Geldpolitik öffnet ein Zeitfenster

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15.10.12
Geldpolitik öffnet ein Zeitfenster | Finanz Und Wirtschaft
KOMMENTARE
16:13 11. OKT 2012
Geldpolitik öffnet ein
Zeitfenster
AYMO BRUNETTI
"Die EZB steht hier mit
eineinhalb Beinen im
Bereich der Monetisierung
der Staatsschuld."
Der Hochseilakt der Europäischen Zentralbank mit dem
Einsatz von Outright Monetary Transactions befreit die
Eurozone von akuter Absturznot – einstweilen. Ein
Kommentar von Aymo Brunetti.
Big Bazookas bringt man in der Regel eher
Zur Person
mit hemdsärmeligen Actionfilmen in
Aymo Brunetti ist Professor
Verbindung als mit der distinguierten
am Departement
Volkswirtschaftslehre der
Welt von Zentralbanken. Dennoch wurde
Universität Bern und Direktor
in den letzten Monaten im
des Center for Regional
Zusammenhang mit der Eurokrise auch in Economic Development.
seriösen Medien immer wieder darüber
gerätselt, ob die Europäische Zentralbank irgendwann zur BazookaOption greifen würde. Gemeint war damit die direkte Beeinflussung
der Zinsniveaus der Krisenländer durch potenziell unlimitierte Käufe
von Staatsanleihen. Der einerseits eher unpassende, andererseits
martialische Begriff sollte klarmachen, dass es sich hier um etwas
Ungewöhnliches und gleichzeitig sehr Durchschlagkräftiges handelt.
Am 6. September war es dann tatsächlich so weit: Mit der
Ankündigung der sogenannten Outright Monetary Transactions
(OMT) erklärte sich die EZB unter bestimmten Bedingungen zu einer
derart weitgehenden Intervention bereit. Obwohl die EZB keinen
einzigen zusätzlichen Euro ausgab, fielen die Zinsen auf Staatsanleihen
der Krisenländer sofort substanziell.
Die OMT sind beileibe nicht der erste Versuch der EZB, gegen die
Verwerfungen der Eurokrise anzugehen. Seit dem Beginn der
Krisenbekämpfung im Mai 2010 beobachten wir eine Art SchwarzerPeter-Spiel zwischen den Regierungen der Euroländer und der EZB,
bei dem die beiden Parteien sich die Verantwortung für die
Krisenbekämpfung immer wieder gegenseitig zuschieben. An sich
sollte die Rollenverteilung hier klar sein, weil die wirklichen Ursachen
der Eurokrise eindeutig in der Finanzpolitik und der allgemeinen
Wirtschaftspolitik und nicht in der Geldpolitik zu suchen sind. Sowohl
die strukturelle Staatsverschuldung der Krisenländer als auch die
grossen Ungleichgewichte in den Leistungsbilanzen sind
www.fuw.ch/article/geldpolitik-offnet-ein-zeitfenster/
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realwirtschaftliche Phänomene. Entsprechend sollte die
Hauptverantwortung der Krisenbekämpfung bei den Regierungen der
Eurostaaten liegen.
OMT – ein ganz anderes Kaliber
Andererseits drohen bei jedem Aufflackern der Krise
selbstverstärkende Bankenkrisen, die rasend schnell ausser Kontrolle
geraten könnten. Und eine solche Panik kann nur eine Organisation
bekämpfen, die sofort auf europäischer Ebene handlungsfähig ist und
nicht zuerst nationale Parlamente befragen muss. Entsprechend ist es
kaum überraschend, dass, wenn immer es kritisch wurde, die EZB mit
ständig schärferer Munition eingesprungen ist. Das war ab Mai 2010
mit dem umstrittenen Security Market Program der Fall und ging ab
Dezember 2011 mit den Long Term Refinancing Operations weiter.
Angesichts der Grösse der involvierten Volkswirtschaften, aber auch
des Ausmasses der Probleme war dies offensichtlich nicht genug.
Schon nach kurzer Zeit verpuffte der Effekt nach jeder Aktion im
Rahmen dieser Programme, und das Fieber der Eurokrise stieg sehr
rasch wieder.
Die Tatsache, dass die EZB nun die OMT explizit weder zeitlich noch
vom Umfang her beschränkt und als unlimitiert bezeichnet, ist der
entscheidende Unterschied zu all ihren bisherigen Massnahmen. Sie
spielt damit eine Karte, über die nur eine Organisation verfügt, die die
Möglichkeit hat, unbeschränkt Liquidität zu schaffen. Zudem verstärkt
sie die Massnahme, indem sie hier auf den bis dahin beanspruchten
bevorzugten Gläubigerstatus verzichten will. Wie glaubwürdig die so
demonstrierte Entschlossenheit wirkte, zeigten die Marktreaktionen,
die deutlich kräftiger ausfielen als bei allen früheren Versuchen. Auch
mehr als einen Monat nach der Ankündigung sind die Zinsniveaus der
beiden Hauptadressaten der Massnahme – Spanien und Italien –
deutlich niedriger als noch Ende August. Der EZB ist es mit dieser
Massnahme offensichtlich geglückt, die Lage nachhaltiger zu
beruhigen.
Bevor wir die alles andere als unerheblichen Risiken der Aktion
ansprechen, sollen zuerst einige Vorzüge hervorgehoben werden. Als
Erstes zu erwähnen ist, dass die Gefahr eines unkontrollierten
Auseinanderbrechens des Euroraums deutlich reduziert wurde. Die
Aussicht auf das mit so einem radikalen Schritt verbundene
allgemeine Chaos war sicher mit ein Grund für die sich ständig
erhöhenden Zinsen der Staatsanleihen dieser Länder. Wäre dieser
Prozess wie im Sommer weitergegangen, hätten die Märkte
irgendwann daran zu zweifeln begonnen, dass die Länder die Zinslast
noch bewältigen können. Das hätte die Gefahr einer sich selbst
verstärkenden Abwärtsspirale mit unkontrolliertem Staatsbankrott
und letztlich dadurch ausgelöstem Austritt aus der Eurozone
heraufbeschwören können. Mit der Ankündigung der OMT rückte
dieses von der EZB etwas kryptisch als Konvertibilitätsrisiko
bezeichnete Horrorszenario wieder in den Hintergrund.
Ein zweiter Vorteil der Aktion ist, dass die EZB die Unterstützung klar
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an die Vorgabe knüpft, dass ein Land ein formelles, strukturelles
Anpassungsprogramm unter dem Rettungsschirm durchlaufen muss,
will es von OMT profitieren. Mit dieser Konditionalität wird
klargemacht, wo wirkliche Lösungen der Krise ansetzen müssen.
Schliesslich ist auch der Verzicht darauf, eine Zinsobergrenze
festzulegen, positiv zu beurteilen. Die EZB ist so nicht gezwungen, ex
ante ein «richtiges» Zinsniveau anzukündigen, und hat die Flexibilität,
mit den Massnahmen so weit zu gehen, wie es der spezifischen
Situation eines Landes angemessen erscheint.
Trotz dieser Vorzüge ist aber kaum zu bestreiten, dass die Massnahme
Tabus bricht, die noch bis vor kurzem als unantastbar gegolten hatten.
Auch bei grosszügiger In​
terpretation ist die EZB hier mit eineinhalb
Beinen im ​
Bereich der Monetisierung der Staatsschuld. Schliesslich
geht es ziemlich direkt darum, mit letztlich geld​
politischen
Instrumenten gezielt die Zinslast der Staats​
finanzierung einzelner
Länder zu senken. Zudem begibt sich die EZB sehr nahe an die Politik,
da sie den ​
Entscheid über den Einsatz der OMT an die Beurteilung der
Troika darüber knüpft, ob ein Land die Vorgaben eines Programms
unter dem Rettungsschirm einhält. Sei dies nicht der Fall, so hat die
EZB angekündigt, werde sie die OMT stoppen.
Substanzielle Moral-Hazard-Risiken
So gut diese Konditionalität vom Konzept her klingt, so wenig kann
man sich vorstellen, dass die EZB im konkreten Fall wirklich danach
handelt. Würde sie tatsächlich die Käufe von Staatsanleihen eines
Landes gerade dann einstellen, wenn bekannt wird, dass es ein
Programm nicht einhält, so würden die Zinsen dieses Landes mit
Sicherheit nach oben schiessen. Mit dem Entscheid würde die EZB
riskieren, das Land gerade in den Strudel unkontrollierter
Austrittserwartungen zu reissen, den man mit den OMT vermeiden
wollte. Angesichts dieser Risiken kann ein Krisenland praktisch damit
rechnen, dass die EZB gezwungen wäre, die Unterstützung auch dann
fortzusetzen, wenn es ein vereinbartes Programm nicht einhält. Und
das könnte die Reformbemühungen erlahmen lassen. Trotz der
Konditionalität ist es deshalb nicht unwahrscheinlich, dass die OMT
das Moral-Hazard-Risiko noch vergrössern. Es wird ein
ungewöhnliches Fingerspitzengefühl brauchen, um eine Balance zu
finden, welche die Glaubwürdigkeit der EZB erhält und gleichzeitig ein
Anheizen der Krise bei konsequenter Durchsetzung der Konditionalität
vermeidet.
Die ausserordentliche Massnahme der EZB bringt den grossen Vorteil,
dass die Eurozone für eine gewisse Zeit von der dauernden
Absturzgefahr befreit ist. Im Gegensatz zu den bisherigen
Beruhigungsversuchen kauft man sich damit wirklich ein Zeitfenster.
Das ist die grosse Chance für die Krisenländer, wirklich glaubwürdige
– und auch politisch umsetzbare – fiskalische und strukturelle
Reformen aufzugleisen, ohne mit andauernder Krisen​
bekämpfung
beschäftigt zu sein. Es stehen aber wohl nur ein paar wenige Monate
zu Verfügung. Nur wenn dieses schmale Zeitfenster für die Fixierung
nachhaltiger Reformpakete genutzt wird, hat sich der
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ausserordentliche Einsatz der EZB wirklich gelohnt. Wenn nicht,
könnten wir in einigen Monaten zurück im akuten Krisenmodus sein –
dann aber ohne dass noch weitere akzeptable Bazooka-Optionen zur
Verfügung stünden.
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