Die klima- und energiepolitische Kehrtwende

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Die klima- und
energiepolitische
Kehrtwende
Luxemburgs
ist möglich!
Gemeinsame Forderungen von Action Solidarité Tiers Monde,
Caritas Luxemburg, Greenpeace und Mouvement Ecologique
anlässlich der bevorstehenden Parlamentswahl in Luxemburg
Januar 2009
Klimaschut z und globale Gerechtigkeit
A Klimaschutz und globale
Gerechtigkeit
A.1. Erste spürbare Anzeichen des Klimawandels
“Global warming is happening. Temperatures have already risen by 0.76 degrees
since the industrial revolution and are projected to rise further by 1.8 - 4 degrees
by the end of the century. The last time climate change happened at this pace
was 125,000 years ago and led to a 4-6 meter sea level rise. Global warming
at the upper end of the scale predicted by the Intergovernmental Panel on
Climate Change would have catastrophic consequences for Europe. Up to 30%
of plant, animal and bird species would be wiped out and the threat of natural
disasters such as landslides, floods and mudslides would increase significantly.”
(European Environment Agency Website)
”This decade-century climate response time is unfortunate for humanity.
It is long enough to prevent people from seeing immediate consequences of humanmade climate forcings, as much of the climate change is still “in the pipeline”.
Yet it is short enough for large climate impacts to occur this century.”
(James Hansen1)
Die Erde hat im Lauf ihrer Geschichte viele Phasen des Klimawandels erlebt. Im Gegensatz
zu den derzeitigen Klimaveränderungen gingen frühere Klimaänderungen aber so langsam
vor sich, dass Tiere und Pflanzen genug Zeit hatten, sich an die neuen Bedingungen anzupassen.
In der Debatte über den Klimawandel ist es wichtig, die Geschwindigkeit natürlicher KlimaProzesse zu betrachten. Die natürliche jährliche CO2-Schwankung in der Atmosphäre beträgt
etwa 1/10.000 ppm (ein Zehntausendstel Teilchen pro Millionen Teilchen). In einer Million
Jahren würde dies eine CO2-Änderung von 100 ppm bedeuten – eine Änderung, die große
Klimaveränderungen bewirkt2. Die derzeitige, vom Menschen gemachte Veränderung der
CO2-Zunahme in der Atmosphäre beträgt jedoch mehr als 2 ppm pro Jahr und ist damit um
Größenordnungen schneller als natürlich stattfindende Klimaveränderungen.
Doch was erdzeitgeschichtlich als „schnell“ eingestuft wird, wird von der Öffentlichkeit
nicht so wahrgenommen. Alltägliche Wetterveränderungen und die Tatsache, dass die
meisten Menschen in den industrialisierten Staaten in komfortablen Häusern wohnen und
sich gegen Wetterveränderungen schützen können, führen dazu, dass die Menschen die
globale Erwärmung nicht als „gefährlich“ empfinden. Ein weiteres Problem bezüglich der
Wahrnehmung des Klimawandels ist die Tatsache, dass das Klimasystem der Erde äußerst
träge auf Veränderungen reagiert, und die langfristigen Folgen der Treibhausgasemissionen
mitsamt den damit verbundenen Rückkopplungseffekten zunächst nicht sichtbar sind bzw.
nicht wahrgenommen werden.
1
James Hansen ist Direktor des NASA Goddard Institute for Space Studies
2
James Hansen, In Defence of Kingsnorth Six, Testimony for criminal trial in Kent, United Kingdom, 10. September
2008
1
‘ T h i s i s a n e m e r g e n c y, a n d f o r e m e r g e n c y s it u ati o n s w e n e e d e m e r g e n c y a c ti o n … ’
Doch nicht alle können sich so wie wir gegen die Klimaveränderungen schützen. Dazu zählen nicht nur unzählige Tier- und Pflanzenarten, sondern auch Abermillionen Menschen. Die
Lage ist mehr als ernst, sie ist alarmierend. Die durchschnittliche globale Temperatur hat sich
seit der vorindustriellen Zeit bereits um etwa 0.8°C erhöht. Schon bei einem weiteren Temperaturanstieg um etwas mehr als ein Grad Celsius drohen unumkehrbare Auswirkungen
für das Leben auf der Erde.
Wie schnell sich das Klima weiter erwärmt, hängt davon ab, wie die Menschheit auf den
Klimawandel, den sie selbst verursacht hat, reagiert. Bislang sind die Anstrengungen für den
Schutz des Klimas zumeist nicht mehr als Lippenbekenntnisse. Die gesamte Weltgemeinschaft, vor allem aber die Industrienationen, sind mehr denn je in der Verantwortung, ihren
verschwenderischen Umgang mit den natürlichen Ressourcen innerhalb kürzester Zeit zu
ändern und eine Vorreiterrolle im Klimaschutz einzunehmen.
Für unseren Lebensstil fördern wir Bodenschätze zutage, die sich über Hunderte Millionen
von Jahren gebildet haben. Die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas, die bislang noch unseren Energiehunger stillt, setzt in großen Mengen das Treibhausgas Kohlendioxid (CO2)
frei und trägt massiv zur Klimaerwärmung bei. Unser hoher Energieverbrauch ist aber nicht
das einzige Problem. Die Abholzung der Regenwälder zerstört nicht nur die Lebensgrundlage der dort lebenden Menschen, Pflanzen und Tiere, sondern vernichtet zudem eine unschätzbar wertvolle biologische Vielfalt und den Wald als einen der wichtigsten natürlichen
CO2-Speicher. Auch moderne Landwirtschaftsmethoden mit Massentierhaltung und hohem
Einsatz von Kunstdünger belasten durch hohe Treibhausgas-Emissionen das Klima.
Die schlechte Nachricht: es bleiben uns weniger als 10 Jahre, um die Erde vor den katastrophalen Auswirkungen des Klimawandels zu bewahren. Die gute Nachricht: die Lösungen
gegen den Klimawandel sind jetzt schon vorhanden, der Ausstieg aus dem fossilen Brennstoffzeitalter und der Verwendung von Kohle, Öl und Gas für unsere Energieversorgung ist
möglich.
„We‘re seeing events predicted for the end of the 21st century happening already“
(Barry Brook, Adelaide Univ., in ‚No return‘ fears on climate change, theage.com.au,
12 June 2008)
“The European Space Agency says new satellite pictures show that the Wilkins shelf
– the largest to be threatened so far – is „hanging by its last thread“. .. The shelf,
which lies near the base of the Antarctic Peninsula, had not been expected to collapse
until the early 2020s. It provides further evidence that the planet is warming more
quickly than predicted.”
(The Independent, 13.7.2008)
“The permafrost belt stretching across Siberia to Alaska and Canada could start
melting three times faster than expected because of the speed at which Arctic Sea
ice is disappearing. A study found that the effects of sea-ice loss – which reached an
all-time record last summer – extend almost 1,000 miles inland to areas where the
ground is usually frozen all year round.”
(The Independent, 14.6.2008)
Es wird wärmer auf der Erde. Dafür nennt der UN-Klimarat eindrucksvolle Beispiele: Elf der
letzten zwölf Jahre gehören zu den zwölf wärmsten seit 1850 gemessenen Jahren. Besonders besorgniserregend ist die Tatsache, dass der globale Temperaturanstieg, der Anstieg
des Meeresspiegels, das Schmelzen des Polareises und die Niederschlagsveränderungen tatsächlich viel schneller stattfinden als prognostiziert.
2
Klimaschut z und globale Gerechtigkeit
Der Klimawandel schadet bereits jetzt Menschen und Ökosystemen. Das zeigt sich im Verschwinden des Polareises, dem Auftauen von Dauerfrostböden, dem Sterben von Korallenriffen, dem Anstieg des Meeresspiegels und tödlichen Hitzewellen. Und es sind nicht nur
Wissenschaftler, die diese Veränderungen bezeugen. Von den Inuit im hohen Norden bis zu
den Inselbewohnern in der Nähe des Äquators ringen die Menschen bereits heute mit den
Auswirkungen des Klimawandels.
A.1.1. Verändertes Auftreten der Jahreszeiten3
Eine der bereits sichtbaren Folgen der globalen Erwärmung ist das zeitlich veränderte Auftreten der Jahreszeiten in klimatischer Hinsicht. Der Frühling beginnt regional unterschiedlich fast zwei Wochen früher4, wie beispielsweise das Wanderverhalten von Zugvögeln zeigt.
Eine Untersuchung über das Verhalten von 130 Tierarten zeigte eine durchschnittliche Vorverschiebung arttypischer saisonabhängiger Verhaltensweisen um 3,2 Tage pro Jahrzehnt.
Nördlich des 45. Breitengrades lebende Tiere wiesen dabei sogar eine Abweichung um 4,4
Tage je Dekade auf5.
Auch Beobachtungen an Pflanzen zeigen die Erwärmung an. Im Mittel beginnt die Blatt­
entfaltung und Blüte in Europa 2,4−3,1 Tage pro Dekade, in Nordamerika 1,2−2,0 Tage pro
Dekade früher6. Eine Folge für die Fauna ist die Verschiebung gewohnter Rhythmen. Für
bestimmte untersuchte Vogelarten, etwa die Kohlmeise, wurde festgestellt, dass ihre Jungen verstärkt mit Nahrungsproblemen zu kämpfen hatten. Da sich der Lebenszyklus einer
als Hauptnahrungsquelle dienenden Raupenart zeitlich nach vorne verlagert hatte und die
Vögel mit ihrem Brutverhalten nur teilweise nachfolgen konnten, verlieren die Jungvögel
eine wichtige Nahrungsgrundlage7.
A.1.2.Verschiebung der Klimazonen: das neue Massensterben
“Predicted warming of several degrees Celsius would surely cause mass extinctions.
Prior major warmings in Earth’s history, the most recent occurring 55 million years
ago with the release of large amounts of Arctic methane hydrates, resulted in the
extinction of half or more of the species then on the planet.”
(James Hansen, In Defence of Kingsnorth Six, Testimony for criminal trial in Kent,
United Kingdom, 10. September 2008)
Eine Zunahme der Erwärmung von mehr als 2 °C birgt enorme Risiken für zahlreiche Tierund Pflanzenarten, deren Lebensräume nicht länger ihren Anforderungen entsprechen. Diese Arten werden verdrängt oder können aussterben, wenn sie den sich geografisch schnell
verschiebenden Vegetationszonen nicht folgen können. Doch die Möglichkeiten, in neue
3
die in den Abschnitten A.1.1.-A.1.10. enthaltenen Informationen wurden unter anderem entnommen aus: Wikipedia,
Folgen der globalen Erwärmung http://de.wikipedia.org/wiki/Folgen_der_globalen_Erw%C3%A4rmung#R.
C3.BCckgang_der_Gletscher
4
Union of Concerned Scientists, Early Warning Signs: Spring Comes Earlier, 2005
5
Root, Terry L., Dena P MacMynowski, Michael D. Mastrandrea und Stephen H. Schneider (2005): Human-modified
temperatures induce species changes: Joint attribution, in: Proceedings of the National Academy of Sciences of the
United States of America (PNAS), Vol. 102, No. 21, 24. Mai, S. 7465-7469
6
Walther, G.R.,E. Post, P. Convey, A. Menzel, C. Parmesan, T.J.C. Beebee, J.M. Fromentin, O. Hoegh-Guldberg, F.
Bairlein (2002): Ecological responses to recent climate change, in: Nature, Vol. 416, S.389-395
7
Visser, Marcel E., Frank Adriaensen, Johan H. van Balen et al. (2003): Variable responses to large-scale climate
change in European Parus populations, in: Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences, Vol. 270, Nr.
1513 / 22. Februar 22, S. 367–372
3
‘ T h i s i s a n e m e r g e n c y, a n d f o r e m e r g e n c y s it u ati o n s w e n e e d e m e r g e n c y a c ti o n … ’
Lebensräume abzuwandern, werden durch geografische und menschengemachte Hürden
begrenzt.
Isothermen, also Linien einer spezifischen Durchschnittstemperatur, haben sich etwa 56
Kilometer pro Jahrzehnt in Richtung Nordpol verschoben. Ebenso wird sich der Lebensraum
vieler Arten in diesem Tempo verändern.
Bis 2100 droht auf bis zu 39 % der globalen Landflächen das Entstehen völlig neuartiger
Klimate, vor allem in den Tropen und Subtropen, gefolgt von den Polargebieten und Gebirgen. Tiere wandern mit steigenden Temperaturen zunehmend polwärts. Eine Untersuchung
an 1.700 Spezies besagt, dass diese sich um durchschnittlich 6,1 km pro Jahrzehnt den Polen nähern bzw. sich mit 6,1 m pro Dekade in höhere Gebirgslagen zurückziehen. Für 279
dieser Spezies konnte ein so genannter „diagnostischer Fingerabdruck“ ermittelt werden,
der andere Einflußgrößen auf dieses Verhalten als den Klimawandel nahezu ausschließt8. Für
Westeuropa fand eine andere Studie für den Zeitraum von 1905 bis 2005 eine durchschnittliche Aufwärtswanderung von 29 m pro Jahrzehnt für 171 Pflanzenarten vor9.
Viele Arten sind vom Aussterben bedroht. Besonders betroffen sind Spezies, die in Polargebieten oder auf Bergen leben und keine oder nur begrenzte Ausweichmöglichkeiten
besitzen. In der Antarktis ist die Zahl der Adelie- und Kaiserpinguine rückläufig, da das
schmelzende Meereseis ihre Nahrungsquelle, den Krill, reduziert. Die Eisbären der Arktis
müssen bereits jetzt aufgrund des schmelzenden Meereseises ums Überleben kämpfen:
sie sind auf das Eis, von dem aus sie Robben jagen, angewiesen. Die Eisbärenpopulation in
Kanada ist um 20 Prozent zurückgegangen, ebenso liegt das Gewicht der weiblichen Eisbären sowie der überlebenden Eisbärenjungen um 20% niedriger. Auch das Leben in den
alpinen Regionen wird, ähnlich wie in den Polargebieten, „vom Planeten verstoßen“. Die
Temperaturzonen werden sich in Gebirgen nach oben verschieben, in Gebiete, die kleiner
und unwirtlicher sind.
Aus biologischer Sicht am stärksten betroffen werden wahrscheinlich Tropengebiete sein,
weil sie historisch gesehen bislang den geringsten Schwankungen ausgesetzt waren. Ihre
Anpassungsfähigkeit wird deshalb als äußerst gering eingeschätzt.
Eine Studie, die 1.103 Pflanzen- und Tierarten untersuchte, die 20% der Erdoberfläche abdecken, ergab, dass bei einer geringen Erwärmung von 0,8 -1,7 °C bis 2050 etwa 18 % der
untersuchten Spezies aussterben würden. Bei einer mittleren Erwärmung von 1,8 bis 2,0 °C
im gleichen Zeitraum würden etwa 24 % aller Arten aussterben und bei einer hohen Erwärmung von über 2 °C wären es hiernach sogar ca. 35 %10.
A.1.3.Arktis: Der „Kanarienvogel des Klimawandels“ ist tot
“Autumn temperatures are at a record 5º C above normal, due to the major loss of
sea ice in recent years which allows more solar heating of the ocean. Winter and
springtime temperatures remain relatively warm over the entire Arctic, in contrast
to the 20th century and consistent with an emerging global warming influence.”
(Arctis Record Card, October 2008)
4
8
Parmesan, Camille und Gary Yohe (2003): A globally coherent fingerprint of climate change impacts across natural
systems, in: Nature, Vol. 421, 2. Januar, S. 37-42
9
Lenoir, J., J. C. Gégout, P. A. Marquet, P. de Ruffray und H. Brisse (2008): A Significant Upward Shift in Plant
Species Optimum Elevation During the 20th Century, in: Science, Vol. 320, Nr. 5884, S. 1768 - 1771
10
Thomas, C.D. et al. (2004): Extinction risk from climate change, in Nature, Vol. 427, S.145-148
Klimaschut z und globale Gerechtigkeit
“The Arctic Ocean could be nearly ice-free at the end of summer by 2012.”
‘The Arctic is often cited as the canary in the coal mine for climate warming… and now
as a sign of climate warming, the canary has died.”
(Dr Jay Zwally, glaciologist, NASA Goddard Space Flight Center)
Nirgendwo zeigt sich der Klimawandel derzeit deutlicher als in der Arktis. Unter anderem
wegen des Rückgangs des Meereseises und des Schnees hat sich die Jahresmitteltemperatur
in der Arktis fast doppelt so schnell wie die der übrigen Welt erhöht. Nach verschiedenen
Prognosen wird sich die Arktis in den nächsten 100 Jahren um weitere 4 bis 7 °C erwärmen11.
So hat die arktische Meereseisfläche, die sich im Winter bildet und im Sommer zum Teil
wieder verschwindet, am 8. August 2007, einem Monat vor dem normalerweise erst im
September erreichten Minimum, mit 5,8 Millionen km2 die geringste je ermittelte Ausdehnung gemessen. Zu Beginn der Messungen 1979 betrug diese Fläche im September noch
ungefähr 7,5 Millionen km2 12. Im September 2008 war der Rückgang des Meereseises so
stark, dass die Nordwest-Passage und die Nordost-Passage eisfrei und für die Schifffahrt
offen war.
Meereseiskarte vom 25. August 2008: Nordost- und Nordwestpassage sind gleichermaßen eisfrei.
Graphik: Uni Bremen, Institut für Umweltphysik
Mehr als 80% des Meereseises im arktischen Ozean geht derzeit im Sommer verloren - eine Fläche in der Größe
Australiens. Wissenschaftler gehen davon aus, dass bereits gegen 2010-2013
der arktische Ozean im Sommer eisfrei
sein wird. Die Konsequenzen daraus
sind:
• eine große lokale Klimaveränderung in der arktischen Region von etwa 5°C und eine weltweite Temperaturerhöhung
von 0.3°C
• die starke Erwärmung der Arktis wird erheblich zum Abschmelzen des Grönländischen Eisschildes (und beim vollständigen Abschmelzen zum Anstieg des Meeresspiegels um
bis zu 7 Meter führen) und zum schnelleren Schmelzen des
Permafrostes (und damit zur weiteren Freisetzung von CO2
und Methan) führen, wodurch der Klimawandel nochmals beschleunigt wird.
Größere Unsicherheiten bestehen in der
Erfassung der Dicke des Eispanzers. Hier
schwanken die Angaben zwischen 40% und 8 – 15 % Abnahme. Zwischen Mitte und Ende
des 21. Jahrhunderts ist nach Modellberechnungen bei fortschreitender Erwärmung mit
einem eisfreien Nordpolargebiet in den Sommermonaten zu rechnen.
11
Arctic Climate Impact Assessment: Impacts of a Warming Arctic (2004)
12
National Snow an Ice Data Center (2005): Sea Ice Decline Intensifies
5
‘ T h i s i s a n e m e r g e n c y, a n d f o r e m e r g e n c y s it u ati o n s w e n e e d e m e r g e n c y a c ti o n … ’
Schwere Schäden sind auch beim gegenwärtigen Erwärmungstrend besonders für Wildtierpopulationen im Nordpolargebiet zu erwarten. In den letzten Jahren wurden besonders die
bei Eisbären bereits aufgetretenden Effekte diskutiert. Sie sind vom Meereseis abhängig, da
sie auf dem Eis lebende Robben jagen und Eiskorridore nutzen, um von einem Gebiet zum
Anderen zu ziehen. Es gilt als unwahrscheinlich, dass sie als Art überleben, wenn es zu einem vollständigen Verlust des sommerlichen Meereseises kommen sollte. Anderseits werden
beispielsweise in Kanada jährlich tausende Robben getötet, was die Hauptnahrungsquelle
der Eisbären stark reduziert. Auch die Lebensweise der Inuit, die auf intakte Eisflächen für
Begehbarkeit und Jagd angewiesen sind, wird betroffen sein13.
A.1.4.Rückgang der Gletscher14 : nach den Fluten folgen Dürren
Ob in den Rocky Mountains, den peruanischen Anden, in den Alpen oder im Himalaja:
Überall auf der Welt melden Glaziologen den Rückgang des ewigen Eises. Die Gletscher der
Hochgebirge und Polarregionen ziehen sich mit nie gekannter Geschwindigkeit zurück. In
den nächsten Jahren wird sich dieser Prozess sogar noch beschleunigen, denn wir erleben
aufgrund zeitlich verzögerter Reaktionen jetzt Entwicklungen, die vor 30 Jahren verursacht
wurden. Den Prognosen des IPCC zu Folge wird das Volumen der nordhemisphärischen
Gletscher bis 2050 durchschnittlich um weitere 60% zurückgehen15.
Die Folgen der Gletscherschmelze sind dramatisch: Überschwemmungen, verbunden mit
Murgängen16 und Erdrutschen, sind die unmittelbaren Auswirkungen. Langfristig droht
Trinkwasserknappheit, denn drei Viertel aller Süßwasserreserven sind im Gletschereis gebunden. Das Schmelzwasser lässt den Meeresspiegel ansteigen.
In den vergangenen 150 Jahren verloren die Gletscher in den Alpen etwa ein Drittel ihrer
Fläche und und die Hälfte ihrer Masse. Bis 1970 waren bereits 35 Prozent der eisbedeckten
Fläche in den europäischen Alpen abgeschmolzen. Die Jahre 2002/2003 brachten Rekordverluste: die Schweizer Alpengletscher wichen in nur zwei Jahren bis zu 150 Meter zurück
und büßten fünf bis zehn Prozent ihrer Eisreserven ein.
5000 Gletscher gibt es in den Alpen. Wenn viele von ihnen für immer abgeschmolzen sind,
könnte es empfindliche Einbrüche in der Wasserversorgung geben. Denn Gletscher speichern Trinkwasser. Große europäische Flüsse wie Rhone und Rhein entspringen in Gletschergebieten. Das Süßwasser aus der Gletscherschmelze ist das hauptsächliche Trinkwasserreservoir in den alpinen Regionen.
Seit den 70er Jahren sind in Nepal und Bhutan die Temperaturen fast um ein Grad gestiegen. In der Folge gehen die einst gewaltigen Eismassen jedes Jahr zwischen 40 und 100
Meter zurück. Auch in China schrumpfen die Eisriesen immer schneller. Dort hat sich die
6
13
Klimawandel: Wenn Dörfer schmelzen, www.sueddeutsche.de, 20.2.07
14
Die folgenden Informationen wurden zum grossen Teil dem Hintergrund-Dokument “Gletscher“, 2006, von
Greenpeace Deutschland entnommen.
15
Christian Schneebergera, Heinz Blattera, Ayako Abe-Ouchib and Martin Wild (2003): Modelling changes in the
mass balance of glaciers of the northern hemisphere for a transient 2×CO2 scenario. In: Journal of Hydrology 282
(1-4), 10. November 2003, S. 145-163; Intergovernmental Panel on Climate Change (2007a): Climate Change
2007: Climate Change Impacts, Adaptation and Vulnerability. Summary for Policymakers
16
Ein Murgang entsteht im Gebirge, wenn im steilen Gelände wenig verfestigtes Material (Geröll, Schutt und
Erdmaterial), das stark mit Wasser durchtränkt ist, in Bewegung gerät. Oft werden Murgänge durch lange
Regenperioden oder die Schneeschmelze ausgelöst. Auf seinem Weg reißt der Murgang meist zusätzliches Material
mit, so dass er zu einem Gemisch aus Wasser, Schlamm, Sand, Geröll, metergroßen Felsen und Baumstämmen
wird. Ein Murgang hat deutlich mehr Energie und kann erheblich höheren Schaden anrichten als ein Hochwasser.
Klimaschut z und globale Gerechtigkeit
Eismasse in den letzten 40 Jahren um sieben Prozent verringert. Im Ost-Himalaja sind bereits
2000 Gletscher vom Erdboden verschwunden. Bei der jetzigen Geschwindigkeit wird es im
Jahr 2100 gar keine Gletscher mehr in China geben. In den letzten 30 Jahren sind auf der
Qinghai-Hochebene in Tibet 17 Prozent der Gletscherfläche verloren gegangen. Die Erderwärmung könnte in der Ursprungsregion des Gelben Flusses in den nächsten Dekaden dazu
führen, dass die Hälfte des Wassers, das den Fluss speist, versiegt.
Für den Himalaja könnte das Schmelzen der Gletscher in einer Katastrophe enden. Mit dem
Absickern des Schmelzwassers steigt der Wasserpegel der Gletscherseen an. Wenn unter
dem Druck des Wassers die Ränder wegbrechen, überfluten Millionen Kubikmeter Wasser
Täler und Dörfer. 44 Gletscherseen der Himalaja-Region stellen durch ihren hohen Wasserstand mittlerweile eine ernste Bedrohung für die Menschen und Tiere in den Tälern dar. In
Indien, Nepal, Bangladesch und Bhutan könnten gewaltige Flutwellen zu Tal stürzen und
Dörfer und landwirtschaftliche Flächen verwüsten.
Nach der Flut drohen akuter Wassermangel und Dürre. Denn mit den Gletschern geht auch
das in ihnen gebundene Wasser dahin; langfristig werden die Wasserspiegel im Zuge der
Gletscherschmelze sinken, Flussbetten trocknen aus. Bleibt der Nachschub für die Flüsse
aus, drohen Dürrekatastrophen.
Die sieben großen Flüsse Asiens wie Indus, Ganges und Mekong werden mit Wasser aus
den Bergen gespeist. 500 bis 600 Millionen Menschen wären betroffen, das ist ein Zehntel
der Weltbevölkerung.
A.1.5. Erhöhung des Meeresspiegels
“What we can say is that when ice sheets have gone unstable in the past sea level
rise at rates as large as 3-5 meters per century have occurred, indeed, such rates
have occurred in conjunction with climate forcings much smaller than the expected
human-made business-as-usual climate forcing of the 21st century.”
“So estimates of the time required for a large ice sheet response seem to range only
from a century or less to a few centuries. Thus the issue is only whether disastrous
consequences will be visited upon our children or their descendants. Once ice
sheet disintegration is underway it can proceed under its own momentum and is
unstoppable – we cannot tie a rope around or build a wall around a disintegrating
behemoth ice sheet.”
(James Hansen, In Defence of Kingsnorth Six,
Testimony for criminal trial in Kent, United Kingdom, 10. September 2008)
Als Folge der Erderwärmung erhöht sich der Meeresspiegel. Der gemessene Anstieg des
Meeresspiegels zwischen 1900 und 2000 beträgt 18,5 cm und erhöht sich weiter. Nach verschiedenen Szenarien des IPCC sind bis 2100 Anstiege zwischen 0,19 m und 0,58 m möglich, wobei die Erhöhung nicht gleichmäßig ausfällt, sondern sich aufgrund von Meeresströmungen und anderen Faktoren regional unterschiedlich darstellt. Von diesen Berechnungen
noch ausgenommen sind die schwer zu modellierenden Eisschilde Grönlands und der Antarktis, die aber z.T. bereits jetzt und möglicherweise künftig zunehmend abschmelzen17.
17
Intergovernmental Panel on Climate Change (2007): Climate Change 2007 – IPCC Fourth Assessment Report.
Summary for Policymakers
7
‘ T h i s i s a n e m e r g e n c y, a n d f o r e m e r g e n c y s it u ati o n s w e n e e d e m e r g e n c y a c ti o n … ’
Der Meeresspiegel war bislang um 1 cm bis 2 cm pro Jahrzehnt gestiegen und erhöht sich
aktuell um etwa 3 cm pro Dekade18. Das Ansteigen des Meeresspiegels ist etwa doppelt so
schnell wie im 20. Jahrhundert.
Das Ozeanwasser dehnt sich wärmebedingt aus. Der Pegel steigt jedoch auch dadurch, dass
Gebirgsgletscher abschmelzen und Kontinentaleis ins Meer abfließt. Die Hauptgefahr sehen
Wissenschaftler in dem zunehmenden Abschmelzen der Eisschilde und damit verbunden
einem wesentlich größeren Anstieg des Meeresspiegels. Es gibt eine Reihe neuer Studien,
die beschleunigte Masseverluste an Gletschern und den großen Eisschilden der Erde festgestellt haben19. Im vierten Sachstandsbericht des Weltklimarats wurde die Dynamik der
großen Eisschilde auf Grönland und in der Antarktis nicht berücksichtigt. Nach neueren
Abschätzungen, die diese Prozesse abbilden, könnte der Meeresspiegel bis 2100 um 0,8
Meter ansteigen (Pfeffer et al. 2008). Diese Annahme liegt auch im Bereich der nach einer
am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung entwickelten semi-empirischen Methode berechneten Werte von 0,5 bis 1,4 Meter20.
Die größte wissenschaftliche Ungewissheit ist, wie lange es braucht, bis die Eisschilde auf
die Temperaturerhöhung reagieren werden. Die Schätzungen des IPCC von einem Meeresspiegelanstieg von etwa einem viertel bis halben Meter hatten die Auswirkungen der
Schmelze der antarktischen und grönländischen Eisschilde nicht mit in Betracht gezogen.
Meereseisschilde, die das westantarktische Eisschild stützen, schmelzen in einer Geschwindigkeit von mehreren Metern pro Jahr. Sowohl das Grönlandeisschild als auch das Eisschild
der Westantarktis verzeichnen derzeit einen jährlichen Nettogewichtsverlust von 100 Kubikkilometern Eis21.
A.1.6.Versauerung der Meere
Ozeane sind eine bedeutende CO2-Senke. Die steigende Konzentration von CO2 in der Atmosphäre senkt jedoch indirekt den pH-Wert der Ozeane22,23. Der durchschnittliche pH-Wert
hat sich bereits von 8,16 auf 8,05 verringert. Bei einer Verdoppelung der atmosphärischen
CO2-Konzentration im Vergleich zum vorindustriellen Wert wird mit einer weiteren Absenkung auf 7,91 gerechnet, bei einer Verdreifachung auf 7,7624. Dieser Effekt verlangsamt
zwar die Erderwärmung, zieht aber schwerwiegende Folgen unter anderem für Tiere mit einem Schutzmantel aus Kalk nach sich. Betroffen sind besonders Korallen - insbesondere die
der Tropen und Subtropen zählen zu den an meisten Gefährdeten - und Kleinstlebewesen
wie winzige Meeresschnecken und Zooplankton, die am Anfang der Nahrungskette stehen.
Die Tiefe, unterhalb derer sich Kalk im Ozean auflöst, hat sich in den letzten 200 Jahren um
400 Meter nach oben verschoben25.
8
18
A. Cazenave, R. S. Nerem (2004): Present-day sea level change: observations and causes, in: Reviews of
Geophysics
19
UNEP/WGMS 2008, Mote 2007, Rignot et al. 2008
20
Rahmstorf 2007
21
James Hansen, In Defence of Kingsnorth Six, Testimony for criminal trial in Kent, United Kingdom, 10. September
2008
22
Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (2006): Die Zukunft der Meere – zu
warm, zu hoch, zu sauer. Sondergutachten, Berlin
23
The Royal Society (2005): Ocean acidification due to increasing atmospheric carbon dioxide. Policy Document
12/05
24
Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (2006): Daie Zukunft der Meere –
zu warm, zu hoch, zu sauer. Sondergutachten, Berlin
25
http://www.uni-protokolle.de/nachrichten/id/132060/
Klimaschut z und globale Gerechtigkeit
A.1.7. Erwärmung der Meere
Die Meere erwärmen sich mit den steigenden Temperaturen der Atmosphäre. Die Erwärmung der Meere hat Folgen für ihre Bewohner, wie Fische und Meeressäuger. Sie wandern
polwärts, worin sie den Landtieren ähneln. Die Populationen des Kabeljaus in der Nordsee
etwa schrumpfen stärker, als es allein mit Überfischung erklärt werden kann, sie wandern in
Folge der steigenden Temperaturen bereits nordwärts.
Besonders negativ betroffen sind wiederum die Korallenriffe. Die Erwärmung des Meerwassers ruft bei ihnen die so genannte Korallenbleiche hervor, die zwar reversibel ist, bei länger
anhaltender Belastung aber zum Tod der Koralle führt. Seit den 1950er Jahren sind bereits
(auch durch rabiate Fischfangmethoden wie Schleppnetze etc.) 20 % aller Korallenriffe zerstört worden. Weitere 24 % stehen kurz vor dem Kollaps, und 26 % sind gefährdet. Tropische Korallen haben wenig Toleranzen gegenüber steigenden Temperaturen, sie beginnen
bereits bei 1–2 °C über dem sommerlichen Temperaturmaximum auszubleichen. Es gilt als
zweifelhaft, dass die Korallen sich schnell genug an die globale Erwärmung und ihre Auswirkungen auf die Meerestemperaturen anpassen können.
Sind die Korallen erst einmal abgestorben, brechen ganze Ökosysteme zusammen. Fische finden keine Nahrung und keinen Platz ihre Jungen aufzuziehen. Ein Ausweichen in andere Gebiete ist oft nicht möglich, weil diese bereits besetzt sind oder ebenfalls von der Korallenbleiche betroffen sind. Das hat wiederum Auswirkungen auf viele Menschen. Fischer verlieren ihre
Nahrungsgrundlage und für den Tauchtourismus ist die Korallenbleiche eine Katastrophe.
Das US-Außenministerium hat 2005 den Wert der Riffe in Dollar pro Jahr ausgerechnet und
kam zu einem „touristischen Wert“ des Great Barrier Reef von 1,5 Milliarden Dollar. Die Riffe
vor der Küste Floridas sind 2,5 Milliarden Dollar und die in der Karibik ungefähr 140 Milliarden
Dollar wert.
Neben den Regenwäldern gelten die Korallenriffe als die artenreichsten Lebensräume der
Welt. Bisher sind etwa 60.000 verschiedene Arten in diesem Lebensraum entdeckt worden.
Es werden jedoch mehr als 400.000 Arten in den Riffen vermutet, hier leben mehr als
ein Viertel aller bekannten Meeresfische. Die Größe aller Riffe wird auf über 600.000 km²
geschätzt. Seit über 225 Millionen Jahren existieren die Korallenriffe und gehören zu den
ältesten Ökosystemen der Welt.
A.1.8.Auswirkungen auf Tropische Wirbelstürme ?
Inwieweit sich die globale Erwärmung auf die Häufigkeit und Intensität tropischer Wirbelstürme auswirkt, ist noch nicht eindeutig geklärt. Zum einen unterliegt die Sturmaktivität
natürlichen zyklischen Schwankungen – zum anderen ist ein überlagerter Trend zu häufigeren sowie intensiveren Wirbelstürmen zu beobachten26.
Im Jahr 2006 hielt der International Workshop on Tropical Cyclones der World Meteorological Organization (WMO) fest, dass es Anhaltspunkte für und wider das Vorhandensein
eines erkennbaren anthropogenen Signals in den bisherigen Aufzeichnungen über tropische
Wirbelstürme gibt, doch bislang können dazu keine gesicherten Schlussfolgerungen gezogen werden27.
26
Münchener Rück: Hurrikane: stärker, häufiger, teurer, 2006
27
WMO-IWTC: Summary Statement on Tropical Cyclones and Climate Change, 2006
9
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Die Intensität tropischer Wirbelstürme folgt nach empirischen Erkenntnissen der Oberflächentemperatur des Meeres. Dabei ist zu beachten, dass diese Temperaturen aus bislang
unbekannten Gründen über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten variieren. Im Nordatlantik wechselt die Atlantic Multidecadal Oscillation (AMO) in einem Rhythmus von etwa
40 bis 80 Jahren zwischen ‚warm‘ und ‚kalt‘, während im Nordostpazifik die Pacific Decadal
Oscillation alle 20 bis 30 Jahre einen ähnlichen Wechsel vollzieht. Besonders im Nordatlantik lässt sich hierbei ein Trend erkennen, dass sich bei ‚warmer‘ AMO deutlich intensivere
Hurrikansaisonen ereignen als bei ‚kalter‘. So ereigneten sich sieben der zehn intensivsten
Hurrikansaisonen (seit Beginn der Messungen im Jahr 1850) in den vorletzten beiden AMOWarmphasen von ~1850 bis ~1900 sowie ~1925 bis ~1965. In der darauffolgenden Kaltphase, die bis in die frühen 1990er andauerte, kam es dagegen nur zu vergleichsweise milden
Hurrikansaisonen. Seit etwa 1995 befindet sich die AMO wieder in einer Warmphase, weshalb die Hurrikanintensität im Trend wieder deutlich zunahm. Forscher der National Oceanic
and Atmospheric Administration (NOAA) gehen davon aus, dass diese Phase erhöhter Hurrikanintensität noch etwa 10 bis 40 Jahre anhalten wird28.
Den Statistiken der NOAA zu Folge nahm die Intensität und insbesondere die Anzahl der Hurrikans im Trend in jeder Warmphase der AMO zu. Einige Forscher sehen in dieser Zunahme die
Auswirkung der globalen Erwärmung29, während andere Studien behaupten, die neuen Observationstechniken und Instrumente seien für diesen beobachteten Anstieg verantwortlich.
A.1.9.Veränderte Niederschlagsmuster, Dürren und
Überschwemmungen
Der vierte Sachstandsbericht des IPCC (AR4) kommt zu dem Schluss, dass während der
vergangenen 50 Jahre eine Zunahme der extremen Wetterereignisse beobachtet werden
konnte. Der IPCC prognostiziert, dass es mit sehr großer Wahrscheinlichkeit zu einer weiteren Zunahme von Hitzewellen und schweren Niederschlagsereignissen kommen wird.
Durch den Klimawandel ändern sich weltweit Art und Menge der Niederschläge. Dabei
kann sich sowohl die Gesamtmenge des Niederschlags an einem bestimmten Ort ändern
als auch dessen zeitliches Auftreten: Niederschläge fallen in anderen Intervallen als vorher
üblich oder verteilen sich neu auf die Jahreszeiten. Starkregenfälle werden zunehmen, häufigere und schwerere Überflutungen sind zu befürchten. Auch niederschlagsbedingte Wetterextreme wie Dürren können auf einer erwärmten Erde zu- oder abnehmen.
Bei der Kartierung großflächiger Trends der einfallenden Niederschlagsmenge seit 1900 zeigen sich regional deutliche Unterschiede. Mehr Niederschlag entfiel besonders auf Kanada,
Nordeuropa, Westindien und Ostaustralien. Rückgänge von bis zu 50 % wurden besonders
in West- und Ostafrika und im Westen Lateinamerikas gemessen30. Im Vergleich zu 1980 wird
nach einer Modellstudie bis 2050 der Osten Afrikas einen weiteren Rückgang erfahren, ebenso Mittelamerika und eine große Region, die sich von Neuseeland über Australien und Neuguinea bis nach Japan erstreckt. Ein deutlicher Anstieg wird für den Osten Grönlands, für Teile
Lateinamerikas und Westafrikas sowie besonders über dem Pazifischen Ozean erwartet31.
10
28
Stanley B. Goldenberg et al. (2001): The Recent Increase in Atlantic Hurricane Activity: Causes and Implications,
Science 293 (5529), S. 474–479
29
Emanuel, Kerry (2005): Increasing destructiveness of taropical cyclones over the past 30 years, in: Nature, 31. Juli
30
UNEP GRID Arendal: Changing Weather
31
NOAA Geophysical Fluid Dynamics Laboratory: GFDL R30 Podeal projected Climate Changes: Year 2050
Klimaschut z und globale Gerechtigkeit
In einer Studie aus dem Jahr 2002 werden mehrere tausend Zeitserien verschiedener klimatischer Indikatoren ausgewertet, die zu dem Schluss führen, dass sich die Zahl der Tage mit
besonders schwerem Niederschlag signifikant erhöht hat. So haben sich schwere Regenfälle
in Großbritannien während des Winters nahezu verdoppelt. Während in den 1960ern 7–8 %
der Niederschläge im Winter in die Kategorie Starkregen fielen, waren es Mitte der 90er bereits ca. 15 %32. Ebenfalls signifikant gewachsen ist in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts
die von Wetterextremen betroffene Landfläche, auch wenn für Teile Afrikas und Südamerikas
bei der Erstellung der Studie nur unzureichende Daten vorgelegen haben33.
In den westlichen Industriestaaten sind Flutkatastrophen mit hohen finanziellen Schäden
verbunden. In Entwicklungs- oder Schwellenländern, wo Menschen oft in wenig befestigten Unterkünften direkt am Fluss oder in Küstenregionen leben, fordern Flutkatastrophen
viele Menschenleben: Bei schweren Überschwemmungen starben im August 1998 über
3.000 Menschen im Nord-Osten Chinas im Gebiet des Jangtsekiang und Shonghua in den
Fluten. Im indonesischen Jakarta setzten Anfang Februar 2007 heftige Regenfälle und die
folgenden Hochwasser die halbe Stadt unter Wasser, über 300.000 Menschen wurden obdachlos. Menschen in Afrika sind Extremereignissen besonders ausgesetzt, da es hier nur
ein schwach ausgebautes meteorologisches Überwachungssystem gibt, was häufig zu verspäteten und ungenauen Informationen führt34.
A.1.10.G esundheitliche Folgen
Die menschliche Gesundheit wird vom Klima direkt (z.B. Kälte oder Hitze) und indirekt (z.B.
durch erhöhte Ausbreitungsgefahr von Tropenkrankheiten wie Malaria) beeinflusst. Die Prognosen für die Auswirkungen einer zukünftigen Erwärmung sind mit großen Unsicherheiten
behaftet, da insbesondere die indirekten Folgen primär vom wirtschaftlichen Stand einer
Region beeinflusst werden. Dem IPCC zu Folge werden die negativen Folgen auf die Gesundheit durch die Klimaerwärmung die positiven sehr wahrscheinlich übersteigen. Besonders stark werden dabei die Entwicklungsländer betroffen sein.
Zu den indirekten Folgen der globalen Erwärmung zählt die Ausweitung des Verbreitungsgebiets der Population und des Infektionspotentials von Krankheitsüberträgern wie Stechmücken (z. B. Anopheles, Überträgerin der Malaria35 oder Zecken). In Europa ist eine erneute Ausbreitung der Malaria höchst unwahrscheinlich, da hier ein hoher medizinischer und
hygienischer Standard herrscht36. Ärmere Länder, insbesondere jene West- und Zentralafrikas, werden von der Malariaausbreitung wesentlich stärker betroffen sein.
Nach einer Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sterben schon heute jährlich
mindestens 150.000 Menschen an den indirekten Folgen der globalen Erwärmung, zu de-
32
T. J. Osborn, M. Hulme, P. D. Jones, T. A. Basnett (2000): Observed trends in the daily intensity of United Kingdom
precipitation, in: International Journal of Climatology, S. 347–364, Volume 20
33
Frich, P., L. V. Alexander, P. Della-Marta, B. Gleason, M. Haylock, A. M. G. Klein Tank und T. Peterson (2002):
Observed coherent changes in climatic extremes during the second half of the twentieth century, in: Climate
Research, S.193–212, V.19
34
UK Department for Environment Food and Rural Affairs und UK Department for International Development (2004):
African Climate Report. A report commissioned by the UK Government to review African climate science, policy
and options for action
35
Martens P., Kovats R.S., Nijhof S., de Vries P., Livermore M.T.J., Bradley D.J., Cox J., McMichael A.J. (1999): Climate
change and future populations at risk of malaria - a review of recent outbreaks, in: Global Environmental Change,
Vol. 9,S. 89-107
36
Reiter P. From Shakespeare to Defoe: Malaria in England in the Little Ice Age, Emerging Infectious Diseases, Vol. 6,
S.1-11
11
‘ T h i s i s a n e m e r g e n c y, a n d f o r e m e r g e n c y s it u ati o n s w e n e e d e m e r g e n c y a c ti o n … ’
nen die WHO Nahrungsmangel, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Durchfall, Malaria und andere Infektionen zählt37. Die meisten Opfer sind in Entwicklungsländern zu beklagen.
A.2. Europa bleibt nicht verschont
“Europe has warmed more than the global average (1.0 and 1.2 °C, respectively),
especially in the south-west, the north-east and mountain areas. Projections suggest
further temperature increases in Europe between 1.0–5.5 °C by the end of the
century, which is also higher than projected global warming (1.8–4.0 °C).”
“Whether the EU‘s goal of less then 2 °C global warming (compared with preindustrial levels) will be exceeded will depend on the effectiveness of international
climate policy regarding global greenhouse gas emission reductions. More frequent
and more intense hot extremes and a decreasing number of cold extremes have
occurred the past 50 years and this trend is projected to continue.”
(Impacts of Europe’s changing climate 2008 indicator-based assessment, Joint EEAJRC-WHO report, EEA Report No 4/2008)
Europa hat sich im letzten Jahrhundert um nahezu 1°C erwärmt - schneller als der globale
Durchschnitt. Regen- und Schneefälle haben in Nordeuropa stark zugenommen, während
in Südeuropa mehr Trockenperioden beobachtet werden. Jüngste Temperaturextreme wie
die während der Hitzewelle des Sommers 2003 gemessenen Rekordwerte sind die Folge der
vom Menschen herbeigeführten Klimaänderung. Statistische Analysen haben gezeigt, dass
das Risiko, dass solche Fälle eintreten, infolge des Klimawandels bereits spürbar zugenommen hat. Alles spricht dafür, dass nahezu alle natürlichen, biologischen und physikalischen
Prozesse (wie frühere Baumblüte und Schmelzen der Gletscher) auf Klimaänderungen in
Europa reagieren. Im Jahr 2080 könnte über die Hälfte der europäischen Pflanzenarten gefährdet bzw. vom Aussterben bedroht sein.
Die Europäische Umweltagentur hat im Oktober 2008 ihren Bericht über die Auswirkungen
des Klimawandels in Europa vorgelegt. Die wichtigsten Erkenntnisse38:
• Die globale durchschnittliche Temperatur ist seit der vorindustriellen Zeit um fast 0.8°C angestiegen; mit noch grösseren Temperaturerhöhungen in Europa und den nördlichen Breiten
• Die Änderungen der jährlichen Niederschläge machen die Unterschiede zwischen dem niederschlagsreichen nördlichen Teil Europas und dem trockenen Süden schlimmer, wobei die
Mittelmeerregionen 20% weniger Regen erhalten als noch vor einem Jahrhundert
• Satellitenbeobachtungen zufolge ist der Meeresspiegel in den letzten 15 Jahren um jährlich
bis zu 3.1 mm angestiegen
• Das Abschmelzen des arktischen Eises hat sich beschleunigt: im September 2007 war die
geringste Ausdehnung nur halb so gross wie das normale Minimum in den 1950er Jahren.
Die Tierarten in der Arktis, wie Eisbären, Robben und Wale, sind vom Aussterben bedroht.
• Das Abschmelzen der Gletscher in den europäischen Gebirgsregionen, und die damit verbundenen Temperatur- und Niederschlagsänderungen, werden weitreichende Konsequen-
12
37
The World Health Organization (2002): The World Health Report 2002
38
zitiert aus: Impacts of Europe’s changing climate 2008 indicator-based assessment, Joint EEA-JRC-WHO report,
EEA Report No 4/2008
Klimaschut z und globale Gerechtigkeit
zen haben. Prognosen sagen einen allgemeinen Anstieg von Fluss-Überschwemmungen
wie auch einen Anstieg des Austrocknens der Flüsse im Süden voraus
• Die Nordwärtswanderung verschiedener Fischarten – 1000 Kilometer in den vergangenen
40 Jahren – kann Auswirkungen auf die Fischerei haben, wie z.B. reduzierte Kabeljau-Bestände in der Nordsee
• Pflanzen, Vögel, Insekten und Säugetiere ziehen sowohl weiter nördlich als auch bergaufwärts. Bis zum Ende des Jahrhunderts werden viele Pflanzenarten mehrere hundert Kilometer nördlich gewandert sein und bis zu 60% der Gebirgspflanzenarten können vom Aussterben bedroht sein
• Der steigende Wasserverbrauch für die Landwirtschaft in der Mittelmeerregion wird mit
dem Wasserbedarf für Haushalte und Tourismus konkurrieren
• Die Wachstumsperiode für Wälder wird sich verändern und die Gefahr von Waldbränden in
Südeuropa wird sich erhöhen
• Die menschliche Gesundheit ist ebenso signifikant vom Klimawandel betroffen. 70.000 zusätzliche Todesfälle in 12 europäischen Ländern wurden im Jahr 2003 gezählt. Der Klimawandel erhöht die Häufigkeit und die Schwere extremer Wetterereignisse. Die prognostizierten
zukünftigen Auswirkungen von Hitzewellen, Überflutungen, Dürren, Verschlechterung der
Luftqualität etc. werden die Gesundheit vieler Menschen gefährden. Gesundheitssysteme
werden verbessert werden müssen. Insbesondere für besonders anfällige Menschen wie
Ältere, Kinder und benachteiligte Bevölkerungsgruppen werden besondere Maßnahmen
notwendig werden
Zahlreiche Wirtschaftssektoren wie Land- und Forstwirtschaft, Fischerei, Bade- und Wintersporttourismus und Gesundheitswesen sind sehr von den Klimabedingungen abhängig
und werden die Auswirkungen des Klimawandels auf ihre Tätigkeiten und Unternehmen
deutlich spüren. Wasserknappheit, Windschäden, höhere Temperaturen, mehr Buschfeuer
und erhöhte Krankheitsgefahr werden zu Waldschäden führen. Häufigere und heftigere
Wetterunbilden wie Stürme, heftige Niederschläge, Meeresüberflutungen und Blitzfluten,
Trockenheit, Waldbrände und Erdrutsche beschädigen Gebäude, Verkehrs- und industrielle
Infrastrukturen und wirken sich indirekt auch auf die Finanzdienstleistungen und den Versicherungssektor aus. Selbst Schäden außerhalb der EU könnten die Wirtschaft der EU spürbar beeinflussen (z.B. weniger Holzlieferungen an die europäische Verarbeitungsindustrie).
Die sich wandelnden Klimabedingungen werden beispielsweise den Energiesektor und die
Energieverbrauchsmuster auf verschiedene Weise beeinflussen:
• In Regionen, in denen die Niederschläge zurückgehen oder in denen trockene Sommer immer häufiger vorkommen werden, wird weniger Wasser zur Kühlung von Wärme und Atomkraftwerken und für die Erzeugung von Wasserenergie zur Verfügung stehen. Die Kühlkapazität des Wassers wird ebenfalls abnehmen, weil sich das Wasser generell erwärmen wird;
auch die Schwellenwerte für die Wasserableitung werden möglicherweise überschritten.
• Flussströmungen werden sich aufgrund veränderter Niederschlagsmuster in Berggebieten
aufgrund der abgeschmolzenen Schnee- und Eisschichten verändern. Aufgrund der erhöhten Erosionsrisiken kann es zu einer beschleunigten Verlandung von Stauseen für die Wasserkrafterzeugung kommen.
13
‘ T h i s i s a n e m e r g e n c y, a n d f o r e m e r g e n c y s it u ati o n s w e n e e d e m e r g e n c y a c ti o n … ’
• Der Heizbedarf wird zurückgehen, doch das Risiko von Stromausfällen wird zunehmen, weil
die Sommerhitze die Nachfrage nach Klimatisierung und dementsprechend die Nachfrage
nach Elektrizität nach oben treibt.
• Das zunehmende Sturm- und Hochwasserrisiko kann die Energieinfrastruktur beeinträchtigen.
Dies zeigt, dass der Klimawandel zwar einige positive Auswirkungen haben mag (z.B. in
Bezug auf die landwirtschaftliche Erzeugung in begrenzten Teilen Europas), die negativen
Folgen aber weitaus überwiegen.
Abbildung: Veränderung der durchschnittlichen Jahrestemperatur bis Ende dieses Jahrhunderts. Die Abbildung basiert auf dem IPCC
SRES-Szenario A2. Quelle: Grünbuch der
Kommission Anpassung an den Klimawandel
in Europa – Optionen für Maßnahmen der EU,
KOM(2007) 354 endgültig, 2007
Europa wird sich anpassen müssen. Dies stellt
eine Herausforderung für die Gesellschaft dar.
Sowohl der Privatsektor, die Wirtschaft, die
Industrie und der Dienstleistungssektor der
EU als auch der einzelne Bürger werden sich
mit den Folgen des Klimawandels konfrontiert
sehen und können bei den Anpassungsmaßnahmen eine wichtige Rolle spielen. Konkrete
Maßnahmen könnten breit gefächert sein und
beispielsweise Folgende umfassen39:
• sanfte, relativ kostengünstige Maßnahmen wie Gewässerschutz, Änderungen der Fruchtfolge und Aussaatzeiten und Verwendung trockenheitsresistenter Sorten, staatliche Planung
und Sensibilisierung der Öffentlichkeit;
• kostspielige Schutz- und Umsiedlungsmaßnahmen wie Anhebung von Deichen, Umsiedlung
von Häfen, Industrieanlagen sowie ganzen Städten und Dörfern aus tief liegenden Küstenund Überschwemmungsgebieten
• Es sind auch staatliche Maßnahmen erforderlich, z. B. Berücksichtigung von Blitzflutrisiken
bei der Raum- und Flächennutzungsplanung; Anpassung von Baunormen, um sicherzustellen, dass langfristig angelegte Infrastrukturen gegen künftige Klimarisiken gesichert sind;
Aktualisierung von Katastrophenmanagementstrategien; Frühwarnsysteme für Hochwasser
und Waldbrände.
Der Anpassungsprozess ist komplex, denn die Schwere der Auswirkungen wird je nach der
physikalischen Anfälligkeit, dem Stand der sozioökonomischen Entwicklung, den natürlichen und menschlichen Anpassungskapazitäten, den Gesundheitsdiensten und den Katastrophenschutzmechanismen von Region zu Region unterschiedlich sein.
39
14
Grünbuch der EU-Kommission, Anpassung an den Klimawandel in Europa – Optionen für Maßnahmen der EU,
SEK(2007) 849
Klimaschut z und globale Gerechtigkeit
A.3. Auswirkungen des Klimawandels auf die Landwirtschaft
Der Klimawandel stellt auch die Landwirtschaft vor erhebliche Anpassungsprobleme. Ein den
Menschen direkt betreffendes Problem der Verschiebung von Vegetationszonen sind Veränderungen der Erträge aus der Landwirtschaft. Die landwirtschaftliche Produktivität wird
sowohl von einer Temperaturerhöhung als auch von einer Veränderung der Niederschläge
betroffen sein. Global ist, grob gesehen, mit einer Verbesserung der landwirtschaftlichen
Möglichkeiten in den gemäßigten und kühleren Klimazonen und einer Verschlechterung in
den tropischen und subtropischen Gebieten zu rechnen. Schon heute ist es unter den derzeitigen Bedingungen in vielen besonders betroffenen Regionen schwer, einen funktionalen
Agrarsektor zu gestalten. Der Klimawandel verschärft diese Probleme weiter.
Die Europäische Union hat im Rahmen des Vierten Rahmenprogramms für Forschung und
Entwicklung im Bereich Umwelt und Klima die Effekte auf die EU-Mitgliedstaaten untersucht
und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Produktivität im Mittelmeerraum (wegen Wassermangels) tendenziell sinkt, in Nordeuropa sich hingegen eher positiv entwickeln werde40.
Maßgeblich für eventuell positive Auswirkungen des Klimawandels ist insbesondere dessen
Ausmaß. Förderliche Effekte für die Agrarwirtschaft von in gemäßigten Breiten liegenden
Ländern könnten sich bei Temperatursteigerungen um 3 oder 4 °C rasch umkehren. Insgesamt wird mit Nettoverlusten der Nahrungsmittelproduktion oberhalb einer Erwärmung von
2–3 °C gerechnet41. In diesem Temperaturbereich könnte die Anzahl der Menschen in der
EU, die wegen des Klimawandels zusätzlich durch Hunger gefährdet sind, auf über 50 Millionen steigen42.
A.4. Volkswirtschaftliche Schäden in Milliardenhöhe
durch Klimawandel
„Frühzeitiges Intervenieren bringt deutliche wirtschaftliche Vorteile, weil potenziellen
Schäden vorgegriffen wird und Gefahren für Ökosysteme, menschliche Gesundheit,
wirtschaftliche Entwicklung, Besitztum und Infrastrukturen minimiert werden.
Außerdem könnten europäische Unternehmen, die bei Anpassungsstrategien und
–technologien führend sind, Wettbewerbsvorteile erwirtschaften.“
„Ohne eine frühzeitige politische Regelung könnten die EU und ihre Mitgliedstaaten
gezwungen sein, spontan und in Reaktion auf immer häufiger auftretende Krisen und
Katastrophen oft auch abrupt zu intervenieren, was sich als sehr viel kostspieliger
erweisen und Europas soziale und wirtschaftliche Systeme und seine Sicherheit
bedrohen wird. Bei glaubhaft prognostizierten Klimaauswirkungen muss der
Anpassungsprozess daher jetzt beginnen.“
(Grünbuch der EU-Kommission, Anpassung an den Klimawandel in Europa –
Optionen für Maßnahmen der EU, SEK(2007) 849)
Der Klimawandel stellt nicht nur eine Bedrohung für das Leben von Millionen Menschen,
Pflanzen- und Tierarten dar. Der Klimawandel stellt uns vor eine nächste finanzielle Krise,
deren Folgen die aktuelle weltweite Bankenkrise um ein Vielfaches übersteigen werden.
40
http://ec.europa.eu/agriculture/envir/report/de/clima_de/report.htm
41
Martin Parry, Nigel Arnell, Tony McMichael, Robert Nicholls, Pim Martens, Sari Kovats, Matthew Livermore, Cynthia
Rosenzweig, Ana Iglesias, Günther Fischer (2001): Millions at risk: defining critical climate change threats and
targets, in: Global Environment Change 11, S.181–183
42
Günther Fischer, Mahendra Shah, Harrij van Velthuizen, Freddy O. Nachtergaele (2002): Global Agro-ecological
Assessment for Agriculture in the 21st Century, IIASA
15
‘ T h i s i s a n e m e r g e n c y, a n d f o r e m e r g e n c y s it u ati o n s w e n e e d e m e r g e n c y a c ti o n … ’
Wenn es um die Festlegung und Umsetzung von Klimaschutzzielen geht, werden von den
betroffenen Akteuren (Staat, Industrie, Haushalte) vor allem die dabei entstehenden Kosten
als Begründung vorgebracht, um den Klimaschutz zu verzögern, möglichst minimale Reduktionsziele zu beschließen bzw. die Reduktionen so „kosteneffizient“ wie möglich zu erzielen.
Klimaschutz kostet Geld. Klimaschutz verringert aber auch die Kosten, die durch Klimaschäden verursacht werden. Wirtschaftsexperten gehen sogar davon aus, dass die Kosten
für den Klimaschutz um ein Vielfaches geringer sein werden als die Kosten, die durch die
Klimaschäden entstehen.
Die wohl bekannteste Veröffentlichung in diesem Zusammenhang ist der „Stern-Report“.
Der Stern-Report (englisch “Stern Review on the Economics of Climate Change”) ist ein am
30. Oktober 2006 veröffentlichter Bericht des ehemaligen Weltbank-Chefökonomen und
jetzigen Leiters des volkswirtschaftlichen Dienstes der britischen Regierung Nicholas Stern.
Der im Auftrag der britischen Regierung erstellte rund 650 Seiten starke Bericht untersucht
insbesondere die wirtschaftlichen Folgen der globalen Erwärmung.
Der Stern-Bericht kommt zu dem Schluss, dass die Kosten, die durch den Klimawandel bei
Nichthandeln entstehen würden, dem Verlust von wenigstens 5 % des globalen Bruttoinlandsprodukts entsprechen würden. Wenn man eine breitere Palette von Risiken und Einflüssen berücksichtigte, könnten die Schäden auf 20 % oder mehr des erwarteten globalen
Bruttoinlandsprodukts ansteigen. Dies würde in etwa den Folgen der Weltwirtschaftskrise
der 1930er Jahre entsprechen. Die Entwicklungs- und Schwellenländer würden die ökonomischen Folgen des Klimawandels überdurchschnittlich stark zu spüren bekommen.
Dabei dreht es sich - das globale BIP von 2004 zugrundegelegt - um eine Summe zwischen
1,6 und 6,2 Billionen Euro. Die Kosten entstehen durch ein erhöhtes Aufkommen von Naturkatastrophen, Verschiebung der Klimazonen, Wassermangel, gefährdete Nahrungsmittelproduktion und die Notwendigkeit der Anpassung an all diese geänderten Rahmenbedingungen. Besonders betroffen sind ausgerechnet die ärmsten Länder der Welt - diejenigen,
die am wenigsten zur Klimaveränderung beigetragen haben. Dagegen liegen laut SternReport die jährlichen Kosten für die Stabilisierung der Treibhausgaskonzentration (zwischen
500 und 550 ppm Kohlendioxidäquivalenten) schätzungsweise bei etwa 1 % des globalen
Bruttoinlandsprodukts - wenn jetzt begonnen wird, entschieden zu handeln.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) kommt zu dem Schluss, dass ohne
klimaschutzpolitische Maßnahmen im Jahre 2100 mit globalen Klimaschäden von bis zu 20
Billionen (20.000 Milliarden) US-Dollar zu rechnen sei43.
Überdies, so das DIW, dürften die Kosten einer heute beginnenden Klimaschutzpolitik geringer sein als die einer solchen, die erst in 20 Jahren, dann aber mit drastischen Maßnahmen
einsetzt. Je früher mit der Klimaschutzpolitik begonnen wird, desto weniger Klimaschäden
und daraus resultierende Kosten werden in späteren Jahrzehnten auftreten.
Dem DIW zufolge
• könnten globale Klimaschäden im Jahre 2100 in der Höhe von bis zu 12 Billionen US-Dollar (12.000 Milliarden Dollar) vermieden werden, wenn möglichst rasch mit aktiver Klimaschutzpolitik begonnen wird
43
16
Kemfert, Claudia: Weltweiter Klimaschutz – Sofortiges Handeln spart hohe Kosten. DIW Wochenbericht Nr. 1213/2005
Klimaschut z und globale Gerechtigkeit
• würden die Kosten einer aktiven Klimaschutzpolitik, mit der heute begonnen würde, global
etwa 430 Milliarden US-Dollar im Jahre 2050 und ca. 3.000 Milliarden US-Dollar im Jahre
2100 betragen
• würde eine Klimaschutzpolitik, die erst im Jahre 2025 einsetzt, Mehrkosten von bis zu 50
Milliarden US-Dollar im Jahre 2050 und 340 Milliarden US-Dollar im Jahre 2100 bedeuten.
Für Europa prognostiziert das DIW bei frühzeitigem Klimaschutzbeginn (2005, Datum der
Publikation) Klimaschäden in Höhe von 49 Milliarden US-Dollar (2050) bzw. 126 Milliarden
US-Dollar (2100). Demgegenüber stünden Kosten für Klimaschutz von 16 Milliarden USDollar (2005) bzw. 112 Milliarden US-Dollar (2100).
Würde Europa erst 2025 mit dem Klimaschutz beginnen, wäre nicht nur das Ziel von maximal 2° Celsius globaler Erwärmung nicht mehr zu erreichen. Die Kosten des Klimawandels
für Europa beliefen sich in diesem Szenario auf 141 bzw. 572 Milliarden US-Dollar, während
die Kosten für Klimaschutz bei „lediglich“ 18 bzw. 125 Milliarden Dollar lägen.
Kosten des Klimaschutzes und der Klimaschäden im Jahre 2002
in Milliarden US-Dollar1
Klimaschutzkosten
Klimaschäden
bei Klimaschutzbeginn im Jahre
2005
Japan
2025
2005
2025
2050
2100
2050
2100
2050
2100
2050
2100
59,54
415,70
66,09
463,01
182,80
467,83
522,97
2124,31
China
11,63
81,20
12,91
90,45
35,71
91,39
102,16
414,98
Asien2
12,31
85,97
13,67
95,75
37,80
96,75
108,15
439,32
USA
137,67
961,19
152,81
1 070,59
422,68
1 081,74
1 209,23
4 911,93
Kanada
5,53
38,58
6,13
42,97
16,97
43,42
58354
197,16
Europa
16,03
111,88
17,79
124,62
49,20
125,92
140,76
571,75
5,77
40,30
6,41
44,89
17,72
45,35
50,70
205,94
darunter Deutschland
Russland
9,03
53,02
10,02
70,19
27,71
70,92
79,28
322,02
108,00
754,07
119,88
839,89
331,60
848,64
948,66
3 853,46
Afrika
30,74
214,63
31,12
239,06
94,38
241,55
270,02
1 096,84
Sonstige
40,25
281,05
44,68
313,04
123,59
316,30
353,57
1 436,23
Summe
430,73
3 007,29
478,11
3 349,57
1 322,45
3 384,46
3 783,34
15 368,00
Lateinamerika
1
Diskontiert auf dasJahr 2002
2
Asien: ohne Japan und China
Quellen: Simulation mit dem Modell WIAGEM; Berechnungen des DIW BerlinDIW Berlin 2005
17
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Kosten des Handelns und Nichthandelns im Klimaschutz bei technologischem Wandel
in Billionen US-$
in Billionen US-$
20
20
Kosten
des Klimaschutzes
Kosten
der Klimaschäden
Summe Kosten
Vermiedene
Schäden
15
15
10
10
5
5
0
2050
2100
Klimaschutzbeginn im Jahre 2005
2050
Kosten des Klimaschutzes
mit technischem Wandel
Kosten der Klimaschäden
Summe Kosten
Vermiedene Schäden
2100
Klimaschutzbeginn im Jahre 2025
0
2050
2100
Klimaschutzbeginn im Jahre 2005
2050
2100
Klimaschutzbeginn im Jahre 2025
Quellen: Simulation mit dem Modell WIAGEM;
Berechnungen des DIW Berlin.DIW Berlin 2005
Es wird deutlich, dass jede Verzögerung von Klimaschutzmaßnahmen nicht nur katastrophale
Folgen für Mensch und Umwelt hat, sondern auch enorme finanzielle Kosten verursachen wird.
Die derzeitige Finanzkrise hat gezeigt, dass die Politik innerhalb kurzer Zeit grosse Mengen
an öffentlichen Geldern bereitstellen kann, wenn es darauf ankommt, eine weltweite Krise
zu verhindern. Die Regierungen der Welt müssen angesichts der bevorstehenden Klimakatastrophe mit der gleichen Konsequenz handeln.
A.5. Das Weltklima am Kipppunkt
„Das Klimasystem ist kein träges und gutmütiges Faultier, sondern es kann sehr
abrupt und heftig reagieren“
(Stefan Rahmsdorf, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung)
“Most of us think of climate change as a gradual, linear process that involves a
smooth relationship between increasing levels of greenhouse gases and rising
temperatures — that like the kitchen oven, if we are slowly turning up the control,
we will produce a predictable warming. But climate doesn’t work like that.”
(David Spratt, Climate Code Red)
„Kipp-Punkte bergen die Gefahr drastischer, teilweise abrupter Klimaänderungen.
Als Folge könnten Maßnahmen zur Anpassung nicht rechtzeitig ergriffen werden,
oder mit sehr hohem Aufwand und extrem hohen Kosten verbunden sein. Deshalb
müssen zwingend die anthropogenen Emissionen von Treibhausgasen gemindert
werden. Der Mensch macht mit dem anhaltenden Ausstoß von Treibhausgasen ein
globales Experiment mit der Lufthülle seines Planeten, von dem er nicht genau
weiß, wie es ausgehen wird. Bereits in diesem Jahrhundert können Kipp-Punkte im
Klimasystem eintreten. Das ist Anlass zu schnellem und gezieltem Handeln.“
„Nach gegenwärtigen Erkenntnissen können durch die globale Erwärmung bereits
in diesem Jahrhundert Kipp-Punkte erreicht werden. Beispiele sind das Schmelzen
von Eismassen in der Arktis und des Grönländischen Eisschildes. Weitere
Prozesse wie Instabilität und Abbruch des Westantarktischen Eisschildes, Kollaps
18
Klimaschut z und globale Gerechtigkeit
der borealen Wälder, Austrocknung und Kollaps des Amazonas-Regenwaldes,
Zunahme und mögliche Persistenz des El Niño-Phänomens sowie Instabilität der
Sahelzone haben prinzipiell das Potenzial, mit einem Kipp-Punkt in näherer Zukunft
zu überraschen.“
Wegen der starken Klimaänderungen, die Kipp-Punkte auslösen können und vor
dem Hintergrund der diskutierten Unsicherheiten, ist politisches Handeln zwingend
erforderlich. Zum einen müssen konsequente und anspruchsvolle Maßnahmen
zur Minderung der Emissionen von Treibhausgasen durchgeführt werden, zum
anderen sind Maßnahmen zur Anpassung an die unvermeidliche Klimaänderung
notwendig.“
(Kippunkte im Klimasystem – Welche Gefahren drohen?, Umweltbundesamt
Deutschland, Juli 2008)
Viele Menschen gehen intuitiv davon aus, dass in einem komplexen System wie dem Klima
kontinuierliche Änderungen der Rahmenbedingungen auch eine kontinuierliche Reaktion
des Systems hervorrufen. Führende Klimawissenschaftler warnen jedoch davor, dass das
Weltklima sich sehr nahe an mehreren Kipppunkten befindet. Werden diese Kipppunkte
überschritten, so können dadurch abrupte, heftige und langfristig nicht mehr umkehrbare
Entwicklungen ausgelöst werden.
Im Klimasystem gibt es etliche „Kippelemente“. In den letzten Jahren wurden einige Regionen identifiziert, in denen eine kritische Schwelle existieren könnte, wo also das lokale
Klima sehr sensibel auf Eingriffe reagiert. Manche Klima-Kipppunkte könnten im Laufe des
21. Jahrhunderts überschritten werden oder sind gar schon überschritten.
Kipp-Elemente im Klimasystem
population density (persons per km2)
no data
0
5 10 20
100
200
300 400
1000
(Quelle: Lenton et al., Tipping elements in the Earth´s climate system, PNAS 1786-1793, Vol. 105, No 6, 2008)
Schmelzen des arktischen Meereseises
Hiermit ist im Wesentlichen die Eis-Albedo-Rückkopplung in der Arktis gemeint. Ein anfängliches Schmelzen des Meereseises legt Meerwasser frei, welches das Sonnenlicht besser
aufnimmt als das helle Eis und sich damit noch mehr erwärmt. Die Erwärmung wiederum
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‘ T h i s i s a n e m e r g e n c y, a n d f o r e m e r g e n c y s it u ati o n s w e n e e d e m e r g e n c y a c ti o n … ’
verstärkt die Eisschmelze. Der drastische Rückgang der Meereseisbedeckung, der in den
letzten 30 Jahren stattgefunden hat und seinen Höhepunkt im Sommer 2007 fand, gibt Anlass zu der Vermutung, dass dieser Kipppunkt einer der sensibelsten ist und eventuell bereits
überschritten wurde. Durch den Rückgang des Eises ist der Lebensraum vieler Tierarten wie
der Robben und Eisbären stark bedroht.
Schmelzen des grönländischen Eisschilds
Auch der Eispanzer auf dem grönländischen Festland unterliegt der Eis-Albedo-Rückkopplung. Außerdem wird die Stabilität des Eisschildes durch die physikalischen Eigenschaften des
Eises bestimmt. Es wird erwartet, dass bei steigenden Temperaturen der gesamte Eisschild
instabil wird und ins Meer abzurutschen droht. Aufgrund des hohen Druckes am Boden der
Eisschicht besteht dort eine Art Schmierfilm, der durch Schmelzwasser noch ergänzt wird
und so die Instabilität erhöht. Neueste Beobachtungen weisen auf eine schneller werdende
Destabilisierung hin. Der Kollaps des gesamten Grönlandeises hätte einen Meeresspiegelanstieg von bis zu sieben Metern zur Folge.
Tauende Permafrostgebiete
In den Permafrostgebieten der borealen Breiten, also vor allem in Kanada und Russland, sowie unter dem Meeresboden der Kontinentalabhänge lagern gigantische Mengen von Methan, eines starken Treibhausgases. Der genaue Umfang ist unklar, mit Sicherheit handelt es
sich dabei aber um Mengen, die das gesamte heute in der Atmosphäre befindliche Methan
um ein Mehrhundertfaches übertreffen. Dieses Methan ist bislang in den Permafrost-Böden oder in Form sogenannter Methanhydrate am Meeresboden gebunden. Methanhydrate
sind Eiskristalle, die eingelagerte Methanmoleküle beinhalten - ein handgroßes Stück dieser
Substanz sieht aus wie ein Schneeball, ist allerdings brennbar und zerfällt schnell an der offenen Luft. Es wird nur durch die tiefen Temperaturen und die sehr hohen Drucke an seinen
Lagerstätten zusammengehalten. Sollten die Temperaturen in Zukunft weiter stark ansteigen und Permafrost-Gebiete zum Schmelzen bringen, wird ein gewisser Teil der dortigen
Methanvorkommen freigesetzt werden. Außerdem könnten veränderte Meeresströmungen
und höhere Temperaturen an den Kontinentalabhängen auch dazu führen, dass Methanhydrate zerfallen und das Methan in den Ozean und schließlich in die Atmosphäre abgeben
würden. Der Treibhauseffekt wäre so um das zusätzliche Methan verstärkt, was eine weitere
globale Erwärmung mit all ihren Folgen bedeuten würde.
Rückgang der borealen Wälder
Je stärker die Auswirkungen des Klimawandels in den borealen Wäldern (den Wälder der
hohen nördlichen Breiten) werden, desto wahrscheinlicher wird deren Rückgang. Trockenperioden führen zu Wassermangel und zum leichteren Ausbruch von Feuern und Krankheiten.
So werden die Pflanzen geschwächt und können diesen und zusätzlichen Belastungen wie
Stürmen und extremen Temperaturen nicht mehr standhalten. Die Abholzung von Waldgebieten würde diese Entwicklung noch verstärken. In Folge eines solchen großräumigen
Waldsterbens würden große Mengen an zusätzlichem Kohlendioxid freigesetzt, denn die
borealen Wälder stellen etwa ein Drittel der globalen Waldfläche (auch wenn in tropischen
Wäldern noch mehr Kohlenstoff pro Fläche gespeichert ist). Paradoxerweise könnte der
Einfluss des Absterbens borealer Wälder auf die globale Durchschnittstemperatur dennoch
senkend sein: Statt dunklen Bäumen befänden sich dort dann ebene und das Sonnenlicht
gut reflektierende Schneeflächen. Im Zusammenspiel mit der Eis-Albedo-Rückkopplung
würde diese so genannte „Taiga-Tundra-Rückkopplung“ die Erde also kühlen. Die Schlussfolgerung, das Absterben der borealen Wälder sei „gut für das Klima“ greift aber zu kurz:
Die ökologischen Folgen wären verheerend und stünden damit den Folgen des Klimawandels in nichts nach.
20
Klimaschut z und globale Gerechtigkeit
Unterdrückung der atlantischen Tiefenwasserbildung
Durch einen Eintrag von Süßwasser in den hohen nördlichen Breiten käme es zu einer Abschwächung der thermohalinen Zirkulation. Fast alle Modelle zeigen ein solches Verhalten
für die Zukunft, allerdings in unterschiedlicher Stärke. Ob sich diese Abschwächung bereits
aus Beobachtungen ablesen lässt, ist in der Klimaforschung bislang umstritten.
Klimawandelbedingtes Ozonloch über der nördlichen Hemisphäre
Insbesondere Nordeuropa könnte von einem klimawandelbedingten Ozonloch betroffen
werden. Die globale Erwärmung am Boden der Atmosphäre bewirkt eine Abkühlung des
stratosphärischen „Daches“. Diese Abkühlung bewirkt die Bildung von Eiswolken, die wiederum ein Katalysator der Ozonzerstörung sind.
Störung des indischen Monsuns
Der indische Monsun mit seinen jährlichen starken Niederschlägen prägt das Leben von
mehreren 100 Millionen Menschen. Das Monsunsystem funktioniert zum Teil selbsterhaltend. Rekonstruktionen der Vergangenheit zeigen, dass dieses System sehr sensibel auf äußere Einflüsse reagieren könnte. Der Mensch beeinflußt dieses System auf zweierlei Weise:
Die erhöhten CO2-Konzentrationen und die Änderungen der Aerosolkonzentration und -zusammensetzung. Die langlebigen Treibhausgase sind zwar gleich verteilt, ihre erwärmende
Wirkung zeigt sich jedoch stärker über Land, da dieses schneller als der Ozean reagiert.
Der Monsun würde somit verstärkt. Auch die Aerosole wirken vor allem über Land, da sie
dort emittiert werden und nur eine kurze Lebensdauer haben. Allerdings haben sie einen
kühlenden Effekt und würden den Monsun schwächen. Wie sich der Monsun in Zukunft
also entwickelt, hängt sowohl von der globalen Klimaschutzpolitik als auch von der lokalen
Luftreinhaltepolitik ab. Genaue Abschätzungen der möglichen Folgen waren bisher kaum
möglich, da der Monsun ein chaotisches, also kaum vorhersagbares System zu sein scheint
und mehrere Gleichgewichtszustände aufweisen könnte.
Ergrünen der Sahara und Versiegen der Staubquellen
Sollten die Niederschläge in der Sahelzone zunehmen, wäre dies natürlich eine positive Entwicklung für die lokale Landwirtschaft. Vorausgesetzt, dass diese nicht zu intensiv betrieben
wird, könnte ein großflächiges Pflanzenwachstum stattfinden. Der Staub, der bislang in
großen Mengen von Stürmen aufgewirbelt und mit den Passatwinden über den Atlantik
getragen wird, bliebe dann am Boden. Dieser Staub aber stellt eine wichtige Nährstoffquelle
für südamerikanische Ökosysteme dar. Das Versiegen dieser Quelle durch ein Ergrünen in
Afrika könnte damit negative Folgen für Südamerika haben.
Störung des westafrikanischen Monsuns
Auch in Westafrika existiert ein Monsunsystem, das durch den lokalen Temperaturunterschied zwischen Nord- und Südhemisphäre gesteuert wird. Je nach Art der Änderung (Verstärkung oder Abschwächung) des westafrikanischen Monsuns könnte die Sahelzone noch
trockener werden oder aber ergrünen.
Austrocknen des amazonischen Regenwaldes
Das kritische Element des Amazonasregenwaldes besteht darin, dass der lebenswichtige
Niederschlag dort hauptsächlich durch die Pflanzen selbst organisiert ist. Ohne Wald würde
der Regen sofort versickern oder in Flüssen schnell ins Meer fließen. Der Regenwald aber
sorgt dafür, dass ein großer Teil des Wassers von den vielfältigen Oberflächen dieses komplexen Ökosystems wieder verdunstet oder von Pflanzen zwischengespeichert und dann
wieder abgegeben wird. Somit kann dieses Wasser immer wieder neu als Niederschlag
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fallen. Sollte aber in Folge des Klimawandels eine kritische Austrocknung des Gebiets stattfinden, könnte dieses selbsterhaltende System zusammenbrechen, vor allem wenn die Abholzung des Regenwaldes in Zukunft weiter voranschreitet. Nicht nur wäre damit das wohl
artenreichste Ökosystem der Erde zerstört, die aus den Pflanzen frei werdenden Mengen an
Kohlendioxid würden dem Klimawandel zudem einen zusätzlichen gewaltigen Anschub geben. Zwar würde durch die hellere Landoberfläche mehr Sonnenlicht reflektiert, was einen
kühlenden Effekt hat, die CO2-Emissionen wären jedoch von größerer Bedeutung. Hinzu
käme der lokale Mangel an Verdunstungskälte, so dass das regenwaldlose Amazonasgebiet
wärmer wäre als zuvor.
Änderungen von El Niño/Southern Oscillation
Der alle paar Jahre wiederkehrende El Niño im äquatorialen Pazifik ist ein im Rahmen der
natürlichen Klimavariabilität auftretendes Phänomen. Allerdings ist es möglich, dass sich
die Häufigkeit und Stärke solcher natürlicher Ereignisse durch den Einfluss des Menschen
ändert. Im Fall der El Niño Southern Oscillation (ENSO) wären die Auswirkungen möglicherweise sehr stark und würden vielen Regionen der Erde häufiger extremes Wetter bescheren.
Da ein El Niño-Ereignis durch ungewöhnlich warmes Oberflächenwasser im östlichen äquatorialen Pazifik gekennzeichnet ist, könnte die Erwärmung des Ozeans in Folge der Emission
von Treibhausgasen häufigere und/oder stärkere El Niño-Ereignisse auslösen. Berechnungen mit Modellen stützen diese Theorie aber nur teilweise, da ja auch der umgekehrte
Zustand (La Niña) denkbar ist, bei dem die Erwärmung auf der westlichen Seite stärker ist
als auf der östlichen. Auch die Erkenntnisse aus früheren Warmzeiten der Erdgeschichte,
insbesondere dem etwa drei Grad wärmeren Pliozän, sind bezüglich ENSO nicht eindeutig.
Die realitätsnähesten Klimamodelle zeigen jedoch stärker (aber nicht häufiger) werdende El
Niños, weshalb Lenton et al. im Gegensatz zum IPCC zu dem Schluss gelangen, dass dieses
Szenario durchaus wahrscheinlich ist. Der genaue Schwellenwert, ab dem die Erwärmung
diese Entwicklung auslösen könnte, ist bislang ebenfalls unklar.
Unterdrückung der antarktischen Tiefenwasserbildung
Auch im Südlichen Ozean findet Bildung von Tiefenwasser statt, so dass es auch hier zu
einer Abschwächung der Umwälzzirkulation aufgrund von Schmelzwasser kommen könnte. Bislang wird das Absinken des Tiefenwassers durch aus der Tiefe aufsteigendes Wasser
kompensiert, welches lebenswichtige Nährstoffe an die Oberfläche bringt. Diese Nahrungsquelle und mit ihr die antarktische Tier- und Pflanzenwelt könnte bei einer Schwächung der
Tiefenwasserbildung also ebenfalls in Gefahr geraten.
Zusammenbruch des westantarktischen Eisschildes
Im Allgemeinen sind die Temperaturen der Antarktis so niedrig, dass ein Schmelzen trotz der
zu erwartenden globalen Erwärmung ausgeschlossen ist. Die Landzunge der Westantarktis
bildet insofern eine Ausnahme, als dort höhere Temperaturen herrschen und die Stabilität
des Inlandeises auch stark von den Eisbergen und dem Schelfeis im nahe gelegenen Südpolarmeer bestimmt wird. So ist es denkbar, dass warmes Meerwasser (wie etwa das Nordatlantische Tiefenwasser, welches im Südpolarmeer wieder in Oberflächennähe gelangt)
das küstennahe Eis stärker abschmilzt und dem Inlandeis so eine wichtige Stütze entzogen
wäre. Wie auch im Falle des Grönlandeises würde der Eisschild also nicht vor Ort schmelzen,
sondern nach und nach ins Meer abrutschen und dort schließlich zerfallen und schmelzen.
Der Meeresspiegel würde bei einem vollständigen Kollaps des westantarktischen Eisschilds
um vier bis fünf Meter ansteigen.
22
Klimaschut z und globale Gerechtigkeit
A.6. Klima-Alarmstufe “Rot”
„We are at or exceeding the fossil-fuel-intensive scenario, which the latest IPCC
report didn‘t cover because they thought it was too much“
(Barrry Pittock, Commonwealth Scientific and Industrial Research Organisation
CSIRO, in ‘No return’ fears on climate change, theage.com.au, 12 June 2008)
“The planet would be in the throes of a mass extinction of natural life approaching in
magnitude that at the end of the Cretaceous period, 65m years ago, when more than
half of global biodiversity was wiped out”.
(Bob Watson, The Guardian, 7.8.2008)
“The crystallizing science points to an imminent planetary emergency. The dangerous
level of carbon dioxide, at which we will set in motion unstoppable changes, is at
most 450 parts per million (ppm), but it may be less. We must make significant
changes within a decade to avoid setting in motion unstoppable climatic change.”
(James Hansen, Tipping point – Perspectives of a climatologist, State of the Wild 20082009)
Im Februar 2007 veröffentlichte der Klimarat der Vereinten Nationen, der IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change), den ersten Teil des 4. Berichts über globale Klimaveränderungen und alarmierte damit die Weltöffentlichkeit. Das Gremium der führenden
Klimawissenschaftler fand heraus, dass die Durchschnittstemperatur weltweit in den vergangenen 100 Jahren schon um etwa 0,74 Grad Celsius gestiegen ist. Das ist höher, als
bisher angenommen. Dabei stieg die Temperatur allein in den letzten 30 Jahren um 0,6
Grad Celsius an44.
Der IPCC bestätigt in seinem Bericht, dass natürliche Faktoren bei der derzeitigen Klimaerwärmung kaum eine Rolle spielen. Mit der Intensität der Sonnenaktivität lässt sich die
gemessene Erwärmung nicht erklären. In ihrem Bericht stellen die Klima-Wissenschaftler
fest, dass menschliche Aktivitäten seit dem Jahr 1750 zur globalen Erwärmung beitragen.
Der Ausstoß von Treibhausgasen durch Aktivitäten der Menschen ist mit mehr als 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit der Hauptverursacher des Temperaturanstiegs seit Mitte der
1950er Jahre.
Auch die Prognosen zeichnen kein besseres Bild. Die Temperaturen werden weiter steigen.
Klimawissenschaftler haben anhand verschiedener Szenarien errechnet, dass es im Durchschnitt noch in diesem Jahrhundert weltweit um bis zu 7 Grad Celsius wärmer als zu vorindustriellen Zeiten werden könnte.
Die kritische Grenze, ab der katastrophale Schäden durch den Klimawandel zu befürchten
sind, setzt jedoch nicht erst bei 7 Grad Celsius ein. Klima-Experten setzen die kritische Marke bei maximal zwei Grad Celsius Erwärmung gegenüber der Temperatur vor der Industrialisierung (ab 1750) an. Sollten die Temperaturen um mehr als zwei Grad Celsius ansteigen,
kommen dramatische Schäden für die Ökosysteme und eine unumkehrbare Beeinträchtigung des Klimasystems auf uns zu. Aber auch schon bei einem Temperaturanstieg unter
zwei Grad Celsius hält der UN-Klimarat erhebliche Schäden durch den Klimawandel für
Mensch und Natur für wahrscheinlich.
44
James Hansen in “Can we still avoid dangerous human-made climate change?”
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‘ T h i s i s a n e m e r g e n c y, a n d f o r e m e r g e n c y s it u ati o n s w e n e e d e m e r g e n c y a c ti o n … ’
A.6.1.Trendwende der Emissionen bis spätestens im Jahr 2015
erforderlich
Der UN-Klimarat IPCC geht davon aus, dass die kritische Grenze von zwei Grad Celsius
Erwärmung bei einer Treibhausgaskonzentration von 450 ppm CO2eq erreicht, möglicherweise sogar mit einer 30%igen Wahrscheinlichkeit überschritten werden wird. 450 ppm
CO2eq beschreibt damit die Konzentration aller Treibhausgase in der Atmosphäre, die wir
langfristig auf keinen Fall überschreiten dürfen, wenn wir Klimaänderungen mit nicht absehbaren Folgen vermeiden wollen.
Ende September 2008 veröffentlichten Wissenschaftler des Global Carbon Projects Daten
über den weltweiten Treibhausgas-Ausstoß im Jahr 2007. Die Ergebnisse sind alarmierend:
im Jahr 2007 stieg der Anteil von CO2eq in der Atmosphäre um 2,2 ppm (Teile pro Million)
auf 383 ppm, das ist bereits ein Anstieg um 103 ppm gegenüber dem vorindustriellen
Niveau. Im Vorjahr hatte der Anstieg „nur“ 1,8 ppm betragen. Damit ist der TreibhausgasAusstoß seit dem Jahr 2000 vier Mal schneller gestiegen als im Jahrzehnt davor. Die Zuwachsrate liegt noch über dem schlimmsten Szenario des Weltklimarats IPCC.
Dieser jüngste dramatische Anstieg der Treibhausgase macht deutlich, dass ein radikaler
Wandel notwendig ist, wollen wir die Erde vor den schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels bewahren. Der Klimawandel kann nicht mehr komplett aufgehalten werden, aber
das Ausmaß der Veränderungen können wir noch abschwächen. Doch dazu müssen wir
sofort handeln. Uns bleiben weniger als 10 Jahre, um eine Trendwende herbeizuführen.
Graphik: Raupach et al., Observed global CO2 emissions from both the EIA (1980–2004) and global
CDIAC (1751–2005) data, compared with emissions scenarios and stabilization trajectories, PNAS,
June 2007
10
9,5
CO2 Emissions (GtC/y)
9
8,5
8
7,5
7
Actual emissions: CDIAC
Actual emissions: EIA
450ppm stabilization
650ppm stabilization
AFI
A1E
A1T
A2
B1
B2
6,5
6
5,5
5
1990
1995
2000
2005
Wenn wir die globale Erwärmung auf unter 2 Grad Celsius begrenzen wollen, müssen wir
den Schlussfolgerungen des IPCC zufolge den „Peak“ (also den Scheitelpunkt) der weltweiten Treibhausgas-Emissionen bis spätestens 2015 erreichen, danach müssen die weltweiten
Emissionen rapide gesenkt werden. Laut IPCC-Bericht muss der weltweite Ausstoß langfristig noch drastischer reduziert werden, und zwar um weltweit 50-85% bis zum Jahr 2050
(bezogen auf das Jahr 2000). Für die Industriestaaten mit ihren hohen Emissionen bedeutet
das eine Reduktion um 80 Prozent.
24
2010
Klimaschut z und globale Gerechtigkeit
A.6.2.Reichen die Reduktionsziele des IPCC aus ?
“This isn’t just about reducing emissions, it is about getting emissions quickly down
to zero (by 2050 or earlier), and then removing some of the excess carbon that
humanity has already dumped into the atmosphere. The harsh truth is that the latest
science shows that even two degrees is not good enough, never mind four. And
since four degrees would be a catastrophe that many of us, or our children, would
not survive, it is surely our absolute duty to do everything in our power to avoid
it.”
(Bob Watson, The Guardian,7.8.2008)
“We have to start pondering that it might not be enough to stabilise carbon levels. We
should not rule out that it might be necessary to bring them down again.”
(Hans Joachim Schellnhuber, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, The
Guardian, 15.9.2008)
“Over one northern summer, it became clear that the task was not to weigh up what
would be a reasonable rise in temperature; rather, it was to ask: by how much do
we need to lower the existing temperature to return our planet to the safe-climate
zone?
Global warming now demands an emergency response in which we put aside
‘business and politics as usual’, and devote our collective energy and capacity for
innovation to stopping a slide to catastrophe.”
(David Spratt, Climate Code Red)
Führende Klimawissenschaftler fordern mittlerweile einen weitaus radikaleren Stopp der
Treibhausgasemissionen, als im Rahmen der internationalen Klimaschutzverhandlungen (minus 50% der globalen Treibhausgasemissionen bis 2050) anvisiert wird. So müssten einige
Risiken des Klimawandels auf Grundlage neuer Erkenntnisse in der Klimaforschung höher
eingeschätzt werden als im letzten Sachstandsbericht des Weltklimarats von 200745. Hierzu
zählt zum Einen die Tatsache, dass die Klimasysteme der Erde eine große Trägheit besitzen
und die Folgen zeitversetzt später eintreffen, sowie die Einflüsse von Rückkopplungseffekten auf die globale Erwärmung. Zum Anderen haben einer aktuellen Studie zufolge die
bereits emittierten Treibhausgase das Potential, das Erdklima um mehr als zwei Grad Celsius
über das vorindustrielle Niveau zu erwärmen. Dass bisher nur ein Teil dieser Erwärmung
eingetreten ist, sei vor allem auf die abkühlende Wirkung von Luftverschmutzungspartikeln,
so genannten Aerosolen, zurückzuführen46.
Damit sich die Klimaerwärmung im Bereich von 2°C stabilisiert (wobei davon ausgegangen
werden muss, dass wir mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit über das Ziel von 2°C globaler
Erwärmung hinausschießen könnten), müssten die Treibhausgasemissionen bis spätestens
Ende des Jahrhunderts vollständig gestoppt werden. Wissenschaftler wie Schellnhuber,
Watson und Hansen schließen selbst Maßnahmen zur Rückführung von atmosphärischem
CO2 in die Erde nicht aus:
“Paleoclimate data show that climate sensitivity is ~3°C for doubled CO2, including
only fast feedback processes. Equilibrium sensitivity, including slower surface
albedo feedbacks, is ~6°C for doubled CO2 for the range of climate states between
glacial conditions and ice-free Antarctica…If humanity wishes to preserve a planet
similar to that on which civilization developed and to which life on Earth is adapted,
45
Hans Joachim Schellnhuber in „Zögern im Klimaschutz unverantwortlich“, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung,
Oktober 2008
46
Ramanathan V., Feng Y., On avoiding dangerous anthropogenic interference with the climate system: Formidable
challenges ahead, PNAS, September 2008
25
‘ T h i s i s a n e m e r g e n c y, a n d f o r e m e r g e n c y s it u ati o n s w e n e e d e m e r g e n c y a c ti o n … ’
paleoclimate evidence and ongoing climate change suggest that CO2 will need to
be reduced from its current 385 ppm to at most 350 ppm. The largest uncertainty in
the target arises from possible changes of non- CO2 forcings. An initial 350 ppm CO2
target may be achievable by phasing out coal use except where CO2 is captured and
adopting agricultural and forestry practices that sequester carbon. If the present
overshoot of this target CO2 is not brief, there is a possibility of seeding irreversible
catastrophic effects.”
(James Hansen, Target Atmospheric CO2: Where should humanity aim?”)
“My conclusion is that we are still left with a fair chance to hold the 2°C line, yet the
race between climate dynamics and climate policy will be a close one…The odds
for avoiding DAI [dangerous anthropogenic interference] may be improved by
aerosol management…(taking the warming components such as black carbon out
first), and even techniques for extracting atmospheric CO2 (like bio-sequestration)
might eventually prove necessary. However, the quintessential challenges remain,
namely bending down the global Kyoto-GHG output curve in the 2015–2020 window
(further procrastination would render necessary reduction gradients too steep
thereafter) and phasing out carbon dioxide emissions completely by 2100. This
requires an industrial revolution for sustainability starting now.”
(Hans Joachim Schellnhuber, Stop worrying, start paniking?)
A.7. Klimawandel und Entwicklung
«Die Klimaänderung ist nicht nur, wie zu viele Menschen noch glauben, ein
Umweltthema.
Sie ist eine allumfassende Bedrohung.
Sie ist eine Bedrohung für die Gesundheit (...).
Sie könnte die Welternährung gefährden (...).
Sie könnte die Grundlagen gefährden, von denen fast die Hälfte der Weltbevölkerung
lebt.“
(Rede des damaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan am 15.11.2006 vor dem
Klimagipfel in Nairobi)
Der ehemalige Generalsekretär der Vereinten Nationen hat es in seiner Rede auf dem Klimagipfel 2006 in Nairobi treffend auf den Punkt gebracht: Die globale Erwärmung ist nicht nur
ein Umwelt-, sondern ein Entwicklungsproblem. Schutz vor den Folgen des Klimawandels
und Armutsbekämpfung können nur zusammen erfolgreich sein. Denn einerseits verschärfen die Folgen des Klimawandels besonders die Situation der Armen, andererseits macht
Armut die Menschen besonders verwundbar gegenüber den Folgen des Klimawandels.
Anpassung an ein verändertes Klima kostet Geld. Ist dies nicht vorhanden, schlagen die Folgen des Klimawandels voll durch. Es entsteht eine Abwärtsspirale aus Armut und Verwundbarkeit gegenüber Klimaschäden. Daher ist es zwingend notwendig, Armutsbekämpfung
und Klimawandel zusammen zu denken.
Der Klimawandel betrifft uns alle, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß: Stürme und
Starkniederschläge, Gletscherrückgang, Überschwemmungen und Wassermangel, Hitze,
Dürre und Ernteausfälle sowie die Ausbreitung von Krankheiten treffen Hunderte Millionen
Menschen des Südens. Niemals zuvor war die Menschheit gezwungen, eine solch gewaltige
Umweltkrise zu bewältigen.
26
Klimaschut z und globale Gerechtigkeit
Die Deutsche Bischofskonferenz beurteilt den Klimawandel als Brennpunkt globaler, intergenerationeller und ökologischer Gerechtigkeit des 21. Jahrhunderts.47 Die armen Länder
des Südens sind jedoch nur wenig an der Verursachung beteiligt und können sich den Veränderungen nur schlecht anpassen, weil ihnen die Mittel fehlen. Auf der anderen Seite sind
die Industriestaaten im Wesentlichen für die Emission der klimaschädigenden Treibhausgase
verantwortlich, und haben im Gegensatz zu den Entwicklungsländern wesentlich bessere
Chancen, sich gegen Folgen des Klimawandels abzusichern.48
Graphik: Vergleich CO2-Emissionen 2000 und geschätzte, durch den Klimawandel verursachte
Sterbefälle im Jahr 2000
Total CO2 Greenhouse Gas Emissions in the Year 2000, by Country
Total CO2 Emissions
(million metric tons carbon)
0-10
10-100
100-5000
500-1000
1000-1600
Estimated Deaths Attributed to Climate Change in the Year 2000, by Subregion*
Mortality per Million
Population
0-2
2-4
-70
70-120
no data
* Change in climate compared to baseline 1961-1990
Quelle: Center for Sustainability and the Global Environment
47
Die deutschen Bischöfe – Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen/Kommission Weltkirche Nr. 29.
Herausgegeben vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz. 2., aktualisierte Auflage, Bonn 2007
48
Der Klimawandel - eine schöpfungstheologische und sozialethische Herausforderung. KMF-Kongress 2008
Klimawechsel in Halle. von Prof. Markus Vogt, LMU München
27
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A.7.1. Der globale Klimawandel bedroht die Erreichung der
Millenniumsziele
„Der Klimawandel ist eine wirkliche Bedrohung für die Entwicklungsländer.
Wenn er nicht verhindert wird, stellt er ein bedeutendes Hindernis für die
Armutsbekämpfung dar.“
(Sir Nicolas Stern, 2007)
Der Klimawandel macht nicht nur mehr Menschen arm, er verschärft die Situation derer, die
schon jetzt arm sind. Er untergräbt die internationalen Bemühungen zur Armutsbekämpfung.
Auf dem Millennium-Gipfel im September 2000, der bis dato größten Zusammenkunft von
Staats- und Regierungschefs der Vereinten Nationen, einigten sich die teilnehmenden Staaten auf einen Maßnahmenkatalog mit konkreten Ziel- und Zeitvorgaben und dem übergeordneten Ziel, die Armut in der Welt bis zum Jahr 2015 zu halbieren. Dabei wurde von den
Vereinten Nationen eine politische Bestandsaufnahme gezogen, die folgende Fakten listet:
Zu diesem Zeitpunkt lebten über eine Milliarde Menschen in extremer Armut, das heißt,
jeder fünfte Mensch hat weniger als den Gegenwert eines US-Dollars (Kaufkraftparität) pro
Tag für seinen Lebensunterhalt zur Verfügung. Mehr als 700 Millionen Menschen hungern
und sind unterernährt. Mehr als 115 Millionen Kinder im Volksschulalter haben keine Möglichkeit zur Bildung, d. h. sie können weder lesen noch schreiben. Über einer Milliarde Menschen ist der Zugang zu sauberem Trinkwasser verwehrt, mehr als zwei Milliarden haben
keine Möglichkeit, sanitäre Anlagen zu nutzen. Diese Menschen haben kaum Chancen, sich
an gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Prozessen zu beteiligen.
In den Millenniums-Entwicklungszielen (MDGs) wurden acht konkrete und messbare Ziele
zur Armutsbekämpfung festgeschrieben. Diese Millenniums-Entwicklungsziele sollten bis
zum Jahr 2015 umgesetzt werden. Fortschritte, die bei der Bekämpfung der extremen Armut, im Gesundheits-, Ernährungs- und Bildungswesen und anderen Bereichen mühsam
errungen wurden, riskieren aufgrund der Folgen des Klimawandels zunächst zu stagnieren
und dann zurückzugehen. Jedes Versagen beim Klimaschutz bedeutet geringere Zukunfts­
chancen für die ärmsten 40 Prozent der Weltbevölkerung – rund 2,6 Milliarden Menschen.
Das Entwicklungskomitee der OECD schätzt, dass allein in Bangladesch und in Nepal mehr
als die Hälfte der Auslandshilfe49 in den nächsten Jahren vom Klimawandel beeinträchtigt
sein wird50.
Die bereits schleppende Bekämpfung von Armut, Hunger, Wassermangel und Krankheiten
würde durch den Klimawandel zusätzlich erschwert. Hinzu kommt, dass die Bewältigung
von Schäden, die durch steigende Meeresspiegel und wetterbedingte Katastrophen entstehen, öffentliche Ressourcen verschlingt, die nicht zur Bekämpfung von Armut zur Verfügung stehen. Nach Zahlen des Weltwährungsfonds kostet jede Naturkatastrophe in einem
Entwicklungsland im Schnitt fünf Prozent des jährlichen Bruttoinlandsproduktes. All dies
zusammengenommen heißt: Die Erreichung der UN-Millenniumsziele ist ohne besondere
Berücksichtigung der Folgen des Klimawandels nicht zu schaffen. Die Bekämpfung von Un-
28
49
Official Development Aid
50
Stern (2006), zitiert im UNDP Human Development Report 2007: Across the developing world large amounts of
aid investment are tied up in projects and programmes that are vulnerable to climate change. The OECD’s
Development Assistance Committee (DAC) has  developed a framework for identifying aid activities that
are  sensitive to climate change. It has applied that framework to a  number of developing countries. In the cases
of Bangladesh and Nepal the DAC estimates that over one-half of all aid is concentrated in activities that will be
negatively aff ected by climate change.”
Klimaschut z und globale Gerechtigkeit
terentwicklung kann nicht ohne Verhinderung des und Anpassung an den Klimawandel
gedacht werden51.
Die acht Millenniumsziele sind einfach und dennoch exakt. Es ist eine genaue Zeit vorgegeben, bis wann sie erreicht werden sollen - 2015 - und es sind genaue Vorgaben genannt,
wann die Ziele als erreicht gelten.52
Die acht UNMillenniumentwicklungsziele
Hunger und extreme Armut
beseitigen
Grundschulbildung für alle
Kinder
Gleichstellung und stärkere
Beteiligung von Frauen
Kindersterblichkeit verringern
Die Gesundheit von Müttern
verbessern
HIV/Aids, Malaria und andere
Krankheiten bekämpfen
1. Hunger und extreme Armut beseitigen
Das Ziel: der Anteil der Weltbevölkerung, der
weniger als einen US-Dollar täglich zur Verfügung hat, soll bis 2015 halbiert werden.
Der Anteil der Weltbevölkerung, der an Hunger leidet, soll bis 2015 halbiert werden. Die
Situation: mehr als eine Milliarde Menschen
müssen mit weniger als einem US-Dollar am
Tag auskommen. Über 800 Millionen Menschen können ihren täglichen Energiebedarf
von mindestens 1.800 kcal nicht decken - sie
hungern. 300 Millionen davon sind Kinder.
Weniger als ein Zehntel davon sind Opfer
einer vorübergehenden Notsituation - mehr
als 90 Prozent leiden an dauerhafter Mangelernährung. Täglich sterben etwa 24.000
Menschen an den Folgen von Hunger und
Unterernährung.
Folgen des Klimawandels: Drei Viertel der
Menschen in absoluter Armut leben in ländlichen Gebieten und sind abhängig von der
Landwirtschaft53. Gerade darauf wird der
Aufbau einer weltweiten
Klimawandel massive Auswirkungen haben.
Partnerschaft für
Berechnungen gehen von einem Rückgang
Entwicklung
der weltweiten Landwirtschaft von bis zu
Info: www.un.org/millenniumgoals
zehn Prozent bei einer Erwärmung um 4°C
aus. Doch diese Einbußen sind regional
höchst unterschiedlich verteilt. So werden in Afrika und Westasien die Ernten um etwa 25
bis 35 Prozent sinken. Da sich gerade dort schon jetzt die Mehrzahl der hungernden Menschen befindet, drohen zusätzlich 250 bis 550 Millionen Menschen zu hungern54. Auch die
dringend nötige Verbesserung der Wasserversorgung wird bei ungebremstem Klimawandel
deutlich schwieriger werden. Schon 1990 lebte ein Drittel der Menschheit in Ländern, die
unter Wassermangel leiden. Bis 2025 würde sich dieser Anteil auch ohne Klimawandel vermutlich verdoppeln. Mit Klimawandel wären es noch einmal zehn Prozent mehr55.
Nachhaltigen Umgang mit
der Umwelt sichern
51
Simms, Andrew, John Magrath, und Hannah Reid. 2004. Up in Smoke? Threats from, and Responses to, the Impact
of Global Warming on Human Development
52
Quelle : www.deine-stimme-gegen-armut.de
53
Bruinsma, J., ed. 2003. World Agriculture. Towards 2015/2030. Edited by FAO. London: Earthscan
54
Warren, R., N.W. Arnell, R. Nicholls, P. Levy, und J. Price. 2006. Understanding the Regional Impacts of Climate
Change. Research Report Prepared for the Stern Review, Tyndall Centre Working Paper 90. Norwich
55
McCarthy, James, Osvaldo Canziani, Neil Leary, David Dokken, und Kasey White. 2001. Climate Change 2001:
Impacts, Adaptation, and Vulnerability. Contribution of Working Group II to the Third Assessment Report of the
Intergovernmental Panel on Climate Change. Cambridge
29
‘ T h i s i s a n e m e r g e n c y, a n d f o r e m e r g e n c y s it u ati o n s w e n e e d e m e r g e n c y a c ti o n … ’
Der Klimawandel zerstört Ernten und gefährdet das Wirtschaftswachstum, Extremwetterereignisse ruinieren wichtige Infrastrukturen und Besitz. Ernährungssicherheit und Subsistenz­
wirtschaft sind in mehrerer Hinsicht stark gefährdet und dies veranlasst viele Menschen
dazu abzuwandern. Die Zahl der Menschen, die an Unterernährung leiden, könnte laut
Weltklimarat bis zum Jahr 2080 um 600 Millionen ansteigen – heute sind es bereits 923
Millionen56. Die semiariden Gebiete in Afrika südlich der Sahara, in denen sich die Armut
besonders konzentriert, laufen Gefahr, bis 2060 etwa 26 Prozent ihrer Produktivität einzubüßen (semiarid: Bezeichnung für Räume und Klimate, die durch das Auftreten einer markanten Trockenzeit geprägt sind, jedoch im Jahresverlauf auch etwa drei bis fünf humide
Monate aufweisen. Während dieser kürzeren Zeit, in der die Niederschläge die Verdunstung
übersteigen, sind Flüsse periodisch oder episodisch wasserführend).
2. Grundschulbildung für alle Kinder
Das Ziel: bis zum Jahr 2015 soll sichergestellt werden, dass alle Kinder auf der Welt eine
Grundschule besuchen können. Die Situation: etwa 80 Millionen Kinder weltweit erhalten
keine Grundschulbildung. Insbesondere in den zentralafrikanischen Ländern liegt die Chance für Kinder, zur Schule gehen zu können, nur bei etwa 60 Prozent.
Folgen des Klimawandels: Stürme und Überschwemmungen, und in der Folge gezwungene
Migration und Konflikte um knapper werdende Ressourcen werden die Verwirklichung der
Grundschulbildung für alle Kinder schwer beinträchtigen.
3. Gleichstellung und stärkere Beteiligung von Frauen
Das Ziel: die Geschlechterungleichheit in der Primär- und Sekundarschulbildung sollte bis
2005 beseitigt worden sein, auf allen Bildungsebenen bis zum Jahr 2015. Die Situation: zwei
Drittel aller Menschen, die nicht lesen und schreiben können, sind Frauen - fast 600 Millionen. Mehr als 40 Prozent der Frauen in Afrika haben keine Grundschulbildung erhalten.
Zwar ist die Beschäftigtenzahl von Frauen in vielen Regionen der Welt angestiegen, doch
weltweit gesehen erhalten Frauen im Durchschnitt nur zwischen 50 und 80 Prozent der
Bezahlung, die Männer verdienen.
Folgen des Klimawandels: Die Verwundbarkeit (Vulnerabilität) durch negative Auswirkungen des Klimawandels ist nicht nur eine Nord-Süd Frage, sondern ist auch innerhalb der
Gesellschaften sehr ungleich verteilt, weil bestimmte gesellschaftliche Gruppen durch den
Klimawandel viel stärker betroffen sind als andere: Bereits heute sind über 70 Prozent der
extrem Armen Frauen. Sie sind besonders von den klimawandelbedingt knapper werdenden
Ressourcen wie Trinkwasser, Nahrungsmittel und Medizinpflanzen betroffen, denn in aller
Regel sind sie diejenigen, die für die Ernährung und den Haushalt der Familie zuständig
sind.
4. Kindersterblichkeit verringern
Das Ziel: die Sterblichkeitsrate von Kindern unter fünf Jahren soll bis 2015 um zwei Drittel
verringert werden. Die Situation: weltweit sterben fast zehn Millionen Kinder jährlich, bevor
sie ihren fünften Geburtstag feiern können. Sechs Millionen davon sterben an Folgen von
Unterernährung und ein sehr großer Teil von ihnen infolge von Krankheiten, die nicht tödlich
sein müssten.
5. Die Gesundheit von Müttern verbessern
Das Ziel: die Müttersterblichkeitsrate soll bis zum Jahr 2015 um drei Viertel gesenkt werden.
Die Situation: in armen Ländern ist eine Geburt lebensgefährlich. Eine von 48 Müttern stirbt
bei der Entbindung. Das Risiko für eine Frau, während der Schwangerschaft oder bei der
30
56
Siehe www.fao.org
Klimaschut z und globale Gerechtigkeit
Geburt zu sterben, liegt in Ländern des südlichen Afrika bei 1 zu 16, in Nordamerika bei 1
zu 3.700.
Folgen des Klimawandels: Knappes Trinkwasser und schlechte Ernährung tragen zu einer
hohen Mutter- und Kindersterblichkeit bei. Laut IPCC könnten aufgrund der Klimaveränderung bis 2030 insgesamt 75 bis 250 Millionen Menschen unter zunehmender Wasserknappheit leiden, bis 2050 etwa 350 bis 600 Millionen.
6. HIV/Aids, Malaria und andere Krankheiten bekämpfen
Das Ziel: die Zahl der Neuinfektionen bei HIV/Aids soll bis zum Jahr 2015 gestoppt werden,
erste Erfolge soll es bei der Senkung der Zahlen geben. Ebenso soll die Ausbreitung von
Malaria und anderen Krankheiten bis zum Jahr 2015 gestoppt und eine Zurückdrängung angestrebt werden. Die Situation: im Jahr 2006 haben sich mehr als vier Millionen Menschen
neu mit HIV infiziert, inzwischen müssen fast 40 Millionen Menschen mit dem Virus leben.
Alle 30 Sekunden stirbt allein in Afrika ein Kind an Malaria - insgesamt mehr als eine Million
Kinder pro Jahr. Weltweit sterben etwa drei Millionen Menschen jährlich an Malaria.
Folgen des Klimawandels: Der Klimawandel verschärft auch gesundheitliche Gefahren. Nach
Berechnungen der Weltgesundheitsorganisation sind seit den 70er Jahren jährlich 150.000
Menschen durch den Klimawandel zusätzlich zu Tode gekommen. Bei dem jetzt schon nicht
mehr aufzuhaltenden Anstieg von einem weiteren Grad Celsius würde sich diese Zahl verdoppeln57. Auch hier sind wieder die Armen besonders betroffen. Bei einem Temperaturanstieg um 2°C würde sich in Afrika die Zahl der an Malaria erkrankten Menschen von heute
450 Millionen um neun bis 14 Prozent steigern, bei stärkerer Erwärmung (4°C) um bis zu
20 Prozent58. Die Überflutungen durch Hurrikan Mitch führten 1999 zu einem sechsfachen
Anstieg der Cholera-Fälle59.
7. Nachhaltigen Umgang mit der Umwelt sichern
Das Ziel: die Grundsätze der nachhaltigen Entwicklung sollen in die Politik der einzelnen
Länder eingeführt und der Verlust von Umweltressourcen umgekehrt werden. Ohne eine
ausreichende Schonung der natürlichen Ressourcen ist mittel- und langfristig kein menschenwürdiges Leben auf der Erde möglich. Ohne ökologische Nachhaltigkeit können Erfolge im
Kampf gegen die Armut nur von kurzer Dauer sein. Der Anteil der Weltbevölkerung, der
kein sauberes Trinkwasser zur Verfügung hat, soll bis 2015 halbiert werden. Die Lebensbedingungen von mindestens 100 Millionen Slumbewohnern soll bis 2020 erheblich verbessert werden. Die Situation: mehr als eine Milliarde Menschen hat kein sauberes Trinkwasser
zur Verfügung, mehr als zwei Milliarden Menschen haben keine sanitären Einrichtungen.
Rund fünf Millionen Menschen sterben jährlich weltweit an durch verunreinigtes Wasser
verursachten Krankheiten wie Cholera und Säuglingsdurchfall. Vier von zehn Menschen
haben für ihre Bedürfnisse nicht einmal eine einfache Latrine zur Verfügung.
Folgen des Klimawandels: Der Klimawandel hat starke Auswirkungen auf das bereits schon
sehr angeschlagene Gleichgewicht zwischen Biosphäre und Mensch: Gefährdung von
Waldökosystemen durch steigende Temperaturen, Verringerung der Wasserverfügbarkeit
durch Niederschlagsrückgang, Verlust von Süßwasser durch Versalzung infolge des Mee-
57
McMichael, A., D. Campbell-Lendrum, und S. Kovats. 2004. Global Climate Change. In Comparative Quantifications
of Health Risks: Global and Regional Burden of Disease due to Selected Risk Factors, herausgeg. von M. J. Ezzati.
Genf: World Health Organisation. 1543-1649
58
Der Klimawandel - eine schöpfungstheologische und sozialethische Herausforderung. KMF-Kongress 2008
Klimawechsel in Halle. von Prof. Markus Vogt, LMU München
59
Germanwatch 2008
31
‘ T h i s i s a n e m e r g e n c y, a n d f o r e m e r g e n c y s it u ati o n s w e n e e d e m e r g e n c y a c ti o n … ’
resspiegelanstiegs, Gefährdung von Korallenriffen und Regenwäldern als „Hotspots“ der
Artenvielfalt durch den Klimawandel. Zusätzliche 1,8 Milliarden Menschen werden mit
Wasserknappheit konfrontiert sein. In Folge der schrumpfenden Gletscher und veränderten
Niederschlagsmuster stehen große Gebiete in Südasien und Nordchina vor einer schlimmen
ökologischen Krise. Laut der Internationalen Naturschutzunion60 hängt die ganze Menschheit von der Biodiversität des Planeten ab, insbesondere die Armen, welche völlig abhängig
von Subsistenzwirtschaft, von der Anpassungskapazität der Ökosysteme und von der Verfügbarkeit natürlicher Heilmittel sind.
8. Aufbau einer weltweiten Partnerschaft für Entwicklung
Das Ziel: das Handels- und Finanzsystem soll in nicht benachteiligender Weise weiterentwickelt werden und die Verpflichtung zu guter Regierungsführung, Entwicklung und Konzentration auf Armutsbekämpfung umfassen. Dabei sollen die am wenigsten entwickelten Länder
besonders berücksichtigt werden. Dazu gehört der zoll- und quotenfreie Marktzugang für
Exportgüter dieser Länder, ein verstärkter Schuldenerlass für die hoch verschuldeten armen
Länder, die Streichung der bilateralen, öffentlichen Schulden und zusätzliche Entwicklungsgelder für Länder, die sich in besonderem Maße der Armutsbekämpfung widmen.
Auf nationaler und internationaler Ebene soll an der langfristigen Tragfähigkeit der Schulden
der armen Länder gearbeitet werden. Junge Menschen sollen eine menschenwürdige und
produktive Arbeit ausüben können. Unentbehrliche Medikamente sollen in Kooperation mit
Pharmaunternehmen auch in armen Ländern verfügbar und bezahlbar sein, ebenso wie
neue Technologien, insbesondere Informations- und Kommunikationstechnologien. Die Situation: viele arme Länder geben mehr Geld für die Bezahlung ihrer Schulden aus als für
die dringendsten Bedürfnisse ihrer Bevölkerung. Das Millennium-Projekt der Vereinten Nationen schätzt die zusätzlich notwendigen Mittel für Entwicklung für die armen Länder auf
jährlich 70 Milliarden US-Dollar. Die Industriestaaten sind noch weit davon entfernt, diese
Summe zur Verfügung zu stellen, die Entwicklungshilfe müsste nahezu verdoppelt werden.
Gleichzeitig steigen die Ausgaben für militärische Zwecke. Weltweit betrugen die Zahlungen der Industriestaaten für Entwicklungshilfe im Jahr 2006 (ohne Schuldenerlasse) knapp
85 Milliarden Dollar, die Rüstungsausgaben im selben Jahr lagen bei 1204 Milliarden Dollar.
Internationale Handelsabkommen begünstigen oft Industrieländer, die Märkte der reicheren
Länder sind für Exporte aus Entwicklungsländern häufig verschlossen.
Folgen des Klimawandels: Hier liegt der Grundgedanke der gemeinsamen Verantwortung
und Solidarität für die internationale Klimaschutzpolitik. Zudem stützt sich das Kyoto-Protokoll auf den Begriff der „gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung“. Alle Nationen
sind betroffen, doch die Industriestaaten, die zu 80 Prozent für die menschengemachten
Treibhausgase verantwortlich sind, müssen die Hauptanstrengungen machen und sollten
den Entwicklungsländern Technologien und Wissen zur Verfügung stellen. Im Sinne des
Verursacherprinzips müssen die Industrieländer Unterstützung leisten, wenn arme Länder
die Anpassungs- und Schutzmaßnahmen nicht selbst leisten können. Obwohl die Akzeptanz
der reichen Nationen für solche Maßnahmen gering sind, führt kein Weg daran vorbei, denn
dieser Ansatz ist letztendlich auch im Sinne des weltweiten Kampfes gegen die Armut wie
auch der Erfüllung der Millenniumsentwicklungsziele.
60
32
World Conservation Union – siehe www.iucn.org
Klimaschut z und globale Gerechtigkeit
A.7.2.Klimawandel und Klimaflüchtlinge61
„Schätzungsweise 20 Millionen Menschen [in Bangladesh] werden zu
Umweltflüchtlingen werden. Wo sollen wir einen so riesigen Anteil unserer
Bevölkerung unterbringen? Das ist eine unlösbare Aufgabe. Die Menschen
werden versuchen, in die höher gelegenen Regionen zu ziehen. Doch dort ist nicht
ausreichend Platz, um sie unterzubringen.“
(Sajeeda Choudhury, ehemalige Umweltministerin von Bangladesh)
Die Auswirkungen des Klimawandels haben Einfluss auf menschliche Gesellschaften und
bedrohen das Leben auf unserem Planeten. Wie der Bericht von Sir Nicholas Stern, dem
ehemaligen Chefökonom der Weltbank, zeigt, drohen der Weltwirtschaft bei einem ungebremsten Klimawandel jährliche Verluste von ca. fünf Prozent der Weltproduktion, langfristig
sogar bis zu 20 Prozent62. Paradoxerweise wird die Hauptlast auf den Schultern der armen
Staaten und Bevölkerungsteile liegen. Unter den Folgen werden als erstes und besonders
stark diejenigen leiden, die nur wenig zu den Ursachen beigetragen haben und die sich
kaum gegen die Auswirkungen schützen können.
Der Klimawandel hat die schon ältere Debatte über Umweltflüchtlinge63 neu belebt. Der Begriff des „Umweltflüchtlings“ wurde in einem Bericht des Umweltprogramms der Vereinten
Nationen (UNEP) in die Debatte eingeführt. Dieser versteht darunter:
„...solche Menschen, die aufgrund von merklicher Umweltzerstörung, die ihre
Existenz gefährdet und ernsthaft ihre Lebensqualität beeinträchtigt, gezwungen
sind, zeitweilig oder dauerhaft ihren natürlichen Lebensraum zu verlassen. Unter
„Umweltzerstörung“ werden in dieser Definition jegliche physikalische, chemische
und/oder biologische Veränderungen der Ökosysteme (oder Ressourcenbasis)
verstanden, die diese zeitweilig oder dauerhaft ungeeignet machen, menschliches
Leben zu unterstützen.“64
Globale Schätzungen und Prognosen sind dennoch rar. Es liegen jedoch Zahlen des renommierten Umweltforschers Norman Myers von der Oxford University vor. Myers geht
davon aus, dass es bereits im Jahr 1995 fast ebenso viele Umweltflüchtlinge (25 Millionen)
wie „normale“ Flüchtlinge65 (27 Millionen) gab. Bis zum Jahr 2010 könnte sich diese Zahl
verdoppeln und bis zur Mitte des Jahrhunderts sogar auf 200 Millionen Menschen anwachsen66. Was Flucht infolge von Klimaveränderungen angeht, schätzt Myers eine resultierende
Flüchtlingszahl von 150 Millionen Menschen bis zur Mitte des Jahrhunderts.
Weltweit leben gegenwärtig rund 200 Millionen Menschen in den Küstengebieten, die nur bis
zu einem Meter über dem Meeresspiegel liegen, zu den besonders betroffenen Entwicklungsregionen zählen Nordafrika, der Nahe und Mittlere Osten sowie Süd- und Südostasien.
61
Grosse Teile der in den Abschnitten A.7.2., A.7.3. und A.7.4. enthaltenen Texte sind entnommen aus der Studie
„Klimaflüchtlinge - Die verleugnete Katastrophe“, Autoren: Cord Jakobeit und Chris Methmann, Universität
Hamburg, Institut für Politische Wissenschaft, Teilbereich Internationale Politik, im Auftrag von Greenpeace
Deutschland, März 2007
62
Stern, Nicholas. 2007. The Economics of Climate Change. The Stern Review.
63
Unter Umweltflüchtlingen sollen zunächst solche Menschen verstanden werden, die aufgrund von Veränderungen
in ihrer natürlichen Umwelt zum Verlassen ihres angestammten Wohnortes gezwungen werden. Klimaflüchtlinge
sind ein Sonderfall hiervon, bei dem die Ursache Folgen des Klimawandels sind
64
Hinnawi, Essam El. 1985. Environmental Refugees. Nairobi: UNEP
65
Flüchtlinge aufgrund von politischer und religiöser Verfolgung und ethnischen Konflikten
66
Myers, Norman. 2001. Environmental Refugees. A Growing Phenomenon of the 21st Century. In Philosophical
Transaction of the Royal Society: Biological Sciences 357 (1420): 609-613
33
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In Bangladesch lebt ein Viertel der Bevölkerung (ca. 35 Millionen Menschen) in den küstennahen Überflutungsgebieten. Ein Viertel des dicht bevölkerten Nildeltas in Ägypten würde
den Wassermassen weichen müssen, aber auch Teile von Surinam, Guayana, FranzösischGuayana, von den Bahamas, Benin, Mauretanien, Tunesien, den Vereinigten Arabischen
Emiraten, Pakistan (Karatschi), Indien (Kalkutta, Bombay), Bangladesh, Vietnam und China
(Hongkong, Shanghai) wären besonders betroffen67.
Auch wenn nur von einem Anstieg des Meeresspiegels in Höhe von 20 bis 80 cm bis zum
Jahr 2100 und von einer Zunahme der Schutzmaßnahmen analog zur Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes pro Kopf ausgegangen würde, wären je nach Bevölkerungsentwicklung
sieben bis 70 (niedrige Bevölkerungszunahme) bzw. 20 bis 300 Millionen Menschen (hohe
Bevölkerungszunahme) zusätzlich betroffen68.
Kaum Beachtung in der internationalen Diskussion findet bisher die Tatsache, dass sich viele der am stärksten betroffenen Länder ohne Hilfe durch die internationale Gemeinschaft
kaum an die Folgen des Klimawandels anpassen können.69 Mittlerweile ist klar, dass die
Auswirkungen des Klimawandels und die damit einhergehenden Flüchtlingsströme bloß
noch begrenzt werden können.
In den internationalen Klimaverhandlungen haben Klimaflüchtlinge bisher keine Rolle gespielt. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Phänomen der Klimaflüchtlinge steht
mithin vergleichsweise noch am Anfang – und das bei einem Problem, das immer mehr
Menschen zu betreffen scheint und das vor allem in den Entwicklungsländern für Millionen
von ihnen katastrophale Auswirkungen haben könnte.
Obwohl sich die „Klimaflucht“ bisher weitestgehend innerhalb der Landesgrenzen der betroffenen Länder abspielt, wird eine Anerkennung der „Klimaflüchtlinge“ im nationalen und
internationalen Migrationsrecht als notwendig erachtet. „Klima-Flüchtlinge“ fallen bisher jedoch durch das Raster der internationalen Migrations - und Flüchtlingspolitik. Schweden ist
das einzige Land, in dessen Gesetzgebung zumindest die Existenz von Umwelt-Migranten
„as a person in need of protection, who is unable to return to his native country because of
an environmental disaster“ Erwähnung findet. Nur im Fall von Naturkatastrophen existieren
Ausnahmen, in denen beispielsweise die USA, Kanada und die Europäische Union betroffenen Menschen temporäres Asyl gewähren.
Der rechtliche Status von Klimaflüchtlingen, die in vielen Fällen im wahrsten Sinne des Wortes
„staatenlos“ sein werden, muss geklärt werden. Nationale bzw. regionale (EU) ebenso wie
internationale Vereinbarungen (Genfer Flüchtlingskonvention) bedürfen einer Anpassung
bzw. einer Erweiterung, um Klimaflüchtlingen ein dauerhaftes Aufenthalts- und Bleiberecht
zu gewähren.
A.7.3.Klimawandel und Konflikte
„Umweltpolitik ist die Friedenspolitik der Zukunft.“
34
67
Dasgupta, Susmita, Benoit Laplante, Craig Meisner, David Wheeler, und Jianping Yan. 2007. The Impact of Sea
Level Rise on Developing Countries . A Comparative Analysis. World Bank Policy Research Working Paper No. 4136;
Stern, Nicholas. 2007. The Economics of Climate Change. The Stern Review.
68
Stern, Nicholas. 2007. The Economics of Climate Change. The Stern Review.
69
International Organization for Migration (IOM) (2008): Migration and Climate Change
Klimaschut z und globale Gerechtigkeit
Klaus Töpfer, ehemaliger Chef des Umweltprogramms der Vereinten Nationen
Auch in der Sicherheits- und Friedens- bzw. Kriegs- und Konfliktforschung ist seit langem
unstrittig, dass der Klimawandel das Potenzial hat, Konflikte zu initiieren oder zu verstärken,
die dann in kollektiver Gewaltanwendung enden können. Klimawandel und Ressourcenknappheit sowie die daraus resultierenden Anpassungsstrategien mächtiger Akteure werden
zunehmend als ernstzunehmendes Sicherheitsproblem wahrgenommen70. Vergleichende
historische Studien haben zudem eindringlich vor Augen geführt, welche Bedeutung abrupte und/oder schleichende Klimaveränderungen für die lokale, regionale und internationale
Sicherheit haben können, wenn Ressourcenknappheit, die stark verschlechterten Lebensbedingungen und die dadurch ausgelösten Flucht- und Migrationsprozesse zu sicherheitspolitischen Risikofaktoren ersten Ranges aufsteigen71.
A.7.4.Fallbeispiele
„Uns drohen Millionen Klimaflüchtlinge.“
Achim Steiner, UNEP-Exekutivdirektor in der „BILD am Sonntag“, 18.02.2007
A.7.4.1.Inselstaaten und Klimaflucht
Die Situation der kleinen Inselstaaten Mikronesiens ist zum Symbol für die Flucht vor den
Folgen der globalen Erwärmung geworden. Sie gilt als Warnsignal für den gesamten Planeten. In den 22 Inselstaaten des Südpazifiks leben etwa sieben Millionen Menschen. Zu
diesen zählen Kleinstaaten wie Tuvalu, die Salomon-Inseln, Kiribati, Vanuatu und etliche
andere. Aber auch beispielsweise die im indischen Ozean gelegenen Malediven mit 300.000
Einwohnern gehören zu den Inselstaaten, die vom Klimawandel betroffen sind. Häufig leben dort 90 Prozent der Menschen direkt an der Küste. Aufgrund ihrer geringen Größe
liegen nur lückenhafte Daten über die wirtschaftliche Entwicklung vor. Die meisten dieser
Staaten sind arm. Kiribati beispielsweise hat ein Bruttoinlandsprodukt (BIP) von etwa 600
US-Dollar pro Kopf. Die Möglichkeiten, sich an die globale Erwärmung anzupassen, sind
damit äußerst gering.
Die Auswirkungen der globalen Erwärmung sind hingegen gravierend. 80 Prozent der Landfläche der Malediven liegen nur einen Meter über dem Meer72. Inzwischen schließen die
Prognosen einen Anstieg des Meeresspiegels um eben diesen einen Meter nicht mehr aus.
Zwar wurde beispielsweise um die Hauptstadt Male ein Deich von drei Metern Höhe errichtet. Doch dessen Bau dauerte 14 Jahre, und die Kosten von insgesamt 63 Millionen USDollar wurden von der japanischen Regierung übernommen. Die Regierung der Malediven
konnte diese Summe, die etwa einem Zehntel des BIP der Malediven entspricht, schlicht
nicht aufbringen73. Somit stellt der Deichbau für weite Teile der Malediven keine Option dar.
Auf einer der bevölkerungsreichsten Inseln der Malediven, Kandholhudhoo, haben daher
bereits jetzt 60 Prozent der Einwohner sich freiwillig für eine Evakuierung gemeldet – trotz
der unsicheren wirtschaftlichen Perspektiven einer Emigration74. Ähnlich stellt sich die Situation auch im Südpazifik dar. Die Hälfte der 10.000 Einwohner des Inselstaates Tuvalu leben
70
Klare, Michael. 2001. Resource Wars. The New Landscape of Global Conflict
71
Diamond, Jared. 2005. Collapse. How Societies Choose to Fail or to Succeed.
72
Maldives Ministry of Home Affairs and Environment. 2003. Climate Change www.environment.gov.mv/climate.
htm#Impacts%20of%20Climate%20Change%20and%20Sea %20Level%20Rise
73
Bryant, Nick. 2004. Maldives. Paradise soon to be lost; http://news.bbc.co.uk/2/hi/south_asia/3930765.stm
74
Bryant, Nick. 2004. Maldives. Paradise soon to be lost; http://news.bbc.co.uk/2/hi/south_asia/3930765.stm
35
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weniger als drei Meter über dem Meer. Bereits in der Vergangenheit gab es Berichte über
abgetragene Sandbänke und die Erosion der Küste. Auch auf Fidschi sind einzelne Inseln in
den letzten 70 Jahren um bis zu 30 Meter geschrumpft75.
Ein simpler Vergleich zwischen der Höhe der Inseln und dem erwarteten Meeresspiegelanstieg kann aber die Tragweite der Veränderungen noch nicht vollständig erfassen. Denn
ein höherer Meeresspiegel führt dazu, dass auch die tropischen Stürme, die die Inseln regelmäßig heimsuchen, mit verstärkter Intensität zuschlagen. Auf Tuvalu beispielsweise gab
es früher regelmäßig ein Mal pro Jahr (Februar) Überschwemmungen durch Sturmfluten.
Heute geschieht dies durchschnittlich viermal im Jahr. Doch nicht nur durch den Anstieg des
Meeres werden die Stürme heftiger. Der Klimawandel führt auch zu heftigeren Stürmen,
für den Südpazifik wird eine Zunahme der Sturmstärken um durchschnittlich zehn bis 20
Prozent vorausgesagt.76
Stürme und Überflutungen bewirken nicht nur einen Verlust an Landesfläche. Auch das
übrige Land ist betroffen. Überschwemmungen führen zur Versalzung der ehemals fruchtbaren Böden und machen den Anbau von Nahrungsmitteln unmöglich. Auf den MarshallInseln gehen die Bauern bereits dazu über, ihren Anbau in leere Ölfässer zu pflanzen, um ihn
vor den steigenden Fluten in Sicherheit zu bringen. Zudem gerät die Trinkwasserversorgung
in Gefahr, wenn sich das nur spärlich vorhandene Grundwasser mit Salzwasser vermischt.
Auch wenn also nicht die gesamte Fläche der Inseln buchstäblich im Meer verschwindet, so
wird das Überleben dort nahezu unmöglich. Die kleinen Inselstaaten werden also zu Opfern
des Klimawandels, die zudem nur sehr begrenzt die Möglichkeit haben, sich an die Veränderungen anzupassen. Der Bau von Deichen und anderen Schutzvorrichtungen ist unter
den gegebenen geographischen Bedingungen oft nicht möglich – von den ökonomischen
Kapazitäten ganz zu schweigen. Zusammengefasst lässt sich damit sagen: Die Exposition
ist besonders hoch, die Anpassungsfähigkeit extrem gering, die Verwundbarkeit der Inselbewohner daher extrem hoch. Sie wird teilweise auf sechs bis acht Mal so hoch geschätzt
wie die der Menschen in anderen Nationen.77 Flucht und Migration bleibt damit der einzige
Ausweg. Es ist mithin davon auszugehen, dass ein Teil der Staaten mittel- bis langfristig
aufhören wird, als Territorium zu existieren.
Im Südpazifik finden sich nicht nur die ersten direkten Opfer der globalen Erwärmung.
Auch im politischen Umgang mit dem Problem werden dort als erstes besondere Wege
beschritten. So hat sich Neuseeland im Jahr 2001 nach Verhandlungen mit einigen Inselstaaten bereit erklärt, mit der sogenannten Pacific Access Category eine festgelegte Menge
von Flüchtlingen aufzunehmen. So dürfen pro Jahr je 75 Menschen aus Tuvalu und Kiribati
sowie je 250 Menschen aus Tonga und Fiji nach Neuseeland immigrieren.78 Zwar gibt es
Probleme bei der konkreten Umsetzung des Abkommens79, und die neuseeländische Regierung bestreitet, dass es sich bei dem Abkommen um eine Anerkennung der MigrantInnen
als Klimaflüchtlinge handelt80. Doch mittelfristig wird die Umwandlung des Vertrages in ein
Abkommen über Umweltflüchtlinge nicht mehr ausgeschlossen. Und aus Sicht der beteilig-
36
75
Friends of the Earth Australia. o. J. A Citizen’s Guide to Climate Refugees
76
Simms, Andrew. 2002. Pacific Islands Foretell Future of Climate Change In World Disaster Report 2002
77
Friends of the Earth Australia. o. J. A Citizen’s Guide to Climate Refugees
78
New Zealand Department of Labor. 2007. Pacific Access Category; http://www.immigration.govt.nz/migrant/
stream/live/pacificaccess/
79
Agence France Presse. 2004. Tuvalu premier gets sinking feeling over immigration deal with NZ. AFP, 06.05
80
Dalziel, Lianne. 2002. Places for Islanders no ‚Refugee‘ Scheme. The Dominion, 23.03.
Klimaschut z und globale Gerechtigkeit
ten Inselstaaten ist es das faktisch schon jetzt81. Angesichts der Dramatik des Problems mag
dies nur ein kleiner Schritt sein. Doch es zeigt auf, dass Klimaflucht in anderen Teilen der
Welt schon auf politischer Ebene als Problem Aufmerksamkeit erfährt.
A.7.4.2.Kenia: Dürre und Migrationsdruck
Afrika ist aufgrund seiner spezifischen geografischen Lage und seiner geringen Anpassungsfähigkeit besonders anfällig für die Folgen des Klimawandels. Am folgenden Beispiel soll
gezeigt werden, wie sich Umweltveränderungen infolge des Klimawandels auswirken und
zu Flucht und Migration führen können. Denn es ist sehr wahrscheinlich, dass angesichts
ausbleibender Entwicklungserfolge sowie hartnäckiger und weit verbreiteter Armut und Unterentwicklung Flucht oft die einzige ‚Anpassungsoption’ ist82.
In Kenia bringt der Klimawandel den gesamten Wasserhaushalt durcheinander, und das mit
gravierenden Folgen: Konflikte über Wasser führen zu Flucht und Migration. Kenia gehört
zu den ärmsten Ländern der Welt. Knapp 60 Prozent der 35 Millionen Einwohner leben
unterhalb der 2-Dollar-Armutsgrenze. Die Landwirtschaft ist die weitaus wichtigste Einkommensgrundlage, etwa 80 Prozent der Bevölkerung hängen direkt oder indirekt von ihr ab.
Folglich ist die Sensibilität gegenüber den zunehmenden klimatischen Veränderungen besonders hoch.
Die folgende Tabelle zeigt die Anzahl der von Trockenheit betroffenen Menschen bei den
großen Dürren der vergangenen Jahrzehnte.
Tabelle: Dürreopfer in Kenia83
Jahr
Anzahl betroffener
Menschen
16.000
20.000
40.000
200.000
1,5 Millionen
1,4 Millionen
4,4 Millionen
3,5 Millionen
In diesen Zahlen spiegeln sich zwei Tatsachen wider. Erstens hat Kenia ein hohes
1975
Bevölkerungswachstum von etwa 2,5 Pro1977
zent. Der Nahrungsmittelbedarf steigt in
1980
dem von Hunger geplagten Land stetig und
1984
inzwischen sind etwa 30 Prozent der Men1992
schen unterernährt. Für die Landwirtschaft
1995-6
weichen die Menschen daher zusehends
1999-2000
auf die marginalen Anbaugebiete der Troc2004-2006
kenzone aus, die vier Fünftel der Landesfläche bedecken. Dort leben schon jetzt 30
Prozent der Bevölkerung, Tendenz steigend84. Die Menschen, die in diesen Regionen leben,
sind besonders verwundbar gegenüber extremer Trockenheit. Bleibt der Regen aus, ist ihre
Existenz prekär. Die Zahl der von Dürre stark betroffenen Menschen nimmt daher ständig
zu. Zweitens nimmt aber auch die Häufigkeit, mit der Kenia von Dürren heimgesucht wird,
durch den Klimawandel zu. So prophezeit das IPCC eine Verschärfung des El-Niño-Wetterphänomens, das großen Einfluss auf die Niederschläge in Kenia hat.85 Insgesamt wird eine
81
Friends of the Earth Australia. o. J. A Citizen’s Guide to Climate Refugees
82
Nkomo, J.C., A.O. Nyong, und K. Kulindwa. 2006. The Impacts of Climate Change in Africa. Submitted to the Stern
Review on the Economics of Climate Change
83
Oxfam International. 2006. Making the case: A national drought contingency fund for Kenya. Oxfam Briefing
Paper 89
84
Orindi, V.A., und A. Ochieng. 2005. Case Study 5: Kenya Seed Fairs as a Drought Recovery Strategy in Kenya, IDS
Bulletin 36
85
Eine andere Vorhersage des IPCC betrifft das südliche Afrika, das nach den Polkappen am stärksten von den
vorhersehbaren Klimaveränderungen betroffen sein wird. Auch hier sind Dürre und Desertifikation bereits
37
‘ T h i s i s a n e m e r g e n c y, a n d f o r e m e r g e n c y s it u ati o n s w e n e e d e m e r g e n c y a c ti o n … ’
deutliche Verringerung der zur Verfügung stehenden Wassermenge vorhergesagt86. Dies
wird sich gerade in den jetzt schon trockenen Regionen besonders stark auswirken.87 Es ist
außerdem davon auszugehen, dass sich die Bedingungen für landwirtschaftlichen Anbau
und Viehzucht deutlich verschlechtern werden. Ein Beispiel, welche dramatischen Folgen
mit einer solchen Zunahme der Intensität von Dürre verbunden sind, zeigt die besonders
starke Dürre der Jahre 1999-2001. Denn betroffen waren nicht nur die trockenen Regionen des Nordens, sondern auch andere, sonst feuchtere Landesteile. Nach Angaben des
Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (WFP) waren allein zwischen Februar
und Juni 2000 2,5 Millionen KenianerInnen auf Hilfslieferungen angewiesen. Zwei Millionen
Schafe und Ziegen, 900.000 Rinder und 14.000 Kamele fielen der Dürre zum Opfer – Vieh
in einem Gesamtwert von etwa 80 Millionen US-Dollar. Wenn wie in den vergangen Jahren
die Dürren immer enger aufeinander folgen, sind solche Schäden für die größtenteils in
Subsistenzwirtschaft lebenden Menschen in Kenia kaum zu verkraften88. Besonders betroffen sind die im Norden des Landes lebenden nomadischen Hirten. Während der nächsten
großen Dürre 2005/2006 kam es an verschiedenen Wasserstellen im Norden des Landes,
die in der Vergangenheit immer ausreichend Schutz vor Trockenheit für die verschiedenen
Nomadenstämme geboten hatten, zu gewaltsamen Auseinandersetzungen um die Verteilung des knapper werdenden Wassers. Insgesamt ereigneten sich Schießereien mit mehreren hundert Toten und Verletzten89. Dürren und andere Folgen des Klimawandels schieben
sich als Ursachen immer weiter in den Vordergrund, wenn es darum geht, den Ausbruch von
gewaltsamen Konflikten zu erklären.
Die Menschen fliehen vor Trockenheit, Hunger und Gewalt ins Zentrum des Landes und in
die Küstengebiete90. Doch auch dort, in den weniger trockenen und fruchtbareren Gebieten
Kenias wird das Wasser knapp. Als eines der Symbole für den Klimawandel gilt das Abschmelzen der Gletscher des Kilimandscharo. 90 Prozent der einstigen Eismassen sind heute
verschwunden. Ähnliches gilt für den Gletscher auf dem Mount Kenya. Sie haben große
Bedeutung für die Wasserversorgung der beiden größten Städte Nairobi und Mombasa.
Wenn die Schmelzwasserflüsse infolge der sinkenden Gletschermassen abnehmen, droht
auch dort Trockenheit91.
Fast paradox klingt es in einer solchen Situation, wenn gleichzeitig hohe Flüchtlingszahlen
infolge von Überschwemmungen zu vermelden sind. Im Jahr 2002 waren 50.000 Kenianer
auf der Flucht vor sintflutartigen Regenfällen, gerade im Süden des Landes, der ja eigentlich
das Ziel vieler Flüchtlinge aus dem trockenen Norden ist92. Und erst Ende 2006 hat eine außerordentlich starke Überschwemmung infolge andauernder Regenfälle mehr als 500.000
KenianerInnen obdachlos gemacht93. Auch im Falle Kenias handelt es sich also um bestehende Umwelt- und Entwicklungsprobleme, die durch ein hohes Bevölkerungswachstum
zunehmen und die durch den Klimawandel verstärkt werden.
heute akut spürbare Probleme, die im Fall von Mosambik häufig noch durch periodische Flutkatastrophen nach
Regenfällen im Hinterland verschärft werden.
38
86
Watson, T., M. Zinyowera, R.H. Moss, und D. Dokken, eds. 1997. IPCC Special Report on The Regional Impacts of
Climate Change. An Assessment of Vulnerability
87
Orindi, V.A., und A. Ochieng. 2005. a.a.o.
88
Akliu, Y., und M. Wekesa. 2002. Drought, Livestock and Livelihoods. Lessons from the 1999-2001 Emergency
Response in the Pastoral Sector in Kenya
89
Christian Aid. 2006. The Climate of Poverty: Facts, Fears, and Hopes
90
Magrath, J., und A. Simms. 2006. Africa - Up in Smoke 2. The second report on Africa and global warming from
the Working Group on Climate Change and Development
91
Orindi, V.A., und A. Ochieng. 2005. a.a.o.
92
BBC. 2002. Devastating Floods Hit Kenya; http://news.bbc.co.uk/2/hi/africa/1976946.stm.
93
IRINnews. 2007. Kenya: Floods Displace more People in West and Northeast Regions
Klimaschut z und globale Gerechtigkeit
A.7.4.3.B angladesch: Mehrfaches Opfer des Klimawandels
Bangladesch wird in der Öffentlichkeit oft als Paradebeispiel genannt, um die dramatischen
Folgen des Klimawandels zu verdeutlichen. Und das ist kein Wunder, denn Bangladesch
wird unter verschiedenen Folgen des Klimawandels gleichzeitig leiden: Anstieg des Meeresspiegels, häufigere und stärkere Stürme, Überschwemmungen und Trockenheit. In einem
armen Land wie Bangladesch mit einer so hohen Bevölkerungsdichte beeinträchtigen diese
Folgen die menschliche Entwicklung besonders stark .
Bangladesch hat ein Bruttoinlandsprodukt von etwa 1800 US-Dollar pro Kopf. Ca. 80 Prozent
der 140 Millionen Einwohner leben unterhalb der Armutsgrenze. Die Bevölkerungsdichte ist
mit 1023 Einwohnern pro Quadratkilometer besonders hoch (zum Vergleich Deutschland:
231 Einw./km²). In Bangladesch liegt eines der größten Flussdeltas der Welt, in dem das
Ganges-Brahmaputra-Meghna-System ins Meer fließt. Bei einer Fläche, die vergleichbar mit
der Griechenlands ist, fließt pro Jahr mehr Wasser durch Bangladesch als durch ganz Europa.94 Dies führt dazu, dass 65 Prozent der Landesfläche Flussebenen und damit mehr oder
weniger häufig Überschwemmungsgebiet sind. Zwar ist die Bevölkerung traditionell an regelmäßige Überschwemmungen gewöhnt und hat dies z.T. auch in ihre landwirtschaftliche
Anbauweise integriert. Doch diese geographischen und sozialen Ausgangsbedingungen
machen das Land besonders verwundbar für Klimaveränderungen. Vier Arten von Klimafolgen sind zu erwarten, die zu Flucht und Migration führen werden:
Erstens wird die Häufigkeit und Schwere der Überschwemmungen zunehmen. Bereits in
den vergangenen Jahrzehnten gab es verheerende Überschwemmungen: Die Flut von 1998
machte etwa eine Millionen Menschen heimatlos.95 Bereits wenige Jahre später, im Jahr
2004, folgte die nächste noch stärkere Flut. Hilfsorganisationen gehen von etwa 30 Millionen Menschen aus, die zeitweilig von ihren angestammten Wohnsitzen fliehen und durch
Hilfslieferungen versorgt werden mussten96. Zwar kehrte ein Teil davon wieder in seine Heimat zurück. Doch für viele war die gesamte Existenz zerstört, so dass die Rückkehr versperrt
blieb. Es gilt als ausgemacht, dass die Niederschlagsmenge in Südostasien bis 2030 um etwa
15 Prozent steigen wird97. Zusätzlich wird wegen der Gletscherschmelze im Himalaya die
Abflussmenge durch die drei großen Flüsse steigen. So werden im Extremfall etwa 20 bis
40 Prozent mehr Fläche zusätzlich regelmäßig von Überschwemmungen betroffen sein.98
Wenn gleichzeitig der Meeresspiegel steigt, erhöht sich durch den Rückstau in den Flüssen
die Fluthöhe zusätzlich.99
Zweitens wird der prognostizierte Anstieg des Meeresspiegels unweigerlich zu Flucht führen. Denn ein Großteil der Landesfläche Bangladeschs liegt nur unwesentlich über dem
Meeresspiegel. Einer Studie der Weltbank zufolge lägen bei einem Anstieg des Meeresspiegels um 95 cm, der bis zum Ende des Jahrhunderts durchaus im Bereich des Möglichen
liegt, etwa 18 Prozent der Landesfläche unter Wasser. Die momentan dort lebenden 35
Millionen Bangladeschis wären gezwungen, ins Landesinnere zu fliehen, was angesichts der
94
Orindi, V.A., und A. Ochieng. 2005. a.a.o.
95
Mallick, D. L., A. Rahman, M. Alam, A. S. M. Juel, A. N. Ahmad, und S. S. Alam. 2005. Case study 3: Bangladesh
floods in Bangladesh: A shift from disaster management towards disaster preparedness.
96
Orindi, V.A., und A. Ochieng. 2005. a.a.o.
97
McCarthy, James, Osvaldo Canziani, Neil Leary, David Dokken, und Kasey White. 2001. Climate Change 2001:
Impacts, Adaptation, and Vulnerability. Contribution of Working Group II to the Third Assess ment Report of the
Intergovernmental Panel on Climate Change
98
Mirza, M. M. Q., R. A. Warrick, und N. J. Ericksen. 2003. The implications of climate change on floods of the
Ganges, Brahmaputra and Meghna rivers in Bangladesh.
99
Orindi, V.A., und A. Ochieng. 2005. a.a.o.
39
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jetzt schon hohen Bevölkerungsdichte zu sozialen Problemen führen und ein erhebliches
Entwicklungshindernis darstellen könnte100.
Mögliche Auswirkungen des Meeresspiegelanstiegs auf Bengladesch
Heute
Bevölkerung:
150 Millionen
Fläche:
144 000 km2
Drittens wird sich aller Voraussicht nach auch die Häufigkeit
und Schwere von tropischen
Stürmen über Bangladesch
erhöhen. Da diese Stürme
im flachen Bangladesch zu
Dhaka
weit reichenden kurzfristigen
1,5 m — Auswirkungen
potenziell betroffene
Sturmfluten in Küstennähe
Bevölkerung heute:
22,5 Millionen (15%)
führen würden, wäre auch
betroffene Fläche:
hier mit vermehrter Flucht zu
22 000 km (16%)
rechnen101. Beispielsweise hat
Quelle: verändert nach Unep / Grid Arendal, o.J.: 31 www.grida.no
ein schwerer Zyklon im Mai
1997 kurzzeitig 1,5 Millionen
Menschen obdachlos gemacht102. Stürme führen aber auch zu einer Erosion der Küste. Ein
Beispiel dafür ist die Insel Kutubdia im Osten des Landes. Innerhalb der letzten 50 Jahre
hat sich die Fläche der Insel halbiert. Durch die vermehrte Anzahl an Stürmen wird damit
gerechnet, dass sie in spätestens 70 Jahren verschwunden sein wird. Den jetzt 140.000
Menschen, die auf dieser Insel leben, wird dann nur die Flucht bleiben.103
Dhaka
2
Viertens erscheint es geradezu paradox, wenn angesichts der schon immensen drei genannten Herausforderungen gleichzeitig für den Westen des Landes Trockenheit prognostiziert
wird. Dort wird Landwirtschaft aufgrund von Wassermangel zunehmend schwieriger. Dieser
Umstand wiegt umso schwerer, als diese Region als Hauptrückzugsraum für die Flüchtlinge
vor den steigenden Meeresspiegeln und Überflutungen gesehen werden muss. Die Entwicklungschancen für die Menschen in dieser Region werden sich massiv verschlechtern104.
Insgesamt erscheint es also nachvollziehbar, wenn für Bangladesch im Jahre 2050 etwa 26
Millionen Klimaflüchtlinge prognostiziert werden.105 Denn der Klimawandel wird die bestehenden Ursachen von Umweltflucht wie Überschwemmungen und Stürme verstärken. Hinzu kommt der direkt auf den Klimawandel zurückzuführende Anstieg des Meeresspiegels.
Und die Verschärfung der ohnehin schon schwierigen wirtschaftlichen Situation des Landes
wird den Migrationsdruck weiter erhöhen.
A.7.4.4. China: Rasantes Wirtschaftswachstum und Binnenmigration
Zusammen mit Indien ist die Volksrepublik China zum Symbol für jene Schwellenländer
geworden, die im Zuge der Globalisierung ökonomisch gegenüber den Industrieländern
stark aufgeholt haben. In der öffentlichen Debatte wird es aufgrund seiner rasanten ökonomischen Entwicklung mit jährlichen Wachstumsraten von über zehn Prozent gerne auch als
Konkurrent um Arbeitsplätze und Wohlstand an die Wand gemalt. Doch die wirtschaftliche
World Bank. 2000. Bangladesh: Climate Change and Sustainable Development. World Bank Report No. 21104
100
101
Mirza, M. M. Q., R. A. Warrick, und N. J. Ericksen. 2003 a.a.o.
102
Simms et al. 2004: 22
103
Orindi, V.A., und A. Ochieng. 2005. a.a.o.
IRINnews. 2007. Kenya: Floods Displace more People in West and Northeast Regions
104
105
40
Myers, Norman. 2001. Environmental Refugees. A Growing Phenomenon of the 21st Century. In Philosophical
Transaction of the Royal Society: Biological Sciences 357
Klimaschut z und globale Gerechtigkeit
Entwicklung in China ist höchst ambivalent. 70 Prozent der ChinesInnen leben von der Landwirtschaft.106 Noch immer befindet sich knapp die Hälfte der ChinesInnen unterhalb der 2
Dollar-Armutsgrenze. Der Gini-Koeffizient107, der Auskunft über die ökonomische Gleichheit
in einem Land gibt, ist von 0,33 im Jahre 1980 über 0,37 in 1992 auf heute 0,45 hochgeschnellt.108 Diese Trennung zwischen arm und reich verläuft dabei hauptsächlich an der
Grenze zwischen Stadt und Land. China ist ein Land der zwei Welten: zum einen die küstennahen Boomregionen im Süden und Südosten des Landes, zum anderen die wirtschaftlich
schwachen ländlichen Gebiete im Norden und Westen.
Auch in der Klimadiskussion bildet sich diese Widersprüchlichkeit ab. Während die Klimapolitiker der westlichen Welt nicht mehr umhin kommen, die Einbeziehung Chinas in den
internationalen Klimaschutz zu fordern, und Umweltbewegte sich entsetzt die Frage stellen,
was wohl wäre, wenn ganz China automobil unterwegs wäre, wird immer deutlicher, dass
weite Teile Chinas in erster Linie zu den Opfern des Klimawandels gehören.
Anfang 2007 veröffentlichte die chinesische Regierung ihren ersten nationalen Bericht zu
den Auswirkungen des Klimawandels109. Zusammen mit anderen Prognosen110 lassen sich
daraus folgende Konsequenzen ablesen. China wird bis zum Jahr 2020 einen Temperatur­
anstieg von 1,3 bis 2,1° C zu verzeichnen haben. Bis 2050 sind sogar 2,3 bis 3,3° C zu befürchten. Diese durchschnittlichen Werte sind im großen China regional sehr unterschiedlich
verteilt. Die stärkste Erwärmung ist in den tibetischen Hochebenen zu erwarten. Da die
großen Flüsse Chinas dort entspringen, werden diese langfristig weniger Wasser führen.
Zudem kommt es im Norden Chinas bis 2100 zu einer Reduzierung des Niederschlags zwischen zwei und zehn Prozent. Im Süden hingegen werden sich die Niederschläge im selben
Zeitraum um bis zu 25 Prozent erhöhen111. Das große aquatische Ungleichgewicht zwischen
Nord- und Südchina würde sich dadurch noch verschärfen112 .Die zunehmende Trockenheit
im Norden wird im Zusammenspiel mit einem rasanten Flächenverbrauch zu einer Reduktion
der Getreideernten um bis zu 37 Prozent bis zur Mitte des Jahrhunderts führen113. Im Süden
hingegen wird sich die Wahrscheinlichkeit von Überschwemmungen weiter erhöhen. Schon
jetzt fügen Naturkatastrophen der Wirtschaft einen Schaden von drei Prozent des BIP zu.
Fast zwei Drittel davon gehen auf das Konto von hydrometeorologischen Katastrophen114.
Dazu kommt, dass gerade die südlichen und östlichen Küstenregionen in weiten Teilen nur
wenige Meter über dem Meeresspiegel liegen. 143.000 km2 befinden sich in den elf Küstenprovinzen nur fünf Meter über dem Meer115. Dies entspricht in etwa der Hälfte der Fläche
Deutschlands, wobei die Bevölkerungsdichte in den Küstenregionen in einigen Provinzen bei
über 900 Einwohnern pro Quadratkilometer liegt.
China ist schon jetzt einer massiven Urbanisierung ausgesetzt. Im Jahr 2001 gab es etwa
100 Millionen BinnenmigrantInnen, die vom Land in die Stadt abgewandert sind116. Der
Lin, Erda, Xiu Yang, Shiming Ma, Hui Ju, Liping Guo, Wei Xiong, Yue Li, und Yinlong Xu. 2005. China Benefiting
from Global Warming. Agricultural Production in Northeast China
106
107
Der Gini-Koeffizient bildet die Verteilung des Vermögens auf einer Skala von 0 (perfekte Gleichheit) bis 1 (perfekte
Ungleichheit) ab.
Sisci, Francesco. 2005. Is China Headed for a Social ‘Red Alert’? The Asia Times, 20.10.
108
Li, Ling. 2007. China Releases First National Report on Climate Change Worldwatch Institute
109
110
Lin, Erda, und Ji Zou. 2006. Climate Change Impacts and its Economics in China
111
Lin, Erda, und Ji Zou. 2006. Climate Change Impacts and its Economics in China a.a.o.
112
Lin, Erda, und Ji Zou. 2006. Climate Change Impacts and its Economics in China a.a.o.
113
Lin, Erda, und Ji Zou. 2006 a.a.o.
114
Lin, Erda, und Ji Zou. 2006 a.a.o.
115
Lin, Erda, und Ji Zou. 2006 a.a.o.
116
Ping, Huang, und Frank Pieke. 2003. China Migration Country Study on Migration, Development and Pro-Poor
Policy Choices in Asia, 22.-24. Juni
41
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Klimawandel wird diese Bewegungen in Zukunft weiter verstärken.117 In den vom landwirtschaftlichen Anbau und der Subsistenzwirtschaft geprägten Gebieten werden sich durch
die Desertifikation weiter Teile Zentralchinas die ökonomischen Perspektiven verschlechtern, weil gerade auch in diesen Gebieten die geringsten Kapazitäten zur Anpassung an
den Klimawandel bestehen. Der Druck zur Migration wird dadurch größer. Allein in der
zentralchinesischen Provinz Ginsu, so berichtet die Asiatische Entwicklungsbank, sind inzwischen 4000 Dörfer komplett verlassen, weil infolge des Wassermangels das Land zur
Wüste wird118. Doch auch die wirtschaftlich weiter entwickelten Gebiete des Südens und
Ostens werden nicht verschont bleiben. Das Risiko von regenbedingten Überflutungen wird
steigen. Und der Anstieg des Meeresspiegels um einen Meter wird allein in Shanghai etwa
sechs Millionen Menschen vertreiben.119 Schätzungen gehen von insgesamt 73 Millionen
Klimaflüchtlingen in China bis 2050 aus.120
In China trifft der Klimawandel auf hohe ökonomische Ungleichheit und einen existierenden
Binnenmigrationsdruck und wird beides weiter verstärken. Auch in einem Schwellenland
wie China, das zu den wirtschaftlich aufstrebenden Nationen gehört, kann der Klimawandel
damit zu Migration und Flucht führen.
Kenia, Bangla Desh und China sind nur drei Beispiele von vielen. Einen hervorragenden Überblick über den real bereits existierenden Klimawandel vor allem
in den Entwicklungsländern gibt der UN-Bericht der menschlichen Entwicklung
2007/08 „Den Klimawandel bekämpfen : Menschliche Solidarität in einer geteilten
Welt“ (http://hdr.undp.org/en/reports/global/hdr2007-2008).
A.8. Klimaschutz muss global gerecht sein: Das Greenhouse
Development Rights-Modell
Die Schlussfolgerungen des jüngsten Berichts des Weltklimarates IPCC sind deutlich: Der
Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur muss auf unter 2°C gegenüber dem vorindustriellen Niveau begrenzt werden, um irreversible Schäden für das Ökosystem Erde und
katastrophale Folgen für Milliarden Menschen soweit wie möglich zu verhindern. Doch es ist
äußerste Eile geboten: damit wir dieses Ziel überhaupt noch erreichen können, muss bei den
weltweiten Treibhausgas-Emissionen in weniger als 10 Jahre eine Trendwende geschafft
werden. Bis 2050 müssen laut IPCC die globalen Emissionen (im Vergleich zu 1990) halbiert
werden.Das bedeutet, dass der Anteil der Treibhausgase in der Atmosphäre nicht über 450
ppm CO2eq121 steigen darf.
Führende Klimawissenschaftler fordern mittlerweile noch schnellere und weitergehendere
Treibhausgasreduktionen, da die Langzeitfolgen der bisherigen Treibhausgasfreisetzungen
und Rückkopplungseffekte in den meisten Klimamodellen nicht ausreichend berücksichtigt
wurden (siehe A.6.2.)
42
117
Lin, Erda, und Ji Zou. 2006 a.a.o.
118
Brown, Lester. 2004. Troubling New Flows of Environmental Refugees
119
Reuveny, Rafael. 2005. Environmental Change, Migration and Conflict. Theoretical Analysis and Empirical
Explorations
120
Myers, Norman. 2001. Environmental Refugees. A Growing Phenomenon of the 21st Century
121
parts per million CO2-Äquivalente (andere Treibhausgase als CO2 werden mit ihrem spezifischen CO2-Äquivalenzfaktor
anteilig gewichtet, z.B. hat Methan ein Treibhausgaspotential von 25, das bedeutet 1 Teilchen Methan hat einen
CO2-Äquivalenzwert von 25)
Klimaschut z und globale Gerechtigkeit
Hauptleidtragende des Klimawandels werden die Menschen und ihre Umwelt in jenen Staaten sein, die am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben. Selbst die Auswirkungen
des „noch nicht gefährlichen“ Klimawandels in Form von Tropenstürmen, Überschwemmungen, Hitzewellen, Dürreperioden etc. mit Hunderttausenden von Toten werden weiter
zunehmen und vor allem die ärmsten Bevölkerungsschichten in den Entwicklungsländern
treffen. Das heißt die Notwendigkeit, sich an den laufenden Klimawandel anzupassen, steigt
vor allem bei denen, die die geringsten Anpassungskapazitäten haben.
So einfach der Konsens über die Notwendigkeit eines weitestgehenden Treibhausgasstopps
ist, so schwierig wird seine Umsetzung, je näher an der Gegenwart die Etappenziele und die
Verteilung zwischen Industrie- und Entwicklungsländern festgelegt werden sollen. Zudem
haben die Industrieländer ihre jeweiligen Ziele für das Kyoto-Protokoll bisher deutlich verfehlt; der Beweis ihrer Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit als Klimavertragspartner steht
bisher noch aus – sowohl was die realen Reduktionen anbelangt als auch in Bezug auf die
Gelder, die sie bisher tatsächlich für Anpassungsmaßnahmen zur Verfügung stellen.
Derzeit beträgt der CO2-Gehalt der Atmosphäre etwa 385 ppm. Zu den derzeitigen globalen Gesamtemissionen von jährlich etwa 30 Milliarden Tonnen CO2eq tragen Industrie- und
Entwicklungsländer etwa gleich viel bei ; sie bewirken einen jährlichen Anstieg um etwa 2
ppm. Der verbleibende Spielraum in der Atmosphäre von etwa 65 ppm (bis zum Erreichen der
450ppm-Marke) steht allen Menschen gleich zu, wobei der Anspruch des Südens auf einen
größeren Anteil - über das bloße Produkt von Pro-Kopf-Emissionen x Zahl der Menschen hinaus - aufgrund der historischen Emissionen des Nordens moralisch gerechtfertigt ist.
Die Industriestaaten haben eine historische Verantwortung für den Klimaschutz, denn sie
sind für den größten Teil des Problems verantwortlich. Die Industrieländer sind auch diejenigen, die dank ihrer wirtschaftlichen Stärke finanziell in der Lage sind, handeln zu können.
Dem Verursacherprinzip folgend müssen die für den Klimawandel verantwortlichen Länder, Unternehmen und Konsumenten für die Klimaschäden und die Kosten der Anpassung
in den besonders betroffenen Entwicklungsländern aufkommen. Letztere haben zudem –
ergänzend zu ihren eigenen Anstrengungen – Anspruch auf Unterstützung beim Aufbau
einer klimaverträglichen Energieversorgung. Dabei geht es nicht um Almosen, sondern um
Gerechtigkeit. Klima- und Energiepolitik müssen zum integralen Bestandteil der Entwicklungspolitik werden, denn nur so können die Überwindung der Armut, die MillenniumsEntwicklungsziele und die Stabilisierung unseres Klimas erreicht werden.
Doch die jüngsten wissenschaftlichen Studien machen auch deutlich, dass Klimaschutzmaßnahmen in den Industrienationen alleine nicht ausreichen werden. Daher wächst die klimapolitische Verantwortung der Schwellen- und Entwicklungsländer. Die Frage, welcher Staat
wieviele Treibhausgase zu reduzieren hat, muss anhand der Emissionen der Schwellenländer
und deren Fähigkeit, Treibhausgase zu verringern und gleichzeitig in Energieeffizienz und
erneuerbare Energien zu investieren, gemessen werden.
Das Greenhouse Development Rights-Modell (GDR)
Aufgrund ihrer historisch bedingten Verantwortung müssen die reichen Staaten die Verantwortung für die Reduktion der eigenen Emissionen und eine Vorreiterrolle bei den internationalen Klimaschutzverhandlungen übernehmen. Sie müssen darüber hinaus den Aufbau
klimaverträglicher, nachhaltiger Energiestrukturen in den Schwellen- und Entwicklungsländern aktiv durch Technologietransfer und Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen unter-
43
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stützen. Das bedeutet, dass die Industrienationen langfristige Verpflichtungen annehmen
müssen, die über die eigenen Reduktionsziele hinausgehen.
Es gilt nun, eine gerechte globale Verteilung der Lasten und Anstrengungen zu finden, die
nötig sind, um Emissionsreduktionen und Anpassung zu realisieren. Die Treibhausgas-Reduktionsziele, die bislang im Rahmen der internationalen Klimaschutzverhandlungen festgelegt wurden, differenzieren jedoch nicht hinsichtlich der Verantwortlichkeit eines jeweiligen
Staates in Bezug auf den Klimawandel und dessen Handlungsfähigkeit. Eines der Ziele muss
es daher sein, ein neues Klassifizierungsmodell zu entwickeln, welches die Anpassungs- und
die Finanzierungsziele für die einzelnen Staaten auf der Grundlage ihres historischen und
aktuellen Beitrags zum Klimawandel wie ihrer wirtschaftlichen Fähigkeit, sowohl zuhause
als auch außerhalb des eigenen Landes in Reduktionsziele und Anpassungsmaßnahmen zu
investieren, festlegt.
Hierzu liefert das vom Stockholm Institute of Environment und EcoEquity entwickelte
„Greenhouse Development Rights“122-Modell (GDR) einen geeigneten Ansatz, der weit
über den diplomatischen Kompromiss des Kyoto-Protokolls hinausreicht. Es besagt, dass
alle Menschen gemäß ihrer Verantwortung und ihrer Fähigkeiten einen Anteil an der Bekämpfung des Klimawandels und seiner Folgen zu leisten haben. Dabei geht dieser Ansatz
über die Durchschnittsemissionswerte der Staaten und über die traditionellen Zuordnungen
(„Ist Singapur noch ein Entwicklungsland ?“) hinaus und orientiert sich stärker an den sozioökonomischen Realitäten und Verteilungen innerhalb der Staaten. So bindet er z.B. die
Oberschichten der Ölscheichtümer und der großen Schwellenländer wie China, Indien oder
Brasilien stärker in die Verantwortung mit ein und entlastet die Unterschichten in den Industrieländern oder die großen Bevölkerungsmehrheiten in den am wenigsten entwickelten
Ländern – vor allem in Afrika.
Hierzu legt das Modell fest, dass die Milleniums-Entwicklungsziele erreicht werden können
und dass Entwicklung mehr als die Abwesenheit von Armut ist. Das GDR setzt die Grenze
bei 25 % über der globalen Armutsschwelle fest (rund 16$ angepasster Kaufkraft pro Person und Tag, also bei 20$ Pro- Kopf-Einkommen und Tag oder 7500$ pro Jahr); ab diesem
Einkommen beginnt die Mittelklasse des Südens. Für jedes Land lässt sich der Anteil der
Bevölkerung über und unter dieser Schwelle bestimmen.
Alle Menschen, die oberhalb dieser Schwelle liegen (die „globale Konsumentenklasse“) sind
„klimaverantwortlich“ und müssen gemäß ihres Einkommens einen Beitrag zur Treibhausgasreduktion und zur Anpassung leisten. Diejenigen, die unter der Schwelle liegen, dürfen
sich bis zur Schwelle weiterentwickeln, d.h. auch ihre Emissionen steigen, ohne dass diese
„Basis-Emissionen“ dem Land angerechnet werden. Wie hoch die Konsumentenklasse in
den einzelnen Ländern belastet wird, hängt von der Klimaverantwortung und der „ökonomischen Fähigkeit“ (siehe Erklärung weiter unten) des jeweiligen Landes ab.
Die Verantwortung für den Klimawandel: Es wird angenommen, dass ab 1990 weltweit allgemein bekannt war, dass es einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Temperaturanstieg und Emissionen gibt; von daher kann man dieses Jahr als Basisjahr der „historischen Klimaverantwortung“ nehmen, d.h. jedes Land kann für die kumulierte Summe seiner
Emissionen seit 1990 zur Verantwortung gezogen werden. Diese historischen Emissionen
stellen den Faktor „Verantwortung“ eines jeden Landes dar : Die Annex I-Staaten123 z.B. sind
44
122
« Rechte auf Entwicklung im Treibhaus“, www.ecoequity.org/GDRs
123
Annex-I- und Nicht-Annex-I-Staaten: Diese Bezeichnung stammt aus der Klimarahmenkonvention. Die Liste der
Annex I-Staaten listet die Staaten auf, die nationale Emissionsreduktionsverpflichtungen eingegangen sind. Dazu
gehören alle OECD-Länder, Russland, die meisten osteuropäischen Länder und die Türkei, nicht aber Mexiko und
Klimaschut z und globale Gerechtigkeit
für knapp drei Viertel aller Emissionen seit 1990 verantwortlich, davon die USA allein für ein
Drittel, die EU27 für ein Fünftel. Auf der anderen Seite beträgt der Anteil der am wenigsten
entwickelten Länder 0%, der Anteil Indiens 0.7 % und der Anteil Chinas 7.5 %.
Die ökonomische Fähigkeit: Sie ergibt sich aus der Summe der Einkommen eines Landes
oberhalb der Entwicklungsschwelle, d.h. die Einkommen, die progressiv für die Bekämpfung
der Klimawandels und die Kosten der Anpassung besteuert werden können. Die ökonomische Fähigkeit der Annex I-Länder beträgt insgesamt drei Viertel der globalen Fähigkeit, die
der USA 30%, die der EU27 28%, die am wenigsten entwickelten Länder 0.1 %, diejenige
Chinas 5.9 % und die Indiens 0.8%.
Beide Faktoren zusammen ergeben nun für jedes Land den Index seiner spezifischen Verantwortung und Fähigkeit. Er bestimmt den Anteil, den jedes Land an den global nötigen
Klimaanstrengungen der Menschheit zu übernehmen hat. Demnach haben davon die
Annex I-Staaten drei Viertel zu tragen, die USA 32 %, die EU 25 %, die am wenigsten entwickelten Länder 0.1%, China 6.6% und Indien 0.8%. Innerhalb eines Landes wird dieser
Anteil in Form von Steuern der Konsumentenklasse erhoben, die Menschen unterhalb der
Schwelle werden nicht belangt.
Schätzungen der globalen Klimaschutzkosten liegen bei etwa 1.5 Billionen Dollar124 (rund
1.5 % des Weltbruttoinlandsprodukts). Die einzelnen Länder müssten dann den Kostenanteil daran tragen, der ihrem „Index der Verantwortung und Fähigkeit“ entspricht (die Messeinheit kann aber statt Geld auch CO2 sein). Dies führt zu entsprechenden Länderanteilen an
der globalen Reduktionskurve. Das wiederum hat zur Folge, dass die meisten Industrieländer
höhere Reduktionsziele haben als sie überhaupt im Inland realisieren können, d.h. ein Teil
ihres Reduktionsziels wird zwangsläufig in Entwicklungsländern generiert, die umgekehrt
einen Teil ihres Reduktionsziels durch Finanzmittel aus den Industrieländern verwirklichen
können. Dieser Transfermechanismus ermöglicht den Bevölkerungsmassen unterhalb der
Schwelle eine weitere Entwicklung. Er ist eine globale progressive Klimasteuer.
A.9. Der Klimawandel trifft zuerst die „globalen Armen“
A.9.1.Anpassung in den Entwicklungsländern:
die Verantwortung der reichen Länder
Die Entwicklungsländer müssen mit enormen Zusatzkosten für die Anpassung an den Klimawandel rechnen: vor allem die ärmsten Länder müssen für die Schäden des Klimawandels
zahlen, zu dem sie nahezu nichts beigetragen haben.
Die Kosten der Anpassung werden auf mehrere zehn Milliarden US-Dollar jährlich geschätzt,
zusätzlich zu den Investitionen in die Entwicklung: Oxfam schätzt, dass 50 Milliarden $
jährlich notwendig sind, falls keine radikale Trendwende ersichtlich ist, während die Klimarahmenkonvention UNFCCC die Anpassungsmaßnahmen für 2030 auf 28-67 Milliarden $
jährlich schätzt.
Korea. Nicht-Annex-I-Staaten sind die Staaten, die sich in der Konvention nicht zu Emissionsreduktionen verpflichtet
haben, die so genannten Entwicklungsländer.
124
Quelle: Stern-Report
45
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Wie diese Mittel aufgebracht werden, wird eine Schlüsselfrage bei den internationalen Klimaverhandlungen sein.125 In diesen Verhandlungen spielt sicherlich das Verursacherprinzip
eine wesentliche Rolle, d.h. die Frage nach der Verantwortung der Industrieländer zur Unterstützung der Entwicklungsländer bei der Anpassung, insbesondere finanzieller Art.
Über Finanzierungsmöglichkeiten wird bereits nachgedacht, z.B. die Einführung zusätzlicher
Finanzinstrumente wie beispielsweise eine Kerosinsteuer oder die Versteigerung von Zertifikaten im europäischen Emissionshandel. Es bedarf sicher noch einer genaueren Analyse
der Ausgestaltung solcher Mechanismen, doch dürfen die Staaten angesichts der sehr technischen Probleme nicht das Hauptziel der Anpassungmechanismen aus den Augen verlieren: die Verringerung der Vulnerabilität der Ärmsten. In diesem Sinne ging auch das dritte
Treffen des UN Adaptation Fund im September 2008 in Bonn erfolgreich zu Ende. Inhaltlich
wurde erstmals als Priorität verankert, dass die Fördergelder insbesondere den besonders
verletzlichen Gruppen zugute kommen sollen. Für Mechanismen zum Generieren von finanziellen Ressourcen sind folgende Prinzipien zentral:
• Zusätzlichkeit: Die meisten Industrieländer haben ihr Versprechen, 0.7 Prozent der Wirtschaftsleistung in die Entwicklungszusammenarbeit zu investieren, bisher nicht eingehalten.
Zudem handelt es sich bei der Anpassungsfinanzierung um Kompensation der durch die
Treibhausgasemissionen zugefügten Schäden. Vor diesem Hintergrund bedeutet Zusätzlichkeit, dass diese Ressourcen zusätzlich zu den bestehenden Verpflichtungen aus der Offiziellen Entwicklungsunterstützung (Official Development Assistance, ODA) erbracht werden
sollten. Für Luxemburg sollte dies kein Problem darstellen, da das Entwicklungsbudget der
Regierung bereits bei 0.91 Prozent des Bruttoinlandproduktes liegt.
• Vorhersagbarkeit: die vereinbarte Größenordnung der Finanzierung zu einer vorhersagbaren Zeit muss verlässlich fliessen.
• Angemessenheit: die Mittel müssen in der Größenordnung der zusätzlichen Kosten für die
Anpassung aufgebracht werden.
• Das Grundprinzip der Klimarahmenkonvention verweist auf die gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten und Möglichkeiten der Länder : a) auf den Beitrag zu den
Treibhausgasemissionen und b) darauf, dass diejenigen, die am meisten zur Bewältigung des
Problems beitragen können, auch den größten Anteil beisteuern sollen.
Neben der Frage der Finanzierung muss bei der Ausgestaltung von Anpassungsprojekten
darauf geachtet werden, dass diese Programme die ärmsten und dem Klimawandel bereits
am meisten ausgesetzten Menschen in Betracht ziehen:
• Die Notwendigkeit, die Herausforderungen durch den Klimawandel in Entwicklungsprojekte
und –strategien zu integrieren („angepasste Entwicklung“);
• nationale Aktionspläne zur Anpassung (NAPA) als erste politische Rahmenwerke in Entwicklungsländern;
• die Verantwortung der Regierungen der Entwicklungsländer: die Hauptbetroffenen in den
Fokus der Anpassung stellen
• die Förderung des Entwaldungsstopps und des Biotopschutzes (z.B. Mangrovenwälder)
durch die reichen Staaten (finanziell und in Verhandlungen) ist ebenfalls eine Anpassungsmaßnahme.
125
46
Quelle : Germanwatch
Klimaschut z und globale Gerechtigkeit
A.9.2. Klimawandel und Armut in Europa: Was es die Armen kostet, wenn wir
nichts gegen den Klimawandel tun
Obwohl die „Klima-Ungerechtigkeit“ sich in dramatischster Weise im Nord-Süd Gefälle offenbart und somit dringend an die Verantwortung der reichen Industrienationen appelliert,
wirft das Thema auch im reichen Norden Gerechtigkeitsfragen auf. Die klimatischen Verhältnisse sind zwar für alle die gleichen, doch sind gewisse Menschen in unserer Gesellschaft
gefährdeter als andere. In erster Linie handelt es sich um die ärmsten Menschen unserer
Gesellschaft, aber auch ältere Menschen und Kinder riskieren stark unter den Auswirkungen der Klimaveränderungen zu leiden (beispielsweise Wetterextreme wie die Hitzewelle
in Europa im Sommer 2003). Gleichzeitig rutschen sozial schwache Gruppen weiter ins
Abseits der Gesellschaft, wenn keine flankierenden Lösungen gefunden werden, um diese
Menschen nicht zu benachteiligen (z.B. bei Energiepreissteigerungen).
Die Auswirkungen des Klimawandels auf die menschliche Gesundheit, auf Landwirtschaft,
Infrastruktur und auf den Arbeitsmarkt treffen zwar die Gesellschaft als ganzes, aber es
muss davon ausgegangen werden, dass finanziell schwache Haushalte sich am wenigsten
gegen diese Folgen wappnen können, da sie über keinen materiellen oder finanziellen Puffer verfügen.
Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit
Die Hitzewelle 2003 suchte Europa in der ersten Augusthälfte des Jahres 2003 heim. Wegen ihrer Dauer und Intensität mit neuen Temperaturrekorden in zahlreichen europäischen
Städten zählt sie zu den wichtigeren meteorologischen Phänomenen und gilt für viele als
Vorläufer der durch die globale Erwärmung künftig zu erwartenden Klimakatastrophen. Die
Hitzewelle (Canicule) hat in Frankreich Tausende Menschen das Leben gekostet, die meisten
davon geschwächte Personen, also Ältere und Kranke. Am meisten betroffen waren Menschen der Altersgruppe über 75 Jahre. Hier wurde eine Beobachtung bestätigt, derzufolge
seit etwa 50 Jahren im Sommer tendenziell die Sterblichkeit höher ist, wogegen dies früher
im Winter der Fall war. In Frankreich und Portugal verschlimmerten sich die Auswirkungen
auf die Bevölkerung und die Infrastruktur der betroffenen Gebiete so sehr, dass sie politische
Krisen heraufbeschworen126.Ebenfalls können Krankheitserreger begünstigt werden, gegen
die die Menschen nicht resistent sind. Was heute in gewissen Regionen des Südens bereits
eintrifft, kann morgen auch für Europa gelten.127
Was noch wie Zukunftsmusik klingt, wird schon bald unsere Sozialsysteme beschäftigen: Inwieweit werden umweltbedingte Pathologien von den Krankenkassen anerkannt und deren
Behandlung zurückerstattet? Was ist der Impakt des Klimawandels auf andere Sozialleistungen ? Sind unsere Sozialleistungssysteme gegen solche neuen Risikoklassen abgefedert?
Welche Ausmaße werden die Kosten solcher Schäden einnehmen ?
Entwicklungen bei extremen Wetterereignissen mit großem Schadenspotenzial
Extreme Wetterereignisse wie Stürme und Überflutungen bewirken materielle Schäden in
Milliardenhöhe, sowohl für die öffentliche Infrastruktur als auch für Privatbesitz. Extreme
Wetterereignisse werden auch in den Industrienationen die sozial schwächer gestellten
Menschen stärker treffen.
126
Stott, Peter A., D. A. Stone und M. R. Allen (2004): Human contribution to the European heatwave of 2003, in:
Nature, 432, S. 610-614
127
siehe z.b. PIK Report No.99: KLARA - Klimawandel - Auswirkungen, Risiken, Anpassung. M. Stock (Hrsg.) (July
2005). Potsdam Institute for Climate Impact Research (PIK), Potsdam, Germany
47
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Hurrikan „Katrina“ ist ein Beispiel dafür, dass es vor allem die Ärmeren sind, die unter den
Folgen der Naturkatastrophen leiden werden. „Katrina“ gilt als eine der verheerendsten Naturkatastrophen in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Der Hurrikan richtete im August
2005 in den südöstlichen Teilen der USA enorme Schäden an. Durch den Sturm und seine
Folgen kamen etwa 1800 Menschen ums Leben. Der Sachschaden belief sich auf etwa 81
Milliarden US-Dollar. Insbesondere die Stadt New Orleans war stark betroffen: Durch ihre
geographische Lage führten zwei Brüche im Deichsystem dazu, dass bis zu 80 Prozent des
Stadtgebietes bis zu 7,60 Meter tief unter Wasser standen. Es liegen Daten darüber vor,
wer im Großraum New Orleans überproportional von der Flutkatastrophe betroffen war: Es
waren Afroamerikaner stärker als Weiße, Mieter stärker als Hausbesitzer, Geringverdiener
stärker als Besserverdienende und Arbeitslose stärker als Beschäftigte. Die meisten der über
1800 Todesopfer von „Katrina“ waren Menschen, die kein eigenes Auto besaßen und sich
daher nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen konnten.128
Beschäftigung und Einkommen
Einerseits werden Klimaveränderungen erhebliche Folgekosten für die Wirtschaft haben,
z.B. aufgrund vermehrter Schäden in Land- und Forstwirtschaft, Infrastruktur, Gesundheit
usw. Diese müssen von der Gesellschaft getragen werden und führen indirekt zu einem
Verlust von Arbeitsplätzen.
Andererseits würde beispielsweise der Umstieg auf erneuerbare Energien einen positiven
Effekt auf den Arbeitsmarkt haben. Laut einer neu erschienen Studie der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) könnten Investitionen in diesen Bereich millionenfach Arbeitsplätze
schaffen.129 Dafür muss die Politik aber die richtigen Weichen stellen.
Die Preise für Energie, d.h. Erdöl, Gas und Strom, werden in den nächsten Jahren steigen
und vor allem die finanziell schlechter gestellten Menschen treffen. So weisen bereits heute Experten u.a. in Deutschland, England und Luxemburg auf die sozioökonomische Benachteiligung durch steigende Energiepreise im Zusammenhang mit dem Klimawandel hin.
Wenn 10% oder mehr des Einkommens für Energie ausgegeben werden müssen, spricht
man von „Energie-Armut“.
Energiesparmaßnahmen stellen einerseits eine effiziente Lösung gegen steigende Energiekosten dar. Andererseits erfordern Energiespar- und Klimaschutzmaßnahmen Investitionen
in verbrauchsarme Technologien, wie z.B. die Gebäudedämmung, den Ersatz stromintensiver Elektrogeräte oder Automobile mit hohem Treibstoffverbrauch.
Damit die sozial Schwachen nicht Opfer von steigenden Energiekosten werden, müssen die
Regierungen dafür Sorge tragen, dass auch die sozialen Randgruppen unserer Gesellschaft
sich Energiespar- und damit verbunden auch Klimaschutzmaßnahmen leisten können.
A.10. Regenwaldschutz ist Klimaschutz
„Die Einschränkung von Abholzung ist eine äußerst rentable Möglichkeit zum
Reduzieren von Treibhausgasemissionen.“
Sir Nicholas Stern, Stern-Report (2006)
Die Zerstörung der natürlichen Lebensräume und Ökosysteme schreitet immer schneller
voran. Das gilt besonders für die Regenwälder der Erde, die die Menschen mit Rohstoffen, Nahrung, Trinkwasser, sauberer Luft, Niederschlägen und vielen anderen »Ökosystemleistungen« versorgen.
48
128
Christian Jakob/Friedrich Schorb: Soziale Säuberung - Wie New Orleans nach der Flut seine Unterschicht vertrieb.
Unrast-Verlag, Münster 2008, 227 Seiten
129
United Nations Environment Programme / International Labour Organisation. Green Jobs: Towards Decent Work in
a Sustainable, Low-Carbon World. September 2008
Klimaschut z und globale Gerechtigkeit
Besonders dramatisch ist die fortschreitende Zerstörung der letzten intakten Regenwälder.
Mit den Regenwäldern der Erde in den Tropen, aber auch im Norden verschwindet eine
einzigartige Vielfalt an Pflanzen und Tieren. Durch den Verlust der Wälder geht die Lebensgrundlage von schätzungsweise 150 Millionen Menschen verloren. Kaum beachtet wird,
dass die Waldzerstörung auch massiv zum Klimawandel beiträgt: Wälder sind große Kohlenstoffspeicher. Rund 20% der Treibhausgase entstehen durch Abholzung und Brandrodung
von Wäldern für Holzgewinnung, Plantagenanbau und Viehzucht. Das ist mehr CO2 als der
weltweite Verkehr ausstösst.
Der Schutz der Regenwälder ist weit mehr als Natur- und Artenschutz. Regenwaldzerstörung
und Klimawandel sind eng miteinander verbunden. Der Klimawandel bringt die Ökosysteme der Wälder aus dem Gleichgewicht. So stellte der Weltklimarat der Vereinten Nationen
(IPCC) fest, dass bei einem Anstieg der mittleren globalen Temperatur um 2,5 Grad bis zu
80 % des Amazonas-Regenwaldes kollabieren könnten.
Umgekehrt heizt die Vernichtung der Regenwälder den Klimawandel weiter an. Allein die
Torfböden des Regenwaldes in der indonesischen Provinz Riau speichern 14,6 Gigatonnen
Kohlenstoff. Die Zerstörung dieser Torf-Urwälder, die in zunehmendem Maße abgebrannt
und in Palmölplantagen umgewandelt werden, würde Treibhausgas-Emissionen freisetzen,
die dem weltweiten Ausstoß eines ganzen Jahres entsprechen. Der in den Pflanzen und
Böden der Regenwälder gebundene Kohlenstoff darf nicht als CO2 in die Atmosphäre gelangen, wenn ein unkontrollierbarer Klimawandel verhindert werden soll. Der Schutz von
Regenwäldern bewahrt also nicht nur eine unersetzbare Vielfalt an Lebewesen und Ökosystemen, sondern ist auch eine der wichtigsten Maßnahmen zum Schutz des Klimas.
„Um den Verlust biologischer Vielfalt zu stoppen und rückgängig zu machen, muss
primär in den Entwicklungsländern gehandelt werden, wo der Reichtum der
Naturschätze am größten ist, während die Nutzeffekte des Ressourcenschutzes
allen Ländern zugute kommen.“
(OECD, Environmental Outlook 2007)
Klimaexperten weisen darauf hin, dass der Schutz der Regenwälder eine der effizientesten
und kostengünstigsten Methoden ist, um den Klimawandel zu bremsen. Der WeltbankÖkonom Sir Nicolas Stern bezeichnet insbesondere „die Drosselung der Entwaldung als
einen sehr kosteneffektiven Weg zur Reduzierung von Treibhausgasen.“ Er schätzt, dass
durch Investitionen von zehn bis fünfzehn Milliarden US-Dollar pro Jahr die Hälfte der Treibhausgas-Emissionen durch Entwaldung eingespart werden könnte130. Insgesamt würden
jährlich bis zu 30 Milliarden US-Dollar für den Erhalt der Biodiversität gebraucht.
Bisher kommt der Erhalt der Regenwälder als kostengünstiger Weg zur Reduzierung der
Treibhausgas-Emissionen im Kyoto-Protokoll zu kurz. Auf der UN-Klimakonferenz in Bali
2007 wurde beschlossen, ab 2008 Verhandlungen darüber zu führen, wie man waldreiche
Länder finanziell entschädigen könnte, wenn sie im Gegenzug auf die Abholzung ihrer Wälder verzichten.
Die Reduzierung der durch Entwaldung zustande kommenden Emissionen (REDD131) muss
ein essenzieller Bestandteil des Kyoto-Nachfolgeabkommens (ab 2013) werden. Dafür wird
ein rechtlich verbindliches Abkommen benötigt, welches Ziele und Zeithorizonte enthält.
Freiwillige Systeme reichen nicht aus. An dieses Abkommen muss ein globaler Finanzie-
130
London School of Economics and Political Science (LSE), Press and Information Office (29 November 2007): Achieving
low-carbon growth for the world - Sir Nicholas Stern on the key elements of a global deal on climate change. www.
lse.ac.uk/collections/pressAndInformationOffice/newsAndEvents/archives/2007/NickSternLectures.htm
131
Reducing Emissions from Deforestation and Degradation
49
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rungsmechanismus gekoppelt sein, der das Geld von den Industriestaaten zu den Regenwaldländern transferiert.
Eine erfolgreiche Implementierung erfordert unter anderem, dass kein Handel von REDDKrediten in einem internationalen Kohlenstoffmarkt erlaubt wird. Dies ist notwendig, damit
sichergestellt wird, dass die vermiedenen Emissionen nicht von den Industrienationen als
Vorwand gebraucht werden, um ungebremst fossile Emissionen „zuhause“ zu erzeugen.
Ausserdem muss die volle Beteiligung der Indigenen sowie der lokalen Gemeinschaften
sichergestellt werden, damit deren Rechte und Lebensweisen respektiert werden, sowie der
ökonomische Nutzen aus dem Walderhalt mit ihnen geteilt wird.
Doch bis hierfür ein funktionierendes System gefunden ist, werden noch Jahre vergehen.
Das bedeutet, dass für die kommenden fünf Jahre derzeit kein Instrument vorhanden ist,
um die weltweite Waldvernichtung durch finanzielle Anreize erheblich zu reduzieren. Angesichts der Dringlichkeit sowohl beim Klimaschutz als auch beim Schutz der Biodiversität
darf die internationale Staatengemeinschaft nicht länger warten. Sie muss umgehend den
Entwicklungsländern institutionelle, technische und finanzielle Hilfe zur Verfügung stellen,
damit die Regenwaldzerstörung gestoppt wird. Unter anderem müssen Maßnahmen ergriffen werden, damit das illegale Abholzen und der Raubbau an den Regenwäldern für
Holz, Agrarrohstoffe wie Soja oder Palmöl sowie für die Viehzucht oder die Gewinnung von
Rohstoffen gestoppt wird.
Die Kosten für die Einrichtung eines weltumspannenden Netzes von Schutzgebieten wird
auf rund 30 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt. Etwa genausoviel würde es kosten, wenn
man auch Wirtschaft und Bauern für entgangene Einnahmen (Opportunitätskosten) entschädigen will, um die Entwaldung möglichst umfassend zu stoppen. Zur Zeit werden weltweit pro Jahr aber erst rund 8 Milliarden Euro für Schutzgebiete ausgegeben, überwiegend
aus öffentlichen, aber auch aus privaten Quellen. Doch das Geld wird fast ausschließlich in
den entwickelten Ländern eingesetzt. Nur rund eine Milliarde Euro kommt in Entwicklungsländern zum Einsatz, also dort, wo sich die größte Artenvielfalt der Erde befindet.
A.11.Europas Vorreiterrolle im Klimaschutz ist wichtiger denn je:
Die Welt braucht ein Kyoto-Folgeabkommen
Die Weltgemeinschaft nur noch wenige Jahre Zeit, den Klimawandel auf ein kontrollierbares
Maß einzudämmen und katastrophale Folgeentwicklungen für die Erde und ihre Bewohner
zu verhindern. Die internationale Staatengemeinschaft muss sich daher innerhalb kürzester
Zeit auf ein weitreichendes Folgeabkommen zum Kyoto-Protokoll, welches die Reduktion
der Treibhausgasemissionen nur bis 2012 regelt, verständigen.
Die Verhandlungen für das Kyoto-Nachfolgeabkommen müssen spätestens auf der internationalen Klimaschutzkonferenz 2009 in Kopenhagen zum Abschluss eines neuen Abkommens führen. Leider hat der Klimagipfel in Poznan im Dezember 2008 dazu wenig
Greifbares mit auf den Weg gegeben. Es wurden zwar wichtige Rahmenbedingungen für
den Anpassungsfonds zugunsten der Entwicklungsländer geklärt, aber es fehlen nach wie
vor die entscheidenden finanziellen Zusagen der Industrieländer. Die EU war durch ihre
internen Verhandlungen zum Klima- und Energiepaket weitgehend mit sich selbst beschäftigt und hat dabei die globalen Auswirkungen der EU-Beschlüsse aus den Augen verloren.
Durch die vor und nach Poznan gefällten Regierungs- und Parlamentsbeschlüsse hält die EU
zwar nominell am 20%-Reduktionsziel fest, läßt aber faktisch in den Bereichen Haushalte,
Transport, Dienstleistung, Handwerk und Landwirtschaft drei Viertel der Klimaschutzarbeit
50
Klimaschut z und globale Gerechtigkeit
im Süden der Welt erledigen. Hinzu kommen Ausnahmeregelungen für Kohlekraftwerke
und energieintensive Unternehmen. Die EU hat damit ihre Vorreiterrolle beim Klimaschutz
eingebüßt. Die Beschlüsse zum Klima- und Energiepaket tragen kaum dazu bei, dass die
Schwellen- und Entwicklungsländer sich im Rahmen eines nächsten Klimaschutzabkommens zu Emissionsreduktionen verpflichten werden. Vorbild kann nur der sein, der durch
sein eigenes Verhalten andere mitzieht.
Eine Reduktion der Treibhausgas-Emissionen in den Industrieländern um mindestens 25-40
Prozent bis 2020 ist unerlässlich. Der Peak der weltweiten Emissionen muss bis spätestens
zum Jahr 2015 erreicht werden, danach müssen die Emissionen fallen. Bis zum Jahr 2050
müssen die weltweiten Treibhausgasemissionen um mindestens 50% reduziert werden,
wovon 80% von den Industrienationen geleistet werden müssen.
Die notwendigen Emissionsreduktionen müssen „zuhause“ geleistet werden, auf „flexible
Mechanismen“ wie CDM (Clean Development Mechanism) und JI (Joint Implementation)
darf, wenn überhaupt, nur zusätzlich zum Reduktionsziel und nur unter strengen Nachhaltigkeitsbedingungen zurückgegriffen werden (siehe hierzu auch Kapitel A.12.). Marktmechanismen wie der Emissionshandel können, zumindest in einer stark überarbeiteten Form,
eine Rolle bei der Verteilung von Finanzierungsgeldern für nachhaltige Projekte spielen. In
diesem Zusammenhang muss das Verursacherprinzip uneingeschränkt angewendet werden,
Emissionszertifikate dürfen nicht länger kostenlos verteilt werden. Finanzmittel, die aus dem
Emissionshandel generiert werden, sollen für Energie- und CO2-Reduktionsmaßnahmen
eingesetzt werden und könnten auch eine Möglichkeit darstellen, Anpassungsmaßnahmen
und Technologietransfer in den Entwicklungsländern zu finanzieren.
Wichtig ist auch, diejenigen Industrieländer (allen voran die USA) und die Schwellenländer,
die für die Kyotoperiode von 2008 bis 2012 noch keinen Reduktionsverpflichtungen unterliegen, entsprechend ihrer Möglichkeiten in ein zukünftiges System der Treibhausgasreduktionen einzubinden.
In den kommenden Monaten wird also über nicht mehr und nicht weniger als die Zukunft
der Lebensbedingung auf der Erde entschieden. Zukünftige Reduktionsziele sowie die Verbesserung und Erweiterung des Kyoto-Protokolls werden diskutiert werden. Das Ziel muss
es sein, weitgehende Klimaschutzziele, über die erste Kyoto-Periode bis 2012 hinaus, verbindlich festzulegen.
Doch Industrie- und Entwicklungsländer belauern sich. Niemand möchte vorangehen. Je
länger sich aber die Verhandlungen hinziehen, um so größer wird die Gefahr, dass ein Anschlussprotokoll für Kyoto nicht mehr rechtzeitig in Kraft tritt. Die Industrienationen müssen jetzt mehr denn je ihrer historischen Verantwortung als Verursacher des Klimawandels
gerecht werden und den ersten Schritt tun. Sie müssen sich zu weitreichenden Reduktionsmaßnahmen zuhause verpflichten. Nur so werden sich die Schwellenländer dazu bereit
erklären, ihren Teil zum Klimaschutz beizutragen.
Neben den Reduktionszielen für Treibhausgase müssen im Rahmen des zukünftigen Abkommens auch die Finanzierung von Anpassungsmaßnahmen, Technologietransfer und
Katastrophenschutz in den Schwellen- und Entwicklungsländern sowie Maßnahmen zur
Verringerung der Treibhausgasemissionen durch die schnell fortschreitende Abholzung der
Wälder vereinbart werden.
In diesem Zusammenhang müssen die reichen Nationen (und dies geht über die derzeitige
Klassifizierung der entwickelten Länder der UN hinaus und schließt Staaten wie Singapur,
Taiwan, Südkorea und Saudi Arabien ein) gemäß ihrer historischen Verantwortung und ihren aktuellen ökonomischen Fähigkeiten neue Finanzmittel zum Klimaschutz für die Entwicklungsländer zur Verfügung stellen.
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Der UNDP Human Development Report 2007 schätzt die Gesamtkosten für den Umstieg
der Entwicklungsländer auf „Low-Carbon-Economies“ auf jährlich zwischen 25-50 Milliarden Dollar. Der Stern Bericht 2007 schätzt die Kosten für die Reduzierung der durch Entwaldung verursachten Emissionen auf mehr als 5 Milliarden Dollar pro Jahr ein. Oxfam schätzt
die jährlichen Anpassungskosten auf mindestens 50 Milliarden Dollar. Die Summe dieser
drei Maßnahmen würde 105 Milliarden Dollar betragen, deutlich weniger als das jährliche
globale Verteidigungsbudget von 800 Milliarden Dollar und nur ein Bruchteil des gesamten globalen Bruttoinlandsproduktes von 48 Billionen Dollar (48.000 Milliarden Dollar). Die
Summe ist vergleichbar mit der derzeitigen weltweiten Entwicklungshilfe (Official development assistance) von 106 Milliarden Dollar, etwa der Hälfte dessen, was 1970 versprochen
wurde. Unter anderem der Stern-Bericht, aber auch andere Wirtschaftsforschungsinstitute
weisen darauf hin, dass die Kosten des Klimaschutzes geringer sind als die des Klimawandels
(siehe Kapitel A.4.).
Damit die Reduktions- und Anpassungshilfen auch die Armen erreichen, sollte die Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen unter der Aufsicht der Klimarahmenkonvention UNFCCC
entwickelt werden (und nicht im Rahmen einer multilateralen Entwicklungsbank) und muss
transparent sein, ein demokratisches Management und demokratische Strukturen haben
und in Einklang mit den Umwelt- und sozialen Standards der Weltgemeinschaft sein.
Die reichen Staaten haben eine historische Verantwortung für den Klimawandel, und deshalb müssen die notwendigen Gelder für Klimaschutzmaßnahmen zusätzlich zu der bereits
lang versprochenen Entwicklungshilfe gezahlt werden.
Es steht viel auf dem Spiel: Sollten die Klimaschutzverhandlungen in Kopenhagen nicht zu
weitreichenden Beschlüssen zum Schutz des Klimas führen, hätte dies für das Leben auf der
Erde unabsehbare und unkontrollierbare Folgen.
A.12.Zu Hause handeln statt Verschmutzungsrechte kaufen
Im Kyoto-Protokoll haben sich die 141 Unterzeichnerstaaten zum Ziel gesetzt, die Emissionen
von Treibhausgasen zu vermindern. 39 Industrieländer unter ihnen haben sich verpflichtet,
ihre Treibhausgasemissionen im Zeitraum 2008–2012 um 5,2 % gegenüber dem Basisjahr
1990 zu senken. Die Entwicklungsländer haben keine solche Verpflichtung, da ihre ProKopf-Emissionen viel niedriger sind und sie bisher nur zu einem geringfügigen Teil am Klimawandel mitschuldig sind. Die (damaligen) 15 EU-Staaten vereinbarten ein Reduktionsziel
von zusammen 8 %. Luxemburg legte sich sogar auf –28 % fest; es hat – gemeinsam mit
den Ölscheichtümern - die höchsten pro Kopf-Emissionen der Welt. Das Kyoto-Protokoll trat
am 16. Februar 2005 in Kraft.
Das Kyoto-Protokoll sieht Schlupflöcher für die Industrieländer vor, die ihre Klimaschutzziele
nicht aus eigener Kraft erreichen können: Sie dürfen auf sogenannte „flexible Mechanismen“ zurückgreifen. Dies bedeutet, dass sie Klimaschutzprojekte in Entwicklungsländern
– die sogenannten „Clean Development“-Projekte (CDM) - oder in Staaten des ehemaligen
Ostblocks – die sogenannten „Joint Implementation“-Projekte (JI) - finanzieren und sich die
Treibhausgasreduktionen, die dabei entstehen, als Emissionsgutschriften auf ihre eigenen
Reduktionsziele anrechnen lassen können.
Da die Entwicklungsländer sich zu keinerlei Obergrenzen ihrer Emissionen festlegen
mußten, werden die in den CDM-Projekten erzeugten und verkauften Gutschriften
ihren Heimatländern auch nirgendwo “abgezogen”. Wenn also z.B. Luxemburg eine
Windkraftanlage in China durch den Kauf eines Teils der dort erzeugten Emissionsgut-
52
Klimaschut z und globale Gerechtigkeit
schriften mitfinanziert, kann es sich diese Gutschriften auf sein eigenes Reduktionsziel anrechnen – in China wird genau der Betrag an Emissionen eingespart (denn sonst wäre zur
Erzeugung dieser Menge Strom Kohle verfeuert worden, die zu einem erheblichen Ausstoß
von CO2 führt), den Luxemburg dafür mehr emittieren darf. Der globale Emissionssaldo
dieser Operation ist gleich Null – es werden keinerlei Emissionen reduziert, wohl aber die
globalen Kosten.
Luxemburg erreicht sein Emissionsziel mit weniger Geld – aber dieses Geld wird nicht in
Luxemburg investiert, sondern fließt zur Entwicklung erneuerbarer Energien nach China –
dies ist auch der gewünschte Effekt, denn der Mechanismus soll laut Artikel 12 des KyotoProtokolls sowohl zur Kostenentlastung der Industrieländer als auch zur nachhaltigen Entwicklung in Entwicklungsländern beitragen.
Bei den Joint Implementation-Projekten in den ehemaligen Ostblockstaaten verhält es sich
anders: Da sie sich zu Reduktionszielen verpflichtet haben, können sie sich die Gutschriften,
die sie aus ihren Projekten verkaufen, nicht mehr selbst anrechnen. Im globalen Saldo verringern sich tatsächlich die Emissionen.
Es dauerte bis zum 7. Klimagipfel im November 2003 in Marrakesch, bis die endgültigen
Spielregeln für die CDM-Projekte festgelegt wurden. Herausgekommen ist ein recht aufwendiges Verfahren, in welchem in letzter Instanz das CDM-Executive Board des UN-Klimasekretariats die erzeugten Emissionsrechte anerkennt.
Das erste CDM-Projekt wurde am 28.11.2004 vom Board genehmigt. Was dann folgte,
war eine “Carbon Bonanza”, ein explosionsartiger Boom an Projekten. Heute (Stand 17.
Dezember 2008) sind 1263 Projekte beim CDM-Board genehmigt, die im Schnitt jährlich
Gutschriften für 234 Millionen Tonnen CO2 erzeugen. Das entspricht etwa 0,6 % der globalen Emissionen oder 1 % der Emissionen der Annex I - Staaten oder dem Doppelten des
jährlichen Anstiegs der CO2-Emissionen der Annex I -Staaten – es ist also innerhalb von vier
Jahren eine klimarelevante Größe geworden.
Weitere etwa 4400 Projekte sind in der Bewilligungs-”Pipeline”, die weitere 3 Milliarden
Gutschriften erzeugen werden. Der Gesamtumfang der bis 2012 zu erwartenden CDMGutschriften beträgt damit schätzungsweise 4,4 Milliarden Tonnen CO2eq und stellt einen
voraussichtlichen Marktwert von mindestens 25 -30 Milliarden Euro dar. Demgegenüber
spielen die Rechte aus Joint Implementation Projekten bis heute nur eine marginale Rolle, weil ihre Spielregeln erst später definiert wurden und sie meist teurer als CDM-Rechte
sind.
Die “Carbon Bonanza” erklärt sich aus der einfachen Tatsache, dass die Industrieländer große Probleme haben, ihre Selbstverpflichtungen im Inland zu erfüllen und es für sie billiger
ist, Rechte im Süden einzukaufen. Allerdings hat das Kyoto-Protokoll in Artikel 6 d) diesen
Rückgriff dahingehend einzuschränken versucht, dass der Erwerb von Emissionsgutschriften
nur „ergänzend zu Maßnahmen im eigenen Land“ erfolgen soll.
Doch mittlerweile ist aus dem Schlupfloch ein sperrangelweit offenstehendes Scheunentor geworden, durch das sich die Industrieländer drängen – allen voran Luxemburg. Und
mittlerweile kommen zahlreiche wissenschaftlichen Untersuchungen zu ernüchternden Ergebnissen, inwieweit der Clean Development Mechanism zur nachhaltigen Entwicklung
in den Entwicklungsländern beiträgt, und dass nur wenige der CDM-Projekte wirklich
„zusätzlich“ sind132:
132
Für eine detailliertere Analyse des CDM-Marktes siehe: Dossier: CDM-Projekte, in: brennpunkt 3. welt, Nr. 232,
53
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• CDM-Projekte machen einen Bogen um die ärmsten Ländern und die drängendsten Emissionsprobleme (wie z.B. Verkehr) und konzentrieren sich in den größten Schwellenländern;
über die Hälfte der Rechte wird allein in China generiert.
• Über zwei Drittel aller Rechte wird von nur drei Projekttypen durch Vernichtung der starken
Treibhausgase HCFC-23, Lachgas und Methan in Chemiefabriken, Kohlegruben und Mülldeponien erzeugt – ohne irgendeinen nachhaltigen Effekt auf die Umgebung außerhalb der
Werkstore.
Eine vom WWF in Auftrag gegebene Studie133 des Öko-Instituts befasst sich mit CDM-Projekten. Diese kommt zu dem Schluss, dass CDM-Projekte oft weder zu einer Netto-Reduktion der globalen Treibhausgasemissionen beitragen, noch der nachhaltigen Entwicklung in
den Gastländern dienen. 40% der Projekte erhöhen die globalen Treibhausgasemissionen,
so die Studie, das entspricht etwa einem Fünftel der durch CDM generierten CO2- Zertifikate. Ein Großteil der Projekte wäre außerdem sehr wahrscheinlich auch ohne CDM realisiert
worden, die Zusätzlichkeit ist also oft fragwürdig.
Wie bei vielen schönen Namen steckt der Teufel im Detail der Ausführung. Sicher ist nur
die Kostenreduktion für die Industrieländer, und so bezeichnet das „Centre for Science and
Environment“, welches die indischen CDM-Projekte untersucht hat, die Clean Development
Mechanismen nunmehr als “Cheap Development Mechanism”. Die bisherigen Erfahrungen
mit den realisierten CDM-Projekten führen zu der Schlussfolgerung: „Zu Hause handeln
statt Emissionsrechte kaufen“.
nov. 2006, www.astm.lu
133
54
Is the CDM fulfilling its environmental and sustainable development objectives? An evaluation of the CDM and
options for improvement, Öko-Institut, im Auftrag des WWF, November 2007
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Glossar
Begriff
Erklärung
Additionalität
Votum Klima
Der Grundsatz der Additionalität ist die zentrale Anforderung für
alle CDM-Projekte. Additionell ist ein Projekt, das zu zusätzlichen
Emissionsreduktionen führt, die sonst nicht stattgefunden hätten.
Das Hauptproblem beim Nachweis der Additionalität ist die
Vorhersage der Emissionsentwicklung, wie sie ohne das Projekt
stattfinden würde. Die Reduktionsleistung eines CDM-Projekts ist
immer hypothetisch, da die tatsächlichen Emissionen mit Projekt mit
einem Referenzszenario verglichen werden, das besagt, wie viele
Emissionen ohne Projekt ausgestoßen worden wären. Jedes CDM, das
überbewertet oder nicht additionell ist, bedeutet Mehremissionen.
Schätzungen gehen davon aus, dass die Hälfte aller CDM gar nicht
additionell sei.
Agrokraftstoffe
Auch: Biotreibstoffe, Biokraftstoffe. Flüssige oder gasförmige
Kraftstoffe, die aus Biomasse hergestellt werden. Sie kommen für
den Betrieb von Verbrennungsmotoren für mobile und stationäre
Anwendungen zum Einsatz. Ausgangsstoffe für Biokraftstoffe
sind pflanzliche Rohstoffe wie z. B. Ölpflanzen, Getreide,
Zuckerrüben oder -rohr, Wald- und Restholz sowie Holz aus
Schnellwuchsplantagen und speziellen Energiepflanzen.
Es werden unter anderem folgende Arten von Biokraftstoffen
unterschieden: Biodiesel, Pflanzenöl, Bioethanol, Biomethan und
synthetische Biokraftstoffe (Biomass-to-Liquid).
www.wikipedia.de
Anpassung /
Anpassungsfähigkeit
Fähigkeit von Lebewesen oder Gesellschaften, anders zu reagieren;
hier gemeint ist u.a. auf durch den Klimawandel veränderte
Umweltbedingungen oder Schädigungen
www.wikipedia.de
Anpassungskosten
Aufwand (Transaktionskosten), der bei der Anpassung an eine neue
Situation entsteht
www.wikipedia.de
Anpassungsmaßnahmen
Maßnahmen, um die Auswirkungen und Kosten zunehmender,
mit dem Klimawandel in Verbindung stehender Katastrophen wie
Überschwemmungen und Waldbrände zu mindern
www.euractiv.com
Clean Development
Mechanismen
Der Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung oder englisch www.wikipedia.de
„Clean Development Mechanism“ (CDM) ist einer der vom KyotoProtokoll vorgesehenen flexiblen Mechanismen. Er soll dabei helfen,
die Kosten zum Erreichen der vertraglich festgelegten Reduktionsziele
möglichst niedrig zu halten. Ein Land, das im Anhang B des KyotoProtokolls aufgeführt wird, kann bei einem Land, welches dort nicht
aufgeführt wird, certified emission reductions (CERs) einkaufen.
Damit besteht die Möglichkeit, dort die Treibhausgas-Emissionen
zu verringern, wo es am günstigsten möglich ist. Ein erwünschter
Nebeneffekt ist auch der Transfer von neuester Technologie in
Entwicklungsländer.
122
Quelle
Glossar
Begriff
Erklärung
Quelle
CO2-Äquivalent
Das (relative) Treibhauspotenzial (engl.: Global Warming Potential,
www.wikipedia.de
Greenhouse Warming Potential oder GWP) oder CO2-Äquivalent
gibt an, wie viel eine festgelegte Menge eines Treibhausgases zum
Treibhauseffekt beiträgt. Als Vergleichswert dient Kohlendioxid;
die Abkürzung lautet CO2eq (für equivalent). Der Wert beschreibt
die mittlere Erwärmungswirkung über einen bestimmten Zeitraum;
oft werden 100 Jahre betrachtet. Beispielsweise beträgt das CO2Äquivalent für Methan 25: Das bedeutet, dass ein Kilogramm Methan
25-mal stärker zum Treibhauseffekt beiträgt als ein Kilogramm CO2.
Lachgas (N2O) hat einen CO2-Äquivalenzwert von 298, FCKW von bis
zu 14.400.
CO2-Bilanz
Die CO2-Bilanz soll ein Maß für die nachhaltige, ökologisch
langfristige Betrachtung der Menge des Treibhausgases Kohlendioxid
CO2 bieten: Fast alles Leben auf unserer Erde bezieht seine
Energie aus dem Prozess der Veratmung (z. B. Kohlenhydrate
werden mit Sauerstoff umgesetzt - verbrannt - zu CO2 + Wasser).
Tierische Organismen müssen das Substrat dafür mit der Nahrung
aufnehmen, Pflanzen sind in der Lage, dieses mittels Fotosynthese
(aus CO2 + Wasser werden Kohlenhydrate + Sauerstoff gebildet)
selbst herzustellen. Seit der Entstehung des Lebens hat sich auf
der Erde inzwischen ein Gleichgewicht mit einer konstanten CO2Konzentration in der Atmosphäre gebildet.
www.wikipedia.de
CO2-Emissionen
Kohlenstoffdioxid (CO2) Ausstoß
www.wikipedia.de
COP
COP - Engl. Conference of the Parties. Klimaschutz-Verhandlungen
der Vertragsparteien, welche die Klimarahmenkonvention
unterzeichnet haben. Eine Vertragsstaatenkonferenz findet seit 1995
jährlich einmal statt.
www.faz.net
dezentrale
Energieversorgung
Erzeugung von elektrischem Strom in vielen kleinen Anlagen in
räumlicher Nähe zum Verbraucher, beispielsweise in Wohngebieten.
Diese Anlagen sind damit kleiner als die momentan vorherrschenden
Großanlagen wie Kohlekraftwerke oder Kernkraftwerke.
www.wikipedia.de
e-Commerce
Der Begriff E-Commerce (v. eng: „electronic commerce“ mit
electronic für „elektronisch“ und commerce für „Geschäftswelt“,
„Handel“, „Handelsverkehr“) wird sowohl als spezieller als auch als
ein deutlich umfassenderer Begriff verwendet. Er steht im Rahmen
der Automatisierung von Geschäftsprozessen für einen Teilbereich
des E-Business bzw. im Rahmen der Internetwirtschaft etwas weiter
gefasst für Elektronischen Handel.
www.wikipedia.de
EIB
Die Europäische Investitionsbank (kurz EIB) wurde 1958 auf Initiative
des französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle gegründet
und hat ihren Hauptsitz in Luxemburg. Die EIB ist ein eigenständiges
Organ der Europäischen Union und somit nicht an Weisungen von
Kommission oder Parlaments gebunden, sie konsultiert diese jedoch.
Zusammen mit dem Europäischen Investitionsfonds bildet sie die
EIB-Gruppe. Kapitaleigner der EIB sind die Mitgliedsstaaten der EU.
Seit der letzten EU-Erweiterungsrunde beläuft sich das gezeichnete
Kapital der EIB auf 163 Milliarden Euro. Von diesem Betrag sind
satzungsmäßig 5 % (8,1 Milliarden Euro) eingezahlt.
www.wikipedia.de
123
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Begriff
Erklärung
Emissionshandel
Der EU-Emissionsrechtehandel (European Emission Trading System,
www.wikipedia.de
ETS) ist ein Politikinstrument der Europäischen Union, um ihr im
Kyoto-Protokoll festgelegtes Klimaschutzziel, die Reduktion von
Treibhausgasemissionen, zu erreichen und die Globale Erwärmung
zu verlangsamen. Er deckt die Stromerzeugung und einige
Industriebereiche wie Zementherstellung oder die Stahlindustrie in
30 europäischen Ländern ab, die zusammen etwa die Hälfte der
europäischen CO2-Emissionen ausmachen. Das erste multinationale
Emissionsrechtehandelssystem trat am 1. Januar 2005 in Kraft und
fungiert als Vorreiter eines möglichen weltweiten Systems. Momentan
(2008/09) wird über die Ausgestaltung der Phase III (ab 2013)
verhandelt.
Emissionsrechte
Siehe Emissionshandel
www.wikipedia.de
Energieeffizienz
Unter Energieeffizienz wird verstanden, dass ein gewünschter
Nutzen mit möglichst wenig Energieeinsatz erreicht wird. Gemäß
dem ökonomischen Prinzip sind Vorgänge auf Dauer nur dann
nachhaltig erfolgreich, wenn jeder unnütze Verbrauch vermieden
wird. Das gilt im Besonderen auch für die Energie, die sich mit der
Zeitdauer der wirkenden Leistung ergibt. Unter Nutzen wird die
Erreichung gewünschter Eigenschaften, Waren, Dienstleistungen
oder Energie verstanden. Im volkswirtschaftlichen Maßstab werden
Effizienzsteigerungen häufig durch den Rebound-Effekt neutralisiert.
www.wikipedia.de
Energieeinsparung
Energieeinsparung bezeichnet alle Maßnahmen zur Verringerung
der „verbrauchten“ Energie der Energieträger. Energieeffizienz
bezeichnet hingegen die Effizienz des Einsatzes von Energie, also das
Verhältnis von Nutzen zum Energieaufwand.
www.wikipedia.de
Entwicklungsländer
Ein Entwicklungsland ist nach allgemeinem Verständnis ein Land,
www.wikipedia.de
das hinsichtlich seiner wirtschaftlichen, sozialen und politischen
Entwicklung einen relativ niedrigen Stand aufweist. Dabei handelt
es sich um einen Sammelbegriff für Länder, die nach allgemeinem
Sprachgebrauch als „arm“ gelten. Welches Land als Entwicklungsland
einzustufen ist oder nicht, hängt vom Maßstab ab, an dem man die
Entwicklung eines Landes misst.
Entwicklungspolitik
Unter Entwicklungspolitik versteht man politische, wirtschaftliche
und soziale Aktivitäten verschiedener Akteure, insbesondere
Staaten, internationaler Organisationen und zivilgesellschaftlicher
Organisationen, die auf eine Verbesserung der Lebensbedingungen
abzielen. Im Fokus sind dabei vor allem die wirtschaftlichen, sozialen
und politischen Defizite in Entwicklungsländern.
www.wikipedia.de
Erneuerbare Energien
Erneuerbare Energien, auch regenerative Energien oder
Alternativenergien, sind aus nachhaltigen Quellen sich erneuernde
Energien, darunter Energie aus Solarenergie, Wasserkraft,
Windenergie, Bioenergie und Geothermie. Sie bleiben − nach
menschlichen Zeiträumen gemessen − kontinuierlich verfügbar
und stehen hiermit im Gegensatz zu fossilen Energieträgern und
Kernbrennstoffen, deren Vorkommen bei kontinuierlicher Entnahme
stetig abnimmt.
www.wikipedia.de
EU
Europäische Union
124
Quelle
Glossar
Begriff
Erklärung
Quelle
fossile Energiequellen
Werden aus fossilen Brennstoffen gewonnen, die wie Braunkohle,
Steinkohle, Torf, Erdgas und Erdöl in geologischer Vorzeit aus
Abbauprodukten von toten Pflanzen und Tieren entstanden sind.
Sie basieren auf organischen Kohlenstoff-Verbindungen und sind
dem Weltklimarat zufolge wichtige Mitverursacher der globalen
Erwärmung. Je nach Zusammensetzung und Reinheit des fossilen
Brennstoffes resultieren auch andere chemische Verbindungen wie
Stickstoffoxide und Ruß sowie unterschiedlich feine Stäube.
www.wikipedia.de
Gerechtigkeit
Der Begriff der Gerechtigkeit (griechisch: dikaiosýne, lateinisch:
iustitia, englisch und französisch: justice) wird zur Beschreibung
von Handlungsnormen für die Gestaltung eines vernünftigen
gesellschaftlichen Zusammenlebens verwendet.
www.wikipedia.de
globale Erwärmung
Als globale Erwärmung bezeichnet man den während der
vergangenen Jahrzehnte beobachteten allmählichen Anstieg
der Durchschnittstemperatur der erdnahen Atmosphäre und
der Meere sowie die künftig erwartete steigende Erwärmung.
Ihre hauptsächliche Ursache liegt nach dem gegenwärtigen
wissenschaftlichen Verständnis „sehr wahrscheinlich“ in der
Verstärkung des natürlichen Treibhauseffektes durch menschliches
Einwirken.
www.wikipedia.de
Green New Deal
Forderung im Rahmen der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise,
Investitionsmaßnahmen in den ökologischen Umbau der Gesellschaft
zu lenken, mit einer stärkeren Regulierung der Finanzwirtschaft,
massiven Investitionen in erneuerbare Energien und den sozialen
Ausgleich.
Investmentfonds
Form der Geldanlage: eine Investmentgesellschaft sammelt das Geld
der Anleger, bündelt es in einen Investmentfonds und investiert es in
unterschiedlichen Anlagebereichen.
www.wikipedia.de
IPCC
Engl. Intergovernmental Panel on Climate Change. Der Weltklimarat
(IPCC,) wurde von UNEP (s.d.) und WMO (s.d.) eingerichtet, um den
drohenden Klimawandel zu erforschen und Maßnahmen dagegen zu
koordinieren.
www.faz.net
Joint Implementation
Das im Kyoto-Protokoll festgelegte Instrument der “Joint
Implementation” (Gemeinschaftsreduktion (GR) bzw. englisch
Joint Implementation (JI)) ermöglicht es den Industrieländern,
gemeinsam Klimaschutz-Projekte durchzuführen. Dabei wird ein
Projekt zur Reduzierung von Emissionen (z.B. die Errichtung einer
Windkraftanlage) in einem Land durchgeführt, aber von einem
anderen Land finanziert. Die so vermiedenen Treibhausgase darf
der Geldgeber in seinem Land zusätzlich ausstoßen oder sich als
Emissionsguthaben gutschreiben lassen.
www.faz.net
Klimagerechtigkeit
Klimagerechtigkeit ist ein normatives politisches Konzept und Teil
www.wikipedia.de
der Umweltgerechtigkeit. Es sieht unter anderem vor, dass der zur
globalen Erwärmung führende Ausstoß von Treibhausgasen stark
reduziert und zudem auf alle Menschen einheitlich aufgeteilt werden
soll. Darüber hinaus bezieht sich Klimagerechtigkeit auf die ungleiche
Verteilung der Folgen der globalen Erwärmung.
Klimarahmenkonvention
der Vereinten Nationen
Engl. United Nations Framework Convention on Climate Change.
Die Klimarahmenkonvention ist der erste internationale Vertrag,
der die Staatengemeinschaft zum Handeln gegen den Klimaschutz
verpflichtet. Die Konvention bildet den Rahmen für die KlimaschutzVerhandlungen, die jährlich als Vertragsstaatenkonferenz stattfinden.
Die Klimarahmenkonvention wurde auf dem Weltgipfel für Umwelt
und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro angenomommen.
www.faz.net
125
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Begriff
Erklärung
Quelle
Klimaschutz
Klimaschutz ist der Sammelbegriff für Maßnahmen, die einer
unnatürlichen globalen Erwärmung entgegen wirken und mögliche
Folgen abmildern oder verhindern sollen. Weil der Klimawandel
aus Sicht vieler Forscher bereits nicht mehr völlig zu stoppen,
sondern nur noch zu mildern und zu begrenzen sei, wären neben
der Verringerung des Verbrauchs fossiler Brennstoffe Maßnahmen
zur Anpassung an den unvermeidlichen Klimawandel nötig, z. B.
Deichbau und Katastrophenvorsorge.
www.wikipedia.de
Klimawandel
Steht einerseits für die Veränderung des Klimas allgemein – gemeint
ist aber hier die globale Erwärmung, die durch den Menschen
verursachte Veränderung des Klimas.
www.wikipedia.de
Kraftwärmekopplung
Kraft-Wärme-Kopplung (KWK; auch Wärme-Kraft-Kopplung) nennt
man das Prinzip der Auskoppelung von Nutzwärme aus einer
Anlage, bei der Energie aus einem Brennstoff in mechanische und
elektrische Energie umgewandelt wird. In den meisten Fällen sind
das Kraftwerke, die dann als Heizkraftwerke für die öffentliche
Versorgung fungieren oder Industriekraftwerke, die Prozesswärme
(z.B. in der chemischen Industrie) bereitstellen. Die Abgabe von
ungenutzter Abwärme an die Umgebung wird dabei weitgehend
vermieden.
www.wikipedia.de
Kyoto-Protokoll
1997 beschlossenes Zusatzprotokoll zur Ausgestaltung der
www.arte.tv
Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen für den Klimaschutz.
Es schreibt verbindliche Ziele für die Verringerung des Ausstoßes von
Treibhausgasen fest, welche als Auslöser der globalen Erwärmung
gelten. Da die Ziele, die sich manche Staaten gesetzt haben,
sehr ehrgeizig sind, sieht das Kyoto-Protokoll mehrere flexible
Mechanismen vor, mit denen seine Ziele erreicht werden können.
Der Handel mit Emissionsrechten z. B. ist eines der wesentlichen
Instrumente, die im Kyoto-Protokoll verankert sind, oder wenn
ein Industrieland Maßnahmen zur CO2-Reduktion in einem
Entwicklungsland durchführt. Die Ratifizierung hat am 16. März
1998 angefangen und das Protokoll trat im Februar 2005 in Kraft
(es trat in Kraft, als es von mindestens 55 Staaten ratifiziert worden
ist, die 1990 für 55 Prozent des weltweiten Kohlendioxid-Ausstoßes
verantwortlich waren). Inzwischen haben 184 Staaten das KyotoProtokoll ratifiziert.
„LuxRes“-Studie
Studie zur Bestimmung der Potenziale und Ausarbeitung
von Strategien zur verstärkten Nutzung von erneuerbaren
Energien in Luxemburg, Fraunhofer Institut u.a., im Auftrag des
Umweltministeriums, 2007
MillenniumsEntwicklungsziele
Mit der Millenniumserklärung haben sich die Mitgliedsstaaten der
www.bmz.de
Vereinten Nationen im September 2000 verpflichtet, die weltweite
Armut zu bekämpfen, den Frieden zu sichern, die Umwelt zu
schützen und die Globalisierung gerecht und nachhaltig zu gestalten.
Im September 2001 legte der Generalsekretär der Vereinten Nationen
eine “Roadmap” für die Umsetzung der Millenniumserklärung
vor. Darin sind acht der international vereinbarten Ziele aus dem
Entwicklungs- und Umweltkapitel der Erklärung in einer Liste
zusammengestellt, deren Verwirklichung bis zum Jahr 2015
erreicht werden soll. Sie wurden bekannt als die MillenniumsEntwicklungsziele (Millennium Development Goals - MDGs)
MOP
MOP – engl. “Meeting of the Parties”. Vertragsstaatenkonferenz,
sobald das Kyoto-Protokoll von ausreichend vielen Staaten ratifiziert
wurde und somit in Kraft getreten ist.
126
Votum Klima Papier
www.wikipedia.de
Glossar
Begriff
Erklärung
Quelle
nachhaltige Entwicklung
Nachhaltige Entwicklung ist die übliche Übersetzung des englischen
www.wikipedia.de
Begriffes „sustainable development“ und bezeichnet eine
Entwicklung, die den Bedürfnissen der jetzigen Generation entspricht,
ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden und
ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen (verkürzte Definition gemäß
dem Brundtland-Bericht). Mit diesem Begriff wurde ein zentraler
Aspekt der in der deutschsprachigen Forstwirtschaft entwickelte
Idee der Nachhaltigkeit in die internationale politische und
wissenschaftliche Diskussion eingeführt.
Nachhaltigkeit
Das Konzept der Nachhaltigkeit beschreibt die Nutzung eines
regenerierbaren Systems in einer Weise, dass dieses System in seinen
wesentlichen Eigenschaften erhalten bleibt und sein Bestand auf
natürliche Weise nachwachsen kann.
Öffentlicher
Personennahverkehr
Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) bezeichnet einen Teil des
www.wikipedia.de
öffentlichen Verkehrs (ÖV) und des Personenverkehrs im Nahverkehr. Er
grenzt sich so vom Fernverkehr, Güterverkehr und Individualverkehr ab.
Offizielle Entwicklungsunterstützung
Staatliche Entwicklungszusammenarbeit (EZ), engl. Official
Development Assistance (ODA), als gemeinsames Bemühen von
Industrieländern und Entwicklungsländern, weltweite Unterschiede
in der sozioökonomischen Entwicklung und in den allgemeinen
Lebensbedingungen dauerhaft und nachhaltig abzubauen.
www.wikipedia.de
www.wikipedia.de
ökologische Steuerreform Prinzipien einer ökologischen Steuerreform:
1. Aufkommensneutralität gewährleisten
2. Oeko-Steuern sollten in einem vorhersehbaren Rahmen eingeführt
und graduell erhöht werden
3. Alternativen fördern, die dem Bürger und den Betrieben ein
umweltschonenderes Verhalten erlauben
4. Lenkungseffekt sichern, mit dem Ziel, die Umweltbelastungen zu
verringern und neue Arbeitsplätze zu schaffen.
www.oeko.lu
Ökosystemleistungen
Leistungen der Natur bzw. von Ökosystemen, die der Mensch
für sich nutzbar machen kann, darunter die Bereitstellung von
Süßwasser durch Niederschlag und Bodenfiltration, die Bindung
von Kohlendioxid in pflanzlicher Biomasse, die Bestäubung von
Pflanzen durch Insektenvölker oder die Klimaregulierung sowie die
Primärproduktion von bspw. Pflanzen, die für den Menschen von
Nutzen sind.
www.drze.de
Schwellenländer
Schwellenländer (Newly Industrializing Economies) sind eine Gruppe
www.wikipedia.de
von Staaten, die traditionell noch zu den Entwicklungsländern
gezählt werden, aber nicht mehr deren typische Merkmale aufweisen.
Deshalb werden sie begrifflich von den Entwicklungsländern
getrennt. Die deutsche Bezeichnung suggeriert, dass sie an der
Schwelle zum Industriestaat stehen, diese „Schwelle“ ist jedoch nicht
definiert. Der englischsprachige Begriff entstand in den 70ern und
bezog sich ursprünglich auf die asiatischen Tigerstaaten.
Stern-Report
Der Stern-Report (englisch Stern Review on the Economics of Climate www.wikipedia.de
Change) ist ein am 30. Oktober 2006 veröffentlichter Bericht des
ehemaligen Weltbank-Chefökonomen und jetzigen Leiters des
volkswirtschaftlichen Dienstes der britischen Regierung Nicholas
Stern. Der im Auftrag der britischen Regierung erstellte rund 650
Seiten starke Bericht untersucht insbesondere die wirtschaftlichen
Folgen der globalen Erwärmung. Siehe www.hm-treasury.gov.uk/
stern_review_report.htm
127
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Begriff
Erklärung
Treibhauseffekt
www.arte.tv/de/
Die Energie der Sonne dringt durch die Atmosphäre auf die
Erdoberfläche. Der Boden wandelt diese Energie in Infrarotstrahlung Klimawandel
um. In der Erdatmosphäre bewirken Treibhausgase wie Wasserdampf,
Kohlenstoffdioxid und Methan einen Treibhauseffekt, da sie den
Austritt der Infrarotstrahlung aus der Erdatmosphäre verhindern.
Gäbe es keinen Treibhauseffekt, besäße unsere Erde eine
Durchschnitttemperatur von -18°C. Dieser Prozess hat also einen
entscheidenden Einfluss auf das heutige Klima. Aufgrund dieser
Gegebenheit herrscht auf der Erde eine Durchschnittstemperatur von
15°C.
Treibhausgase
In der Atmosphäre enthaltene Gase, hauptsächlich Kohlendioxid
(CO2), Wasserdampf (H20), Methan (CH4), Distickstoffoxid (N2O,
Lachgas) und Ozon (O3). Sie verhindern - wie das Glasdach eines
Treibhauses - die Wärmerückstrahlung von der Erdoberfläche in das
All, so daß auf unserem Planeten statt eisiger Weltraumkälte eine
durchschnittliche Temperatur von 15°C herrscht. Die zunehmende
Konzentration dieser Gase führt zu stärkerer Erderwärmung und
schlimmstenfalls zu einem Klimawandel.
www.faz.net
Umweltkatastrophen
Eine Umweltkatastrophe oder ökologische Katastrophe ist
eine von Menschen verursachte, plötzliche und äußerst starke
Beeinträchtigung der Umwelt, die die Krankheit oder den Tod
von vielen Lebewesen zur Folge hat. Dies macht den deutlichen
Unterschied zur Naturkatastrophe aus, die ihre Ursache in rein
natürlichen, nicht vom Menschen beeinflussbaren Vorgängen wie
Wetter und geologischen Aktivitäten hat.
www.wikipedia.de
UNEP
Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP, United Nations www.faz.net
Environment Programme) will eine ressourcenschonende, nachhaltige
Entwicklung förden und die Anstrengungen einzelner Staaten
bündeln. Ein Schwerpunkt sind der drohende Klimawandel und
Maßnahmen dagegen.
UNFCCC
United Nations Framework Convention on Climate Change – siehe
Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen
www.faz.net
Verkehrsverbund
Ein Verkehrsverbund ist ein rechtlicher und organisatorischer
Zusammenschluss von Gebietskörperschaften zur gemeinsamen und
abgestimmten Durchführung des Öffentlichen Personennahverkehrs
(ÖPNV).
www.wikipedia.de
Verursacherprinzip
Das Verursacherprinzip (engl. „Polluter Pays Principle“) besagt,
dass Kosten, die als Folge eines bestimmten Tuns oder Unterlassens
entstehen, dem Verursacher zuzurechnen sind.
www.wikipedia.de
Welthandelsorganisation
(WTO)
Die Welthandelsorganisation (engl. „World Trade Organization“,
www.wikipedia.de
WTO; französisch „Organisation mondiale du commerce“, OMC)
ist eine internationale Organisation mit Sitz in Genf, Schweiz, die
sich mit der Regelung von Handels- und Wirtschaftsbeziehungen
beschäftigt. Sie wurde 1995 aus dem General Agreement on
Tariffs and Trade (GATT) in der Uruguay-Runde nach siebenjähriger
Verhandlungszeit gegründet. Am 1. Januar 1995 nahm sie ihre Arbeit
in Genf auf. Die WTO ist neben dem IWF und der Weltbank eine
der zentralen internationalen Organisationen für wirtschaftlichen
Fortschritt mit globaler Reichweite.
Weltklimarat
Siehe IPCC
128
Quelle
www.wikipedia.de
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