Kristallstruktur eines molekularen Schredders

Werbung
Kristallstruktur eines molekularen Schredders
Hemmstoffe des Immunoproteasoms als Medikamente für Autoimmunerkrankungen
Proteasome spalten Proteine in Peptide, die dem Immunsystem auf der Zellober­
fläche zur Unterscheidung zwischen „Selbst“ und „Fremd“ präsentiert werden kön­
nen. Trägt eine Zelle beispielsweise ein virales Peptid auf ihrer Zelloberfläche, so
wird sie vernichtet. Bei Autoimmunerkrankungen wird auch intaktes körpereigenes
Gewebe zerstört. Hierbei spielt das Immunoproteasom eine Schlüsselrolle, sodass
die erstmalige Beschreibung seiner atomaren Struktur die Entwicklung neuer Medi­
kamente ermöglicht.
Zelluläre Funktionen des
20S Proteasoms
Die kürzlich gelöste Kristallstruktur des Immunoproteasoms [1] aus der Maus ergänzt die bisherigen strukturellen Untersuchungen des konstitutiven Proteasoms aus Archaeen [2], der Hefe [3],
sowie dem Rind [4] und zeigt die Unterschiede
zwischen beiden Proteasomtypen auf.
Als Herzstück des sogenannten UbiquitinProteasom-Systems hydrolysieren Proteasome
fehlgefaltete und nicht mehr benötigte Proteine
zu Peptiden und regulieren somit essentielle zelluläre Prozesse wie Zellwachstum und -teilung oder
Signalübertragung [5]. Die generierten Peptide
können weiter zu Aminosäuren zerlegt oder als sogenannte Antigene auf MHC-I Rezeptoren an die
Zelloberfläche transportiert und dem Immunsystem zur Prüfung auf Virusinfektion der Zelle vorgelegt werden. Peptide fremden Ursprungs werden
erkannt und die infizierte Zelle von zytotoxischen
T-Zellen abgetötet. Greift jedoch das Immunsystem unkontrolliert gesundes Körpergewebe an,
entstehen Autoimmunerkrankungen, wie beispielsweise rheumatoide Arthritis, multiple Sklerose oder Lupus. Diese sind insbesondere durch eine
erhöhte Produktion von entzündungsfördernden
Signalmolekülen (Zytokine) gekennzeichnet. Da
Immunoproteasome durch ihre erhöhte Schnittpräferenz nach hydrophoben Aminosäuren die
Hauptproduzenten von MHC-I Liganden sind und
die Zytokinproduktion anregen [6], stellen Sie einen attraktiven Angriffspunkt für Medikamente
gegen Autoimmunerkrankungen dar.
Aufbau des 20S Proteasoms
Alle Proteasome sind aus 14 verschiedenen
Protein­untereinheiten aufgebaut, die in vier aufeinander gestapelten Ringen um eine zentrale
Pore angeordnet sind. Sieben unterschiedliche
α-Untereinheiten (α1-7) bilden die beiden äußeren
Ringe und regulieren den Zugang ins Innere des
Zylinders (Abb. 3A). Die beiden inneren Ringe des
Proteasoms sind aus jeweils sieben verschiedenen
β-Untereinheiten (β1-7) aufgebaut, von denen aber
nur β1, β2 und β5 katalytisch aktiv sind [3]. Da
die drei enzymatisch aktiven Untereinheiten β1c,
β2c und β5c des konstitutiven Proteasoms im Immunoproteasom durch die aktiven Zentren β1i,
β2i und β5i ersetzt sind, unterscheiden sich beide
Proteasomtypen in ihrer Substratspezifität [7].
Proteasomhemmstoffe und ihre
medizinische Bedeutung
Keywords:
Proteasom, Immunsystem,
Medikamentenentwicklung
22 Prof. Dr. Michael
Groll, Center for Inte­
grated Protein Science,
TU München
22 Eva Huber,
Center for Integrated
Protein Science,
TU München
Aufgrund seiner anti-proliferativen und anti-inflammatorischen Eigenschaften wird Velcade, der
bekannteste Proteasominhibitor, für die Behand-
GIT Labor-Fachzeitschrift 5/2012, S. 363–365, WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, GIT VERLAG, Weinheim
www.gitverlag.com
www.git-labor.de
Abb. 1: Überlagerung der β5c-Untereinheit des konstitutiven Proteasoms (A) und der β5i-Untereinheit des Immunoproteasoms (B) jeweils im Inhibitor-freien
und Inhibitor-gebundenen Zustand.
Abb. 2: Übersicht über die Substratspezifitäten des konstitutiven Proteasoms und des Immunoproteasoms.
lung des multiplen Myeloms, einer Blutkrebsart,
eingesetzt und erzielt einen jährlichen Umsatz von
mehr als einer Milliarde US Dollar [8]. Wie alle anderen bisher untersuchten Proteasomhemmstoffe
inhibiert dieser das konstitutive Proteasom und
das Immunoproteasom gleichermaßen [9]. Der
erste selektive Inhibitor des Immunoproteasoms,
ONX 0914 (Abb. 3B), wurde 2009 beschrieben [6].
Die spezifische Hemmung der β5i-Aktivität des
Immunoproteasoms durch ONX 0914 reduziert die
Zytokinkonzentrationen und stellt damit einen
neuen Therapieansatz für verschiedene Autoimmunerkrankungen dar [6].
Strukturanalyse
des Immunoproteasoms
Trotz des hohen therapeutischen Potentials von
ONX 0914 blieb die molekulare Ursache für
dessen Selektivität unklar. Hauptgrund dafür ist
die für eine strukturelle Charakterisierung erforderliche große Menge an Immunoproteasom
und dessen Reinheit. Da die Infektion von
Mäusen mit dem lymphozitären Choriomeningitis-Virus zu einem nahezu vollständigen Ersatz des konstitutiven Proteasoms durch das
Immunoproteasom in der Leber führt, konnten
Proben mit mehr als 90 %-iger Reinheit präpariert werden [10]. Das konstitutive Proteasom
wurde aus den Lebern von Knockout-Mäusen,
die keine Immunoproteasome bilden können,
gereinigt [10]. Beide Proteinkomplexe zeigten
unter verschiedenen Pufferbedingungen Kristallisationstendenz. Optimierte Kristalle wurden mit Hilfe der Röntgenstrukturanalyse untersucht und ermöglichten die Aufklärung der
atomaren Strukturen der beiden Mäuseproteasome [1].
Struktureller Vergleich von Immuno- und
konstitutivem Proteasom
Neben den Apo-Strukturen des Immuno- und des
konstitutiven Proteasoms wurden beide Pro­
teasomtypen im Komplex mit dem Inhibitor ONX
0914 bestimmt. Nur die Kenntnis aller vier Strukturen zusammen ermöglichte es, die molekulare
Ursache für die Selektivität des Inhibitors aufzuklären [1].
Während die β2c- und β2i-Untereinheiten
eine sehr hohe Ähnlichkeit aufweisen und beide eine breite Substratspezifität mit Tendenz
zur Hydrolyse nach basischen Aminosäuren
ausüben, unterscheiden sich die β1c- und β1iUntereinheiten in ihren Substratpräferenzen.
So prozessiert die β1c-Untereinheit Substrate
verstärkt nach sauren Aminosäuren, wohingegen die β1i-Aktivität verzweigte hydrophobe Seitenketten bevorzugt (Abb. 2). Auch
die beiden β5-Untereinheiten hydrolysieren
Peptidbindungen nach apolaren Aminosäuren,
unterscheiden dabei jedoch nach der Größe
der hydrophoben Reste. Die Substratbindetasche der β5c-Untereinheit ist verglichen mit
der β5i-Untereinheit deutlich kleiner, was sich
auf unterschiedliche Konformationen der Ami-
Abb. 3: A) Schematischer Aufbau des Immunoproteasoms (links) und Ribbonplot (rechts). B) Chemische
Struktur des Inhibitors ONX 0914.
nosäure Met45 im Immuno- und konstitutiven
Pro­
teasom zurückführen lässt. Die Komplexstrukturen beider Proteasomtypen mit ONX
0914 zeigen, dass die große Phenylgruppe des
Inhibitors bevorzugt mit der β5i- Untereinheit wechselwirkt, während die Bindung in die
β5c-Untereinheit erhebliche strukturelle Veränderungen erfordert [1] (Abb. 1). Damit ist das
konstitutive Proteasom geeignet, Peptide mit
kleinen hydrophoben C-terminalen Resten zu
spalten, während das Immunoproteasom mit
seinen β1i- und β5i-Untereinheiten Proteinsubstrate sowohl nach kleinen als auch großen
apolaren Aminosäuren hydrolysiert (Abb. 2). Da
hydrophobe C-terminale Seitenketten hoch affine Anker für die Bindung von Peptiden an MHCI Rezeptoren darstellen, erklären diese Strukturdaten auch die herausragende Rolle des
Immunoproteasoms für die Antigenproduktion.
Die Kenntnis der atomaren Strukturen sowie
der feinen Unterschiede zwischen dem konstitutiven Proteasom und dem Immunoproteasom
ermöglichen nun die Entwicklung neuer selektiver Proteasomhemmstoffe und die Optimierung
bereits bekannter für die Behandlung von Krebsund Autoimmunerkrankungen.
Literatur
[1] Huber E. et al.: Cell 148, 727–738 (2012)
[2] Löwe J. et al.: Science 268, 533–539 (1995)
[3] Groll M. et al.: Nature 386, 463–471 (1997)
[4] Unno M. et al.: Structure 10, 609–618 (2002)
[5] Hershko A. und Ciechanover A.: Annu Rev Biochem
67, 425–479 (1998)
[6]Muchamuel T. et al.: Nat. Med. 15, 781−787
(2009)
[7]Groettrup M. et al.: Nat. Rev. Immunol. 10, 73–78
(2010)
[8] Richardson P. G. et al.: Cancer Control 10, 361–369
(2003)
[9] Kisselev A. F. et al.: Chem Biol 19, 99–115 (2012)
[10] Schmidtke G. et al.: J. Biol. Chem. 275, 22056–
22063 (2000)
▶ ▶K o n takt
Eva Huber
Prof. Dr. Michael Groll
Center for Integrated Protein
Science at the Department Chemie
Lehrstuhl für Biochemie
Technische Universität München
Tel.: 089/289-13361
Fax: 089/289-13363
www.biochemie.ch.tum.de/
[email protected]
[email protected]
Herunterladen