Das Bärensteiner Kanzelwort

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Das Bärensteiner Kanzelwort
Predigt über Johannes 15, 1–8
gehalten am Sonntag Jubilate zur Jubelkonfirmation, 3. Mai 2009,
von Pfarrer Frank Bohne
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen
Geistes sei mit euch allen!
Das Wort für die Predigt steht beim Evangelisten Johannes im 15. Kapitel:
Christus spricht: Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater der Weingärtner. Eine jede Rebe an mir,
die keine Frucht bringt, wird er wegnehmen; und eine jede Rebe, die Frucht bringt, wird er reinigen, daß
sie mehr Frucht bringe. Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe. Bleibt
in mir und ich in euch. Wie die Rebe keine Frucht bringen kann aus sich selbst, wenn sie nicht am
Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht in mir bleibt. Ich bin der Weinstock, ihr seid die
Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun.
Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen wie eine Rebe und verdorrt, und man sammelt sie und
wirft sie ins Feuer, und sie müssen brennen. Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben,
werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren. Darin wird mein Vater verherrlicht, daß ihr
viel Frucht bringt und werdet meine Jünger.
Der Herr segne an uns sein Wort!
Liebe Gemeinde!
Sind Sie eigentlich glücklich? Sicher – heute ist wunderschönes Wetter. Die Sonne lacht.
Vielleicht sind Sie zufrieden und gut gelaunt aufgestanden.
Die Begegnung mit den Schulkameraden von vor 25, 50, 60 Jahren läßt aufleben. Austausch in froher
Runde, gutes Essen, das Teilen von Erinnerungen…
Das Ziepen und Zwicken im Kreuz, auch das Rheuma in den Gelenken und die übrigen Sorgen, all das
kann warten. Heute haben schöne Dinge Vorfahrt. Die Weichen stehen auf Fröhlichkeit. Manchmal
kann das Glück so einfach sein…
Mit dem Glück ist es bisweilen wie bei einem Sommerurlaub am Meer. Sicher kennen Sie das: Da gibt
es Menschen, die kommen an den Stand. Sie stellen sich ans Wasser, lassen sich den Wind um die
Nase wehen, schauen den Wellen zu, genießen. Und sind glücklich.
Es gibt aber immer auch Leute, die gehen den Strand hinauf, und dieselbe Anzahl Menschen, die
gehen in die andere Richtung hinunter. Die einen gehen genau dahin, wo die anderen herkommen.
Eine regelrechte Wanderung: Alle haben wohl das Gefühl: dort muß es besser sein. Sie sind auf der
Suche nach etwas anderem als das, was sie gerade haben. Sie suchen das bessere Plätzchen, die
schönere Aussicht, das klarere Stück Wasser.
Das Bild vom Strand und den Wanderungen dort kann zum Gleichnis werden für ein Lebensgefühl:
Genau da, wo ich nicht bin, muß es besser sein. Wenn ich erst dort bin, wenn ich das erst erreicht
habe, dann bin ich glücklich. Die innere Unruhe, das Gefühl, es fehle noch etwas zum wirklichen Glück
im Leben.
Für das Glück, für ein Leben, das so erfüllt ist, dass ich gar nicht mehr suchen muß, dafür hatten die
Menschen zu Jesu Zeiten ein sehr schönes, einprägsames Bild: Das vom Weinstock. Ein kräftiger
Stamm, elegante, fingerförmige Blätter, die scheinbar unendlich langen Reben, und die saftigen, reifen
Trauben. Es ist ein Bild für’ s pralle Leben. Ein Bild für das Glücklich sein.
Und mit werbenden Worten spricht Jesus: „Du musst nicht länger suchen, hier – bei mir – ist dieses
Glück, diese Fülle zu haben.“ Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben.
Jesu Hörer haben das Bild oft vor Augen. Im Land der Bibel ist der Weinstock ein edles Gewächs, zählt
zu den meist gepriesenen Pflanzen. Denn er liefert Trauben, und daraus läßt sich köstlicher Wein
gewinnen. Wein für festliche Stunden. Aber auch als Teil der täglichen Nahrung, so wie für uns Kaffee
oder Tee.
Doch bevor der Wein zu genießen ist, fällt Arbeit an. Das ganze Jahr kümmert sich der Winzer um den
Weinstock. Er entfernt das Unkraut, sammelt die Steine fort, lockert den Boden, bewässert, entfernt
den Wildwuchs.
Über die Monate entwickelt der Winzer zu seinem Weinstock eine regelrechte Beziehung. Er hängt an
ihm. Darum schützt er ihn auch, baut um seinen Weinberg eine Mauer, manchmal sogar einen Turm.
Bis die schöne Zeit heranrückt. Die Zeit, wo der Lohn der Arbeit greifbar wird: Die Zeit der Weinlese,
dann der Kelter, schließlich des neuen, guten Weins.
So ist der Weinstock ein Bild für das Glück. Alles, was auch wir unter Glück verstehen, ist darin
zusammengefasst: Da sind die heiteren, glücklichen Momente. Die kleinen Geschenke des Alltags.
Dann die großen Ziele, die Höhepunkte auf dem Lebensweg. Wohl dem, der sie gesund erfahren kann.
Vielleicht auch Mühe und Arbeit, die man gern auf sich nimmt, um etwas zu erreichen. Bis der Erfolg zu
greifen ist, man sagen kann: Ja, es hat sich gelohnt. All das zusammen ist Glück. Dann ist das Leben
leicht. Heiter wie nach einem Glas Wein.
Glücklich, wer sein Leben nicht wie innerlich getrieben verbringt. Sondern wer das Gefühl hat: ich bin
angekommen, bin zufrieden. Ich habe Menschen in meiner Nähe, die die mich mögen, mir helfen und
beistehen, wenn es nötig ist. Ich habe einen Platz gefunden, wo ich hingehöre. So wie ein Weinstock
auf einem guten Fleck.
Ein Weinstock hat bisweilen unglaublich lange Wurzeln. Manchmal über 25 Meter. Aus großer Tiefe
werden so Nahrung und Wasser gesucht.
Auch ich habe meine Wurzeln geschlagen, am Ort, an dem ich lebe. Sie geben mir Halt und Tiefgang.
Glücklich sein – das sind auch die Zeiten im Leben, wo es vorwärts geht. Wo ich mit Energie Dinge
angehe und bewerkstellige. Die Früchte meines Lebens. Auch darauf wird bei einem Klassentreffen
manchmal geschaut. Und natürlich auf die Kinder, die heranwachsen und gedeihen, so wie Früchte an
einem Weinstock.
Wenn du dich danach sehnst, sagt Jesus, dann bleibe in mir. „Bleibt in mir …“ Die Menschen, zu denen
Jesus das in unserer Geschichte gleich mehrmals sagt, die hatten ihr ganzes Leben zurückgelassen für
IHN. Alles, was ihnen bis dahin als Glück erschienen ist.
„Bleibt in mir…“, hören sie, als sie merken, wie sich die Schlinge um Jesus langsam enger zieht. Die
Worte vom Weinstock sind ja Teil des Abschieds, den Jesus von den Seinen nimmt.
„Bleibt in mir…“ diese Worte sind auch später für viele zur Bewährungsprobe geworden. Menschen, die
gerne Christen sein wollten: Augustinus etwa, den wir „Kirchenvater“ nennen…
„Unser Herz ist unruhig in uns, bis es Ruhe findet in dir.“ hat Augustinus einmal gesagt.
Oder Dietrich Bonhoeffer: aufrecht und furchtlos hat er vor anderen in der Gestapo-Haft gewirkt, und
sich dabei im Innern doch kläglich, zitternd und zagend gefühlt. „Wer ich auch sein mag, du kennst
mich, dein bin ich, o Gott.“
„Bleibt in mir…“ – schwingt in Jesu Aufforderung nicht zugleich auch eine Drohung mit, wenn er
fortfährt: „Mein Vater ist der Weingärtner. Eine jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, wird er
wegnehmen, und einen jede, die Frucht bringt, wird er reinigen, dass sie mehr Frucht bringe.“
Mit diesen Sätzen haben Prediger über Jahrhunderte den Leuten von den Kanzeln herab Angst
gemacht. Höllenangst. Schließlich enden die Worte mit dem Bild vom Verbrennen. Solche Worte sind
unbequem, nur schwer zu ertragen.
Zum Evangelium, wirklich zur guten Botschaft, können sie erst werden, wenn wir sie anders füllen und
verstehen. Wenn ich mich selber ehrlich anschaue und erkenne: Eigentlich bin ich gar nicht wie eine
einzelne solche Rebe. Ein kleines Stückchen Ast, den der Weingärtner unter die Lupe nimmt und
entscheidet: Bist du fruchtbar oder verdorrt? Heil oder krank? Gut oder böse? Soll ich dich dran lassen
oder ab mit dir ins Feuer…?
Ich komme mir eher vor, als bestünde ich selbst aus mehreren solchen Reben. Es gibt Seiten an mir,
von denen ich gern glauben möchte, daß sie Gott als fruchtbar anerkennt. Seiten, die manches Mal
schon Früchte trugen.
Und dann gibt es viel Unreifes, Unfertiges, Unausgegorenes an mir, von dem ich noch nicht absehen
kann, was einmal daraus wird.
Schließlich gibt es auch einiges an mir, das ich nicht so gern zeige. Das ich am liebsten vor mir selbst
verstecken würde, wenn’s denn ginge. Auf das ich ganz und gar nicht stolz bin, und was mich dennoch
innerlich umtreibt. Unruhig und unerlöst bin ich in solchen Ecken und Winkeln meiner Seele.
Wenn Jesus da spräche: „Sorge dich nicht darum, wer du vor mir bist, denn ich und mein Vater, wir
wissen längst, wie es in dir aussieht. Wir wissen auch, was dich quält, womit du dich selber quälst.“
Erlösung, das bedeutet dann auch: erlöst zu werden von diesem alten Strunk, von diesem toten Zeug.
Mich reinigen, damit ich Frucht trage, damit ich innerlich wachse und genug habe, um auch anderen
abzugeben, damit ich innerlich frei werde… Dazu spräche ich gerne: Ja, reinige mich, mein Gott!
Wenn ich den Vergleich mit den verschiedenen Reben so verstehe, dann hieße das aber auch: Leute,
die für ihre Lebensleistung, für die vielen Früchte ihres Lebens verehrt und bewundert werden, auch die
haben ihre unerlösten Ecken, ihre vertrockneten Reben. Gott kennt sie.
Sicher gibt es auch das am heutigen Tag an so mancher Kaffeetafel: Die stille Bewunderung für den
einen oder die andere. Ja, der hat’s geschafft! Der kann sich sehen lassen!
Und doch darf ich mit dem Bild von den verschiedenen Reben, den verdorrten und den fruchtbaren,
wissen: Auch sie haben mit sich selber ihre Schwierigkeiten. Auch sie sehnen sich nach Erlöst-sein,
und nach Halt. So wie ich …
Wenn wir bei diesem Bilde bleiben, beim Weinstock, dessen Reben begutachtet und gereinigt werden,
dann bedeutet das nun weiter: Menschen werden in ihren Möglichkeiten und Hoffnungen manchmal
auch beschnitten. Manche Sehnsucht, manche Hoffnung von mir wird so einfach weggeschnitten. Ich
trage Wunden davon. Innerliche Narben und Verletzungen, die noch nach Jahren aufbrechen und weh
tun können.
Warum müssen diese Reben in mir weggeschnitten werden? Ist denn der einzige Weg, wie mein Leben
Tiefgang gewinnt, das Leiden? Damit ich ja auch spüre: Christus ist dieser Weinstock mit dieser
Wurzel, ER gibt mir Halt!
An dieser Frage hat schon Luther zu kauen gehabt. Und er hat am Ende seines Grübelns ja gesagt: Ja,
tatsächlich, was uns reinigt, das können wir uns nicht selber tun. Es wird an uns getan.
Denn das Schwere im Leben, das würden wir uns vermutlich niemals selber aussuchen, damit es
geschieht. Unsere Vorstellung von Glück, sie will am liebsten ganz ohne Leid auskommen.
Doch denken wir wieder an den Weinstock: All das, was er an unschönen Dingen ertragen muß: die
unerträgliche Hitze und Trockenheit an einem bestimmten Punkt des Jahres, das Unwetter über ihm an
einem anderen, der besonders harte, steinige Grund, wo er steht, der Frost, der in kalter Zeit an ihm
nagt, all das wird letztlich gebraucht, damit der Wein ein guter Jahrgang wird.
Es sind gerade die Extreme, wofür ein Standort geschätzt wird, und die dem Wein eine
unverwechselbare Note, ja einen Charakter geben.
So ist es manchmal auch mit uns Menschen: Es gibt Glaubensgeschwister, die haben den festen Halt
in ihrem Glauben erst gefunden, als sie in schweren Katastrophen standen.
Sie erzählen mir manchmal: „Ich wußte vorher nicht, was für eine Kraft mir geschenkt wird. Und ich
weiß bis heute nicht, woher sie kam. Jedenfalls nicht aus mir selbst. Ich weiß nur, daß mich all das
verändert hat. Die Schwierigkeiten, und die Kraft, die mir gegeben wurde.
Nun kann ich mich viel stärker hineinversetzen in Menschen, denen es ähnlich geht wie mir. Ja, ich bin
auch ein Stück barmherziger geworden. Auch das ist wohl eine ganz besondere Art von Glück…“
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Noch einmal möchte ich die Worte Jesu auf die Goldwaage legen:
Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht, denn
ohne mich könnt ihr nichts tun. Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen wie eine Rebe und
verdorrt, und man sammelt sie und wirft sie ins Feuer, und sie müssen brennen.
Man muß schon sehr genau hinhören, um das Hintersinnige an diesem Bild vom Glück zu entdecken:
Bleibt in mir … als Reben am Weinstock.
Mit zwinkerndem Auge scheint Jesus zu sagen: Es ist dir eingepflanzt, so tief wie ein Weinstock seine
Wurzeln hat, – diese Sehnsucht nach Glück, nach dem Sinn deines Lebens.
Und dabei weißt du schon lange: Wirklich ruhig - und glücklich - ist dein Herz nur bei Gott. Du kommst
gar nicht von ihm los, vom Halt deines Lebens. Von der Kraft, wie nur ER sie geben kann.
Nein, sei ehrlich, so wenig wie eine Weinrebe sagen kann: Ich mache mich jetzt los vom Weinstock, so
wenig könntest du sagen: Ich lasse von dir, meinem Gott!
Und wenn du eine Weile ausrückst und fliehst, wenn du gleich zehnmal am Strand auf und ab
wanderst, um woanders dein Glück zu suchen: in deinem Herzen nimmst du mich mit.
Denn ich will bei dir bleiben. Ich werde dir Halt geben, dann, wenn du dich haltlos fühlst. Werde dir
Energie und neue Lebenskraft schenken.
Und du darfst wissen: der Weinstock, an dem du hängst, und der Weingärtner, der dich schützt und auf
dich wartet, die sind eins. Was für ein unendlich großes Glück…
Und der Friede Gottes, der mehr umfasst, als wir verstehen können, bewahre unsere Herzen und Sinne
in unserm Weinstock Christus. Amen.
Predigtlied = Glaubenslied: „An einen Gott nur glauben wir“
(EG 780)
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