IV Grundbegriffe der Wahrscheinlichkeitstheorie 12 Wahrscheinlichkeitsräume, Zufallsvariablen Wahrscheinlichkeitsräume“ liefern mathematische Modelle für Zufallsexperimente“ , ” ” d.h. für (konkrete) Experimente , deren Ergebnisse nicht determiniert sind . Der russische Mathematiker A.N. Kolmogorov (1903-1987) hat 1933 die Grundlagen gelegt für einen konsequenten axiomatischen Aufbau der Wahrscheinlichkeitstheorie mit maßund integrationstheoretischen Hilfsmitteln. Definition 12.1. Ein Wahrscheinlichkeits- (W-)Raum ist ein Tripel ( Ω, A, P ), wobei Ω A P : nicht-leere Menge ( Ergebnisraum, -menge“ ) ; ” [ Die Elemente ω ∈ Ω heißen Ergebnisse“ . ] ” : σ-Algebra (in Ω) ; [ A ∈ A heißt Ereignis“ . ] ” : Maß auf A mit P (Ω) = 1 . [ P heißt W-Maß“ ; ” P (A) heißt Wahrscheinlichkeit von A“ , A ∈ A .] ” In der W-Theorie haben sich spezielle, oft anschauliche Sprechweisen durchgesetzt : Seien ω (∈ Ω) das (konkrete) Ergebnis eines Zufallsexperiments und A, B; A1 , A2 , . . . (∈ A) Ereignisse . Man sagt , falls ω ∈ A Ac , ∁A : : (Das Ereignis) A tritt ein.“ ” A tritt nicht ein.“ ” A\B A△B : : A tritt ein, aber nicht B.“ ” A oder B tritt ein, aber nicht beide.“ ” ∞ T n=1 ∞ S An : An : n=1 lim sup An := n→∞ lim inf An n→∞ := ” ” Alle An (n = 1, 2, . . .) treten (gleichzeitig) ein.“ Mindestens ein An (n = 1, 2, . . .) tritt ein.“ ∞ ∞ S T n=1 k=n ∞ T ∞ S n=1 k=n Ak : Ak : ” ” Unendlich viele der An (n = 1, 2, . . .) treten ein.“ Schließlich alle der An (n = 1, 2, . . .) treten ein.“ 56 Statt P - fast überall“ sagt man auch P - fast sicher (P -f.s.)“ oder ” ” mit Wahrscheinlichkeit 1 (m.W. 1)“ . ” Wir beschreiben einige konkrete Zufallsexperimente : Beispiel 12.1. (Werfen eines Würfels) Ω = {1, 2, 3, 4, 5, 6} , P (A) = A = P(Ω) , |A| |A| = , A ⊂ Ω. |Ω| 6 Das obige Modell ist ein spezielles Laplace-Modell . Allgemein : Ω = {1, . . . , , N } endliche Menge , A = P(Ω) , P (A) = Anzahl der günstigen Fälle“ |A| = ” , |Ω| Anzahl der möglichen Fälle“ ” Im Laplace-Modell sind alle Ergebnisse P ({ω}) = 1 |Ω| ” A ⊂ Ω. gleichwahrscheinlich“ , nämlich ∀ ω ∈ Ω. Beispiel 12.2. (Ziehen von Kugeln aus einer Urne) In einer Urne (Trommel) befinden sich (genau) R rote und S schwarze Kugeln (R + S =: N ) . Es werden n Kugeln gezogen . Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass genau r rote Kugeln gezogen werden (r = 0, 1, . . . , n) ? a) Ziehen mit Zurücklegen : Modell Ω |Ω| = {ω = (ω1 , . . . , ωn ) | ωi ∈ {1, . . . , N } ∀ i = 1, . . . , n} , = Nn (n-te Potenz) , = {ω ∈ Ω | genau r der ωi aus {1, . . . , R}“ } , ” n r R (N − R)n−r , | Ar | = r r n−r n R R | Ar | = 1− , r = 0, 1, . . . , n . P (Ar ) = r |Ω| N N Ar 57 b) Ziehen ohne Zurücklegen : Anderes Modell e Ω = {e ω = (e ω1 , . . . , ω en ) | ω ei ∈ {1, . . . , N }, ω ei 6= ω ej (i 6= j)} , N! =: N (n) (n-te Faktorielle) , (N − n)! er e | genau r der ω A = {e ω∈Ω ei aus {1, . . . , R}“ } (6= Ar !) , ” (r) R N −R (n−r) er | n R (N − R) | A er ) = = r Nn−r , = Pe(A (n) e N r |Ω| n e| |Ω = N (N − 1) · · · (N − n + 1) = wobei max(0, n − (N − R)) ≤ r ≤ min(n, R) . Andere Möglichkeit (beim Ziehen ohne Zurücklegen) : ≈ ≈ Ω ≈ |Ω| ≈ |A| ≈ ≈ k j ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ r n−r N n ≈ = {ω ∈ Ω | genau r der ω i aus {1, . . . , R}“ } , ” R N −R P (Ar ) = wobei ≈ ≈ = {ω = (ω 1 , . . . , ω n ) | ω i ∈ {1, . . . , N }, ω 1 < ω 2 < . . . < ω n } , e| |Ω N = = , n n! , r = 0, 1, . . . , n , := 0 , falls j < 0 oder j > k . Beim Ziehen mit Zurücklegen ist das Ergebnis des i-ten Zugs unabhängig“ vom ” Ergebnis des j-ten Zugs (i 6= j) . Sei z.B. Ei = beim i-ten Zug eine rote Kugel“ ” = {ω = (ω1 , . . . , ωn ) | ωi ∈ {1, . . . , R}} (i fest) =⇒ R2 N n−2 = P (Ei ∩ Ej ) = Nn R R · N n−1 = , P (Ei ) = n N N i6=j R N 2 , also P (Ei ∩ Ej ) = P (Ei )P (Ej ) (i 6= j) . Entsprechend : (∗) P (Ei1 ∩ · · · ∩ Eik ) = P (Ei1 ) . . . P (Eik ) ∀ {i1 , . . . , ik } ⊂ {1, . . . , n} . Ereignisse E1 , . . . , En , die die Bedingung (∗) erfüllen heißen ” Im Modell ohne Zurücklegen sind die entsprechenden Ereignisse ei = E ” beim i-ten Zug eine rote Kugel“ 58 unabhängig“ (s.u.) . abhängig , denn ei ∩ E ej ) Pe(E i6=j = R(R − 1) 6= N (N − 1) R N 2 ei )Pe(E ej ) . = Pe(E Bemerkung 12.1. Durch (Ωi , Ai , Pi ), i = 1, . . . , k , seien k Zufallsexperimente beschrieben . Ein Gesamtmodell für die unabhängige Durchführung“ dieser Einzel” experimente liefert ! k k k k O Y O O (Ω, A, P ) = (Ωi , Ai , Pi ) = Ωi , Ai , Pi . i=1 i=1 i=1 i=1 Beispiel 12.2 (Fortsetzung) (Ω1 , A1 , P1 ) mit Ω1 = {ω1 | ω1 ∈ {1, . . . , N }} , A1 = P(Ω1 ) , P1 (A1 ) = | A1 | | A1 | = , A ⊂ Ω1 , | Ω1 | N beschreibt das Ziehen einer Kugel aus einer Urne (mit N Kugeln) . Das n-malige Ziehen mit Zurücklegen wird genau durch das Modell ! n n n O O Y P1 = (Ωn1 , An1 , P1n ) A1 , (Ω, A, P ) = Ω1 , i=1 i=1 i=1 beschrieben. Bei der Untersuchung von Zufallsexperimenten interessieren oft weniger die konkreten Ergebnisse ω des Experiments als vielmehr Größen X = X(ω) , die von den Ergebnissen abhängen. Definition 12.2. Seien (Ω, A, P ) ein W-Raum und (X , B) ein Messraum . Eine A - B - messbare Abbildung X : Ω → X heißt (X -wertige) Zufallsvariable (ZV.) oder (X , B) - ZV. oder auch A - B - ZV. Spezielle Sprechweisen bei (X , B) = (R1 , B1 ) : reelle ZV. , (R1 , B1 ) : numerische ZV. , (Rk , Bk ) : (k-dimensionaler) Zufallsvektor . 59 Beispiel 12.2 (Fortsetzung) Seien ( ) 1 , falls ωi ∈ {1, . . . , R} Xi := Xi (ω) = (i = 1, . . . , n) , 0 , sonst n P Xi = Anzahl der gezogenen roten Kugeln“ , X := ” i=1 Ar = {X = r} (:= { ω | X(ω) = r}), r = 0, 1, . . . , n . Bemerkung 12.2. a) Sei F Erzeuger der σ-Algebra B in Definition 12.2 . Dann gilt : X ist A - B - ZV. ⇐⇒ {X ∈ B} ∈ A b) X ist reelle (bzw. numerische) ZV. {X ≤ a} ∈ A ∀ a ∈ R bzw. ⇐⇒ {X < a} ∈ A ∀ a ∈ R c) X = (X1 , . . . , Xk ) k-dimensionaler Zufallsvektor Xi reelle ZV. ∀B∈F. ∀ i = 1, . . . , k . 60 ⇐⇒ usw.