Wintersemester 2015/16 Vorlesung „Ethik in der Medizin“ Umgang mit knappen Mitteln im Gesundheitswesen Prof. Dr. Alfred Simon Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin Medikament Anwendung bei Lebenszeitverlängerung (ø) Preis / Monat Inlyta Nierenkrebs + 2 Monate ca. 4000 Euro Nexavar Leberkrebs + 2,8 Monate ca. 5000 Euro Tarceva Bauchspeicheldrüsenkrebs + 14 Tage ca. 2350 Euro Gliederung Ursachen der Mittelknappheit Umgang mit Mittelknappheit Rationalisierung Rationierung + Priorisierung Kriterien der Priorisierung Ethisches Kostenbewusstsein A. Simon: Vorlesung „Ethik in der Medizin“, WS 2015/16 Ursachen der Mittelknappheit Steigende Ausgaben Medizinisch-technischer Fortschritt Demografischer Wandel Wachsende Ansprüche Sinkende Einnahmen Anbindung der Sozialversicherungsbeiträge an Arbeitsentgelte ( Arbeitslosigkeit, Teilzeitarbeit etc.) A. Simon: Vorlesung „Ethik in der Medizin“, WS 2015/16 Umgang mit Mittelknappheit Ebenen und Stufen der Allokation Ebene Stufe Verteilungsaufgabe Makro-Allokation Mikro-Allokation 4 Verteilung des Bruttosozialprodukts auf die verschiedenen Ressorts 3 Verteilung unter den verschiedenen Projekten des Gesundheitssystems 2 Verteilungsprinzipien in Abteilungen eines Krankenhauses 1 Verteilung unter konkreten Patienten A. Simon: Vorlesung „Ethik in der Medizin“, WS 2015/16 Umgang mit Mittelknappheit Strategien Erhöhung der Mittel im Gesundheitswesen Ausschöpfen von Wirtschaftlichkeitsreserven (Rationalisierung) Begrenzung medizinischer Leistungen (Rationierung) A. Simon: Vorlesung „Ethik in der Medizin“, WS 2015/16 Rationalisierung Vorrangig gegenüber Rationierung Instrumente Evidenzbasierte Medizin Finanzielle Anreize Patienten (z.B. Selbstbeteiligung) Leistungserbringer (z.B. DRGs) Gefahr: Qualitätsverschlechterung A. Simon: Vorlesung „Ethik in der Medizin“, WS 2015/16 Rationierung Definition Vorenthalten medizinisch notwendiger Maßnahmen ( Was ist „medizinisch notwendig“?) Besser: Vorenthalten von Maßnahmen, die für den Patienten einen Nutzengewinn beinhalten Kosten Nutzen A. Simon: Vorlesung „Ethik in der Medizin“, WS 2015/16 Rationierung Formen der Leistungsbegrenzung Explizit (Stufe 3 und 2) Leistungsbegrenzungen Versorgungsstandards Implizit (Stufe 1) Budgetierung Finanzielle Anreize Patienten (z.B. Selbstbeteiligung) Leistungserbringer (z.B. DRGs) A. Simon: Vorlesung „Ethik in der Medizin“, WS 2015/16 Rationierung Vorteile expliziter Leistungsbegrenzungen Sichern Transparenz und Konsistenz von Verteilungsentscheidungen und erhöhen damit deren Akzeptanz Entlasten das Arzt-Patient-Verhältnis Problem: Einschränkung der ärztlichen Therapiefreiheit im Einzelfall; politisch schwer umzusetzen A. Simon: Vorlesung „Ethik in der Medizin“, WS 2015/16 Rationierung Vorteile impliziter Leistungsbegrenzungen Politisch leichter umzusetzen Erfordern keine Einigung auf verbindliche Verteilungskriterien oder Versorgungsstandards Problem: Arzt befindet sich im Konflikt zwischen Verpflichtungen gegenüber seinem individuellen Patienten und anderen aktuellen oder künftigen Patienten A. Simon: Vorlesung „Ethik in der Medizin“, WS 2015/16 Priorisierung Definition Bestimmung der relativen Vorrangigkeit von medizinischen Maßnahmen, Indikationen, Patientengruppen oder ganzen Versorgungsbereichen A. Simon: Vorlesung „Ethik in der Medizin“, WS 2015/16 Priorisierung Inhaltliche Kriterien Medizinische Bedürftigkeit Schwere der Erkrankung Dringlichkeit der Behandlung Kosten-Nutzen-Effektivität Wartezeit Alter? Eigenverantwortung? A. Simon: Vorlesung „Ethik in der Medizin“, WS 2015/16 Priorisierung Formale Kriterien Transparenz und Konsistenz Evidenzbasierung Demokratische Legitimierung Einbindung relevanter Interessensgruppen und der Öffentlichkeit Einspruchs-, Überprüfungs- und Revisionsmöglichkeiten A. Simon: Vorlesung „Ethik in der Medizin“, WS 2015/16 Ethisches Kostenbewusstsein Individualethischer Therapieverzicht Sozialethischer Therapieverzicht (1) Berücksichtigung der Evidenz zu Wirksamkeit/Nutzen & Risiken der Maßnahmen Nutzen/Nicht-Schaden (2) Konsequente Berücksichtigung individueller Patientenpräferenzen Respekt vor Autonomie (3) Minimierung des Ressourcenverbrauchs für das Nicht-Schaden Erreichen eines Therapieziels (4) Unterlassung von teuren Maßnahmen mit geringem/ fraglichem Nutzengewinn bei Verfügbarkeit kosteneffektiverer Alternativen Gerechtigkeit a) Lokale Versorgungsstandards b) Im Einzelfall Berücksichtigung prozeduraler Mindeststandards Durchführung von Kosten-Fallbesprechungen Beratung durch klinisches Ethik-Komitee Marckmann et al. 2011