Morgenandacht am Freitag, 29. April 2011 in der Mutterhauskapelle der Diakonissen Speyer-Mannheim Römer 13,1-7 - Die Stellung zur staatlichen Gewalt 1 Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott angeordnet. 2 Wer sich nun der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt der Anordnung Gottes; die ihr aber widerstreben, ziehen sich selbst das Urteil zu. 3 Denn vor denen, die Gewalt haben, muß man sich nicht fürchten wegen guter, sondern wegen böser Werke. Willst du dich aber nicht fürchten vor der Obrigkeit, so tue Gutes; so wirst du Lob von ihr erhalten. 4 Denn sie ist Gottes Dienerin, dir zugut. Tust du aber Böses, so fürchte dich; denn sie trägt das Schwert nicht umsonst: sie ist Gottes Dienerin und vollzieht das Strafgericht an dem, der Böses tut. 5 Darum ist es notwendig, sich unterzuordnen, nicht allein um der Strafe, sondern auch um des Gewissens willen. 6 Deshalb zahlt ihr ja auch Steuer; denn sie sind Gottes Diener, auf diesen Dienst beständig bedacht. 7 So gebt nun jedem, was ihr schuldig seid: Steuer, dem die Steuer gebührt; Zoll, dem der Zoll gebührt; Furcht, dem die Furcht gebührt; Ehre, dem die Ehre gebührt. Vorgestern war zu hören von dem, was Paulus so schön über das ganze Leben als Gottesdienst sagte, Kapitel 12 im Römerbrief, über die Gnadengaben, über die Begabungen, die wir als Christenmenschen haben und einsetzen können zu unserer und anderer Nutz und Gott zur Freude – was liegt da nicht noch alles brach unter uns. ... Gestern war zu hören von dem, was Paulus sagte über die Früchte des Geistes, ebenfalls noch Römer 12, über das Leben im Geist, fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich am Gebet – was wäre da nicht noch alles zu bedenken für diesen Tag und die Tage, die kommen. ... Nach all dem, mit dem wir längst noch nicht zu Ende sind, jetzt dieser etwas harsche Abschnitt über die Obrigkeit und den Staat. Ein bisschen anstößig, das alles, jedenfalls für unser kritisches Gemüt, das über vielen Erfahrungen der Geschichte misstrauisch geworden ist, wo staatliche Gewalt gerechtfertigt wird. Was ist nicht alles schon geschehen im Namen von Kaiser und Reich, von Volk und Vaterland. Nein, da sind wir eher vorsichtig. Unbesehen trauen wir keiner Gewalt, freiwillig ordnen wir uns nicht unter. Wir kennen doch aus dem bisschen, was wir von der Geschichte und aus der Gegenwart kennengelernt haben, Erfahrungen vom Missbrauch staatlicher Gewalt. Wir kennen Kriegsgetümmel, das auf dieser schönen Erde losgebrochen ist, losgebrochen wurde, weil ein Staat dem anderen ans Leder wollte. Wir kennen die Gulags und Konzentrationslager, die Gefängnisse und Kerker, die Volksverhetzer und Todesschwadronen. Wir kennen das Elend, das mit all diesen Unterdrückungen und Verfolgungen, mit diesen Kriegen und Gemetzeln über so viele Unschuldige und Halbschuldige und Schuldige hereingebrochen ist, und jeder Tod war einer zu viel, jede Verwundung an Leib und Seele eine zuviel. Nein, wie können wir da naiv nachsprechen, was Paulus vorspricht? ... es ist keine Obrigkeit außer von Gott ... wer sich ... der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt der Anordnung Gottes ... Der Staat, die Obrigkeit als Gottes Ordnung, der Gehorsam zu leisten ist, ohne Einschränkung? Wir können’s kaum mehr glauben. Also einer der Bibelabschnitte, von der die Theologie und die Theologen, die Theologinnen auch, in den letzten Jahrzehnten immer wieder mal sagten, man könne nur gegen ihn predigen? Eine dunkle Folie aus grauer Vorzeit, auf der sich die aufgeklärte eigene Meinung umso strahlender abhebt? Ich weiß nicht. Ich tue mir schwer mit Predigten gegen den Text. Nicht dass ich nicht wüsste, das die Bibel ein Buch von Menschen ist, in dem Menschen ihre Erfahrungen beschreiben und verarbeiten, die sie mit Gott gemacht haben auf ihrem Lebensweg. Nicht dass ich nicht wüsste, das manches an Spannungen und Brüchen und Rissen in unserem Bibelbuch zu finden ist, das nicht leicht zugekittet und ausgeglichen werden kann. Nein, ich möchte ernst nehmen, dass Gottes Wort uns begegnet in diesem Bibelbuch. Und deshalb auch dem Wort Gottes in diesen Sätzen des Paulus nachspüren. Historisch können wir uns natürlich sagen, Paulus stehe mit diesen Sätzen ganz in der Tradition seiner Herkunft, des römischen Judentums in der Diaspora in Kleinasien, das um eine versöhnliche Haltung zum römischen Staat bemüht ist. Schließlich ist das Judentum ja eine geduldete Religion, seit man in einer Ecke des Tempelhofs dem römischen Kaiserkult einen Winkel eingeräumt hat. Das sollte man nicht verderben. Schließlich ist der römische Staat die Vormacht in der Antike der Jahrtausendwende. Mit ihr legt man sich nicht an, besser man versucht, ein halbwegs friedliches Verhältnis hinzukriegen. Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, dieser Ausspruch Jesu auf die aufwieglerische Frage, ob man dem römischen Despotenstatt denn Steuern zahlen solle, der Hinweis auf das Kaiserbild, das auf jedem Denar eingeprägt ist, deutet in die gleiche Richtung. Es gibt staatliche Ordnung, die geschützt und gestützt werden muss. Weil ohne Ordnung kein Staat existiert. Und zur Ordnung gehört Gewalt, Durchgriffsrecht gegen Regelverstöße, kann man heute sagen. Auch ich zahle nicht gern ein Protokoll. Aber theoretisch kann ich schon akzeptieren: Wenn jeder grad tut, was er will, dann geht’s halt drunter und rüber. Ordnung muss sein. So weit, so gut. Aber Ordnung um jeden Preis? Und ist alle innerweltliche Ordnung nicht nur vordergründig und vorläufig, eine Ordnung, die überholt werden wird von der Herrschaft Gottes am Ende und von den Spuren des Reiches Gottes in unserer Welt jetzt schon? Also nicht eher ein bisschen Widerstand gegen zuviel und zu schlechte Ordnung, nicht lieber ein bisschen Anarchie als zuviel und zu strenge und zu durchgreifende Ordnung? Zumal Paulus aus eigener Erfahrung doch wissen sollte, wohin staatliche Ordnungsmacht einen bringen kann: In Verfolgung und Gefängnis. Oder aus der Erfahrung seines Herrn Jesus Christus: in den Tod. Kann er das meinen: Bedingungslosen Gehorsam ohne Wenn und Aber? Unterordnung unter die Obrigkeit zu jedem Preis? Wir wollen nicht verschweigen, so wurden diese Sätze häufig verstanden von frommen Christenleuten, und das hat ihnen das Leben nicht leichter gemacht, und es hat anderen nicht geholfen, die mutige Eigenverantwortung und tapferen Widerstand gebraucht hätten, um selber zu überleben. Stillhalten wie ein Schaf, das zur Schlachtbank geführt wird? Sich ein- und unterordnen, nicht aufmucken, die andere Wange hinhalten? Und die Mächtigen grade machen lassen, was sie wollen? Und selbst noch mittun? Vielleicht ist die Absicht des Apostels Paulus ja anders. Vielleicht macht er Front gegen die Schwärmer, wie er sie in Korinth kennenlernte. Gegen die, die meinen, mit der neuen Religion, dem neuen Glauben an den Weltenherrn Jesus alle irdische Ordnung fahren lassen zu können und sie aufzulösen in schiere Anarchie. Tu, was du willst. Für dich gilt keine Ordnung. Du selbst setzt dir die Ordnung. Du bist Gottes Kind, du bist frommer Jude, du bist freier Christenmensch. Lass alle Ordnung fahren. Du selbst in deiner Freiheit setzt die Maßstäbe, du bist der Maßstab, du und die Liebe, die Liebe in der Form, in der du sie definierst. Mag sein, dass das die Front ist, gegen die Paulus argumentiert. Macht’s euch nicht zu leicht. Werft nicht die gute Ordnung über Bord. Sie ist, so weit sie gute Ordnung ist, Ordnung von Gott. Das haltet fest. Es gibt sie, die gute Ordnung Gottes. Und es gibt die Notwendigkeit, Dinge in dieser Welt zu ordnen. Nicht gegen die Menschen, aber mit ihnen und für sie. Und es gibt die Pflicht und Schuldigkeit, sich an Ordnungen zu halten. Und das andere: Es gibt Zeiten, da wird der Gehorsam überbetont, sicher auch Zeiten, da wird die Forderung nach Gehorsam auch missbraucht. Es gibt aber auch Zeiten, da wird der Ungehorsam, die Kritik, die Auflehnung überbetont, da gleitet ein Gemeinwesen in die Anarchie, in die Beliebigkeit, in die Individualisierung ab, und auch das hat seine negativen Folgen. Liebe und tu, was du willst, dieser Satz des Augustinus ist sicher richtig. Aber die Voraussetzung dafür, dass er gilt, ist, dass ich verstehe, was dies ist: Lieben. Und dass die Liebe auch ihre Ordnung braucht, ihren Rahmen, ihre Gesetze. Das Wissen darum ist immer auch gefährdet, weil Liebe manchmal so leicht zu sein scheint, und weil es so verlockend ist, durch das große Wort einen Freibrief für meine Lieblingsgedanken zu haben, einen Freibrief, den mir keiner streitig machen zu dürfen scheint. Nein, der Apostel hat schon recht: Auch die Ordnung hat ihren Wert, auch die Obrigkeit. Und es muss sehr dringliche, sehr triftige Gründe geben, die mehrfach geprüft sind gegen mögliche Kurzschlüsse und Missverständnisse, bevor ich das kleine oder große Chaos in meinem Kopf, die Struwweligkeit, zu der ich immer wieder neige, gegen die Ordnung setze, die irgendwo dann doch die gute, alte, bewährte Ordnung ist. Der Prüfstein ist sicher die Liebe. Aber eben nicht nur meine Vorliebe, meine Neigung, sondern die Liebe, die den anderen meint und die anderen, die Schwachen auch, mit einbezieht. Ich werde rückfällig zu dem Abschnitt, der unserem vorangeht, den wir gestern bedacht haben, wenn ich sage: Der zentrale Satz dieses Abschnitt steht genau in seiner Mitte: Willst du dich aber nicht fürchten vor der Obrigkeit, - so tue Gutes. Damit ist eigentlich alles gesagt. Genug Programm für heute und für morgen und den Rest des Lebens. Werner Schwartz, Diakonissen Speyer-Mannheim