Kapitel 29 Konsum und Investition

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Volkswirtschaftlehre
Kapitel 29
Konsum und Investition
Lernziele
Ø
Ø
Aus welchen Gründen könnte der laufende Konsum nicht sehr stark vom laufenden
Einkommen abhängig sein? Was hätte dies für Konsequenzen beispielsweise für
wirtschaftspolitische Massnahmen wie Steuersenkungen?
Welche anderen Faktoren bestimmen die Höhe des aggregierten Konsums?
Ø
Was sind dauerhafte Konsumgüter und warum sind Ausgaben für solche Güter volatil?
Ø
Welches sind die wichtigsten Bestimmungsfaktoren für die Höhe der Investitionen?
Ø
Welche Rolle spielen Änderungen des Zinses und die Verfügbarkeit von Krediten?
Ø
Welche Rolle spielen Veränderungen der Risikowahrnehmung sowie der Fähigkeit
und des Willens, Risiken zu tragen?
Ø
Warum ist die Veränderung bei Investitionen und Ausgaben für dauerhafte Konsumgüter so wichtig?
In diesem Kapitel werden zwei Komponenten der aggregierten Ausgaben, nämlich der
Konsum und die Investitionen, näher betrachtet. Die Schwankungen der wirtschaftlichen Aktivität wird dadurch verständlicher. Es wird darauf eingegangen, wie Konsum
und Investitionen bestimmt werden und was Verschiebungen der Investitions- und
Konsumfunktion verursacht. Dies verhilft zu einem tieferen Einblick in mögliche wirtschaftspolitische Massnahmen zur Verminderung dieser Schwankungen.
29.1 Der Konsum
Was bestimmt die Konsumausgaben?
Die Keynesianische Konsumfunktion unterstellt eine Beziehung zwischen Konsum
und laufendem (verfügbarem) Einkommen. Bei steigendem (verfügbarem) Einkommen
steigt der Konsum gemäss der Konsumneigung.
Zukunftsorientierte Konsumfunktionen
Menschen orientieren sich bei ihren Konsumentscheidungen am gesamten Lebenszeiteinkommen, indem sie aus guten und schlechten Jahren einen Durchschnitt bilden und
davon ausgehen, dass mit der Berufserfahrung das Einkommen normalerweise ansteigt.
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Der Nobelpreisträger Franco Modigliani hat betont, dass die Menschen für den Altersruhestand sparen. Dieses Sparmotiv wird Lebenszyklussparen genannt.
Der Nobelpreisträger Milton Friedman hob hervor, dass die Zukunftserwartungen den
Gegenwartskonsum beeinflussen. Menschen sparen in guten Jahren für schlechte Zeiten. Diese Sichtweise wird die permanente Einkommenshypothese des Konsums genannt. Das permanente Einkommen ist das durchschnittliche Einkommen eines Menschen über seine gesamte Lebenszeit hinweg. Der Konsum hängt von diesem durchschnittlichen Lebenszykluseinkommen ab. Die Rolle des Sparens bei Modigliani besteht in der Glättung des Konsums zwischen aktiven Jahren und Ruhestand, bei
Friedman in der Glättung zwischen guten und schlechten Jahren. Beide gehen von
stabilen Konsummustern der Menschen aus.
Gewinnt jemand 1 Mio. CHF in der Lotterie, so wird er bei der keynesianischen Konsumfunktion entsprechend der Konsumneigung (bspw. 0,9) 900 000.- Fr. konsumieren.
Bei den zukunftsorientierten Theorien wird der Gewinner das zusätzliche Einkommen
über das ganze Leben verteilen und somit im Gewinnjahr weniger als 900 000.- Fr,
konsumieren.
Ähnliches gilt für Steuersenkungen. Vorübergehende Steueränderungen sind ein weniger wirksames Mittel bei den zukunftsorientierten Theorien.
Unterstellt man die Gültigkeit der zukunftsorientierten Konsumfunktionen, so verlaufen
diese flacher als im keynesianischen Modell. Dies gilt dann auch für die gesamtwirtschaftliche Ausgabenkurve. Damit wird der Multiplikator kleiner.
Vermögen und Kapitalgewinne
Es gibt einen Zusammenhang zwischen Konsum und Vermögen, so dass Vermögensänderungen auch Veränderungen des Konsums bewirken. Einkommen und Konsum
sind Stromgrössen. Das Vermögen ist eine Bestandesgrösse. Gemäss den zukunftsorientierten Theorien hängt der laufende Konsum nicht vom laufenden Einkommen ab.
Das Vermögen ist ein besserer Massstab für die Konsumausgaben, wobei Vermögen
auch das Humankapital einschliesst, also den Gegenwartswert der zukünftigen Einkommen.
Wird ein Anstieg der Aktienkurse oder der Immobilienpreise für dauerhaft gehalten, so
steigen die Konsumausgaben, weil das Gesamtvermögen steigt. Die Anpassungen
dauern ihre Zeit. Ein langanhaltender und ständiger Rückgang der Aktienkurse könnte
den Konsum stark beeinträchtigen.
Empirische Daten zur Konsumtheorie
Aufgrund der Existenz dauerhafter Konsumgüter und der Kreditrationierung hängt der
Konsum stärker vom laufenden Einkommen ab als die zukunftsorientierten Theorien erwarten lassen.
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Dauerhafte Konsumgüter sind Autos, Kühlschränke etc., die ihre Dienste über eine Reihe
von Jahren leisten. Bei vorübergehend niedrigem Einkommen kann man den Kauf eines
solchen Gutes aufschieben. Dasselbe gilt bei Befürchtungen über den Verlust des Arbeitsplatzes. Die Schwankungen der Ausgaben für dauerhafte Konsumgüter sind zusammen mit denjenigen der Investitionsnachfrage für einen grossen Teil der Konjunkturschwankungen verantwortlich.
Gemäss empirischer Studien hängen auch die Ausgaben nicht dauerhafter Konsumgüter
überraschend stark vom laufenden Einkommen ab. Da nun die meisten Haushalte nur
wenig liquide Mittel zur Verfügung haben (Ersparnisse), müssten sie auf Kredite zurückgreifen können. Wenn nun jemand zum Marktzinssatz keinen Kredit erhält, weil er
nicht genügend Sicherheiten bieten kann, so spricht man von Kreditrationierung. Wer also
keinen Kredit erhält, muss bei sinkendem Einkommen die Konsumausgaben reduzieren.
Für die meisten Menschen, die ja niedrige oder mittlere Einkommen haben, gelten Kreditbeschränkungen und somit ist die traditionelle keynesianische Konsumfunktion sehr relevant. Bei einer Reduktion des laufenden Einkommens müssen die meisten Menschen ihren Konsum reduzieren.
Makroökonomische Implikationen der zukunftsorientierten Konsumtheorien
Es gibt zwei Arten von Implikationen. Erstens hängt der Konsum nicht sehr stark vom laufenden Einkommen ab, so dass die gesamtwirtschaftliche Ausgabenkurve flach ist und
der Multiplikator niedrig. Ein Rückgang der Investitionsausgaben hat somit eine geringere
Wirkung auf das gesamtwirtschaftliche Einkommen, was positiv ist. Negativ ist, dass die
Bemühung des Staates, die Wirtschaft konjunkturell zu steuern, viel weniger wirkungsvoll
ist.
Zweitens werden andere Einflussfaktoren des Konsums benannt und helfen damit klären,
warum sich der Anteil der Konsumausgaben am verfügbaren Einkommen von Jahr zu
Jahr verändern wird. Verschiebungen der Konsumfunktion können durch Erwartungen
über die zukünftige wirtschaftliche Lage, Veränderungen bei der Kreditgewährung durch
die Banken und Veränderungen der Immobilien- und Aktienpreise bewirkt werden.
29.2 Investitionen
Schwankungen im Niveau der Investitionsausgaben sind wahrscheinlich der Hauptgrund
für die Instabilität der gesamtwirtschaftlichen Ausgaben und damit auch der gesamtwirtschaftlichen Produktion.
Die Investitionsausgaben kann man in drei Kategorien einteilen:
1. Ausgaben der Unternehmen für neue Kapitalgüter (Gebäude, Maschinen, Fahrzeuge,
Registrierkassen, Schreibtische) = Ausrüstungsinvestitionen.
2. Lagerinvestitionen (Fertigprodukte für den Verkauf, Rohmaterialien für die Produktion).
3. Ausgaben der Haushalte für neue Immobilien. Dies wird am besten als langlebiges
Konsumgut interpretiert, da die Nachfrage den gleichen Grundsätzen wie für dauerhafte Konsumgüter gehorcht.
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Ausrüstungsinvestitionen
Die erwarteten zukünftigen Erträge müssen ausreichen, um die Kosten der Investition
und ihre damit verbundenen Risiken zu decken. Dabei gilt, dass ein CHF in einem Jahr
weniger wert ist als ein CHF heute.
Höhere Zinssätze führen zu niedrigeren Investitionsausgaben, wobei die Realzinssätze
relevant sind. Höhere Nominalzinssätze bei gleichem Anstieg der Preise lassen die Investitionsentscheidungen der Unternehmungen unberührt.
Erwartungen und Risiko
Die Prognose der zukünftigen Erträge ist der schwierigste Teil einer Investitionsentscheidung. Es bestehen technologische Risiken und erhebliche Marktrisiken. Die Unternehmung muss aufgrund möglichst guter Information einen Schätzwert annehmen und
sich über die verbleibende Unsicherheit im Klaren sein. Unternehmen verlangen eine
Kompensation für die Risiken. Drei Faktoren bestimmen deren Höhe:
Ø Grössenordnung des Risikos
Ø Möglichkeiten zur Teilung des Risikos (Rückversicherung)
Ø Risikofreude der Entscheidungsträger.
Befindet sich die Volkswirtschaft in einer Rezession, gehen die Unternehmen von höheren Investitionsrisiken aus. Der Aktienmarkt bietet die Möglichkeit, die Risiken zu teilen,
was allerdings eine breite Streuung der Aktien voraussetzt. Im Boom bietet der Aktienmarkt gute Möglichkeiten, Risiken breiter zu streuen. Schliesslich ist die Finanzkraft der
Unternehmung von Bedeutung.
Der Akzelerator
Einer der wichtigsten Einflussfaktoren auf die Investitionsnachfrage stellt die Erwartung in
Bezug auf die künftigen Umsätze dar. Sind die laufenden Umsätze hoch, erwartet man
eventuell auch in Zukunft hohe oder steigende Umsätze. Eine Outputzunahme bewirkt
eine Erhöhung der Investitionen. Die Tatsache, dass Outputzunahmen zu höheren Investitionen führen und damit eine selbstverstärkende Wirkung haben, bezeichnet man als
Akzeleratoreffekt.
Verfügbarkeit von Geldmitteln
Erhalten Unternehmen in Zeiten des wirtschaftlichen Abschwungs kein Fremdkapital,
müssen sie zur Finanzierung ihrer Investitionen auf den einbehaltenen Gewinn zurückgreifen. Die Möglichkeiten der Selbstfinanzierung spielen also eine grosse Rolle. Grosse
Firmen können auch an der Börse Eigenkapital beschaffen. Dies ist allerdings in der Rezession nur beschränkt möglich. In der Einschätzung der Unternehmen sind insbesondere
in Rezessionen die Geldmittel knapp, was zu einer Beschränkung der Investitionsausgaben führt.
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Rezessionen
In Rezessionen verschiebt sich die Investitionskurve nach links. Gewinnerwartungen gehen zurück, Risiken erscheinen grösser, die Fähigkeit und Bereitschaft zur Übernahme
von Risiken nimmt ab. Die verfügbaren Mittel der Unternehmen (Kredite, Selbstfinanzierung) nehmen ab. Banken schränken ihre Kreditvergabe ein, da sie schon Verluste
durch zahlungsunfähige Kunden erlitten haben und bei neuen Krediten die Risiken höher
einschätzen. Unter diesen Umständen kann es sein, dass ein nennenswerter Rückgang
des Realzinssatzes keine grosse zusätzliche Investitionsnachfrage hervorrufen kann.
Ein Blick auf die empirischen Daten
Es gibt Hinweise, dass eine Senkung der Zinssätze Investitionen anregt. Dabei reagieren
Bauinvestitionen empfindlicher auf Zinsänderungen als andere. Es lässt sich aber auch
zeigen, dass Erwartungen, Risikoeinschätzung und die Bereitschaft zur Risikoübernahme
die Investitionskurve verschieben.
Anmerkung
Die Bauinvestitionen tragen vielleicht etwa 10% zum BIP bei. Da eine Zinssenkung mit
einer grosszügigeren Geldversorgung durch die Zentralbank verbunden ist, was dann
wiederum Inflationsgefahren verursacht, ergeben sich hier Zielkonflikte.
Siehe Kap. 30 - 35, Geldpolitik.
Lagerinvestitionen
Lagerinvestitionen sind besonders volatil. Mit der Lagehaltung sind Kosten verbunden:
Ø Zinskosten für Kredite
Ø die gebundenen Mittel könnten anderweitig eingesetzt werden (Opportunitätskosten);
Mietkosten
Ø Wertverminderungen.
Dem steht eine Kostenersparnis durch Gewährleistung einer konstanten Produktionsleistung gegenüber. Die Lagerhaltung hat somit die Funktionen der Produktionserleichterung und der Produktionsglättung.
Je höher der Output, desto höher ist die Lagerhaltung. Die Lagerhaltung nimmt zu, wenn
die gesamtwirtschaftlichen Ausgaben abnehmen. Logischerweise könnte man meinen,
dass die Lagerhaltung die Schwankungen der gesamtwirtschaftlichen Produktion verringert, indem sie es den Unternehmen erlaubt, ein gleichmässiges Produktionsniveau beizubehalten.
Tatsächlich scheint aber die Lagerhaltung die Konjunkturschwankungen zu verschärfen,
anstatt zu dämpfen. Die Lagerinvestitionen variieren stärker als der Output und erklären
zu einem grossen Teil die Schwankungen der gesamtwirtschaftlichen Ausgaben. Dies gilt
auch für die Lagerbestände an Konsumgütern.
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Ein Grund hierfür könnte die Risikoscheu der Unternehmungen sein und die begrenzte
Verfügbarkeit von Krediten. In Rezessionen wollen Unternehmen gerne und oft Desinvestieren. Die einfachste Möglichkeit ist der Verkauf von Lagerbeständen.
Ungeplante Lagerinvestitionen
In Rezessionen werden die Lagerbestände oft unfreiwillig aufgestockt. Dies hat Rückwirkungen auf die Produktion. Niedrige Auftragsbestände führen zu einer Einschränkung
der Produktion. Zyklische Schwankungen, die durch Lagerinvestitionen ausgelöst werden, nennt man Lagerzyklen.
Massnahmen zur Investitionsförderung
Wenn die Unternehmen überzeugt sind, dass die Regierung sich der wirtschaftlichen
Stabilität verpflichtet fühlt, werden sie die gesamtwirtschaftlichen Risiken geringer einschätzen.
Eine Steuergutschrift für Investitionen könnte die Investitionsausgaben attraktiver machen. Besonders wirksam sind vorübergehende Steueränderungen, da sie wie ein Rabatt
wirken und die Wirkung für die Unternehmen besser prognostizierbar ist. Zudem sind sie
schwerfällig, da sie vom Parlament zu bewilligen sind.
Meistens verlässt sich der Staat auf die Geldpolitik (siehe Kap. 30 - 35). Das Geschehen
auf dem Gütermarkt (das Gleichgewichtsniveau des Outputs) beeinflusst den Arbeitsmarkt (das Ausmass der Arbeitslosigkeit in der Volkswirtschaft). Die Situation am Kapitalmarkt (die Zinssätze und die Verfügbarkeit von Krediten) beeinflusst wiederum die Investitionen und damit den Gütermarkt.
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