Epistemische Logik – Überzeugungs-Revisionen

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Epistemische Logik –
Überzeugungs-Revisionen
Dr. Uwe Scheffler
[Technische Universität Dresden]
Dezember 2010
Raum- und Zeitänderung
Die Veranstaltung wird (weiter mittwochs) auf 12:00 Uhr vorverlegt und findet ab dem 1. Dezember im Raum A418,
Zellescher Weg 17 statt.
Dr. Uwe Scheffler
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Das Problem
1. Alle Seevögel können fliegen.
2. Das Tier im Netz ist ein Vogel.
3. Das Netz wurde auf hoher See eingeholt.
4. Auf See findet man nur Seevögel.
5. Das Tier im Netz kann fliegen.
6. Das Tier im Netz ist flugunfähig.
Tatsache ist, daß es keine logischen Regeln dafür gibt,
welche Überzeugungen aufgegeben werden
müssen.
Problematisch ist, daß man möglicherweise gewisse
Folgen der aufgegebenen Überzeugungen
dennoch erhalten möchte.
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Methodologische Probleme
I
Wie werden die Überzeugungen repräsentiert?
I
Welches Verhältnis besteht zwischen den
repräsentierten Überzeugungen und jenen, die
abgeleitet werden können?
I
Wie wird die Auswahl getroffen, mit der die Konsistenz
hergestellt wird?
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Typen von Überzeugungsrevisionen
Sei K ein Überzeugungssystem in Form einer Menge von
Aussagen, in dem einzelne Aussagen φ akzeptiert oder
nicht akzeptiert werden.
Expansion K wird um φ erweitert, wenn φ zu K mitsamt
allen entstehenden Folgen hinzugefügt wird:
K +φ
Revision K wird durch φ revidiert, wenn φ hinzugefügt,
die entstehenden Widersprüchlichkeiten
durch Ausschließen einiger Aussagen ψ in K
beseitigt werden: K ⊕φ
Kontraktion Ein Satz φ wird aus K entfernt, ohne „Ersatz“
anzunehmen. Zumeist müssen weitere
Formeln entfernt werden: K φ
Definition K + φ =dfn {ψ : K ∪ φ ` ψ}
Auswahlfunktion
⊕ : Überzeugungssysteme × Aussagen −→
Überzeugungssysteme
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Überzeugungszustände
Sprache: Prädikatenlogik, PROLOG, probabilistische
Aussagen, . . .
Logik: klassische Logik, intuitionistische Logik, . . .
Sehr oft: PL1, AL
Oft mindestens: klassische Aussagenlogik als Kern,
kompakt und möglichst entscheidbar
1. Wenn Γ ` φ, dann gibt es ein endliches
∆ ⊂ Γ, so daß ∆ ` φ.
2. Es gibt ein effektives Verfahren mit dem für
alle Γ, φ entschieden werden kann, ob
Γ ` φ.
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Überzeugungsmengen (Belief sets)
Definition: Eine Menge K von Aussagen heißt
Glaubensmenge, wenn sie folgender Bedingung genügt:
(1) Wenn K die Aussage φ logisch impliziert, dann φ ∈ K .
(Integrität)
I
φ ist akzeptiert in K ; falls ∼φ ∈ K ist φ abgelehnt
I
K ist eine partielle subjektive Theorie über die Welt
Definition: Eine endliche Menge BK ⊂ K für eine
Überzeugungsmenge K heißt Überzeugungsbasis, wenn
gilt:
Cn(BK ) = K
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Überzeugungszustände und mögliche Welten
Propositionen sind Mengen von möglichen Welten
Sätze drücken eine Proposition aus, wenn sie genau
in den möglichen Welten wahr sind, die
Elemente der Proposition sind
Mögliche Welten als Überzeugungszustände: Zu jeder
Menge möglicher Welten WK definiere ein K als Menge
aller Sätze, die in allen Elementen von WK wahr sind. K
erfüllt (1), ist also Überzeugungszustand.
Überzeugungszustände zu möglichen Welten: Definiere zu
jedem K eine Menge WK von konsistenten maximalen
Erweiterungen von K .
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Das Problem der Herkunft
foundations Grundlegungen heißt, keine
ungerechtfertigten Aussagen zu akzeptieren.
Einen rationalen Wechsel vollzieht man durch
Aufgeben der (nun) ungerechtfertigten und
Aufnehmen der (neuen) gerechtfertigten
Sätze.
coherence Kohärenz heißt, untereinander vereinbare
Satzsysteme zu behandeln. Einen rationalen
Wechsel vollzieht man durch Herstellen von
Konsistenz bei minimalen Veränderungen.
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AGM für Revisionen
⊕1. Für jedes φ und jede Überzeugungsmenge K ist K ⊕φ
eine Überzeugungsmenge.
⊕2. φ ∈ K ⊕φ.
⊕3. K ⊕φ ⊆ K + φ.
⊕4. Wenn ∼φ 6∈ K , dann K + φ ⊆ K ⊕φ.
⊕5. K ⊕φ = K⊥ dann und nur dann, wenn ` ∼φ.
⊕6. Wenn ` φ ≡ ψ, dann K ⊕φ = K ⊕ψ.
Kompositionelle Postulate:
⊕7. K ⊕φ ∧ ψ ⊆ (K ⊕φ) + ψ.
⊕8. Wenn ∼ψ 6∈ K ⊕φ, dann (K ⊕φ) + ψ ⊆ K ⊕φ ∧ ψ.
Folge unter anderem:
K ⊕φ = K ⊕ψ dann und nur dann, wenn
ψ ∈ K ⊕φ und φ ∈ K ⊕ψ.
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AGM für Kontraktionen
1. Für jedes φ und jede Überzeugungsmenge K ist K φ
eine Überzeugungsmenge.
2. K φ ⊆ K .
3. Wenn φ 6∈ K , dann K φ = K .
4. Wenn nicht ` φ, dann φ 6∈ K φ.
5. Wenn φ ∈ K , dann K = (K φ) + φ.
(recovery)
6. Wenn ` φ ≡ ψ, dann K φ = K ⊕ψ.
Kompositionelle Postulate:
7. K φ ∩ K ψ ⊆ K φ ∧ ψ.
8. Wenn φ 6∈ K φ ∧ ψ, dann K φ ∧ ψ ⊆ K ψ.
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Kontraktionen und Revisionen
(2) K ⊕φ
=dfn
(K ∼φ) + φ
Levy-Identität
Theorem: Wenn eine Kontraktionsfunktion (1-4,6)
erfüllt, dann gelten für die Revisionsfunktion nach (2)
(⊕1-⊕6). Auch ⊕7, ⊕8 lassen sich aus 7, 8 erhalten.
(3) K φ
=dfn
K ∩ K ⊕∼φ
Harper-Identität
Theorem: Wenn eine Revisionsfunktion (⊕1-⊕6) erfüllt,
dann gelten nach (3) für die Kontraktionsfunktion (1-6),
entsprechendes für die Bedingungen 7 und 8.
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Wie modelliert man Kontraktionen?
Definition:
I K 0 ist genau dann eine maximale Untermenge von K
die φ nicht impliziert, wenn
1. K 0 ⊆ K ;
2. φ ∈
6 Cn(K 0 );
3. für alle K 00 für die gilt K 0 ⊆ K 00 ⊆ K : φ ∈ Cn(K 00 ).
I
K ⊥φ bezeichnet die Menge aller maximalen
Überzeugungs-Untermengen von K , die φ nicht
implizieren.
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Maxichoice
Sei γ eine Auswahlfunktion, die für gegebene K und φ ein
Element aus K ⊥φ auswählt:
(4) K φ = γ(K ⊥φ), falls nicht ` φ – ansonsten K φ = K
F Wenn ψ ∈ K und ψ 6∈ K φ, dann
ψ ⊃ φ ∈ K φ für alle K .
fullness
TH: Jede Kontraktionsfunktion mit (1-6,F) kann durch
eine maxichoice-Kontraktionsfunktion generiert
werden.
TH: Jede Revision aus solch einer Kontraktion (mit (2),
Levy, ∼φ ∈ K ) enthält für jede Formel diese oder ihre
Negation.
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Full meet
(5) K φ = ∩(K ⊥φ), falls K ⊥φ 6= ∅ – ansonsten K φ = K
I K φ ∧ ψ = K φ ∩ K ψ
TH: Jede Kontraktionsfunktion mit (1-6,I) kann durch
eine full meet-Kontraktionsfunktion generiert werden.
TH: Jede Revision aus solch einer Kontraktion (mit (2),
Levy, ∼φ ∈ K ) genügt K ⊕φ = Cn(φ).
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Partial meet
Sei γ eine Auswahlfunktion, die für gegebene K und φ
eine Untermenge von K ⊥φ auswählt:
(6) K φ = ∩γ(K ⊥φ)
TH: erfüllt 1-6 genau dann, wenn es eine partial
meet-Kontraktion ist.
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Entrechment
Epistemische Verschanzung einer Aussage
I Aussagen sind unterschiedlich wichtig für
Planung, Untersuchungen, Erörterungen.
I Nicht alle Aussagen werden bei
Kontraktion und Revision gleich
behandelt.
I Besser verschanzte Aussagen werden
später aufgegeben.
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Postulate für Verschanzung
φ ≤ ψ heißt:
„ψ ist mindestens ebenso stark verankert, wie φ “
und ist definiert bezüglich einer gegebenen
Überzeugungsmenge K .
E1 Wenn φ ≤ ψ und ψ ≤ ξ, dann φ ≤ ξ
E2 Wenn φ ` ψ, dann φ ≤ ψ
E3 Für alle φ,ψ: φ ≤ φ ∧ ψ oder ψ ≤ φ ∧ ψ
E4 Wenn K 6= K⊥ , φ 6∈ K genau dann,
wenn φ ≤ ψ für alle ψ
E5 Wenn für alle ψ: φ ≤ ψ, dann ` φ
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Transitivität
Dominanz
Konjunktivität
Minimalität
Maximalität
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Folgen der Postulate
1. φ ≤ ψ oder ψ ≤ φ
Konnektivität.
2. Wenn ψ ∧ ξ ≤ φ, dann φ ≤ φ oder ξ ≤ φ.
3. φ < ψ genau dann, wenn φ ∧ ψ < ψ.
4. Wenn ξ ≤ φ und ξ ≤ ψ, dann ξ ≤ φ ∧ ψ.
5. Wenn φ ≤ ψ, dann φ ≤ φ ∧ ψ.
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Verschanzung und Kontraktion
C≤ φ ≤ ψ dann und nur dann,
wenn φ 6∈ K φ ∧ ψ oder ` φ ∧ ψ.
C ψ ∈ K φ dann und nur dann,
wenn ψ ∈ K und entweder φ < φ ∨ ψ oder ` φ.
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