Neurobiologie Praktikum: Regenwurm Bauchmark I. Theoretischer Teil 1. Der Regenwurm Der Regenwurm Lumbricus terrestris gehört zu der Familie Oligochaeta aus der Klasse der Anneliden. Er besitzt ein Strickleiternervensystem, das im Körper ventral gelegen ist und daher Bauchmark genannt wird. Abbildung 1 zeigt den Regenwurm in Seitenansicht. Abbildung 1: Lumbricus terrestris in Seitenansicht. Gelb dargestellt ist das Nervensystem mit Oberschlundganglion und Strickleiternervensystem. Das Bauchmark selbst ist aufgebaut aus zwei lateralen Riesenfasern und einer medialen Riesenfaser in deren Mitte, die sich in dorsaler Lage befinden (dorsal innerhalb des Bauchmarks, das selbst ventral liegt). Seitlich befinden sich Lateroneuralgefäße und im ventralen Bereich des Bauchmarks liegt das große Subneuralgefäß. In der Mitte des Bauchmarks sind Neurone und Perikaryen der Neurone angesiedelt, deren Axone sich zu Nervenfasern vereinigen, die seitlich abzweigen, während das gesamte Bauchmark epineuraler Muskulatur umhüllt ist. 2. Der Aufbau einer Nervenzelle Nervenzellen bei Vertebraten und Invertebraten sind grundsätzlich sehr ähnlich aufgebaut, doch bestehen durchaus signifikante Unterschiede. 2.1. Aufbau einer Vertebraten-Nervenzelle Ein Vertebraten-Neuron besteht aus einem Soma mit Zellkern und Dendriten (die mit synaptischen Endigungen anderer Neurone Synapsen bilden), sowie einem Axonhügel und dem daran anschließenden Axon, das von Schwann-Zellen (im peripheren Nervensystem) oder Oligodendrocyten (im zentralen Nervensystem) umhüllt ist, wobei zwischen den, als Myelinscheiden bezeichneten -1- Neurobiologie Praktikum: Regenwurm Bauchmark Zellummantelungen Regionen frei bleiben, die mit interstitieller Flüssigkeit in Berührung kommen und als Ranvier-Schnürringe bezeichnet werden. Der Aufbau eines Vertebraten-Neurons ist in Abbildung 2 dargestellt. Abbildung 2: Aufbau einer Vertebraten-Nervenzelle. Die verdickte, orangefarbene Region zwischen Soma und Axon beinhaltet den Axonhügel 2.2. Die Invertebraten-Nervenzelle Bei Invertebraten sind Soma und Dendriten getrennt. Die Dendriten liegen am Axon an. Dies hat Folgen für den Aufbau des zentralen Nervensystems (das ZNS wird bei Invertebraten in Soma-Region und Neuropil unterteilt). Des Weiteren sind die Axone nicht myelinisiert. Die Konsequenzen dessen werden später erläutert. 2.3. Funktion einer Vertebraten-Nervenzelle Nervenzellen dienen generell der Weiterleitung von Signalen. Wie bereits erwähnt dienen die Dendriten der Verbindung mit anderen Nervenzellen indem sie mit deren synaptischen Endigungen Synapsen ausbilden (Aufbau und Funktion von Synapsen ist ein eigener Abschnitt gewidmet). Das Soma ist zuständig für die Stoffwechselleistung und Biosynthese, sowie der Verarbeitung von Reizen, die über die Dendriten ankommen. Der Axonhügel kann bei genügender Reizung ein Aktionspotential (wird in einem eigenen Abschnitt näher erläutert) auslösen, das über das Axon weitergeleitet wird. Das Axon verästelt sich zu axonalen Verzweigungen mit synaptischen Endigungen. -2- Neurobiologie Praktikum: Regenwurm Bauchmark 2.4. Die Zellmembran Jede Zelle besitzt eine Zellmembran. Nach dem Flüssig-Mosaik-Modell ist sie viskos, da sie aus Phospholipiden aufgebaut wird. Der Phosphat-Rest ist hydrophil, während Lipide hydrophob sind. Dadurch lagern sie sich in Wasser aneinander, wobei die hydrophoben Schwänze nach innen, die hydrophilen Köpfe nach außen ragen. In die Zellmembran sind Proteine eingelagert (so genannte Integrale Proteine), aber sie können auch an der Innenseite oder Außenseite der Membran heften. Integrine sind ein Beispiel für periphere Proteine, die der Erkennung von Fibronectin dienen. In die Phospholipid-Schicht kann auch Cholesterin eingelagert sein, während Kohlenhydrat-Ketten in den extrazellulären Raum ragen. Die Zellmembran wird von Kollagen-Fasern und Hyaluronsäure-Ketten mit Proteoglykan-Seitenketten umgeben. In Abbildung 3 sieht man den Aufbau der Zellmembran. Abbildung 3: Die Zellmembran Die Struktur von Phospholipiden ist in Abbildung 4 dargestellt. Abbildung 4: Aufbau eines typischen Phospholipids. Blau, violett und orange sind die hydrophoben, grün die hydrophilen Bestandteile gefärbt. -3- Neurobiologie Praktikum: Regenwurm Bauchmark Die Zellmembran ist ungefähr 7-8nm dick und selektiv permeabel. Einen sehr wichtigen Bestandteil der Zellmembran stellen daher aktive und passive Transporter und Pumpen dar (auf eine wichtige Pumpe wird in dem Abschnitt über das Ruhepotential näher eingegangen). Außerdem sind Ionenkanäle von großer Bedeutung. Es gibt derer drei verschiedene Klassen: - mechanische Ionenkanäle (z.B. in Haarsinneszellen des Ohres. Sie werden durch Bewegung der Stereovili geöffnet oder geschlossen) - spannungsabhängige Ionenkanäle (werden später genauer erklärt) - ligandenabhängige Ionenkanäle [man unterscheidet zwischen ionotropen (der Ligand bindet direkt an einen Rezeptor auf dem Ionenkanal) und methabotropen (der Ligand bindet an einen Rezeptor in der Nähe des Ionenkanals) Ionenkanälen] 2.5. Das Ruhepotential (RP) Das RP stellt den unerregten Zustand einer Zelle dar. Es liegt bei -70mV. Es entsteht durch eine ungleiche Ionenverteilung der selektiv permeablen Membran zwischen intrazellulärem und extrazellulärem Raum. Außen befinden sich vor allem Natrium- und Chlorid-Ionen, während Innen mehr Kalium-Ionen und organische Anione (als A- bezeichnet) sind. Tabelle 1 gibt einen Überblick über die ionalen Verteilungsverhältnisse. Tabelle1: Ionenverteilung an der Membran Extrazellulär [K+] 5mmol Intrazellulär [K+] 150mmol [Na+] 150mmol [Na+] 15mmol [Cl-] 120mmol [Cl-] 10mmol [A-] 100mmol Im RP ist innen eine negativere, außen eine positivere Ladung und somit eine Spannung gegeben. Die Zellmembran selbst ist für K+ relativ gut durchlässig, während Na+ nur sehr schwer hindurch diffundieren kann. A- kann die Membran überhaupt nicht durchdringen. Kalium-Ionen diffundieren permanent durch die Membran entlang des Konzentrationsgradienten nach außen, wo die Konzentration an K+ geringer ist. Dabei diffundieren sie solange gegen den Ladungsgradienten (Innen negativ, außen positiv), bis dieser die Stärke des Konzentrationsgradienten ausgleichen würde. Ein Netto-Nullstrom wäre die Folge. Da auch Natrium-Ionen in die Zelle diffundieren (die Kalium- und die Natrium-Diffusion werden als Leckströme bezeichnet) muss das Ruhepotential aktiv aufrechterhalten werden. Dies geschieht durch die Na+/K+ Ionenpumpe, die unter ATP-Verbrauch 3Na+ nach außen und 2K+ nach innen befördert. Der Pumpvorgang findet jedoch nur zwischen mehreren Aktionspotentialen statt. -4- Neurobiologie Praktikum: Regenwurm Bauchmark 2.6. Das Aktionspotential (AP) Wird eine erregbare Zelle in genügendem Maße erregt, so bildet sich ein AP. Dabei spielen Natrium- und Kalium-Kanäle eine sehr wichtige Rolle. Beide Kanäle sind spannungsabhängig. Natrium-Kanäle haben ein Inaktivierungstor (nahe dem Zellinneren) und ein Aktivierungstor (nahe dem Zelläußeren), während KaliumKanäle nur ein Tor haben. Ein AP lässt sich in fünf Schritte unterteilen. Schritt 1: Die Zelle befindet sich im Ruhepotential bei -70mV. Das Aktivierungstor des Natrium-Kanals und das Tor des Kalium-Kanals sind geschlossen. Schritt 2: Wenn ein einkommender Reiz stark genug ist und das Schwellenpotential bei -50 bis -55mV übersteigt, öffnen sich die Natrium-Kanäle. Ist der Reiz zu schwach, öffnen sich zu wenige Natrium-Kanäle und die Spannungsänderung im Zellinneren ist zu gering, um die anderen Natrium-Kanäle zu öffnen. Schritt 3: Durch die Überschreitung des Schwellenpotentials tritt die Phase der Depolarisation der Membran ein. Alle Natrium-Kanäle öffnen sich und es folgt eine Umkehrung der Polarisation, also innen positiv und außen negativ. Das Membranpotential befindet sich bei +30mV. Schritt 4: Durch den Einstrom der Natrium-Ionen (circa 1 Na+/ms pro Kanal) tritt ein Spannungsgleichgewicht ein, worauf die spannungsabhängigen Ionenkanäle reagieren, indem sich die Inaktivierungstore der Natrium-Kanäle schließen und die Kalium-Kanäle öffnen. Nun strömen Kalium-Ionen von dem intrazellulären in den extrazellulären Raum und der Intrazellularraum wird negativer. Es findet also eine Repolarisation statt. Die Phase wird Hyperpolarisation genannt (das Membranpotential sinkt). Schritt 5: Aufgrund der Tatsache, dass die Kalium-Kanäle sehr träge sind, schließen sie erst nach Erreichen des RPs. Es findet eine Hyperpolarisation bis 80mV statt. Langsam bildet sich dann wieder das Ruhepotential aus. Abbildung 5 zeigt den typischen Verlauf eines Aktionspotentials. Abbildung 5: Verlauf eines APs für eine Zelle mit einem RP bei -80mV. Schwarz: Ruhepotential. Blau: Schwellenpotential. Rot: Depolarisation. Grün: Repolarisation. Gelb: Hyperpolarisation mit anschließender, langsamer Depolarisation bis zum Erreichen des RPs -5- Neurobiologie Praktikum: Regenwurm Bauchmark Noch während der Depolarisation tritt die Zelle in die absolute Refraktärzeit ein. Dann sind Aktivierungs- und Inaktivierungstore der Natrium-Kanäle geschlossen und dadurch kann kein neues Aktionspotential ausgelöst werden. Dieser Zustand dauert bis in den Schritt 5 an. Dann beginnen sich die Inaktivierungstore langsam zu öffnen und der Zustand der relativen Refraktärzeit tritt ein. Nur ein größerer Reiz kann nun ein AP gleicher Stärke auslösen. Die relative Refraktärzeit dauert ungefähr 1-2ms an. Das Schwellenpotential ist für das so genannte Alles-Oder-Nichts-Prinzip verantwortlich. Dieses Prinzip besagt, dass die Reizstärke keinen Einfluß auf die Amplitude des APs hat. Die Entstehung eines APs hängt einzig von der Überschreitung des Schwellenpotentials ab, die Amplitude ist immer gleich hoch. Eine gesteigerte Reaktion erfolgt daher über eine erhöhte Frequenz an APs. Anmerkung: An Dendriten wird kein Aktionspotential ausgelöst. Es findet lediglich eine Depolarisation der Membran statt (also ein graduiertes Potential) dessen Amplitude mit der Länge des Weges immer weiter abnimmt. Ist die Depolarisation zu schwach, kommt am Soma möglicherweise gar kein Potential mehr an. Durch Summation mehrerer Membranpotentiale können so aber APs am Axonhügel ausgelöst werden (sofern das Schwellenpotential überschritten wird). 2.7. Die Erregungsfortleitung Es gibt zwei verschiedene Arten der Erregungsfortleitung, die kontinuierliche und die saltatorische Erregungsfortleitung. - Kontinuierliche Erregungsweiterleitung: Sie findet an nicht myelinisierten Axonen (von Lumbricus terrestris beispielsweise) und anderen erregbaren Zellen (z. Bsp. Muskelzellen) statt. Dabei führt eine Depolarisation an einer Stelle zu einer Depolarisation an der nächsten Stelle, indem die Polarisationsumkehr an der Membran Natrium-Kanäle in der Umgebung öffnet. Es bilden sich im Prinzip permanent neue APs, dementsprechend sieht auch der Mechanismus aus. Dazu fließen Ausgleichsströme, die in der Wechselwirkung geladener Teilchen bestehen. Die kontinuierliche Erregungsfortleitung läuft aufgrund der Refraktärzeit in den vorhergegangenen, vormals depolarisierten Membranregionen immer nur in eine Richtung. Die Geschwindigkeiten, die dabei erreicht werden, betragen bei Vertebraten unter 3m/s, wobei bei Invertebraten bis 100m/s (bei großem Durchmesser) erreicht werden können, 2-5m/s sind allerdings normal. - Saltatorische Erregungsweiterleitung: Sie findet an den myelinisierten Axonen von Vertebraten statt. Die Myelinscheide dient dabei als Isolator und APs werden immer nur an den Ranvier-Schnürringen ausgelöst. Die APs -6- Neurobiologie Praktikum: Regenwurm Bauchmark „springen“ von Ranvier-Schnürring zu Ranvier-Schnürring. Auch hier fließen Ausgleichsströme und es werden Geschwindigkeiten bis 150m/s erreicht. Vorteilhaft gegenüber der kontinuierlichen Erregungsleitung sind die erhöhte Geschwindigkeit und der geringere Energieverbrauch (das RP muss nur an Ranvier-Schnürringen aufrecht erhalten werden, es müssen weniger Aktionspotentiale ausgelöst werden und die Schwann-Zellen oder Oligodendrocyten sind sehr wenig stoffwechselaktiv). 2.8. Erregungsleitung an Synapsen Es gibt zwei unterschiedliche Arten von Synapsen, die chemische und die elektrische Synapse. Die elektrische Synapse findet sich beispielsweise in Herzmuskelzellen, aber auch im Bauchmark von Lumbricus terrestris. Es handelt sich dabei einfach um gap junctions zwischen Zellen. Sie werden Connexone genannt und bestehen aus 6 Connexinen. Dabei sind sie permanent geöffnet und sehr schnell. Die chemische Synapse besteht aus einer präsynaptischen Membran, einem synaptischen Spalt und einer postsynaptischen Membran. In der synaptischen Endigung liegen Vesikel, die Transmitter beinhalten (z. Bsp. Ach). Bei einer Depolarisation öffnen sich spannungsabhängige Ca2+ Kanäle in der präsynaptischen Membran und die Vesikel verschmelzen mit der präsynaptischen Membran, wodurch der Transmitter in den synaptischen Spalt abgegeben wird. Er diffundiert dann zur postsynaptischen Membran und bindet dort an Rezeptoren, wodurch Ionen-Kanäle geöffnet werden. Es hängt nun von dem Transmitter und der Lage der Synapse ab, welche Kanäle geöffnet werden. Zwei Möglichkeiten stehen zur Verfügung: - IPSP: steht für Inhibierendes postsynaptisches Potential. Dabei werden Kanäle geöffnet, die zu einer Hyperpolarisation der Membran führen, also Kalium- oder Chlorid-Kanäle zum Beispiel. Glutamat im Sehsystem ist ein Beispiel für einen inhibierenden Transmitter. - EPSP: steht für Erregendes postsynaptisches Potential. Es werden Natrium-Kanäle geöffnet und eine Depolarisation findet statt. Als Beispiel dafür dient Acetylcholin (Ach) an Synapsen von Motoneuronen. Ach wird dann durch das Enzym Acetylcholinesterase in Acetat und Cholin gespalten und unter ATP-Verbrauch in Vesikel verpackt zurück in die synaptische Endigung transportiert, wo es regeneriert. -7- Neurobiologie Praktikum: Regenwurm Bauchmark 2.9. Intrazelluläre und Extrazelluläre Messung von Potentialen Die intrazelluläre Ableitung besteht darin, dass eine Elektrode an der Außenseite angebracht wird und eine Mikroelektrode in die Membraninnenseite gestochen wird. So kann die Spannungsdifferenz zwischen Innen- und Außenzellulärem Raum sehr genau gemessen werden. Das Verfahren ist allerdings auch sehr aufwendig. Die extrazelluläre Ableitung besteht in der Anbringung von zwei Elektroden an unterschiedlichen Orten außerhalb der Membran. Sie werden an Verstärker angeschlossen und diese wiederum mit einem Oszillographen verbunden, der ein Spannungsmesser darstellt. So können biphasische Aktionspotentiale gemessen werden. Ein Gedankenexperiment veranschaulicht das Prinzip: Ein Aktionspotential soll über eine Membranstrecke mit zwei Messpunkten A und B laufen. Gegeben sind: Leitungsgeschwindigkeit: v = 5m/s Abstand zwischen A und B: sAB = 5mm Dauer des Aktionspotentials: tAP: 2ms Amplitude des Aktionspotentials: 100mV und Form: Dreieck Die Spannungsdifferenz lässt sich berechnen durch A-B A-B=0 Das AP befindet sich vor A, A und B befinden sich im Ruhepotential A-B<0 Das AP befindet sich an Messpunkt A A-B=0 Das AP befindet sich zwischen A und B A-B>0 Das AP befindet sich an Messpunkt B A-B=0 Das AP befindet sich hinter B, also Ruhepotential an A und B Nun zu dem Rechenbeispiel: Die Strecke, die das Aktionspotential zurücklegt, lässt sich einfach berechnen: v=s/t => s=vt in diesem Fall ist t=tAP und v=v, also ist sAP=2*5[mm]=10mm Die Strecke s, die in der Zeit t=1/2ms zurückgelegt wird lässt sich berechnen durch: s=vt=5*1/2=2,5mm Ein biphasisches Aktionspotential -8- Neurobiologie Praktikum: Regenwurm Bauchmark Das wird nun in einer Tabelle (Tabelle 2) aufgetragen: Tabelle 2: Die Ergebnisse des Rechenbeispiels. Darstellung eines bisphasischen Aktionspotentials. t [ms] Ua [mV] Ub [mV] Ua-Ub [mV] 0 0 0 0 0,5 -50 0 -50 1 -100 0 -100 1,5 -50 -50 0 2 0 -100 100 2,5 0 -50 50 3 0 0 0 Die Frage, ob sich so sinnvolle Messungen an Nervenfasern mit 100m/s durchführen ließen, wird verneint. Für eine Strecke von 10mm Länge, bräuchte das Aktionspotential eine Zeit von 1/10000s. Für eine effektive Messung müsste der Abstand der Elektroden zueinander vergrößert werden (für die Strecke sAB wurde in diesem Beispiel eine Zeit von 1/20000s veranschlagt). Bei einem Abstand von 100mm bei der Leitungsgeschwindigkeit von 100mm/ms wäre t=1ms, also sinnvoll. II. Material und Methoden - Regenwurmbauchmark, präpariert und in Regenwurm-Ringer aufbewahrt, in leicht feuchter, kühl- und beheizbarer Versuchswanne - Am Boden der Versuchswanne liegen parallele Silberdrähte im Abstand von 5mm, sie können wahlweise mit Oszillographen oder Reizgerät verbunden werden, dadurch ist Reizung und Ableitung an beliebiger Stelle möglich - Erdung (zur Verringerung von Reizartefakten) - Reizgerät - Oszillograph Abbildung 6: Versuchsaufbau -9- Neurobiologie Praktikum: Regenwurm Bauchmark Versuchsdurchführung Versuch a: Ermittlung von Schwelle und Latenzzeit des Aktionspotentials von medialer und lateraler Riesenfaser. Anfangs wird das Bauchmark kathodisch gereizt, d.h. der negative Pol liegt näher zur Ableitelektrode. Es werden Einzelreize von 0,2ms gesetzt, deren Stärke bis zum Auftreten der APs bei medialer und lateraler Faser schrittweise erhöht. Nach auftreten dieser APs wird die Latenzzeit bei gerade überschwelliger und stark überschwelliger Reizung bestimmt. Danach werden die Reizelektroden umgepolt und der Versuch erneut mit anodischer Reizung durchgeführt. Ein weiterer Durchlauf erfolgt nach Anbringen der Reizelektroden am anderen Ende des Bauchmarks. Versuch b: Messung der Leitungsgeschwindigkeit der Riesenfasern. Hierzu wird mit zwei in einem bestimmten Abstand (1cm) liegenden Elektroden abgeleitet. Aus der Zeitdifferenz der APs wird die Leitungsgeschwindigkeit errechnet, gemäß der Formel: v = s/t Versuch c: Bestimmung der relativen und absoluten Refraktärzeit. Hierzu wird am Reizgerät auf Doppelreiz umgestellt. Dabei wird wieder nur mit einem Paar Ableitelektroden gemessen. Der Abstand zwischen den Reizen beträgt zu Beginn 50ms und wird langsam herabgesetzt bis nur noch ein AP abzulesen ist. Daraus wird die relative Refraktärzeit bestimmt. Dann wird wieder auf Einzelreize, die kontinuierlich erfolgen, umgestellt und die maximale Frequenz bei stetiger Reizsetzung ermittelt (dynamische Refraktärzeit). - 10 - Neurobiologie Praktikum: Regenwurm Bauchmark III. Ergebnisse Versuch a: Schwelle und Latenzzeit Kathodische Reizung Tabelle 3: Schwelle und Latenzzeit der medialen Riesenfaser Schwelle in mV Latenz in ms steigende Reizintensität in mV 200 2,4 220 200 2,4 240 200 2,4 260 280 300 320 340 Mittelwert 200 2,4 Latenz in ms 2,26 2,22 2,16 2,16 2,14 2,12 2,12 Danach erfolgte eine sukzessive Steigerung der Reizintensität. Bei 2,12ms Latenz und 340mV trat keine weitere Veränderung der Latenz auf. Während der weiteren Steigerung der Reizintensität wurde eine Reaktion der lateralen Faser bei 240 mV sichtbar. Tabelle 4: Schwelle und Latenzzeit der lateralen Riesenfaser Schwelle in mV Latenz in ms Steigende Reizintensität in mV 240 4,46 260 220 4,46 280 240 4,5 300 320 340 360 380 Mittelwert 233 4,47 - 11 - Latenz in ms 4,42 4,42 4,44 4,42 4,42 4,44 4,4 Neurobiologie Praktikum: Regenwurm Bauchmark Anodische Reizung Tabelle 5: Schwelle und Latenz der medialen Riesenfaser Schwelle in mV Latenz in ms Steigende Reizintensität in mV 240 1,6 260 240 1,7 280 240 1,5 300 320 340 360 380 Mittelwert 240 1,6 Latenz in ms 1,46 1,44 1,42 1,4 1,44 1,48 1,48 Überschwellige Reizung bei 600mV, Latenz bei 2,25ms. Tabelle 6: Schwelle und Latenz der lateralen RF Schwelle in mV Latenz in ms Steigende Reizintensität in mV 300 5,68 320 300 5,68 340 300 5,68 360 380 Mittelwert 300 5,68 Latenz in ms 5,74 6,32 6,36 6,32 Der überschwellige Reiz ließ sich nicht auslösen. Allgemein war aber zu beobachten, dass die Latenzzeit bei der anodischen Reizung länger war als bei der kathodischen Reizung. Die Messung am anderen Ende des Bauchmarks musste leider ausfallen, da die Testergebnisse während des Versuchs immer merkwürdiger wurden. Deshalb wechselten wir schlussendlich das Bauchmark und fuhren mit den weiteren Teilen fort, bevor gar nichts mehr geklappt hätte. - 12 - Neurobiologie Praktikum: Regenwurm Bauchmark Versuch b: Leitungsgeschwindigkeit Tabelle 7: Leitungsgeschwindigkeit beider Riesenfasern Reizstärke in mV Zeitabstand zwischen den Ableitelektroden in ms Mediale RF 280 300 Laterale RF 360 380 Geschwindigkeit in m/s 0,18 0,14 55,55 71,4 2, 2,15 4,7 4,65 Wie zu erwarten war ist die Leitungsgeschwindigkeit der medialen RF höher als die der lateralen RF. Versuch c: Relative und absolute Refraktärzeit Bei 4,2ms Abstand des Doppelreizes mit 340mV Intensität war nur noch ein AP zu erkennen. Auch bei Intensitätserhöhung konnte kein weiteres zweites AP ausgelöst werden, das bedeutet, das die relative Refraktärzeit der absoluten Refraktärzeit entsprach. Aus diesen Ergebnissen lässt sich die theoretische Maximalfrequenz berechnen. Sie beträgt: 1000ms/4,2 = 238 Hz Bei kontinuierlicher Reizung fing das AP ab 120 Hz an zu flackern. IV. Diskussion Versuch a Da die Aktionspotentiale (AP) nach dem Alles oder Nichts Prinzip ablaufen, d.h. dass entweder ein AP erfolgt oder nicht und die Höhe immer gleich ist, lässt sich die Reizschwelle gut ermitteln, da man am erfolgen eines AP oder nicht erfolgen sieht wo die Reizschwelle liegt. Dies ergibt bei uns für die mediale Faser eine Reizschwelle von 200mV (Tab.1) und für die lateralen Fasern eine Reizschwelle von 233mV (Tab.2). Für die Latenzzeiten ergibt sich ein ähnliches Bild wie für die Reizschwellen. Wiederum hat die mediale Faser einen geringeren Wert als die lateralen Fasern (2,4 ms zu 4,47 ms Tab. 1+2). Dies liegt jeweils an den Faserdurchmessern der Fasern, da die mediale Faser einen größeren Durchmesser hat, ist ihre Oberfläche größer und damit die Anzahl der Na-Kanäle, die vom Reiz geöffnet werden können. - 13 - Neurobiologie Praktikum: Regenwurm Bauchmark Die Überschwellige kathodische Reizung brachte bei uns keine Ergebnisse, es wäre aber zu Erwarten gewesen, dass sich die Latenzzeit verringert, da der stärkere Reiz schneller mehr Na-Kanäle erreicht als der gerade Überschwellige und damit schneller mit einem AP geantwortet werden kann. Die anodische Reizung (Tab.3+4) sollte im Prinzip ähnliche relative Werte der Fasern zueinander ergeben, also dass die mediale RF eine geringere Latenzzeit und einen niederen Schwellenwert hat als die lateralen RF, nur, dass die Latenzzeit im Vergleich zur kathodischen Reizung länger wird, da nun die Anode, die das Bauchmark hyperpolarisiert näher an der ableitenden Elektrode liegt und das AP auch erst mal den hyperpolarisierten Bereich depolarisieren muss, was länger dauert als eine „ganz normale“ Reizfortleitung. Bei uns ist bei der anodischen Reizung der medialen RF unerwarteter Weise eine geringere Latenzzeit zu messen gewesen, die bei Erhöhung der Reizstärke länger wurde. Zur Erklärung dieses Phänomens konnte keine befriedigende Lösung gefunden werden. Durch das anbringen der Elektroden am anderen Ende des Bauchmarks wäre kein Unterschied zu erwarten gewesen, da das Bauchmark Elektrische Synapsen besitzt, die eine Reizweiterleitung in beide Richtungen erlaubt. Wir konnten diesen Versuch aufgrund von Problemen mit dem Präparat leider nicht durchführen, haben ihn aber am Präparat der Nachbargruppe nachholen können und wie erwartet festgestellt, dass die APs in beide Richtungen fortgeleitet werden können. Versuch b Da die mediale RF einen größeren Durchmesser hat als die lateralen RF und damit einen geringeren Längswiderstand, ist eine höhere Leitungsgeschwindigkeit zu erwarten, was von unseren Messungen auch belegt wird (Tab.5). Die Schwankungen in der Geschwindigkeit der medialen RF sind wohl auf Messungenauigkeiten zurückzuführen, da ein AP immer gleicht schnell in einer Faser fortgeleitet wird, unabhängig von der Stärke der Reizung. Versuch c Bis zu einer Doppelreizung mit 4,2 ms abstand zwischen den Reizen konnten immer zwei Aktionspotentiale Ausgelöst werden, bei einem Reizabstand von 4,2 ms konnte jedoch selbst bei Erhöhung der Reizstärke kein zweiter Reiz ausgelöst werden, da die Na-Kanäle in der Inaktivierbarkeitsphase sind, womit die absolute Refraktärzeit bei 4,2 ms liegt. Daraus lässt sich eine theoretische maximale Übertragungsfrequenz von 238Hz ergeben, die allerdings nicht erreicht wird. In unserem Versuch ergab sich eine Stabile Frequenz von 120 Hz, was eine dynamische Refraktärzeit von 8 ms ergibt, die unter Dauerbelastung zum tragen kommt, da bei Dauerbelastung immer mehr Na-Kanäle deaktiviert werden und nicht mehr zur Reizübertragung genutzt werden können. - 14 - Neurobiologie Praktikum: Regenwurm Bauchmark V. Quellenangaben Abb. 1: http://www.schulmodell.de/schuelerarbeiten/wirbelose/sv5615617.gif Abb. 2: http://inside.salve.edu/walsh/neuron.jpg Abb. 3: http://www.fz-juelich.de/oea/ess_overbach/zellmembran.jpg Abb. 4: http://www.uic.edu/classes/bios/bios100/lectf03am/phospholipid.jpg Abb. 5: http://www.students.unimarburg.de/~Pfeiffek/Grafiken/ Aktionspotential/AP.gif Abb. 6: Skript Tierphysiologie - 15 -