Document

Werbung
Okulare Akkommodation
bei der Zacken-Erdschildkröte
(Geoemyda spengleri)
Diplomarbeit
der Fakultät für Biologie
der Eberhard-Karls-Universität Tübingen
vorgelegt von
Miriam Judith Henze
Tübingen, Oktober 2002
Okulare Akkommodation
bei der Zacken-Erdschildkröte
(Geoemyda spengleri)
Diplomarbeit
der Fakultät für Biologie
der Eberhard-Karls-Universität Tübingen
vorgelegt von
Miriam Judith Henze
Tübingen, Oktober 2002
Erklärung:
Hiermit erkläre ich, dass ich diese Arbeit selbst verfasst und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt habe.
Tübingen, den
[Miriam Judith Henze]
Zusammenfassung
Im Rahmen dieser Diplomarbeit wurden die Akkommodation und damit in Beziehung stehende Merkmale des Auges bei der Zacken-Erdschildkröte (Geoemyda spengleri) untersucht.
Fotoretinoskopische Messungen ergaben, dass Akkommodationsgeschwindigkeit (bis zu
150 dpt/s), -breite (55 dpt) und -präzision (keine signifikante Abweichung von der Zielentfernung) mit denen des Chamäleons vergleichbar sind und die anderer terrestrisch lebender
Vertebraten deutlich übertreffen. Eine Fovea, welche als besonderer Fokusindikator dienen
könnte, besitzen die Tiere nicht. Normalerweise akkommodiert die Zacken-Erdschildkröte in
beiden Augen unabhängig voneinander. Wie beim Chamäleon kommt es jedoch zu einer
zentralnervösen Kopplung, wenn eine Beute binokular fixiert wird.
Die Refraktion und die Abbildungsqualität in der das Auge horizontal halbierenden Ebene
unterscheiden sich bei Divergenzwinkeln von bis zu 30° nicht von der Situation in der optischen Achse. In Übereinstimmung damit findet man in der Retina ein horizontales Band
hoher Ganglienzelldichte: Das Bildauflösungsvermögen sinkt vom Zentrum zur Peripherie
hin kaum. In der das Auge vertikal halbierenden Ebene nimmt die Refraktion von oben nach
unten kontinuierlich ab (Differenz innerhalb von ± 30° bis zu 59 dpt). Dies kann als Anpassung an die durchschnittliche Objektentfernung für verschiedene Regionen des visuellen
Feldes interpretiert werden. Allerdings zeigen die Untersuchungen, dass im ventralen Gesichtsbereich ein Astigmatismus auftritt, der zur Peripherie hin wächst. Die hieraus resultierende schlechtere Bildqualität im unteren Teil des visuellen Feldes lässt sich nicht mit der dort
noch vergleichsweise hohen retinalen Auflösung und der Lebensweise der Tiere (am Boden
nach Beute jagend) in Einklang bringen.
Wie bei vielen Vertebraten kontrahiert der Schließmuskel in der Iris von Geoemyda spengleri
mit zunehmender Lichtintensität und bei Nahakkommodation. Da die Linse der Schildkröten
in die vordere Augenkammer hervorragt, sollte durch eine Verengung der Pupille nicht nur
die Tiefenschärfe sondern auch die Brechkraft des Auges vergrößert werden, indem sich der
Krümmungsradius der anterioren Linsenoberfläche verringert.
Inhaltsverzeichnis
1
2
3
Einführung ........................................................................................................................7
1.1
Die Verwandtschaftsverhältnisse der Reptilien..........................................................8
1.2
Das Reptilienauge .......................................................................................................8
1.3
Akkommodationsmechanismen..................................................................................9
1.4
Akkommodation bei Reptilien..................................................................................10
1.5
Die Zacken-Erdschildkröte (Geoemyda spengleri) ..................................................11
1.6
Zielsetzung................................................................................................................12
Material und Methoden .................................................................................................15
2.1
Herkunft und Haltung der Versuchstiere ..................................................................15
2.2
Auswahl der Versuchstiere .......................................................................................15
2.3
Infrarot-Fotoretinoskopie..........................................................................................15
2.4
Eichung der Fotorefraktion.......................................................................................18
2.5
Aufnahme und Auswertung der IR-Videosequenzen ...............................................18
2.6
Akkommodation .......................................................................................................19
2.7
Die Refraktion abseits von der optischen Achse ......................................................20
2.8
Astigmatismus ..........................................................................................................20
2.9
Pupillengröße ............................................................................................................21
2.10
Retrogrades tracing ..................................................................................................21
2.11
Ganglienzelldichte ....................................................................................................22
Ergebnisse........................................................................................................................23
3.1
Eichung der Fotorefraktion.......................................................................................23
3.2
Akkommodationsbreite und -genauigkeit.................................................................25
3.3
Akkommodationsgeschwindigkeit ...........................................................................29
3.4
Kopplung der Akkommodation ................................................................................29
3.4.1
Infrarotdurchlässiger Filter ...............................................................................31
3.4.2
Ophthalmische Linsen ......................................................................................33
3.5
Variation des Refraktionsstatus innerhalb des visuellen Feldes und Astigmatismus
..................................................................................................................................37
Inhaltsverzeichnis
4
3.6
Fundusgeometrie.......................................................................................................41
3.7
Pupillenreaktionen ....................................................................................................41
3.8
Binokulare Unabhängigkeit der Pupillennahreaktion...............................................44
3.9
Topographie der Retina ............................................................................................46
Diskussion........................................................................................................................49
4.1
Small-eye artefact .....................................................................................................49
4.2
Die Bedeutung der dynamischen Akkommodation..................................................50
4.3
Die Rolle der Akkommodationskopplung ................................................................52
4.4
Das periphere Sehfeld...............................................................................................53
4.4.1
Kurzsichtigkeit im unteren und Weitsichtigkeit im oberen Sehfeld.................53
4.4.2
Astigmatismus im unteren Sehfeld...................................................................55
4.5
Der Schließmuskel der Iris .......................................................................................56
4.6
Spezialisierungen der Retina ....................................................................................58
4.7
Schlussbemerkung ....................................................................................................60
5
Abkürzungen...................................................................................................................61
6
Literaturverzeichnis .......................................................................................................63
7
Danksagung .....................................................................................................................69
1
Einführung
...there are some features of our eyes that are common to all animals that detect light... There
are also aspects of our eyes that reflect adaptations to our more recent environment rather than
our line of descent. It is this mix of various factors that produced the eyes we were born with.
(Rodieck 1998)
Kaum ein anderes Sinnesorgan wird so häufig als Wunder der Evolution bezeichnet wie das
Auge – sicher nicht ganz zu unrecht, wenn man bedenkt, dass hier ohne Kenntnis der komplexen Eigenschaften des Lichts ein Gebilde entstanden ist, das daraus eine enorme Fülle von
Informationen über die Welt erhalten kann.
Höher entwickelte Augen sind im Tierreich mehrmals unabhängig voneinander entstanden
(Land und Nilsson 2002). Die paarigen Augen der Vertebraten (Wirbeltiere) stammen jedoch
alle von einer Urform ab. Man findet stets den gleichen Grundplan, der entsprechend der
phylogenetischen Vorgeschichte einer Art und den Anforderungen, die Lebensweise und
Umgebung an sie stellen, abgewandelt und perfektioniert ist (Rodieck 1998).
Bei den Reptilien und Vögeln spielt der visuelle Sinn unzweifelhaft die wichtigste Rolle.
Fische und Amphibien, Tiere, die sich immer oder zu einem beträchtlichen Teil ihres Lebens
im aquatischen Milieu aufhalten, stützen sich weit weniger auf ihre Augen. Im Vergleich zu
Luft ist Wasser ein schlecht geeignetes Medium für die Lichttransmission. Es ist oft aufgewühlt und durch Schwebstoffe getrübt. Außerdem absorbiert es elektromagnetische Strahlung
im Spektralbereich des Lichts, so dass sich diese in ihm nur eine begrenzte Distanz fortpflanzt.
Selbst im klarsten Meerwasser dringt in Tiefen von über 900 m keine Sonne mehr vor (Land
und Nilsson 2002). Obwohl die meisten Säugetiere terrestrisch leben, dominiert auch bei
ihnen das Sehvermögen nur in Ausnahmefällen – etwa bei den Primaten. In der Regel verlassen sie sich eher auf ihr Gehör und ihren Geruchsinn, was sicher darauf beruht, dass die überwiegende Zahl der Säuger nachtaktiv ist. Reptilien und Vögel sind in der Mehrheit auf ein
Sehen in der Luft und am Tage spezialisiert. Was die Ausnutzung visueller Information angeht, so haben sie den höchsten Standard erreicht. Ihre Augen zeigen eine Reihe struktureller
und funktioneller Besonderheiten (Granda und Dvorak 1977) und sind daher dankbare Studienobjekte.
Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurden die Akkommodation und damit verbundene
Aspekte des Auges bei einer Schildkrötenart untersucht. Schildkröten bilden eine Entwicklungslinie innerhalb der Reptilien, deren Bauplan sich in den letzten 200 Millionen Jahren
kaum verändert hat. Sie stellen damit die ältesten aller heute lebenden Formen dar (Nöllert
1992, Cogger und Zweifel 1999).
7
Akkommodation bei der Zacken-Erdschildkröte
1.1 Die Verwandtschaftsverhältnisse der Reptilien
Zu den rezenten Reptilien zählen neben den Schildkröten, den Brückenechsen, Doppelschleichen, Schlangen, Echsen und Krokodilen genau genommen auch die Vögel. Aus traditionellen Gründen gesteht man diesen jedoch eine eigene Klasse zu. Es gilt heute als weitgehend
gesichert, dass die Squamata (Schuppenkriechtiere), zu denen die Amphisbaenia (Doppelschleichen), Serpentes (Schlangen) und Sauria (Echsen) gehören, die Schwestergruppe der
Rhynchocephalia (Brückenechsen) sind. Zusammen bilden sie die Unterklasse der Lepidosauromorpha, die man den Archosauromorpha, den Krokodilen und Vögeln, gegenüberstellt
(Cogger und Zweifel 1999). Wie die Schildkröten in den Stammbaum einzuordnen sind, ist
unklar. In den klassischen Lehrbüchern (z. B. Romer 1966) werden sie als ein Ast beschrieben, der abzweigt, bevor sich die übrigen, rezent vertretenen Entwicklungslinien aufspalten.
Diese Hypothese wird vor allem mit einem ursprünglichen Merkmal ihres Schädels begründet.
Danach zeigen altertümliche Schildkröten im Gegensatz zu den letzten gemeinsamen Vorfahren der Lepidosauromorpha und Archosauromorpha noch das vollständig geschlossene Schläfendach der frühen Amnioten. Bei den rezenten Arten ist es zwar oft reduziert, allerdings in
wechselnder Weise und stets vom Rand her, nie durch Fensterbildung, wie es bei den beiden
anderen Gruppen der Fall ist. Ob die Klassifizierung der Reptilien anhand der Struktur ihrer
temporalen Schädelregion gerechtfertigt ist, wird schon seit langem kontrovers diskutiert.
Unterschiede im Bau des Schläfendachs lassen vermuten, dass die Situation bei den Schildkröten nicht widerspiegelt, was bei den Stammformen vorlag. Möglicherweise haben sie einst
Schläfenfenster besessen, die sekundär wieder geschlossen wurden. Ergebnisse neuerer Untersuchungen unterstützen diese Annahme: Molekulare Daten legen nahe, dass die Schildkröten die Schwestergruppe der Archosauromorpha bilden, morphologische Studien weisen auf
eine enge Verwandtschaft zu den Lepidosauromorpha hin. Allerdings liefern einige Analysen
auch Belege für die traditionelle Theorie (Rieppel 2000, Zardoya und Meyer 2001). Die Frage
nach dem Ursprung der Schildkröten bleibt also letztlich ungeklärt.
1.2 Das Reptilienauge
Eingangs wurde erwähnt, dass Reptilien über ein hervorragendes Sehvermögen verfügen.
Dies trifft zwar auf die Mehrzahl der rezenten Arten zu, ist aber eine generalisierte Aussage,
die die gravierenden Unterschiede zwischen den einzelnen Gruppen nicht berücksichtigt. So
ist der visuelle Sinn bei den Krokodilen eher schwach ausgebildet. Ihre Augen sind recht
einfach gebaut und an das Sehen unter geringen Lichtverhältnissen angepasst. Das Gleiche
gilt für die nachtaktiven Brückenechsen. Bei den im Boden grabenden Doppelschleichen sind
die Augen in weitem Ausmaß reduziert. Man nimmt an, dass dies bei den Vorfahren der
Schlangen, die vermutlich ebenfalls unterirdisch lebten, genauso der Fall war. Aus Rudimenten ist bei ihnen sekundär wieder ein funktionsfähiges Sinnesorgan entstanden. Darauf beruht
8
Einführung
wohl die Tatsache, dass das Auge der rezenten Schlangen zahlreiche Eigentümlichkeiten
aufweist und selbst dem ihrer nächsten Verwandten kaum ähnelt. Wenn vom typischen Reptilienauge die Rede ist, ist meist das der Echsen gemeint. Diese überwiegend tagaktiven Tiere
stützen sich stark auf visuelle Information. Sie besitzen hoch entwickelte Augen mit erstaunlichen Spezialisierungen. Auch die Schildkröten verfügen über ein hervorragendes Sehvermögen (Duke-Elder 1958, Underwood 1970). Der Bauplan ihres Auges stimmt mit dem der
Echsen weitgehend überein: Hinter der Iris befindet sich eine weiche, leicht verformbare
Linse. Sie ragt geringfügig in die vordere Augenkammer vor. Ein Ring aus Knochenplättchen
am Übergang von der Sklera zur Kornea gibt dem quergestreiften Ziliarmuskel Widerlager,
der primär für die Akkommodation verantwortlich ist. Wenn er kontrahiert, stoßen Ziliarfortsätze an die Linse an. Die Iris weist einen kräftigen, quergestreiften Schließmuskel auf, der
eine ergänzende Funktion bei der Akkommodation übernimmt. Die Retina ist avaskular und
wird indirekt durch die Aderhaut ernährt. Eine besondere Struktur zur Verbesserung der
metabolischen Versorgung wie der Conus papillaris bei den Echsen existiert nicht (DukeElder 1958, Underwood 1970, Granda und Dvorak 1977). Mit einer einzigen Ausnahme, in
der eine leichte Einsenkung festgestellt wurde, konnte bisher bei keiner Art eine Fovea entdeckt werden. Dagegen ist bei den meisten tagaktiven Echsen eine tiefe Grube in der Netzhaut
vorhanden. Wegen ihrer konvexen Wände (lat. clivus = Abhang) wird diese Fovea als konvexikliv bezeichnet. Am besten ausgebildet ist sie beim Chamäleon. Einige Anolis besitzen
sogar zwei Foveae: neben der zentralen tritt noch eine weitere, temporale auf (Duke-Elder
1958, Walls 1942).
1.3 Akkommodationsmechanismen
Das Wort „Akkommodation“ kommt aus dem Lateinischen und heißt übersetzt „Anpassung“ (lat. accommodare = anpassen). Bezogen auf das Sehen beschreibt es Veränderungen,
die stattfinden, um das Auge auf eine bestimmte Entfernung zu fokussieren (es daran anzupassen). Sehr kleine Augen mit einer geringen visuellen Auflösung besitzen eine hohe Tiefenschärfe (Green et al. 1979). Dies kann dazu führen, dass sich jede Art von Akkommodation
erübrigt, weil von der Unendlichkeit bis hin zu einem Abstand von nur wenigen Millimetern
vor dem Auge alles scharf auf der Netzhaut abgebildet wird (Sivak 1980, Collett und
Harkness 1982). Steigt die Augengröße und die visuelle Auflösung, so sinkt die Tiefenschärfe.
Deckt diese die Spanne der biologisch, d. h. für das Tier relevanten Entfernungen nicht mehr
ab, wird ein Mechanismus erforderlich, der es ermöglicht, das Auge auf verschiedene Distanzen einzustellen.
Grundsätzlich kann das geschehen, indem die Brechkraft der optischen Medien oder der
Abstand zwischen den dioptrischen Elementen und der Rezeptorebene variiert wird. Beide
Optionen findet man bei den Vertebraten verwirklicht. Knochenfische, Knorpelfische, Am-
9
Akkommodation bei der Zacken-Erdschildkröte
phibien und Schlangen können ihre Linse, die eine feste Brennweite aufweist, in Richtung der
Retina oder von dieser weg bewegen. Bei Säugetieren, Schildkröten, Echsen und Vögeln
bleibt die Position der Linse gleich, stattdessen wechselt ihr Krümmungsradius und damit ihre
Brechkraft. Zusätzlich verändert sich bei einigen Vögeln die Wölbung der Kornea, welche an
der Luft ein wesentliches Brechungselement bildet (Sivak 1980, Martin 1987, Land und
Nilsson 2002).
Außer den bisher beschriebenen dynamischen Mechanismen, die intraokulare Muskelaktivität
erfordern, kommen auch statische Strukturen in Frage, um den Fokus des Auges auf verschiedene Entfernungen einzustellen. Sie sind besonders dann sinnvoll, wenn die Distanz eines
Objekts, das sich in einem bestimmten Bereich des visuellen Feldes befindet, vorhersehbar ist.
Für ein am Boden lebendes Tier gilt im Allgemeinen: Je niedriger im visuellen Feld etwas
erscheint, umso dichter ist es. Entsprechend erweist es sich als vorteilhaft, die Brechkraft der
dioptrischen Elemente oder den Abstand zwischen ihnen und der Rezeptorebene so zu variieren, dass die Fokalebene des Auges im unteren visuellen Feld bei geringeren Entfernungen
liegt als im oberen. Etwas Derartiges findet man z.B. bei Vögeln, die auf der Erde nach Nahrung suchen. Sie sind im unteren Gesichtsfeld kurzsichtig (lower field myopia). Dadurch
werden nahe Objekte am Boden und entfernte am Horizont gleichzeitig scharf auf der Netzhaut abgebildet (Sivak 1980, Land und Nilsson 2002).
1.4 Akkommodation bei Reptilien
Die Fähigkeit zur Akkommodation und der zugrunde liegende Mechanismus differieren unter
den verschiedenen Reptiliengruppen gewaltig. Anatomische Merkmale lassen vermuten, dass
Amphisbaenen, Brückenechsen und Krokodile, wenn überhaupt, nur geringfügig in der Lage
sind, zu akkommodieren (Underwood 1970, Sivak 1980). Eine Untersuchung an Krokodilen
hat ergeben, dass diese Tiere den Verlust an Brechkraft nicht ausgleichen, der beim Untertauchen durch den Wegfall der Luft-Kornea Grenzfläche entsteht. Während ihr Auge an der Luft
emmetrop (normalsichtig) ist, wird es unter Wasser in bedeutendem Ausmaß hyperop (weitsichtig). Eine Fokussierung des Auges auf verschiedene Entfernungen konnten in keinem der
beiden Medien beobachtet werden (Fleishman et al. 1988). Schlangen besitzen die Fähigkeit
zur Akkommodation und haben einen Mechanismus entwickelt, der unter den Vertebraten
einmalig ist. Sie verschieben die Linse entlang der optischen Achse, indem sie durch Kontraktion bzw. Erschlaffung der Irismuskulatur den intraokularen Druck variieren (Sivak 1980).
Als typisch für die Sauropsiden (Reptilien und Vögel) gilt die Weise, in der Schildkröten und
Echsen akkommodieren: Im Grundzustand ist ihr Auge auf das Unendliche fokussiert. Zur
Naheinstellung wird durch Kontraktion des Ziliarmuskels Druck auf die sehr weiche Linse
ausgeübt und ihr Krümmungsradius vermindert (Duke-Elder 1958, Sivak 1980). Bei den
Schildkröten besitzt der Schließmuskel der Iris eine unterstützende Funktion bei der Akkom-
10
Einführung
modation: Wenn er kontrahiert, wird der vordere, durch die Pupille ragende Teil der Linse
zusammengepresst und seine Wölbung weiter erhöht (Sivak 1980). Einige semiaquatische
Schlangen scheinen diesen Ergänzungsmechanismus ebenfalls zu nutzen (Walls 1942, Underwood 1970, Sivak 1980, Schaeffel und Mathis 1991). Generell verringern viele Reptilien
ihre Pupillengröße, wenn sie akkommodieren bzw. Akkommodation erforderlich wäre (Chamäleons bei der Nahakkommodation (Ott et al. 1998), Seeschlangen an Land (Walls 1942,
Underwood 1970), Krokodile im Wasser (Fleishman et al. 1988)). Dies hat aber in der Regel
keinen Effekt auf die Linse, sondern dient lediglich der Erhöhung der Tiefenschärfe. Was die
Akkommodationsbreite angeht, so ist sie bei einzelnen Vertretern aus der Gruppe der Schlangen, Echsen und Schildkröten beträchtlich (45 dpt beim Chamäleon (Ott et al. 1998),
> 100 dpt bei semiaquatischen Schlangen (Schaeffel und Mathis 1991), > 100 dpt bei der
Rotwangen-Schmuckschildkröte (Trachemys (früher: Pseudemis) scripta elegans) (Sivak
1980, Northmore und Granda 1991a)). Allerdings variiert sie zumindest unter den Schildkröten in Abhängigkeit von der Lebensweise ganz erheblich: Bei den semiaquatischen Süßwasserschildkröten ist die Akkommodationsfähigkeit enorm, bei den Land- und Meeresschildkröten dagegen vergleichsweise gering (Ehrenfeld und Koch 1967).
1.5 Die Zacken-Erdschildkröte (Geoemyda spengleri)
Die nachfolgend beschriebenen Untersuchungen fanden an der Zacken-Erdschildkröte (Geoemyda spengleri, Gmelin 1798) statt.
Sie gehört zur Familie der Emydidae, zu den in der Regel amphibisch lebenden Sumpfschildkröten. Vertreter dieser Gruppe, insbesondere Emys orbicularis, die Europäische Sumpfschildkröte, und Trachemys (früher: Pseudemis) scripta elegans, die RotwangenSchmuckschildkröte, sind beliebte Versuchstiere beim Studium des visuellen Systems. Entsprechend existieren Veröffentlichungen über zahlreiche Aspekte ihres Sehvermögens. Für
Experimente an einer relativ nah verwandten Art kann diese Literatur wichtige Anhaltspunkte
liefern und einen lohnenden Vergleich bieten.
Ihren lateinischen Namen, Geoemyda spengleri, erhielt die Zacken-Erdschildkröte zu Ehren
von Lorentz Spengler (1720-1807), dem Verwalter der königlichen Kunstkammer in Kopenhagen. Er lieferte den Panzer des ersten beschriebenen Exemplars. Das natürliche Verbreitungsgebiet der Tiere blieb zunächst noch unbekannt. Nach heutigen Erkenntnissen erstreckt
es sich auf Südchina, Vietnam und die indonesischen Inseln Borneo und Sumatra (Manthey
und Grossmann 1997, Uetz 1999). Populationen in Japan (Ryukyu-Inseln), ursprünglich als
eine Lokalform von Geoemyda spengleri betrachtet (Geoemyda spengleri japonica), werden
inzwischen einer eigenständigen Art zugerechnet (Geoemyda japonica, Yasukawa et al. 1992).
Die Zacken-Erdschildkröte bewohnt die feucht-kühlen Nebelwälder der Höhenlagen um etwa
800-1000 m üNN. Im Gegensatz zu den meisten anderen Sumpfschildkröten lebt Geoemyda
11
Akkommodation bei der Zacken-Erdschildkröte
Abb. 1: Die Zacken-Erdschildkröte (Geoemyda spengleri). Links eine Seitenansicht: Zu erkennen
sind der kräftige Mittelkiel und die stark gezackten hinteren Marginalschilder des Rückenpanzers.
Rechts eine Frontalaufnahme: Auffallend sind die großen Augen, mit denen das Tier aufmerksam die
Umgebung mustert.
spengleri vorwiegend terrestrisch. Sie ernährt sich fast ausschließlich carnivor und ist ein
gefräßiger Jäger, der sich an tote Nahrung nur schwer gewöhnen kann. In ihrer natürlichen
Umgebung, dem Falllaub und Unterwuchs des Waldes, sind die kleinen Tiere hervorragend
getarnt. Ihr Panzer, der höchstens eine Länge von 13 cm erreicht, erinnert in Farbe und Gestalt an ein abgestorbenes Blatt (Abb. 1): Er ist gelblichbraun getönt, manchmal marmoriert.
Der kräftige dorsale Kiel täuscht eine Mittelrippe vor. Die Marginalschilder sind hinten stark
gezackt und leicht aufwärts gebogen wie die gesägten Ränder eines toten Blattes. Dies ermöglicht es den Schildkröten mit dem Waldboden zu verschmelzen, wo sie stundenlang regungslos auf Beute lauern. Ihre großen, hochbeweglichen Augen sind weit geöffnet und mustern
aufmerksam das Umfeld (Abb. 1). Entdeckt ein Tier ein krabbelndes Insekt, streckt es den
Kopf vor, nähert sich unerwartet flink dem Opfer und schlägt mit seinem kräftigen Hakenschnabel blitzschnell zu (Rudloff 1986, Rudloff 1990, Buskirk 1993, Manthey und Grossmann 1997). Die Lebensweise dieser Schildkröten lässt vermuten, dass ihr visueller Sinn gut
entwickelt ist und ein hervorragendes Fokussierungssystem für sie sehr von Vorteil wäre.
1.6 Zielsetzung
Im Rahmen dieser Diplomarbeit sollte das Fokussierungssystem der Zacken-Erdschildkröte
untersucht werden. Von einem anderen Reptil, dem Chamäleon, ist bekannt, dass es die Akkommodation als alleinigen Parameter für die visuelle Entfernungseinschätzung nutzt
(Harkness 1977). Sein Fokussierungssystem erfüllt dazu besondere Anforderungen (Ott et al.
1998). Ein Ziel war es zu überprüfen, ob das der Zacken-Erdschildkröte von seinen Leistungen her ebenfalls für eine solche Aufgabe in Betracht kommt. Deshalb wurden die Breite und
die Geschwindigkeit der Akkommodation sowie ihre Genauigkeit bei der Fixierung einer
12
Einführung
Beute bestimmt. Weiterführende Experimente dienten dazu, das Verhältnis der beiden Augen
zu klären. Beim Chamäleon wurde beobachtet, dass die Augen zwar normalerweise getrennt
voneinander akkommodieren, beim Anvisieren einer Beute jedoch gekoppelt werden (Ott et
al. 1998). Eine Ermittlung der Refraktion abseits von der optischen Achse sollte Aufschluss
darüber geben, ob neben dem dynamischen Mechanismus eine statische Struktur zur Fokussierung des Auges auf verschiedene Entfernungen existiert. In diesem Zusammenhang wurde
auch die Abbildungsqualität in der Augenperipherie betrachtet, insbesondere wurden bestimmte Regionen auf einen Astigmatismus hin untersucht. Da der Schließmuskel der Iris bei
den Schildkröten laut Literatur (Walls 1942, Duke-Elder 1958, Underwood 1970, Granda und
Dvorak 1977, Sivak 1980) an der Akkommodation beteiligt ist, wurden Veränderungen der
Pupillengröße analysiert. Eine wesentliche Rolle für die präzise Einstellung der Brennebene
des Auges auf eine bestimmte Entfernung spielt, wie genau eine Unschärfe des Bildes auf der
Netzhaut erkannt werden kann. Diese Fähigkeit wiederum wird durch das retinale Auflösungsvermögen begrenzt. Im Hinblick auf regionale Unterschiede und die mögliche Existenz
besonderer Spezialisierungen wie einer Fovea sollte die Ganglienzellverteilung im Auge einer
Zacken-Erdschildkröte ermittelt werden.
13
Akkommodation bei der Zacken-Erdschildkröte
14
2
Material und Methoden
2.1 Herkunft und Haltung der Versuchstiere
Für die Experimente standen 11 adulte Individuen der Zacken-Erdschildkröte (Geoemyda
spengleri) zur Verfügung. Bei den Tieren, 7 Weibchen und 4 Männchen, handelte sich um
Wildfänge, die über eine Reptilienhandlung bezogen wurden. Sie waren gemeinsam in einem
großen Glasterrarium (Länge x Breite x Höhe = 200 cm x 55 cm x 50 cm) untergebracht, das
von 8 bis 20 Uhr mit zwei Leuchtstoffröhren (Reptisun 5.0 UVB) beleuchtet wurde. Eine
Klimaanlage sorgte dafür, dass die Raumtemperatur tagsüber bei 26°C lag und nachts auf
19°C abfiel. Durch häufiges Besprühen und die Verwendung eines Bodensubstrats mit hohem
Wasserspeichervermögen (Cocosan: Pflanzenerde aus Kokosnussschale) konnte die Luftfeuchtigkeit im abgedeckten Terrarium bei nahezu 100 % gehalten werden. Gewölbte Rindenstücke und Pflanzen boten den Tieren Rückzugsmöglichkeiten. Durch das zum Teil übereinander liegende Holz entstanden trockene Aussichtsplätze. Zwei flache, mit Wasser gefüllte
Kunststoffschalen dienten als Badebecken. Sie wurden täglich gereinigt, um Infektionen
vorzubeugen.
Gefüttert wurde ein- bis zweimal die Woche. Eine Ausnahme bildete die Zeit direkt vor Versuchen, in denen die Aufmerksamkeit der Schildkröten auf Beute gelenkt werden sollte. In
dieser erhielten sie keine Nahrung. Auf dem Speiseplan standen Larven des Großen Schwarzkäfers (Zophobas morio) und Mehlwürmer (Tenebrio molitor), gelegentlich auch neugeborene
Mäuse (Mus musculus), Regenwürmer (Lumbricus terrestris), Nacktschnecken (Arion sp.)
und Kellerasseln (Porcellio scaber).
2.2 Auswahl der Versuchstiere
Die Untersuchung der Ganglienzellverteilung in der Retina erfolgte an einem Tier, das für die
Zucht nicht in Frage kam. Für die Verhaltensexperimente wurden die Schildkröten nach ihrer
Kooperationsbereitschaft ausgewählt. Um individuelle Unterschiede erkennen zu können,
wurde bei allen Messungen dokumentiert, an welchem Exemplar sie stattgefunden hatten.
Damit es nicht zu Verwechslungen kam, wurden die Tiere auf ihren Panzern mit den Nummern 1 bis 11 markiert (1-7: Weibchen, 8-11: Männchen).
2.3 Infrarot-Fotoretinoskopie
Der Refraktionsstatus (= Brechungszustand) des Auges wurde mit Hilfe exzentrischer
Fotorefraktion (= Fotoretinoskopie) bestimmt. Die verwendete Messanordung basiert auf
einem Entwurf von F. Schaeffel (Schaeffel et al. 1987, Schaeffel 1994a).
15
Akkommodation bei der Zacken-Erdschildkröte
Vor den unteren Bereich der Objektivöffnung einer infrarotsensitiven
Videokamera (Canon Ci-20 PR)
wurde eine Aperturblende gesetzt
(Abb. 2 und Abb. 3). Auf dieser
waren 13 Infrarot-Leuchtdioden
(IR-LEDs, Infineon SFH 484-2) in
vier Reihen mit unterschiedlicher
Exzentrizität zur optischen Achse
der Kamera angebracht. Sie wurden
simultan bei maximaler Stromstärke betrieben.
Das Licht einer IR-LED, das ins
Auge eintritt, wird vom Augenhintergrund teilweise zurückgeworfen
und ist in der Pupille als Fundusreflex sichtbar (Abb. 4), sofern das
Auge nicht genau auf die Kamera
Abb. 2: Verwendete fotoretinoskopische Apparafokussiert ist. In diesem Fall treffen
tur. Zu sehen sind die infrarotsensitive Videokamera
sich die zurückkehrenden Strahlen
und das Infrarot-Fotoretinoskop. Letzteres besteht aus
wieder in der Lichtquelle und die
einer Blende mit Infrarot-Leuchtdioden, die vor dem
Pupille bleibt dunkel. Liegt die
unteren Bereich des Kameraobjektivs angebracht ist.
Die gesamte Apparatur wurde auf einer optischen Bank
Bildebene des Auges dagegen vor
(Metallschiene mit Zentimetereinteilung) befestigt.
der Kamera, so kreuzen sich die
Strahlen schon dort und es gelangt
Licht aus dem unteren Bereich der Pupille in das Objektiv. Das Licht aus dem oberen Bereich
wird durch die einseitige Aperturblende abgeschirmt. Umgekehrt erscheint nur der obere Teil
der Pupille hell, wenn sich die Bildebene des Auges hinter der Kamera befindet. Die
Abb. 3: Infrarot-Fotoretinoskop. Dargestellt ist eine Frontalansicht des verwendeten
Infrarot-Fotoretinoskops. Es besteht aus
einer Blende, die den unteren Bereich der
Objektivöffnung einer infrarotsensitiven
Videokamera abdeckt. Auf ihr sind 13 Infrarot-Leuchtdioden (IR-LEDs) angebracht. Sie
sind in vier Reihen mit unterschiedlicher
Exzentrizität (E1 bis E4) zur optischen
Achse der Kamera angeordnet und werden
simultan betrieben.
16
Fokus vor der Kamera
Fokus auf der Kamera
Fokus hinter der Kamera
Fotoretinoskopie ein vertikaler Intensitätsverlauf in der Pupille entsteht. Oben links in jeder Zelle ist das Auge, oben rechts die Kamera mit
der LED-bestückten Blende (Siehe Abb. 3!) dargestellt. Dazwischen wurde der Strahlengang des Infrarotlichts eingezeichnet, das von einer
LED der Exzentrizität E1, E2 oder E3 stammt und vom Augenfundus reflektiert wird. Der Teil des Strahlenbündels, der in die Kameraöffnung gelangt, ist heller eingefärbt als der Rest. Unterhalb ist das jeweils in der Pupille sichtbare Helligkeitsprofil (umrahmt von der weißen
Iris) abgebildet. Wenn das Auge auf die Blende fokussiert, gelangt kein Licht in die Kamera (mittlere Spalte). Befindet sich die Brennebene
davor, treten Strahlen aus dem unteren Pupillenbereich in die Kameraöffnung, liegt sie dahinter, aus dem oberen. Die Höhe des in der Pupille
erscheinenden Reflexes nimmt mit zunehmender Exzentrizität der Lichtquelle (von E1 nach E3) ab. Bei simultanem Betrieb aller LEDs
kommt es durch die Überlagerung der einzelnen Fundusreflexe zu einem Intensitätsgradienten im vertikalen Pupillenmeridian (letzte Zeile).
Abb. 4: Prinzip der Infrarot-Fotoretinoskopie (nach F. Schaeffel). In der Tabelle ist schematisch gezeigt, wie bei der Infrarot-
Überlagerung
der Einzelreflexe
LED mit E3
LED mit E2
LED mit E1
Helligkeitsprofil
verursacht durch
Material und Methoden
17
Akkommodation bei der Zacken-Erdschildkröte
zurückkehrenden Strahlen haben sich dann noch nicht getroffen und die Blende verdeckt das
Licht aus dem unteren Pupillenteil.
Die Höhe des in der Pupille sichtbaren Reflexes nimmt bei gleicher Fokussierung des Auges
mit zunehmender Exzentrizität der Lichtquelle ab. Bei der gewählten Anordnung von IRLEDs ergibt sich durch die Überlagerung der einzelnen Fundusreflexe ein nahezu linearer
Intensitätsverlauf im vertikalen Pupillenmeridian. Die Steigung dieses Intensitätsprofils lässt
sich durch lineare Regression sehr genau bestimmen. Da sie sich linear mit der Refraktion
ändert, kann von ihr auf den Refraktionsstatus des Auges geschlossen werden (Schaeffel
1994a). Die genaue Beziehung ist artspezifisch und zudem individuell verschieden. Sie muss
experimentell durch Eichung ermittelt werden.
2.4 Eichung der Fotorefraktion
Für jedes Tier wurde eine Eichgleichung erstellt, die eine Umrechnung der Steigungen des zu
beobachtenden Intensitätsprofils in Refraktionswerte ermöglichte. Dazu wurden den Schildkröten ophthalmische Linsen bekannter Stärke in einem Bereich von - 3 bis + 20 Dioptrien
(dpt) dicht vor die Augen gehalten und die Steigungen des Intensitätsprofils gemessen. Um zu
gewährleisten, dass sich das Auge im entspannten Zustand befand (Ruheakkommodation),
wurde es mit einem infrarotdurchlässigen Filter (Kodak Wratten 87C) abgedeckt. Dieser war
für die Tiere undurchsichtig, ließ aber das zur Refraktionsmessung verwendete Licht im
Infrarotbereich passieren. Da die absolute Helligkeit der Fundusreflexe Einfluss auf die Steigung der Eichgeraden besitzt (Schaeffel 1994a), wurde versucht, die durch den Filter verursachte, leichte Abschwächung der Reflexhelligkeit durch die Wahl eines niedrigeren Blendenwertes am Videoobjektiv auszugleichen (4 anstatt 5,6 wie bei allen anderen Messungen).
Für den Unterschied in der Position der vorgesetzten Linse zu den Hauptebenen des Auges
wurde keine Korrektur vorgenommen. Bei geringem Abstand zur Kornea ist der dadurch
verursachte Effekt vernachlässigbar, wie Untersuchungen an Hühnern gezeigt haben (Schaeffel et al. 1994).
Zur Auswertung wurden nur solche Videosequenzen herangezogen, in denen das Auge über
eine längere Periode durch den Filter und die Linse zur Kamera hin ausgerichtet war und die
Steigung des Intensitätsprofils einen recht konstanten Wert angenommen hatte. Auf diese
Weise sollten Schwankungen, die auf aktiver Akkommodation beruhten, weitgehend ausgeschlossen werden.
2.5 Aufnahme und Auswertung der IR-Videosequenzen
Die Entfernung zwischen dem Infrarot-Fotoretinoskop und dem Auge betrug bei allen Refraktionsmessungen 70 cm. Um ein gutes Signal-Rausch-Verhältnis zu erhalten, war es nötig, bei
18
Material und Methoden
geringer Raumhelligkeit zu arbeiten. Musste man die Lichtintensität aus experimentellen
Gründen erhöhen, so wurden Kaltlichtquellen verwendet. Damit konnte gezielt beleuchtet
werden, ohne dass Streulicht in die Kamera gelangte.
Das Kamerabild ließ sich über einen angeschlossenen Monitor verfolgen. Es wurde zunächst
eine analoge Videoaufzeichnung erstellt, diese dann digitalisiert und über eine Videokarte
(Matrox Meteor-II) in einen PC eingelesen. Zur Auswertung der Fundusreflexe diente ein in
Borland C+ + geschriebenes Programm (chickref, Urheber: F. Schaeffel), das auf einen Teil
der mit der Videokarte gelieferten Software zugriff. Mit Hilfe der Cursortasten wurde ein
rundes Fenster geeigneter Größe in die Pupille gelegt. Innerhalb desselben ermittelte das
Programm durch lineare Regression die Steigung des Intensitätsprofils im vertikalen Meridian.
Ein positiver Wert entsprach einer von unten nach oben zunehmenden Helligkeit, ein negativer dem umgekehrten Fall. Bei Null war kein Gradient vorhanden. Die erhaltene Steigung
wurde notiert und entsprechend der Eichgleichung für das jeweilige Tier in einen Refraktionswert umgerechnet.
2.6 Akkommodation
Zur Untersuchung des Akkommodationsverhaltens bei der visuellen Beutefixierung wurde
der Refraktionsstatus des Auges gemessen, während den Schildkröten Mehlwürmer in verschiedenen Entfernungen präsentiert wurden. Die Tiere saßen in einem Kasten, der mit einem
Guckloch ausgestattet war. Davor befand sich in Längsrichtung eine optische Bank (Metallschiene mit Zentimetereinteilung), auf der eine Futterhalterung bewegt werden konnte. Wenn
eine motivierte Schildkröte einen lebenden Wurm entdeckte, streckte sie ihren Kopf so weit
wie möglich aus dem Loch hervor. Der Abstand zwischen Auge und Beute wurde anhand der
Videoaufzeichnungen einer Übersichtskamera bestimmt. Da unter schwachen Lichtverhältnissen die visuelle Auflösung und damit in der Regel auch die Genauigkeit der Akkommodation
abnimmt, wurde der Wurm seitlich durch eine Kaltlichtquelle angestrahlt. Die Kamera mit
dem Infrarot-Fotoretinoskop war auf der Metallschiene in Höhe des Gucklochs und der
Klemme der Futterhalterung in 70 cm Entfernung zur Schildkröte angebracht. Aus dem umfangreichen Videomaterial wurden Sequenzen herausgesucht, in denen die Kameraachse
weitgehend mit der optischen Achse des Auges übereinstimmte. Bei einer gleichzeitigen
Messung der Refraktion beider Augen war dies allerdings nicht möglich, so dass dann auch
größere horizontale Abweichungen akzeptiert wurden. Auf den ermittelten Refraktionswert
hatte das keinen Einfluss (Siehe Abschnitt 3.5!). Ein weiteres Auswahlkriterium bildete die
Motivation der Tiere. Es wurden lediglich Aufnahmen ausgewertet, in denen das Verhalten
der Schildkröte den Schluss zuließ, dass sie tatsächlich auf den angebotenen Wurm blickte
(aufgeregte Versuche, diesen durch Vorschieben des Panzers und Ausstrecken des Kopfes zu
erreichen).
19
Akkommodation bei der Zacken-Erdschildkröte
Um zu klären, ob die Akkommodation während der Beutefixierung binokular gekoppelt wird,
wurde den Schildkröten ein selbstkonstruiertes Monokel mit Klebeband auf dem Kopf befestigt. Es bestand aus einer kleinen Scheibe eines infrarotdurchlässigen Filters (Kodak Wratten
87C) bzw., in weiterführenden Experimenten, aus einer harten Kontaktlinse (Procornea Nederland B.V.), die in einer Drahtfassung vor einem der beiden Augen angebracht wurde.
2.7 Die Refraktion abseits von der optischen Achse
Um zu überprüfen, inwieweit sich die Refraktion des Auges abseits von der optischen Achse
(off axis) verändert, wurde die Videokamera mit dem Infrarot-Fotoretinoskop über den horizontalen und den vertikalen Meridian des visuellen Feldes geschwenkt.
Dafür war die Apparatur am Ende zweier zusammenlaufender Metallstangen befestigt, mit
denen sie kontinuierlich auf einer horizontalen oder einer vertikalen Kreisbahn in einem
Radius von 70 cm um die Schildkröte bewegt werden konnte. Das Tier war mit Klebeband
auf einer kleinen, dreh- und höhenverstellbaren Plattform fixiert. Es wurde so positioniert,
dass sich eines seiner Augen im Zentrum der beschriebenen Halbkreise befand.
Bei der Auswertung der aufgenommenen Videosequenzen wurde neben der Refraktion auch
die jeweilige Abweichung der Kameraachse von der optischen Achse des Auges bestimmt.
Die Infrarot-Leuchtdioden wirken aus einer Distanz von 70 cm zusammen fast wie eine
punktförmige Lichtquelle und erzeugen einen scharf umrissenen Purkinje-Reflex auf der
Kornea. Wenn man davon ausgeht, dass die optische Achse des Auges durch das Zentrum der
Pupille verläuft, so kann man auf dem Bildschirm aus der Entfernung des ersten (= kornealen)
Purkinje-Reflexes zur Pupillenmitte auf den horizontalen und vertikalen Divergenzwinkel
zwischen Augen- und Kameraachse schließen.
Der Umrechnungsfaktor ist unter anderem von der Krümmung der Kornea abhängig. Er
musste für die beiden Meridiane experimentell ermittelt werden. Dazu wurde auf dem Monitor der Abstand der ersten Purkinje-Reflexe zweier Punktlichtquellen festgestellt, die mit dem
Auge einen Winkel bekannter Größe einschlossen. Diese Lichtquellen waren in der horizontalen bzw. vertikalen Ebene durch die optische Achse des Auges so angeordnet worden, dass sie
zusammen mit dem Auge und der optischen Achse zwei rechtwinklige Dreiecke abgrenzten.
Unter Kenntnis der Streckenlängen ließ sich der genannte Winkel durch einfache trigonometrische Berechnungen bestimmen.
2.8 Astigmatismus
Um zu klären, ob Veränderungen im Brechungszustand abseits von der optischen Achse
Folge eines peripheren Astigmatismus sind, wurde die Refraktion außer – wie sonst – im
vertikalen auch im horizontalen Meridian bestimmt.
20
Material und Methoden
Zu diesem Zweck wurde die Kamera mitsamt dem Fotoretinoskop 90° um ihre Längsachse
gedreht. Die Aperturblende mit den IR-LEDs befand sich daraufhin seitlich, so dass durch die
Überlagerung der Fundusreflexe ein Intensitätsverlauf im horizontalen Pupillenmeridian
entstand. Aufgrund der veränderten Ausrichtung der Kamera war auch das Videobild um 90°
gedreht. Im Auswertprogramm wurde folglich durch das gewohnte Vorgehen die Steigung
des Helligkeitsprofils nicht im vertikalen sondern im horizontalen Meridian bestimmt. Aus
dem so erhaltenen Wert ließ sich unter Verwendung der Eichgleichung für das jeweilige Tier
die Refraktion errechnen.
2.9 Pupillengröße
Um festzustellen, ob zwischen dem Refraktionsstatus des Auges und der Pupillengröße eine
Beziehung besteht, wurde der Durchmesser der Pupille für die Fern- sowie für die maximale
Nahakkommodation bestimmt. Dies geschah zum einen bei niedriger, zum anderen bei hoher
Umgebungshelligkeit, so dass die Lichtintensität als ein weiterer Faktor in die Analyse einbezogen werden konnte.
Für die Messungen wurden die Tiere auf ein Podest gesetzt, in dessen direktem Umkreis sich
ihnen kein interessantes Blickziel bot. Zur Induktion der Nahakkommodation wurde eine
Pinzettenspitze unmittelbar (weniger als 0,5 mm) vor das Auge der Schildkröte gehalten.
Durch zwei Kaltlichtquellen war es möglich, die ursprünglich geringe Raumhelligkeit stark zu
erhöhen. Mit der fotoretinoskopischen Anordnung, die auch in den übrigen Experimenten
Verwendung fand, wurden unter den verschiedenen Versuchsbedingungen InfrarotAufnahmen gemacht. Anhand der auf den Videoaufzeichnungen zu erkennenden Fundusreflexe ließ sich qualitativ beurteilen, ob das Auge nah- oder fernakkommodiert war. Einzelbilder, die eindeutig einer der beiden Kategorien zugeordnet werden konnten, wurden gespeichert und zur Ermittlung des Pupillendurchmessers in ein Graphikprogramm (Corel Draw 8,
Corel Corporation) importiert. Um Absolutwerte zu erhalten, wurde der äußere Durchmesser
der Iris als Maßstab genutzt. Er war zuvor mit Hilfe von Makroaufnahmen des Auges mit
eingefügter Millimeterskala bestimmt worden.
2.10 Retrogrades tracing
Für die topographische Untersuchung der Netzhaut wurden die retinalen Ganglienzellen über
retrogrades tracing vom Nervus opticus aus angefärbt. Dazu wurde die Schildkröte mit dem
Inhalationsnarkotikum Forene (Abbott, Wirkstoff Isofluran) tief betäubt und dann dekapitiert.
Unter semi-sterilen Bedingungen wurden die Augen freipräpariert und aus den Orbitae (Augenhöhlen) entnommen. Das rechte Auge wurde für anderweitige Untersuchungen in flüssigem Stickstoff gefroren. Auf den Nervenstumpf des linken Auges wurde mit der Spitze einer
21
Akkommodation bei der Zacken-Erdschildkröte
Glaskapillare Tetramethylrhodamin (Molecular Probes) appliziert. Es handelt sich dabei um
einen fluoreszierenden tracer-Farbstoff, der im Axon durch die Dyneine entlang der Mikrotubuli unidirektional Richtung Zellkörper (retrograd) transportiert wird. Das Präparat wurde
unter Carbogenbegasung 48 Stunden bei 20°C in einem Kulturmedium (Dulbecco’s MEM /
nut mix F-12 HAM, Life Technologies) inkubiert, das mit Antibiotika (4 % Penizillin / Streptomycin, Sigma-Aldrich) und einem Antimykotikum (0,2 % Amphotericin B, Sigma-Aldrich)
versetzt war. Nach einem Tag wurde das Medium gewechselt, um eine ausreichende Nährstoffversorgung und den Schutz vor Bakterien und Pilzen sicherzustellen. Im Anschluss an
die Inkubation wurde der vordere Teil des Auges an der Ora serrata (Grenze zwischen lichtempfindlichem und lichtunempfindlichem Bereich der Retina) abgetrennt und der Glaskörper
entfernt. Der verbliebene Augenbecher wurde über Nacht in 4 % PFA (Paraformaldehyd) in
PBS (Phosphat-gepufferte Salzlösung, 0,1 M, pH 7,4) fixiert und dann mit PBS gespült.
Schließlich wurde die Retina vorsichtig herausgelöst, von den Resten des Nervus opticus
befreit und derart mit vier seitlichen Einschnitten versehen, dass sie sich als Ganzes flach auf
einen Objektträger aufziehen ließ. Das so gewonnene Präparat wurde in PBS eingedeckt und
mit Nagellack versiegelt.
2.11 Ganglienzelldichte
Die mit dem Fluoreszenzfarbstoff Tetramethylrhodamin markierten Ganglienzellen wurden
im retinalen wholemount (Flachpräparat) unter einem konfokalen laser scanning microscope
(LSM 410-invert, Zeiss) ausgezählt. Verwendet wurde ein Helium-Neon-Laser mit einer
Wellenlänge von 543 nm. Das Absorptionsmaximum des Tetramethylrhodamins liegt bei
555 nm, sein Emissionsmaximum bei 580 nm. Ein zwischen Objekt und Detektor geschalteter
Filter, der nur für Wellenlängen über 570 nm durchlässig war, blendete daher das Anregungs-,
nicht aber das Fluoreszenzlicht aus. Für die Auswertung wurde die Ganglienzellschicht in
mehreren Ebenen gescannt. Der Abstand dieser optischen Schnitte war etwas geringer als der
durchschnittliche Durchmesser der Somata. Mit Hilfe eines Makros wurden die bereits registrierten Zellen auf dem Bildschirm per Mausklick gekennzeichnet. So konnten Mehrfachzählungen verhindert werden. Unter Verwendung eines Objektivs mit 63facher Vergrößerung in
Wasserimmersion wurde alle 500 µm ein quadratisches Feld von 135 µm Kantenlänge untersucht. Aus der darin ermittelten Zellzahl wurde auf die lokale Ganglienzelldichte in Zellen
pro mm2 geschlossen.
22
3
Ergebnisse
3.1 Eichung der Fotorefraktion
In den Diagrammen in Abb. 5 sind die Messdaten graphisch dargestellt, die zur Eichung der
verwendeten fotoretinoskopischen Anordnung erhoben wurden. Aufgetragen ist die Steigung
des in der Pupille beobachteten Intensitätsprofils in Abhängigkeit von der Refraktion. Dabei
wurde der Konvention gefolgt, die Refraktion als die Brechkraft anzugeben, die nötig ist, um
die vorhandene Differenz zum Grundzustand (Brechkraft des Auges in der optischen Achse
(on axis) bei entspannter Akkommodationsmuskulatur) zu kompensieren:
Refraktion = (−1) · Abweichung der Brechkraft vom Grundzustand
Entsprechend ergibt sich die Refraktion, die durch eine vorgesetzte Linse verursacht wird, aus:
Refraktion = (−1) · Brechkraft der Vorsatzlinse.
Nicht immer konnten Daten zu allen zur Verfügung stehenden Linsenstärken gesammelt
werden. Grundsätzlich war es bei den größeren Tieren leichter, da sie sich weniger lebhaft
zeigten. Bei den in den Diagrammen aufgetragenen Steigungen des Intensitätsprofils handelt
es sich um Mittelwerte aus mindestens 6, im Schnitt 34 Einzelmessungen. Die Fehlerbalken
geben die Größe der Standardabweichung (SD) an.
Im betrachteten Refraktionsbereich von – 20 (−10 bei Tier Nr. 6) bis + 6 dpt sind die Daten
bei allen untersuchten Schildkröten (Nr. 1, 4, 6, 7, 8, 9, 10) sehr gut an eine Gerade angepasst,
die man durch lineare Regression erhält (Tab. 1). Das Bestimmtheitsmaß (R2) weist Werte
zwischen 0,91 und 0,99 auf. Die Steigung der Geraden schwankt von 0,13 bis 0,21 pro dpt,
der Achsenabschnitt variiert zwischen 0,33 und 1. Bei kleineren Tieren liegen beide Parameter tendenziell höher als bei größeren.
Die Gleichung der Regressionsgeraden liefert die Beziehung, nach der aus der Steigung des
Intensitätsprofils die Refraktion des Auges errechnet werden kann:
x=
( y − c)
m
x = Refraktion in dpt
y = Steigung des Intensitätsprofils
c = Achsenabschnitt der Regressionsgeraden
m = Steigung der Regressionsgeraden in 1/dpt
23
Steigung des Intensitätsprofils
Steigung des Intensitätsprofils
Steigung des Intensitätsprofils
Steigung des Intensitätsprofils
Akkommodation bei der Zacken-Erdschildkröte
24
3
2
y = 0,18 x + 0,36
R2 = 0,999
y = 0,18 x + 0,33
R2 = 0,988
1
0
-1
-2
-3
Tier Nr. 1
Tier Nr. 4
-4
3
2
y = 0,19 x + 0,39
R2 = 0,908
y = 0,20 x + 0,53
R2 = 0,960
1
0
-1
-2
-3
Tier Nr. 6
Tier Nr. 7
-4
3
2
y = 0,13 x + 0,40
R2 = 0,986
y = 0,21 x + 0,88
R2 = 0,985
1
0
-1
-2
-3
Tier Nr. 8
Tier Nr. 9
-4
-25
3
2
1
y = 0,20 x + 1,05
R2 = 0,984
-20
-15
-10
-5
0
5
10
Refraktion (dpt) durch vorgesetzte Linse
Abb. 5: Eichung der Fotorefraktion. Das in
der Pupille sichtbare Helligkeitsprofil wurde
individuell kalibriert, indem Linsen mit bekannter
Brechkraft vor das Auge der Schild-1
kröte gehalten wurden. In den Diagrammen ist
-2
die gemessene Steigung des Intensitätsprofils
gegen die Refraktion aufgetragen. Die Fehler-3
balken geben die SD an. Außerdem ist der
Tier Nr. 10
-4
durch lineare Regression ermittelte Eichgraph
-25
-20
-15
-10
-5
0
5
10 eingezeichnet (Geradengleichung und Bestimmtheitsmaß (R2) jeweils links oben).
Refraktion (dpt) durch vorgesetzte Linse
0
Ergebnisse
Tab. 1: Zusammenstellung der Ergebnisse der Eichung
Tier Nr.
Gleichung der Regressionsgeraden
y=m·x+c
Bestimmtheitsmaß
R2
1
y = 0,18 x + 0,36
0,999
4
y = 0,18 x + 0,33
0,988
6
y = 0,19 x + 0,39
0,908
7
y = 0,20 x + 0,53
0,960
8
y = 0,13 x + 0,40
0,986
9
y = 0,21 x + 0,88
0,985
10
y = 0,20 x + 1,05
0,984
3.2 Akkommodationsbreite und -genauigkeit
Die Infrarotaufnahmen, die während der Versuche zur visuellen Beutefixierung mit der verwendeten fotoretinoskopischen Apparatur gewonnen wurden, zeigen markante Fundusreflexe in den Pupillen
der Tiere (Abb. 6). Um zu überprüfen,
inwieweit die aus dem Helligkeitsgradienten ermittelte Refraktion durch die
manuelle Wahl des Analysefensters
(Siehe Abschnitt 2.5!) schwankte,
wurden einige Sequenzen Bild für Bild
in drei Durchgängen ausgewertet. Die
Standardabweichung der Ergebnisse
(Siehe Fehlerbalken in Abb. 8!) betrug
im Mittel nur 0,3 dpt. Daher wurde im
Weiteren darauf verzichtet, den statistischen Fehler durch die Mehrfachauswertung jeder einzelnen Aufnahme zu
Abb. 6: Fotoretinoskopische Infrarotaufnahme
minimieren. In Abb. 7 A-F sind Auseiner Geoemyda spengleri. Zu sehen ist der aus
schnitte aus analysierten Sequenzen
dem Guckloch gestreckte Kopf von Tier Nr. 7,
unmittelbar nachdem dieses einen in einer Krokovon Tier Nr. 9 zu sehen. Aufgetragen
dilklemme (vorne im Bild) angebotenen Wurm
ist die gemessene Refraktion für beide
erbeutet hat. In den Pupillen erkennt man das für
Augen über der Zeit. Zusätzlich ist die
die Nahakkommodation typische Reflexmuster.
25
Akkommodation bei der Zacken-Erdschildkröte
0
Refraktion (dpt)
B
A
-5
-10
-15
-20
-25
Beuteentfernung: ~24 dpt / ~ 4 cm
-30
0
C
-5
Refraktion (dpt)
Beuteentfernung: ~19 dpt / ~ 5 cm
D
-10
-15
-20
-25
Beuteentfernung: ~16 dpt / ~ 6 cm
-30
0
F
E
-5
Refraktion (dpt)
Beuteentfernung: ~14 dpt / ~7 cm
-10
-15
-20
-25
Beuteentfernung: ~11 dpt / ~ 9 cm
-30
0
0,5
1
Zeit (s)
1,5
Beuteentfernung: ~ 9 dpt / ~12 cm
2 0
0,5
1
1,5
2
Zeit (s)
Abb. 7: Refraktion gemessen in einem Zeitabschnitt von 2 Sekunden bei der Akkommodation
auf 6 verschiedene Beuteentfernungen (A-F). Die abgebildeten Sequenzen stammen von Tier Nr. 9.
Schwarze Punkte: rechtes Auge; weiße Punkte: linkes Auge; durchgezogene Linie: erwartete Refraktion bei idealer Akkommodation auf die präsentierte Beute; gestrichelte Linien: erwartete Refraktion für
die übrigen Beuteentfernungen. Bis auf kurze Fixationspausen akkommodierte das Tier sehr exakt.
26
Ergebnisse
-12
Beuteentfernung: ~24 dpt / ~ 4 cm
Refraktion (dpt)
-14
-16
-18
-20
-22
-24
-26
0
0,5
1
1,5
2
2,5
3
3,5
Zeit (s)
Abb. 8: Fixationspause. Bei geringen Beuteentfernungen (hier: ~24 dpt bzw. ~ 4 cm) kam es immer
wieder zu Abschnitten, in denen auffallend unterakkommodiert wurde (in diesem Fall bis über 10 dpt).
Die abgebildete Sequenz stammt von Tier Nr. 7. Sie wurde dreimal ausgewertet, um die Größe des
statistischen Fehlers abzuschätzen. Aufgetragen ist die mittlere Refraktion mit der jeweiligen Standardabweichung (angegeben durch die Fehlerbalken) gegen die Zeit. Die durchgezogene Linie markiert den Erwartungswert bei exakter Akkommodation auf die Beute.
Entfernung der Beute angegeben und der Wert eingezeichnet, der bei exakter Akkommodation auf den Wurm zu erwarten wäre. Wie man erkennt, stimmt die beobachtete Refraktion in
der Regel gut mit diesen überein. Bei geringen Beuteabständen kam es allerdings hin und
wieder zu Abschnitten, in denen deutlich unterakkommodiert wurde. Ein typischer Fall einer
solchen Fixationspause ist in Abb. 8 dargestellt.
In den Diagrammen in Abb. 9 sind die gemittelten Messwerte aus den untersuchten Sequenzen von drei Tieren (Nr. 6, 7, 9) als Akkommodation in Abhängigkeit von der Beuteentfernung dargestellt (Stimulus-Antwort-Funktion der Akkommodation). Die Auftragung beider
Größen erfolgte in Dioptrien. Unter der Akkommodation wurde die Differenz der Brechkraft
zum Grundzustand (Siehe Abschnitt 3.1!) verstanden. Sie ergab sich folglich durch eine
Multiplikation mit - 1 aus der Refraktion. In jeden Mittelwert gingen mindestens 10, im
Schnitt 70 Messungen ein. Klare Pausen der Beutefixierung wie in Abb. 8 wurden dabei
ausgeklammert. Die erhaltenen Datenpunkte lagen fast genau auf einer Ursprungsgeraden mit
der Steigung m = 1, was bei exakter Akkommodation zu fordern wäre. Für Tier Nr. 4 betrug
die mittlere quadratische Abweichung von der Idealkurve 0,15 dpt2, für Tier Nr. 7 0,04 dpt2
und für Tier Nr. 9 0,05 dpt2. Dies gilt für Beuteentfernungen von 3 cm (∼ 31 dpt) bis 17 cm
(∼ 6 dpt). Für größere Abstände ließen sich keine verlässlichen Werte erheben, da die Schildkröten kaum Interesse an dem Wurm zeigten. Bei geringeren Distanzen erreichte die Akkommodationsamplitude ein positives Maximum, das sich zwischen 34 (Tiere Nr. 7 und 9)
27
Akkommodation bei der Zacken-Erdschildkröte
35
Tier Nr. 4
Tier Nr. 7
Akkommodation (dpt)
30
25
20
15
10
5
s2 = 0,15
0
35
Tier Nr. 9
s2 = 0,04
0
5
15
20
25
30
35
Beuteentfernung (dpt)
30
Akkommodation (dpt)
10
Abb.
25
20
15
10
5
0
0
5
9: Stimulus-Antwort-Funktion
der Akkommodation. Aufgetragen ist die
Akkommodation gegen die Entfernung der
fokussierten Beute, beides in Dioptrien. Es
handelt sich um Mittelwerte aus zahlreichen Messungen (n > 10), wobei deutliche
Fixationspausen nicht in die Berechnung
eingingen. Die Fehlerbalken geben die
Standardabweichung an. Bei exakter Akkommodation müssten alle Datenpunkte
2
s = 0,05
auf einer Geraden mit der Gleichung y = x
(durchgezogene Linie) liegen. Die mittlere
2
10
15
20
25
30
35 quadratische Abweichung (s ) der Ergebnisse von den Idealwerten war in dem
Bereich von 6 bis 31 dpt nur gering.
Beuteentfernung (dpt)
und 35 (Tier Nr. 4) dpt befand. Einzelergebnisse von anderen Individuen lagen noch bis zu
10 dpt höher.
Die in der optischen Achse des Auges (on axis) gemessene Refraktion konnte jedoch nicht
nur myop (kurzsichtig) sondern auch hyperop (weitsichtig) gegenüber dem bei der Eichung
als Grundzustand definierten Brechungsstatus (Refraktion = 0 dpt) werden. Wenn sich den
Tieren kein interessantes Blickziel bot, wurde oft in einem oder beiden Augen eine Weitsichtigkeit von 10, manchmal sogar 20 dpt beobachtet.
Rechnet man die Spannweite dieser negativen Akkommodation zu der der positiven hinzu, so
waren die Schildkröten insgesamt in der Lage, die Refraktion ihres Auges über einen Bereich
von mindestens 55 dpt aktiv zu verändern.
28
Ergebnisse
A
B
C
Abb. 10: Ausrichtung der Augen bei der Beutefixierung. Geoemyda spengleri bewegt die Augen
grundsätzlich unabhängig voneinander. Zum Fokussieren einer Beute werden sie jedoch beide nach
vorne orientiert. Die IR-Bildsequenz zeigt das Tier Nr. 2, dem ein Wurm in einer Krokodilklemme
angeboten wird. Zunächst stehen die Augen weit seitlich (A). Dann entdeckt die Schildkröte die
Nahrung. Sie dreht erst das eine Auge nach vorne, das andere folgt verzögert nach (B). Schließlich
sind beide frontal auf die Beute gerichtet (C).
3.3 Akkommodationsgeschwindigkeit
Zur Ermittlung der Akkommodationsgeschwindigkeit wurde die zeitliche Veränderung des
Brechungszustandes in der optischen Achse (on axis) betrachtet: Kurze, isolierte Sprünge, wie
sie bei den Versuchen zur visuellen Beutefixierung auftraten, ergaben Werte von bis zu
150 dpt/s. Meist lag die Geschwindigkeit aber darunter: In einer Sequenz zum Beispiel, in der
das Auge innerhalb von einer Sekunde kontinuierlich von einer hyperopen zu einer stark
myopen Refraktion wechselte, da ein Objekt in unmittelbarer Nähe aufgetaucht war, betrug
sie im Schnitt 55 dpt/s. Nur 0,16 s lang erreichte sie ein relatives Maximum von 120 dpt/s.
3.4 Kopplung der Akkommodation
Die Zacken-Erdschildkröte bewegt ihre Augen grundsätzlich unabhängig voneinander. Sie
kann gleichzeitig in verschiedene Richtungen blicken. Bei der visuellen Fixierung einer Beute
dreht sie ihre Augen allerdings stets so, dass sie gemeinsam nach vorne orientiert sind
(Abb. 10).
Wie die Analyse der Fundusreflexe in den fotoretinoskopischen Infrarotaufnahmen ergab,
akkommodiert ein Tier, das mit unkonjugierten Augenbewegungen die Umgebung untersucht,
rechts und links getrennt voneinander: Der refraktionsabhängige Helligkeitsgradient in den
Pupillen kann sich stark unterscheiden (Abb. 11 A, C, E). Sind die Augen jedoch frontal auf
einen Wurm ausgerichtet, so akkommodieren sie in der Regel um denselben Betrag (symmetrisch): Ihr Reflexmuster ist gleich, was demnach genauso auf ihre Refraktion zutreffen sollte
(Abb. 11 B, D, F). Die in Abb. 7 dargestellten Messergebnisse zeigen quantitativ, dass dies
29
Akkommodation bei der Zacken-Erdschildkröte
B
A
Tier Nr. 2
Tier Nr. 2
D
C
Tier Nr. 4
Tier Nr. 4
F
E
Tier Nr. 6
Tier Nr. 6
Abb. 11: Symmetrische Akkommodation bei der Beutefixierung. Geoemyda spengleri akkommodiert normalerweise in beiden Augen unabhängig voneinander. Die Refraktion kann sich rechts und
links stark unterscheiden, was die deutlich differierenden Helligkeitsgradienten in den Pupillen in A, C
u. E belegen. Richten die Tiere ihre volle Aufmerksamkeit jedoch auf eine Beute, so stimmt die Refraktion der Augen und damit auch das Reflexmuster in den Pupillen in der Regel überein (B, D, F).
30
Ergebnisse
A
B
C
Abb. 12: Akkommodation nach Ende der Beutefixierung. Die IR-Bildsequenz zeigt Tier Nr. 6,
nachdem der ihm angebotene Wurm von der Klemme gefallen ist. Zunächst ist das Reflexmuster in
den Pupillen noch symmetrisch und typisch für die Nahakkommodation (A). Kurz darauf unterscheidet es sich rechts und links stark: Erst relaxiert das eine Auge, dann folgt das andere (B). Schließlich
sind beide auf die Ferne eingestellt – allerdings nicht auf die gleiche Distanz: Die Pupillen weisen
einen schwachen Helligkeitsgradienten auf, der leicht differiert (C).
der Fall ist. Eine Ausnahme bilden die bereits erwähnten Fixationspausen (Siehe Abschnitt
3.2!): Die währenddessen beobachtete Unterakkommodation tritt oft nur in einem Auge oder
in beiden Augen in verschiedenem Maße auf. Verschwindet das Zielobjekt aus dem Blickfeld,
da es geschnappt wurde (Abb. 6) oder von der Halterung gefallen ist (Abb. 12), wird die
symmetrische Nahakkommodation aus der Fixationsphase zunächst noch beibehalten. Dies
belegen die weiterhin im unteren Bereich übereinstimmend aufleuchtenden Pupillen. Kurz
darauf beginnt die Refraktion der Augen zu differieren, was man aus ihrem unterschiedlichen
Reflexmuster schließen kann. Meist relaxieren sie weder gleichzeitig (Abb. 12 B) noch auf
den gleichen Wert (Abb. 12 C).
3.4.1 Infrarotdurchlässiger Filter
Um zu überprüfen, ob die oben beschriebene symmetrische Akkommodation bei der Beutefixierung auf einer zentralnervösen binokularen Kopplung beruht oder lediglich dadurch zustande kommt, dass beide Augen auf das gleiche Objekt fokussieren, wurde vor einem Auge
ein Infrarotfilter angebracht. Licht aus dem für die Schildkröte sichtbaren Bereich des Spektrums ließ dieser nicht passieren. Das abgedeckte Auge erhielt folglich keine visuelle Information über die Entfernung des angebotenen Wurms. Aus den fotoretinoskopischen Infrarotaufnahmen zu diesem Versuch geht hervor, dass die Akkommodation bis unmittelbar vor dem
Zielen auf die Beute in beiden Augen unabhängig auftritt. Das linke Auge in Abb. 13 A und
C, dessen vorderes Blickfeld durch den Filter versperrt ist, befindet sich im entspannten Zustand. Dagegen ist das rechte auf einen Punkt vor der Kamera (vermutlich bereits auf den
Wurm) fokussiert, was die im unteren Bereich aufleuchtende Pupille erkennen lässt. Kurz
31
Akkommodation bei der Zacken-Erdschildkröte
A
B
C
D
Abb. 13: Symmetrische Akkommodation bei der Beutefixierung trotz monokularer Deprivation. Die abgebildeten Infrarotaufnahmen zeigen Tier Nr. 9 unmittelbar vor (A, C) und beim (B, D)
Zielen auf einen Wurm. Das eine Auge ist mit einem infrarotdurchlässigen Filter abgedeckt. Es erhält
keine sensorische Information über die Beute, da Licht aus dem für die Schildkröte sichtbaren Bereich
des Spektrums den Filter nicht durchdringen kann. Wie man anhand der Helligkeitsgradienten in den
Pupillen erkennt, ist zwar zunächst nur das ungehinderte Auge auf den Wurm fokussiert (A, C), kurz
darauf gilt dies jedoch für beide (B, D). Offensichtlich wurde die Akkommodation des abgedeckten
Auges an die des anderen gekoppelt.
darauf (bei dem Versuch, an die entdeckte Nahrung zu gelangen) zeigt sich in beiden Pupillen
das für die Naheinstellung typische Reflexmuster (Abb. 13 B und D). Die Refraktion der
Augen stimmt demnach zumindest qualitativ überein, obwohl die Beute nur monokular fokussiert werden kann. Offensichtlich wird die Akkommodation des behinderten Auges an die des
anderen gekoppelt. Ein quantitativer Vergleich der Refraktion beider Augen in dieser Situation war aufgrund des Filters nicht direkt möglich. Er setzte die absolute Helligkeit der einzelnen, sich überlagernden Fundusreflexe leicht herab und verringerte so die Steigung des Intensitätsprofils in der bedeckten Pupille.
32
Ergebnisse
3.4.2 Ophthalmische Linsen
Um quantifizierbare Aussagen treffen zu
können und zu überprüfen, ob es auch bei
binokularer Zielinformation zu einer Kopplung der Akkommodation kommt, wurde
vor dem linken Auge der Tiere eine Zerstreuungslinse befestigt (Abb. 14). Abb.
15.1, 15.2 und 16 veranschaulichen die
Ergebnisse des Experiments. Aufgetragen
ist im jeweils oberen Diagramm die gemessene Refraktion der beiden Augen, im unteren ihre Differenz über der Zeit. Abb. 16
zeigt eine Zeitspanne von 4 Sekunden, in
der die untersuchte Schildkröte einen 1 bis 2
Zentimeter weit entfernten Wurm erbeutete.
Anhand des Datenverlaufs lässt sich die
dargestellte Sequenz in drei Abschnitte
unterteilen: Einen ersten, in dem sich die
Refraktion des linken Auges dem bereits
stark im myopen (kurzsichtigen) Bereich
liegenden Wert des rechten annähert; einen
zweiten, in dem die Refraktion der Augen
konstant um 6 dpt differiert, was dem Betrag der Brechkraft der Vorsatzlinse entspricht (im Diagramm zum Vergleich mit
eingezeichnet); und einen dritten, in dem
der Unterschied zwischen ihnen wieder
steigt, wobei sich letztlich beide Augen von
myopen in Richtung hyperoper Werte bewegen. Die in Abb. 15.1 und 15.2 dargestellten Sequenzausschnitte geben typische
Beispiele für Messergebnisse aus der mittleren der beschriebenen Phasen. Dabei wurden zwei verschiedene Individuen, Beuteentfernungen und Linsenstärken berücksichtigt. Links neben den Diagrammen ist jeweils ein Wert markiert: Oben die Refraktion, die sich bei exakter Beutefokussierung
A
B
C
D
Abb. 14: Beutefixierung mit Monokel. Die
IR-Bildsequenz A-D zeigt das Tier Nr. 9 beim
Zielen auf einen Wurm. Vor seinem linken
Auge ist eine Linse mit - 6 dpt angebracht.
33
Akkommodation bei der Zacken-Erdschildkröte
Refraktion (dpt)
A
Tier Nr. 9, Beuteentfernung: ~24 dpt / ~ 4 cm, Linsenstärke: - 6 dpt
0
Linkes Auge (- 6 dpt)
Rechtes Auge
-10
-20
-30
Differenz (dpt)
-40
24
Linkes Auge - Rechtes Auge
20
16
12
8
4
0
0
Refraktion (dpt)
B
1
2
3
Tier Nr. 10, Beuteentfernung: ~24 dpt / ~ 4 cm, Linsenstärke: - 6 dpt
0
Linkes Auge (- 6 dpt)
Rechtes Auge
-10
-20
-30
Differenz (dpt)
-40
24
Linkes Auge - Rechtes Auge
20
16
12
8
4
0
0
Erwartungswert
1
2
3
4
Zeit (s)
Abb. 15.1: Kopplung der Akkommodation während der Beutefixierung. Gezeigt sind Daten von
zwei verschiedenen Individuen, die eine Zerstreuungslinse mit - 6 dpt vor dem linken Auge trugen und
auf einen Wurm in einer Entfernung von ca. 4 cm (24 dpt) blickten (Auftragung wie in Abb. 16).
Links ist jeweils der Wert markiert, der bei exakter Beutefixierung (oben) und Kopplung der Akkommodation (unten) zu erwarten ist. In der Regel differiert die Refraktion der Augen etwa um den Betrag
der Linsenstärke. Ein Auge akkommodiert korrekt auf die Beute. Das andere richtet sich nach diesem,
anstatt selbst auf den Wurm zu fokussieren und die Brechung der Vorsatzlinse zu kompensieren. In A
ist das Referenzauge das rechte, in B wechselt es vom linken zum rechten und wieder zurück.
34
Ergebnisse
Refraktion (dpt)
C
Tier Nr. 9, Beuteentfernung: ~24 dpt / ~ 4 cm, Linsenstärke: - 9 dpt
0
Linkes Auge (- 9 dpt)
Rechtes Auge
-10
-20
-30
Differenz (dpt)
-40
24
Linkes Auge - Rechtes Auge
20
16
12
8
4
0
0
Refraktion (dpt)
D
1
2
3
4
Tier Nr. 9, Beuteentfernung: ~16 dpt / ~ 6 cm, Linsenstärke: - 6 dpt
0
-10
-20
Linkes Auge (- 6 dpt)
Rechtes Auge
-30
Differenz (dpt)
-40
24
Linkes Auge - Rechtes Auge
20
16
12
8
4
0
0
Erwartungswert
1
2
3
4
Zeit (s)
Abb. 15.2: Kopplung der Akkommodation während der Beutefixierung. Für die abgebildeten
Daten gilt generell die gleiche Beschreibung wie zu Abb. 15.1 A. Allerdings wurde in C die Linsenstärke auf - 9 dpt und in D die Beuteentfernung auf ca. 6 cm (16 dpt) geändert. Während in C die
Refraktion des Referenzauges mit der in A übereinstimmt, beträgt die Differenz der Augen rund 9 dpt.
In D bleibt diese genauso wie in A, der Wert des Referenzauges liegt jedoch bei -16 dpt. Beim Wechsel des fixierenden Auges kommt es in C zu unabhängiger Akkommodation. In D treten nach mehrmaliger Änderung des Abhängigkeitsverhältnisses Abschnitte auf, in denen sich die Refraktion genau um
den zweifachen Betrag der Linsenstärke unterscheidet. Dies ist auch in Abb. 15.1 B zu sehen.
35
Akkommodation bei der Zacken-Erdschildkröte
20
Linkes Auge (- 6 dpt)
Rechtes Auge
Refraktion (dpt)
10
0
Augen beim Zuschnappen
geschlossen
-10
-20
-30
Differenz (dpt)
-40
-50
50
40
30
20
10
0
Linkes Auge - Rechtes Auge
| Linsenstärke |
0
1
2
3
4
Zeit (s)
Abb. 16: Wechsel von unabhängiger zu gekoppelter Akkommodation in Zusammenhang mit
einem Beutegriff. Die Daten stammen von Tier Nr. 6, vor dessen linkem Auge eine Zersteuungslinse
mit - 6 dpt angebracht war. Es schnappte nach einem Wurm, der sich in 1-2 cm Entfernung befand.
Aufgetragen ist im oberen Diagramm die Refraktion der zwei Augen, im unteren ihre Differenz gegen
die Zeit. Die gestrichelte Linie gibt zum Vergleich den Betrag der Linsenbrechkraft an. Zunächst
erfolgt die Akkommodation in beiden Augen unabhängig voneinander. Rund eine Sekunde vor dem
Zubeißen wird sie jedoch gekoppelt: Der gemessene Refraktionsunterschied ist konstant und beträgt in
etwa 6 dpt. Auch nach dem Beutegriff hält dieser Zustand noch geraume Zeit an.
einstellen sollte (= negative Beuteentfernung), unten die Differenz, die im Falle gekoppelter
Akkommodation auftreten müsste (= Betrag der Linsenstärke). Wie man sieht, ist die ermittelte Refraktion des rechten Auges in der Regel genau um den Betrag der Linsenstärke negativer
als die des linken. Die Augen akkommodieren folglich gleich stark. Da die vorgesetzte Zerstreuungslinse die Myopie links vermindert, kann ein Zielobjekt nicht gleichzeitig auf beiden
Retinae scharf abgebildet werden. Um dies zu erreichen, müsste das linke Auge die Brechung
der Vorsatzlinse durch Überakkommodation kompensieren. In der Messung würde die Refraktion dann auf beiden Seiten übereinstimmen. Tatsächlich aber fokussiert nur ein Auge
korrekt auf den Wurm. Sein Wert entspricht der negativen Beuteentfernung. Das andere
richtet sich nach dem ersten, anstatt seine Brechkraft selbst auf das Ziel einzustellen. In ihm
wird die Beute nicht scharf auf der Netzhaut abgebildet. Zu beobachten ist also ein Abhängigkeitsverhältnis, in dem die Akkommodation des einen Auges an die des anderen gekoppelt
wird. Dabei dient das mit der Zerstreuungslinse versehene Auge genauso häufig als Referenz
wie das unbedeckte, obwohl dies einen größeren Akkommodationsaufwand erfordert und die
36
Ergebnisse
Tiere sich durch das Monokel anfangs gestört gezeigt hatten. Oft wechselt das bestimmende
Auge mitten in einer Sequenz (Abb. 15.1 B, Abb. 15.2 C u. D). Nach solchen Änderungen im
Abhängigkeitsverhältnis treten gelegentlich Abschnitte auf, in denen sich die Refraktion der
Augen genau um den doppelten Betrag der Linsenbrechkraft unterscheidet (Abb. 15.1 B, Abb.
15.2 D): Jedes nimmt den Wert an, den es in seiner untergeordneten Position innehatte. Fokussiert das rechte Auge auf den Wurm, so ist die gemessene Refraktion des linken bei gleicher Akkommodation wegen der vorgesetzten Zerstreuungslinse um den Betrag der Linsenstärke weniger negativ. Wenn sich hingegen das linke korrekt auf den Wurm einstellt, muss es
die Brechung der Vorsatzlinse kompensieren. Die damit verbundene Überakkommodation
betrifft aufgrund der Kopplung ebenfalls das rechte, unbedeckte Auge. Dessen Refraktion ist
in der Messung also um den Betrag der Linsenbrechkraft negativer. In der oben erwähnten
Situation bietet sich nun folgendes Bild: Das linke Auge ist genau um den Betrag der Linsenbrechkraft weniger und das rechte in gleichem Ausmaß stärker myop als der Wert, der der
negativen Beuteentfernung entspricht. Der Wurm wird dabei in keinem von ihnen scharf auf
der Netzhaut abgebildet. Um den Wechsel des Referenzauges herum kann es auch zu vollständig unabhängiger Akkommodation kommen, was die deutlich variierenden Differenzwerte in Abb. 15.2 C belegen. Meist läuft jedoch das in Abb. 16 zu erkennende Schema ab: Zu
Beginn einer potentiellen Fangsequenz akkommodiert jedes Auge zwar noch eigenständig.
Wenn eines bereits die Beute fixiert und das andere verzögert folgt, wie hier, ist das besonders klar zu sehen. Beim binokularen Zielen auf den Wurm wird die Akkommodation aber
gekoppelt. Erfolgt ein Beutegriff, hält dieser Zustand in der Regel bis kurz danach an. Die
Relaxation findet schließlich wieder in beiden Augen unabhängig voneinander statt.
3.5 Variation des Refraktionsstatus innerhalb des
visuellen Feldes und Astigmatismus
Die Untersuchung der Refraktion des Auges abseits von der optischen Achse (off axis) brachte für den horizontalen und den vertikalen Meridian des visuellen Feldes unterschiedliche
Resultate. In den Diagrammen in Abb. 17 ist dies anhand der Daten von drei Tieren veranschaulicht. Die dargestellten Ergebnisse wurden gewonnen, indem mit der Kamera zehnmal
der horizontale bzw. vertikale Kreisbogen um das Auge der Schildkröte abgefahren wurde1.
Mehrfachmessungen (n = 23) aus einem Durchgang wurden für die einzelnen Winkel gemittelt und aus den so erhaltenen Werten aller Kameraschwenks wiederum Durchschnittsrefraktionen errechnet. Diese sind gegen die Abweichung vom Zentrum der Pupille in Grad aufgetragen. Divergenzwinkel von der optischen Achse in nasaler und ventraler Richtung wurden
1
Bei Tier Nr. 1 wurden in vertikaler Richtung lediglich sieben Kameraschwenks durchgeführt.
37
Akkommodation bei der Zacken-Erdschildkröte
Refraktion (dpt)
30
Tier Nr. 1
10
0
25
Nasales Feld
Tier Nr. 6
Temporales Feld
Ventrales Feld
Optische
Achse
Dorsales Feld
Optische
Achse
15
5
-5
-15
55
Temporales Feld
Nasales Feld
Tier Nr. 8
Ventrales Feld
Dorsales Feld
Optische
Achse
Optische
Achse
45
Refraktion (dpt)
Optische
Achse
20
-10
Refraktion (dpt)
Optische
Achse
35
25
15
5
-5
Nasales Feld
-15
-30
-20
-10
Temporales Feld
0
10
20
Ventrales Feld
30 -30
Divergenzwinkel (deg)
-20
-10
Dorsales Feld
0
10
20
30
Divergenzwinkel (deg)
Abb. 17: Variation des Refraktionsstatus innerhalb des visuellen Feldes. Aufgetragen ist die
mittlere Refraktion (n = 10) 2 gemessen im vertikalen Augenmeridian gegen den Divergenzwinkel von
der optischen Achse des Auges in horizontaler (links) und vertikaler (rechts) Richtung. Während sich
der Durchschnittswert bei horizontalen Abweichungen innerhalb von ± 30° nicht ändert, nimmt er bei
vertikalen in der gleichen Spanne von ventral nach dorsal um 35 bis 59 dpt zu. Der Standardfehler,
angegeben als Fehlerbalken, variiert kaum. Man beachte die unterschiedliche Skalierung der Ordinate!
2
n = 7 für Divergenzwinkel in vertikaler Richtung bei Tier Nr. 1
Ergebnisse
mit einem negativen Vorzeichen versehen, solche in temporaler und dorsaler Richtung mit
einem positiven. Die eingezeichneten Fehlerbalken geben die Größe des Standardfehlers (SE)
an. Wie man anhand der drei linken Diagramme erkennt, verändert sich entlang der Horizontalen innerhalb von ± 30° weder der Mittelwert noch der Standardfehler der gemessenen
Refraktion gegenüber der Situation in der optischen Achse. Interessanterweise liegen die
Ergebnisse bei allen Tieren zwischen + 5 und + 15 dpt und damit im hyperopen (weitsichtigen)
Bereich. Entlang der Vertikalen (rechte Diagramme) bleibt der Standardfehler in der oben
genannten Winkelspanne ebenfalls fast gleich, die Refraktion nimmt jedoch von ventral nach
dorsal kontinuierlich von myopen (kurzsichtigen) zu hyperopen (weitsichtigen) Werten zu.
Der maximale Unterschied zwischen unten und oben ist bei jedem der drei untersuchten
Individuen beachtlich, er variiert aber unter ihnen stark. Bei Tier Nr. 1 beträgt er 40, bei Tier
Nr. 6 35 und bei Tier Nr. 8 59 dpt.
Bisher wurde die Refraktion stets im vertikalen Augenmeridian gemessen. Um zu klären, ob
und inwieweit die beobachtete Änderung des Brechungszustandes entlang dem vertikalen
Meridian des visuellen Feldes auf einem Astigmatismus beruht, wurde die Refraktion zusätzlich im horizontalen Augenmeridian bestimmt3. Bei der Zusammenfassung der Daten (bis zu
27 Werte pro Winkel und Durchgang aus insgesamt 10 Kameraschwenks) wurde genauso
vorgegangen wie es für die entsprechenden Messungen im vertikalen Augenmeridian beschrieben ist (Siehe oben!). Abb. 18 zeigt die rechten Diagramme aus Abb. 17, die um die
derart erhaltenen Ergebnisse erweitert wurden. Außerdem ist das arithmetische Mittel der in
den beiden Augenmeridianen festgestellten Werte eingetragen. Wie man erkennt, stimmt die
Refraktion im dorsalen Bereich weitgehend überein (Tier Nr. 6 und Nr. 8) oder verläuft lediglich parallel verschoben (Tier Nr. 1). Dabei ist anzumerken, dass für den vertikalen Augenmeridian bei Tier Nr. 1 weniger Messungen zur Verfügung standen als in den übrigen Auswertungen. Momentane Tonusschwankungen könnten sich hier stärker niedergeschlagen haben
als sonst. Ventral nimmt die Refraktion von der optischen Achse zur Peripherie hin im horizontalen Augenmeridian nur wenig ab, im vertikalen setzt sich dagegen ihr deutlicher Abfall
aus dem dorsalen Feld fort. Infolgedessen entsteht ein immer größer werdender Astigmatis-
3
Die Ausdrücke „horizontaler Meridian“ und „vertikaler Meridian“ werden in zwei verschiedenen Zusammenhängen gebraucht. Wenn man das Auge als eine Hohlkugel betrachtet, bezeichnen sie zunächst einmal die
horizontale bzw. vertikale Kreisbahn auf dieser Kugel, die durch das Pupillenzentrum verläuft.
In Bezug auf die Messung der Refraktion benutzt man die beiden Begriffe, um zu beschreiben, in welchem
Augenmeridian der Helligkeitsgradient in der Pupille erzeugt und ausgewertet wird. Zur Ermittlung der Refraktion im vertikalen Augenmeridian wird die Blende mit den Infrarot-Leuchtdioden vor den unteren Bereich der
Kameraöffnung gesetzt. Dadurch entsteht ein vertikales Intensitätsprofil in der Pupille. Ist die Abdeckung
dagegen seitlich vor der Kameraapertur angebracht, so wird ein horizontaler Helligkeitsgradient erzeugt. Er
erlaubt eine Bestimmung der Refraktion des Auges im horizontalen Meridian.
Hinsichtlich des visuellen Feldes beziehen sich die Begriffe auf die zwei Ebenen im Raum, die auf den horizontalen und den vertikalen Meridian des Auges abgebildet werden. Um die Refraktion des Auges für Punkte im
vertikalen oder horizontalen Meridian zu ermitteln, wird die Kamera auf einem vertikalen bzw. horizontalen
Kreisbogen um das Augenzentrum geschwenkt.
39
Akkommodation bei der Zacken-Erdschildkröte
Refraktion (dpt)
20
Vertikaler Meridian
Horizontaler Meridian
Arithmetisches Mittel
10
0
Ventrales Feld
-10
15
Vertikaler Meridian
Horizontaler Meridian
Arithmetisches Mittel
5
-5
Ventrales Feld
-15
55
Dorsales Feld
Optische
Achse
Tier Nr. 8
45
Refraktion (dpt)
Dorsales Feld
Optische
Achse
Tier Nr. 6
25
Refraktion (dpt)
Optische
Achse
Tier Nr. 1
30
35
25
Vertikaler Meridian
Horizontaler Meridian
Arithmetisches Mittel
15
5
-5
Ventrales Feld
-15
-30
-20
Dorsales Feld
-10
0
10
20
30
Divergenzwinkel (deg)
Abb. 18: Astigmatismus im ventralen Bereich des visuellen Feldes. In den Diagrammen ist die
Refraktion gegen den Divergenzwinkel von der optischen Achse in vertikaler Richtung aufgetragen.
Angegeben ist jeweils ein Durchschnittswert (± SE, n = 10) 4 gemessen im vertikalen ( ) und horizontalen ( ) Augenmeridian (Vgl. Abb. 19!) sowie deren arithmetisches Mittel ( ). Während die Refraktion im dorsalen Bereich weitgehend übereinstimmt, nimmt sie im ventralen für den vertikalen Meridian
zunehmend geringere Werte an als für den horizontalen. Das arithmetische Mittel ändert sich innerhalb
von ± 30° um maximal 28 bis 48 dpt. Man beachte die unterschiedliche Skalierung der Ordinate!
4
n = 7 für den vertikalen Meridian bei Tier Nr. 1
Ergebnisse
mus: Der Brechungsunterschied zwischen den zwei Meridianen steigt. Bei -28 Grad erreicht
er etwa 14 (Tier Nr.1), 12 (Tier Nr. 6) bzw. 21 dpt (Tier Nr. 8). Die Stärke des Astigmatismus
variiert individuell beachtlich. Wie oben beschrieben, gilt dies auch für die Gesamtänderung
der im vertikalen Augenmeridian gemessenen Refraktion. Bildet man jedoch den Quotienten
aus beiden Werten, so erhält man bei allen Tieren nahezu das gleiche Ergebnis: Der größte
festgestellte Refraktionsunterschied der beiden Augenmeridiane beträgt 34 (Tier Nr. 6) bis 35
(Tier Nr. 1 und Nr. 8) Prozent der maximal beobachteten Refraktionsdifferenz im vertikalen
Augenmeridian. Infolge des beschriebenen Astigmatismus ändert sich das arithmetische
Mittel aus der Refraktion in beiden Meridianen innerhalb der untersuchten Winkelspanne
weniger als die nur im vertikalen Meridian gemessene Refraktion. Trotzdem ist von ventral
nach dorsal noch ein Anstieg um bis zu 29 (Tier Nr. 1), 28 (Tier Nr. 6) bzw. 48 dpt (Tier Nr. 8)
zu verzeichnen.
3.6 Fundusgeometrie
Die Refraktion ergibt sich aus der Beziehung des Gesamtbrechungszustandes aller optischen
Medien zur Achsenlänge des Auges. Ihre Veränderung kann demnach auf einem Wechsel in
der Brechkraft der Augenoptik oder einer Verringerung bzw. Erhöhung der Augenlänge
beruhen. Ermittelt man die Refraktion entlang dem vertikalen Meridian des visuellen Feldes
mit Hilfe mehrerer Kameraschwenks, so ist die Streuung der Werte für bestimmte Divergenzwinkel im dorsalen Bereich auffallend erhöht (Abb. 19). Dies tritt bei Messungen im
vertikalen (linkes Diagramm) ebenso wie im horizontalen Augenmeridian (rechtes Diagramm)
auf. In beiden Fällen wurde bei einigen Kameraschwenks die in der ventralen Retina liegende
Aushöhlung der Sehnervenpapille (Discus nervi optici; Vergleiche 3.9!) abgetastet (weiße
Punkte in den Diagrammen), während sie bei anderen, leicht seitlich versetzten nicht erfasst
wurde (schwarze Punkte in den Diagrammen). Die durch die Vertiefung im Fundus am blinden Fleck verursachten Refraktionsänderungen überlagern den sonst zu beobachtenden Refraktionsverlauf im dorsalen Bereich des visuellen Feldes. In Abschnitt 3.5 interessierte lediglich letzterer, so dass für die Auswertungen dort ausschließlich Messdurchgänge gewählt
wurden, bei denen die Austrittsstelle der Nervenfasern aus dem Bulbus nicht gestreift wurde.
3.7 Pupillenreaktionen
Während sich alle bisherigen Abschnitte der Refraktion des Auges widmeten, soll nun näher
auf die Pupille eingegangen werden. Um festzustellen, ob sie sich mit der Lichtintensität oder
mit der Entfernung eines fixierten Punktes ändert, wurde ihre Größe anhand von Videoaufzeichnungen unter hoher und geringer Umgebungshelligkeit jeweils bei Fern- und bei maximaler Nahakkommodation bestimmt.
41
Akkommodation bei der Zacken-Erdschildkröte
Refraktion (dpt)
30
Tier Nr. 10
Tier Nr. 6
Optische
Achse
Optische
Achse
20
10
0
-10
Ventrales Feld
-20
-30
-20
-10
Dorsales Feld
0
10
Divergenzwinkel (deg)
20
Ventrales Feld
30 -30
-20
-10
Dorsales Feld
0
10
20
30
Divergenzwinkel (deg)
Abb. 19: Rekonstruktion der Fundusgeometrie. Aufgetragen ist die Refraktion gemessen im
vertikalen (rechts) bzw. horizontalen (links) Meridian gegen den Divergenzwinkel von der optischen
Achse in vertikaler Richtung. Senkrechte schwarze Linien: Spannweite der Werte aus 12 Kameraschwenks. Schwarze, weiße Punkte: Ergebnisse zweier Durchgänge. Im dorsalen Bereich des visuellen
Feldes ist die Spannweite für bestimmte Winkel deutlich erhöht. Dort wurde bei einigen Kameraschwenks die in der ventralen Retina befindliche Aushöhlung der Sehnervenpapille abgetastet (weiße
Punkte), während sie bei anderen, leicht seitlich versetzten nicht gestreift wurde (schwarze Punkte). In
die Abb. 17 und 18 gingen nur die Werte aus den letztgenannten Durchgängen ein.
Abb. 20 A zeigt beispielhaft Infrarotaufnahmen vom Auge einer Schildkröte unter den vier
Versuchsbedingungen. Die Ergebnisse des Experiments sind darunter (Abb. 20 B) graphisch
zusammengefasst. Aufgetragen ist der Durchmesser der Pupille, gemittelt aus den Werten von
sieben Tieren. Die individuelle Pupillengröße in der jeweiligen Situation wurde zuvor als
Durchschnitt dreier Messungen berechnet (Daten nicht gezeigt). Dabei ließen sich weder für
eine bestimmte Schildkröte noch unter einer speziellen Bedingung besonders große Schwankungen feststellen (individuelle SD bei 0,05 ± 0,036 mm). Auch die interindividuellen Unterschiede waren gering, wie man anhand der im Diagramm durch die Fehlerbalken angegebenen Standardabweichungen für die Mittelwerte der einzelnen Tiere erkennen kann (SD zwischen 0,04 und 0,08 mm). Eine einfaktorielle Varianzanalyse (Anova) ergab einen hochsignifikanten Einfluss der Versuchsverhältnisse (Lichtintensität, Fixationspunkt) auf den Pupillendurchmesser (F(3, 24) = 341, p < 0,001). Im post-hoc-Test (paarweise durchgeführte t-Tests
mit Bonferroni-Adaptation) zeigte sich, dass die Pupillengröße bei der Nahakkommodation
für geringe und hohe Umgebungshelligkeit nicht signifikant differierte, ansonsten aber in
42
Ergebnisse
Abb. 20: Einflüsse auf die Pupil-
A
B
n.s.
Durchmesser der Pupille (mm)
***
***
3
***
2,5
2
1,5
1
0,5
0
niedrig, fern niedrig, nah
hoch, fern
hoch, nah
Lichtintensität, Fixationspunkt
lengröße. Die Infrarotaufnahmen in
A zeigen die Pupille von Tier Nr. 1
unter den vier unten genannten
Versuchsbedingungen. Im Balkendiagramm in B ist jeweils der
Pupillendurchmesser gemittelt aus
den Werten von sieben Individuen
angegeben. Die Fehlerbalken bezeichnen die Standardabweichung.
Während die Erhöhung der Lichtintensität bei maximaler Nahakkommodation keinen nachweisbaren
Einfluss besaß (n.s.), führte dies bei
Fernakkommodation
zu
einer
hochsignifikanten ( *** ) Verringerung des Pupillendurchmessers.
Durch die starke Annäherung des
Fixationspunktes kam es sowohl
bei niedriger als auch bei hoher
Lichtintensität zu einer hochsignifikanten ( *** ) Verkleinerung der
Pupille (Anova, multiple t-Tests
mit Bonferroni-Adaptation).
allen Situationen hochsignifikant voneinander verschieden war (Zu den Irrtumswahrscheinlichkeiten (p) siehe Tab. 2!).
Tab. 2: Auflistung der erhaltenen Irrtumswahrscheinlichkeiten (p) für den paarweisen Vergleich der Versuchssituationen im post-hoc-Test.
Lichtintensität,
Fixationspunkt
niedrig, fern
niedrig, nah
hoch, fern
hoch, nah
niedrig, fern
---------
Siehe unten!
Siehe unten!
Siehe unten!
niedrig, nah
< 0,001
---------
Siehe unten!
Siehe unten!
hoch, fern
< 0,001
< 0,001
---------
Siehe unten!
hoch, nah
< 0,001
> 0,9 (n.s.)
< 0,001
---------
43
Akkommodation bei der Zacken-Erdschildkröte
Unter Berücksichtigung der Lage der in Abb. 20 aufgetragenen Mittelwerte zueinander lassen
sich die oben genannten Ergebnisse folgendermaßen präzisieren:
Zwischen dem Refraktionsstatus und der Pupillengröße bestand eine deutliche Abhängigkeit,
wobei der Pupillendurchmesser bei der Nahakkommodation mit 1,71 ± 0,062 mm (niedrige
Lichtintensität) bzw. 1,70 ± 0,043 mm (hohe Lichtintensität) grundsätzlich unter den bei
entspannter Akkommodation beobachteten Werten (2,53 ± 0,081 mm bei niedriger und
2,28 ± 0,044 mm bei hoher Lichtintensität) lag (Nahreaktion).
Wenn das Tier in die Ferne schaute, wirkte sich auch die Umgebungshelligkeit aus: Die im
Versuch vorgenommene Erhöhung der Beleuchtungsstärke führte zu einer Verringerung der
Pupillengröße um durchschnittlich 0,25 mm (Lichtreaktion). Wurde ein Punkt unmittelbar vor
dem Auge fixiert, besaß die Lichtintensität keinen nachweisbaren Einfluss mehr: Mit
1,70 ± 0,043 mm bei hoher und 1,71 ± 0,062 mm bei niedriger Beleuchtungsstärke blieb der
ermittelte Pupillendurchmesser im Grunde gleich.
3.8 Binokulare Unabhängigkeit der Pupillennahreaktion
Wie im vorangegangenen Abschnitt beschrieben, konnten bei Geoemyda spengleri zwei
Pupillarreflexe, die Nah- und die Lichtreaktion, festgestellt werden. Von diesen beiden wurde
die Nahreaktion (Pupillenverengung bei Nahakkommodation) genauer auf ihr binokulares
Verhältnis hin betrachtet. Frontalaufnahmen der Tiere aus den Versuchen zur visuellen Beutefixierung zeigten, dass die Pupillenkonstriktion bei gleicher Refraktion in den Augen einheitlich war und bei unterschiedlicher verschieden stark ausfiel.
In Abb. 21 ist dies anhand einiger Beispiele demonstriert. Dargestellt sind Ausschnitte aus
den mit der fotoretinoskopischen Apparatur gewonnenen Infrarotbildern, auf denen die Augenpartie der Schildkröten zu sehen ist. Darunter ist durch einen Balken jeweils die doppelte
Pupillengröße angegeben. Gemessen wurde vom oberen bis zum unteren Rand durch das
Zentrum der auf dem Foto als Ellipse erscheinenden Pupille. Die Bilder in den beiden ersten
Reihen geben die typischen Verhältnisse bei einer motivierten Schildkröte wieder: Zunächst
fokussiert ein Auge auf den angebotenen Wurm, während das zweite noch fernakkommodiert
ist (A, C). Dabei weist die Pupille im auf die Beute blickenden Auge (jeweils das vom Tier
aus gesehen linke) einen merklich geringeren Durchmesser auf als im anderen. Wenig später
fixieren beide Augen die Nahrung (B, D) und die Pupillen sind etwa in gleichem Umfang
konstringiert. Die Aufnahmen in der dritten Reihe in Abb. 21 stammen aus einer Situation, in
der die Schildkröte kein Interesse an dem ihr präsentierten Wurm besaß (Kopf eingezogen).
Sie akkommodiert mit dem rechten Auge leicht, mit dem linken stark (E). Offensichtlich
betrachtet sie mit letzterem den Rand des Gucklochs. Die Pupille auf dieser Seite wird so sehr
verengt, dass die Helligkeit des gesamten Fundusreflexes wegen der geringen eintretenden
Lichtmenge schwächer ausfällt als im anderen, weniger myopen Auge, dessen Pupille bedeu44
Ergebnisse
A
B
Tier Nr. 6
D
Tier Nr. 8
Tier Nr. 6
C
Tier Nr. 8
E
F
Tier Nr. 8
Tier Nr. 8
Abb. 21: Asymmetrische Pupillenreaktion bei asymmetrischer Akkommodation. Abgebildet sind
Infrarotaufnahmen von der Augenpartie der Schildkröten. Darunter ist der Durchmesser der Pupillen
anhand von Balken in zweifacher Vergrößerung dargestellt. Die horizontalen Linien dienen dem
binokularen Vergleich. Differiert die Refraktion rechts und links deutlich wie in A, C oder E, so
unterscheidet sich der Pupillendurchmesser erkennbar. Akkommodieren (B, D) oder relaxieren (F)
beide Augen anschließend auf den gleichen Wert, stimmt auch die Pupillengröße wieder überein.
45
Akkommodation bei der Zacken-Erdschildkröte
tend größer ist. Trotzdem bleibt der Intensitätsgradient links noch höher als rechts. Anschließend relaxieren beide Augen (F) und die Pupillen weiten sich auf ungefähr den gleichen
Durchmesser.
Die Beispiele belegen, dass bei Geoemyda spengleri neben der Akkommodation auch die
damit verbundene Pupillennahreaktion binokular unabhängig erfolgen kann. Ob die Kopplung
der Akkommodation bei der visuellen Beutefixierung (wie in B und D aber nicht in F) mit
einer Kopplung des Pupillarreflexes einhergeht oder dieser lediglich infolge der rechts und
links übereinstimmenden Refraktion gleich stark ausfällt, ist anhand der vorliegenden Daten
nicht zu unterscheiden.
3.9 Topographie der Retina
Dorsal
Temporal
Nasal
Ventral
1 mm
Ganglienzellen
pro mm2
0- 749
750-1499
1500-2249
2250-2999
3000-3749
3750-4499
Abb. 22: Ganglienzellverteilung in der Retina einer Geoemyda spengleri (linkes Auge). Auf der
Skizze der ausgebreiteten Netzhaut ist in Abständen von 500 µm die jeweils ermittelte Ganglienzelldichte (Zellen pro mm2) aufgetragen. Das Schema ist so orientiert, dass sich ventral unten und temporal rechts befindet. Oberhalb des Discus nervi optici (eingeschlossene weiße Fläche) erkennt man als
wesentliches Strukturmerkmal einen visual streak, eine von nasal nach temporal ziehende Region
hoher Zelldichte. Der maximale Wert, rund 4200 Zellen pro mm2, wurde etwa im Zentrum dieses
Streifens registriert.
46
Ergebnisse
Dieser letzte Abschnitt des Ergebnisteils stellt die topographische Anatomie der Retina einer
Zacken-Erdschildkröte vor. Unter dem Binokular konnte in der in situ in der hinteren Augenhälfte befindlichen Netzhaut keine Fovea entdeckt werden. Die anhand des Flachpräparats
erstellte Karte der retinalen Ganglienzellverteilung (Abb. 22) ergab eine lang gestreckte, von
nasal nach temporal ziehende Region hoher Zelldichte: einen sogenannten visual streak. Er
befand sich oberhalb des Discus nervi optici etwa in Höhe des horizontalen Meridians des
Auges. Die maximale Ganglienzelldichte, rund 4200 Zellen pro mm2, wurde im Zentrum des
Strichs, am Schnittpunkt der dorsoventralen mit der nasotemporalen Achse, ermittelt. In der
Zellverteilung um diese Stelle herum ließ sich sowohl eine horizontale als auch eine vertikale
Asymmetrie erkennen. Während die Zelldichte nasal fast genauso hoch blieb wie im Zentrum,
wies sie temporal etwas niedrigere Werte auf. Ein deutlicher Rückgang war beide Male erst
im Randbereich zu verzeichnen. Ventral verminderte sich die Zelldichte recht abrupt direkt
unterhalb des horizontalen Meridians. In der oberen Hälfte der Retina, insbesondere im nasodorsalen Quadranten, nahm sie dagegen in Richtung Peripherie nur langsam ab.
47
Akkommodation bei der Zacken-Erdschildkröte
48
4
Diskussion
4.1 Small-eye artefact
Mit Hilfe fotoretinoskopischer Messungen lassen sich Aussagen darüber treffen, wie sich der
Brechungszustand eines Auges verändert. Die tatsächliche Brechkraft kann aber nur beurteilt
werden, wenn Daten zu den Eigenschaften der dioptrischen Elemente des Auges vorliegen.
Trotzdem ist es unter ausschließlicher Verwendung der Fotoretinoskopie möglich, Fehlsichtigkeit festzustellen.
In die Eichung der verwendeten Apparatur floss die Annahme ein, dass Geoemyda spengleri
emmetrop (normalsichtig) ist. Angesichts der Tatsache, dass es sich um Wildtiere handelt, die
stark auf ihren visuellen Sinn angewiesen sind, dürfte diese Hypothese durchaus gerechtfertigt
sein. Individuen mit großen Sehfehlern hätten in der Natur wohl kaum eine Überlebenschance
gehabt. Wenn Achsenlänge und Brechkraft des Schildkrötenauges im richtigen Verhältnis
zueinander stehen, sollten aus dem Unendlichen parallel einfallende Strahlen bei entspannter
Akkommodation in einem auf der Netzhaut liegenden Brennpunkt vereinigt werden. Dem in
dieser Situation in der Pupille erscheinenden Helligkeitsgradienten wird daher die Refraktion
Null zugeordnet. Wie man anhand des Achsenabschnitts der Graphen in Abb. 5 erkennt,
beträgt die Steigung des Intensitätsprofils bei 0 dpt zwischen + 0,3 und + 1,0 pro dpt. Da sich
die Kamera in 70 cm Entfernung befindet, während der Fokus des Auges im Unendlichen,
also dahinter, liegt, entspricht ein positiver Wert den Erwartungen. Ein emmetropes Auge
sollte in der Pupille ein Intensitätsprofil mit der Steigung Null aufweisen, wenn es genau auf
das Fotoretinoskop akkommodiert. Die von den Infrarot-Leuchtdioden ausgehenden und vom
Fundus reflektierten Lichtstrahlen werden dann wieder in ihrer Quelle vereinigt und gelangen
nicht ins Objektiv (Vgl. Abb. 4, mittlere Spalte!). Bei einer Refraktion von - 1/70 dpt
˜ - 0,01 dpt, bei der das Auge eigentlich scharf auf die Kameraapertur eingestellt sein sollte,
beträgt die Steigung des Intensitätsprofils, auf die erste Nachkommastelle gerundet, allerdings
noch immer + 0,3 bis + 1,0 pro dpt. Dies lässt vermuten, dass die Augenlänge in Relation zur
Brechkraft zu kurz, das Auge also weitsichtig ist. Eine andere Möglichkeit wäre, dass es
lediglich weitsichtig erscheint, weil das Licht des Fotoretinoskops an einer Ebene reflektiert
wird, die vor der Schicht der Fotorezeptoren liegt. In Frage kommt dafür z.B. die Grenzfläche
zwischen Glaskörper und Retina, der Fundus. Bei Säugern konnte indirekt nachgewiesen
werden, dass dies tatsächlich der Fall ist (Glickstein und Millodot 1970). Da ihre Retina
immer etwa gleich dick ist, wirkt sich der Effekt besonders bei kleinen Augen aus, weshalb
man ihn als small-eye artefact bezeichnet. Seine Größe betrug bei den ZackenErdschildkröten zwischen 2 und 5 dpt. Das ist deutlich weniger als aufgrund ihres Augendurchmessers (~ 6 mm) nach der von Glickstein und Millodot ermittelten Beziehung zu erwarten ist. Für Refraktionsmessungen an der Rotwangen-Schmuckschildkröte lieferte jene aller49
Akkommodation bei der Zacken-Erdschildkröte
dings gute Schätzwerte (Northmore und Granda 1991b). Vermutlich hängt der vergleichsweise geringe small-eye artefact bei den hier durchgeführten Untersuchungen mit der Verwendung von Infrarotlicht zusammen. Es dringt anscheinend tiefer in den Fundus ein als das
üblicherweise eingesetzte, sichtbare Licht. Dafür sprechen auch Beobachtungen, die bei der
Infrarot-Fotoretinoskopie an Mäusen gemacht wurden (F. Schaeffel, persönliche Mitteilung).
Bei allen weiteren Messungen in dieser Arbeit spielt der small-eye artefact keine Rolle mehr,
da er bei der Eichung durch die Annahme, die Tiere seien emmetrop, kompensiert wurde,
indem der Steigung des Intensitätsprofils in der Pupille beim Blick ins Unendliche die Refraktion Null zugeordnet wurde.
4.2 Die Bedeutung der dynamischen Akkommodation
Aus der Akkommodation beim Fixieren eines bestimmten Punktes im Raum kann geschätzt
werden, wie weit dieser entfernt ist (Walls 1942, Collett und Harkness 1982). Damit sich ein
Fokussierungssystem jedoch zu diesem Zweck eignet, muss es gewisse Voraussetzungen
erfüllen: Insbesondere sollte die Einstellung des Auges auf eine bestimmte Distanz möglichst
präzise geschehen, so dass sich daraus ein guter Schätzwert ergibt. Außerdem ist eine hohe
Akkommodationsbreite erforderlich, um auch den Nahbereich abzudecken. Er ist unter anderem deshalb interessant, weil das Auflösungsvermögen bei dieser Form der Entfernungseinschätzung dort am besten ist. Schließlich dürfte eine große Akkommodationsgeschwindigkeit
von Vorteil sein, um auf eine Distanzänderung betrachteter Objekte schnell reagieren zu
können.
Die in den Abschnitten 3.2 und 3.3 beschriebenen Ergebnisse belegen, dass die genannten
Kriterien für das Fokussierungssystem von Geoemyda spengleri zutreffen. Mit bis zu
150 dpt/s ist die Akkommodationsgeschwindigkeit der Zacken-Erdschildkröte erstaunlich
hoch. Sie liegt über den Werten, die bei verschiedenen Vögeln (60 dpt/s beim Huhn (Schaeffel 1994b), 100 dpt/s bei Eulen (Murphy und Howland 1983)) und beim Chamäleon (60 dpt/s
(Ott et al. 1998)) gemessen wurden, obwohl jene bereits beachtlich sind. Im Vergleich zu
Säugern können Sauropsiden extrem schnell fokussieren, weil ihre Akkommodationsmuskulatur nicht glatt sondern quergestreift ist. Erwachsene Menschen weisen z.B. höchstens eine
Geschwindigkeit von 18 dpt/s auf, Kindern erreichen immerhin noch 33 dpt/s (Schaeffel et al.
1993).
Die Akkommodationsbreite der Zacken-Erdschildkröte ist mit rund 55 dpt für ein Tier, das
zwar gelegentlich das Wasser aufsucht, aber nicht semiaquatisch jagt, sehr groß. Beim Chamäleon wurden 45 dpt (Ott et al. 1998) nachgewiesen, was den maximalen Wert darstellt, der
bisher bei einem rein terrestrisch lebenden Vertebraten ermittelt wurde. Das Akkommodationsvermögen des Menschen beträgt schon mit 10 Jahren nur 12 dpt und sinkt im Alter nahezu
auf 0 dpt ab (Hildebrandt 1998). Es ist allerdings anzumerken, dass bei Geoemyda spengleri
50
Diskussion
nicht die gesamten 55 dpt mit einer Einstellung des Auges vom Unendlichen auf geringere
Distanzen zusammenhängen. Etwa ein Drittel verfallen auf die aktive Erzeugung von Weitsichtigkeit. Wenn sich den Schildkröten kein interessantes Blickziel bietet, wird die Refraktion ihres Auges oft hyperop. Mit einer Verschiebung der Messwerte gegenüber der Realität
aufgrund des small-eye artefacts lässt sich dies nicht erklären, da jener bei der Eichung kompensiert wurde (Vgl. Abschnitt 4.1!). Auch beim Chamäleon (Ott 1997, Ott et al. 1998) und
beim Huhn (Schaeffel, persönliche Mitteilung) wurde das beschriebene Phänomen beobachtet.
Der Grund für die Hyperopie ist unklar. Sie könnte vielleicht dazu dienen, die visuelle Information eines Auges explizit zu ignorieren.
Innerhalb ihrer Akkommodationsbreite fokussierte die Zacken-Erdschildkröte sehr exakt auf
vorgegebene Beutedistanzen. Eine vergleichbare Präzision über einen ähnlich großen Bereich
von Entfernungen wurde bisher nur beim Chamäleon festgestellt (Ott und Schaeffel 1995).
Dies ist aus zwei Gründen sehr interessant: Zum einen wurde die hohe Genauigkeit der Akkommodation beim Chamäleon mit der Existenz einer konvexikliven Fovea in ihrer Retina in
Zusammenhang gebracht (Ott 1997). Sie soll eine vom Fokus abhängige Bildverzerrung
verursachen und so als ein feiner Detektor wirken (Harkness und Bennet-Clark 1978). Andere
Theorien gehen davon aus, dass eine auf ihr beruhende Bildvergrößerung und die damit
verbundene Erhöhung der visuellen Auflösung entscheidend sind (Walls 1942, Snyder und
Miller 1978). Geoemyda spengleri besitzt jedoch überhaupt keine Fovea (Siehe Abschnitt 3.9
und 4.6!) und ist trotzdem in der Lage, äußerst präzise zu akkommodieren. Die konvexiklive
Fovea bildet demnach keine notwendige Voraussetzung für ein hervorragendes Fokussierungsvermögen. Ihre funktionelle Bedeutung liegt unter Umständen in einem ganz anderen
Bereich.
Ein zweiter interessanter Punkt angesichts der vergleichbar genauen Akkommodation bei der
Zacken-Erdschildkröte und dem Chamäleon ist, dass letztere die Akkommodation mit Sicherheit als ausschlaggebenden Parameter für die Entfernungseinschätzung nutzen, wie Experimente gezeigt haben (Harkness 1977). Bei Tieren, die sich bei der Tiefenwahrnehmung nur
zusätzlich auf ihr Fokussierungssystem stützen wie Schleiereulen (Wagner und Schaeffel
1991), bleibt die Akkommodation hinter der Objektdistanz zurück. Das Gleiche gilt für den
Menschen, bei dem der Refraktionsstatus des Auges höchstens eine unbedeutende Rolle spielt
(Collett und Harkness 1982). Die Vermutung, dass die Zacken-Erdschildkröte die Akkommodation ebenso wie das Chamäleon zur Entfernungseinschätzung nutzt, liegt daher nahe. Wie
oben erläutert, sind die wesentlichen Anforderungen, die in diesem Zusammenhang an die
Leistungen eines Fokussierungssystems gestellt werden müssen, bei ihr erfüllt. Einen Beweis
für eine Rolle der Akkommodation bei der Entfernungseinschätzung bildet dies freilich nicht.
Bei den Experimenten zur visuellen Beutefixierung, in denen ein Auge mit einer Zerstreuungslinse versehen war (Abschnitt 3.4.2!), fiel auf, dass die Schildkröten gelegentlich zu kurz
bissen, wenn das bedeckte Auge den Akkommodationswert vorgab. Allerdings konnte etwas
Derartiges in einem weiterführenden Test nicht beobachtet werden, in dem die Tiere zwei
51
Akkommodation bei der Zacken-Erdschildkröte
Brillengläser gleicher Stärke trugen und in einer Arena nach einem Wurm schnappen sollten.
Da sie dabei stets nah an die Beute heran rannten, bevor sie zustießen, war der durch die
Vorsatzlinsen verursachte Fehler einer auf Akkommodation beruhenden Entfernungseinschätzung jedoch auch so gering, dass sie ihr Ziel bei der üblichen Platzierung des Bisses auf
jeden Fall treffen mussten.
4.3 Die Rolle der Akkommodationskopplung
Ob beide Augen getrennt oder gekoppelt akkommodieren, steht in engem Zusammenhang
damit, wie sie im Kopf orientiert und wie sie zueinander beweglich sind. Wenn sie weit seitlich sitzen und insbesondere wenn sie unabhängig voneinander bewegt werden können, erfolgt die Akkommodation meist rechts und links getrennt. Dies wurde bereits bei verschiedenen Sauropsiden nachgewiesen: so etwa beim Huhn (Schaeffel et al. 1986) und beim Chamäleon (Ott et al. 1998). Für die Zacken-Erdschildkröte war es ebenfalls zu erwarten, da beschrieben ist, dass sie ihre Augen – wie andere Schildkröten auch – unabhängig voneinander
bewegen kann (Polyak 1957, Rudloff 1986, Ariel 1990, Rudloff 1990). Die in Abschnitt 3.4
vorgestellten Ergebnisse bestätigen die genannte Vermutung – allerdings lediglich für Situationen, in denen die Tiere mit unkonjugierten Blickbewegungen die Umgebung mustern. Sind
beide Augen nach vorne ausgerichtet, um eine Beute zu fixieren, wird die Akkommodation
gekoppelt (Vgl. Abschnitt 3.4.1 und 3.4.2!). Dies tritt selbst dann auf, wenn ein Auge mit
einer Vorsatzlinse versehen ist und das Zielobjekt infolgedessen bei symmetrischer Fokussierung nur noch in einem der zwei Augen scharf auf der Netzhaut abgebildet wird. Die Schleiereule, bei der der binokulare Teil des Gesichtsfeldes groß ist, akkommodiert stets gekoppelt.
Man bringt das mit der bei ihnen nachgewiesenen Stereopsis in Verbindung (Pettigrew und
Konishi 1976, Schaeffel und Wagner 1992). Die Kopplung der Akkommodation bei der
Zacken-Erdschildkröte könnte demnach in Zusammenhang mit einem Wechsel zum stereoskopischen Sehen bei der binokularen Fixierung einer Beute stehen. Verschiedene Studien
belegen, dass die meisten Schildkrötenarten nicht nur über kontralaterale sondern auch über
direkte ipsilaterale Projektionen zu den visuellen Arealen des Gehirns verfügen (Hergueta et
al. 1992a, Hergueta et al. 1992b, Reiner et al. 1996). Diese werden oft als anatomische
Grundlage für stereoskopisches Sehen betrachtet, obwohl sie keineswegs eine notwendige
Voraussetzung darstellen. Es wäre möglich, dass die Entfernungseinschätzung bei der Zacken-Erdschildkröte normalerweise auf Akkommodation beruht, beim Fixieren einer Beute
aber Stereopsis ausgenutzt wird. Kröten verwenden unter monokularen Bedingungen eindeutig ihr Fokussierungssystem, im binokularen Fall stützen sie sich aber auf Stereopsis (Collett
1977, Jordan et al. 1980). Offensichtlich ist bei ihnen die Genauigkeit der zweiten Methode
der der ersten überlegen, weshalb sie sie bevorzugen, wenn sie wählen können (Collett und
Harkness 1982). Unter Umständen wechselt die Zacken-Erdschildkröte aus dem gleichen
52
Diskussion
Grund zu stereoskopischem Sehen, sobald beide Augen auf eine Beute ausgerichtet sind.
Dagegen spricht allerdings, dass auch Chamäleons ihre normalerweise unabhängige Akkommodation beim Anvisieren eines Zielobjekts binokular koppeln (Ott 1997, Ott et al. 1998),
obwohl sie vermutlich nicht über Stereopsis verfügen.
4.4 Das periphere Sehfeld
Bei Vertebraten, bei denen das Auflösungsvermögen der Retina vom Zentrum nach außen hin
nur geringfügig abnimmt, spielt auch das periphere Sehfeld eine wichtige Rolle. Dort entdeckte „Abbildungsfehler“ haben sich inzwischen mehrfach als besondere Anpassungen an
die visuelle Umgebung eines Tieres herausgestellt.
4.4.1 Kurzsichtigkeit im unteren und Weitsichtigkeit im oberen Sehfeld
Wie Messungen abseits von der optischen Achse des Auges ergaben, ändert sich bei Geoemyda spengleri im horizontalen Meridian des visuellen Feldes für Divergenzwinkel von bis zu
30° weder der Mittelwert noch der Standardfehler der Refraktion (Vgl. Abschnitt 3.5!). Innerhalb dieses Bereichs bleibt die Abbildungsqualität genauso wie im Augenzentrum. Die in
Abschnitt 3.9 beschriebenen Ergebnisse zeigen, dass die Strukturverhältnisse der Retina
darauf abgestimmt sind: Ein Streifen hoher Ganglienzelldichte, ein visual streak, zieht sich
von der Mitte aus weit in die nasale und temporale Richtung. Im horizontalen Meridian sinkt
somit das Bildauflösungsvermögen zur Peripherie hin kaum ab.
Betrachtet man die ermittelten Refraktionswerte näher, fällt allerdings auf, dass sie nicht um
Null schwanken, was bei einem entspannten normalsichtigen Auge zu erwarten wäre, sondern
zwischen 5 und 15 dpt im hyperopen Bereich liegen. Da dies unabhängig vom Divergenzwinkel der Fall ist und die Situation in der optischen Achse im Grundzustand als emmetrop anzusehen ist (Vgl. Abschnitt 4.1!), kann man davon ausgehen, dass die Tiere aktiv eine Weitsichtigkeit in ihrem Auge erzeugten (Vgl. Abschnitt 4.2!). Möglicherweise „schalteten“ sie während der Messungen „ab“, da sich in der abgedunkelten Umgebung keine interessanten Reize
boten.
Für die Refraktion im vertikalen Meridian des visuellen Feldes bleibt der Standardfehler bei
Divergenzwinkeln von bis zu 30° ebenfalls fast unverändert – vorausgesetzt man lässt die
Durchgänge unberücksichtigt, bei denen die Aushöhlung der Sehnervenpapille abgetastet
wurde (Siehe Abschnitt 3.6!). Der Mittelwert weicht zur Peripherie hin jedoch zunehmend
von dem ab, der sich im Zentrum ergab. Im unteren Sehfeld besteht eine Myopie (lower field
myopia) bezüglich der Situation in der optischen Achse und im oberen eine relative Hyperopie (upper field hyperopia). Diese Verhältnisse bleiben auch dann erhalten, wenn man den
Astigmatismus einbezieht, der für den ventralen Teil des visuellen Feldes nachgewiesen
wurde (Vgl. Abschnitt 3.5 und 4.4.2!). Das arithmetische Mittel aus der Refraktion im hori53
Akkommodation bei der Zacken-Erdschildkröte
3 cm
Abb. 23: Gleitsicht. Das Schema soll verdeutlichen, welche Auswirkung die zunehmende Kurzsichtigkeit im unteren und wachsende Weitsichtigkeit im oberen visuellen Feld auf den Fokus des Auges
besitzt. Verwendet wurden Werte für das arithmetische Mittel aus der Refraktion gemessen im vertikalen und im horizontalen Augenmeridian bei Tier Nr. 8 (Vgl. Abb. 18!). Die schwarzen Punkte markieren Stellen im Raum, die gleichzeitig fokussiert sind, wenn die Schildkröte im Augenzentrum auf
einen Wurm in 3,5 cm Entfernung akkommodiert. Ist die optische Achse nicht nach vorne (gestrichelte
Linie) sondern ungefähr auf die Beute ausgerichtet (gepunktete Linie), wird auf der Netzhaut eine
Fläche scharf abgebildet, die in etwa der Bodenebene entspricht.
zontalen und im vertikalen Augenmeridian zeigt prinzipiell den gleichen Verlauf wie die nur
im vertikalen Augenmeridian gemessene Refraktion, von der oben die Rede war. Allerdings
fällt die Myopie im ventralen Bereich dann etwas geringer aus. Geoemyda spengleri scheint
mit einer Art „Gleitsichtbrille“ ausgestattet zu sein. Wenn das Auge in der optischen Achse
auf eine bestimmte Distanz fokussiert ist, werden im unteren visuellen Feld näher gelegene
Punkte und im oberen weiter entfernte scharf auf der Netzhaut abgebildet. Abb. 23 soll dies
graphisch verdeutlichen. Verwendet wurden Werte für das arithmetische Mittel bei Tier Nr. 8.
Dabei wurde angenommen, dass das Auge präzise auf einen Wurm in einem Abstand von
3,5 cm akkommodiert (= in der optischen Achse darauf fokussiert ist). Mit Hilfe der schwarzen Punkte ist für verschiedene Winkel die Stelle im Raum markiert, die die Schildkröte
scharf sieht. Die Linien geben die Orientierung der optischen Achse wieder. Wenn jene nicht
nach vorne (gestrichelte Linie) sondern etwa auf die Beute ausgerichtet ist (gepunktete Linie),
liegen die fokussierten Orte in verschiedenen Entfernungen zum Tier ungefähr in Höhe des
Untergrunds. Demnach wird gleichzeitig die gesamte Bodenebene scharf auf der Netzhaut
abgebildet. Eine ähnliche Anpassung ist bereits bei Amphibien (Schaeffel et al. 1994), Tauben (Fitzke et al. 1985), Hühnchen, Wachteln und Kranichen (Hodos und Erichsen 1990)
beschrieben worden. Diese sind im unteren visuellen Feld kurzsichtig (lower field myopia).
Zumindest bei den Vögeln steht die Stärke der Myopie in direktem Zusammenhang mit der
Augenhöhe (Fitzke et al. 1985, Hodos und Erichsen 1994). Sie ist gerade groß genug, um
dafür zu sorgen, dass bei entspannter Akkommodation im unteren Sehfeld der Boden fokussiert ist. Offensichtlich handelt es sich dabei um eine Spezialisierung, die die Nahrungssuche
auf der Erde erlaubt, während gleichzeitig am Horizont oder Himmel auftauchende Feinde
erkannt werden können. In Übereinstimmung mit dieser Theorie zeigen Raubvögeln ein
solches Phänomen nicht (Murphy et al. 1995). Als Ursache für die zu beobachtenden Refraktionsunterschiede werden bei Vögeln Veränderungen der Augenlänge diskutiert (Land und
54
Diskussion
Nilsson 2002). Theoretisch könnte auch die Brechkraft der optischen Medien variieren. Die
Fotoretinoskopie gibt keinen Aufschluss darüber, welche der beiden Möglichkeiten bei Geoemyda spengleri zutrifft. Einen Hinweis lieferte aber die Eichung, die durchgeführt wurde,
um die Beziehung zwischen dem Divergenzwinkel und der Abweichung des ersten PurkinjeReflexes vom Pupillenzentrum festzustellen (Siehe Abschnitt 2.7!). Dabei fiel auf, dass eine
Lichtquelle unterhalb der optischen Achse in einem deutlich größeren Abstand platziert werden musste als oberhalb, wenn sich der auf der Kornea sichtbare Reflex in gleicher Distanz
zum Mittelpunkt der Pupille befinden sollte. In nasaler und temporaler Richtung bestand
dagegen kein derartiger Unterschied. Dies deutet darauf hin, dass sich der korneale Krümmungsradius von dorsal nach ventral verringert. Allerdings hieße das, dass der vertikale Meridian keine feste Brennweite besäße, was zu einem komplexen Abbildungsfehler, einem
irregulären Astigmatismus5, führen würde. Es ist kaum zu erwarten, dass dies einem adaptiven Zweck dienen könnte.
4.4.2 Astigmatismus im unteren Sehfeld
Ein Vergleich der Refraktionswerte, die bei Geoemyda spengleri für vertikale Divergenzwinkel im vertikalen und im horizontalen Augenmeridian gemessen wurden, ergab, dass diese im
unteren visuellen Feld (lower field) nicht übereinstimmen (Vgl. Abschnitt 3.5!). Zur Peripherie hin steigt ihre Differenz kontinuierlich an, wodurch ein immer größer werdender Astigmatismus entsteht. Die Brechung im vertikalen Augenmeridian übertrifft die im horizontalen.
Ein einfallendes Lichtbündel wird dadurch nicht mehr zu einem Punkt vereinigt, sondern erst
zu einem horizontalen (primary image) und anschließend zu einem vertikalen Strich (secondary image) zusammengezogen. Genau in der Mitte zwischen diesen zwei Orten ist die Defokussierung in beide Richtungen gleich groß, so dass ein verschwommener Kreis (circle of
least confusion) entsteht. Die Qualität des Bildes ist dort noch am besten: Es ist zwar unscharf
aber nicht verzerrt. Vermutlich stellt sich der Augenfundus darauf ein. Aus diesem Grund
wurde in Abschnitt 3.5 das arithmetische Mittel aus der Refraktion in den zwei Meridianen
bestimmt6 (Siehe dazu auch Abschnitt 4.4.1!). Man könnte den ausgeprägten Astigmatismus,
den die Schildkröten im unteren Sehfeld aufweisen, als einen Augenfehler betrachten. Dagegen spricht jedoch, dass er bei allen bisher untersuchten Tieren auftrat. Seine Größe schwank5
Im Gegensatz zu einem irregulären Astigmatismus zeichnet sich ein regulärer Astigmatismus dadurch aus, dass
die einzelnen Meridiane der Hornhautoberfläche zwar untereinander verschiedene, jedoch in sich gleichmäßige
Krümmungen mit jeweils definierter Brennweite besitzen. Solch ein Astigmatismus wurde im unteren visuellen
Feld der Zacken-Erdschildkröte festgestellt.
6
Normalerweise betrachtet man beim Astigmatismus den am stärksten und den am schwächsten brechenden
Meridian und bildet das arithmetische Mittel aus der Refraktion in beiden. Den Wert, der sich so ergibt, bezeichnet man als das sphärische Äquivalent. In der vorliegenden Untersuchung wurde die Refraktion lediglich im
horizontalen und im vertikalen Meridian bestimmt und angenommen, dass sie zwischen diesen maximal differiert. Da das jedoch nicht bewiesen ist, wird der Begriff des sphärischen Äquivalents vermieden und stattdessen
nur vom arithmetischen Mittel gesprochen.
55
Akkommodation bei der Zacken-Erdschildkröte
te individuell erheblich, die Richtung war aber stets dieselbe: Immer brach der vertikale Meridian stärker als der horizontale. Außerdem zeigte sich, dass die Größe des Astigmatismus
mit der Änderung der im vertikalen Meridian gemessenen Refraktion vom oberen zum unteren Sehfeld korreliert war: Obwohl die maximalen Werte beider Parameter unter den Individuen deutlich differierten, war ihr Quotient jedes Mal gleich. Dies lässt nicht auf einen zufälligen Augenfehler schließen. Verwunderlich erscheint weiterhin, dass die Optik gerade in
dem Teil des visuellen Feldes mangelhaft sein soll, der für ein am Boden jagendes Tier wie
Geoemyda spengleri von besonderer Bedeutung ist. Das Auflösungsvermögen in ihrer Retina
ist für das untere Sehfeld vergleichsweise gut (Vgl. Abschnitt 3.9 und 4.6!), was ebenfalls
nicht mit einer schlechten Abbildungsqualität in diesem Bereich in Einklang zu bringen ist.
Ein Astigmatismus im unteren visuellen Feld wurde bereits bei Fröschen festgestellt (Schaeffel et al. 1994). Auch bei ihnen beruht er darauf, dass der vertikale Meridian stärker bricht als
der horizontale. Eine plausible Erklärung dafür gibt es bisher nicht. Wenn sich der Krümmungsradius der Korneaoberfläche bei der Zacken-Erdschildkröte tatsächlich von dorsal nach
ventral verringert, wie in Abschnitt 4.4.1 vermutet, könnte es sich bei dem beobachteten
Phänomen zumindest bei ihr um einen Astigmatismus schiefer Bündel handeln. Bei schrägem
Strahleneinfall aus dem oberen visuellen Feld tritt dieser wegen der flacheren Wölbung der
Kornea innerhalb der betrachteten Divergenzwinkel noch nicht in Erscheinung.
4.5 Der Schließmuskel der Iris
Die Iris des Schildkrötenauges zeichnet sich durch einen besonders kräftig ausgebildeten
Schließmuskel aus. Ihm wird eine Funktion bei der Akkommodation zugeschrieben (Walls
1942, Duke-Elder 1958, Underwood 1970, Granda und Dvorak 1977, Sivak 1980): Wenn er
kontrahiert, presst er laut Theorie den vorderen, durch die Pupille ragenden Teil der Linse
zusammen und erniedrigt ihren Krümmungsradius (Walls 1942, Sivak 1980, Underwood
1970). Die in Abschnitt 3.7 beschriebenen Ergebnisse stehen damit in Einklang. Wenn die
Zacken-Erdschildkröte statt in die Ferne auf ein Objekt in unmittelbarer Nähe fokussiert,
verringert sich der Durchmesser ihrer Pupille. Allerdings ist dies ein Phänomen, das bei vielen Vertebraten zu beobachten ist – z.B. beim Chamäleon (Ott et al. 1998) und auch beim
Menschen (Schäfer und Weale 1970, Semmlow und Stark 1973, Wilhelm et al. 1993). Es
dient einer Vergrößerung der Tiefenschärfe und muss keineswegs eine Auswirkung auf die
Refraktion des Auges besitzen. Die Pupillenverengung bei der Nahakkommodation, die so
genannte Nahreaktion, die bei Geoemyda spengleri auftritt, bildet demnach keinen Beweis
dafür, dass der Schließmuskel tatsächlich an einer Erhöhung der Linsenkrümmung beteiligt ist.
Auch mit Hilfe der Fotoretinoskopie lässt sich diese Frage nicht klären, denn eine durch den
Ziliarmuskel verursachte Refraktionsänderung ist nicht von einer auf dem Schließmuskel
beruhenden zu unterscheiden.
56
Diskussion
Die Hauptaufgabe der Pupille besteht üblicherweise darin, die ins Auge einfallende Lichtmenge zu regulieren. Walls, Polyak und Duke-Elder schreiben, dass der Schließmuskel der
Iris bei den Schildkröten nicht auf Helligkeitsschwankungen reagiere (Walls 1942, Polyak
1957, Duke-Elder 1958). Granda und Dvorak widersprechen dieser Aussage jedoch (Granda
und Dvorak 1977). Ihre Ansicht wird durch eine Studie an der RotwangenSchmuckschildkröte (Trachemys (früher: Pseudemys) scripta elegans) gestützt, die belegt,
dass sich deren Pupillengröße in Abhängigkeit von der Lichtintensität deutlich ändert (Granda
et al. 1995). Bei der Zacken-Erdschildkröte (Geoemyda spengleri) trifft das ebenfalls zu, wie
die in Abschnitt 3.7 vorgestellten Ergebnisse zeigen: Eine Erhöhung der Umgebungshelligkeit
führt zu einer Verringerung des Pupillendurchmessers (Lichtreaktion). Allerdings konnte dies
nur beobachtet werden, wenn die Tiere in die Ferne blickten, nicht, wenn sie auf einen Punkt
in unmittelbarer Nähe akkommodierten. Dafür kommen folgende Ursachen in Betracht: Unter
Umständen konstringierte der Schließmuskel durch die starke Nahreaktion bereits maximal.
Eine zusätzliche Verkleinerung der Pupille bei erhöhtem Lichteinfall war deshalb nicht möglich. Andererseits bestand vielleicht trotz der niedrigen Umgebungshelligkeit keine Notwendigkeit, die Pupille zu weiten. Wegen der geringen Entfernung des fixierten Objekts traf der
Großteil der von ihm ausgehenden Strahlen ohnehin ins Auge. Schließlich könnte der vom
Licht verursachte Effekt unvereinbar mit der Nahreaktion sein und durch sie unterdrückt
werden. Um das zu beantworten, müsste man den Einfluss der Umgebungshelligkeit bei
mehreren Refraktionszuständen, nicht nur der Fern- und der extremen Nahakkommodation,
untersuchen.
Die in Abschnitt 3.8 geschilderten Ergebnisse belegen, dass die Nahreaktion bei der ZackenErdschildkröte in beiden Augen unabhängig voneinander erfolgen kann. Da dasselbe für die
Akkommodation gilt, wäre eine gegenteilige Beobachtung auch verwunderlich gewesen.
Offen bleibt, ob die binokulare Kopplung der Akkommodation beim Anvisieren einer Beute
mit einer Kopplung der Nahreaktion einhergeht. Wenn die Pupillenverengung tatsächlich der
Erhöhung der Linsenbrechkraft dient, beweisen die in Abschnitt 3.4.2 vorgestellten Resultate,
dass eine Kopplung besteht. Handelt es sich jedoch nur um eine Begleiterscheinung, keinen
Mechanismus der Akkommodation, so könnte die Konstriktion aufgrund einer Kopplung oder
lediglich infolge der in beiden Augen übereinstimmenden Refraktion symmetrisch ausfallen.
Anhand der vorliegenden Daten lassen sich die zwei Möglichkeiten nicht unterscheiden.
Wesentlich leichter dürfte festzustellen sein, ob die Pupillenverengung durch Licht bei gekoppelter Akkommodation unabhängig auftritt. Man müsste dazu gezielt ein Auge beleuchten,
während die Schildkröte eine Beute fixiert. Die Kopplung der Akkommodation könnte
gleichzeitig mit Hilfe einer Vorsatzlinse überprüft werden (Vgl. Abschnitt 3.4.2!). Untersuchungen an Vögeln haben ergeben, dass die Lichtreaktion bei ihnen in beiden Augen getrennt
erfolgt. Dies gilt für Arten mit stark divergierenden optischen Achsen und unabhängiger
Akkommodation ebenso wie für solche mit großem binokularen Sehfeld und stets symmetrischer Akkommodation (Levine 1955, Bishop und Stark 1965, Schaeffel und Wagner 1992).
57
Akkommodation bei der Zacken-Erdschildkröte
Im Gegensatz dazu zeigt der Mensch, dessen Akkommodation gekoppelt ist, eine konsensuelle Lichtreaktion: Bei Beleuchtung der Retina eines Auges verengt sich auch die Pupille des
anderen (Hildebrandt 1998). Das Gleiche wurde bei Ratten beobachtet, obwohl ihre Augen
nicht frontal sondern seitlich stehen (Trejo et al. 1989). Die Fähigkeit zu akkommodieren
besitzen die Nager wahrscheinlich nicht (Hughes 1977). Ein Studium der Verhältnisse bei
Geoemyda spengleri wäre vor diesem inhomogenen Hintergrund sehr interessant.
4.6 Spezialisierungen der Retina
Die Ganglienzelldichte wurde bereits in der Retina vieler Tiere bestimmt und als Parameter
für regionale Unterschiede im Bildauflösungsvermögen verwendet (z.B. Hughes 1977, Peterson und Ulinski 1979). Alternativ ist zu diesem Zweck auch die Dichte der Fotorezeptoren
betrachtet worden (z.B. Brown 1969). Beide Werte stehen insofern miteinander in Beziehung,
als dass ein Anstieg der Fotorezeptorzahl in der Regel von einer Zunahme der Ganglienzellzahl begleitet wird. Meist sinkt dabei aber der Konvergenzfaktor (das Verhältnis von Fotorezeptoren zu Ganglienzellen). Die Veränderungen betreffen also die Ganglienzellen relativ
gesehen stärker als die Fotorezeptoren, weshalb sie das feinere Maß darstellen. Außerdem ist
ihre absolute Zahl deutlich niedriger oder höchstens genauso groß wie die der Fotorezeptoren.
Man vermeidet somit unnötigen Aufwand, wenn man sich auf das Zählen der Ganglienzellen
verlegt.
Die Untersuchung der Ganglienzellverteilung in der Retina von Geoemyda spengleri ergab als
wesentliches Strukturmerkmal einen visual streak: Vom Augenzentrum aus zieht sich ein
Streifen hoher Zelldichte weit in die nasale und temporale Richtung. Die visuelle Auflösung
nimmt demnach im horizontalen Meridian des visuellen Feldes von der optischen Achse zur
Peripherie hin kaum ab. Eine solche Spezialisierung findet man bei Tieren, in deren Habitat
ein „Horizont“ eine wichtige Rolle spielt (Peichl 1997, Rodieck 1998). Als Waldbewohner
scheint Geoemyda spengleri nicht gerade zu den typischen Vertretern dieser Gruppe zu gehören. Für ein kleines, auf der Erde lebendes Tier wie die Zacken-Erdschildkröte bildet aber
auch der Waldboden, wenn er nicht völlig überwuchert ist, eine offenen Fläche, an dessen
Grenze ein Feind oder eine Beute erstmals auftauchen (Hughes 1977).
Ein visual streak wurde bereits bei der Rotwangen-Schmuckschildkröte (Brown 1969, Peterson und Ulinski 1979, Peterson und Ulinski 1982) und bei verschiedenen Meeresschildkröten
(DeCarlo et al. 1998) beschrieben. Bei der Rotwangen-Schmuckschildkröte nimmt die Ganglienzellzahl zum Mittelpunkt des Streifens hin noch einmal deutlich zu, so dass dort eine
runde Region besonders hoher Zelldichte entsteht (Peterson und Ulinski 1979). Die Lederschildkröte weist einen derartigen Bereich oberhalb ihres visual streak auf (DeCarlo et al.
1998). Laut Walls und Duke-Elder besitzen fast alle Schildkröten eine area centralis, ein
kreisförmiges Gebiet in der Retina, in dem die visuelle Auflösung deutlich verbessert ist
58
Diskussion
(Walls 1942, Duke-Elder 1958). Eine Fovea wurde jedoch nur in einem einzigen Fall verifiziert: Bei einer Weichschildkröte (Amyda sp.) konnte Gillett eine flache Einsenkung der
Netzhautoberfläche nachweisen (Gillett 1923).
Die Ganglienzelldichte erreicht bei der Zacken-Erdschildkröte ebenso wie bei der Rotwangen-Schmuckschildkröte ein Maximum im Mittelpunkt des visual streak. Gegenüber den
restlichen Bereichen des Streifens ist aber nur eine vergleichsweise geringe Zunahme zu
verzeichnen. Außerdem sind die Regionen größter Zelldichte innerhalb des Strichs
keineswegs konzentrisch angeordnet. Eine Kombination aus visual streak und area centralis
scheint demnach nicht vorzuliegen. Da eine Fovea nie ohne eine area centralis vorkommt
(Walls 1942), verfügt Geoemyda spengleri sicherlich nicht über eine solche Vertiefung in der
Netzhaut. Diese Schlussfolgerung stimmt mit dem Ergebnis überein, das eine Inspektion der
noch im Augenbecher befindlichen Retina unter dem Binokular erbrachte.
Um den Ort maximaler Dichte herum sind die Ganglienzellen im Auge der ZackenErdschildkröte nicht symmetrisch verteilt. Im visual streak liegt die Zellzahl nasal etwas
höher als temporal. Bei der Rotwangen-Schmuckschildkröte gilt für die Peripherie das Gleiche. In direkter Umgebung des Zentrums sind die Verhältnisse allerdings umgekehrt (Peterson und Ulinski 1979). Viele Säuger zeigen ebenfalls zwar ein mittiges oder temporales Maximum (in Abhängigkeit von der Position der Augen im Kopf), besitzen in den äußeren Bereichen der Retina aber nasal eine größere Zelldichte als temporal (Rodieck 1998). Einen
Grund für diese Asymmetrie, wenn es denn einen gibt, kennt man bisher nicht. Leichter lässt
sich eine Erklärung für die vertikalen Unterschiede in der Ganglienzellverteilung bei Geoemyda spengleri finden: Die Zelldichte vermindert sich ventral bereits kurz unterhalb des
horizontalen Meridians deutlich, während sie dorsal zur Peripherie hin nur sehr langsam
abnimmt. Damit bleibt die Auflösung für den unteren Teil des visuellen Feldes, der ja auf der
oberen Hälfte der Netzhaut abgebildet wird, vergleichsweise hoch. Für einen terrestrischen
Jäger wie die Zacken-Erdschildkröte, der seine Beute am Boden ergreift, dürfte dies von
Vorteil sein. Bei der semiaquatisch lebenden Rotwangen-Schmuckschildkröte wurde genau
das Gegenteil beobachtet: Die Fotorezeptor- bzw. Ganglienzelldichte verringert sich bei ihr
ventral des visual streak langsamer als dorsal davon (Brown 1969, Peterson und Ulinski
1979). Für sie sind wahrscheinlich Reize im oberen Bereich des visuellen Feldes von größerer
Bedeutung.
Was die absolute Zahl der Ganglienzellen pro Netzhautareal angeht, so sind die Werte, die bei
Geoemyda spengleri ermittelt wurden, nicht besonders hoch. Mit rund 4 200 Zellen pro mm2
beträgt das Maximum nur etwa ein Fünftel dessen, was Peterson und Ulinski im Zentrum des
visual streak von Pseudemis scripta elegans gefunden haben. Sie stellten dort eine Dichte von
über 20 000 Ganglienzellen pro mm2 fest (Peterson und Ulinski 1979). Dies entspricht etwa
dem Wert, der beim Chamäleon in der Umgebung der Fovea erreicht wird (Ott 1997). Es
könnte sein, dass die Autoren die Ganglienzelldichte bei der Rotwangen-Schmuckschildkröte
überschätzten, da bei der Präparationsmethode, die sie verwendeten, auch andere Neurone
59
Akkommodation bei der Zacken-Erdschildkröte
und Neuroglia gefärbt werden. Allerdings ist das eher unwahrscheinlich, denn sie achteten auf
genaue Identifikationskriterien. Eine Voruntersuchung ergab zudem, dass die Ganglienzellen
in der Ganglienzellschicht der Rotwangen-Schmuckschildkröte mindestens 75 % aller Zellen
ausmachen (Peterson und Ulinski 1979). Demnach würde sich immer noch ein Maximum von
15 000 Ganglienzellen pro mm2 ergeben, wenn bei der Auszählung nicht zwischen den verschiedenen Zelltypen differenziert worden wäre. Die geringe Ganglienzelldichte bei Geoemyda spengleri könnte mit ihrem Habitat zusammenhängen. Am Boden des Nebelwaldes
herrscht nur eine niedrige Umgebungshelligkeit. Um die Lichtsensitivität des Auges zu
verbessern, ist daher möglicherweise das rezeptive Feld einer Ganglienzelle recht groß und
die Information vieler Fotorezeptoren konvergiert auf ihr. Ob das visuelle Auflösungsvermögen der Zacken-Erdschildkröte infolgedessen deutlich schlechter ist als das der RotwangenSchmuckschildkröte, bleibt fraglich. Eine Studie hat ergeben, dass eine Abschätzung der
Sehschärfe, die sich allein auf die Dichte der Ganglienzellen stützt, die in Verhaltensexperimenten und durch elektrophysiologische Untersuchungen ermittelten hohen Werte bei Schildkröten nicht erklären kann (Northmore und Granda 1991b).
4.7 Schlussbemerkung
Die in der vorliegenden Arbeit beschriebenen Untersuchungen an der Zacken-Erdschildkröte
lieferten interessante Ergebnisse über die Akkommodation und die damit verbundenen Aspekte des Auges dieser Tiere. Sie warfen aber mindestens ebenso viele interessante Fragen auf,
die darauf warten, beantwortet zu werden.
60
5
Abb.
Anova
deg
dpt
engl.
IR
lat.
LED
LSM
M
n
Nr.
n.s.
PBS
PC
PFA
SD
SE
Tab.
üNN
vgl.
Abkürzungen
Abbildung
einfaktorielle Varianzanalyse [engl.: analysis of variance]
Grad [engl.: degree]
Dioptrie [engl.: diopter]
Englisch
Infrarot
lateinisch
Leuchtdiode [engl.: light-emitting diode]
engl.: laser scanning microscope
molar
Anzahl [engl.: number]
Nummer
nicht signifikant
Phospat-gepufferte Salzlösung [engl.: phosphate buffered saline]
engl.: personal computer
Paraformaldehyd [engl.: paraformaldehyde]
Standardabweichung [engl.: standard deviation]
Standardfehler [engl.: standard error]
Tabelle
über Normalnull
vergleiche
61
Akkommodation bei der Zacken-Erdschildkröte
62
6
Literaturverzeichnis
Ariel, M. (1990). Independent eye movements in the turtle. Visual Neuroscience 5 (1): 29-41.
Bishop, L. G. & Stark, L. (1965). Pupillary responses of the screech owl, Otus asio. Science
148: 1750-1752.
Brown, K. T. (1969). A linear area centralis extending across the turtle retina and stabilized to
the horizon by non-visual cues. Vision Research 9: 1053-1062.
Buskirk, J. (1993). Captive propagation and husbandry of the Vietnamese Leaf Turtle (Geoemyda spengleri). The Vivarium 5 (5): 28-29, 31-33.
Cogger, H. G. & Zweifel, R. G. (1999). Enzyklopädie der Reptilien und Amphibien. Weltbild
Verlag GmbH, Augsburg.
Collett, T. (1977). Stereopsis in toads. Nature 267: 349-351.
Collett, T. S. & Harkness, L. I. K. (1982). Depth vision in animals. In: Ingle, D. J., Goodale,
M. A. & Mansfield, J. W. (eds.). Analysis of visual behaviour. MIT Press, Boston,
111-176.
DeCarlo, L., Salmon, M. & Wyneken, J. (1998). Comparative studies of retinal design among
sea turtles: Histological and behavioral correlates of the visual streak. Proceedings of the
18th International Symposium on Sea Turtle Biology and Conservation.
Dudziak, J. (1955). Ostrosc widzenia u zolwia blotnego (Emys orbicularis L.) przy patrzeniu
w srodowisku powietrznym i wodnym. Folia Biologica (Kraków) 3: 205-228.
Duke-Elder, S. (1958). System of ophthalmology I: The eye in evolution. Henry Kimpton,
London, 353-395.
Ehrenfeld, D. W. & Koch, A. L. (1967). Visual accommodation in the Green Turtle. Science
155: 827-828.
Fitzke, F. W., Hayes, B. P., Hodos, W., Holden, A. L. & Low, J. C. (1985). Refraktive sectors
in the visual field of the pigeon eye. Journal of Physiology (London) 369: 33-44.
Fleishman, L. J., Howland, H. C., Howland, M. J., Rand, A. S. & Davenport, M. L. (1988).
Crocodiles don’t focus underwater. Journal of Comparative Physiology A 163: 441-443.
Gillett, W. G. (1923). The histologic structure of the eye of the soft-shelled turtle. American
Journal of Ophthalmology 6: 955-973.
Glickstein, M. & Millodot, M. (1970). Retinoscopy and eye size. Science 168: 605-606.
63
Akkommodation bei der Zacken-Erdschildkröte
Gmelin, J. F. (1789). Caroli a Linné – Systema naturae per regna tria naturae: secundum
classes, ordines, genera, species; cum characteribus, differentiis, synonymis, locis.
Vol. I. Pars III. Lipsiae, Beer, Leipzig, 1043.
Granda, A. M. & Dvorak, C. A. (1977). Vision in turtles. In: Crescitelli, F. (ed.). The visual
system in vertebrates. Springer Verlag, Berlin, 451-495.
Granda, A. M., Dearworth, Jr., J. R., Kittila, C. A. & Boyd, W. D. (1995). The pupillary
response to light in the turtle. Visual Neuroscience 12 (6): 1127-1133.
Green, D. G., Powers, M. K. & Banks, M. S. (1980). Depth of focus, eye size and visual
acuity. Vision Research 20: 827-835.
Harkness, L. (1977). Chameleons use accommodation cues to judge distance. Nature 267:
346-349.
Harkness, L. & Bennet-Clark, H. C. (1978). The deep fovea as a focus indicator. Nature 272:
814-816.
Hergueta, S., Lemire, M., Ward, R., Rio, J.-P. & Repérant, J. (1992a). A reconsideration of
the primary visual system of the turtle Emys orbicularis. Journal für Hirnforschung 33
(4-5): 515-544.
Hergueta, S., Ward, R., Lemire, M., Rio, J.-P., Reperant, J. & Weidner, C. (1992b). Overlapping visual fields and ipsilateral retinal projections in turtles. Brain Research Bulletin 29
(3/4): 427-433.
Hildebrandt, H. (1998). Pschyrembel Klinisches Wörterbuch. Walter de Gruyter, Berlin, New
York.
Hodos, W. & Erichsen, J. T. (1990). Lower-field myopia in birds: An adaptation that keeps
the ground in focus. Vision Research 30 (5): 653-657.
Hughes, A. (1977). The topography of vision in mammals of contrasting life style: Comparative optics and retinal organisation. In: Crescitelli, F. (ed.). Handbook of Sensory Physiology VII (5), Springer Verlag, Berlin, 613-756.
Jordan, M., Luthardt, G. & Meyer-Naujoks, C. (1980). The role of eye accommodation in the
depth perception of common toads. Zeitschrift für Naturforschung 35 C: 851-852.
Land, M. F. & Nilsson, D.-E. (2002). Animal eyes. Oxford University Press Inc., New York.
Levine, J. (1955). Consensual pupillary response in birds. Science 122: 690.
Manthey, U. & Grossmann, W. (1997). Amphibien und Reptilien Südostasiens. Natur und
Tier-Verlag, Münster, 445-446.
64
Literaturverzeichnis
Martin, G. R. (1987). How do birds accommodate? Nature 328: 382.
Murphy, C. & Howland, H. C. (1983). Owl eyes: accommodation, corneal curvature and
refractive state. Journal of Comparative Physiology 151: 277-284.
Murphy, C. J., Howland, M. & Howland, H. C. (1995). Raptors lack lower-field myopia.
Vision Research 35 (9): 1153-1155.
Nöllert, A. (1992). Schildkröten. Landbuch-Verlag GmbH, Hannover.
Northmore, D. P. M. & Granda, A. M. (1991a). Ocular dimensions and schematic eyes of
freshwater and sea turtles. Visual Neuroscience 7: 627-635.
Northmore, D. P. M. & Granda, A. M. (1991b). Refractive state, contrast sensitivity, and
resolution in the freshwater turtle, Pseudemys scripta elegans, determined by tectal
visual-evoked potentials. Visual Neuroscience 7: 619-625.
Ott, M. & Schaeffel, F. (1995). A negatively powered lens in the chameleon. Nature 373:
692-694.
Ott, M. (1997). Visuelle Zielpeilung, Akkommodation und funktioneller Bau des Auges beim
Chamäleon (Squamata). Dissertation zur Erlangung des Grades eines Doktors der Naturwissenschaften der Fakultät für Biologie der Eberhard-Karls-Universität Tübingen.
Ott, M., Schaeffel, F. & Kirmse, W. (1998). Binocular vision and accommodation in preycatching chameleons. Journal of Comparative Physiology A 182: 319-330.
Peichl, L. (1997). Die Augen der Säugetiere: Unterschiedliche Blicke in die Welt. Biologie in
unserer Zeit 27 (2): 96-105.
Peterson, E. H. & Ulinski, P. S. (1979). Quantitative studies of retinal ganglion cells in a
turtle, Pseudemys scripta elegans: I. Number and distribution of ganglion cells. The
Journal of Comparative Neurology 186: 17-42.
Peterson, E. H. & Ulinski, P. S. (1982). Quantitative studies of retinal ganglion cells in a
turtle, Pseudemys scripta elegans: II. Size spectrum of ganglion cells and its regional
variation. The Journal of Comparative Neurology 208: 157-168.
Pettigrew, J. D. & Konishi, M. (1976). Neurons selective for orientation and binocular disparity in the visual wulst of the barn owl (Tyto alba). Science 193: 675-678.
Polyak, S. (1957). The vertebrate visual system. The University of Chicago Press, Chicago,
942-944.
65
Akkommodation bei der Zacken-Erdschildkröte
Reiner, A., Zhang, D. & Eldred, W. D. (1996). Use of the sensitive anterograde tracer cholera
toxin fragment B reveals new details of the central retinal projections in turtles. Brain,
Behavior and Evolution 48 (6): 307-337.
Rieppel, O. (2000). Turtles as diapsid reptiles. Zoologica Scripta 29 (3): 199-212.
Rodieck, R. W. (1998). The first steps in seeing. Sinauer Associates Inc., Sunderland, Massachusetts.
Romer, A. S. (1966). Vertebrate paleontology, 3rd edition. University of Chicago Press, Chicago.
Rudloff, H.-W. (1986). Beitrag zur Kenntnis der Zacken-Erdschildkröte Geoemyda spengleri
spengleri (GMELIN, 1789). Herpetofauna 8 (40): 14-20.
Rudloff, H.-W. (1990). Schildkröten. Urania, Leipzig, Jena, Berlin, 101-104.
Schaeffel, F., Howland, H. C. & Farkas, L. (1986). Natural accommodation in the growing
chicken. Vision Research 26 (12): 1977-1993.
Schaeffel, F., Farkas, L. & Howland, H. C. (1987). Infrared photoretinoscope. Applied Optics
26 (8): 1505-1509.
Schaeffel, F. & Mathis, U. (1991). Underwater vision in semi-aquatic European snakes.
Naturwissenschaften 78, 373-375.
Schaeffel, F. & Wagner, H. (1992). Barn owls have symmetrical accommodation in both eyes,
but independent pupillary responses to light. Vision Research 32 (6): 1149-1155.
Schaeffel, F., Wilhelm, H. & Zrenner, E. (1993). Inter-individual variability in the dynamics
of natural accommodation in humans: relation to age and refractive errors. Journal of
Physiology 461: 301-320.
Schaeffel, F. (1994a). Exzentrische Photorefraktion: Entwicklung eines automatisierten Verfahrens zur dynamischen Refraktions-, Pupillen- und Blickrichtungsmessung. Monographie, angefertigt anlässlich der Verleihung eines Reisestipendiums der Deutschen
Ophthalmologischen Gesellschaft.
Schaeffel, F. (1994b). Functional accommodation in birds. In: Davies, M. N. O. & Green, P.
R. (eds.). Perception and Motor Control in Birds. Springer, Berlin, Heidelberg.
Schaeffel, F., Hagel, G., Eikermann, J. & Collett, T. (1994). Lower-field myopia and astigmatism in amphibians and chickens. Journal of the Optical Society of America A 11 (2):
487-495.
66
Literaturverzeichnis
Schäfer, W. D. & Weale, R. A. (1970). The influence of age and retinal illumination on the
pupillary near reflex. Vision Research 10: 179-191.
Semmlow, J. & Stark, L. (1973). Pupil movements to light and accommodative stimulation:
A comparative study. Vision Research 13: 1087-1100.
Sivak, J. G. (1980). Accommodation in vertebrates: A contemporary survey. Current Topics
in Eye Research 3: 281-330.
Snyder, A. W. & Miller, W. H. (1978). Telephoto lens system of falconiform eyes. Nature
275: 127-129.
Trejo, L. J., Rand, M. N. & Cicerone, C. M. (1989). Consensual pupillary light reflex in the
pigmented rat. Vision Research 29 (3): 303-307.
Uetz, P. (1999): The EMBL Reptile Database.
http://www.embl-heidelberg.de/~uetz/LivingReptiles.html
Underwood, G. (1970). The eye. In: Gans, C. & Parsons, T. S. (eds.). Biology of the reptilia.
Morphology B (2). Academic Press, London, New York, 1-97.
Wagner, H. & Schaeffel, F. (1991). Barn owls (Tyto alba) use accommodation as a distance
cue. Journal of Comparative Physiology A 169: 515-521.
Walls, G. L. (1942). The vertebrate eye and its adaptive radiation. Reprint by Hafner
Publishing Company, New York, London (1963).
Wilhelm, H., Schaeffel, F. & Wilhelm, B. (1993). Die Altersabhängigkeit der Pupillennahreaktion. Klinische Monatsblätter für Augenheilkunde 203 (2): 110-116.
Yasukawa, Y., Ota, H. & Hikida, T. (1992). Taxonomic re-evaluation of the two subspecies
of Geoemyda spengleri (Gmelin, 1789) (Reptilia: Emydidae). Japanese Journal of Herpetology 14 (3): 143-159.
Zardoya, R. & Meyer, A. (2001). The evolutionary position of turtles revised. Naturwissenschaften 88: 193-200.
67
Akkommodation bei der Zacken-Erdschildkröte
68
7
Danksagung
An dieser Stelle möchte ich all denen herzlich danken, die auf die eine oder andere Weise
zum Gelingen meiner Arbeit beigetragen haben:
Das Projekt geht auf eine Idee von Dr. Matthias Ott zurück. Ich danke ihm für das Vertrauen,
das er in mich setzte, als er mir das Thema zur Bearbeitung überließ. Unter seiner Betreuung
habe ich mich sehr wohl gefühlt. Kritik und Anregungen von seiner Seite waren äußerst hilfreich und es blieb genug Freiraum für die Verwirklichung eigener Ideen.
Prof. Hanspeter A. Mallot war so freundlich, das Erstgutachten zu übernehmen. Außerdem
gab er mir die Gelegenheit, meine Ergebnisse in seiner Arbeitsgruppe zur Diskussion zu
stellen.
Für das Zweitgutachten erklärte sich Prof. Frank Schaeffel bereit. Ihm bin ich zu besonderem
Dank verpflichtet: Zum einen wäre das Projekt ohne seine großzügige materielle Unterstützung nicht zu verwirklichen gewesen, zum anderen brachten mich seine fachlichen Hinweise
und Erläuterungen ein deutliches Stück voran.
Prof. Hans-Joachim Wagner verschaffte mir und den Schildkröten in seinem Institut ein Zuhause. Für die unkomplizierte Art, mit der er aushalf, wenn es an Materialien mangelte, bin
ich ihm sehr dankbar.
Frau und Herr Matzanke waren so nett, ihre eigenen Schildkröten für Vorversuche zur Verfügung zu stellen. Sie kümmerten sich um den in der Bearbeitungszeit geschlüpften Nachwuchs
und übernahmen alle unsere Tiere nach Ende der Experimentalphase. Ich bin froh, sie bei
ihnen in guten Händen zu wissen.
Während ihrer Unterbringung am Institut wurden die Schildkröten von Herrn Stukan gepflegt.
Dafür möchte ich ihm in ihrem und meinem Namen danken.
Timo Moritz war so freundlich, eine Apparatur zu konstruieren, mit der die Infrarot-Kamera
kontinuierlich um ein Zentrum geschwenkt werden konnte. Dies machte eine Untersuchung
der Refraktion des Auges für verschiedene Bereiche des visuellen Feldes möglich.
Die Angestellten, Doktoranden und Diplomanden im Anatomischen Institut und in der Sektion für Neurobiologie des Auges sorgten für ein Umfeld, in dem ich gerne gearbeitet habe.
Nennen möchte ich insbesondere Breno Bellintani-Guardia, Karin Tiedemann, Xenia Haertel,
Barbara Wallenfels-Thilo, May Daraban, Uta Paulsen, Andreas Mack, Michael Lehner, Michaela Bitzer, Monika Weiss, Anne Seidemann, Dr. med. Perikles Simon und Daniel Hartmann.
Mein besonderer Dank gilt Stephan Ritter – für alles, was er wie selbstverständlich für mich
getan hat, ohne dass es selbstverständlich war.
69
Danksagung
Die Studienstiftung des deutschen Volkes ermöglichte mir durch einen Zuschuss die Teilnahme am Forum of European Neuroscience (FENS) 2002 in Paris, wo ich meine Ergebnisse
präsentieren konnte.
Nicht zuletzt möchte ich meinen Eltern dafür danken, dass sie mein Studium finanziert haben
und mir in schwierigen Zeiten stets zur Seite standen. Auch meine Geschwister haben mich
durch ihr Verständnis und ihre Ermutigungen immer unterstützt.
Schließlich sollen die 11 Zacken-Erdschildkröten nicht unerwähnt bleiben: Bei den meisten
Versuchen war ich auf ihre Mitarbeit angewiesen. Die erstaunlich hohe Kooperationsbereitschaft, die sie an den Tag legten, hatte ich nicht erwartet.
70
Herunterladen