Welche Rolle spielen schnell evolvierende Gene?

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Karl Schmid,
Max-Planck-Institut für chemische Ökologie, Jena
Diethard Tautz,
Institut für Genetik, Universität zu Köln
Evolutionäre Genomforschung: Welche
Rolle spielen schnell evolvierende Gene?
In den Genomprojekten verschiedener
Modellorganismen werden zahlreiche
Gene entdeckt, die keine Ähnlichkeit zu
anderen Genen aufweisen und daher oft
als orphans bezeichnet werden. Ihre
evolutionäre Herkunft und Funktion
bleiben in der Regel unbekannt. Wir
untersuchten die Hypothese, daß viele
dieser Gene schnell evolvieren und
deswegen ihre Sequenzähnlichkeit zu
Homologen in anderen Arten verlieren.
Eine evolutionäre Analyse zufällig isolierter Gene von D. melanogaster ergab, daß
etwa ein Drittel aller Gene nicht konserviert ist. Interessanterweise werden diese
Gene meist nicht im Rahmen von genetischen oder biochemischen Analysen
entdeckt. Wir vermuten daher, daß sie
nicht an zentralen Prozessen des Stoffwechsels oder an Regulationsprozessen
beteiligt sind, sondern möglicherweise
adaptive trait loci darstellen, die bei der
Anpassung an die artspezifische Umwelt
eine Rolle spielen könnten. Eine systematische Analyse solcher Gene ist mit den
Mitteln der evolutionären Genomforschung
und Bioinformatik möglich.
쑺 Der viel zitierte Spruch des russischamerikanischen Evolutionsbiologen Theodosius Dobzhansky, daß „in der Biologie
nichts Sinn macht, außer man betrachtet es
im Licht der Evolution“, hat im Zeitalter der
Genomprojekte eine neue Bedeutung erfahren [1]. So war die Entdeckung, daß viele
Entwicklungsgene in evolutionär weit entfernten Organismen konserviert sind und
dort identische oder ähnliche Funktionen
ausüben, eine der großen Überraschungen
der molekularen Entwicklungsgenetik. Das
bekannteste Beispiel sind wohl die HOXGene, deren Sequenz, Anordnung im Genom und Expression in vielen Tierstämmen
konserviert sind [2]. Die Möglichkeit, aufgrund dieser Konservierung Homologe von
Entwicklungsgenen aus anderen Phyla mittels Hybridisierung von DNA-Bibliotheken
oder PCR-Amplifizierung zu isolieren und
deren Expression und Funktion zu untersuchen, hat in der vergangenen Dekade zu
einer Renaissance der evolutionären Entwicklungsbiologie geführt.
Weitaus weniger wissen wir dagegen
über Gene, die an der ökologischen Diversifizierung beteiligt sind, sowie über die evolutionären Prozesse, wie neutraler Evolution oder Darwinscher Selektion, die auf diese Gene einwirken. Ein Grund für diese Situation liegt in der Schwierigkeit, Gene für
adaptive Merkmale zu identifizieren, weil
ihre phänotypischen Effekte sehr subtil sein
können.
Diese Situation wird sich aber in naher
Zukunft ändern, weil die wachsende Anzahl
von Genomprojekten evolutionäre Untersuchungen aller Gene eines Genoms ermöglichen. Bisher konzentrierten sich die meisten
Studien auf Fragen zur Konservierung der
Sequenz und Funktion von Genen [3-5]. Ein
Vergleich von Publikationen der letzten Jahre zeigt aber, daß der Anteil von Genen mit
unbekannter Funktion (aufgrund fehlender
Sequenzähnlichkeiten zu Genen bekannter
Funktion) in eukaryontischen Genomen bei
ungefähr 40 % bleibt, obwohl Sequenzdatenbanken exponentiell anwachsen (Abb. 1).
Eine naheliegende Erklärung für die große
Zahl unbekannter Gene (auch orphans genannt) ist die Unvollständigkeit von Sequenzdatenbanken. Mittlerweile sind aber
Genomsequenzen von Vertretern der wich-
Abb. 1: Vergleich des Wachstums von GenBank (Linie) mit dem Anteil von Genen, die in Genomsequenzen identifiziert wurden und deren Funktion unbekannt ist. Die Daten stammen von Veröffentlichungen
partieller oder vollständiger Genomsequenzen folgender Eukaryoten: Saccharomyces cerevisiae,
Caenorhabditis elegans, Arabidopsis thaliana, Drosophila melanogaster, Plasmodium falciparum,
Leishmania major und dem Menschen. Die Jahreszahlen bezeichnen das Jahr der Veröffentlichung.
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quenzähnlichkeit zu Homologen in weit
entfernten Organismen verlieren. Das
schließt aber nicht aus, daß die Faltungsstruktur und Funktion solcher Proteine zu
einem gewissen Grad konserviert sein können [7]. Eine eingehende Analyse der Funktion und Evolution dieser orphans ist außerordentlich interessant, da sie so zahlreich im
Genom vorkommen. Vermutlich liegt bei
ihnen der Schlüssel zum Verständnis dessen,
was den Unterschied zwischen den Spezies
ausmacht.
Genetik adaptiver Evolution
Abb. 2: Vergleich des Anteils synonymer (ds) und
nichtsynonymer (dn) Substitutionsraten zwischen
D. melanogaster und D. yakuba. Die Berechnung
erfolgte nach der Methode von Comeron [18]. Die
in der Hybridisierung genomischer DNA von
D. virilis als schnell evolvierend eingestuften
Gene sind mit einem Stern markiert. Die Werte
der anderen Gene wurden anhand der in
GenBank vorhandenen Sequenzen berechnet.
tigsten eukaryotischen Organismengruppen
in den Datenbanken enthalten, so daß diese Erklärung zunehmend unplausibel wird.
Außerdem wurde die Zahl der in der Natur
vorkommenenden Proteinstrukturdomänen
auf nur wenige Tausend geschätzt [6]. Durch
Duplikation und Rekombination werden
diese vor langer Zeit entstandenen Domänen neu kombiniert, um die in modernen
Organismen beobachtete Proteinvielfalt zu
erzeugen. Als alternative Erklärungen für die
große Zahl von orphans bieten sich an, daß
viele Gene neu entstanden und auf bestimmte evolutionäre Linien (z.B. Insekten,
Wirbeltiere) beschränkt sind oder daß sie
schnell evolvieren und dabei jegliche Se-
Die Funktion von Genen und der von
ihnen kodierten Proteine kann auf verschiedenen Ebenen beschrieben werden: der
genetischen (Auswirkung auf den Phänotyp), zellulären (Lokalisation in der Zelle)
oder biochemischen (Art der katalysierten
Reaktion) Ebene. Gene können aber auch
eine evolutionäre Funktion haben – Konservierung oder Anpassung. Gene mit einer
konservierenden Funktion sind für die fundamentalen Prozesse des Metabolismus
(„Haushaltsgene“) oder in der Entwicklung
und Morphogenese („Bauplan-Gene“) verantwortlich. Es muß jedoch auch Gene geben, die mit der Umwelt interagieren. Beispiele sind Immun- und Resistenzgene zur
Abwehr von Pathogenen und Freßfeinden;
Gene, die die Bandbreite von tolerierten
Umweltbedingungen erweitern (Hitze- und
Kälteschockgene, Gefrierschutzproteine)
und damit das Besiedeln extremer Standorte ermöglichen; Gene, die das Reizspektrum
quantitativ und qualitativ erweitern (Photound Geschmackszrezeptoren); Gene, die an
der reproduktiven Isolation und an Artbildungsprozessen beteiligt sind.
Phänotypische Merkmale, die von dieser Gen-Klasse kontrolliert werden, sind für
die Anpassung an artspezifische Umweltbedingungen wichtig. Deswegen kann man sie
als adaptive trait loci (ATLs) bezeichnen.
ATLs sollten sich durch zwei wichtige Merkmale auszeichnen: Sie sind keine essentiellen Gene (d.h. als Nullmutanten nicht letal), tragen aber signifikant zur Fitness bei;
Ihre Sequenz oder ihre Expressionsmuster
evolvieren schnell, da auch nahe verwandte
Arten in sehr unterschiedlichen Habitaten
leben können [8].
Die zwei wichtigsten Ansätze zur Identifizierung von adaptiven Genen sind die
Kartierung von Genen, die quantitative
Merkmale kontrollieren (quantitative trait
loci, QTLs), und die evolutionäre und genetische Analyse von Kandidatengenen mit
einer bekannten Funktion. Beide Ansätze
sind sehr erfolgreich, haben jedoch auch eine
Reihe von Nachteilen.
Zum Beispiel führt die Kartierung von
QTLs selten direkt zum Gen (oder zur Mu-
tation), welches für einen quantitativen Phänotypen verantwortlich ist; technische und
statistische Probleme limitieren die Identifizierung von QTLs mit geringeren quantitativen Effekten. Weiterhin ist es schwierig,
anhand einer QTL-Analyse zu bestimmen,
ob quantitative Variation das Ergebnis adaptiver Evolution oder anderer, z.B. pleiotroper Effekte ist. Die Untersuchung von
Kandidatengenen ist limitiert, weil die entwicklungsbiologischen und physiologischen
Prozesse der meisten phänotypischen Merkmale derzeit unverstanden sind und somit
nur eine kleine Zahl bekannter Kandidatengene untersucht werden kann. Viele solcher
Kandidatengene wurden in Mutantenscreens isoliert, wo sie als Nullmutanten ausgeprägte Phänotypen zeigen und zur Letalität, Sterilität oder morphologischen Veränderungen führen. Obwohl genetische Variation in solchen Genen phänotypische Variabilität verursachen kann, ist unter Evolutionsbiologen umstritten, ob diese Gene auch
eine wichtige Rolle in der adaptiven Evolution von natürlichen Populationen spielen.
Viele dieser Gene haben nämlich pleiotrope Funktionen, und die meisten Mutationen sind schädlich.
Der rasante Fortschritt zahlreicher Genomprojekte ermöglicht einen neuen Ansatz, adaptive Gene zu identifizieren und
ihre Funktionen mit den Methoden der
funktionellen Genomforschung zu untersuchen. Die Kenntnis vollständiger Genomsequenzen bietet zwei Möglichkeiten, adaptive trait loci zu finden: (1) Die Identifizierung
schnell evolvierender Gene mit Methoden
der Molekularbiologie oder Bioinformatik
oder (2) die Identifizierung von Genen, in
denen vorteilhafte Mutationen fixiert wurden, durch Analyse von gleichmäßig über
das Genom verteilten, hypervariablen
Markern.
Schnell evolvierende Gene
Es gibt bisher nur wenige systematische
Untersuchungen über die Beziehung zwischen der Funktion und der Sequenzkonservierung von Genen. Ein Beispiel ist die
molekulare und genetische Untersuchung
der Adh-Region von Drosophila [9]. Diese
Region wurde einer sättigenden Mutagenese unterworfen mit dem Ziel, die Phänotypen möglichst vieler Gene zu identifizieren.
Zusätzlich wurden etwa 3 Megabasen sequenziert und annotiert. Von den 220 proteinkodierenden Genen, die in der Sequenzanalyse identifiziert wurden, zeigte nur etwa
ein Drittel einen Phänotypen. Von diesen
sind wiederum zwei Drittel in weit entfernten Organismen (Vertebraten, Pflanzen,
Hefe, Prokaryonten) konserviert. Dagegen
haben nur 14% der Gene ohne Phänotypen
eine Ähnlichkeit zu Genen in anderen Ar-
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ten. Zusätzlich werden konservierte Gene
auch stärker exprimiert als nicht-konservierte Gene. Die Identität und Funktion der
meisten phänotyplosen Gene bleibt somit
unbekannt. Es bieten sich mehrere Erklärungen für die geringe Konservierung dieser Gene an:
쑺 Funktionelle Redundanz.
쑺 Eine Funktion als „akzessorisches“ Protein, welches die Funktion von essentiellen, konservierten Genen moduliert.
쑺 Eine spezialisierte Funktion mit wenigen
Interaktionen zu anderen Proteinen; gemeinsame Koevolution wird dadurch möglich.
쑺 Beteiligung an biotischen Interaktionen,
die unter Laborbedingungen nur wenig zu
einem meßbaren Phänotypen beitragen,
aber viele durch Darwinsche Koevolution verursachte Veränderungen zeigen.
쑺 Eine nur selten benötigte Funktion, die
wenig zur Fitness beiträgt.
Einige dieser Hypothesen implizieren das
Fehlen einer essentiellen Funktion und damit auch von Einschränkungen (constraints)
in der Sequenzevolution. Dies führt zu einer schnellen Sequenzdivergenz durch die
Fixierung zahlreicher neutraler Mutationen.
Man sollte sich aber nicht zu der Annahme
verleiten lassen, daß deswegen nur hochkonservierte Proteine oder Proteindomänen
funktionell wichtig sind. Viele dieser Gene
könnten nämlich adaptive trait loci sein, deren schnelle Evolution das Ergebnis gerichteter, Darwinscher Selektion ist.
Um zu klären, welcher Anteil von exprimierten Drosophila-Gene schnell evolviert
und welche Rolle neutrale Evolution beziehungsweise Darwinsche Selektion spielen,
untersuchten wir die evolutionäre Konservierung von zufällig isolierten cDNA-Klonen [10]. Dabei ergab genomische Hybridisierung, daß etwa ein Drittel von 105 getesteten Genen kein Hybridisierungssignal in
D. virilis (40 Mio. Jahre evolutionäre Distanz)
zeigte. In Datenbankvergleichen mit Genen
von Drosophila und anderen Organismen
hatte die Mehrzahl dieser schnell evolvierenden Gene keinen Treffer, während fast
alle konservierten Gene bereits vorher in D.
melanogaster oder anderen Modellorganismen kloniert und sequenziert wurden. Ein
Sequenzvergleich mit homologen Genen aus
der nahe verwandten Art D. yakuba (12 Mio.
Jahre Distanz) bestätigte die schnelle Evolution, da wir eine hohe Zahl von Aminosäureaustauschen beobachten konnten
(Abb. 2). Ein Vergleich der synonymen (kein
Aminosäureaustausch) mit den nichtsynonymen Substitutionsraten zeigte, daß die Proteine relativ geringen Einschränkungen in
ihrer Evolvierbarkeit unterliegen.
Ist die hohe Evolutionsrate das Ergebnis neutraler Evolution oder gerichteter Selektion? Um diese Frage zu beantworten,
bestimmten wir von drei der am schnellsten
evolvierenden Gene den DNA-Polymorphismus in Populationen von D. melanogaster und der nahe verwandten Schwesterart
D. simulans (2 Mio. Jahre Distanz) [11]. Ein
Vergleich von zwischenartlicher Divergenz
mit dem beobachteten Polymorphismus erlaubt das Testen von Modellen neutraler
beziehungsweise adaptiver Evolution. Ein
ungewöhnlich hoher Anteil von Polymorphismen, die den Austausch von Aminosäuren verursachen, kann in diesen Genen beobachtet werden. Keiner der verwendeten
Tests verwarf die Hypothese einer neutralen Evolution, was darauf hindeutet, daß die
Proteine nur geringen Einschränkungen in
ihrer Evolvierbarkeit unterliegen. Wie ein
Vergleich von linienspezifischen Substitutionen (unter Vergleich von D. yakuba als Außengruppe) zeigt, sind die meisten Aminosäureaustausche in zwei der untersuchten
Proteine nachteilig (Abb. 3). Das dritte Protein aber unterliegt vermutlich schwacher
gerichteter Selektion aufgrund der Fixierung
vorteilhafter Mutationen und ist ein Kandidat für einen ATL.
Markeranalyse
Eine weitere Möglichkeit zur Identifizierung von ATLs ist die Verwendung zahlreicher, gleichmäßig über das Genom verteilter polymorpher Marker wie Mikrosatel-
liten oder Einzelnukleotidpolymorphismen
(SNPs). Solche Marker können mit Hilfe
einer vollständigen Genomsequenz und einer physikalischen Karte leicht isoliert werden. Durch die Analyse natürlicher Populationen werden Regionen im Genom identifiziert, in denen die selektive Fixierung adaptiver Mutationen stattgefunden hat. Nach
dem „hitchhiking“-Modell führt eine solche
Fixierung zu einer lokalen Reduzierung des
DNA-Polymorphismus, der mit hypervariablen Markern entdeckt wird (Abb. 4) [12,13].
Die Region, in der das selektierte Gen liegt,
wird durch einen Vergleich zahlreicher Marker in verschiedenen Populationen gefunden. Ist der Polymorphismus eines Markers
in einer Population signifikant erniedrigt,
liegt ein Hinweis auf die adaptive Fixierung
einer vorteilhaften Mutante vor. Eine in
unserer Arbeitsgruppe durchgeführte Pilotstudie mit zehn Mikrosatelliten-Loci in Drosophila konnte mindestens einen selektierten Locus identifizieren [14]. Anschließend
kann man (etwa anhand der Genomsequenz)
Kandidatengene in einer solchen Region
suchen und funktionell charakterisieren.
Gegenwärtig bereiten wir nach diesem Muster systematische Screens nach ATLs in den
Genomen der Maus (Köln) und der Ackerschmalwand Arabidopsis thaliana (Jena) vor,
die einen umfassenden Überblick über die
an Adaptationen beteiligten Gene liefern
sollen.
Abb. 3: Relative Raten-Tests und Verteilung linienspezifischer, fixierter Substitutionen in D. melanogaster
und D. simulans. A. Vergleich der Zahl synonymer (blau) mit nichtsynonymen (rot) Substitutionen. In
allen drei Genen werden mehr nichtsynonyme als synonyme Substitutionen gefunden. Die Differenz
synonymer Substitutionen ist zwischen beiden Linien geringer als die Differenz nichtsynonymer
Substitutionen. B. Verteilung der synonymen und nichtsynonymen Substitutionen entlang der kodierenden Sequenz. Es ist nicht die tatsächliche, sondern eine schematische Verteilung der Substitutionen
dargestellt. Die Signifikanz der ungleichmäßigen Verteilung von Substitutionen wurde mit der Methode
von Tang und Lewontin getestet [19]. In allen drei Genen und beiden Linien sind die synonymen
Substitutionen nicht auf bestimmte Regionen beschränkt, ebenso wie die nichtsynonymen Substitutionen
in D. melanogaster. Dagegen sind bei anon1E9 und anon1G5 in D. simulans die Substitutionen auf
bestimmte Regionen beschränkt. Die Unterschiede in Zahl und Verteilung nichtsynonymer Substitutionen
sind vermutlich auf verschiedene effektive Populationsgrößen von D. melanogaster und D. simulans
zurückzuführen. Die Effizienz der selektiven Fixierung vorteilhafter beziehungsweise der Entfernung
schädlicher Mutationen ist in D. melanogaster im Vergleich zu D. simulans verringert.
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tionelle und strukturelle Genomforschung
haben.
Literatur
Abb. 4: Schema einer selektiven Fixierung nach dem hitchiking-Modell.
A. In einer Population, die sich im Mutations-Drift-Gleichgewicht befindet, entsteht eine neue Mutation
mit einem positiven Selektionskoeffizienten (grün markiert). B. Diese wird in kurzer Zeit wird durch
gerichtete Selektion in der Population fixiert. Benachbarte (und damit mit der vorteilhaften Mutation
gekoppelte) Polymorphismen (grau markiert) werden als „Trittbrettfahrer“ mitfixiert. Nach der
Fixierung sind keine Polymorphismen mehr vorhanden. Die Größe der Region, die durch hitchhiking
fixiert wird, hängt von der Rekombinationsrate ab [12,13]. C. Entstehung neuer, neutraler Polymorphismen durch Mutationen. Sie haben kommen zunächst in niedriger Frequenz vor und erreichen langsam
wieder ein Mutations-Drift-Gleichgewicht.
Ausblick
Die Evolution von Genen und ihr Beitrag zur Adaptation wird nicht nur von ihrer
Funktion bestimmt, sondern auch von Faktoren wie der Populationsgröße oder der
Populationsstruktur einer Art. Ein wichtiger
Aspekt der evolutionären Genomforschung
ist deswegen, genomweite Muster von Polymorphismus und Sequenzdivergenz, die
eine Folge der Populationsgrösse und -struktur sind, von lokalen, durch Selektion verursachten Mustern zu unterscheiden. Ein
rascher Fortschritt in der Entwicklung von
molekularbiologischen und genetischen
Methoden, und eine Verbindung von Methoden der Bioinformatik, molekularen Evolution und Populationsgenetik ermöglichen
die Identifizierung zahlreicher adaptive trait
loci in den Genomen von Drosophila und
anderen Modellorganismen [15-17]. Die genomweite Untersuchung von Sequenzkonservierung und -polymorphismen wird nicht
nur zur Identifizierung vieler adaptiver Gene
führen, sondern auch unser Verständnis über
die Rolle der verschiedenen evolutionären
Mechanismen erweitern. Aus diesem Grund
wird die evolutionäre Genomforschung zunehmend an Bedeutung gewinnen und dabei sicher auch Rückwirkungen auf die funk-
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