Pädagogische Hochschule Heidelberg, SS 2003 Ausarbeitung des Referats zum Thema Zusammenarbeit der Eltern einschließlich der Frühförderung Überlegungen zu einem Konzept zur Durchführung pädagogisch-psychologischer Interventionen in der Frühförderung Studentinnen: Anne-Dorothee Armingeon Hauptstraße 220 69117 Heidelberg ([email protected]) Daniela Deuscher Germanenstr. 18 75045 Walzbachtal ([email protected]) Datum: Studiengang: 15. Mai 2003 Lehramt an Sonderschulen Hauptseminar im Wahlpflichtbereich 1: Aufgabenfelder der Frühpädagogik Dozentin: Fr. Prof. Dr. paed. Ursula Horsch 1 Inhaltsverzeichnis Seite Einleitung................................................................................................................. 2 1. Überlegungen zur Planung von Interventionen (BÖLLING-BECHINGER S. 147 –154) ...................................................................... 3 1.1 Ziele und Aufgaben von Interventionen (Daniela Deuscher) ............................. 3 1.2 Elternzentriertes und/oder kindzentriertes Vorgehen? Seine Bedeutung für den Entscheidungsprozess bei der Wahl einer Intervention (Daniela Deuscher)......................................................................... 6 2. Vorstellung eines integrativen Förder- und Therapiekonzeptes im Rahmen der pädagogisch-psychologischen Frühförderung im Beratungszentrum Heidelberg (BÖLLING-BECHINGER S. 154 – 181)................................................ 10 2.1 Zum Begriff eines integrativen Förder- und Therapiekonzeptes (Daniela Deuscher).......................................................................................... 10 2.2 Festhaltetherapie (Anne-Dorothee Armingeon).............................................. 11 2.3 Päd. Frühförderung mit psychologischer Elternbegleitung (Anne-Dorothee Armingeon)....................................................................... 13 2.4 Fallbezogene interdisziplinäre Kooperation (Anne-Dorothee Armingeon)...................................................................... 15 2.5 Pädagogische Frühförderung in Anwesenheit der Eltern bzw. in Abwesenheit der Eltern (Anne-Dorothee Armingeon)................................. 16 Schluss.................................................................................................................... 17 Literatur................................................................................................................... 18 Einleitung (Daniela Deuscher) 2 Sucht man im Internet nach Beratungsstellen in Heidelberg, stößt man sehr schnell auf die Homepage des „Sonderpädagogischen Beratungszentrums Heidelberg1“, das sich als „Ansprechpartner für Familien mit entwicklungsgefährdeten oder behinderten Kindern im Säuglings- Kleinkind- und Vorschulalter“2 vorstellt. Eltern oder andere Bezugspersonen dieser Kinder können in die Friedrich-Ebert-Anlage kommen und dort den Entwicklungsstand ihres Zöglings abklären lassen, Beratung zur Eltern-Kind-Interaktion, erhalten, das Angebot verschiedener Formen pädagogisch-psychologischer Frühförderung und Elternbegleitung wahrnehmen, Hilfen bei Erziehungsfragen bekommen oder sich in Fragen, die sie als Einzelperson, als Paar oder Familie betreffen, beraten lassen. Frau BÖLLING-BECHINGER, die unter anderem den ersten Vorsitz der Vereinigung für interdisziplinäre Frühförderung in Baden-Württemberg innehat, ist die Autorin des Buchs „Frühförderung und Autonomieentwicklung. Diagnostik und Interventionen auf personenzentrierter und bindungstheoretischer Grundlage“, das den folgenden Ausführungen zugrunde liegt. Darin wird im III. Teil recht praktisch auf die Arbeit im Beratungszentrum Heidelberg eingegangen, die Hintergründe, (Vor-) Überlegungen und die verschiedenen Möglichkeiten, die das „Konzept zur Durchführung pädagogisch-psychologischer Interventionen in der Frühförderung“ bietet, dargestellt. Dieses Konzept ist auch das Thema dieser Ausarbeitung. Es wird im Folgenden der Frage nach der Umsetzung des Ziels nachgegangen, Interaktions- und Bindungsstörungen zwischen Mutter und Kind zu vermeiden, bzw. zu lindern. Dazu sollen zunächst die Ziele und Aufgaben pädagogisch-psychologischer Interventionen klar gesteckt und anschließend die Entscheidungsmöglichkeiten der Eltern hinsichtlich des Schwerpunktes der Arbeit aufgezeigt werden. Nach diesen eher grundlegenden Überlegungen wird das integrative Förder- und Therapiekonzept der pädagogisch-psychologischen Frühförderung vorgestellt und die einzelnen Interventionsformen mit ihren Möglichkeiten und Grenzen erläutert werden, die als Antwort des Beratungszentrums Heidelberg auf die Frage nach dem Ungang mit Interaktions- und Bindungsstörungen gegeben sind. 1.Überlegungen zur Planung von Interventionen 1 2 www.ghl.ngd.bw.schule.de/beratung/sbz/index.html ebd. 3 1.1Ziele und Aufgaben von Interventionen (Daniela Deuscher) BÖLLING-BECHINGER baut ihre Theorie und die damit verbundene Arbeit im sonderpädagogischen Beratungszentrum Heidelberg auf die Hypothese auf, dass die Hauptbezugsperson des Kindes Schwierigkeiten hat, die unklaren Signale des Kindes zu verstehen und darauf feinfühlig zu antworten. Daher rühren Interaktionsstörungen, welche wiederum Bindungsstörungen verursachen. Hauptbezugsperson des Kindes hat Schwierigkeiten, die unklaren Signale des Kindes zu verstehen und darauf feinfühlig zu antworten. Interaktionsstörungen Bindungsstörungen Sie sieht daher die „vorrangige Aufgabe aller pädagogisch-psychologischen Interventionen“ darin, „die unklaren Signale des behinderten und von Behinderung bedrohten Kindes zu verstehen, kindzentriert zu interpretieren und den Bedürfnissen des Kindes entsprechend zu beantworten“ und damit „psychische Störungen im Sinne von Störungen der Interaktions- bzw. Bindungsentwicklung zu vermeiden, zu lindern und vielleicht auch hin und wieder zu heilen“3. Wie wichtig die Ausbildung von sicheren Bindungen ist, wird auch bei S CHNOOR deutlich. Sie führt drei Bindungstypen nach CRITTENDEN (1996) auf, die abhängig von der frühen Interaktion entstehen können4: Die sicher gebundenen Kinder, werden durch verfügbare und zuverlässige Eltern beruhigt. Diese Sicherheit schon von frühester Kindheit an versetzt sie in die Lage, sich auch später ihrer Umwelt zuzuwenden und neue Beziehungen aufzubauen. Anders erleben die vermeidend gebundene Kinder ihre Eltern – diese sind nicht bereit oder fähig, ihren Kindern das Maß an Zuneigung und körperlicher Nähe zu geben, das sie benötigen. Dies hat wiederum zur Folge, dass es den betroffenen Kindern schwer fällt, Beziehungen aufzubauen, sie ihre wahren Gefühle zu verbergen oder versuchen, immer alles richtig zu machen, um damit Gefallen zu erregen. 3 4 BÖLLING-BECHINGER (1997), S. 147. Vgl. SCHNOOR, S. 66. 4 Schließlich nennt CRITTENDEN die dritte Gruppe der ambivalent gebundene Kinder, deren Eltern sehr inkonstant in ihrem Verhalten sind, was ein gewisses Maß an Unsicherheit schafft und es den Kindern auch später schwer macht, Beziehungen aufzubauen. Wie wichtig das Bindungsverhalten der Kinder ist, wird auch an der empirisch nachgewiesenen Tatsache deutlich, dass es sich auch auf ihr Lernverhalten auswirkt. „Sicher gebundene Kinder gehen in kognitiven Anforderungssituationen kooperativer, ausdauernder und konzentrierter an die Lösung neuer Aufgaben, als dies unsicher gebundenen Kindern möglich ist.“5 Das Ziel der pädagogisch-psychologischen Therapie liegt nun in der Unterstützung des behinderten und von Behinderung bedrohten Kindes, seine Selbstaktualisierung zu entwickeln und Autonomie zu erlangen. Denn erst die Entwicklung zur Autonomie befähigt das Kind, „neugierig auf seine Umwelt zuzugehen, Lernangebote aufmerksam aufzugreifen und mit Ausdauer zu bearbeiten.“6 Dazu schreibt SPECK (2000): „Das Bedürfnis nach Autonomie ist ein Grundbedürfnis des Menschen ebenso wie das nach eigener Kompetenz und nach Beziehung zu anderen wie nach Bindung an andere… Alle sind für das Gelingen der menschlichen Entwicklung unverzichtbar.“7 Während BÖLLING-BECHINGER davon spricht, dass das Kind Autonomie entwickeln müsse, spricht KÜHL jedem Kind von Anfang an Autonomie zu. Er verweist auf MATURANA, nach dessen Sinn der Säugling als „autonomes lebendes System“ angesehen wird und somit „keine der wie auch immer vermittelten Verhaltensweisen oder Äußerungen eines Kindes ohne Sinn“ ist.8 Nach KÜHL ist Autonomie „ein Prozess, der die Kompetenzen beschreibt, sich eigenaktiv gegenüber der Umwelt zu verhalten und sich gleichzeitig von ihr abgrenzen zu können,“9 was wieder in Einklang zu BÖLLING-BECHINGER steht, die Eigenaktivität, die Offenheit der Umwelt gegenüber als Folge autonomen Verhaltens beschreibt. 5 SCHNOOR, S. 66. BÖLLING-BECHINGER (1997), S. 147. 7 SPECK, O.: Autonomie und Lernen in der Entwicklung des kleinen Kindes. In: Frühförderung interdisziplinär, 19, 2000, S. 49-62; zitiert in www.szh.ch/d/pdf/zt.03.2003.06-13.pdf . 8 KÜHL (1999), S. 16. 9 ebd., S. 17. 6 5 Die Vertreter des pädagogisch-psychologischen Fachbereichs grenzen sich eindeutig vom Bereich der Medizin ab, indem sie an den Interaktions- und Bindungsstörungen zwischen Hauptbezugsperson und Kind arbeiten und nicht versuchen, die organisch bedingte Störung bzw. Schädigung eines behinderten oder von Behinderung bedrohten Kindes zu verhindern oder gar zu heilen. Das Beratungszentrum Heidelberg entwickelte auf dem Fundament dieser Zielstellung folgende Aufgaben pädagogisch-psychologischer Interventionen, die in der Regel in dieser Reihenfolge aufgenommen werden: (1) Um die Störungen der Interaktionsentwicklung zwischen den Eltern, bzw. den Hauptbezugspersonen, und deren behindertem und von Behinderung bedrohtem Kind zu vermeiden, zu lindern oder gar zu heilen, sollte eine pädagogischpsychologische Begleitung frühzeitig begonnen werden. Damit wird das Ziel verfolgt, den Kindern die“ Chance zur Entwicklung einer sicheren Bindung zu geben“, die wiederum „Voraussetzung für die Aktualisierung des Selbst des Kindes und damit entscheidend für das zukünftige Leben des Kindes“10 ist. (2) Die zweite Aufgabe besteht darin, den Eltern dieser Kinder in personenzentrierten Gesprächen wieder Vertrauen in ihre Fähigkeit zu geben, auch ein behindertes Kind selbständig erziehen zu können. Denn mit dem wachsenden Vertrauen der Eltern in ihre Erziehungsfähigkeit wird sich das Kind zunehmend sicher gebunden fühlen. Nach BÖLLING-BECHINGER ist dies „die Geburtsstunde der Autonomieentwicklung des Kindes“11. Eine Auswirkung dieser erlangten Autonomie ist die Fähigkeit des behinderten Kindes, „die Trennung von seiner Hauptperson gegen Ende der Bindungsentwicklung ohne emotionale Verletzung (zu) erleben.“12 (3) Schließlich sollte das behinderte und von Behinderung bedrohte Kind im Frühförderprozess dahin gelangen, sich zeitweise von seinen Eltern trennen zu können. Hier tritt der Frühförderer13 als Stellvertretung für die Hauptbezugsperson ein. Gelingt es, dass sich zwischen dem Mitarbeiter in der 10 BÖLLING-BECHINGER (1997), S. 148. ebd. 12 ebd. 13 Der Einfachheit halber verwende ich hier und um Folgenden nur die maskuline Form und schließe darin alle Frühförderinnen, Pädagoginnen… mit ein. 11 6 Frühförderung und dem Kind eine gute Beziehung entwickelt, das Kind ihn also als sichere Basis annimmt, dann ist dies an der neugierigen Reaktion auf Anregungen und der Bereitschaft zur Mitarbeit bei der Förderung einzelner Funktionsbereiche, wie z.B. der logopädischen Behandlung, Sehförderung, etc. seitens des Kindes zu erkennen. 1.2 Elternzentriertes und/oder kindzentriertes Vorgehen? Seine Bedeutung für den Entscheidungsprozess bei der Wahl einer Intervention (Daniela Deuscher) Wenn Eltern mit ihrem Kind in das sonderpädagogische Beratungszentrum kommen, wird zunächst eine Prozessdiagnose erstellt, an der sich dann die Ziele und Aufgaben der pädagogisch-psychologischen Interventionen orientieren. Anschließend muss über die Art der pädagogisch-psychologischen Intervention entschieden und damit die Frage beantwortet werden, „welchem der beiden, dem Kind, den Eltern oder vielleicht beiden zugleich, sich die Fachleute in diesem Interaktionssystem zuerst zuwenden sollen“14. Ob die Entscheidung zugunsten einer elternzentrierten oder einer kindzentrierten Vorgehensweise fällt, ist abhängig von verschiedenen Faktoren: Zunächst spielen das Alter und der sensomotorische bzw. kognitive Entwicklungsstand (die Entwicklungsverzögerung) des Kindes eine wichtige Rolle: Elternzentriert, d.h. die Eltern begleitend, ihren eigenen Weg zu finden, ihrem Kind feinfühlig, bzw. mit einer kindzentrierten Haltung zu begegnen, wird gearbeitet, je jünger das Kind ist und je mehr seine Entwicklung verzögert ist. Dementsprechend wird ein Kind, je älter es ist und je geringer seine Entwicklungsverzögerung, eher bereit sein, sich auf einen Interaktionsprozess mit den Fachleuten selbst einzulassen und umso eher sind sie dann auch in der Lage, mit dem Kind kindzentriert zu arbeiten, ihm feinfühlig zu begegnen. Aber auch in dem Fall, dass sich das Kind schon von seinen Eltern trennt und dazu bereit ist, mit den Fachleuten zusammenzuarbeiten, ist gewöhnlich eine psychologische Begleitung der Eltern im Sinne von personenzentrierten Beratungen erforderlich. Ein zweiter Faktor ist der Grad der Interaktionsstörung zwischen Hauptbezugsperson und Kind. Ist diese verhältnismäßig gering, ist die spezielle Frühförderung des Kindes sicher eher möglich, als wenn die Interaktionsstörung groß ist und damit 14 BÖLLING-BECHINGER (1997), S. 149. 7 – entsprechend der Hypothese BÖLLING-BECHINGERS – auch eine entsprechende Bindungsstörung vorliegt und sich das Kind unsicher gebunden fühlt. So ist ein nächster Aspekt der Entscheidungsfindung der Grad der Bindungssicherheit des Kindes und damit das Verhalten des Kindes vor, während, aber v.a. nach der Trennung von seiner Hauptbezugsperson. Ist das Kind nicht in der Lage, getrennt von seinen Eltern mit den Mitarbeitern des Beratungszentrums zu arbeiten, macht es schließlich wenig Sinn, Kind und Eltern auseinander zu reißen. In diesem Fall wird die Arbeit mit den Eltern in Form von Gesprächen mit ihnen im Vordergrund stehen und so wird die elternzentrierte Arbeit einen ersten Ansatzpunkt bilden. Hinzu kommt die Fähigkeit und der Grad der Bereitschaft der Eltern, sich selbst auf einen Veränderungsprozess in der Interaktion zwischen sich und ihrem Kind einzulassen, da viele Eltern - verständlicher Weise, wie ich meine - große Ängste vor einem elternzentrierten Vorgehen, d.h. vor der Beobachtung und Analyse des Interaktionsprozesses zwischen sich und ihrem Kind haben. Schließlich ist es nicht einfach, einem „Fachmann/Fachfrau“ in die persönliche Beziehung zum eigenen Kind Einblick zu gewähren und darüber zu sprechen, was verbesserungsbedürftig ist – dem voraus gehen ja eigene Fehler. So kommen viele Eltern ins Beratungszentrum mit dem Wunsch nach einer Förderung ihres Kindes, z.B. Sprachförderung, Sehförderung, etc. und nur selten nennen Eltern als Anlass für die Anmeldung ihres Kindes eine Interaktionsstörung zwischen sich und ihrem Kind. Doch diese wird für die Mitarbeiter schon bald während des Diagnoseprozesses erkennbar: Eines der ersten Signale dafür ist die Schwierigkeit des Untersuchers, bzw. des Therapeuten/Pädagogen schon während der Diagnose, v.a. aber im Verlauf der Intervention, mit dem Kind in Kontakt zu treten und diesen auf Dauer aufrecht zu erhalten. Weiter sind am Verhalten des Kindes Interaktionsstörungen mit seinen Bezugspersonen zu beobachten: „es verhält sich wenig erkundend, ist ängstlich ablehnend, wenn es auf erste Schwierigkeiten stößt“15, was wiederum auf eine unsichere Gebundenheit schließen lässt. Diese kann sich zudem darin zeigen, „dass z.B. das Kind darauf besteht, all seine Spielhandlungen selbst zu bestimmen, es nicht bereit ist, Anregungen aufzunehmen und sich der Beziehung zum Pädagogen 15 BÖLLING-BECHINGER (1997), S. 150. 8 anzuvertrauen. Es flüchtet sich auf den Schoß der Mutter und rutscht bevor sie das Kind trösten kann, schon wieder herunter und läuft weg.“16 Des Weiteren geht BÖLLING-BECHINGER aufgrund von Interaktionsbeobachtungen davon aus, dass die von den Eltern beanstandete Störung (z.B. eine Sprachentwicklungsverzögerung) meist schon als Störung in der Entwicklung der Interaktion zwischen Muter und Kind während es ersten Lebensjahres beginnt. „Häufig verschweigen Eltern lange Zeit, oft Jahre lang, ihre Enttäuschung, ihre Unzufriedenheit über ihre Beziehung zu ihrem Kind, weil sie meinen, sie allein hätten versagt und nur sie allein seien für das Verhalten ihres Kindes verantwortlich.“17 In ihrem Aufsatz „Die Bedeutung früher Interaktion zwischen Mutter und Kind als Basis langfristig wirksamer Beziehungsmuster“ verdeutlicht S CHNOOR dieses Problemfeld: Schon in den ersten Lebenswochen entsteht die wichtige Mutter-KindDyade und die beiden bilden ein „System wechselseitiger und differenziert aufeinander abgestimmter Austauschprozesse“18 heraus. Das Baby entwickelt ein positives Sozialverhalten gegenüber seiner Mutter, wenn sein Verhalten sozial beantwortet wird. Störungen in diesen frühen Dialogformen – sei es durch Über- oder Unterstimulation des Kindes oder durch eine mangelhafte Abstimmung zwischen den beiden – führen beim Kind zu Regulationsstörungen, d.h. es schreit, hat Schlafstörungen, Fütter- und Essstörungen. Wichtig ist hier zu erwähnen, dass empirische Untersuchungen darauf schließen lassen, dass „der Grad und die Art der Schädigung eines Kindes auch in die soziale Interaktion eingeht und diese beeinflusst.“19 Für Mütter behinderter Kinder sind die Signale ihres Kindes wirklich unverständlicher, was folglich den Dialog stört. Diese Störung jedoch prägen spätere Verhaltensmuster und die Persönlichkeit des Kindes, womit deutlich wird, wie wichtig das Erkennen der Interaktionsstörungen und deren Linderung ist. In ihren Ausführungen weist BÖLLING-BECHINGER darauf hin, dass auf die MutterKind-Interaktion das „Hauptaugenmerk bei der Zielstellung, der Wahl, Planung und Durchführung von Interventionen in der pädagogisch-psychologischen Frühförderung gelegt werden muss“, da diese „die Bindungsentwicklung und damit die 16 ebd. ebd., S. 151. 18 SCHNOOR (1999), S. 64. 19 ebd., S. 67. 17 9 Gesamtentwicklung des Kindes grundlegend beeinflusst“. So wird die Mutter-KindInteraktion „zum Ausgangspunkt aller Entscheidungsprozesse bei der Wahl einer Interventionsform.“20 Des Weiteren ist der Schutz der verletzbaren Dyade Mutter und Kind vor den Eingriffen von Fachleuten zu gewährleisten. Auch wenn Eltern in das Beratungszentrum kommen mit der Bitte um Frühförderung, sollte das Thema der Interaktionsstörung schon rechtzeitig von den Fachleuten, für die es wie schon ausgeführt bald sichtbar wird, angesprochen werden. Das bietet den Eltern die Möglichkeit, sich mit den für sie unklaren Signalen ihres Kindes auseinandersetzen. Damit ist laut BÖLLING-BECHINGER der „Grundstein für den Beginn eines Veränderungsprozesses der Eltern im Hinblick auf ihre Einstellung und ihr Verhalten gegenüber der Behinderung ihres Kindes gelegt“ und zugleich die „Chance, die Interaktion zwischen Hauptbezugsperson und Kind neu zu gestalten.“ 21 Über die Form der Intervention jedoch sollen die Eltern selbst entscheiden und auch über Folgen für sie und das Kind aufgeklärt werden. In diesen Gesprächen ist Offenheit und Akzeptanz besonders wichtig, gerade auch wenn sich Eltern nicht den Vorschlägen der Fachleute anschließen, was durchaus nicht immer einfach ist und zu Konflikten führen kann. Denn es ist durchaus möglich, dass Eltern nicht die Meinung der Pädagogen und Therapeuten des Beratungszentrums teilen – und der entsprechende Mitarbeiter auf die Wünsche und Bedingungen seines Gegenübers eingehen muss. Wobei auch mit dem Einstieg in eine Intervention, die sich ausschließlich mit der Förderung des Kindes beschäftigte, gute Erfahrungen gemacht wurden im Hinblick auf eine positive Entwicklungen in der Mutter-KindInteraktion. Dies ist aber nur dann möglich, wenn das Kind zu der Beziehung zu einer neuen Bezugsperson bereit ist. Doch werden auch Grenzen genannt, an die man dann stößt, „wenn es sich um schwere und bereits lang dauernde Interaktionsstörungen zwischen Hauptbezugsperson und Kind handelt.“22 In solchen Fällen ist es auch durchaus denkbar, die Förderung des Kindes zu unterbrechen oder zu beenden, wenn im Lauf der Förderung keine Veränderung im Verhalten des Kindes zu beobachten ist. Zusammenfassend macht BÖLLING-BECHINGER sehr deutlich, dass „die Förderung einzelner Fähigkeiten, wie z.B. der 20 BÖLLING-BECHINGER (1997), S. 153. ebd., S. 151. 22 ebd., S. 152. 21 10 Sprachentwicklung, der visuellen Wahrnehmungsförderung usw., also eine kindzentrierte, pädagogische Förderung ohne kontinuierliche Einbeziehung der Eltern, deshalb in ihrer Bedeutung der Therapie von Interaktionsstörungen als nachgeordnet zu betrachten (ist).“ 23 2. Vorstellung eines integrativen Förder- und Therapiekonzeptes im Rahmen der pädagogisch-psychologischen Frühförderung im Beratungszentrum Heidelberg 2.1 Zum Begriff eines integrativen Förder- und Therapiekonzeptes (Daniela Deuscher) Im Beratungszentrum Heidelberg wurde ein Interventionskonzept entwickelt mit dem Ziel, die Bindungsstörungen der Kinder zu vermeiden, zu lindern und vielleicht auch hin und wieder zu heilen. Dieses Konzept, das als ein integratives Förderund Therapiekonzept bezeichnet werden soll, zeichnet sich durch folgende Merkmale aus: Ein wichtiger Punkt ist das Zusammenspiel der beiden Disziplinen Sonder- bzw. Heilpädagogik und Psychologie. Dazu werden in Heidelberg heute sechs verschiedene Interventionsformen durchgeführt, die im weiteren Verlauf näher beleuchtet werden24: Elternzentrierte pädagogische Frühförderung in Anwesenheit der Eltern (EFF) Pädagogische Frühförderung in Abwesenheit der Eltern (FF) Festhaltetherapie (FHT) Pädagogische Frühförderung mit psychologischer Elternbetreuung (FFP) Psychotherapie des behinderten und von Behinderung bedrohten Kindes Krisenintervention im Sinne einer klientenzentrierten Gespächs- psychotherapie (kl. GT) mit den ElternDes Weiteren ist festzustellen, dass die beiden Fachrichtungen auf der einen Seite mehr oder weniger voneinander abgegrenzt und gleichzeitig ineinander verflochten sind. Als Beispiel ist hier die pädagogische Frühförderung mit psychologischer Elternbegleitung (FFP) zu nennen. Dabei erhalten Eltern Hilfen, wie sie die Signale ihres Kindes besser verstehen und 23 24 BÖLLING-BECHINGER (1997), S. 153. ebd., S. 154f. 11 reagieren können und das Kind erhält parallel dazu sonderpädagogische Frühförderung. Es wird also gleichzeitig pädagogisch und psychologisch, eltern- und kindzentriert interveniert. Psychotherapeutische Anteile kommen im Gespräch mit den Eltern, die über ihre Trauer über die Behinderung ihres Kindes reden hinzu. Schließlich ist es durchaus denkbar, die Interventionsformen auch zu ändern. Sie stehen in Verbindung miteinander und bauen aufeinander auf. Hier werden beispielhaft die Festhaltetherapie (FHT) als Beginn und die Pädagogische Frühförderung mit psychologischer Elternbetreuung (FFP), bzw. Elternzentrierte pädagogische Frühförderung in Anwesenheit der Eltern (EFF) als Weiterführung genannt. 2.2 Festhaltetherapie25 (Anne-Dorothee Armingeon) Die Festhaltetherapie (FHT) wird bei Kindern mit schweren Kommunikationsstörungen eingesetzt. Sie hat große Bedeutung für die Interaktionsentwicklung zwischen Eltern und Kind und damit für die Bindungsentwicklung des Kindes. Die FHT wird eingesetzt, wenn ein Kind ambivalentes Verhalten seinen Eltern gegenüber zeigt, also einerseits den Kontakt sucht, aber gleichzeitig auch die Nähe der Bezugsperson ablehnt. Festhalten bedeutet im Rahmen dieser Therapie, dem Kind eine sichere Basis im Sinne BOWLBYs26 zu geben. Es kann sich im Gefühl der Geborgenheit mehr und mehr sicher binden und zu sich selbst Vertrauen gewinnen. Der enge Körperkontakt zwischen Elternteil und Kind, begleitet von deren Affekten, scheint offensichtlich die Körperwahrnehmung zu stimulieren und die Entwicklung der inneren Repräsentation von der Beziehung zu erleichtern. Während des Festhaltens kommen in den Eltern oft unterdrückte Gefühle hoch. Das können ganz unterschiedliche Gefühle sein: Freude über die Erfüllung der Sehnsucht, das Kind in den Armen halten zu dürfen, Trauer über Versäumtes oder auch eine lange zurückgehaltene Wut sein. Das Aufsteigen der Gefühle kann die Eltern schnell überfordern, deshalb wird die FHT im BZ Heidelberg immer in Anwesenheit eines Psychologen oder Psychotherapeuten durchgeführt, der 25nach 26vgl. BÖLLING-BECHINGER (1997), S. 158 ff. BOWLBY (2001) 12 nahe bei den Eltern sitzt, den Prozess des Festhaltens beobachtet und den Eltern bei Fragen zur Verfügung steht. Besonders wenn Störungen auftreten, spricht er die Eltern auf ihr Erleben an. Wie lange es dauert, bis sich das bisherige innere Arbeitsmodell Bindungsqualität weiterentwickelt bzw. verändert, hängt einerseits von der Sicherheit, mit der die Bezugsperson das Kind hält, von deren Beziehung zueinander, von der Beziehung zwischen handelnder Bezugsperson und der sie unterstützendem Therapeuten sowie von der Beziehung der Eltern untereinander ab. Aber auch die kognitiven Fähigkeiten des Kindes und dessen bisherige Bindungsentwicklung beeinflussen die Entwicklung bzw. Veränderung. Vor allem bei geistigbehinderten Kindern kann es sehr langsam voran. Auch deshalb ist eine Unterstützung der Eltern durch Therapeuten wichtig. Aus der Sicht der Therapeuten ist es wichtig, die Grenzen der Belastbarkeit der Eltern, aber auch die eigenen Grenzen im Auge zu behalten. Die FHT bietet die Möglichkeit, schon bei den ersten Sitzungen recht genau die Interaktion zwischen handelnder Bezugsperson und Kind einschätzen zu können. Außerdem bekommt man während des gesamten Verlaufs einer FHT Informationen über den Veränderungsprozess der Interaktion zwischen Bezugsperson und Kind. Manche Beobachter werten das Festhalten als positive Erfahrung für das Kind, andere sehen im Festhalten einen gewaltigen Eingriff in die Autonomieentwicklung des Kindes. Die FHT wird auch unter Fachleuten sehr kontrovers diskutiert. Es gibt ganze Bücher, die die Diskussion um die FHT zusammenfassen 27. Daher sollen hier nur vier Probleme der FHT in verkürzter Form genannt werden: (1) Vertreter der FHT weisen oft den Eltern von autistischen Kindern die Schuld an deren Verhalten zu. (2) Die FHT wird als Allheilmittel gesehen. (3) FHT = Gewaltanwendung gegenüber dem Kind? (4) Beim Thema des Festhaltens muss auch das Thema der Macht und des Machtmissbrauchs bedacht werden. 27z.B. ROHMANN/ELBING (1990) 13 Ob eine FHT angewendet werden soll, muss gut überdacht werden. PREKOP empfiehlt u.A., die FHT nicht anzuwenden, wenn folgende Kriterien gegeben sind28: als Erziehungsmittel zum Zweck der Strafe bei einer nicht ausreichend körperlich oder psychisch belastbaren Bezugsperson zur Befriedigung sexueller Bedürfnisse bei ungesättigtem Bedürfnis der Bezugsperson nach Bindungsentwicklung bei einer egoistischen Mutter Festhalten bedeutet seelische Misshandlung, wenn sie von einem uneinfühlsamen, allmächtigen Fachmann zum technischen Behandlungsschema degradiert wird. Die FHT ist am BZ Heidelberg eine von sechs möglichen Formen der Intervention innerhalb eines integrativen Förder- und Therapiekonzepts. Die FHT wird nie als einzige Therapieform eingesetzt, ihr folgen entweder eine Elternzentrierte pädagogische Frühförderung (EFF) oder eine Pädagogische Frühförderung mit psychologischer Elternbegleitung (FFP). 2.3 Päd. Frühförderung mit psychologischer Elternbegleitung29 (Anne-Dorothee Armingeon) Zwei Fachleute, meistens ein Sonder-/Sozialpädagoge und ein klinischer Psychologe leiten die pädagogische Frühförderung mit psychologischer Elternbegleitung (FFP). Einer der beiden – meistens der Sonder- bzw. Sozialpädagoge – arbeitet mit dem Kind, währen der Psychologe den Eltern als Gesprächspartner zur Verfügung steht. Der Psychologe und der Elternteil sind in einem Raum, von dem aus man durch eine Einwegscheibe in den Raum sehen kann, in dem das Kind von der anderen Betreuungsperson gefördert wird. Die beiden Fachleute sprechen den Förderplan für das Kind und die Zusammenarbeit mit den Eltern vor bzw. nach einer Stunde miteinander ab. 28in PREKOP (1989), S. 233 ff. BÖLLING-BECHINGER (1997), S. 165 ff. 29nach 14 Wenn Eltern den Interaktionsprozess zwischen ihrem Kind und dem Pädagogen beobachten, können sie ihr eigenes Verhalten im Umgang mit ihrem Kind mit dem des Pädagogen vergleichen. Eine der Aufgaben der FFP ist die Pädagogische Frühförderung (FF) durch einen Pädagogen, der das Kind zunächst stellvertretend für die Eltern als verlässliche Bezugsperson in seiner Beziehungsentwicklung fördern soll. Die Eltern und der Psychologe beobachten dabei die Signale des Kindes und interpretieren diese im Gespräch. Danach suchen die Eltern im Personzentrierten Gespräch mit dem Psychologen nach alternativen Verhaltensweisen. Außerdem ist es die Aufgabe des Psychologen, die Eltern während des Trauerprozesses über die Behinderung ihres Kindes im Sinne einer Krisenintervention nach dem Konzept der klientenzentrierten Gesprächspsychotherapie von ROGERS30 zu begleiten. Nach Beendigung der FFP wird erwartet, dass die Interaktionsprozesse zwischen den Beteiligten im Alltag für diese befriedigender als vorher ablaufen. Im Vergleich mit anderen Interventionsformen hat die Praxis gezeigt, dass für die Intervention einer FFP gegenüber der FHT ein sehr viel längerer Zeitraum einzuplanen ist, bis eine Veränderung erkennbar wird; andererseits aber bietet eine FFP Eltern die Möglichkeit, sich in Ruhe inneren Prozessen der Auseinandersetzung und Veränderung zu widmen. 2.4 Fallbezogene interdisziplinäre Kooperation31 (Anne-Dorothee Armingeon) Schon im Verlauf des diagnostischen Prozesses ist abzuklären, mit welchen Fachleuten außerhalb des Beratungszentrums kooperiert werden soll, z.B. mit Krankengymnasten, Beschäftigungstherapeuten, Logopäden usw. Üblicherweise verläuft diese Interventionsform folgendermaßen: 30z.B. ROGERS/SCHMID (2000) BÖLLING-BECHINGER (1997), S. 169 ff. 31nach 15 Alle an einem Fall beteiligten Fachleute sowie sie Eltern treffen sich zu einem Rundgespräch. Die Festlegung, wie häufig diese Treffen stattfinden, hängt von dem zu lösenden Problem und dem Bedürfnis der Beteiligten nach einem Kooperationsgespräch ab. In der Regel werden im BZ solche Gespräche vierteljährlich durchgeführt. Die Fachleute tauschen zunächst ihre Diagnosen aus; sie informieren sich gegenseitig über die Inhalte ihrer Interventionskonzepte und die Zusammenarbeit mit dem Kind und den Eltern. Zum Abschluss wird geklärt, ob Veränderungen der Konzepte aus pädagogischen, psychologischen, medizinischen oder sozialen Gründen erforderlich sind. Falls die Diagnose der Mutter-Kind-Beziehung oder die Entwicklungsdiagnose des Kindes nicht ausführlich genug durchgeführt wurde und Defizite aufweist, kann es sinnvoll sein, die symptomorientierte Förderung ruhen zu lassen und stattdessen z.B. eine FHT zu machen Die interdisziplinäre Kooperation bietet viele Vorteile: Die Frühförderung kann ökonomischer gestaltet werden und das Kind erhält die seinem aktuellen kognitiven und emotional-sozialen Entwicklungsstand angemessene Förderung. Außerdem werden Eltern und Kinder vor einer Überforderung durch zu viele parallel ablaufende Therapien geschützt. Die Eltern können vor Schuldgefühlen bewahrt werden, weil die Entscheidung, welche Therapie wann gemacht werden soll, gemeinsam mit den verschiedenen Therapeuten gefällt wird. Auch für die Therapeuten bietet die Kooperation Vorteile: sie können in den anderen Disziplinen hospitieren und so ihre Förderung optimal aufeinander abstimmen. Die Verantwortung für die Entwicklung des Kindes verteilt sich auf mehrere professionelle Schultern, was auch eine Entlastung für den einzelnen Therapeuten bedeutet. 16 Trotz aller Vorteile ist die Kooperation von der Initiative der einzelnen Fachleute und Eltern, der Qualität der Gesprächsmoderation und der Bereitschaft aller abhängig, sich auf die Gespräche einzulassen. 2.5 Elternzentrierte Pädagogische Frühförderung in Anwesenheit der Eltern bzw. Päd. Frühförderung in Abwesenheit der Eltern32 (Anne-Dorothee Armingeon) Das Konzept der Pädagogischen Frühförderung (FF) besteht aus drei Stufen: Dritte Stufe: Die dritte Stufe beschäftigt sich unter Einbeziehung der Aufgaben der ersten und zweiten Stufe mit der symptomorientierten Förderung des Kindes, d.h. mit der Förderung einzelner Fähigkeiten, z.B. der Behebung bzw. Heilung von Teilleistungsstörungen. Zweite Stufe: Das Kind wird auf der Grundlage einer stabilen Beziehung zum Therapeuten Belastungen ausgesetzt, z.B. dass der Pädagoge dem Kind das Spielzeug vorsichtig wegnehmen will. Dabei soll einerseits die Kommunikationsfähigkeit des Kindes weiter gefestigt und andererseits dem Kind Anreize zur Entwicklung von Handlungsschemata im Umgang mit Objekten vermittelt werden. Das Kind soll seine eigenen Fähigkeiten entdecken und der Pädagoge soll ihm unterstützend zur Seite stehen. Erste Stufe: Im Mittelpunkt der ersten Stufe steht die Anbahnung und Förderung der Kommunikationsfähigkeit im Rahmen der Beziehungsentwicklung zwischen Kind und Pädagogen. Der Pädagoge vermittelt dem Kind durch seine Verlässlichkeit Halt und damit eine sichere Basis. Die Stufen bauen aufeinander auf und erst, wenn eine Stufe voll beherrscht wird bzw. entwickelt ist, wird zur nächsten Stufe übergegangen. Wichtigste Aufgabe des Pädagogen ist in allen drei Stufen, dem Kind Halt zu geben und dadurch die Basis für weitere Entwicklungen zu schaffen. Der Unterschied zwischen der Elternzentrierten Pädagogischen Frühförderung in Anwesenheit der Eltern (EFF) und der Pädagogischen Frühförderung in 32nach BÖLLING-BECHINGER (1997), S. 171 ff. 17 Abwesenheit der Eltern (FF) besteht darin, dass bei der EFF die Eltern dabei sind und teilweise aktiv miteinbezogen werden. Nach der Förderstunde schließt sich sofort ein Gespräch zwischen Pädagoge und Eltern an, um das Erlebte auszutauschen und zu interpretieren. Auch soll nach Möglichkeiten gesucht werden, neue Erfahrungen in den Alltag zu übertragen. Die FF in Abweseheit der Eltern wird meistens empfohlen, wenn Eltern aus emotional-sozialen Gründen persönlich nicht in der Lage sind, sich in die Frühförderung einzubringen. Wenn die Eltern nicht mitwirken, muss eng mit anderen Institutionen wie z.B. Kindergärten und auch mit den Therapeuten zusammengearbeitet werden. Sonst ist eine FF wenig wirkungsvoll. Schluss (Anne-Dorothee Armingeon) Zusammenfassend kann man sagen, dass BÖLLING-BECHINGER als vorrangiges Ziel aller Interventionen in der pädagogisch-psychologischen Frühförderung die Entwicklung der Selbstaktualisierung nach ROGERS und damit die Autonomie des behinderten und von Behinderung bedrohten Kindes sieht. Dafür sieht sie als Voraussetzung, dass das Kind eine sichere Bindung entwickeln kann: „Je sicherer ein Kind sich gebunden fühlt, um so weniger ist seine Erwartungshaltung gegenüber neuen Lebenserfahrungen angstbesetzt“.33 Da die Hauptbezugsperson des Kindes die Entwicklung sehr stark beeinflusst, muss die Wahl eines geeigneten Interventionskonzeptes auf sie abgestimmt werden. Deshalb ist für BÖLLING-BECHINGER in der Therapie die Förderung von einzelnen Fähigkeiten wie z.B. visuelle und auditive Wahrnehmung von untergeordneter Bedeutung. Ihres Erachtens ist jede pädagogisch-psychologische Intervention in der Frühförderung vor allem als Präventivmaßnahme zu verstehen: „Auf diesem Wege soll verhindert werden, dass der behinderte Erwachsene nicht zusätzlich zu seiner organischen bzw. genetischen Schädigung nicht auch noch in seiner Beziehung zu 33BÖLLING-BECHINGER (1997), S. 179 18 seinen Mitmenschen sowie bei der Bewältigung von Lebenskrisen erheblich beeinträchigt wird.“34 Literatur: Basisliteratur: BÖLLING-BECHINGER, H.: Frühförderung und Autonomieentwicklung. Diagnostik und Interventionen auf personenzentrierter und bindungstheoretischer Grundlage, Heidelberg 1997 Zusätzliche Literatur: BOWLBY u.a.: Frühe Bindung und kindliche Entwicklung, München 2001 KÜHL, J.: Junge Kinder in der Frühförderung – Entwicklung zwischen Beeinträchtigung und Autonomie. In: KÜHL, J.(Hrsg.): Autonomie und Dialog. Kleine Kinder in der Frühförderung, München, 1999, S. 11-19. PREKOP: Hättest du mich festgehalten... Grundlagen und Anwendung der Festhalte-Therapie, München 1989 ROGERS/SCHMID: Person-zentriert. Grundlagen von Theorie und Praxis, Mainz 4. erweiterte Auflage 2000 ROHMANN/ELBING: Festhaltetherapie und Körpertherapie, Dortmund 1990 SCHNOOR, H. C.: Die Bedeutung früher Interaktion zwischen Mutter und Kind als Basis langfristig wirksamer Beziehungsmuster. In: KÜHL, J.(Hrsg.): Autonomie und Dialog. Kleine Kinder in der Frühförderung, München, 1999, S. 62-69. TIETZE-FRITZ, P.: Vom Auftrag der heilpädagogischen Früherzieherin oder: Grundsätzliche Denk- und Handlungsansätze in der Frühförderung. In: www.szh.ch/d/pdf/zt.03.2003.06-13.pdf Homepage BZ: www.ghl.ngd.bw.schule.de/beratung/sbz/index.html 34ebd., S. 180 f. 19