Schweizerischer Bund der Therapeutinnen Cerebraler Bewegungsstörungen – 42. Fachtagung 29.30.10.2004 Die Wirkung von Theraplay bei Aufmerksamkeitsstörungen am Beispiel von Klein- und Vorschulkindern, die durch oppositionell verweigerndes oder scheues Interaktionsverhalten oder durch mangelnde soziale Gegenseitigkeit in der Therapie schwierig zu behandeln sind von Herbert H.G. Wettig und Ulrike Franke Einleitung Bereitschaft und Fähigkeit eines Kindes zur sozialen Interaktion und Kommunikation sind unverzichtbare Voraussetzungen für eine effektive Therapie. Vergleichsweise viele der zu behandelnden Klein- und Vorschulkinder erschweren jedoch durch Unaufmerksamkeit, manche durch oppositionell verweigerndes, andere durch scheues Interaktionsverhalten und wieder andere durch die Vermeidung von Blickkontakt und Gegenseitigkeit in der sozialen Interaktion die notwendige Behandlung. Solche Kinder sind für Therapeutinnen und Therapeuten nur schwer zugänglich. Im Phoniatrisch Pädaudiologischen Zentrum in Heidelberg werden Klein- und Vorschulkinder mit schwer wiegenden Störungen ihres sozialen Interaktionsverhaltens zunächst mit THERAPLAY vorbehandelt, um sie für die anschließende Behandlung ihrer körperlichen oder sprachlichen funktionalen Störung zugänglicher zu machen, d.h. um ihre funktionale Störung nach Vorbehandlung mit Theraplay anschließend um so effektiver behandeln zu können. Was ist Theraplay? Theraplay ist eine interaktive, fröhliche, von der Therapeutin geführte KurzzeitSpieltherapie für Klein-, Vorschul-, Schulkinder, Jugendliche, Erwachsene und Ältere, die unter sozialen Interaktions-, Kommunikations- und Beziehungs-/Bindungsstörungen. leiden. Theraplay kann als Einzel- oder auch als Gruppentherapie durchgeführt werden. Geschichte von Theraplay Theraplay ist ein Interventionsverfahren, das in den 1960er Jahren in den USA im Rahmen des Head Start Project entstanden ist, um sozial schwachen Kindern den Start ins Leben zu verbessern und die staatlichen Kosten für die Behandlung psychisch gestörter Kinder zu senken. Die Psychologin Dr. Ann M. Jernberg in Chicago hatte die Aufgabe übernommen, ein geeignetes Therapieverfahren zu entwickeln. Da mit den herkömmlichen therapeutischen Mitteln nur ein winziger Bruchteil der bedürftigen Kinder hätte versorgt werden können, musste sie sich eine Therapieform „ausdenken“, die trotz kostensenkender Kurzzeitbehandlung wirksam ist und auch durch selbst ausgebildete Personen zuverlässig ausgeübt werden kann. Ihre Idee war, sich an der „guten Mutter-Kind-Beziehung“ zu orientieren (Jernberg, 1979, deutsch 1987), und von diesen Verhaltensmustern abzuschauen, was gesunde Kinder brauchen, und es den zu behandelnden Kindern dann zu geben. Sie nahm sich dazu die natürlichen Verhaltensweisen zwischen Eltern und ihren kleinen Kindern zum Vorbild. Sie beobachtete viele gut funktionierende Eltern-Kind-Beziehungen und fand vier Der Begriff ‚Theraplay’ ist unter Wz. 39518465 und Wz. 39518466 gesetzlich geschützt. 1 Schweizerischer Bund der Therapeutinnen Cerebraler Bewegungsstörungen – 42. Fachtagung 29.30.10.2004 wirksame Verhaltenskriterien: Fürsorglichkeit, Strukturierung, Herausforderung und Eindringlichkeit des elterlichen Verhaltens. So entstand die Kurzzeit-Spieltherapie Theraplay. Theoretische Grundlagen von Theraplay Die vier Wirkungskriterien Fürsorge, Strukturierung, Herausforderung und Eindringlichkeit scheinen für die Entwicklung sozialer Kompetenzen nach wie vor ihre Gültigkeit zu haben. Die Forschung der letzten Jahrzehnte hat jedoch unser Wissen in vielen Bereichen erweitert. So wurde beispielsweise aus den Erkenntnissen der Bindungstheorie (z.B. Brisch, 1999) deutlich, welch sinnvollen Beitrag Theraplay für bindungsgestörte Kinder zu leisten vermag. Auch Winnicotts Gedanken zur „good enough mother“ und Bowlbys Einsichten in die kindlichen Bindungsbedürfnisse und adäquate Verhaltensweisen ihrer Mütter fanden Eingang in die Theraplay Philosophie (Booth 2003). Der von Field (2001) gründlich untersuchte Bereich der Berührungen (touch) bestätigte Theraplay-Therapeut/innen darin, die Kinder heilsam, liebevoll, anregend oder beruhigend zu berühren, wie Eltern es mit ihren Kindern auch machen. Die Erkenntnisse der interpersonalen Neurobiologie (Siegel, 1999, Siegel und Hartzell, 2004) bestätigen, wie wichtig es ist, Kindern durch entsprechenden Umgang eine gute emotionale Basis zu geben. Nur so kann das Wachsen des orbito-frontalen Cortex der rechten (emotional gesteuerten) Hirnhemisphäre zu einer guten Basis für die Integration und Vernetzung unterschiedlicher Teile des Gehirns werden. Spielen, und besonders das interaktive Spielen, ist ein wirksames Mittel der Affektregulation, um die Spannungen in der Interaktion und im Körpertonus auszugleichen (Schore, 1994, 2003; Kayser und Kayser 2001). Dies gilt in hohem Maße dann, wenn Sprache nicht als Kommunikationsmittel dienen kann, z.B. bei entwicklungsverzögerten und zugleich sprachentwicklungsgestörten, kleinen Kindern. Forscher aus dem Bereich der Mutter-KindInteraktionen wie Stern (2000) oder Papoucek et al. (2004) bestätigen TheraplayTherapeut/innen in ihrer Art des sensiblen und empathischen Umgangs mit den Kindern. Theraplay Setting (am Beispiel der Einzeltherapie) Die Therapeutin befindet sich mit dem Kind in einem eher reizarmen Raum, in dem sich lediglich ein paar benötigte Utensilien befinden. Beide sitzen auf einer Matte, das Kind entweder auf einem flexiblen und warmem Sitzsack vor, oder auf dem Schoß der Therapeutin oder auf einem Polster vor einer Kotherapeutin. Dieses Setting soll die Nähe und die Aufnahme der Beziehung begünstigen. Abbildung 1: Theraplay Therapie-Setting mit Therapeutin (verdeckt durch eingeblendete Totale) und Kind auf dem Schoß der Co-Therapeutin. 2 Schweizerischer Bund der Therapeutinnen Cerebraler Bewegungsstörungen – 42. Fachtagung 29.30.10.2004 Eltern bzw. Bezugspersonen beobachten die Behandlung ihrer Kinder mit Theraplay, entweder indem sie das Geschehen durch eine Einwegscheibe direkt miterleben oder durch Videoübertragung verfolgen bzw. in Elterngesprächen diskutieren. Die Therapeutin zeigt dabei Ausschnitte aus der Therapie, erklärt, erläutert und beantwortet Fragen. Eine Therapiesitzung dauert ohne Vor- und Nachbereitung ca. 30 Minuten und findet üblicherweise einmal wöchentlich statt. Allerdings wurden inzwischen auch mit IntensivTheraplay (Franke 2001), also mit täglichen Therapiesitzungen gute Erfahrungen gemacht. Die durchschnittliche Therapiedauer, ausgedrückt in Anzahl Therapiesitzungen, ist wesentlich abhängig von der Art der Störung, den Eigenarten und dem Alter des Kindes, von der Mitarbeit der Eltern und vom angestrebten Ziel. Sie bewegt sich im Mittel bei 18-20, bei autistischen oder behinderten Kindern durchschnittlich bei ca. 25-27 Sitzungen. Indikationen und Contraindikationen Theraplay hat sich besonders bei Kindern mit sozio-emotionalen Störungen bewährt. Dazu gehören Bindungsstörungen, emotionale Störungen wie Scheu oder Ängste, Aufmerksamkeitsstörungen, Verhaltensstörungen wie mangelnde Kooperation, oppositionelle Verweigerung oder Aggressivität und tiefgreifende Entwicklungsstörungen des autistischen Spektrums. Theraplay hat sich im deutschsprachigen Raum auch als Vorbereitung von sprechund sprachentwicklungsgestörten Kindern auf eine logopädische Therapie außerordentlich gut bewährt, weil die Kinder die Motivation bekommen, sich zu öffnen, Interesse an sozialen Beziehungen aufzubauen und Verhaltensweisen wie Unaufmerksamkeit, mangelnde Kooperation, oppositionelle Verweigerung, Aggressivität abzubauen oder mangelnde soziale Gegenseitigkeit zu verändern. Contraindiziert ist Theraplay bei Kindern, die sich in einer symbiotischen Beziehung zu einem Elternteil befinden oder die aus einem so andersartigen Kulturkreis kommen, dass die familiäre Erziehungs- und Denkweise den Theraplay Prinzipien widerspricht. Wenig Erfolgsaussichten bestehen dann, wenn die Eltern der betroffenen Kinder dieser Therapiemethode oder der Therapeutin mit Skepsis und Misstrauen gegenüber stehen. Die Kinder können sich dann kaum auf die Beziehungsangebote einlassen. Theraplay ist auch nicht indiziert bei umschriebenen Störungen, die gezielt durch Verhaltenstherapie oder kognitive Therapie zu behandeln sind. Therapiemethodik Die Ziele einer Theraplay Behandlung richten sich nach den Störungen des jeweiligen Kindes und danach, was es für seine individuelle und soziale Entwicklung braucht. Die Theraplay Therapeutin macht dem Kind in einer klar strukturierten Spielsituation Beziehungsangebote, die zu einer gelungenen, positiven, optimistischen Interaktion führen, an der das Kind Spaß hat. Das beim Kind daraus entstehende Vertrauen ermöglicht der Therapeutin, zu ihm eine das Selbst bzw. das Selbstvertrauen aufbauende Beziehung herzustellen. Das Kind erhält ganz individuelle Beziehungs- und Spielangebote, die sich danach richten. was es braucht und nicht danach, was es will. Diese Angebote sind – grob eingeteilt – zum einen Rituale, die dem Kind das Gefühl von Sicherheit vermitteln und es beruhigen. Zum anderen sind es Spiele, die ihm eine dem Entwicklungsalter (nicht dem chronologischen Alter) angemessene Struktur vermitteln, es herausfordern, es adäquat stimulieren und sein Bewusstsein von sich selbst verbessern. Fragestellungen In Hinsicht auf die Wirkung von Theraplay bei Störungen der sozialen Interaktion stellen sich die Fragen: 3 Schweizerischer Bund der Therapeutinnen Cerebraler Bewegungsstörungen – 42. Fachtagung 29.30.10.2004 Wo liegt das ‚normative Niveau’ der Merkmale sozialen Interaktionsverhaltens wie Aufmerksamkeit und Kooperationsbereitschaft bei klinisch unauffälligen Kindern? Wie stark ausgeprägt sind die störenden Symptome Unaufmerksamkeit und mangelnde Kooperationsbereitschaft bei klinische auffälligen Klein- und Vorschulkindern mit oppositionell-verweigerndem oder scheuem Interaktionsverhalten oder bei solchem mit mangelnder sozialer Gegenseitigkeit im Vergleich mit klinisch unauffälligen Kindern gleichen Alters und Geschlechts? Wie wirkt die Behandlung mit Theraplay auf unaufmerksame Klein- und Vorschulkinder mit oppositionell verweigerndem Interaktionsverhalten im Vergleich mit klinisch unauffälligen Kindern? Wie wirkt die Behandlung mit Theraplay auf unaufmerksame, scheue Klein- und Vorschulkinder im Vergleich mit klinisch unauffälligen Kindern? Wie wirkt die Behandlung mit Theraplay auf unaufmerksame Klein- und Vorschulkinder mit mangelnder sozialer Gegenseitigkeit (z.B. mit autistischem Interaktionsverhalten) im Vergleich mit klinisch unauffälligen Kindern? Methoden der Therapieerfolgskontrolle Es wurden zwei Studien mit unterschiedlicher Methodik zur Evaluation der Wirkung von Theraplay durchgeführt, beide mit wiederholter Erhebung der Daten in der realen Diagnose- bzw. Therapiesituation: 1) eine Längsschnittstudie (LSS) mit Folgestudie 2 Jahre nach der Therapie, 2) eine Multi-Zentren-Studie (MZS) mit unterschiedlichen Patient/innengruppen.. Untersuchungsplan und Methodik ad 1) Im Zeitraum 1998-2003 wurde im Phoniatrisch Pädaudiologischen Zentrum in Heidelberg eine kontrollierte Längsschnittstudie (LSS) mit einer Folgestudie zur Nachhaltigkeit der Therapieeffekte durchgeführt. Das Untersuchungsziel war, die Wirkung von Theraplay an einer zufällig anfallenden Gruppe von Patient/innen mit Koinzidenz von sprachlichen Kommunikations- und sozialen Interaktionsstörungen im Zeitverlauf vom Beginn der Wartezeit über den individuellen Therapieverlauf bis 2 Jahre nach Abschluss der Behandlung mit Theraplay zu verfolgen. Die Ergebnisse dieser nur in einer Region und mit einem spezifischen Patientenpotential durchgeführten Studie lassen sich jedoch noch nicht auf andere Patientenpotentiale und Regionen verallgemeinern. ad 2) Deshalb wurde im Jahr 2000 ergänzend eine kontinuierliche Multi-ZentrenStudie (MZS) gestartet. Diese wird fortlaufend in neun Institutionen mit unterschiedlichen Patientenpotentialen durchgeführt, u.a. in einer Frühfördereinrichtung, einer Behinderteninstitution, einer Ambulanz für Stimm-, Sprach- und Hörstörungen, in einem Kindergarten in einem sozialen Brennpunkt und in mehreren niedergelassenen psychologischpsychotherapeutischen und logopädischen Praxen in verschiedenen Orten in Deutschland und Österreich. Im Prä-Post-Design wird für jedes der in diesen Institutionen mit Theraplay behandelten Kinder zu Beginn der Behandlung neben Anamnese- und sozio-demografischen Daten der psychopathologische Befund der Sprach- oder Sprechstörungen und der Störungen des sozialen Interaktionsverhaltens erfasst. Nach Abschluss der Behandlung mit Theraplay wird der Befund erneut erhoben und die Anzahl der benötigten Therapiesitzungen festgestellt. Stichproben Die Anfangsstichprobe der LSS umfasste N=68 Kinder, deren Eltern bzw. Bezugspersonen nach ausführlicher Erläuterung des Therapieverfahrens und Information über die geplante Längsschnittstudie schriftlich ihre Einwilligung zur Teilnahme gaben. Es war aus 4 Schweizerischer Bund der Therapeutinnen Cerebraler Bewegungsstörungen – 42. Fachtagung 29.30.10.2004 methodischen Gründen eine Wartezeit von 16 Wochen vorgegeben worden, um die Veränderung der Symptome dieser Kinder ohne Therapie zu erkunden. In der Wartezeit machten jedoch 8 der Eltern von ihrem Recht Gebrauch, ihre Zusage jederzeit zurücknehmen zu können. Sie begründeten ihre Absage damit, dass ihnen wegen der beeinträchtigenden Störungen ihres Kindes die Zeit bis zum geplanten Beginn der Behandlung mit Theraplay zu lange dauere. Die Stichprobe der LSS umfasst also 60 klinisch auffällige Klein- und Vorschulkinder mit Koinzidenz von Sprachentwicklungs- und Störungen des sozialen Interaktionsverhaltens, davon 43 Jungen und 17 Mädchen (Jungen-Mädchen-Relation wie 2,5:1). Diese Kinder waren beim Erstkontakt durchschnittlich 4 Jahre; 4 Monate alt (M=4;04, s=1;02). Bei 50 dieser Kinder wurde eine klinisch bedeutsame Störungen des sozialen Interaktionsverhaltens durch Unaufmerksamkeit und mangelnde Bereitschaft zur Kooperation diagnostiziert, davon fielen 21 durch unaufmerksames und zugleich oppositionellverweigerndes Verhalten auf, 18 waren unaufmerksame, scheue Kinder und 13 Kinder waren durch mangelnde soziale Gegenseitigkeit beeinträchtigt. Bei 9 der 13 Kinder mit mangelnder sozialer Gegenseitigkeit wurde frühkindlicher Autismus diagnostiziert. Von den übrigen 5 Kindern dieser Substichprobe hatten 4 Symptome von Hyperaktivität und körperlicher Unruhe, eines war ein Pflegekind und litt unter Bindungsstörungen. Der Ausprägungsgrad der Symptome der verschiedenen Substichproben mit ihren unterschiedlichen Störungsbildern wurde vor Beginn der Therapie mit dem einer KontrollStichprobe von 30 klinisch unauffälligen Kindern gleicher Alters- und Geschlechtsstruktur verglichen (matched sample), davon 21 Jungen und 9 Mädchen (Jungen-Mädchen-Relation wie 2,3:1). Das Alter dieser Kontrollkinder war zu Beginn des 16-wöchigen Zeitintervalls durchschnittlich 4 Jahre; 5 Monate (M=4;05, s=1;03). Nach Ende der Therapie wurde die Veränderung der Symptome mit deren Ausprägung vor Beginn der Behandlung verglichen. In einer Nachhaltigkeitsstudie 2 Jahre nach Ende der Therapie konnte bis jetzt bei 29 der 60 Kinder die Ausprägung der Symptome erneut kontrolliert werden. Bei den übrigen Kindern war der 2-jährige Katamnese-Zeitraum noch nicht erfüllt. Die Stichprobe der MZS umfasst N=251 Kinder mit Multimorbidität von Sprachstörungen und sozialen Verhaltensstörungen, bei denen bis Ende 2003 die Behandlung mit Theraplay abgeschlossen werden konnte. Von diesen sind 172 Jungen und 79 Mädchen (Jungen-Mädchen-Relation wie 2,2 : 1). Diese Klein- und Vorschulkinder waren zu Beginn der Behandlung durchschnittlich 4 Jahre; 9 Monate alt (M=4;09, s=1;09). Von diesen wurde bei 183 Kindern eine klinisch bedeutsame Unaufmerksamkeit und mangelnde Bereitschaft zur Kooperation mit der Therapeutin diagnostiziert. Nach der Art ihrer Störungen im sozialen Interaktionsverhalten waren 105 dieser 183 Kinder unaufmerksam und zugleich oppositionellverweigernd, 86 waren unaufmerksam und scheu und 40 hatten einen Mangel an sozialer Gegenseitigkeit in der Interaktion. Erhebungsinstrumente Das Instrumentarium der LSS umfasst wesentlich mehr Arten von Beobachtungen, Befragungen und diagnostische Tests als hier berichtet werden können. In beiden Studien (LSS und MZS) wurden jedoch übereinstimmend jene Erhebungsinstrumente eingesetzt, aus deren Daten hier berichtet wird. Sie umfassen Fragebogen zur Anamnese und zu soziodemografischen Daten des Kindes und der Familie, Skalen zur wiederholten Erhebung des psychopathologischen Befunds, Skalierung des Therapieerfolgs aus Sicht der Elternteile und der Therapeutin sowie die Erfassung der notwendigen Anzahl der Therapiesitzungen. Aus Gründen des begrenzten Raums wird hier auf eine detaillierte Beschreibung der Erhebungsinstrumente verzichtet. Sie kann jedoch bei den Autoren erfragt werden. 5 Schweizerischer Bund der Therapeutinnen Cerebraler Bewegungsstörungen – 42. Fachtagung 29.30.10.2004 Der Ausprägungsgrad der Symptomatik der Klein- und Vorschulkinder wurde durch Evaluation des systematisch beobachteten Mutter-Kind- bzw. Vater-Kind-Verhaltens mittels Heidelberger Marschak-Interaktions-Methode (Ritterfeld & Franke, 1994), ergänzend durch Befragung der Eltern zu häuslichen Erfahrungen und durch Einschätzung von Klinikerinnen nach dem ‚Psychopathologischen Befund-System für Kinder und Jugendliche’ (CASCAP-D) diagnostiziert. Das ist die deutsche Version der Clinical Assessment Scale for Child and Adolescent Psychopathology. Sie wurde von Doepfner et al. (1999) für deutsche Verhältnisse validiert. Die Autoren haben dieses Instrumentarium einerseits gewählt, weil es 1997, als die Längsschnittstudie geplant wurde, ein Teil der Basisdokumentation in vielen Kinder- und Jugendpsychiatrien und Kinderkliniken, und insofern in der Diagnostik vertraut war, andererseits, weil es eine Dimensionalisierung des Ausprägungsgrads von Symptomen auf einer 4-stufigen Skala von 1=unauffällig bis 4=stark ausgeprägtes Symptom erlaubt. CASCAP-D wurde für diese Studien von ursprünglich 96 zu beurteilende Symptome auf die in den untersuchten Störungsbildern relevanten 53 verkürzt. Zu den hier interessierenden Symptomen gehören die eines gestörten Interaktionsverhaltens wie beispielsweise Unaufmerksamkeit, mangelnde Bereitschaft zur Kooperation, oppositionell-verweigerndes Verhalten, Scheu, soziale Zurückgezogenheit, Mangel an sozialer Gegenseitigkeit in der interpersonalen Kommunikation wie sie bei autistischen Kindern häufig zu beobachten ist, körperliche Hyperaktivität, mangelnde Impulskontrolle und Spielstörungen. Qualifikation der Therapeut/innen Die Behandlung mit Theraplay wurde vorwiegend durch Sprachheilpädagog/innen, Sozial-Pädagog/innen, Psycholog/innen oder Logopäd/innen durchgeführt, die alle eine Zusatzausbildung als geprüfte Theraplay Therapeut/in haben. Sie wurden von Ulrike Franke, in den USA registrierte Spieltherapeutin und Supervisorin (APT) und zertifizierte Theraplay Therapeutin und Trainerin (TTI) ausgebildet. Die Ausbildung nach gleichen Richtlinien gewährleistet eine weitgehend übereinstimmende Anwendung von Theraplay. Ergebnisse Wo liegt das ‚normative Niveau’ der Merkmale sozialen Interaktionsverhaltens wie Aufmerksamkeit und Kooperationsbereitschaft bei klinisch unauffälligen Kindern? Selbstverständlich gab es unter den klinisch unauffälligen Kindern einzelne unaufmerksame oder wenig kooperationsbereite, auch einzelne mit oppositioneller Verweigerung, einzelne scheue, aber keine mit mangelnder sozialer Gegenseitigkeit in der Interaktion. Wenn diese Kinder Symptome zeigten, dann waren diese immer ohne klinische Relevanz. Diese Kinder sind eben klinisch unauffällig. Deshalb wurden sie ja als alters- und geschlechtsvergleichbare Kontrollgruppe ausgewählt worden. Wie stark ausgeprägt sind die störenden Symptome Unaufmerksamkeit und mangelnde Kooperationsbereitschaft bei klinische auffälligen Klein- und Vorschulkindern mit oppositionell-verweigerndem oder scheuem Interaktionsverhalten oder bei solchem mit mangelnder sozialer Gegenseitigkeit im Vergleich mit klinisch unauffälligen Kindern gleichen Alters und Geschlechts? Verglichen mit klinisch unauffälligen Kindern, von denen nur einzelne unaufmerksam (im Mittel M=1.2 auf der 4-stufigen CASCAP-D Skala oder unkooperativ (M=1.1) waren, sind die klinisch auffälligen Klein- und Vorschulkinder gleichen Alters und Geschlechts durchweg außerordentliche unaufmerksam (in der LSS im Mittel M=3.0 und in der MZS M= 3.2) und ziemlich unwillig zu kooperieren (M=2,6 in beiden Studien). Die Kinder mit Mangel an sozialer Gegenseitigkeit, darunter solche mit frühkindlichem Autismus, sind besonders unaufmerksam (durchschnittlich LSS: M=3.7; MZS: M=3.6 auf der 4-stufigen Skala) und 6 Schweizerischer Bund der Therapeutinnen Cerebraler Bewegungsstörungen – 42. Fachtagung 29.30.10.2004 besonders unkooperativ in der therapeutischen Interaktion (LSS: M=3.5; MZS: M=3.1). Auch bei den oppositionell verweigernden Klein- und Vorschulkindern sind Unaufmerksamkeit (LSS: im Mittel M=3.1; MZS: M=3.3) und mangelnde Kooperationsbereitschaft (LSS: M=3.1; MZS: M=3.0) überdurchschnittlich ausgeprägt. Bei diesen Patient/innen kann also von einer überwiegend erheblichen Störung des sozialen Interaktionsverhaltens ausgegangen werden, deren Veränderung durch Theraplay in beiden Studien evaluiert werden soll. Verglichen mit den erheblich gestörten, unaufmerksamen Klein- und Vorschulkindern mit mangelnder sozialer Gegenseitigkeit oder mit oppositionell verweigerndem Interaktionsverhalten sind die unaufmerksamen, scheuen Kinder als weniger beeinträchtigt eingeschätzt worden. Scheue Kinder waren im Mittel zwar leicht bis deutlich unaufmerksam (LSS: M=2.7; MZS: M=3.1), jedoch vergleichsweise weniger kooperationsunwillig (LSS: M=1.9; MZS: M=2.4). Verglichen mit klinisch unauffälligen Kindern machen ihre Unaufmerksamkeit und ihre mangelnde Bereitschaft zu Kooperation in der Therapie ernsthafte Probleme. Wie wirkt die Behandlung mit Theraplay auf unaufmerksame Klein- und Vorschulkinder mit oppositionell verweigerndem Interaktionsverhalten im Vergleich mit dem Verhalten von klinisch unauffälligen Kindern? Nach den vorliegenden Ergebnissen sind unter den unaufmerksamen Klein- und Vorschulkindern oppositionell verweigernde offenbar besonders häufig (LSS: 24 von 50; MZS: 105 von 183). Durchschnittlich 19-21 Sitzungen mit einer Dauer von 30 Minuten (ohne Vor- und Nachbereitung) waren notwendig, um das anfangs hoch ausgeprägte oppositionell verweigernde Interaktionsverhalten dieser Kinder (LSS. M=3.1; MZS: M=3.3 auf der 4stufigen Skala) fast (LSS: M=1.3; MZS: M=1.4 nach der Therapie) auf das ‚normale’ Niveau von klinisch unauffälligen Kindern gleichen Alters und Geschlechts (M=1.1) zu senken (vgl. Abbildung 2). Die Irrtumswahrscheinlichkeit ist in beiden Studien mit einer statistischen Signifikanz von prob.<0.0001 sehr gering. Verringerung des oppositionell verweigernden Interaktionsverhaltens nach Theraplay 4 N=21 oppositionell verweigernde Kinder (TT-B: M=3.1,s=0.7) > (TT-E: M=1.3,s=0.5) Irrtumswahrscheinlichkeit prob.<0.0001 3,3 3,1 3 4 = stark ausgeprägtes 3 = deutlich ausgeprägt. 2 = leicht ausgeprägtes Symptom 1 = klinisch unauffällig N=105 oppositionell verweigernde Kinder (TT-B: M=3.2,s=0.8) > (TT-E: M=1.4,s=0.5) Irrtumswahrscheinlichkeit prob.<0.0001 2 N=30 klinisch unauffällige Kinder (LSS-Kontrollgruppe) (M=1,0;s=0) 1,4 1,3 1,1 1 Beginn der Therapie (TT-B) Ende der Therapie (TT-E) Abbildung 2: Verringerung das anfangs ausgeprägten oppositionell verweigerndes Interaktionsverhaltens der unaufmerksamen Klein- und Vorschulkinder nach durchschnittlich 19 (LSS) bis 21 (MZS) Theraplay Sitzungen. Bemerkenswert ist auch, dass der Grad der Veränderung des anfangs ausgeprägten oppositionell verweigernden Verhaltens in den beiden unabhängigen Studien sehr ähnlich ist, 7 Schweizerischer Bund der Therapeutinnen Cerebraler Bewegungsstörungen – 42. Fachtagung 29.30.10.2004 so dass davon ausgegangen werden kann, dass sich die Ergebnisse der beiden Studien gegenseitig bestätigen (vgl. Abbildung 2). Vor Beginn der Behandlung mit Theraplay ist in beiden Studien die Kooperationsunwilligkeit der oppositionell verweigernden Kinder hoch ausgeprägt (LSS: M=3.1; MZS: M=3.0). Sie hat sich nach der Behandlung mit Theraplay verringert (LSS: M=1.6; MZS: M=1.5) und der Kooperationsbereitschaft der klinisch unauffälligen Kinder (M=1.1) angenähert. Die statistische Signifikanz dieser Veränderung beträgt prob.<0.0001. Wieder zeigt sich in beiden unabhängigen Studien eine hohe Übereinstimmung des Grads der Veränderung. Das könnte darauf hinweisen, dass der Therapieeffekt wirklich ein Ergebnis des Therapieverfahrens, nicht von besonders empathischen Therapeutinnen ist. Auch die vor Beginn der Therapie ausgeprägte Unaufmerksamkeit (LSS: M=3.1; M=3.3) der anfangs oppositionell verweigernden Klein- und Vorschulkinder erweist sich nach Abschluss der Behandlung mit Theraplay als verbessert (in beiden Studien M= 2,0) und nähert sich dem auch bei klinisch unauffälligen Kindern gleichen Alters und Geschlechts durchschnittlich gegebenen Grad von Unaufmerksamkeit (M=1.2) an. Wieder ist in beiden Studien der Grad der therapiebedingten Veränderung der Unaufmerksamkeit sehr ähnlich. Die statistische Signifikanz der Veränderung der Unaufmerksamkeit beträgt prob.<0.0001. Mit der klinisch bedeutsamen Verringerung der das soziale Interaktionsverhalten dieser Klein- und Vorschulkinder störenden Symptome, also mit der statistisch signifikanten Reduzierung des oppositionell verweigernden, unkooperativen, unaufmerksamen Verhaltens hat sich in einer Art Co-Variation auch deren rezeptive Sprachstörung in Richtung auf das Sprachverständnis klinisch unauffälliger Kinder verbessert (LSS: von M=2.6 auf M=2.0; MZS: von M=2.7 auf M=1.9). Auch diese Veränderung ist statistisch signifikant (LSS: prob.<0.03; MZS: prob.<0.0001). Diese Co-Variation legt die Hypothese nahe, dass zwischen der Veränderung von Symptomen des sozialen Interaktionsverhaltens und der Veränderung der rezeptiven Sprachstörung eine Wechselbeziehung bestehen könnte, die bisher noch nicht durch eine angemessene Theorie erklärt werden kann. Zwei Jahre nach Abschluss der Behandlung mit Theraplay wurden im Rahmen einer Folgeerhebung der Längsschnittstudie bisher 29 dieser 60 Kinder erneut untersucht. Es gab keine Rückfälle. Das nach der Therapie dem Verhalten von klinisch unauffälligen Kindern weitgehend angenäherte Interaktionsverhalten hat sich als nachhaltig erwiesen. Diese Kinder sind auch zwei Jahre nach der Therapie nicht mehr oppositionell verweigernd oder kooperationsunwillig. Geringfügige Veränderungen sind statistisch nicht signifikant. Die Aufmerksamkeit dieser Kinder hat sich sogar noch weiter verbessert (von M=2.0 nach Therapierende bis auf M=1.4 zwei Jahre später) und damit der durchschnittlichen Unaufmerksamkeit klinisch sonst unauffälliger Kindern (M=1.2) weiter angenähert. Wie wirkt die Behandlung mit Theraplay auf unaufmerksame, scheue Klein- und Vorschulkinder im Vergleich mit klinisch unauffälligen Kindern? So unterschiedlich wie ‚scheues’ und ‚oppositionell verweigerndes Verhalten’ sind, so unterschiedlich ist auch die Einschätzung ihres Ausprägungsgrads. Scheu zu sein ist im klinischen Sinne kein störendes Sozialverhalten. Möglicherweisen werden, weil ein scheues Klein- oder Vorschulkind im allgemeinen kaum störend auffällt, die Symptome des scheuen Interaktionsverhaltens weniger ausgeprägt eingeschätzt als die eines oppositionell verweigernden Verhaltens. Alle vor Beginn der Behandlung mit Theraplay diagnostizierten Ausprägungen der Scheu, der mangelnden Kooperationswilligkeit und der Unaufmerksamkeit liegen – verglichen mit den Symptomausprägungen des oppositionell verweigernden Verhaltens – auf einem niedrigeren, aber klinisch durchaus bedeutsamen Niveau. 8 Schweizerischer Bund der Therapeutinnen Cerebraler Bewegungsstörungen – 42. Fachtagung 29.30.10.2004 Die Wirkung der Behandlung der scheuen Klein- und Vorschulkinder mit Theraplay ist jedoch ähnlich jener der oppositionell verweigernden. Nach Theraplay sind die anfangs auffallend scheuen Kinder nicht mehr scheu. Die Scheu, die bisher möglicherweise die Kooperationswilligkeit und Aufmerksamkeit dieser Kinder negativ beeinflusst hat, ist nach Theraplay kaum noch nachzuweisen. Sie hat sich in der LSS von durchschnittlich M=2.3 auf M=1.2 und in der MZS von M=2.8 ebenfalls auf M=1.2 verringert. Das entspricht der auch bei klinisch unauffälligen Kindern gleichen Alters und Geschlechts durchschnittlich festgestellten Scheu (M=1.2). Diese Veränderungen sind nicht nur klinisch bedeutsam, sondern in beiden Studien auch mit prob.<0.0001 statistisch signifikant. Ähnlich ist die Wirkung von Theraplay auf die Kooperationswilligkeit dieser anfangs scheuen, unaufmerksamen Kinder. Diese hat sich in der LSS von M=1.9 auf M=1.3 und in der MZS von M=2.4 ebenfalls auf M=1.3 verbessert und sich damit der Kooperationswilligkeit der klinisch unauffälligen Kinder (M=1.1) wesentlich angenähert. Auch diese Veränderung ist in der LSS mit prob.<0.001 und in der MZS mit prob.<0.0001 statistisch signifikant. Die Unaufmerksamkeit dieser anfangs scheuen, wenig kooperationsbereiten Kinder war vor der Therapie stärker ausgeprägt als die beiden vorstehend beschriebenen Symptome. Sie hat sich aber nicht so weit verbessert, das sie der Aufmerksamkeit klinisch unauffälliger Kinder (M=1.2) nahe kommen könnte. Nach Theraplay war die Aufmerksamkeit der anfangs scheuen, unaufmerksamen Kinder in der MZS deutlicher verbessert (von durchschnittlich M=3.1 auf M=1.9, Signifikanz prob.<0.0001) als in der LSS (von M=2.7 auf M=2.1, prob.<0.01). Das kann mit den unterschiedlichen Patientenpotentialen zusammen hängen. Nach Behandlung mit Theraplay hat sich mit der Verringerung der Scheu und der Verbesserung der Kooperationswilligkeit und Aufmerksamkeit dieser Kinder co-variierend auch ihr Sprachverständnis verbessert, und zwar in der LSS von anfangs durchschnittlich M=2.8 auf M=2.3, statistische Signifikanz der Veränderung prob.<0.03 und in der MZS noch deutlicher von M=2.6 auf M=1.7, statistisch Signifikanz der Veränderung: prob.<0.0001. Zwei Jahre nach Abschluss der Behandlung mit Theraplay wurden die Symptome der Kinder der LSS in einer Folgestudie erneut überprüft. Es gab keine Rückfälle. Die nach der Therapie nahezu völlig verlorene Scheu und die den klinisch unauffälligen Kindern weitgehend ähnliche Kooperationsbereitschaft waren nachhaltig. Bemerkenswert ist jedoch, dass sich die während des Therapieverlaufs schon verbesserte Aufmerksamkeit der Kinder in den nachfolgenden zwei Jahren weiter deutlich verbessert hat von M=2.7 vor Beginn der Therapie über M=2.1 bei Therapierende bis zu M=1.4 zwei Jahre später. Und damit sind die ursprünglich scheuen, unaufmerksamen Klein- und Vorschulkinder ähnlich aufmerksam geworden wie es im Durchschnitt die klinisch unauffälligen Kinder (M=1.2) sind. Zum Erreichen dieses Therapieerfolgs waren in der LSS durchschnittlich rund 17 und in der MZS rund 19 Theraplay Sitzungen mit je 30 Minuten Dauer (ohne Vor- und Nachbereitung) notwendig. Wie wirkt die Behandlung mit Theraplay auf unaufmerksame Klein- und Vorschulkinder mit mangelnder sozialer Gegenseitigkeit im Vergleich mit klinisch unauffälligen Kindern? Ein Mangel an sozialer Gegenseitigkeit, oft gekennzeichnet durch fehlenden Blickkontakt und durch die Unfähigkeit der Kinder, mit Gleichaltrigen Freundschaften einzugehen oder mit ihnen zu spielen, ist besonders typisch für Kinder mit autistischen Störungen, aber durchaus auch bei anderen Störungsbildern wie Bindungsstörungen, Hyperaktivität und eben auch bei Unaufmerksamkeit nachzuweisen. Therapeut/innen erleben es immer wieder in der Praxis, wie schwierig es ist, zu diesen Kindern „durchzudringen“, ihre Aufmerksamkeit zu wecken, ihre Störung zu behandeln. Es ist allgemein bekannt, dass solche Kinder lange behandelt werden müssen, bis sich in ihrem Interaktionsverhalten etwas ändert. 9 Schweizerischer Bund der Therapeutinnen Cerebraler Bewegungsstörungen – 42. Fachtagung 29.30.10.2004 Um so bemerkenswerter ist die Wirkung von Theraplay bei Kindern mit diesem Störungsbild. Allerdings war auch mit Theraplay eine längere Behandlungsdauer als in den vorstehend beschriebenen Fällen notwendig. Durchschnittlich brauchten die Klein- und Vorschulkinder mit mangelnder sozialer Gegenseitigkeit in der LSS rund 28 und in der MZS rund 26 Theraplay Behandlungen mit einer Dauer von je 30 Minuten, um das nachfolgend beschriebene Therapieergebnis zu erreichen. Am deutlichsten konnte die anfangs mangelnde Kooperationsbereitschaft dieser Kinder verbessert werden, und zwar von einer anfangs stark ausgeprägten Kooperationsunwilligkeit in der LSS von M=3.5 auf der 4-stufigen Skala auf eine klinisch unauffälligen Kindern (M=1.1) schon nahe kommende Kooperationsbereitschaft mit M=1.8, und in der MZS sehr ähnlich von durchschnittlich M=3.1 auf M=1.6. Diese Verbesserung der Kooperationsbereitschaft ist nicht nur klinisch bedeutsam und schafft die Voraussetzung, die funktionale Störung der Kinder überhaupt therapieren zu können, sondern auch in beiden Studien übereinstimmend mit prob.<0.0001 statistisch hoch signifikant. Bemerkenswert ist auch, dass in beiden Studien der Grad der Verbesserung der Bereitschaft zur Kooperation nahezu gleich ist. Die beiden unabhängigen Studien bestätigen hier wie auch in manchen anderen Störungsbildern nahezu übereinstimmend die Wirkung von Theraplay. Die Veränderung der diesen Kindern eigenen mangelnden sozialen Gegenseitigkeit ist besonders bedeutsam. Es ist nicht zu erwarten, dass so erheblich beeinträchtigte Kinder im Zeitraum einer Kurzzeittherapie von 26-28 Theraplay Sitzungen grundsätzlich geändert werden können. Doch hat sich der anfangs stark ausgeprägte Mangel an sozialer Gegenseitigkeit bedeutsam (LSS: von M=3.2 auf M=2.2; MZS: von M=3.1 auf M=1.9) und statistisch signifikant (in beiden Studien prob.<0.0001) verbessert. Auch die anfangs stark ausgeprägte Unaufmerksamkeit hat sich nach der Behandlung mit Theraplay deutlich (LSS: auf der 4-stufigen Skala von M=3.7 auf M=2.8; MZS: von M=3.6 auf M=2.2) und statistisch signifikant (LSS: prob.0.0008, MZS: prob.=0.0001) verbessert. Aber auch nach Theraplay müssen diese Kinder – verglichen mit klinisch unauffälligen Kindern gleichen Alters und Geschlechts (M=1.2) - als relativ unaufmerksam eingeschätzt werden. Immerhin scheinen die jegliche Therapie dieser Kinder beeinträchtigende mangelnde soziale Gegenseitigkeit, die vorher ausgeprägte Kooperationsunwilligkeit und die stark ausgeprägte Unaufmerksamkeit so bedeutsam verbessert zu sein, scheinen sich diese Kinder nach der Behandlung mit Theraplay offenbar dem sozialen Kontakt so weit geöffnet zu haben, dass sich auch ihre rezeptive Sprachstörung, die ebenfalls ein Kennzeichen autistischer Störungen ist, in beiden Studien in sehr ähnlicher weise hin zu einem Sprachverständnis verbessert hat (in der LSS auf der 4stufigen Skala von M=3.9 auf M=3.0; in der MZS von M=3.2 auf M=2.3, Signifikanz der Veränderung in der LSS prob.=0.0008, in der MZS prob.=0.0001). In der zwei Jahre später folgenden Nachhaltigkeitsstudie der LSS hat sich die positiv veränderte Bereitschaft zur sozialen Gegenseitigkeit und zur Kooperation als stabil erwiesen. Lediglich hinsichtlich der verbesserten Aufmerksamkeit gibt es eine leichte, aber statistisch nicht signifikante Tendenz, wieder unaufmerksamer geworden zu sein (Von M=3.7 vor Beginn der Therapie über M=2.8 bei Therapierende bis zu M=3.0 zwei Jahre danach. Diskussion Die Ergebnisse der beiden Studien zur Evaluation der Wirkung von Theraplay lassen noch kein endgültiges Urteil über diese interaktive, von der Therapeutin geführten KurzzeitSpieltherapie zu. Aber die Nachhaltigkeit der Wirkung von Theraplay, die in der LSS zwei Jahre nach Ende der Behandlung mit Theraplay nachgewiesen werden konnte, wie auch die in beiden Studien oft hohe Übereinstimmung der therapiebedingten Veränderung stark beeinträchtigender Symptome legen die Vermutung einer guten Wirksamkeit dieser Therapieform nahe, sowohl hinsichtlich der Reduktion sozialer Interaktionsstörungen als auch der co-variierenden Verbesserung des Sprachverständnisses. Es sind jedoch weitere Untersuchungen zur Absicherung dieses Ergebnisses erforderlich. 10 Schweizerischer Bund der Therapeutinnen Cerebraler Bewegungsstörungen – 42. Fachtagung 29.30.10.2004 Literatur Booth, P. (2003). Theraplay und wie es begann. In: Schwierige Kinder 32, 2003. Bowlby, J. (1985). Mutterliebe und kindliche Entwicklung. München: Ernst Reinhardt Verlag. Brisch, K. (1999). Bindungsstörungen. Stuttgart: Klett Cotta. Doepfner, M., Berner, W., Flechtner, H., Lehmkuhl, G. und Steinhausen, H.-C. (1999). Psychologisches Befund-System für Kinder und Jugendliche (CASCAP-D). Göttingen: Hogrefe Verlag für Psychologie. Field, T. (2001). Touch. Cumberland: Bradford Books. Franke, U. (2001). Erfahrungen mit intensivem Theraplay. In: Schwierige Kinder 25, 2001. Jernberg, A.M. (1979). Theraplay. A New Treatment Using Structured Play for Problem Children and Their Families. San Francisco: Jossey-Bass Inc., Publishers. Jernberg, A.M. (1987). Theraplay. Eine direktive Spieltherapie. 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