Jean-Martin Charcot 1825 – 1893 Der französische Arzt gilt als Begründer der modernen Neurologie. Er wurde in ganz Europa bekannt für seine Behandlung der Hysterie unter Einsatz von Hypnose. Das Porträt ist ein Ausschnitt aus einem Gemälde von Andre Brouillet. Das Gehirn ist eine Illustration aus Charcots „"Lectures on the diseases of the nervous system." Sein wohl berühmtester Schüler ist weit über die Kreise der Psychotherapeuten hinaus einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden - Jean-Martin Charcot selbst hat einen weitaus geringeren Bekanntheitsgrad als der Schüler. Dieser Schüler war Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse. Freud erlernte bei JeanMartin Charcot 1885 die Technik der Hypnose. Jean-Martin Charcot wurde am 29. 11.1825 in Paris geboren, sein Vater war Handwerker und arbeitete als Wagenbauer. Nach dem Abitur studierte er an der Universität Sorbonne Medizin. Sein Sohn, Jean-Baptiste Charcot, studierte auf Wunsch des Vaters ebenfalls Medizin, betätigte sich aber danach als anerkannter Polarforscher. Auf einer Forschungsreise kam der Sohn 1936 bei einem Schiffsunglück vor Island ums Leben. Jean-Martin Charcot promovierte 1853 mit einer Studie über Gelenkrheumatismus und arbeitete danach als Arzt an verschiedenen Krankenhäusern, bevor ihm 1860 eine Professur für pathologische Anatomie in Paris angeboten wurde. Von 1860 bis 1893 erforschte er als Professor schwerpunktmäßig die Anatomie und Pathologie des Nervensystems. Bereits im Jahr 1862 wurde ihm eine Stelle als Chefarzt an der berühmten Klinik Salpetriere angeboten, die damals mit etwa 6000 Betten ein sehr großes Haus war. Dieses Krankenhaus in Paris existiert noch heute, hier starb Josephine Baker und Prinzessin Diana wurde nach ihrem Autounfall dort eingeliefert. Charcots herausragende wissenschaftliche Leistung wurde 1882 mit der Berufung auf die weltweit erste Professorenstelle für die Erkrankungen des Nervensystems belohnt. Zu Recht gilt er als Begründer der modernen Neurologie. Zahlreiche neurologische Krankheitsbilder tragen seinen Namen. Die amyotrophe Lateralsklerose, auch Charcot Krankheit genannt, beschrieb er als erster. Diese Erkrankung des Rückenmarks führt zu Muskelschwund und Lähmungen, die an den Extremitäten beginnen und sich langsam auf den gesamten Körper ausbreiten. Die Ursache ist eine Degeneration der motorischen Nervenzentren im Rückenmark. Eine kausale Therapie ist bisher noch nicht möglich, man kann nur das Fortschreiten mit einem speziellen Medikament verlangsamen. Unter der Abkürzung ALS ist sie im Jahr 2014 durch die IceBucket-Challange ins Blickfeld einer breiten Öffentlichkeit gelangt. Als Charcot Syndrom wird die Claudicatio intermittens bezeichnet, bei der die Kranken beim Gehen schon nach kurzer Zeit wegen der starken Schmerzen in den Beinen eine Pause einlegen müssen. Die schlechte Durchblutung der Beine führt zu den Schmerzen beim Gehen. Im Volksmund hat sie daher den Namen „Schaufenster-Krankheit“ erhalten. Wie bei einem Schaufensterbummel bleibt man immer wieder stehen, weil man der Schmerzen wegen eine Pause einlegen muss. Der Begriff Charcot-Fuß bezeichnet eine durch Diabetes bedingte Nervenschädigung am Fuß. Betroffen sind die Gelenke und die Knochen am Mittelfuß, wobei fast immer nur ein Fuß von der Krankheit betroffen ist. Die Knochen am Fuß werden weich und brechen, ohne dass dabei Schmerzen gespürt werden, was auf die Nervenschädigung zurückgeführt wird. Jean-Martin Charcot forschte intensiv in seinem Fachgebiet. So finden sich im wissenschaftlichen Lexikon der Medizin unter seinem Namen allein 12 Krankheitsbilder. Neben speziellen neurologischen Diagnosen beschäftigte sich Charcot in seinen späteren Jahren mit der Behandlung der damals weitverbreiteten Hysterie. Als Hysterie bezeichnete man vielfältige körperliche Beschwerden, wie Erbrechen, Genitalblutungen, eingebildete Schwangerschaften, aber auch Lähmungen, Stimmlosigkeit, Muskelkrämpfe, den Verlust von Erinnerungen und Sensibilitätsstörungen. Der große hysterische Anfall war durch starke Krämpfe, den unkontrollierten Schleuderbewegungen der Arme und einem ostentativen Herzeigen des Unterleibs in Rückenlage gekennzeichnet. Eine Affinität zum Sexualakt ist unverkennbar. So kommt der Name der Krankheit auch von der griechischen Bezeichnung für die Gebärmutter hystera. Für die vielfältigen Erscheinungsformen des teilweise dramatischen Krankheitsbildes konnten keine organischen Ursachen gefunden werden. Vorwiegend Frauen zeigten die zum Teil sehr ausgeprägten Symptome der Hysterie. Viele Mediziner waren damals auch der Ansicht, dass es sich nicht um Kranke, sondern um Simulanten handeln musste. Charcot war einer der ersten, der die Kranken ernst nahm und ihre Beschwerden nicht als Einbildungen betrachtete. Charcot legte Wert auf bildliche Dokumentation. Er arbeitete viel mit dem neuen Medium der Fotografie und erstellte Bildserien von seinen Patientinnen; sein Assistent, der Anatom, Maler und Bildhauer Paul Richer, erstellte Zeichnungen nach Charcots Skizzen. In Frankreich hatten sich seit längerem die Ärzte Bernheim und Liebeault sowie der Aristokrat Puysegur mit der Methode der Hypnose beschäftigt. Auch Charcot studierte das interessante Verfahren und setzte es als einer der ersten in der Therapie der Hysterie ein. Die Hypnose ist ein wissenschaftliches Verfahren, bei dem eine tiefe Entspannung des Patienten durch den Therapeuten herbeigeführt wird. Der Körper befindet sich dabei in einem erholsamen Zustand, der Ähnlichkeiten mit dem Schlaf aufweist. Daher kommt auch der Name Hypnose, denn hypnos ist die griechische Bezeichnung für den Schlaf. Im Gegensatz zum Körper sind das Bewusstsein und der Intellekt hellwach und aktiv. Dieser Zustand wird als Trance bezeichnet. Jetzt sind die Patienten für Suggestionen empfänglich. Die landläufige Ansicht, in Trance wäre der Patient willenlos und dem Hypnotiseur völlig ausgeliefert, stimmt in keiner Weise. Zu jeder Zeit kann der Patient frei entscheiden, ob er den Suggestionen des Therapeuten zustimmt und sie umsetzen möchte. Alles geschieht immer mit dem Einverständnis des Patienten. Sofort kann er auch ohne die Hilfe des Hypnotiseurs den Zustand der Trance beenden. Was passiert im Körper, wenn er in Trance versetzt wird? Die Veränderungen sind inzwischen wissenschaftlich erforscht worden. Pulsfrequenz und Blutdruck werden gesenkt. Bei Patienten, die unter einem erhöhten Blutdruck leiden, bleibt die Blutdrucksenkung auch noch längere Zeit nach der Hypnose bestehen. Im EKG treten längere ST-Strecken auf, die auf einen Rückgang der Erregung hinweisen. Die Atemfrequenz sinkt und die Atemzüge werden flacher. Durch die verstärkte Durchblutung der peripheren Blutgefäße erlebt der Patient eine wohlige Wärme des gesamten Körpers. Auch die Laborwerte verändern sich signifikant. Die Zahl der Erythrozyten, also der roten Blutkörperchen, erhöht sich. Ebenso vermehren sich die Lymphozyten und hier besonders die für die Immunabwehr wichtigen T- und B- Zellen. Der Körper befindet sich in einem angenehmen Zustand der Erholung und der Ruhe. Durch spezielle Suggestionen kann in Trance eine Analgesie, also eine weitgehende Schmerzfreiheit erreicht werden, so dass sich chirurgische und zahnärztliche Eingriffe auch ohne Narkose durchführen lassen. Neben den hier beschriebenen somatischen sind für die Psychotherapie vor allem die psychischen Veränderungen durch die Hypnose von Bedeutung. Im Zustand der tiefen Entspannung steigern sich die Fähigkeiten der Empfindung und der Erinnerung. So kann sich der Patient durch vorsichtige Suggestionen des Therapeuten an längst vergessene und verdrängte Erlebnisse und Ereignisse aus seinem Leben erinnern. Bis in die frühe Kindheit lassen sich die Lebenswege zurückverfolgen. Die Traumata des früheren Lebens sind wie unter einer Decke des Vergessens verborgen und werden durch einen vorsichtigen Blick unter diese Decke wieder bewusst. In Trance schaut der Patient, wie im Film, auf die Bilder längst vergangener Stationen seines Lebens. Neben den Bildern werden auch die damaligen Gefühle der Situation wieder lebendig. So ist es möglich, sich die Erlebnisse des ersten Schultags, den Auszug des Vaters aus der elterlichen Wohnung oder die Ängste im Krankenhaus bildhaft vor Augen zu führen. Wird die Hypnose ohne Suggestionen durchgeführt, so erleben die Patienten den Zustand der tiefen Entspannung als sehr erholsam. In diesem Fall spricht man von einer Leerhypnose, die allein der Entspannung dient. Wie verläuft nun eine Hypnose? Die falschen Darstellungen von Hypnosen in Spielfilmen lassen das Verfahren in einem geheimnisvollen Licht erscheinen. Da schaut der Bösewicht im Film mit erhobenen Händen der schönen, jungen Frau mit starrem Blick tief in ihre Augen und schon sinkt sie willenlos in seine Arme und tut alles, was er möchte. Solche Vorstellungen entspringen allein der regen Fantasie der Filmproduzenten. Faszinierend sind auch die Bühnenvorstellungen mancher Hypnotiseure, die innerhalb weniger Sekunden eine ganze Reihe wildfremder Personen in den Schlaf versetzen und nach kurzer Zeit wieder aufwachen lassen. Dabei spricht der Hypnotiseur beschwörende die Worte: „Du schläfst sofort ein!“ Er steht hinter den Personen, legt die eine Hand auf ihre Stirn und drückt mit der anderen auf eine bestimmte Stelle der Halsschlagader. Dieser Druck auf den Sinus Carotis bewirkt eine kurzzeitige Minderdurchblutung des Gehirns und führt zu einer leichten Ohnmacht. Diese Ohnmacht hat mit der Hypnose keine Gemeinsamkeit. Durch einen leichten Schlag auf den Nacken des Schläfers erwacht dieser aus der angeblichen Hypnose. Für den Laien ungeheuer beeindruckend ist das Erleben der Katalepsie. Der Hypnotiseur gibt dem Patienten die Suggestion, dass seine Muskulatur so starr und unbeweglich ist wie ein Brett sei. Dann legen 2 Personen den in tiefer Trance befindlichen Patienten mit dem Hinterkopf und den Fersen auf 2 Stühle und eine Person setzt sich darauf („Kataleptische Brücke“). Ohne Anzeichen einer Ermüdung kann die Person minutenlang in dieser Position verharren. Solche Demonstrationen rücken die Hypnose in die Nähe von Zauberei und Magie – der Effekt ist aber auch im wachen Zustand möglich! Doch nun zurück zur wissenschaftlichen, zur therapeutischen Hypnose. Sie beginnt damit, dass der Therapeut dem Patienten eine Hypnose vorschlägt und dass dieser sein ausdrückliches Einverständnis erklärt. Die Hypnose lässt sich, je nach Wunsch, in sitzender oder liegender Position durchführen. Durch die Konzentration auf einen bestimmten Reiz wird der Patient in den Zustand der Trance hineingeführt. Dieser Reiz kann das Betrachten der Fingerspitze des Therapeuten, eines Pendels oder einer Kerzenflamme sein. Möglich ist auch die Konzentration auf das Ticken einer Uhr. Eine klassische Induktion ist der taktile Reiz durch das Berühren des Fingers des Therapeuten auf einer Stelle oberhalb der Augenbrauen. Mit ruhiger Stimme fordert der Therapeut den Patienten auf, die Augen zu schließen und sich nur auf die leichte Berührung an der Stirn zu konzentrieren. „Sie spüren meinen Finger. Die Wärme und Schwere des Fingers geht auf Ihren Körper über. Äußere Geräusche sind ganz gleichgültig. Sie hören meine Stimme“. Diese Reduzierung der Kommunikation auf die Stimme des Therapeuten wird als Rapport bezeichnet und vermittelt dem Patienten ein Gefühl der Sicherheit, denn er kann zu jeder Zeit mit dem Therapeuten sprechen und ihm Störungen und Ängste mitteilen. Nun wird der Zustand der Trance durch die folgenden Suggestionen weiter vertieft. „ Der ganze Körper ist angenehm schwer und warm. Das Herz schlägt ruhig und regelmäßig. Die Atmung ist ganz ruhig. Der ganze Körper ist strömend warm. Die Stirn ist angenehm kühl. Die Ruhe wird immer tiefer.“ Der Patient erlebt nun diesen Zustand der allgemeinen Ruhe und Entspannung als ausgesprochen wohltuend und erholsam. Nach einer Zeit wird dann die Trance beendet, indem der Patient aufgefordert wird, die Arme und Beine kräftig zu beugen und zu strecken, tief ein- und auszuatmen und die Augen zu öffnen. Wenn der Patient, wie in diesem Fall, eine Zeit in Trance verbleibt, handelt es sich um eine Leerhypnose. Diese dient nur der Entspannung. Für spezielle therapeutische Interventionen wird der Ablauf entsprechend verändert. Charcot und später auch Sigmund Freud haben die Hypnose zur Behandlung der Hysterie eingesetzt. Im Zustand der Trance ist die Fähigkeit sich zu erinnern deutlich gesteigert. Charcot hatte schon früh erkannt, dass ein psychisches Trauma an der Entstehung der Hysterie einen ganz entscheidenden Anteil hatte. So musste es doch möglich sein, dass sich die Patientinnen in der hypnotischen Trance an dieses Trauma erinnern konnten. Charcot hypnotisierte seine Patientinnen und führte sie in der Trance vorsichtig an die frühen psychischen Traumata heran. Nun erlebten und durchlebten sie die Ereignisse, die bei ihnen zu den Symptomen der Hysterie geführt hatten. Der Ursprung der Symptome liegt in der frühen Kindheit und ist meistens sexueller Natur. Das Kind versteht das traumatische Erlebnis nicht und verdrängt es. Es handelt sich fast immer um sexuelle Verführung und um Missbrauch. Nun wird deutlich, dass fast ausschließlich Frauen unter der Hysterie leiden. Besonders Sigmund Freud war der Ansicht, dass der sexuelle Missbrauch der jungen Mädchen die Ursache der Hysterie darstellte und er entwickelte daraus 1896 seine Verführungstheorie. Das Erinnern und Durchleben dieser Missbrauchserlebnisse in der hypnotischen Trance bewirkte das Verschwinden der hysterischen Symptome. Vergleichbar mit der griechischen Tragödie kommt es durch Erleben und Erinnern zu einer psychischen Katharsis der Seele. Jean-Martin Charcot war ein hervorragender Kenner der hypnotischen Verfahren und demonstrierte sein Können auch gerne im Hörsaal vor seinen Kollegen. Das bekannte Bild des französischen Malers A. Brouilett aus dem Jahr 1887 zeigt Jean-Martin Charcot bei der Hypnose einer Patientin, die sich in tiefer Trance befindet und malerisch in die Arme von Charcots Assistenten Babinski sinkt. Unter der ehrfürchtig staunenden Kollegenschaar befindet sich auch Gilles De La Tourette, der ganz vorne sitzt und eine weiße Schürze trägt. Joseph Babinski hat den Babinski Reflex beschrieben mit dem sich Schädigungen des Rückenmarks diagnostizieren lassen. Ein ganz einfaches Verfahren, dass auch heute noch jeder Arzt kennt und anwendet. Mit der Rückseite des Reflexhammers wird kräftig über den seitlichen Rand der Fußsohle gestrichen. Wenn sich dabei die Großzehe nach oben streckt, so deutet dies Zeichen auf eine Schädigung des Rückenmarks hin. Der Neurologe de la Tourette hat das nach ihm benannte TouretteSyndrom beschrieben. Die Patienten, die unter diesem Syndrom leiden, zeigen unkontrollierte Zuckungen der Gesichtsmuskeln, aber auch der Arme und des Körpers und können ihre spontanen Wutausbrüche nur schwer oder gar nicht unterdrücken. Es ist die bedeutende wissenschaftliche Leistung von Jean-Martin Charcot, erkannt zu haben, dass ein psychisches Trauma zur Hysterie führen kann und dass er die Hypnose zu ihrer erfolgreichen Behandlung eingesetzt hat. Die eigentliche Ursache der Hysterie besteht für Charcot jedoch in einer erblichen Schwäche des Nervensystems. Irrtümlicherweise war er der Ansicht, dass die Hypnotisierbarkeit seiner Patientinnen ein Symptom der Hysterie wäre. Erst im hohen Alter hat er seine Ansichten über die Ursachen der Hysterie und die Hypnotisierbarkeit geändert. Jean-Martin Charcot wurde für seine großen wissenschaftlichen Verdienste mit vielen Ehrungen belohnt. So war er Mitglied der Akademie der Wissenschaften und wurde zum Ritter der Ehrenlegion ernannt. Seine Behandlungserfolge sprachen sich schnell herum und es kamen Patientinnen aus ganz Europa nach Paris, um sich von ihm behandeln zu lassen. Es gab aber auch kritische Stimmen aus dem Kollegenkreis, die Charcot vorwarfen, in einigen Fällen vorschnell und ungerechtfertigt Hysterie diagnostiziert zu haben. Der Schwede Munthe, der zeitweilig bei Charcot studiert hatte, versuchte sogar ein Mädchen aus der Klinik zu befreien, bei der er der Meinung war, dass Charcots Diagnose der Hysterie falsch war. Munthe musste nach diesem Eklat die Klinik verlassen. Jean-Martin Charcot starb am 16. August 1893 an einem Herzinfarkt. Schon seit längerem hat er an einer Koronarinsuffizienz gelitten. Der berühmte Schüler: Sigmund Freud Die erfolgreichen Behandlungen der Hysterie durch Hypnose beschäftigten auch Sigmund Freud in Wien und er entschloss sich, diese Technik zu erlernen. Bisher hatte er als Mitarbeiter im Labor von Professor Brücke am Physiologischen Institut der Wiener Universität mit dem Schwerpunkt der Histologie und Anatomie des Nervensystems gearbeitet und dort eine neue Methode zur Färbung von Nervengewebe entdeckt. Von der späteren psychoanalytischen Behandlung auf der berühmten Couch war diese Forschertätigkeit hinter dem Mikroskop noch weit entfernt. Seine Arbeit im Labor hatte ihn mit großer Zufriedenheit erfüllt, sie wurde aber nur schlecht bezahlt und die die begehrte Assistentenstelle war nicht in Sicht. Wenn er als Arzt in der Klinik oder in einer eigenen Praxis arbeiten wollte, benötigte er für die Zulassung die übliche praktische Tätigkeit an einem Krankenhaus in den verschiedenen Abteilungen. 1882 wurde er von Wiener Allgemeinen Krankenhaus eingestellt und war zunächst in der Inneren Medizin tätig, bevor er dann in die Psychiatrie wechselte. Auch dort blieb er seinem Forschungsschwerpunkt in der Hirnanatomie treu. Seine wissenschaftlichen Erfolge auf diesem Gebiet wurden 1885 mit einer Dozentur für Neuropathologie belohnt. Im Rahmen dieser Dozententätigkeit kam es zu einem Forschungsstipendium in der neurologischen Abteilung der Salpetriere in Paris, deren Chefarzt eben der berühmte Neurologe Jean-Martin Charcot war. Freud war von den Fähigkeiten des großen Neurologen sichtlich beeindruckt und ließ sich von ihm in der Technik der Hypnose unterweisen. Am Ende des 5 monatigen Stipendiums planten beide Neurologen eine gemeinsame wissenschaftliche Studie über hysterische Lähmungen und Freud übersetzte einige Bücher von Charcot in die deutsche Sprache. Die Begegnung mit Jean-Martin Charcot hatte für Sigmund Freud weitreichende Folgen. Kaum wieder in Wien zurück, heiratete er die Hamburger Kaufmannstochter Martha Bernays und eröffnete im Haus Berggasse 19 eine eigene Praxis als Nervenarzt. Im Gegensatz zu seinem Lehrer Charcot, der die Hypnose perfekt beherrschte, war sein Schüler Freud kein so guter Hypnosetherapeut. Daran änderte auch ein Besuch bei den Ärzten Liebeault und Bernheim in Frank- reich nichts. Freud musste für sich ein alternatives Vorgehen entwickeln. So begann er intensive und längere Gespräche mit seinen Patientinnen über den Verlauf und die Entstehung der Hysterie zu führen. Jedes einzelne Symptom und seine Entstehung wurden im Gespräch befragt und untersucht. Um weiter in die Tiefe zu gehen, wendete Freud die Methode der freien Assoziation an, indem er die Patientinnen durch die Frage: „Was fällt Ihnen dazu ein?“ ermunterte, verdrängte und unbewusste Erlebnisse zu erzählen. Im Verlauf dieser Gespräche, in denen die psychischen Bedingungsfaktoren der hysterischen Symptome analysiert wurden, besserten diese sich und verschwanden langsam. In seinem Sprechzimmer in der Berggasse gestaltete Freud für seine Gespräche ein besonderes therapeutisches Setting. Die Patientinnen lagen auf einer bequemen Couch und der Therapeut saß hinter ihnen am Kopfende, denn ohne den Blickkontakt und in entspannter Position war es für die Patientinnen leichter, ihre freien Assoziationen auszusprechen. Mit den Gesprächen und der freien Assoziation war die Psychoanalyse geboren. Später kam dann noch die Arbeit mit den Träumen hinzu. Wäre Sigmund Freud ein guter Hypnosetherapeut geworden, hätte es wahrscheinlich die Psychoanalyse nicht gegeben. Sigmund Freud wurde mit der von ihm entwickelten Psychoanalyse ein weltweit berühmter Mann, als mittelmäßiger Hypnotiseur wäre er mit Sicherheit nicht so bekannt geworden. Die etwas unscheinbar wirkende Couch, auf der im Verlauf von 47 Jahren viele Träume und Assoziationen erzählt und analysiert wurden, steht heute in Freuds letzter Wohnung in London. Sigmund Freud war Jude und musste 1937, damals schon schwer krank, Wien vor der Verfolgung durch die Nazis verlassen. Die Einrichtung seines Sprechzimmers und damit auch die berühmte Couch konnte er mitnehmen. Er starb kurz danach in London. Und heute? Was ist aus der Hypnose geworden, die Jean-Martin Charcot so perfekt, selbst vor einem größeren Publikum demonstrieren konnte? In dem 1100-seitigen Standartwerk „Klinische Psychologie und Psychotherapie“ wird die Hypnose im Kapitel Entspannungsverfahren nur am Rand erwähnt. Breiten Raum nehmen die Progressive Muskelrelaxation und das Autogene Training ein, die als wirksame Verfahren angesehen werden. Es nur wenigen bekannt, dass sich das Autogene Training aus der Hypnose entwickelt hat. Der Internist Johann Heinrich Schultz hatte 1920 die von ihm hypnotisierten Versuchspersonen nach ihren Körperempfindungen in der Trance befragt. Am häufigsten wurden die Empfindungen der Schwere, der Ruhe und der Wärme genannt. Schultz forderte nun die Versuchspersonen auf, sich auf die Vorstellung der Ruhe, Schwere und Wärme zu konzentrieren und, wie in einem stillen Selbstgespräch, sich die Worte Ruhe, Schwere, Wärme vorzusprechen. Er fasste die Worte in leicht verständliche Formeln, die man sich in einer vorgeschriebenen Reihenfolge quasi selbst vorsprechen sollte. Nach einer gewissen Zeit der Übung stellte sich, wie von selbst, der angenehme Zustand der konzentrativen Selbstentspannung ein. Nicht wie bei der Hypnose durch den Therapeuten von außen, sondern selbst gestaltet von innen, kommt es zu dem Zustand tiefer Entspannung. Daher auch der Name autogen, aus sich selbst heraus. Das Training ist praktische eine Selbsthypnose. Die Grundübungen nach J. H. Schultz bestehen aus den folgenden Übungen: „Ich bin ganz ruhig. Mein Körper ist ganz schwer. Ich bin ganz warm. Mein Atem geht ganz ruhig und gleichmäßig. Mein Bauch ist strömend warm. Mein Herz schlägt ruhig, kräftig. Die Stirn ist angenehm kühl“. Zahlreiche wissenschaftliche Studien belegen die Wirksamkeit des Autogenen Trainings als Entspannungsmethode. Es ist weitverbreitet, leicht zu erlernen und ganz einfach durchzuführen. So hat Charcots Hypnose als Ursprung des Autogenen Trainings für die heutigen Entspannungsverfahren grundlegende Bedeutung. Auch Sigmund Freuds Psychoanalyse hat heute noch einen großen Stellenwert bei der Behandlung psychischer Störungen. In Deutschland ist die Psychotherapie seit 1999 gesetzlich geregelt. Sowohl Ärzte als auch Psychologen dürfen psychotherapeutisch tätig sein, wenn sie eine entsprechende Weiterbildung in den therapeutischen Verfahren erfolgreich abgeschlossen haben. Die Wirksamkeit der Verfahren wird mit wissenschaftlichen Studien überprüft und von den Krankenkassen anerkannt. Erst dann können die Psychotherapeuten ihre Therapie mit den Krankenkassen abrechnen. Von den Kassen zugelassen sind die Verhaltenstherapie, die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und die Psychoanalyse. Bei den Psychologen haben 47% eine Ausbildung in der Verhaltenstherapie und 11% sind in der Psychoanalyse ausgebildet. 64% der Ärzte, die psychotherapeutisch tätig sind, verfügen über eine Ausbildung in der tiefenpsychologischen Therapie und 15% sind in der Psychoanalyse qualifiziert. In der Psychotherapie zählt die von Sigmund Freud begründete Psychoanalyse auch heute noch zu den wissenschaftlich begründeten und erfolgreichen Verfahren. Der Begriff der Hysterie wird in der Psychotherapie heute nicht mehr verwendet, obwohl es viele Patienten gibt, die an Schmerzen, Erbrechen, Sexualstörungen, Lähmungen, Blindheit, Taubheit und Anfällen leiden, für die sich trotz intensiver Diagnostik keine organischen Ursachen finden lassen. Seit 1980 werden diese Beschwerden als somatoforme Störungen bezeichnet. Die schwerwiegenden Störungen, wie Lähmungen, Blindheit oder Krampfanfälle werden als Konversionsstörungen bezeichnet und treten nur sehr selten auf. Schmerzstörungen und hier besonders die Rücken- und Kopfschmerzen, bilden die weitaus größte Gruppe der somatoformen Störungen. Ein großer Anteil der Patienten kommt auch heute noch mit somatoformen Störungen in die Praxen der Psychotherapeuten. Verwendetes Material Porträtmontage Porträt Ausschnitt aus Andre Brouillet: „Charco demonstriert Hypnose nach http://de.wikipedia.org/wiki/Jean-Martin_Charcot und http://baillement.com/image-quarte/charcot-doigt.gif Gehirn aus "Lectures on the diseases of the nervous system." by J.M. Charcot, nach Brown University Library Exhibits https://repository.library.brown.edu/studio/item/bdr:86871/ Hintergrund Eigene Grafik Bilder im Text Charcot-Fuß http://de.wikipedia.org/wiki/Charcot-Fu%C3%9F Fotos Hysterie http://psychology.about.com/od/hindex/f/hysteria.htm http://theeyeoffaith.com/2013/11/05/manic-monday-charcots-medical-muses/ Zeichnungen Hysterie Kataleptische Brücke medical-muses/ http://areyoumental.tumblr.com/page/4 http://theeyeoffaith.com/2013/11/05/manic-monday-charcots- Charcot demonstriert Hypnose Charcot mit Ehrenzeichen http://en.wikipedia.org/wiki/Jean-Martin_Charcot http://de.wikipedia.org/wiki/Jean-Martin_Charcot Freud und Couch http://wiev1.orf.at/stories/105005 Porträtfoto J.H. Schultz http://www.hypnose-kikh.de/museum_de/schultz.jpg Text Norbert Boss; Lexikon Medizin; München 1996 Udo Derbolowsky; Wer mich nicht liebt, Basel 1991 Peter Hofstätter; Psychologie, Frankfurt 1972 Klaus Thomas; Praxis des Autogenen Trainings, Stuttgart 1989 Thomas Köhler; Das Werk Sigmund Freuds, Lengerich 2014 Gerhard Susen; Therapeutische Hypnose, Melsungen 1990 Hans-Ulrich Wittchen, Jürgen Hoyer; Klinische Psychologie und Psychotherapie, Berlin 2011 hhtp: Wikipedia.org; Jean-Martin Charcot