfgang C. Müller, Marcelo Jenny, Barbara Steininger, Martin Dolezal, Wilfried Philipp, Sabine Preisl-Westphal (Wien, WUV Universitätsverlag, 2001, 571 Seiten) Das Buch Die österreichischen Abgeordneten untersucht die politische Tätigkeit der österreichischen Parlamentarier / Parlamentarierinnen. Die wichtigste und allgemeinste Frage ist: Was tun Abgeordnete in Ausübung ihres Mandats? Parlamente sind die "Schlüssel-Institutionen" moderner Demokratien; als "multi-funktionale Institutionen" erfüllen sie eine Vielzahl von Aufgaben: vor allem Gesetzgebung, Herstellung von Öffentlichkeit, Kontrolle der Regierung, Vermittlung zwischen den Staatsbürgern /Staatsbürgerinnen und der Politik auf gesamtstaatlicher Ebene. Entsprechend vielfältig sind die Aufgaben der Abgeordneten. Die zweite Forschungsfrage, die im Buch Die österreichischen Abgeordneten gestellt wird, ist die nach dem Selbstverständnis der Parlamentarier / Parlamentarierinnen, also wie diese ihren Beitrag zum Funktionieren der österreichischen Demokratie selbst sehen. Die Schwerpunkte von Die österreichischen Abgeordneten sind • die Arbeit der Abgeordneten im Wahlkreis (Zeiteinsatz, Kontakte, Aktivitäten, ...) • die Rolle der parlamentarischen Fraktionen für die Arbeit der Abgeordneten (wie sehr stimmen die politischen Präferenzen der Abgeordneten ein und derselben Fraktion überein und welche Unterschiede gibt es zwischen den verschiedenen Fraktionen; wie sehen die Abgeordneten ihre Parteien und Fraktionen, woran orientieren sie sich bei ihren Entscheidungen, welche 10 Muster der Entscheidungsfindung gibt es in den Fraktionen und wie laufen die Entscheidungsprozesse in der Praxis ab; und schließlich die Fraktionskohäsion, also wie geschlossen die parlamentarischen Klubs tatsächlich agieren), • die Arbeit der Abgeordneten im Parlament (Spezialisierung, Einsatz parlamentarischer Instrumente, Konzentration auf verschiedene Phasen des parlamentarischen Geschehens, ...), • die Öffentlichkeitsarbeit der Abgeordneten, • die Querverbindungen zwischen einerseits Abgeordneten- und andererseits Partei- und Verbandstätigkeit außerhalb des Parlaments, • Veränderungen in Themenschwerpunkten und Tätigkeitsprofilen während der Abgeordnetenkarriere, • die Auswirkungen der Europäischen Integration auf die Arbeit der Abgeordneten, • die Arbeit der Mitglieder des Bundesrates. Die Tätigkeit der Abgeordneten in all diesen Bereichen wird – angeleitet von den Fragestellungen der internationalen Forschungsliteratur – zunächst deskriptiv dargestellt. Es handelt sich um die erste derartige Untersuchung der Abgeordneten zum Nationalrat und Mitglieder des Bundesrates, die je in Österreich durchgeführt wurde. Zweitens versucht das Buch Die österreichischen Abgeordneten unterschiedliche Ausprägungen des Amtsverständnisses und des Verhaltens im Amt mit der Hilfe von unabhängigen Variablen zu erklären. Welche Zusammenhänge zwischen den unabhängigen Variablen und dem politischen Verhalten der Abgeordneten erwartet werden können, wird im ersten Kapitel auf der Basis der internationalen Forschungsliteratur diskutiert. In den folgenden Kapiteln werden diese Erwartungen über Faktoren empirisch überprüft, die das Verhalten und das Selbstverständnis der Abgeordneten beeinflussen, wobei sich folgende Faktoren als bedeutende erweisen: 11 • - die einzelnen Parteien, mit ihrer unterschiedlichen Geschichte und Organisation, • - der Status als Regierungs- oder Oppositionsparteien, • - Kandidaturtyp (Regionalwahlkreisliste bis Bundesliste bzw. Kombination dieser Kandidaturmöglichkeiten, also Mehrfachkandidaturen), • - Mandatstyp (Regionalwahlkreisliste bis Bundesliste), • - Wahlkreischarakter (von großstädtisch bis ländlich), • - die Wahlkreisbindung der Abgeordneten (durch Wohnsitz im Wahlkreis, im Wahlkreis verbrachte Zeit, der Ausübung lokaler Ämter), • - die Stellung der Abgeordneten in der politischen Hierarchie (Spitzenpolitiker, mittlere Führungsebene, "Hinterbänkler") bzw. bestimmte politische Funktionen (z.B. Bereichssprecher), • - das Dienstalter, • - Funktionen in den Verbänden der Sozialpartnerschaft, • - Geschlecht. Drittens werden im Buch Die österreichischen Abgeordneten verschiedene Abgeordneten-Typen identifiziert. Es wird u.a. untersucht, in welchem Verhältnis Parlamentsarbeit und Wahlkreisarbeit zueinander stehen, ob die von Parlamentskennern gerne unterschiedenen Typen „Wahlkreisabgeordneter“ und „Politikspezialist“ tatsächlich existieren. Dabei zeigt sich, dass die Realität komplexer ist: Im Hinblick auf die Spezialisierung der Abgeordneten werden Generalisten, Spezialisten und Hinterbänkler unterschieden, im Hinblick auf die parlamentarische Arbeit insgesamt werden fünf Typen herausgearbeitet: Zuschauer / Zuschauerin, Berichterstatter / Berichterstatterin, Showhorses, Workhorses und Vorzeigeparlamentarier / Vorzeigeparlamentarierin. Diese Typen implizieren keine normativen Wertungen, denn das Parlament muss als Teil des 12 politischen Systems begriffen werden, in dem die Aufgaben der Abgeordneten ausdifferenziert und zum Teil spezialisiert sind und in dem parlamentarische Funktionen im engeren Sinne zusammen mit außerparlamentarischen Funktionen wahrgenommen werden. Welche Abgeordneten-Typen in einem Parlament vorhanden sind und wie sich die Abgeordneten auf diese Typen verteilen, ist allerdings ein wesentliches, beschreibendes Charakteristikum des Parlamentarismus und des politischen Systems eines Landes. Die Datenbasis Die vorliegende Studie basiert auf einer außerordentlich breiten Basis quantitativer und qualitativer Daten. Diese wurden in persönlichen Interviews mit den Abgeordneten und der schriftlichen Beantwortung von Fragen gewonnen. Darüber hinaus wurden Daten über das tatsächliche Verhalten für jeden einzelnen Abgeordneten / jede einzelne Abgeordnete erhoben und weitere quantitative und qualitative Daten gesammelt. Die persönlichen Interviews mit den Abgeordneten erfolgten nach der aufwendigsten aber potentiell ertragreichsten Methode der Befragung: mit offenen Fragen, also Fragen ohne Antwortvorgaben, und durch vorbereitete follow-up Fragen durch die Interviewer. Ergebnis dieser Interviews waren Interviewprotokolle, welche die Antworten der Abgeordneten in verbatimer Form erfassen. Die Interviews werden in dem Buch für zwei Zwecke genutzt. Erstens wurden die Antworten codiert und sind Basis der quantitativen Analyse. Zweitens dienen die Interviewprotokolle als Quelle für illustrative Zitate, welche die Tätigkeit und das Amtsverständnis der Abgeordneten möglichst plastisch und realitätsnah darstellen; sie sind gewissermaßen das Fleisch um das Knochengerüst der quantitativen Analyse. Die Datenerhebung war außerordentlich erfolgreich: Alle 183 Abgeordneten zum Nationalrat (100 %) konnten persönlich interviewt werden. Zusätzlich wurden 35 Mitglieder des Bundesrates (55 %) befragt. 13 Die Abgeordneten wurden auch gebeten, einen umfangreichen Fragebogen – diesmal fast ausschließlich mit geschlossenen Fragen, also mit vorgegebenen Antwortalternativen – auszufüllen. Insgesamt betrug die Rücklaufquote bei den Nationalratsabgeordneten 75 %; von den mündlich befragten Mitgliedern des Bundesrates kamen 22 Fragebögen zurück, das ist eine Rücklaufquote von 63 % (bzw. 34 % der Mitglieder dieser Kammer). Diese Rücklaufquote ist im Vergleich zu den bei schriftlichen Befragungen in anderen Ländern erzielten sehr gut. Das Buch Die österreichischen Abgeordneten stützt sich weiters auf eine breite Palette von echten Verhaltensdaten, d.h. die Informationen über das Verhalten der Abgeordneten stammen nicht aus deren Befragung sondern aus der Aufzeichnung ihres tatsächlichen Verhaltens in den Dokumentationen des Parlaments. Zum Teil war es möglich, auf Daten zurückzugreifen, die das Verhalten der Abgeordneten objektiv und genau dokumentieren. Bei der Auswertung der parlamentarischen Materialien wurden einerseits quantitative Indikatoren erfasst, wie z.B. die Anzahl der von den Abgeordneten gestellten Anfragen, die Anzahl der von ihnen gehaltenen Plenarreden etc. Andererseits wurden zum Teil auch die qualitativen Dimensionen dieser Aktivitäten ausgelotet, indem z.B. berücksichtigt wurde, ob die einzelnen parlamentarischen Anfragen einen Bezug zum Wahlkreis des Fragestellers haben und ob sie eine kritische, neutrale oder positive Tendenz aufweisen. Darüber hinaus werden in Die österreichischen Abgeordneten biographische Informationen, insbesondere Positionsdaten – also die von den interviewten Abgeordneten ausgeübten Parteifunktionen, lokalpolitischen Ämter, parlamentarischen Funktionen – und die Dauer ihrer Parlamentszugehörigkeit auf der Basis verschiedener Quellen erfasst. Weitere verwendete quantitative Daten beziehen sich auf die Medienpräsenz der interviewten Abgeordneten. All das wird ergänzt durch qualitative Informationen aus Interviews mit Parlamentskennern (z.B. Medienexperten). 14 Das Buch Die österreichischen Abgeordneten leistet sowohl eine qualitative Beschreibung der Abgeordnetentätigkeit in ihrer großen Vielfalt als auch deren Quantifizierung, die notwendigerweise eine Vergröberung ist. Bei jeder Quantifizierung gehen Nuancen verloren, unterschiedliche Strategien der Akteure, die hinter demselben berichteten (oder beobachteten) Verhalten stehen, verschwinden. Daher wurde in Die österreichischen Abgeordneten viel Wert auf die qualitative Analyse der gesammelten Daten gelegt, vor allem bei der Auswertung der Darstellung ihrer Arbeit durch die Abgeordneten selbst. Wenn ein bestimmtes Phänomen zwar facettenreich beschrieben werden kann, aber keine Aussagen über seine Häufigkeit und die typischen Bedingungen, unter denen es auftritt, getroffen werden können, bleiben wesentliche Fragen aber unbeantwortet. Daher ist Quantifizierung der empirischen Beobachtungen und die sozialwissenschaftliche Erklärung von Regelmäßigkeiten durch bi- und multivariate Verfahren eine ebenso wichtige Methode. Internationale Vergleiche Die österreichischen Abgeordneten nimmt immer wieder Bezug auf relevante Forschungsergebnisse zu Parlamenten und dem Amtsverständnis und Verhalten von Abgeordneten in anderen Staaten. Zum einen geht es bei der Auswertung ausländischer Erfahrungen um die Identifizierung von relevanten Fragestellungen und Hypothesen. Zum anderen liefert der Vergleich Anhaltspunkte für die Interpretation der empirischen Forschungsergebnisse. Auch wenn der Vergleich auf Grund der Datenlage oft nur punktuell erfolgen kann, liefert er nützliche Maßstäbe, die es erlauben, nationale Besonderheiten und Parallelen zu identifizieren. Einige Ergebnisse Im Folgenden werden einige konkrete Ergebnisse präsentiert. Es handelt sich dabei um die Antworten auf die allgemeine Frage nach den Aufgaben und Pflichten der Abgeordneten, die am Beginn des jeweiligen Interviews gestellt wurde. Wie Tabelle 1 zeigt, 15 haben die Abgeordneten dabei ganz verschiedene Dimensionen ihrer Tätigkeit angesprochen. Abgeordnete der Regierungsparteien, die naturgemäß einen größeren Einfluss auf die Gesetzgebung nehmen können, haben diesen häufiger erwähnt als Abgeordnete der Opposition. Allerdings sind diese Unterschiede nicht sehr stark ausgeprägt. Auch die Abgeordneten der Opposition müssen sich mit den Gesetzesvorlagen auseinandersetzen, manchmal sogar intensiver als die Abgeordneten der Regierungsparteien, welche sich zum Teil auf "ihren" Minister verlassen können. Knapp drei Viertel der Abgeordneten haben in der Darstellung ihrer Aufgaben verschiedene Aspekte der parlamentarischen Arbeit im engeren Sinne angeführt, alle Mandatare / Mandatarinnen sind aber in der Darstellung ihrer Aufgaben weit über das Parlament hinausgegangen. 60 Prozent haben einen spezifischen Politikbereich genannt, 37 Prozent haben ihre Rolle als Vermittler zwischen Wahlkreis und Parlament betont, ein Viertel hat konkrete politische Ziele und Anliegen genannt und sieben Prozent haben auf internationale Aufgaben verwiesen. Tabelle 1: Die wichtigsten Aufgaben und Pflichten der Abgeordneten (in Prozent) (Mehrfachnennungen) (Frage: "In Ihrer Rolle als Abgeordneter/Abgeordnete, was sind da Ihre wichtigsten Aufgaben und Pflichten?") S V F L G Großp. Kleinp. Reg. Opp. NR BR Parlamentsfunktionen Gesetzgebung 72 81 69 67 67 74 67 76 68 73 69 Öffentlichkeit 41 44 57 56 100 46 78 42 63 49 51 7 8 19 22 56 10 39 7 25 13 17 73 77 62 44 33 72 39 75 55 68 77 Kontrolle der Regierung Repräsentationsschwerpunkt Vertretung der Wähler 16 Vertretung best. Bevölkerungsgruppen 20 21 19 0 44 20 22 20 20 20 23 Aufgabenbereiche Parl. Arbeit allgemein 70 75 71 89 78 72 83 72 75 73 71 Bestimmter Politikbereich 56 54 71 67 67 59 67 55 70 60 51 Kommunikation WK–Parl. 44 40 31 11 11 39 11 42 25 37 43 Politische Ziele, Anliegen 21 21 41 11 22 26 17 21 33 25 29 4 10 7 11 0 7 6 7 7 7 0 (71) (52) (42) (9) (9) (165) (18) (123) (60) (183) (35) Internationale Arbeit (n) Welche Aktivitäten setzen die Abgeordneten, um ihre Aufgaben zu erfüllen? Tabelle 2 fasst jene Aktivitäten zusammen, welche die Abgeordneten spontan als ihre wichtigsten genannt haben. Parlamentsarbeit. Entsprechend der starken Betonung der Gesetzgebung bei ihren Aufgaben haben zwei Drittel der Abgeordneten die Ausschussarbeit im Parlament als eine ihrer wichtigsten Aktivitäten genannt. Konventionelle (Reden halten) und unkonventionelle (Aktionismus) Plenartätigkeit war nur für ein knappes Fünftel der Abgeordneten erwähnenswert. Tatsächlich ist ja die Plenartätigkeit, zum Teil auf Grund von Redezeitbeschränkungen, eine Domäne einer relativ kleinen Gruppe von Abgeordneten, während alle Abgeordneten in die Ausschussarbeit eingebunden sind. Bürgerkontakte. Mehr als ein Drittel der Abgeordneten und ein knappes Viertel der Mitglieder des Bundesrates haben spontan die Wahlkreisarbeit als eine ihrer wichtigsten Aktivitäten genannt. 17 Tabelle 2: Die wichtigsten Aktivitäten der Abgeordneten (in Prozent) (Mehrfachnennungen) (Frage: "Was sind Ihre wichtigsten Aktivitäten, um die von Ihnen genannten Aufgaben zu erfüllen?") S V F L G Großp. Kleinp. Reg. Opp. NR BR Parlamentsarbeit Ausschusstätigkeit 67 71 57 67 67 66 67 69 60 66 40 7 17 41 11 22 19 17 12 33 19 23 44 33 41 33 0 40 17 39 33 37 23 7 17 14 0 22 12 11 12 13 12 3 Partei 27 25 26 11 22 26 17 26 23 25 40 Klub 17 31 19 11 22 22 22 23 20 22 17 Politisch-inhaltl. Initiativen/Arbeit 60 39 62 67 67 54 67 51 63 55 57 Öffentlichkeitsarbeit 29 33 55 56 100 37 78 30 62 41 37 Verhandlungen u. Kontakte 29 29 12 11 33 24 22 29 15 24 26 Interventionen bei Behörden u. Reg. 16 15 12 0 11 15 6 16 10 14 11 7 10 10 11 0 9 6 8 8 8 0 Informationen einholen, recherchieren 36 29 52 56 33 38 44 33 50 39 29 Besprechungen 26 25 17 33 33 23 33 25 22 24 31 (70) (52) (42) (9) (9) (164) (18) (122) (60) (182) (35) Plenartätigkeit (Reden, Aktionismus) Bürgerkontakte Wahlkreisarbeit Besuch von Veranstaltungen Parteipolitische Tätigkeit Aktivitäten Aktivitäten auf europ. u. int. Ebene Konkrete Tätigkeiten (n) 18 Parteipolitische Tätigkeit. Ein Viertel der Abgeordneten hat spontan die Parteiarbeit, ein knappes Viertel die Arbeit innerhalb des Parlamentsklubs als eine der wichtigsten Aktivitäten genannt. Die regelmäßige Teilnahme am innerparteilichen Leben, der Besuch von Parteiveranstaltungen, die Abhaltung von Sprechstunden im Kontext der Partei etc. ist für so gut wie alle Abgeordnete ein wichtiger Teil ihrer politischen Tätigkeit. Aktivitäten. Unter diesem Titel ist eine breite Palette unterschiedlicher Aktivitäten der Abgeordneten zusammengefasst. Am häufigsten wurden genannt: politisch-inhaltliche Arbeit, Öffentlichkeitsarbeit, Verhandlungen führen und politische Kontakte pflegen sowie die Interventionstätigkeit, also die Bearbeitung von Anliegen von einzelnen Bürgern / Bürgerinnen, Vereinen, Firmen und Gemeinden. Konkrete Tätigkeiten. Ein gutes Drittel der Abgeordneten hat das Recherchieren und das Einholen von Informationen als eine der wichtigsten Aktivitäten der Abgeordnetentätigkeit identifiziert. Die hier deskriptiv dargestellten Antworten der Abgeordneten erfolgten spontan. Sie zeigen, was die Mandatare / Mandatarinnen unter möglichst identischen Rahmenbedingungen im ersten Augenblick und ohne konkrete Vorgaben durch die Interviewer, aber auch ohne Möglichkeit zur Reflexion, zu ihrer Tätigkeit als Abgeordnete sagen. In den meisten Kapiteln von Die österreichischen Abgeordneten werden diese und weitere Aspekte der Abgeordnetentätigkeit auf der Basis eines umfassenden Frageprogramms weiter beleuchtet. 19 Beitrag zum Verständnis der parlamentarischen Demokratie Insgesamt leistet das Buch Die österreichischen Abgeordneten eine umfassende Analyse der Abgeordnetentätigkeit in Österreich am Ende des 20. Jahrhunderts. Die Autoren und Autorinnen des Buchs sind überzeugt, dass eine realistische Analyse der Arbeit der Abgeordneten und darüber hinaus des Parlaments mehr dazu beiträgt, Verständnis und Zustimmung für die parlamentarische Demokratie herbeizuführen, als jede noch so gut gemeinte Idealisierung. 20 Wolfgang C. Müller ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Mannheim und zur Zeit Direktor des Mannheimer Zentrums für Europäische Sozialforschung (MZES). Zuvor war er Ao. Univ. Prof. an der Universität Wien, Research Fellow am Nuffield College, University of Oxford und der Universität Bergen. Er war Gastprofessor an der Universität Mannheim, der Humboldt-Universität zu Berlin, der University of California, San Diego, dem Institute d’Études Politiques de Lille und Joseph A. Schumpeter Fellow an der Harvard University. Zur Zeit gehört er dem Editorial Board der Zeitschriften West European Politics, Party Politics, German Politics und Swiss Political Science Review an. Seine Forschungsschwerpunkte sind politische Institutionen und politische Parteien in Europa, politische Ökonomie und politische Eliten. Zu diesen Themen hat er rund 170 Buchkapitel und Zeitschriftenaufsätze veröffentlicht, unter anderem in den Zeitschriften European Journal of Political Research, Electoral Studies, Journal of European Public Policy, Legislative Studies Quarterly, Party Politics, Political Studies und West European Politics. Neuere Buchveröffentlichungen sind: Handbuch des Politischen Systems Österreichs (Wien: Manz, 1997), Policy, Office, or Votes? How Political Parties in Western Europe Make Hard Decisions (Cambridge: Cambridge University Press, 1999), Coalition Governments in Western Europe (Oxford: Oxford University Press, 2000), Delegation and Accountability in Parliamentary Democracies (Oxford: Oxford University Press, 2003) und Political Parties and Electoral Change (London: Sage, 2004). Im Herbst 2005 erscheint das von Wolfgang C. Müller mitherausgegebene Handbuch Politik in Österreich (Wien: Manz, 2005) 21 Marcelo Jenny, Mag. phil., ist wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Politikwissenschaft III der Universität Mannheim. Zuvor war er wissenschaftlicher Mitarbeiter von SORA (Institute for Social Research and Analysis) und Lehrbeauftragter am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien. Seine Forschungsschwerpunkte sind Parlamente, Parteien und Wahlen. Aktuelle Publikationen: "Business as usual mit getauschten Rollen oder Konflikt- statt Konsensdemokratie?" (Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft 2004, Heft 3, gemeinsam mit Wolfgang C. Müller) sowie "Programme: Parteien im politischen Wettbewerbsraum", in: Herbert Dachs et al. (Hg.), Politik in Österreich. Ein Handbuch (Wien: Manz, 2005) (im Erscheinen). 22 Barbara Steininger, Dr. phil., ist Lehrbeauftragte am Institut für Staatswissenschaft und vergleichende Gesellschaftswissenschaft, am Institut für Politikwissenschaft sowie an der juridischen Fakultät der Universität Wien. Bis 1999 war sie Forschungs- bzw. Vertragsassistentin am Institut für Staatswissenschaft. 1999 erhielt sie die Hertha-Firnberg-Forschungsstelle, derzeit ist sie Leiterin der Landtags- und Gemeinderatsdokumentation im Wiener Stadt- und Landesarchiv. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Politische Eliten, Parlament, Kommunalpolitik, Frauen in der Politik. Aktuelle Publikationen: „Persönlichkeitswahlen in Österreich“, in: Forum Parlament Nr. 1/2003; „Der Wiener Landtag – das unbekannte Wesen im Mehrebenensystem“ in: Ferdinand Opll (Hg.), Studien zu Wiener Geschichte, Jahrbuch des Vereins der Geschichte der Stadt Wien, Band 60, Wien 2004; „Frauen im Parteien- und Regierungssystem“ und „Gemeinden“, beide in Herbert Dachs et al. (Hg.), Politik in Österreich. Ein Handbuch (Wien: Manz, 2005) (im Erscheinen) 23 Martin Dolezal, Dr.phil., geb. 1971 in Wien, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Geschwister-Scholl-Institut für Politische Wissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München und Projektmitarbeiter im Münchner Sonderforschungsbereich „Reflexive Modernisierung“ (SFB 536). Seine jüngste Veröffentlichung befasst sich mit Veränderungen des österreichischen Parteiensystems (Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft 2005, Heft 2). Im Herbst 2005 erscheint ein Beitrag über Landtagswahlkämpfe in Wien von 1945–1969 als Teil eines von Herbert Dachs herausgegebenen Sammelbandes über Wahlkämpfe in den Österreichischen Bundesländern. 24 Wilfried Philipp, Dr. rer.oec.soc., war Universitätsassistent und Lehrbeauftragter am Institut für Wirtschaftswissenschaft bzw. dem Institut für Statistik und Informatik der Universität Wien. Davor war er Stipendiat am Institut für Höhere Studien in Wien. Zu seinen Veröffentlichungen gehören: "Potentials and Limitations of Executive Leadership: The Austrian Cabinet since 1945" (gem. m. P. Gerlich und W.C. Müller), European Journal of Political Research, Vol. 16 (1988); “Prime Ministers and other Government Heads” (gem. m. W.C. Müller), in: J. Blondel/J.-L. Tiebeault (eds.), The Profession of Government Minister in Western Europe (London: Macmillan, 1991) und "Austria: Party Government within Limits" (gem. m. W.C. Müller und B. Steininger), in: Jean Blondel and Maurizio Cotta (eds.), Party and Government (London: Macmillan, 1996). Er arbeitet jetzt für eine große österreichische Bank in Wien. 25 a Sabine Westphal, Mag. phil., ist wissenschaftliche Projektleiterin bei SORA – Institute for Social Research and Analysis. Dem Studium der Politikwissenschaften und der Publizistik- und Kommunikationswissenschaften an der Universität Wien folgten ein Postgraduatestudium der Politikwissenschaften am Institut für Höhere Studien in Wien und die Summer School on European Parties and Party Systems an der Keele University, Großbritannien. Sie ist Mitautorin von Arbeiten zu regionalen Wahlen in Österreich, ein Beitrag zur Zivilgesellschaft erscheint in Politik in Österreich. Ein Handbuch (Wien: Manz, 2005). 26 Die politische Partei im Verfassungsrecht. Parteiendemokratie, Parteibegriffe und Parteienfreiheit von Patricia Heindl Dissertation, Wien 2002 Gegenstand und Aufbau der Arbeit Politische Parteien sind die faktisch wichtigsten Entscheidungsträger im politischen Prozess. Adäquate Regelungen für die Qualität dieses Prozesses sind daher notwendig. Der Bereich, in dem sich die Parteien derzeit bewegen, ist rechtlich weitgehend ungeregelt; das geltende Parteienrecht kann die politische Realität in vielen Punkten nicht oder nur ungenügend erfassen. Motivation für die Wahl des Parteienverfassungsrechts als Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit ist der Eindruck, dass das Recht der politischen Parteien – das Parteienrecht – in weiten Strecken nicht angewendetes Recht darstellt und überdies zahlreiche Lücken aufweist. KELSEN stellte schon im Vorwort zu seinem Werk „Vom Wesen und Wert der Demokratie“ fest, dass „die Demokratie, wie ehedem gegenüber der monarchischen Autokratie, heute gegenüber der Parteidiktatur – von links und rechts – zum Problem“ wird. Dieser Befund hat heute nichts von seiner Bedeutung verloren. Umso wichtiger erscheint es daher, den Bereich des Parteienrechts mit Leben zu erfüllen und ihn mit den realen Gegebenheiten der politischen Welt von heute in Beziehung zu setzen. Eine fundierte Neugestaltung der rechtlichen Regelungen würde der faktischen Bedeutung der Parteien besser entsprechen, als die rudimentären Regelungen des geltenden Parteiengesetzes. 27 Parteienrecht ist, wie Parlamentsrecht, „Recht in eigener Sache“. Damit wird ausgedrückt, dass die Abgeordneten Bestimmungen beschließen, die in erster Linie für sie selbst gelten, dass sie sich also die Spielregeln ihres Handelns selbst geben. Dass sich gerade Parteien in einem relativ rechtsfreien Raum bewegen, ist unter diesem Aspekt auch schädlich für das Vertrauen des Volkes in die Gesetzgebung. Umso wichtiger ist es daher, sinnvolle und sachgerechte rechtliche Regelungen zu finden und umzusetzen. Ziel der Arbeit ist es, die Stellung der politischen Partei im Verfassungsrecht zu beleuchten, Lücken und Ungereimtheiten im Parteienrecht aufzuspüren und den verfassungsrechtlichen Rahmen für mögliche Änderungen abzustecken. Die Arbeit besteht aus drei Teilen. Der erste Teil behandelt die Parteiendemokratie und ihr Verhältnis zum Grundsatz des freien Mandats. Der zweite Teil beleuchtet die drei Parteiformen - politische Partei, Wahlpartei und Parlamentspartei - sowie deren Trennung voneinander und ihr Verhältnis zueinander. Der dritte Teil der Arbeit widmet sich der Parteienfreiheit – dem zentralen Grundrecht der politischen Partei. Ergebnisse der Arbeit Die wesentlichen Ergebnisse der Arbeit können in 13 Punkten zusammengefasst werden: 1. Zwischen Parteiendemokratie und freiem Mandat besteht ein Spannungsverhältnis. Die Verfassungsrechtsordnung betont einerseits die Freiheit und Selbständigkeit des einzelnen Abgeordneten – auch gegenüber seiner Partei und seiner Fraktion; andererseits weist sie den Parteien und Fraktionen eine wichtige Rolle im politischen Willensbildungsprozess zu, was wiederum die verfassungsrechtlich garantierte Freiheit des Abgeordneten gefährdet. In der Verfassungswirklichkeit sind es heute in erster Linie die Parteien und Fraktionen, und nicht Einzelabgeordnete, die den politischen Willensbildungsprozess bestimmen. 28 2. De constitutione lata bezieht sich der Grundsatz des freien Mandats insbesondere auch auf das Verhältnis zwischen Abgeordnetem/Abgeordneter und seiner/ihrer Partei bzw. Fraktion. Das freie Mandat ist damit lex specialis zur Parteiendemokratie. Es setzt einer zu engen Bindung des/der Abgeordneten an seine/ihre Partei und seine/ihre Fraktion Grenzen, schützt ihn/sie vor zu scharfen Disziplinierungsmaßnahmen und garantiert, dass auch dem/der fraktionslosen Abgeordneten die grundlegenden parlamentarischen Rechte zukommen. In Folge dessen stellt der Mandatsverlust eine Verletzung des freien Mandats dar, wenn er durch das Ausscheiden aus der Partei oder aus dem Klub bzw. durch die Vorlage einer so genannten Blankoverzichtserklärung durch die Partei erfolgt. Als Folge aus dem freien Mandat haben Abgeordnete, die aus einem Klub ausgeschieden sind, das Recht, einen neuen Klub zu gründen. Die Klubgründung des Liberalen Forums war daher zulässig. Der „Demokratievertrag“ der FPÖ hingegen ist ein untauglicher Versuch der Bindung der Abgeordneten an die Partei. Die im Vertrag vorgesehenen Sanktionen sind als Folge des freien Mandats in Verbindung mit der beruflichen Immunität der Abgeordneten als nichtig zu bewerten. 3. De constitutione ferenda ist zu überlegen, wie das Gebot des freien Mandats mit der Parteiendemokratie in Beziehung gesetzt werden kann. Die in der Literatur vorgebrachten rechtspolitischen Vorschläge gehen alle in Richtung einer stärkeren Bindung des/der einzelnen Abgeordneten an seinen/ihren Klub. Vordringlich erscheint aber die Demokratisierung des klubinternen und innerparteilichen Willensbildungsprozesses. Erst wenn diese Vorgaben erfüllt sind, könnte auch eine verstärkte Bindung des/der Abgeordneten an Klubbeschlüsse gerechtfertigt werden. 4. Der Begriff der Partei im politischen Bereich ist mehrschichtig. Politische Partei, Wahlpartei und Parlamentspartei (Klub bzw. Fraktion) sind, trotz meist enger Verschränkung in der Praxis, rechtlich voneinander zu trennen. Die Parteiformen unterscheiden sich insbesondere in ihrer jeweiligen Rechtsgrundlage, in ihren Aufgaben, hinsichtlich ihrer Mitglieder und Größe, 29 ihrer Entstehung und Dauer ihrer Existenz sowie ihrer Rechtspersönlichkeit und Rechtsfähigkeit. In vielen Fällen werden die Parteibegriffe jedoch vom Gesetzgeber, wie auch von Rechtsprechung und Lehre uneinheitlich verwendet. Daraus und aus der Kollision der Parteiformen entstehen rechtliche Unklarheiten, die auch den beiden bedeutendsten parteienrechtlichen VfGHErkenntnissen der letzten Jahre – zur Klubbildung des Liberalen Forums und zur Acht-Wochen-Frist für die Antragstellung auf Wahlkampfkostenerstattung – zu Grunde liegen. 5. Der Dualismus von politischer Partei und Wahlpartei ist ein Spezifikum des österreichischen Parteienrechts. Im Erkenntnis zur Antragsfrist auf Wahlkampfkostenerstattung (VfSlg 14.803) hat der VfGH erstmals einen „verfassungsrechtlichen Zusammenhang“ zwischen den beiden Parteiformen konstatiert. Indem er aber Grundsätze, die für eine Parteiform gelten, unterschiedslos auch für die andere Parteiform anwendet, ignoriert der Gerichtshof diesen Dualismus. De facto wurde mit dem Erkenntnis der Anspruch auf Wahlkampfkostenerstattung auf Gruppierungen ausgedehnt, die ihrem Wesen nach bloße Wahlparteien sind. 6. Die Stellung der politischen Partei im Verfassungsrecht wird im Wesentlichen durch die Parteienfreiheit gemäß Art. I Abs. 3 Parteiengesetz iVm Art 11 EMRK bestimmt. Die Parteienfreiheit ist das bedeutendste Grundrecht der politischen Partei; die verfassungsrechtlichen Wurzeln der Parteienfreiheit liegen in der Vereinsfreiheit und im Wahlrecht. Die Parteienfreiheit ist lex specialis zur Vereinsfreiheit. 7. Die Parteienfreiheit weist individuelle und kollektive Komponenten auf. Sie beinhaltet das Recht, eine Partei zu gründen sowie das Recht auf freie Betätigung der Partei. Wichtige Unterpunkte sind die Programmfreiheit und die Satzungsfreiheit. Weiters sind in der Parteienfreiheit folgende Rechte enthalten: das Recht einer Partei beizutreten bzw ihr nicht beizutreten und sich in ihr zu betätigen, das Recht auf freien Bestand der Partei, das Recht der Partei sich selbst aufzulösen und das Verbot der zwangsweisen 30 Auflösung. 8. Der Parteienfreiheit kommt in all den genannten Facetten Grundrechtsqualität zu. Sie ist ein politisches Grundrecht, obwohl sie kein institutionalisiertes Mitwirkungsrecht an der staatlichen Willensbildung gewährleistet. Auch ist in der Parteienfreiheit der Doppelcharakter von „status negativus“ und „status activus“ zu Grunde gelegt, der alle politischen Grundrechte kennzeichnet. Sie ist auch Ausdruck eines demokratisch-funktionalen Grundrechtsverständnisses. Denn der Grundrechtsträger – die politische Partei – existiert als Rechtspersönlichkeit primär um an der politischen Willensbildung mitzuwirken. Die Parteienfreiheit steht damit in besonderem Maße im Dienste des demokratisch-politischen Prozesses. 9. Die Gründung einer politischen Partei ist in Österreich besonders einfach. In Überbetonung der Parteienfreiheit hat der Gesetzgeber wesentliche Lücken im Parteiengesetz gelassen. So gibt es keine Behörde und kein Verfahren zur Prüfung der ohnehin minimalen Gründungsvoraussetzungen. Der Gesetzgeber hat aber auch auf eine Definition seines Regelungsgegenstandes – also der politischen Partei – verzichtet. Die Aufgaben der Parteien werden nur rudimentär umschrieben und die Anforderungen an die Parteisatzung sind ebenfalls als mangelhaft zu bezeichnen. Dagegen ist das Fehlen eines innerparteilichen Demokratiegebots eher als Folge einer im Vergleich zum deutschen Parteiengesetz unterschiedlichen Demokratiekonzeption zu sehen. 10. Das österreichische Parteiengesetz enthält keinen Parteiverbotstatbestand und kein Parteiverbotsverfahren. Es ist somit Ausdruck einer neutralen Demokratiekonzeption. Der österreichische Verfassungsrechtsbestand enthielt aber schon vor Schaffung des Parteiengesetzes Elemente, die Ausdruck einer wehrhaften Demokratiekonzeption sind. Das Wiederbetätigungsverbot nach dem Verbotsgesetz und dem Staatsvertrag von Wien setzt damit der freien Gründung und Betätigung politischer Parteien Grenzen. Die prozessuale Durchsetzung dieses de facto bereits bestehenden Parteiverbots ist aber denkbar unbefriedigend 31 geregelt. Die ständige Judikatur des VfGH hat die These der absoluten Nichtigkeit von Parteigründungen und -betätigungen, die das Wiederbetätigungsverbot verletzen und die „Incidenter-Prüfung“ dieses Umstands durch jede Behörde im und für den Anlassfall bekräftigt. Diese Situation schafft aber Rechtsunsicherheit und kann eine effektive Durchsetzung des Wiederbetätigungsverbots nicht gewährleisten. 11. Mit dem Verbot der Beschränkung durch „besondere“ Rechtsvorschriften wollte der Gesetzgeber offensichtlich eine weitgehend „absolute“ Freiheit der Parteibetätigung schaffen. Das Verbot der einfachgesetzlichen Beschränkung durch jegliche parteienspezifische Regelung kann jedoch nicht lückenlos durchgehalten werden; es kann unter Umständen auch anders verstanden werden. Mit Blick auf Grundrechte, die einer vergleichbaren Grundrechtsschranke unterliegen, wird hier das verbotene „besondere“ Gesetz im Sinne eines beweglichen Systems definiert; dies erfolgt anhand verschiedener Kriterien, insbesondere des Adressatenkreises, der Zielrichtung und des Effekts der Beschränkung. 12. Die geltenden Finanzkontrollbestimmungen und Parteispendenregelungen des Parteiengesetzes werden von der Lehre – mit unterschiedlichen Begründungsansätzen – als mit der Parteienfreiheit vereinbar beurteilt. Grundsätzlich besteht auch ein verfassungsrechtlicher Spielraum für Verbesserungen in diesem Bereich. Diese sollten etwa eine namentliche Veröffentlichungspflicht von großen Parteispendern sein und auch die Einführung einer institutionalisierten externen Kontrolle der Parteifinanzen. 13. Das Privatrundfunkverbot für politische Parteien ist eine – nach der herrschenden Lehre verbotene – besondere Rechtsvorschrift, da sie eine parteienspezifische Beschränkung darstellt. Will man hingegen das Privatrundfunkverbot als zulässiges allgemeines Gesetz bewerten, dann hat es einer Abwägung mit dem Ziel der Sicherung eines unabhängigen 32 Rundfunks standzuhalten. Unter der Voraussetzung, dass ausreichend Frequenzen vorhanden sind, kann ein Privatrundfunkverbot für politische Parteien nicht gerechtfertigt werden. Dies ist umso mehr der Fall, als den Parteien durch die jüngst erfolgte Abschaffung der so genannten Belangsendungen in Verbindung mit dem Werbeverbot im ORF jeder selbstgestaltete Zugang zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk verwehrt ist. 33 Patricia Heindl, Dr. iur., geboren am 10. Mai 1971, in Wien, feierte ihre Sponsion zur Magistra der Rechtswissenschaften an der Universität Wien im November 1995. Daneben studierte sie auch Politikwissenschaft und Fächerkombination. Ihr Studienaufenthalt am Max-Planck-Institut für Ausländisches Öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg vertiefte ihre wissenschaftliche Auseinandersetzung. Seit März 1997 war sie als Vertragsassistentin und seit Oktober 1998 ist sie als Universitätsassistentin am Institut für Verfassungs- und Verwaltungsrecht (nunmehr Institut für Österreichisches und Europäisches Öffentliches Recht) an der Wirtschaftsuniversität Wien tätig. In der Zeit von Mai bis Oktober 1997 war sie zusätzlich als Referentin für Gleichbehandlungsfragen im Grünen Parlamentsklub im Rahmen einer Karenzvertretung teilzeitbeschäftigt. Von 2000 bis 2004 war Patricia Heindl auch im Vorstand des AssistentInnenverbandes sowie in Arbeitsgruppen zur Universitäts- und Dienstrechtsreform an der Wirtschaftsuniversität Wien. Die Promotion zur Doktorin der Rechtswissenschaften erfolgte im Juli 2002 an der Universität Wien mit der nun ausgezeichneten Arbeit. Ihre Arbeitsschwerpunkte umfassen verschiedenste Bereiche des Verfassungs- und Verwaltungsrechts. Ausgehend von ihrer Dissertation an der Universität Wien 2002 und der Publikation über „Parteispenden: Transparenz versus Parteienfreiheit – Finanzkontrollbestimmungen für politische Parteien aus verfassungs- und parteienrechtlicher Sicht“, ZfV 2000, 370, betrifft dies vor allem das Parteien- und Parlamentsrecht. Patricia Heindl beschäftigt sich auch intensiv mit Fragen der Partizipation und direkten Demokratie. So hielt sie z.B. 1997 einen 34 Vortrag über „Direkt-demokratische Instrumente in der Bundesgesetzgebung Österreichs“ vor der Ungarischen Akademie der Wissenschaften und der Friedrich-Ebert-Stiftung in Budapest. Ihre neueste Publikation auf diesem Gebiet ist ein Beitrag zu „Partizipation und demokratische Kontrolle: das Spannungsfeld zwischen BürgerInnenmitbestimmung und repräsentativer Demokratie – wer darf wo und wie mitgestalten?“ in: Graf / Breiner (Hrsg), Projekt Österreich: in welcher Verfassung ist die Republik? Wien 2005, 107. In einem weiteren Arbeitsschwerpunkt widmet sich Patricia Heindl den neuen demokratiepolitischen Wegen des E-Voting und EGovernment aus verfassungsrechtlicher Sicht. In diesem Rahmen war sie u.a. als Mitglied in der Arbeitsgruppe E-Voting des Bundesministeriums für Inneres sowie in einem interdisziplinären Forschungsprojekt an der Wirtschaftsuniversität Wien tätig. Der Beitrag „Elektronische Demokratie”dienstleistungen” des Staates: E-Voting, E-Legislation, E-Participation“, in: Prosser / Krimmer (Hrsg), e-Democracy: Technologie, Recht und Politik, Wien 2003, 175 ist nur eine von zahlreichen Publikationen zu diesem Thema. Weitere Forschungsfelder betreffen das Universitätsrecht und das Gleichbehandlungsrecht sowie das Europäische Verfassungsrecht. Der Einstieg von Patricia Heindl in die Volksanwaltschaft erfolgte im März 2005. Sie ist als Fachreferentin im Büro Volksanwalt Dr. Kostelka tätig und erfüllt diese Aufgabe parallel zu ihren universitären Tätigkeiten. 35 Impressum Medieninhaber: Margaretha Lupac – Stiftung für Parlamentarismus und Demokratie A – 1017 Wien, Parlament F.d.I.v: Dr. Susanne Janistyn (für die Margaretha Lupac – Stiftung) Univ. Prof. Dr. Wolfgang C. Müller Univ. Ass. Dr. Patricia Heindl Bildnachweis: Ansicht Parlament (Hintergrundbild), AnnABlaU Foto S. 3, Copyright Margaretha Lupac - Stiftung Foto S. 9, Atelier A.C. Schiffleitner Fotos S. 21, 23, 24, 25, 34, privat Foto S. 22, Copyright Ulli Engleder Fotostudios, Linz Foto S. 26, SORA Design des Covers, Bernhard Kollmann Druckerei Fischer K.G. (Cover) Hausdruckerei des Parlaments (Kern) 36