Mediterrane Ernährung : Mythen und Fakten

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Quadrimed 2011
P. E. Ballmer
Pr Dr med Peter E. Ballmer
Direktor Departement Medizin
Chefarzt Klinik für Innere Medizin
Kantonsspital Winterthur
Brauerstrasse 15
8401 Winterthur
[email protected]
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In den Fünfzigerjahren wurde von Ancel Keys aufgrund unterschiedlicher
Sterblichkeitsraten an koronarer Herz­
krankheit in verschiedenen europäi­
schen Ländern und den USA die mediterrane Diät als kardioprotektive Ernäh­
rungsform erkannt. Der Begriff der «Diät»
ist in diesem Zusammenhang sicher zu ver­
lassen, da es sich um eine gesunde und
ge­nüssliche Art und Weise der Ernährung
handelt.
Die Definition der mediterranen Ernährung
bleibt bis heute kontrovers. Wichtige Merk­
male dieser Ernährungsform sind : hoher
Gehalt an Früchten und Gemüse, viel Ge­
treideprodukte, qualitativ hochwertige pflanz­
liche Fette und Oele, speziell Olivenöl, wenig
Fleisch (wenn Fleisch dann eher weisses
Fleisch insbesondere auch Geflügel), ver­
mehrt Fisch und geringer Weinkonsum. Zu
letzterem muss einschränkend gesagt wer­
den, dass Frauen maximal einen bis zwei
und Männer maximal zwei bis drei Deziliter
Wein täglich konsumieren dürfen. In mehre­
ren Studien konnte gezeigt werden, dass
Frauen die mehr konsumieren ein progressiv
zunehmendes Risiko eingehen, an Brustkrebs
zu erkranken. Generell steigt das Risiko an
Krebs zu erkranken bei beiden Geschlech­
tern stark an, wenn der Konsum diese Vor­
gabe überschreitet. Viele Krebsarten, speziell
auch die bösartigen Tumoren des Magen­
darmtraktes nehmen überproportional zu.
Nicht-Trinkern ist deshalb die Auf­nahme re­
gelmässigen Alkoholkonsums sicher nicht zu
raten und die erwähnten Angaben über den
maximal zulässigen Alkoholkonsum treffen
nicht für Menschen zu, welche eine Sucht­
gefährdung oder Krankheiten des LeberGallensystems aufweisen. Trotz dieser Ca­
veats scheint Alkohol in moderater Dosie­
rung eine protektive Wirkung zu haben, wie
viele Studien an ganz verschiedenen Popu­
lationen gezeigt haben. Der Mechanismus
der Wirkung dürfte vorwiegend auf die Zu­
nahme des vaskulär-protektiven HDL-Cho­
lesterins und wahrscheinlich der Thrombo­
0
Mediterrane Ernährung :
Mythen und Fakten
zytenaggregationshemmung zurück zu füh­
ren sein.
Die in der Vergangenheit erhobenen
­epidemiologischen Resultate wurden vor
wenigen Jahren durch eine prospektive,
kontrollierte Studie bestätigt. In der Lyon
Herzstudie1 wurde gezeigt, dass eine Alpha­
linolensäure-reiche (eine Fettsäure aus der
Reihe der Omega-3-Fettsäuren) mediterrane
Ernährung nach einem ersten Herzinfarkt
hoch wirksam ist und sowohl die Mortalität
als auch die Herzinfarktrate massiv um über
50 Prozent reduzierte. Es wurden gesamt­
haft rund 600 Patienten in die Studie ein­
geschlossen und die Hälfte davon (neben
der üblichen medizinischen Behandlung) mit
mediterraner Ernährung behandelt. In der
Kontrollgruppe starben 19 Patienten am
Herztod und nur sechs in der mediterranen
Gruppe. Nicht-tödliche Herzinfarkte traten
bei 25, resp. acht Patienten auf. Die
­Gesamtmortalität betrug 24 in der Kontroll­
gruppe und 14 in der mediterranen. Alle
diese Resultate waren zwischen den zwei
Gruppen hoch signifikant zu Gunsten der
mediterranen Gruppe verschieden.
Weitere Untersuchungen konnten diese
Resultate bestätigen. So ist eine interes­
sante Arbeit von Antonia Trichopoulou und
Coautoren im New England Journal of Medicine erschienen, welche eine Reduktion
der Sterblichkeit durch konsequente medi­
terrane Ernährung gesamthaft um 25%, an
Herzinfarkt um 33 % und an Krebs um 24%
zeigte.2
Wichtige Komponenten der mediterranen
Ernährung sind sicher die antioxidativ wirk­
samen Stoffe, wie die antioxidativen Vita­
mine (z.B. Vitamin E, C und Betakarotin) und
polyphenolische Substanzen (z.B. das Res­
veratrol). Interessant ist, dass die supple­
mentale Verabreichung der antioxidativen
Vitamine allein in vielen Studien keine pro­
tektive Wirkung gegen Herzkreislauferkran­
kungen und Krebs zeigte. Beispielhaft nenne
ich hier die Heart Protection Study,3 eine
breit primär und sekundär präventiv ange­
legte Studie, welche neben der Wirkung
eines Statins diejenige der Vitamine E, C
und Betakarotin im Fokus hatte. Während
Simvastatin in dieser Studie sowohl die
­kardiovaskuläre als auch die gesamte Mor­
talität signifikant senken konnte, hatten die
verabreichten Vitamine keinerlei Wirkung,
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wobei positiv ausgedrückt zu sagen ist,
dass sie auch keine relevante schädigende
Wirkung zeigten. Dies ist nicht selbstver­
ständlich, denn nach wie vor werden Stu­
dienresultate veröffentlicht, welche Risiken
einer Supplementierung mit antioxidativen
Vitaminen aufzeigen, welche den potenziel­
len Benefit überwiegen. Neben dem Risiko
vermehrt Krebskrankheiten durch eine hoch
dosierte Vitaminsupplementierung zu erzeu­
gen, wie z.B. die finnische ATBC-Studie4
gezeigt hat, werden immer wieder alarmie­
rende Studienresultate veröffentlicht. So
ganz aktuell im British Medical Journal :5
Vitamin E führte aufgrund dieser Meta-Ana­
lyse zu einem 22% höheren Risiko einen
hämorrhagischen Schlaganfall zu erleiden
und reduzierte das Risiko für einen ischä­
mischen Schlaganfall lediglich um 10%.
Ein wichtiger Aspekt der mediterranen
Ernährung darf nicht unerwähnt bleiben :
Die Fette ! Die ursprüngliche mediterrane
Ernährung der Kreter enthielt 50 Prozent
und mehr der Energie in Form von Fetten !
Aber : 90 und mehr Prozent der Fette kamen
von pflanzlichen Quellen, insbesondere na­
türlich vom Olivenöl. Es geht also nicht um
die Quantität der Fette sondern um deren
Qualität. Die Oelsäure scheint eine sehr
wichtige Komponente in der mediterranen
Ernährung zu sein – sie ist als einfachungesättigte Fettsäure chemisch recht stabil
und ist resistent gegenüber Oxidation. Da
lediglich oxidiertes, sog. modifiziertes Cho­
lesterin die Entstehung der Atherosklerose
fördert, ist die Stabilität gegenüber Oxida­
tion ein wichtiger Faktor. Speziell Michel de
Lorgeril ist davon überzeugt, dass die Alpha­
linolensäure (reichlich enthalten in Rapsöl,
Portulak, grünem Gemüse, Wal­nüssen
u.a.m.) eine sehr wichtige protektive Kom­
ponente in der mediterranen Ernährung ist.
Die Alphalinolensäure hat wahrscheinlich
zusätzliche anti-arrhythmische Effekte, so
wurde in der mediterran, alphalinolensäu­
rereich ernährten Patientengruppe von de
Lorgeril kein Sekundenherztod registriert.
Rapsöl enthält neben der Alphalinolensäure
reichlich Oelsäure, sodass wir Rapsöl als
ideale Ölquelle empfehlen, mit der Auflage,
dieses nur für die kalte Küche zu nutzen, da
die Alphalinolensäure nicht hitzestabil ist.
Im Zusammenhang mit den Fetten darf
das Cholesterin nicht unerwähnt bleiben.
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Der alt herkömmlichen Meinung, dass das
Nahrungscholesterin eine relevante Rolle
spiele und dass nur durch eine Senkung
des Blutcholesterins eine Atheroprotektion
errreicht werden könne, muss vehement
widersprochen werden. Eine Senkung des
Blutcholesterins ist durch eine veränderte
Nahrungsaufnahme kaum oder dann nur
durch eine kasteiende «Diät», welche sicher
nicht langfristig eingehalten wird, möglich.
Das Serumcholesterin soll durch Lipidsen­
ker, wie die Statine oder Fibrate, gesenkt
werden. Auch ohne Senkung des Serum­
cholesterins können substantielle kardio­
vaskuläre Risikoreduktionen durch die me­
diterrane Ernährung erreicht werden, denn
in der Lyon-Herzstudie von de Lorgeril blie­
ben sowohl das Gesamt-, wie auch das LDLund HDL-Cholesterin über die ganze Beo­
bachtungszeit unverändert.
Alle erwähnten Studienresultate legen
nahe, dass mediterrane Ernährung als Gesundheitsnahrung per se gelten muss.
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Welche Verhaltens- bzw. Ernährungsemp­
fehlungen können wir aufgrund des Gesag­
ten unserer Bevölkerung abschliessend ge­
ben ? Five a day, wie es seit Jahren – unter
anderem durch die Krebsliga – proklamiert
wird, scheint mir der richtige, wenn auch
nicht genügende Ansatz zu sein. Die Emp­
fehlung an unsere Bevölkerung muss also
lauten :
•Mehr
– Raps- und Olivenöl
– grünes Gemüse.
– Obst.
– Getreideprodukte.
•Weniger
– Fleisch (eher weisse Sorten).
– Salz.
Damit wir diese Empfehlung korrekt be­
folgen können, braucht es mehr Wissen und
professionelle Anleitung – diese erhalten
wir durch gut ausgebildete diplomierte Er­
nährungsberaterinnen.
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Bibliographie
1 de Lorgeril M, Renaud S, Mamelle N, et al. Mediterranean alpha-linolenic acid-rich diet in secondary
prevention of coronary heart disease. Lancet 1994;
343:1454-9.
2 Trichopoulou A, Costacou T, Bamia C, Trichopoulos D. Adherence to a mediterranean diet and
survival in a Greek population. N Engl J Med 2003;
348:2599-608.
3 Heart protection study collaborative group.
MRC/BHF Heart protection study of antioxidant vitamin supplementation in 20 536 high-risk individuals : A
rando­mised placebo-controlled trial. Lancet 2002;360:
23-33.
4 The Alpha-tocopherol beta carotene cancer prevention study group. The effect of vitamin E and beta
carotene on the incidence of lung cancer and other
cancers in male smokers. N Engl J Med 1994;330:102935.
5 Schürks M, Glynn RJ, Rist PM, Tzourio C, Kurth
T. Effects of vitamin E on stroke subtypes : Meta-analysis of randomised controlled trials. BMJ 2010;341:
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