7. AIS im Kontext anderer Computational Intelligence

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6.
6.1.
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Das Immunsystem im Kontext anderer biologischer Systeme
Einleitung
Die Physiologie beschäftigt sich mit den physikalischen und chemischen Faktoren, die für das Entstehen, die Entwicklung und den Fortgang des Lebens verantwortlich sind. Allen physiologischen
Funktionen liegt das Prinzip der Homöostase zu Grunde. Homöostase ist der Prozess, durch den ein
Organismus aktiv einen festen Zustand aufrecht erhält, in dem alle Körperfunktionen optimal ausgeführt werden können. Man nimmt an, dass alle Körpergewebe und -organe in irgendeiner Weise
Funktionen ausführen, die zur Homöostase beitragen. Von besonderem Interesse sind dabei das
Nervensystem, das endokrine System und das Immunsystem.
Es gibt in einem Organismus zwei große Steuerungssysteme: Das Nervensystem und das endokrine
System. Sie steuern bestimmte Körperfunktionen. Neuere Forschungen haben gezeigt, dass diese
beiden Systeme eng miteinander verknüpft sind und als ein einziges System betrachtet werden
können, es wird neuroendokrines System genannt.
In anderen Forschungen wurden Zusammenhänge zwischen Anomalien wie Krebs und anderen
Krankheiten einerseits und Stimmungszuständen und psychologischen Bedingungen andererseits
untersucht. Man nennt diese Forschungsrichtung Psychoneuroimmunologie. Sie beschäftigt sich mit
den Beziehungen zwischen dem neuroendokrinen System und dem Immunsystem, man versucht
hier, psychosomatische Krankheiten zu erklären. Der Forschung liegt die Hypothese zu Grunde,
dass das Nervensystem, das endokrine System und das Immunsystem Komponenten eines großen
integrierten Verteidigungssystems des Organismus sind. Durch Erforschung der Zusammenhänge
kann sich ergeben, dass die immunologischen Prozesse zum Verständnis und der Behandlung
verhaltensbedingter, neuronaler und endokriner Störungen beitragen. Umgekehrt können psychologische Behandlungen und Eingriffe in das Nerven- und das endokrine System von Bedeutung für
immunologische Erkrankungen sein.
Ein kognitives System ist ein System, das Informationen und Erfahrungen aus einer Menge von
Eingabedaten (externe Umgebung) durch Manipulation von Informationen im System selbst
(interne Umgebung) extrahieren kann. In diesem Sinn kann auch das Immunsystem als kognitives
System aufgefasst werden.
Die Interaktion des Immunsystems mit anderen Systemen und der Vergleich dazwischen gehen weit
über die physiologische Ebene hinaus. Aus Sicht der Darwinschen Evolutionstheorie kann eine
Immunreaktion als ein mikroevolutionärer Prozess betrachtet werden. Das Immunsystem trägt zur
natürlichen Auslese bei und bewahrt stabile Subpopulationen von Immunzellen um gegen spezifische Infektionen ankämpfen zu können. Aus der Untersuchung dieser Interaktionen resultiert ein
besseres Verständnis des Immunsystems selbst, und dieses führt zu einem tieferen Verständnis der
vorgeschlagenen AIS.
6.2.
Grundlagen des Nervensystems
Das Nervensystem hat eine zentrale Rolle in einem Organismus. Es ist dafür zuständig, den Organismus durch Sensoreingabe über die Umgebung, in der er lebt und sich bewegt, zu informieren
indem er die Informationen verarbeitet, sie zu früheren Erfahrungen in Beziehung setzt und sie in
geeignete Aktionen oder Gedächtnisinhalte transformiert. Im frühen Stadien der Evolution des
Nervensystems umfasste die Verarbeitung der Sensoreingabe die Prozesse der Unterscheidung und
Kategorisierung, eventuell unterstützt durch rudimentäre Lern- und Gedächtnisfähigkeiten.
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Um seine Hauptfunktion der Erzeugung geeigneter Effektorfunktionen aus eingehenden Informationen ausführen zu können, besteht das Nervensystem aus Elementen, die Reize wahrnehmen können,
die Nervenimpulse übertragen können und die Muskelmechanismen aktivieren können. Bezüglich
seiner Funktion kann das Nervensystem in zwei Teile unterteilt werden: Sensor-System und
Effektor-System. Sensoren sind Rezeptoren, die Sensorinformationen erhalten und eine sofortige
oder verzögerte Reaktion auslösen. Das Effektor-System oder motorische System hat die Aufgabe
Signale an Muskeln und Drüsen zu übermitteln.
Es gibt zwei Arten von Zellen im Nervensystem, die Neuronen und die Neuroglia-Zellen (oder
Glia-Zellen). Die Neuronen sind für die Übertragung und Analyse aller Kommunikationssignale im
Gehirn und zwischen Gehirn und anderen Teilen des Nervensystems zuständig. Sie sind also die
funktionalen und strukturellen Einheiten des Nervensystems. Die Glia-Zellen sind wesentlich
zahlreicher als die Neuronen, sie machen etwa die Hälfte des Gewichts des Gehirns aus. Sie dienen
zur Stützung und Ernährung der Neuronen, bilden Myelin, steuern sich entwickelnde Neuronen,
nehmen Chemikalien auf, die in der Kommunikation zwischen Zellen vorkommen und tragen zur
Aufrechterhaltung der Umgebung der Neuronen bei. Sie leiten aber keine Nervenimpulse.
Die Neuronen sind in funktionalen Gruppen angeordnet, genannt Nuklei. Die Nuklei sind miteinander verknüpft und bilden so verschiedene Teilsysteme des Gehirns. Durch Messung der physiologischen Veränderungen, die sich bei der Aktivierung dieser Teilsysteme vollziehen ist es möglich, das
somatosensorische (Schmerz und Berührung), motorische, olfaktorische, visuelle, auditorische und
Sprachsystem zu lokalisieren.
Das menschliche Nervensystem enthält etwa 1011 Neuronen, die Hälfte davon befindet sich im
Gehirn. Es gibt nach Größe und Form sehr unterschiedliche Arten von Neuronen. Sie unterscheiden
sich von anderen Körperzellen in dreierlei Hinsicht:
1. Sie haben spezielle Fortsätze, die Dendriten und Axone;
2. sie kommunizieren miteinander mittels elektrochemischer Prozesse;
3. sie besitzen spezielle Strukturen (z.B. Synapsen) und Chemikalien (z.B. Neurotransmitter).
Trotz der Vielfalt an Formen und Größen kann man an den Neuronen drei wesentliche Bestandteile
sehen:
1. Die Dendriten und den Zellkörper;
2. das Axon;
3. die Axonenden.
Aus dem Zellkörper (auch Nukleus oder Soma genannt) eines typischen Neurons wachsen ein oder
mehrere Dendriten heraus. Die Dendriten sind fadenartige Strukturen, die sich in immer feinere
Zweige unterteilen. Das Axon ist normalerweise länger als die Dendriten und wächst ebenfalls aus
dem Zellkörper heraus. Wenn der Zellkörper stimuliert wird erzeugt er einen Impuls, der durch das
Axon wandert und an andere Neuronen übertragen wird. Durch diese Impulse werden Informationen im Nervensystem übertragen. Die Verbindungen zwischen dem Axon eines Neurons und
Dendriten anderer Neuronen heißen Synapsen. Allgemein können die Enden des Axons eines präsynaptischen Neurons Kontakt mit Dendriten, Zellkörpern oder Axonen postsynaptischer Neuronen
haben. Je zwei Neuronen sind nicht anatomisch miteinander verbunden. Abbildung 6.1 zeigt ein
typisches Neuron und die Impulsrichtung bei der Signalübertragung.
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Axon von einem
anderen Neuron
Synapse
Zellkörper
oder Soma
Impulsrichtung
Synapsen
Dendriten
Axonale
Verzweigung
Axon
Zellkern
Abbildung 6.1
Anatomisch betrachtet besteht das Nervensystem aus zwei Hauptteilen: dem zentralen Nervensystem und dem peripheren Nervensystem. Der Unterschied zwischen den beiden Teilen liegt an
dem Ort, an dem sie sich befinden. Die Wirbeltiere haben ein knöchernes Rückgrat und einen
Schädel, in denen die zentralen Teile des Nervensystems untergebracht sind. Der periphere Teil des
Nervensystems erstreckt sich über den ganzen Rest des Körpers. Der zentrale Teil des Nervensystems im Schädel ist das Gehirn und der zentrale Teil im Rückgrat ist das Rückenmark. Diese
beiden Teile des zentralen Nervensystems sind miteinander durch eine Öffnung an der Unterseite
des Schädels verbunden, beide stehen mit dem peripheren Teil über die Nerven in Kontakt.
Das periphere Nervensystem kann noch weiter unterteilt werden in das somatische Nervensystem
und das autonome Nervensystem, vgl. Abbildung 6.2. Das somatische Nervensystem besteht aus
zwei Arten von Elementen: den peripheren Nervenfasern, die Sensorinformationen an das Zentralnervensystem schicken, und den motorischen Nervenfasern, die die Verbindung zu den Skelettmuskeln herstellen. Das autonome Nervensystem besteht seinerseits wiederum aus zwei Teilen: dem
sympathischen und dem parasympathischen Nervensystem. Das autonome Nervensystem steuert
den Herzmuskel und sorgt für eine ausgeglichene Aktivität der Muskeln von inneren Organen wie
Magen oder Darm. Es steuert auch die Aktivität der Drüsen, die Funktionen des Atemsystems,
Kreislaufsystems, Verdauungssystems und urogenitalen Systems sowie die nicht Willen gesteuerten
Muskelbewegungen in diesen Systemen und in der Haut.
Nervensystem
Zentrales Nervensystem
Gehirn
Peripheres Nervensystem
Rückenmark
Somatisches
Nervensystem
Autonomes
Nervensystem
Abbildung 6.2
6.2.1. Struktur und Funktionen des Gehirns
Das Gehirn ist ein extrem komplexes Organ mit vielen unterschiedlichen Funktionen. Zu diesen
Funktionen gehören die Verarbeitung der Sensoreingabe, das Auslösen und die Koordination der
motorischen Aktivitäten, das Speichern von Erfahrungen (Gedächtnis), das Bereitstellen von
Mechanismen für Intelligenz und daraus resultierend sozialen und moralischen Verhaltensweisen.
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Das Gehirn ist in zwei Hälften unterteilt, die rechte und die linke Hemisphäre. Die rechte Hemisphäre ist hauptsächlich für visuelle Aktivitäten zuständig und gruppiert Informationen zusammen.
Die linke Hemisphäre hat tendenziell mehr analytische Aufgaben, es analysiert die Informationen,
die in der rechten Hemisphäre gesammelt sind, und sie ist stärker für die Sprachverarbeitung
zuständig. Eine der beiden Hemisphären ist die dominierende, und zwar bei Rechtshändern die
linke, bei Linkshändern die rechte.
Anatomisch lässt sich das Gehirn in drei Hauptteile unterteilen: das Stammhirn (bestehend aus
Mittelhirn, Pons und Nachhirn), das Kleinhirn und das Vorderhirn (bestehend aus den cerebralen
Hemisphären, Balken und Zwischenhirn), vgl. Abbildung 6.3.
Abbildung 6.3
Das Stammhirn ist sozusagen der Stiel des Gehirns. Durch diesen Teil laufen alle Nervenfasern, die
die Verbindung zwischen Rückenmark und den oberen Teilen des Gehirns herstellen. In ihm liegen
auch die Zellkörper der Neuronen, deren Axone in die Peripherie hinausgehen und die Muskeln und
Drüsen des Kopfes mit Nervenreizen versorgen. Das Stammhirn ist zuständig für Aktivitäten wie
Atmung, Puls, Blutdruck, Sehen und Hören. Das Kleinhirn ist hauptsächlich an den Muskelfunktionen beteiligt und unterstützt bei der Körperhaltung und dem Gleichgewicht und es sorgt für gleichmäßige, gerichtete Bewegungen.
Der äußere Teil der cerebralen Hemisphären heißt cerebraler Kortex. Er ist an mehreren wichtigen
Funktionen beteiligt, z.B. Denken, willentliche Bewegung, Sprache, Schlussfolgern und Wahrnehmung. Das Zwischenhirn besteht aus dem Thalamus und dem Hypothalamus. Der Thalamus
integriert alle sensorischen Wahrnehmungen (außer dem Geruch) bevor sie dem Kortex präsentiert
werden. Der Hypothalamus, der unterhalb des Thalamus liegt, ist ein winziges Gebiet, das für die
Integration vieler grundlegender Verhaltensmuster zuständig ist, u.a. für die Verknüpfung neuronaler und endokriner Funktionen. Der Hypothalamus ist offensichtlich das wichtigste Gebiet zur
Regulierung der internen Umgebung (Homöostase). Er ist außerdem an Emotionen beteiligt. Die
Neuronen des Hypothalamus werden auch durch verschiedene Hormone und andere zirkulierende
Chemikalien beeinflusst.
6.2.2. Die Funktionsweise des Gehirns
Jede neuronale Reaktion basiert auf vier Prozessen: Rezeption, Übertragung, Integration und
(aktuelle) Reaktion. Bei der Rezeption gelangen Informationen von außen (Reiz) in das Gehirn,
entweder direkt (Sehen und Hören) oder über das Rückenmark. Die Informationen werden dann in
den Prozess der Übertragung durch sensorische Neuronen an das Zentralnervensystem übermittelt.
Im Zentralnervensystem werden die Informationen interpretiert und es wird eine geeignete Reaktion
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ermittelt, dies ist der Prozess der Integration. Motorische Neuronen übertragen die ermittelte
Reaktion an die zuständigen Muskeln und erzeugen so die aktuelle Reaktion oder den Effekt.
Muskeln und Drüsen sind die wichtigsten Effektoren des Körpers.
Die bekanntesten Reiz-Rezeptoren sind die fünf Sinnesorgane – Hören, Sehen, Riechen, Schmecken
und Fühlen. Aber auch andere Rezeptoren im Inneren des Körpers, nämlich die des Immunsystems
und des endokrinen Systems, halten das Gehirn auf dem Laufenden über Veränderungen in der
internen Umgebung. Die Rezeptoren sind darauf spezialisiert auf spezifische Veränderungen in der
Umwelt zu reagieren; sie wandeln unterschiedliche Formen von Eingaben (z.B. Ton oder Licht) in
Nervenimpulse um. Ist ein Neuron ausreichend stark gereizt, dann überträgt es einen Nervenimpuls
über sein Axon.
Im Zentralnervensystem sind jeweils Millionen von Neuronen in neuronalen Netzen organisiert.
Innerhalb eines Netzes sind die Neuronen zu Schaltkreisen angeordnet. Neuronale Botschaften
laufen über diese Schaltkreise. Die Verbindungen zwischen den einzelnen Neuronen werden durch
die Synapsen hergestellt, in denen ein Axonende mit einem Dendriten oder dem Zellkörper eines
anderen Neurons verbunden ist. Synapsen bestehen auch zwischen Neuronen und Effektoren.
Es gibt verschiedene Arten der Reaktion der prä- und postsynaptischen Neuronen. Danach werden
zwei Typen von Synapsen unterschieden: elektrische und chemische Synapsen. Man nimmt an, dass
die meisten Synapsen im Körper chemische Synapsen sind. Bei ihnen sind das prä- und das
postsynaptische Neuron durch eine relativ breite Lücke getrennt, der so genannte synaptische Spalt.
Wenn der Impuls das Axonende erreicht, stimuliert er kleine blasenartige Strukturen, die Vesicula,
dazu, chemische Stoffe, die so genannten Neurotransmitter auszuscheiden. Die Neurotransmitter
können für die Synapse exzitatorisch oder inhibitorisch wirken. Sie diffundieren durch den
synaptischen Spalt und verbinden sich mit speziellen Rezeptoren an den Dendriten oder Zellkörpern
der postsynaptischen Neuronen. Durch die Bindung an einen Rezeptor wird im postsynaptischen
Neuron ein Nervenimpuls ausgelöst. Auf diese Weise entsteht ein Informationsfluss von einem
Neuron zu einem andern in einem Schaltkreis. Vgl. hierzu Abbildung 6.6.
Axon
Postsynaptisches
Neuron
Vesicula, die
Neurotransmitter
enthalten
NeurotransmitterRezeptoren
Abbildung 6.6
Selbst an den einfachsten Verhaltensweisen sind Tausende von Neuronen beteiligt. Man nimmt an,
dass die Verbindungen zwischen den Neuronen und ihre Effizienz sich auf Grund von Erfahrung
verändern können. Nur ein Teil der Sensoreingabe ruft eine unmittelbare motorische Reaktion
hervor. Der größere Teil der Sensorinformation wird für späteren Gebrauch gespeichert, größtenteils im Kortex. Diese Speicherung nennt man Gedächtnis. Dabei spielen wiederum die Synapsen
eine Rolle. Jedes Mal, wenn ein Signal eine Synapse passiert, wird die Übertragungsfähigkeit der
Synapse für dieses Signal verbessert. Ist ein Signal mehrere Male durch einen Schaltkreis gelaufen,
dann passen sich die Synapsen so gut an das Signal an, dass ein Signalfluss auch dann stattfinden
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kann, wenn kein äußerer Reiz vorliegt. Sind diese Gedächtnisinhalte im Gehirn gespeichert, dann
werden sie Bestandteil der Informationsverarbeitungs-Mechanismen. Entscheidungsfindung im
Zentralnervensystem schließt den Vergleich neuer Sensorinformationen mit den gespeicherten
Gedächtnisinhalten ein, wobei das Gedächtnis die Auswahl der wichtigen Sensorinformation unterstützt.
6.3.
Grundlagen des endokrinen Systems
Das endokrine System ist für die Produktion, Speicherung und Kontrolle von Stoffen zuständig, die
Hormone genannt werden. Ein Hormon kann als ein Stoff betrachtet werden, der spezielle
regulierende Wirkung auf die Zellen ausübt, auf die er wirkt. Hormonartige Substanzen können
nicht nur von den Komponenten des endokrinen Systems ausgeschieden werden, sondern auch von
Neuronen (in Form der Neurotransmitter) und anderen Arten von Zellen, z.B. T-Zellen (in Form
von Lymphokinen). Die vom endokrinen System selbst ausgeschütteten Hormone haben weitreichenden Einfluss im ganzen Körper. Sie haben viele Funktionen im Organismus, die primären sind
die Aufrechterhaltung der Homöostase, das Wachstum, die Reproduktion und die Befähigung des
Körpers mit Stress fertig zu werden. Bezüglich ihrer chemischen Struktur lassen sich die Hormone
in vier Klassen unterteilen: Steroide, Aminosäuren-Derivate, Peptide und Proteine.
Die Körperorgane verändern ihre Funktion als Reaktion auf Veränderungen in ihrer lokalen Umgebung, der Organismus als Ganzes reagiert auf Änderungen in der internen und externen Umgebung.
Die Hormone wirken auf spezifische Zellen mit dem Ziel, eine konstante physikalische und
chemische interne Umgebung zu erhalten. Die Ausscheidung eines Hormons wird normalerweise
durch eine Änderung im physiologischen Zustand des Organismus hervorgerufen und bewirkt eine
Aktion, die versucht, den Organismus in seinen vorherigen Zustand zurück zu führen. Die Rückkehr
in den Normalzustand hat die Aufrechterhaltung der Homöostase zur Folge, wobei ein negativer
Feedback-Mechanismus verwendet wird um dem Stimulus entgegen zu wirken.
Die Organe, aus denen das endokrine System besteht, werden manchmal innersekretorische Drüsen
oder kurz Drüsen genannt, weil sie keine Kanäle haben, die sie mit bestimmten Körperteilen verbinden. Sie sind über den Körper verteilt, wie in Abbildung 6.5 dargestellt.
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Abbildung 6.5
In Tabelle 6.1 sind die wichtigsten endokrinen Drüsen und die Hauptfunktionen der Hormone, die
sie erzeugen, aufgeführt.
Drüse
Eierstock
Keimdrüsen
Pankreas
Funktion des Hormons
Entwickelt und pflegt weibliche Geschlechtsorgane und -merkmale
Entwickelt und pflegt männliche Geschlechtsorgane und -merkmale
Vermindert die Blutzuckerkonzentration, erhöht die Glykogenspeicherung, regt
Proteinsynthese an, unterdrückt die Ausschüttung von Insulin und Glukagon
Adrenalindrüsen Verengt Blutgefäße, erhöht Puls und Blutdruck, regt Muskelkontraktion an,
erhöht den Blutglukose-Spiegel, erhöht die Stoffwechselrate, reguliert die
Natrium-, Wasser- und Kaliumausscheidung der Nieren und trägt zu sekundären
Geschlechtsmerkmalen bei
Thymus
Regt die T-Zellen-Entwicklung im Thymus und die Erhaltung anderen Lymphgewebes an, ist an der Entwicklung von B-Zellen zu Plasmazellen beteiligt
Parathyroiddrüse Erhöht die Konzentration an Blutkalzium, erniedrigt den Blutphosphat-Spiegel
Thyroiddrüse
Erhöht den Sauerstoffverbrauch und die Wärmeproduktion, stimuliert, erhöht
und hält den Verdauungsprozess aufrecht, unterdrückt die Kalziumausscheidung
Hirnanhangdrüse Erhöht die Wasserabsorption, steigert den Blutdruck, regt die Kontraktion der
schwangeren Gebärmutter an, regt die Produktion von Brustmilch nach der
Geburt eines Kindes an, regt Knochen- und Muskelwachstum an, fördert die Proteinsynthese und die Fettmobilisierung, regt die Produktion und Ausscheidung
von Thyroidhormonen an
Hypothalamus
Reagiert auf Signale des Nervensystems und erzeugt Hormone, die auf die Hirnanhangdrüse wirken, stellt die Verbindung zwischen Gehirn und Hirnanhangdrüse her
Zirbeldrüse
Reguliert den Wach-Schlaf-Zyklus
Tabelle 6.1
Die endokrinen Drüsen schütten ihre Hormone direkt in den Blutstrom oder in die Lymphflüssigkeit
aus. Darin unterscheiden sie sich von den exokrinen Drüsen wie Schweißdrüsen oder Speicheldrüsen, die ihre Sekrete durch Kanäle zu bestimmten Gebieten leiten, z.B. der Haut oder dem Rachenraum. Es gibt auch endo-exokrine Drüsen, die sowohl Hormone als auch andere Substanzen
ausscheiden. Da die Hormone im Blut und in der Lymphflüssigkeit transportiert werden, können sie
alle Körpergewebe erreichen. Jedoch ist die Reaktion auf die Hormone sehr spezifisch, manchmal
ist nur ein einzelnes Organ oder eine Gruppe von Zellen betroffen. Zu einem bestimmten Zeitpunkt
können mehrere Hormone im Blut vorhanden sein.
Wenn ein Hormon eine Zielzelle erreicht, findet eine initiale Interaktion zwischen dem Hormon und
dem Zellrezeptor statt. Der Zellrezeptor besteht aus Molekülen, die eine spezifische Fähigkeit zum
Binden des Hormons haben. Oft haben Hormone einen synergistischen Effekt, d.h. das Vorhandensein des einen Hormons erhöht die Wirkung eines anderen. Das Erkennen eines Hormons durch
einen Zellrezeptor erfolgt ähnlich wie beim Immunsystem durch die Konfiguration bestimmter
Teile der Rezeptor-Moleküle in der Weise, dass ein Match zwischen ihnen und dem speziellen
Hormon stattfindet. Die Existenz der Hormon-Rezeptor-Kombination löst eine Kette interzellulärer
biochemischer Ereignisse aus, die schließlich zu der Gesamtreaktion der Zelle führen.
Die Rezeptoren an der Zielzelle befinden sich normalerweise an einer von zwei Stellen: innerhalb
des Zellkerns (hauptsächlich Steroidhormon-Rezeptoren) oder an der Plasmamembran (Proteine,
Aminosäuren-Derivate und Peptide). Bindet ein Peptidhormon mit einem Rezeptor an der ZellTechnische Universität Chemnitz
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membran, benutzt er einen sekundären Botenstoff um eine hormonale Botschaft an die geeigneten
Stellen innerhalb der Zelle zu übertragen. Dieser sekundäre Botenstoff ist für die Änderung der
Zellaktivität verantwortlich.
Steroid- und Thyroidhormone sind relativ kleine, fettlösliche Moleküle, die leicht durch die Plasmamembran der Zielzelle, das Zytoplasma, und in den Kern eindringen können. Spezifische Proteinrezeptoren im Kern binden verbinden sich mit dem Hormon zu einem Hormon-Rezeptor-Komplex.
Der Komplex interagiert mit bestimmten Stellen auf der DNA, aktiviert die entsprechenden Gene
und veranlasst so die Synthese der benötigten Proteine. Diese können Änderungen in den Zellaktivitäten anregen. Abbildung 6.6 illustriert diesen Vorgang.
Bindendes Protein im Plasma
H
Steroid- oder
Thyroidhormon
H
H
veränderte
funktionale
Reaktion
ProteinSynthese
H
H
Spezifischer
Rezeptor
mRNA
Hormon-RezeptorKomplex
H
DNA
Abbildung 6.6
Wenn eine endokrine Drüse durch geeignete Eingaben angeregt wird erfolgen die Hormonausstöße
häufiger, so dass die durchschnittliche Hormonkonzentration steigt. Fehlt umgekehrt eine Anregung
oder liegen inhibitorische Eingaben vor vermindert sich die Häufigkeit der Hormonausstöße oder
hören ganz auf und die Hormonkonzentration sinkt. Die hormonelle Stimulierung einer Zielzelle
bewirkt eine Veränderung der Rate, mit der die Zelle eine bestimmte Aktivität ausführt.
Muskelzellen erhöhen oder vermindern die Kontraktion, Epithel-Zellen und andere Zellarten ändern
die Menge des transportierten Wassers oder der transportierten Lösung und Drüsenzellen scheiden
mehr oder weniger ihrer Sekrete aus. Das unmittelbare Ergebnis vieler dieser beobachteten
Veränderungen ist eine Hormon induzierte Änderung der Aktivität eines Enzyms in der Zelle.
Bestimmte Hormone induzieren sowohl die Synthese neuer Enzym-Moleküle als auch eine
veränderte Aktivität schon vorhandener Enzym-Moleküle. Die Synthese neuer Enzyme dauert
Stunden bis Tage, während die Aktivierung schon vorhandener Moleküle in wenigen Minuten
erfolgen kann. Der doppelte Effekt der Hormone ist also, dass einerseits eine schnelle Wirkung
erfolgt, andererseits aber ein länger dauernder Adaptionsprozess stattfindet.
Die Hirnanhangdrüse befindet sich an der Unterseite des Gehirns und ist mit dem Hypothalamus
über den hypophysischen Stiel verbunden. Sie wird als sie Meisterdrüse betrachtet, weil ihre
Hormone direkt oder indirekt das Funktionieren des gesamten endokrinen Systems beeinflussen.
Wegen ihrer Lage im Gehirn und ihrer sowohl neuronalen als auch humoralen Verbindungen zum
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Hypothalamus ist sie auch die endokrine Drüse, die traditionell mit kognitiver Steuerung verbunden
wird.
Man weiß inzwischen, dass eine Anzahl von endokrinen Drüsen über das autonome Nervensystem
direkt neuronale Eingaben erhalten und auf diese Eingaben in Verbindung mit der hormonalen
Sekretion der Hirnanhangdrüse reagieren. Die Hirnanhangdrüse agiert mittels einer Serie von
Rückkopplungsschleifen als Hauptregulator dieser Reaktionen, aber diese Regulierung kann durch
Eingaben vom Nervensystem übersteuert werden.
6.3.1. Die Arbeitsweise des endokrinen Systems
Das endokrine System reagiert auf Reize auf folgende Weise:
1. Drüsen und Nervenzellen senden an endokrine Drüsen Signale als Reaktion auf Stimuli wie
Temperaturänderungen, Hunger, Angst und Wachstumsbedürfnisse.
2. Als Reaktion darauf scheiden die endokrinen Drüsen Hormone aus, die an spezifische
Zellen Befehle übermitteln. Diese Hormone bewegen sich durch den ganzen Körper oder
direkt zu Nachbarzellen auf der Suche nach speziellen bindenden Proteine, den Rezeptoren,
die in und auf den Zielzellen sitzen.
3. Hat das Hormon an einen Rezeptor gebunden, dann interpretiert der Rezeptor die Botschaft
des Hormons und führt seine Instruktionen aus, indem er einen von zwei verschiedenen
zellulären Prozessen auslöst. Der Rezeptor kann
a. Gene anschalten um neue Proteine zu produzieren, die Langzeitwirkung haben, wie
Wachstum oder geschlechtliche und reproduktive Reifung;
b. die Aktivität schon existierender zellulärer Proteine verändern, die rasche Reaktionen bewirken wie schnellerer Herzschlag und veränderter Blutzuckerspiegel.
Zu viele oder zu wenige Hormone sind für den Körper schädlich, deshalb wird der Hormonspiegel
durch einen Rückkopplungsmechanismus reguliert, der für die ideale Körperfunktion wesentlich ist.
Mehrere Mechanismen beeinflussen die Rückkopplungsbeziehungen, z.B. dass die Hormonprodukte auch dazu dienen, die Ausschüttung des Hormons zu regulieren, hier findet eine negative
Rückkopplung statt.
6.4.
Immun-Neuro-Endokrine Interaktionen
Alle Wirbeltiere besitzen ein Immunsystem, eine Nervensystem und ein endokrines System. Jedes
der Systeme hat seine spezifische Funktion, sie sind aber miteinander verknüpft und voneinander
abhängig um ihre Aufgabe zu erfüllen:





Aufrechterhaltung des internen Körperzustands (Homöostase);
Koordination der Funktionen von hoch differenzierten Zellen, Geweben und Organen;
Reaktion auf Reize von innerhalb und außerhalb des Organismus;
Regulation von Wachstum, Entwicklung und Reproduktion;
Produktion, Verbrauch und Speicherung von Energie.
Man weiß heutzutage viel über die molekularen und zellulären Grundlagen des Immunsystems, aber
noch wenig darüber, wie die immunologischen Zellen und ihre Produkte mit anderen Körpersystemen interagieren damit das Immunsystem funktioniert. Deshalb entstanden aus dem Verständnis der
Organisation des Immunsystems wesentliche Fragen, die seine physiologische Funktionsweise
innerhalb des gesamten Organismus betreffen.
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Tabelle 6.2 gibt eine Übersicht über die Funktion der drei Systeme und erörtert die Evidenz dafür,
dass die Immun- und Neuroendokrin-Mechanismen sich gegenseitig beeinflussen können. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass neuroendokrine Agenten verschiedene Prozesse im Immunsystem
beeinflussen können, wie Immunauswahl, Zielsuche, Zirkulation, Zytokin-Produktion, zelluläre
Interaktionen, antigene Präsentation, Effektorfunktionen und selbstregulierende Prozesse. Umgekehrt können Lymphokine und andere Produkte der Immunzellen die Hormonproduktion, den
zellulären Stoffwechsel, die Nahrungsaufnahme, neuronale Aktivität und Wachstum, Wärmeregulierung, Schlaf und Verhalten beeinflussen.
System Funktion
Immun- Verteidigt den Körper
system gegen fremde
Eindringlinge und
falsch funktionierenden Zellen, die
eine Infektion
hervorrufen können
Komponenten
Knochenmark
Mandeln
Thymus
Lymphknoten
Milz
Lymphgefäße
Peyersche Flecken
Wurmfortsatz
Nerven- Rezeption von
Peripheres
system Stimuli, Übertragung Nervensystem
von Nervenimpulsen (autonomes und
und Aktivierung von somatisches)
Muskelmechanismen Zentralnervensystem
(Gehirn und
Rückenmark)
Endo- Scheidet Hormone
krines ins Blut und andere
System Körperflüssigkeiten
aus, die die Verdauung, das Wachstum,
das Gleichgewicht
von Wasser- und
Mineralhaushalt,
Stressreaktion und
Reproduktion
regulieren
Zirbeldrüse
Adrenalindrüse
Hirnanhangdrüse
Hypothalamus
Thyroid
Parathyroid
Pankreas
Thymus
Eierstöcke
Keimdrüsen
Interaktionen
Verschiedene Immunzellen-Populationen
besitzen Rezeptor-Profile für Modulatoren
wie Neurotransmitter und endokrine
Hormone.
Der Thymus synthetisiert verschiedene
Thymushormone.
Immunprodukte kommen in neuroendokrinem Gewebe vor.
Nervenzellen besitzen Rezeptoren für
Zytokine, Hormone und Neurotransmitter.
Das Gehirn kann Abwehrmechanismen
gegen Infektionen anregen.
Der Hypothalamus steuert die Hirnanhangdrüse und andere endokrine Drüsen.
Neuronale Produkte kommen in Immunund endokrinem Gewebe vor.
Endokrine Zellen besitzen Rezeptoren für
Zytokine, Hormone und Neurotransmitter.
Hormone liefern Feedback an das Gehirn,
der die neuronalen Prozesse beeinflusst.
Reproduktive Hormone beeinflussen die
Entwicklung des Nervensystems.
Endokrine Produkte kommen im Immunund Nervengewebe vor.
Tabelle 6.2
Der Hypothalamus ist ein besonders gutes Beispiel für die Interaktionen zwischen diesen drei
hauptsächlichen physiologischen Systemen des menschlichen Körpers. Anatomisch ist der Hypothalamus ein Teil des Gehirns, er sitzt unterhalb des Thalamus im Zwischenhirn. Signale aus dem
limbischen System sind in erster Linie der Trigger für den Hypothalamus. Elektrochemische Signale vom Hypothalamus stoßen sowohl das autonome Nervensystem als auch die Hirnanhangdrüse
an. Außerdem produziert aber der Hypothalamus auch eine Reihe von Hormonen, die über eine
Gruppe von Blutgefäßen zur Hirnanhangdrüse geleitet werden und dort die Ausscheidung oder
Unterdrückung der entsprechenden Hirnanhangdrüsenhormone veranlassen. Weiterhin ist der
Hypothalamus ein fester Bestandteil einer Reihe von Rückkopplungsschleifen, die viele physiologische Prozesse regulieren und diese Prozesse für die Behandlung von Veränderungen in der
Umgebung und im Inneren und Bedrohungen des Organismus justieren. Innerhalb dieses RückTechnische Universität Chemnitz
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kopplungssystems stellt der Hypothalamus die Konzentration bestimmter Hormone im Blut fest, die
Höhe der neuronalen Reizung im limbischen System und die Konzentration bestimmter thymischer
Hormone. Diese Information wird vom Hypothalamus verarbeitet und die neuronale und hormonale
Sekretion wird angepasst. Diese Anpassung kann die Wiederherstellung der Homöostase bedeuten
oder die Abweichung von ihr in irgendeine Richtung.
Die wechselseitigen Wirkungen zwischen dem neuroendokrinen und dem Immunsystem können im
weitesten Sinn wie folgt klassifiziert werden:
1. Immunzellen, endokrine Zellen und Neuronen können Rezeptoren für Zytokine, Hormone,
Neurotransmitter und Neuropeptide besitzen.
2. Produkte des Immunsystems und des endokrinen Systems existieren gleichzeitig in lymphoidem,
endokrinem und neuronalem Gewebe.
3. Endokrine und neuronale Vermittler können das Immunsystem beeinflussen.
4. Immun-Vermittler können endokrine und neuronale Strukturen beeinflussen.
Der Informationsaustausch zwischen Nervensystem, endokrinem System und Immunsystem durch
Hormone, Neurotransmitter und Zytokine ist zusammengefasst in Abbildung 6.7 dargestellt. Liegen
die beteiligten Zellen weit voneinander entfernt, dann wird ein Schaltkreis über große Distanz
etabliert. Wo der Informationsaustausch auf Signalaustausch basiert, werden lokale Interaktionen
etabliert. Schaltkreise über große Distanz und lokale Interaktionen sind untereinander verbunden.
Der Grad der Aktivität des immun-neuro-endokrinen Netzwerks kann auf der Ebene des
Immunsystems durch einen antigenen Stimulus beeinfluss werden oder auf der Ebene des
Zentralnervensystems durch sensorische oder psychologische Stimuli. Die nach außen führenden
Pfeile deuten die Folgen der Interaktionen im System für den ganzen Organismus an.
Psycho-sensorische Stimuli
Zentralnervensystem
Immun- und
neuroendokrine
Produkte
Verhalten
Endikrone s System
(Hormone)
und
ImmunzellProdukte
Peripheres
Nervensystem
(Neurotransmitter
und Neuropeptide)
Antigene
Stimuli
Immun- und
neuroendokrine
Produkte
Immunreaktion
Immunsystem
Abbildung 6.7
6.4.1. Ähnlichkeiten und Unterschiede
Das Nervensystem, das endokrine System und das Immunsystem haben funktionale Beziehungen
untereinander. Sie unterscheiden sich in folgenden Eigenschaften:
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
Anatomie: Neuronen haben feste Plätze im zentralen und peripheren Nervensystem,
Immunzellen dagegen sind beweglich und zirkulieren durch den ganzen Körper. Das
Nervensystem hat seine zentralen Teile im Gehirn und im Rückenmark und hat viele
Verzweigungen im ganzen Körper. Die Komponenten des Immunsystems und des endokrinen
Systems sind nicht anatomisch verknüpft, sind aber über den ganzen Körper verteilt und sie sind
funktional verknüpft.

Struktur: Das Nervensystem ist hierarchisch strukturiert, das Immun- und das endokrine System
sind dezentralisiert.

Gegenseitige Verknüpfung: Im Nervensystem wird die Verbindung zwischen den Zellen durch
Axone, Synapsen und Dendriten hergestellt, sie existieren anatomisch. Aus der Sicht der
Immun-Netzwerktheorie sind die Komponenten des Nervensystems und des Immunsystems
funktional miteinander in Form eines Netzwerks verknüpft mit exzitatorischen und inhibitorischen Wirkungen auf die Nachbarzellen. Nach der Immun-Netzwerktheorie entsteht das Netz
dadurch, dass Zellen und Moleküle erkannt werden und erkennen können, das Netz hat deshalb
eine weniger offensichtliche Charakteristik als das Nervensystem. Im endokrinen System kann
man sich ebenfalls ein Netz vorstellen in Form der Hormonsekretion und –rezeption durch viele
Zellen und Organe mittels ihrer molekularen Interaktion.

Zelluläre Population: Das Immunsystem und das Nervensystem bestehen aus einer großen Zahl
verschiedenartiger Zellen. Beim Menschen enthält das Nervensystem aus etwa 1011 Neuronen
und das Immunsystem etwa 1012 Lymphozyten. In beiden Systemen sind die einzelnen Zellen
hoch spezifisch. Das endokrine System besteht im Wesentlichen aus Drüsen, die Chemikalien
ausscheiden, die das Verhalten von Zellen im Immunsystem und im Nervensystem beeinflussen.

Funktionale Unterteilung: Das Zentralnervensystem kann funktional in einen sensorischen und
einen motorischen Teil unterteilt werden. Entsprechend lässt sich das Immunsystem in einen
Erkennungsteil und einen Effektorteil unterteilen, und dieselbe Unterteilung ist für das
endokrine System möglich. Der Erkennungsteil dieser beiden Systeme ist für das Erkennen
spezifischer Moleküle (Antigene bzw. Hormone) zuständig, und die Systeme reagieren mit der
Produktion anderer spezifischer Moleküle (Lymphokine und Antikörper bzw. Hormone), die die
Funktion anderer Zellen verändern.

Eingabesignale (Stimuli): Wegen der Verschiedenheit der Komponenten in den Systemen können sie auf eine große Vielfalt von Stimuli geeignet reagieren. Das Nervensystem erkennt und
reagiert auf physiologische Stimuli, die es von den fünf Sinnen erhält: Hören, Sehen, Riechen,
Schmecken und Tasten. Das Immunsystem erkennt und reagiert auf die Form verschiedener
Moleküle (Antigene), die nicht durch das Nervensystem oder das endokrine System wahrgenommen werden können. Da diese Stimuli nicht physiologisch sind, kann man das Immunsystem als „sechsten Sinn“ bezeichnen. Die Drüsen des endokrinen Systems erkennen und
reagieren auf verschiedene Typen hormonartiger Stimuli: die Hormone selbst, einige Neurotransmitter und Lymphokine.

Multidirektionale Kommunikation: Die Komponenten aller drei Systeme können mit Elementen
des jeweiligen Systems aber auch mit Elementen der anderen Systeme kommunizieren.

Typen von Kommunikationssignalen (Stimuli): Im Nervensystem werden elektrochemische
Signale für die Kommunikation verwendet, in den anderen beiden Systemen in erster Linie
chemische Signale. Für alle Systeme kann ein Kommunikationsnetzwerk abgeleitet werden.

Reaktion auf Stimuli: Das Nervensystem reagiert auf Stimuli indem es verschiedene Arten von
Signalen erzeugt, die Aktionen wie Bewegung oder Atmung auslösen. Das Immunsystem
reagiert mit der Reproduktion von Immunzellen, der Ausscheidung von Antikörper-Molekülen
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und mit dem Veranlassen der Elimination fremder Substanzen. Das endokrine System reagiert
üblicherweise indem es die Ausschüttung spezifischer Hormone veranlasst oder unterdrückt.

Reifeprozess: Bei der Geburt eines Menschen sind alle drei Systeme noch nicht voll ausgebildet.
Das Gehirn eines Neugeborenen besitzt zunächst nur relativ wenige Synapsen, verglichen mit
dem eines Erwachsenen. Die Myelination und die motorische Steuerung sind unvollständig und
das Gehirn muss erst durch Sensoreingabe programmiert werden. Das Gehirn erfährt biochemische und physiologische Veränderungen. Das Immunsystem eines Neugeborenen kann noch
nicht auf bestimmte Antigene reagieren und die Makrophagen können noch nicht in vollem
Umfang Antigene präsentieren oder Zytokine produzieren. Im endokrinen System Neugeborener sind einige Hormone nur in geringer Konzentration vorhanden.

Anpassung: Im Nervensystem sind Lernen und Gedächtnis Konsequenzen der Veränderung von
Verbindungsstärken zwischen Neuronen und von Verbindungsmustern in Mengen von
Neuronen, nicht der Veränderung der Neuronen selbst. Das Gehirn bildet eine Art inhaltsadressierbaren Speicher, so dass das häufige Absterben einzelner Zellen das Verhalten des
Gehirns als Ganzes nicht wesentlich beeinflusst. Im Immunsystem ist das Wissen in den Zellen
selbst (in ihren Rezeptoren) oder bestimmten Klonen von Zellen gespeichert, Lernen erfolgt
durch Variieren der Klongrößen und der Rezeptorstrukturen. Ein Hormon kann eine Steigerung
in der Anzahl oder Affinität von Rezeptoren für ein anderes Hormon bewirken und sich so an
den aktuellen Zustand der internen Umgebung anpassen.

Parallelverarbeitung: Alle drei Systeme benutzen Parallelverarbeitung. Die Stimuli werden
simultan in vielen verschiedenen Teilen verarbeitet.

Gedächtnis: Dieses gibt es nur im Nervensystem und im Immunsystem. Die Erinnerung an ein
Ereignis kann viele Jahre bestehen bleiben. Die Erfahrungen in frühen Lebensphasen im
Immunsystem und Nervensystem haben lebenslange Wirkungen auf das Verhalten und die
Immunität.

Wissensvererbung: Das im Nervensystem und im Immunsystem gespeicherte Wissen wird nicht
automatisch an nachfolgende Generationen weiter gegeben, auch wenn dies das Individuum mit
einem Vorteil gegenüber anderen versehen würde. Jedoch kann die Ernährung eines Neugeborenen mit Muttermilch einige Arten von Informationen (Antikörper-Moleküle) an das Kind
übertragen.

Selbstidentifikation: Das Nerven- und das Immunsystem besitzen eine tiefe Vorstellung ihrer
selbst. Eine der wichtigsten Aufgaben des Immunsystems ist die Unterscheidung zwischen
Selbst und Nicht-Selbst. Diese Unterscheidungsfähigkeit kann mit einer der elementarsten
Funktionen des Nervensystems verglichen werden: dem Bewusstsein.

Individualität: Jeder Mensch hat sein individuelles Nerven-, endokrines und Immunsystem. Die
Systeme verschiedener Menschen ähneln einander nur insofern, als sie nach demselben Muster
organisiert sind. Die Organisation, die einen Typ von Organismus definiert, bestimmt die Art
und Weise, wie ein bestimmtes System funktioniert, nicht ein besonderes Muster von Verknüpfungen oder Spezifitäten. Da das Immun- und das Nervensystem aus Erfahrungen lernen können, reflektieren sie am Lebensende eines Individuums die Umgebung, in der das Individuum
gelebt hat.

Vorhandensein von Zellrezeptoren: Die Zellen aller drei Systeme besitzen Zellrezeptoren, die
die Kommunikation untereinander und mit Zellen anderer Systeme ermöglichen. Einige Neuronen können nur sehr spezifische Stimuli erkennen, während andere allgemeinere Rezeptoren
haben. Das Immun- und das endokrine System haben Rezeptoren, die sehr spezifisch für ihre
Botenstoffe bzw. Hormone sind.
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
Kontexterkennung: Einige Immunzellen lernen antigene Muster in spezifischen Kontexten zu
erkennen und auf sie zu reagieren, z.B. im Kontext einer Infektion. Dieses Phänomen ähnelt der
kontextabhängigen Erkennung von Signalen, die das Nervensystem erhält.

Unscharfes Erkennen: Bei allen Systemen ist die perfekte Erkennung nicht notwendig um eine
Reaktion auszulösen, ein unscharfer oder unvollständiger Stimulus genügt bereits. Das Nervenund das Immunsystem können einen Gedächtnisinhalt finden, wenn ein ähnlicher, nicht
notwendig zu einem früheren identischer Stimulus gegeben wird. Beim endokrinen System gibt
es zwar kein Gedächtnis, aber es kann ebenso auf molekulare Muster reagieren, die nicht das
genaue Komplement seiner Rezeptoren sind.

Robustheit: Das Immun- und Nervensystem funktionieren auch bei kleinen Schäden an ihren
Komponenten und Strukturen noch perfekt. Aber schon kleine Dosen von Hormonen und
Neurotransmittern können das Verhalten des Organismus erheblich beeinflussen. Die Rückkopplungsmechanismen des endokrinen Systems sind sehr effektiv.

Rückkopplungsmechanismen: Alle drei Systeme sind durch Rückkopplungsmechanismen reguliert. In allen gibt es negative Rückkopplung. Das Gehirn z.B. sendet Signale an die Muskeln,
dass sie sich zusammenziehen und anfangen zu zittern um den Wärmeverlust über die Haut zu
reduzieren. Im Immunsystem wird die Information über den Status der Immunreaktion an das
System zurück übermittelt. Reicht die Antikörper-Produktion aus um ein eingedrungenes Antigen zu bekämpfen, dann fangen einige Immunzellen an Zytokine zu produzieren und auszuschütten, die die Antikörper-Synthese unterdrücken und somit die adaptive Immunreaktion
beenden. Im endokrinen System wird die Information über den Hormonspiegel oder seine
Wirkung an die Drüsen zurück übermittelt, die darauf in einer homöoststischen Weise reagieren.

Verzögerte Reaktion: Das Immunsystem und das endokrine System können sowohl schnell
reagieren (angeborene Immunität) indem sie schon vorhandene Moleküle stimulieren, als auch
langsamer durch adaptive Reaktionen bzw. die Synthese neuer Enzyme, deren Wirkung erst
nach Tagen einsetzt. Auch beim Nervensystem gibt es verzögerte Reaktionen, z.B. beim
Verstehen komplexer Zusammenhänge.

Beschreibung der Umgebung: Das Immun- und das Nervensystem sind so beschaffen, dass es
ein Repertoire von Elementen gibt, das vielfältig genug ist um die Umgebung zu beschreiben,
unabhängig von dem Muster von Verknüpfungen und zellulären Interaktionen. Wegen ihrer
Redundanz und Vielfalt sind beide Systeme in hohem Maß fehlertolerant.
6.5.
Evolutionäre Biologie
Im 19. Jahrhundert hatte Lamarck bereits wesentliche Ideen über die Evolution der Arten
formuliert. Er vertrat den Standpunkt, dass das Wesen der Evolution die Anpassung der Individuen
an die Umgebung sei. Die Anpassung erfolgt dadurch, dass die stark benutzten Organe wachsen und
effizienter werden, dagegen die wenig benutzten verkümmern. Er nahm an, dass diese
Veränderungen vererbt werden. Über mehrere Generationen hinweg entstehen so neue Arten.
Darwin interessierte sich vor allem dafür, wie sich die Evolution vollzieht und wie sich Individuen
an ihre Umgebung anpassen. Durch seine Beobachtungen kam er zu dem Schluss, dass es zwei
bestimmende Faktoren für den evolutionären Prozess gibt: Natürliche Auslese und genetische
Variation. Seine Hypothesen über den Ursprung der Arten waren:
1.
2.
3.
4.
Die Zahl der Nachkommen ist tendenziell größer als die Zahl der Eltern;
Die Zahl der Individuen in einer Population bleibt ungefähr konstant;
Aus 1. und 2. folgt, dass es einen Wettbewerb ums Überleben gibt;
Es gibt genetische Variationen innerhalb derselben Art von Individuen.
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Das Prinzip der natürlichen Auslese lässt darauf schließen, dass jene Individuen, die besser an ihre
Umgebung angepasst sind, eine größere Überlebens- und Reproduktionswahrscheinlichkeit haben.
In Ergänzung dieser Ideen wurden drei weitere Hypothesen formuliert, die zum so genannten
Neodarwinismus führten:
5. Jede Art von stetiger Veränderung muss für die Einführung neuer Informationen in das
Erbgut der Organismen verantwortlich sein;
6. Es gibt keine Beschränkung der möglichen Variationen;
7. Die natürliche Selektion ermöglicht die Erhaltung der neuen Informationen, die einer
besseren Anpassung entsprechen.
Nach einigen Generationen dominieren die am meisten angepassten (die Fittesten) Individuen die
Art. Die Selektion durch Wettbewerb und Ausschluss eliminiert diejenigen Individuen, deren
Verhalten nicht geeignet ist, oder reduziert zumindest ihre Zahl, so dass eine Explosion der
Bevölkerung vermieden wird. Die Evolution optimiert also das Verhalten, nicht notwendigerweise
die genetische Information.
Der wesentliche Unterschied in den Ideen Lamarcks und Darwins besteht darin, dass Lamarck
eine Abbildung von den Umgebungsbedingungen und den ausgeprägten Charakteristiken
(Phänotyp) in die genetische Information (Genotyp) postulierte. Für Darwin dagegen bestimmen
die Umgebungsbedingungen und die genetische Information die ausgeprägten Charakteristiken.
Durch die genetische Forschung seit etwa Mitte des 20. Jahrhunderts wurde der Standpunkt der
Lamarckisten obsolet. Es wurde nachgewiesen, dass die Gene vererbt werden, nicht die ausgeprägte
Charakteristik, deshalb konnte auch keine erworbene Charakteristik vererbt werden. Die Genetik
zeigt, dass es drei Faktoren gibt, die den genetischen Code verändern: Migration, genetische
Rekombination und Mutation.
Die Migration führt neue Gene in eine Population ein, sofern die Migranten sich mit Individuen der
Population reproduzieren. Die genetische Rekombination folgt aus der sexuellen Fortpflanzung. Sie
führt zwar keine neuen Gene in eine Population ein, garantiert aber neue genetische Kombinationen
in den einzelnen Individuen. Die Mutation ist der wichtigste Faktor für die Veränderung des
genetischen Codes. Sie erzeugt genetische Variationen, die an die nächste Generation übertragen
werden, sie ändern also die vererbbaren Charakteristiken eines Organismus. Mutationen unterliegen
dem Zufallsprinzip, sind aber durch den vorhandenen genetischen Code und durch die Fähigkeit
zum Überleben eingeschränkt.
Die Evolution durch natürliche Auslese ist eine Folge der Anpassung und produziert unter
geeigneten Bedingungen neue Arten, ein Prozess, der auch Speziation genannt wird. Man kann drei
Formen der Anpassung bei der natürlichen Auslese unterscheiden:



Phylogenetische Anpassung: Akkumulation erworbenen Verhaltens in den Stammzellen
einer Art;
Soziogenetische Anpassung: Akkumulation erworbenen Verhaltens während des Lebens in
einer Gruppe oder Gesellschaft;
Ontogenetische Anpassung: Erwerb geeigneten Verhaltens durch Versuch und Irrtum
während der Lebenszeit eines Individuums.
6.5.1. Der Baldwin-Effekt
Lernen kann als dauerhafte Veränderung des Verhaltens, folgend aus früherer Erfahrung, verstanden werden. Während der Lebenszeit eines Individuums beeinflusst das Lernen nicht direkt den
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genetischen Code eines Individuums. Deshalb können soziogenetische und ontogenetische Anpassungen nicht direkt auf Nachkommen übertragen werden. Ausgehend von den Ideen Baldwins wird
aber in der evolutionären Biologie diskutiert, ob das Lernen einen indirekten Effekt (BaldwinEffekt) auf die Evolution hat. Dieser Effekt wird als „neuer Faktor in der Evolution“ vorgeschlagen.
Die Idee dabei ist: Wenn das Lernen zum Überleben eines Organismus beiträgt, dann haben die
Individuen mit größerer Lernfähigkeit eine höhere Überlebenswahrscheinlichkeit und damit eine
größere Fähigkeit eine große Zahl von Nachkommen zu produzieren. Wenn das Verhalten eines
Individuums stabil ist, so dass das Gelernte erhalten bleibt, dann kann dies indirekt zu einer
genetischen Codierung eines ursprünglich gelernten Verhaltens führen. Ohne den Lernprozess sinkt
die Überlebenswahrscheinlichkeit. So kann das Lernen die Evolution beeinflussen, auch wenn der
gelernte Inhalt nicht direkt übertragen werden kann.
Der Baldwin-Effekt funktioniert in zwei Stufen: Zunächst ermöglicht es die Fähigkeit eines
Individuums zur Anpassung an seine Umgebung während seines Lebens (phänotypische
Plastizität), dass es sich an eine teilweise erfolgreiche Mutation anpassen kann, die andernfalls für
das Individuum nutzlos wäre. Danach kann die Evolution, wenn genügend Zeit vorhanden ist, einen
starren Mechanismus finden, der den plastischen Mechanismus ersetzt. So wird das erst Gelernte
zum Instinkt.
6.5.2. Arten und Nischen
Die am häufigsten akzeptierte Definition des Begriffs der Art in der Biologie ist von Mayr: „Arten
sind Gruppen von faktisch oder potentiell sich untereinander vermehrender natürlicher Populationen, die reproduktiv von anderen Gruppen isoliert sind.“ Populationen werden nicht verschiedenen
Arten zugeordnet, wenn sie nur durch topographische Barrieren voneinander getrennt sind, z.B.
Gewässern. Wenn sie einander genügend ähnlich sind, nimmt man an, dass sie sich potentiell
untereinander vermehren können.
Dem Begriff nach sind Individuen von derselben Art, wenn ihre Gene über die Generationen
zurückverfolgt werden können und in einem einzigen Elternindividuum zusammenlaufen. In der
Praxis werden biologische Arten nicht an genetischen Kriterien erkannt, sondern an phänotypischen
Unterschieden, die als Evidenz genetischer Verschiedenheit betrachtet wird. Es kann überlappende
Charakteristiken zwischen zwei Arten geben, aber deutliche Differenzen in einer oder mehreren
Charakteristiken werden als Anlass für die genetische Isolation betrachtet.
Auch wenn Individuen nach äußerlicher oder physischer Ähnlichkeit als zu einer Art gehörig
eingestuft werden, ist die bemerkenswerteste Eigenschaft einer Art die Fähigkeit, sich untereinander
zu vermehren. Individuen einer Art können sich untereinander vermehren, aber nicht mit Mitgliedern einer anderen Art. Die Fähigkeit sich untereinander zu vermehren hat große evolutionäre
Bedeutung, denn sie legt fest, dass Arten unabhängige evolutionäre Einheiten sind. Unterschiedliche Arten haben unabhängig voneinander unterschiedliche Genpools entwickelt weil sie reproduktiv isoliert sind. Genetische Veränderungen können also nur von einzelnen Individuen herkommen
und sie können sich nur auf Mitglieder der eigenen Art ausbreiten, nicht auf Individuen anderer
Arten.
Der Begriff der Nische wird in der Ökologie in zwei unterschiedlichen Weisen definiert. Zum einen
wird eine Nische als ein Gebiet definiert, die aus einer Menge möglicher Umgebungen besteht, in
der eine Art überleben kann; die Mitglieder einer Art besetzen die selbe ökologische Nische. In
natürlichen Ökosystemen gibt es viele verschiedene Arten des Überlebens für Tiere (durch Weiden,
durch Jagen, auf dem Wasser usw.) und jede Überlebensstrategie wird eine ökologische Nische
genannt. Jedoch kann die Nische einer einzelnen Art über ihre geographische Ausbreitung in
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großem Umfang variieren. Zum andern wird die Nische eines Tieres nach Elton als „sein Platz in
der biotischen Umgebung, seine Beziehungen zu Nahrung und Feinden“ aufgefasst. Biotisch steht
für „Leben“ oder „lebender Organismus“. Nische wird hier dazu verwendet die Rolle eines Tieres
in seiner Gemeinschaft zu beschreiben.
6.5.3. Koevolution
Koevolution wird als Veränderung der genetischen Komposition einer Art als Reaktion auf die
genetische Veränderung in einer anderen definiert. Die Vorstellung dabei ist die, dass eine
reziproke genetische Veränderung in Arten stattfindet, die miteinander interagieren, wobei
ausreichende Evidenz vorliegen muss, dass die Eigenschaften jeder Art ein Ergebnis der Interaktion
beider sind.
Es kann drei verschiedene Fälle unterscheiden, die bei der Koevolution eine Rolle spielen,
entsprechend der Art der ökologischen Beziehungen zwischen den interagierenden Arten:



Wettbewerb: Das Vorhandensein einer Art hemmt das Wachstum der Population einer
anderen Art;
Ausbeutung: Das Vorhandensein der Art A stimuliert das Wachstum der Art B, während B
das Wachstum von A hemmt. Beispiele dafür sind die Jäger-Beute- und die Wirts-ParasitenInteraktion;
Gegenseitigkeit: Das Vorhandensein jeder Art stimuliert das Wachstum der jeweils anderen.
Arten, die unterschiedliche Nischen besetzen, können nebeneinander existieren ohne Wettbewerb.
Werden aber zwei Arten, die dieselbe Nische besetzen, in dasselbe Gebiet gebracht, dann findet ein
Wettbewerb um eine einzelne Ressource statt. Das führt schließlich dazu, dass eine der Arten
geschwächt und ganz ausgelöscht wird. Wenn jedoch die Arten um mehrere Ressourcen
konkurrieren, ist es möglich, dass sie die Ressourcen untereinander verteilen und beide überleben.
Die Verschiedenheit der Arten hängt also teilweise davon ab, ob sie verschiedene Nischen besetzen,
um eine Vielzahl von Ressourcen konkurrieren oder geographisch getrennt sind.
6.5.4. Jäger-Beute- und Wirts-Parasiten-Interaktion
Für jede Art gibt es eine Anzahl von Feinden, dazu gehören ihre natürlichen Jäger und Organismen,
die Krankheiten verursachen, und Parasiten. Gejagt werden, Parasitismus und Krankheit sind enorm
wichtige Aspekte des Lebens für jede Art. Viele Merkmale von Organismen sind Anpassungen, die
sich entwickelt haben um Jägern zu entkommen, Krankheitserregern zu widerstehen und als
Nahrung Arten zu fangen, die ihrerseits ausgeklügelte Fähigkeiten zum Entkommen und zur
Verteidigung entwickelt haben.
In vielen Fällen sind diese Jäger-Beute-Interaktionen unstabil und haben die Auslöschung der einen
Art zur Folge. Im Unterschied dazu scheinen die Wirts-Parasit-Interaktionen eine wichtige Ursache
für den genetischen Polymorphismus (Vorkommen unterschiedlicher Formen, Stufen oder Typen
individueller Organismen oder in Organismen derselben Art, unabhängig von geschlechtlicher
Variation) und die fortgesetzte evolutionäre Veränderung zu sein. Hier wird die eine Art nicht durch
gejagt werden oder Parasitismus ausgelöscht, vielmehr entwickeln sie sich zusammen, was zur
Entstehung neuer Formen von Individuen innerhalb der Art führt.
Obwohl keine Art leben kann ganz ohne gejagt zu werden, sind alle ihren potentiellen Jägern und
Parasiten entkommen indem sie Verteidigungsmechanismen entwickelt haben. Ein gutes Beispiel
dafür ist der immunologische Abwehrmechanismus gegen Pathogene, insbesondere wie er bei
Wirbeltieren ausgebildet ist. Es gibt auch weniger komplexe Verteidigungsmechanismen. Viele
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Pflanzen- und Tierarten besitzen Stacheln, stechende Haare, schützende Panzer oder giftige
Chemikalien, die sie für einige Jäger unverdaulich machen.
Vielfach wird angenommen, dass Parasiten eine analoge oder zumindest komplementäre Rolle zu
der von Jägern, Pflanzenfressern oder der Ressourcenbeschränkung bei der Beeinflussung der
Populationsbiologie von Pflanzen und Tieren, einschließlich Menschen, spielen. Viren und
Bakterien z.B. sind im Verhältnis zum Wirt sehr klein, haben kurze Generationszeiten, sehr hohe
Reproduktionsraten im Wirt und induzieren tendenziell einen gewissen Grad an Immunität gegen
wiederholte Infektion in den Wirten, die den ersten Befall überlebt haben. Die Dauer der Infektion
ist normalerweise kurz verglichen mit der erwarteten Lebensspanne des Wirts. Wegen dieser
Eigenschaften dient der infizierte Wirt als grundlegende Einheit einer ökologischen Untersuchung.
Die meisten Jäger-Beute-Modelle haben ihren Ursprung in dem Modell von Lotka und Volterra. In
dem Modell wird angenommen, dass das System abgeschlossen unter paarweisen Interaktionen ist,
dass das Gejagt werden eine Funktion der Beutedichte ist und dass das System kontinuierlich in der
Zeit ist. Die grundlegende Lotka-Volterra-Gleichung ist
dx
 k1 xy  k 2 x
dt
dy
 k 3 y  k 4 yx
dt
x ist die Jägerdichte, y die Beutedichte, k1 die Reproduktionsrate der Jäger pro gegessenem
Beutetier, k2 die Sterblichkeitsrate der Jäger, k3 die Wachstumsrate der Beutepopulation und k6 der
Jagdratenkoeffizient.
6.6.
Evolution und das Immunsystem
Der Prozess der natürlichen Auslese findet im Immunsystem auf zwei Ebenen statt. Erstens vermehren sich die Lymphozyten entsprechend ihrer Affinität zu den Pathogenen. Die Lymphozyten mit
höherer Affinität werden für die Reproduktion ausgewählt; dieser Prozess heißt immunologische
Mikroevolution. Zweitens leistet das Immunsystem einen Beitrag zur natürlichen Auslese und zwar
dadurch, dass die Individuen sich vermehren, die Gene besitzen, die für eine optimale Verteidigung
gegen Infektionskrankheiten gepaart mit einem minimalen Risiko für Autoimmunkrankheiten am
besten geeignet sind. Für den zweiten Fall gibt es Hinweise darauf, dass auch immun-neuroendokrine Interaktionen zur natürlichen Auslese beitragen. Außerdem kann noch die Ausbildung
biologischer Nischen und Arten von Immunzellen untersucht werden.
6.6.1. Immunologische Mikroevolution
Die Funktionsweise einer adaptiven Immunreaktion nach dem Prinzip der klonalen Selektion
erweist sich als ein bemerkenswerter „Mikrokosmos“ von Darwins Evolutionstheorie mit ihren drei
wichtigsten Prinzipien: Reproduktion mit Vererbung, genetische Variation und natürliche Auslese.
Während der Vermehrung der Zellen (Reproduktion) findet keine Kreuzung statt, die Nachkommen
einer Zelle sind deshalb Kopien (Klone) der Elternzelle, sie durchlaufen aber einen Prozess der
somatischen Mutation. Die natürliche Variation kommt durch die variablen Genregionen zustande,
die für die Produktion sehr vielfältiger Antikörper-Populationen verantwortlich sind. Die Selektion
sorgt dafür, dass nur Antikörper, die erfolgreich ein Antigen binden können, sich reproduzieren und
als Gedächtniszellen beibehalten werden.
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Die Ähnlichkeit zwischen adaptiver biologischer Evolution und der Produktion von Antikörpern
tritt noch mehr zu Tage, wenn man beachtet, dass die beiden bei der Produktion der Antikörper
zentralen Prozesse – genetische Rekombination und Mutation – dieselben sind, die für die
biologische Evolution geschlechtlich sich reproduzierender Arten verantwortlich sind. Im
Immunsystem entsteht die große Vielfalt der Antikörper-Population durch die Rekombination und
das Editieren der Immunglobulingene, und die Mutation der Gene gefolgt von der Auswahl der
Varianten mit hoher Affinität dient als Feintuning-Mechanismus. Bei geschlechtlich sich reproduzierenden Arten entspricht dies der kumulativen blinden Variation und natürlichen Selektion;
durch diese sind über viele Millionen Jahre die Säugetierarten entstanden und sie haben weiterhin
entscheidende Bedeutung im täglichen Überlebenskampf der Arten. Die Rekombination der
Immunglobulingene bei der Produktion der Antikörper unterscheidet sich allerdings von der
Rekombination der Elterngene bei der geschlechtlichen Fortpflanzung. Bei ersterer können Nukleotide zufällig in Immunglobulin-Gensegmente eingefügt und daraus entfernt werden, bei letzterer
werden durch die Kreuzung des elterlichen genetischen Materials Nachkommen erzeugt, die eine
genetische Mischung der Elternchromosomen enthalten.
Ein weiterer Unterschied zwischen den beiden Arten von Evolution ist, dass die adaptive biologische Evolution mittels kumulativer natürlicher Selektion zwischen den Organismen verläuft, während die Erkenntnisse aus der Immunologie zeigen, dass ontogenetische adaptive Veränderungen
durch kumulative blinde Variation und Auslese innerhalb eines Organismus erreicht werden kann.
Schließlich ist noch zu beachten, dass Auswahlprinzipien unterschiedliche Rollen in der Evolution
der Arten und in der immunologischen Mikroevolution spielen. In der Evolutionstheorie erklären
die Auswahlprinzipien, wie sich Arten immer mehr an ihre Umgebung anpassen und wie sich so die
Entstehung der Arten vollzieht. Die Evolutionstheorie sagt allerdings nichts über die Mechanismen,
die hinter diesem adaptiven Verhalten stecken. Im Unterschied dazu können Auswahlprinzipien die
Funktionsweise des Immunsystems erklären. Sie verdeutlichen die Prinzipien, die für die Anpassungsfähigkeit des Immunsystems verantwortlich sind. So gesehen kann das Immunsystem als eine
wichtigere Metapher für das Verstehen der Anpassung in einer unbekannten Umgebung gesehen
werden als die natürliche Evolution.
6.6.2. Der Beitrag des Immunsystems zur natürlichen Auslese
Das Immunsystem trägt zur Homöostase durch Erkennen und Eliminieren fremder Antigene und
veränderter Self-Antigene bei. Die Homöostase, ein Produkt der natürlichen Auslese, trägt jedoch
zur Evolution nur so lange bei, wie das Überleben eines Individuums nicht das Überleben anderer
Mitglieder der Art gefährdet. Ein Individuum, das von einem pathogenen Mikroorganismus infiziert
ist, ist nicht nur einer Gefahr für sein eigenes Leben ausgesetzt, sondern kann auch ein Medium
sein, das den Erreger an andere gesunde Tiere überträgt. Deshalb gibt es Situationen, in denen die
immunvermittelte Homöostase in Konflikt mit der Evolution gerät. Dieser Fall tritt ein, wenn
Individuen nicht mit einem eindringenden infektiösen Erreger fertig werden, obwohl sie ein voll
funktionsfähiges Immunsystem besitzen. Je länger diese Individuen überleben, desto größer ist die
Gefährdung der Art. Dieser Konflikt zwischen immunologischer Homöostase und natürlicher
Auswahl kann bewältigt werden durch Mechanismen, die als antihomöostatische Funktionen des
Immunsystems bezeichnet werden.
Einige Immunprozesse zur Beschränkung der Homöostase können in der Evolution erworben
worden sein. Dies könnte dadurch entstanden sein, dass das Überleben eines Individuums das
Überleben der anderen Mitglieder der Art gefährdete. Es wurde z.B. nachgewiesen, dass eher einige
Zytokine als die Produkte des infektiösen Erregers, die die Krankheit verursachen, für die Auslösung einer Reihe von zerstörerischen neuroendokrinen und Stoffwechselstörungen verantwortlich
sind, die schließlich zum Tod des Individuums führen.
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Eine andere Art, wie das Immunsystem zur Evolution beitragen kann, ist die durch die durch
Verknüpfung immunologischer und reproduktiver Funktionen. Einige Zytokine haben hemmende
Wirkung auf reproduktive Funktionen und können so verhindern, dass Mikroorganismen an die
Nachkommen über die Plazenta oder die Muttermilch übertragen werden. In Fällen, in denen das
Immunsystem nicht vollständig ausgebildet wurde, z.B. bei Tieren, bei denen der Thymus und
damit die T-Zellen fehlen, beobachtet man meist auch sexuelle Unzulänglichkeit. Es scheint eine
phänotypische Verbindung zwischen der Funktion der primären Lymphorgane, die die Entwicklung
des Immunsystems steuern, und der Reproduktionsfähigkeit zu geben. Dies lässt eine selektive
Kraft vermuten, die die Reproduktion immundefizienter Tiere erschwert, während sie die Reproduktion von Individuen begünstigt, die in der Lage sind ein effizientes Immunsystem zu entwickeln.
6.6.3. Nischen und Arten im Immunsystem
Die in Abschnitt 6.5.2 gegebene Definition von Arten gilt nur für Individuen, die sich
geschlechtlich fortpflanzen. Individuen mit ungeschlechtlicher Reproduktion wie Lymphozyten und
Bakterien, werden nach Kriterien wie äußere Morphologie, chemische und physiologische Eigenschaften und genetischer Konstitution in unterschiedliche Arten unterteilt. Man könnte jedoch
fragen, was eine Art sein soll, ein einzelnes Individuum oder eine Klasse von Individuen. Individuen mit ungeschlechtlicher Reproduktion tauschen kein genetisches Material mit anderen Arten
(Individuen) aus, deshalb könnte man in diesem Fall die einzelnen Individuen als Arten betrachten.
In Kapitel 1 wurden zwei Ebenen von biologischen Systemen betrachtet: die physiologische Ebene
und die ökologische Ebene. Nimmt man die erste, dann kann man Arten und Nischen von Zellen
innerhalb eines Organismus betrachten.
Verfolgt man die Abstammung von Individuen, dann stellt man fest, dass Organismen einander in
abnehmendem Maß ähnlich sind, so dass sie in Gruppen und Untergruppen eingeteilt werden können. Klassifikationen sind oft stark beeinflusst durch Ähnlichkeitsketten, geographische Verteilung
und reproduktive Muster. Nach Darwins Vorstellung kann eine Art konzeptionell als eine Menge
von Individuen verstanden werden, die von einem gemeinsamen Vorfahren abstammen. Wendet
man diese Vorstellung auf das Immunsystem an, dann kann man individuelle Lymphozyt-Klone als
unterschiedliche Arten von Zellen innerhalb des Immunsystems betrachten.
Das Darwinsche Modell der natürlichen Auslese trifft auch auf die klonale Selektion zu. Hier ist
aber zu beachten, dass die Ausbildung eines einzelnen Antikörper-Klons noch nicht ausreicht um
die Immunität zu gewährleisten. Wenn Bakterien in den Körper eindringen, müssen unterschiedliche Arten von Antikörpern produziert werden, von denen jeder nur gegen eine bestimmte Qualität
oder ein bestimmtes Stoffwechselprodukt der Bakterien ausgerichtet ist. Es müssen ausreichend
viele „Arten von Antikörpern“ vorhanden sein um die Bakterien zu bekämpfen. Jeder einzelne
Lymphozyt-Klon kann als eine „Art von Immunzellen“ betrachtet werden, die den Organismus
gegen einen bestimmten Typ von antigenem Stimulus schützen kann. Deshalb muss die Menge der
Zellarten im Immunsystem vielfältig genug sein um gegen jeden Typ antigener Invasion durch
einen pathogenen Mikroorganismus gewappnet zu sein.
7.
AIS im Kontext anderer Computational Intelligence-Paradigmen
7.1. Einleitung
Es gibt einige Ähnlichkeiten zwischen den drei CI-Paradigmen Neuronale Netze, Evolutionäre
Algorithmen und Künstliche Immunsysteme. Außerdem sind schon verschiedene hybride Formen
zwischen diesen Systemen entwickelt worden mit der Absicht, leistungsfähigere Werkzeuge zu
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schaffen, die spezielle Beschränkungen einer einzelnen Strategie überwinden können und sie damit
praktisch besser nutzbar zu machen. Deshalb werden im folgenden Kapitel die Grundlagen der
Neuronalen Netze und Evolutionären Algorithmen behandelt und ihre praktischen Anwendungen
diskutiert.
7.2.
Grundlagen der Neuronalen Netze
7.3.
Grundlagen der Evolutionären Algorithmen
Ein evolutionärer Algorithmus arbeitet auf einer Population von Individuen, von denen jedes einen
Punkt im Suchraum der möglichen Lösungen für ein gegebenes Problem darstellt. Der Algorithmus
entwickelt diese Population mittels der Operationen Reproduktion, genetische Variation und
Selektion.
7.3.1. Biologische und Berechnungs-Terminologie
Die biologischen Begriffe, die in den evolutionären Algorithmen verwendet werden, sind wie bei
den AIS Metaphern und stellen eine starke Abstraktion von den biologischen Gegebenheiten dar,
d.h. sie bezeichnen viel einfachere Strukturen als in der Biologie selbst.
Evolutionäre Algorithmen arbeiten auf Populationen von Individuen einer einzigen oder mehrerer
Arten, die sich in einer vordefinierten Umgebung entwickeln. Individuen – als lebende Organismen
– bestehen aus Zellen, und jede Keimzelle enthält dieselbe Menge von einem oder mehreren
Chromosomen (DNA-Ketten), die als Identifikator für den Organismus dienen. Ein Chromosom
kann konzeptionell in Gene (Funktionsblöcke von DNA) unterteilt werden, jedes von diesen kodiert
ein spezielles Protein. Ein Gen kann vereinfacht als Code für eine spezielle Eigenschaft, z.B.
Hautfarbe, betrachtet werden. Die verschiedenen Werte, die eine Eigenschaft annehmen kann,
heißen Allele. Jedes Gen sitzt an einem speziellen Platz im Chromosom.
Viele Organismen haben mehrfache Chromosomen in jeder Zelle; die gesamte Menge des genetischen Materials eines Organismus wird Genom genannt. Der Ausdruck Genotyp bezeichnet die
Menge der Gene in einem Genom. Zwei Individuen mit demselben Genom haben denselben
Genotyp. Der Genotyp eines Organismus bestimmt seinen Phänotyp, d.h. seine mentalen und
physischen Eigenschaften, z.B. Augen- und Hautfarbe.
Chromosome können in Paaren angeordnet sein oder einzeln vorkommen, Organismen mit paarweisen Chromosomen heißen Diploide, Organismen mit einfachen Chromosomen heißen Haploide.
Meist sind Arten mit geschlechtlicher Fortpflanzung Diploide, Arten mit ungeschlechtlicher Fortpflanzung Haploide. Bei der geschlechtlichen Fortpflanzung erfolgt eine genetische Rekombination
oder Crossover. Dabei werden in jedem Elternteil Gene zwischen den beiden Chromosomen eines
Chromosomenpaars ausgetauscht und es wird ein einzelnes Chromosom gebildet, genannt Gamet,
und die Gamete beider Elternteile bilden zusammen wieder einen kompletten Chromosomensatz,
ein Diploid. Bei der haploiden Reproduktion werden Gene zwischen den Chromosomen beider
Elternteile ausgetauscht. Der Nachwuchs unterliegt der Mutation, bei der einzelne Nukleotide
(elementare Bits der DNA) verändert werden. Die Fitness eines Organismus wird typischerweise
als die Wahrscheinlichkeit dafür definiert, dass der Organismus lebt und sich reproduziert, oder als
Funktion der Zahl seiner Nachkommen (Fruchtbarkeit).
Tabelle 7.1 beschreibt die Äquivalente der biologischen Begriffe im Berechnungsmodell an. Die
meisten genetischen Algorithmen verwenden haploide Kodierung.
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Biologie
Haploides Chromosom
Gen
Allele
Crossover
Mutation
Genotyp
Phänotyp
Seite 96
Berechnungsmodell
Bitstring, der eine mögliche Lösung repräsentiert
Ein einzelnes Bit oder ein Block von Bits
Werte
Austausch genetischen Materials zwischen Chromosomen
Zufällige Veränderung eines Bits im Chromosom
Bitkonfiguration im Chromosom eines Individuums
Dekodierung eines oder mehrerer Chromosome
Tabelle 7.1
7.3.2. Ein Standard-evolutionärer Algorithmus
Ein typischer evolutionärer Algorithmus verläuft in folgenden Schritten:
1. Initialisierung: Erzeuge eine initiale Population von Individuen (Eltern). Dies wird oft dadurch
gemacht, dass man aus dem Raum der möglichen Lösungen zufällig eine Menge auswählt;
2. Evaluation: Evaluiere die Qualität des Verhaltens des Systems für alle Individuen der Population. Jedem Individuum wird ein Performanzindex zugeordnet, der seine Fitness in Bezug auf
die Umgebung angibt;
3. Selektion: Bestimme mittels Auswahloperatoren, welche Individuen mit welcher Häufigkeit für
die Reproduktion ausgewählt werden;
4. Reproduktion und genetische Variation: Erzeuge eine neue Population von Individuen (Nachkommen) durch Reproduzieren der Ausgewählten und zufälliges Variieren ihrer Nachkommen.
Diese zufällige Variation wird mittels genetischer Operatoren wie Crossover und Mutation
durchgeführt.
5. Schleife: Die in Schritt 3 ausgewählten Individuen bilden eine neue Population und durchlaufen
Schritt 4. Der Algorithmus bricht ab, wenn eine vordefinierte Lösung erreicht wird oder eine
bestimmte Anzahl von Generationen durchlaufen ist.
Jedes Mal wenn die Schritte 2 bis 4 durchlaufen sind, ist eine neue Generation entstanden. Dieser
Prozess der simulierten Evolution entsteht also durch sukzessive Anwendung des natürlichen Auswahlmechanismus, der die Wahrscheinlichkeit für die besonders fitten Individuen zum Überleben
über Generationen hinweg erhöht, gefolgt von der Anwendung der „künstlichen“ Reproduktion und
genetischen Variation der ausgewählten Individuen.
Ein evolutionärer Algorithmus versucht eine Lösung für ein Problem zu bestimmen, indem er eine
Menge möglicher Lösungen oder „künstlicher Chromosomen“ zu Grunde legt, den so genannten
Suchraum, und auf diesem operiert. Eine Fitness-Landschaft ist die Repräsentation einer Abbildung
vom Raum aller möglichen Genotypen auf ihre jeweilige Fitness.
7.3.3. Genetische Algorithmen
Ein genetischer Algorithmus kann als stochastischer Algorithmus definiert werden, dessen Suchmethode die biologischen Phänomene der genetischen Vererbung und natürlichen Auslese zu
modellieren versucht. Einfache genetische Algorithmen bilden abstrakte Modelle der natürlichen
Evolution und arbeiten mit einer Population fester Größe und Individuen, die durch „genetische
Strings“ fester Länge repräsentiert werden. Neue Populationen entstehen mittels einer probabilistischen Fitness-proportionalen Auswahl von Individuen, Crossover und Mutation, wodurch zu den
Eltern ähnliche Nachkommen entstehen. Die Hauptmerkmale eines genetischen Algorithmus sind:

Populations-basierte Suche;
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

Seite 97
Benutzung einer Kostenfunktion (Fitness, Ziel oder Anpassungsfähigkeit) anstelle von
Ableitungen oder anderen Arten von Wissen;
Benutzung probabilistischer Übergangsregeln (Selektion und Reproduktionsmechanismen)
anstelle deterministischer.
Um zu entscheiden, ob sich ein genetischer Algorithmus zur Lösung eines gegebenen Problems
eignet, kann man einige Kriterien angeben:



Wenn der Suchraum groß ist, keinen glatten Verlauf hat, nicht gleichförmig ist, unbekannt
ist oder die Fitness-Funktion verrauscht ist, dann ist ein genetischer Algorithmus wahrscheinlich gut geeignet;
Wenn der Suchraum glatt und einförmig ist, dann sind Gradientenverfolgung oder
Bergsteigen besser als genetische Algorithmen;
Wenn der Suchraum gut bekannt ist, dann kann man mit heuristischen Methoden arbeiten,
die man in irgendwelche Suchalgorithmen einbaut, auch in genetische Algorithmen.
Soll ein Problem mit einem genetischen Algorithmus gelöst werden, dann muss zunächst eine
geeignete genetische Repräsentation festgelegt werden. Dann kann ein Algorithmus nach der
Struktur des in Abbildung 7.1 dargestellten verwendet werden.
Erzeuge eine zufällige initiale
Population von Bitstrings
Bestimme die Fitness jedes
Individuums der Population
Wähle mittels Rouletterad die
Individuen aus, die sich
reproduzieren
Erzeuge die nächste Population
(Nac hkommen) durch
Reproduktion mittels Vererbung
(Crossover) der ausgewählten
Individuen und wende den
genetischen Variationsoperator
an (Mutation)
Abbildung 7.1
Bei der Rouletterad-Methode ist die Wahrscheinlichkeit für die Auswahl eines Chromosoms (d.h.
eines Individuums einer Population) proportional zu seinem Fitnesswert. Abbildung 7.2
veranschaulicht die Funktionsweise des Rouletterads.
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Individuum
Chromos om
Fitness
Grade
1
0001100101010
16
240
2
0101100101010
4
60
3
1011110100101
2
30
4
1010010101001
2
30
1
2
3
4
Abbildung 7.2
Beim Ein-Punkt-Crossover wird eine Position in den beiden Elternchromosomen zufällig bestimmt,
an dem die beiden Strings aufgetrennt werden. Die vier Teilstücke werden dann überkreuzt wieder
zusammengesetzt. Jedes Chromosom wird mit der Wahrscheinlichkeit pc für die CrossoverOperation ausgewählt. Bei der Mutation wird eine Position in einem Chromosom zufällig bestimmt
und das Bit an dieser Position wird gekippt. Die Mutationswahrscheinlichkeit pm legt die Rate fest,
mit der jede Position des Chromosoms verändert werden kann. Die beiden Operationen sind in
Abbildung 7.3 illustriert.
Crossover-Punkt
1
0
0
0
0
0
1
1
Elternchromosom 1
1
1
0
1
1
1
1
0
Elternchromosom 2
Ein-Punkt
Zu mutierendes Bit
1
-Crossover
0
0
0
Ein-Punkt
1
0
0
0
1
1
1
0
Kindchromosom 1
1
1
0
1
0
0
1
1
Kindchromosom 2
1
0
0
(a)
0
1
1
1
0
Ursprüngliches
Chromos om
0
Mutiertes
Chromos om
-Mutation
0
1
1
(b)
Abbildung 7.3
7.3.4. Nischen und Arten in evolutionären Algorithmen
Man kann zwei verschiedene Typen von evolutionären Algorithmen unterscheiden, die in der Lage
sind stabile verschiedenartige Populationen zu bilden, die verschiedene Regionen im Suchraum
besetzen, nämlich Nischen- und Speziationsmethoden. Es gibt aber noch andere Strategien und
Algorithmen mit dieser Fähigkeit, nämlich sequentielles Aufsuchen von Nischen, ökologische
Genetische Algorithmen und Immunsystem-Modelle.
Nischen-Methoden
Die Nischen-Methoden können nach Struktur und Verhalten in verschiedene Kategorien unterteilt
werden. Die erfolgreichsten Kategorien von Nischen-Methoden sind Fitness-Sharing und Crowding. Die Algorithmen beider Kategorien können mehrfache Lösungen in einer Population
bestimmen und aufrechterhalten, unabhängig davon, ob die Lösungen identischen oder unterschiedTechnische Universität Chemnitz
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lichen Fitnesswert haben. Die Nischen werden dadurch unterschieden, dass Ähnlichkeiten zwischen
Individuen mit Hilfe eines genotypischen oder phänotypischen Distanzmaßes bestimmt werden.
Das heißt, die Ähnlichkeit zwischen Individuen kann durch Vergleich der Chromosomen oder
durch Vergleich der Fitnesswerte gemessen werden.
Beim Fitness-Sharing wird die Fitness jedes Individuums um einen Betrag reduziert, der auf die
Zahl ähnlicher Individuen in der Population bezogen ist. Die geteilte Fitness eines Individuums ist
definiert durch
f s  xi  
f  xi 
 j 1 shd xi , x j 
N
mit
  d 
 
 , falls d   share
shd   1   
 share 
 0,
sonst

sh() ist die Sharing-Funktion, d(,) ist eine Abstandsfunktion, mit der die Ähnlichkeit zwischen je
zwei Individuen der Population gemessen wird,  ist eine Konstante, mit der die Form der SharingFunktion festgelegt wird und share ist ein Schwellenwert der ähnliche von unähnlichen Paaren von
Individuen trennt.
Beim Crowding werden neue Individuen in eine Population eingeführt und ersetzen dort ähnliche.
Durch diese Methode werden die Individuen über die herausragenden Peaks des Suchraums
einigermaßen gleichmäßig verteilt, sie werden nicht proportional zu ihrer Fitness zugeordnet. Ein
Beispiel ist der Algorithmus zum sequentiellen Aufsuchen von Nischen. Ein gewöhnlicher
Genetischer Algorithmus wird mehrere Mal gestartet und die beste Lösung jedes Laufs wird
behalten. Nach jedem Lauf wird die Fitnessfunktion an allen Punkten innerhalb eines bestimmten
Radius um die beste Lösung verschlechtert. Dadurch wird bei einem neuen Lauf dieser Bereich
nicht mehr aufgesucht.
Speziations-Methoden
Bei diesen Methoden wird ein wesentliches Prinzip der Arten nachgeahmt, nämlich sich nur
untereinander reproduzieren zu können. Dazu werden so genannte Paarungs-Restriktions-Schemata
verwendet. Die Paarungs-Restriktion wird dadurch erreicht, dass Abstände zwischen Individuen
bestimmt werden, nach denen die Paare für die Crossover-Operation ausgewählt werden. Lässt sich
für ein Individuum ein anderes finden, das ausreichend kleinen Abstand hat, dann kann auf diese
beiden Crossover angewendet werden. Dabei werden im Bedarfsfall alle übrigen Individuen
durchprobiert. Das Abstandsmaß kann phänotypisch oder genotypisch definiert werden.
7.3.5. Genetisches Programmieren
Genetisches Programmieren ist eine Erweiterung der Genetischen Algorithmen. Die Datenstrukturen, die manipuliert werden, sind Repräsentationen von Computerprogrammen, die Fitness der Individuen wird durch Programmläufe bestimmt. Beim Genetischen Programmieren wird also versucht
ein Programm mit größtmöglicher Effizienz zu finden.
Ein Computerprogramm kann als Ausführung einer Folge von funktionalen Ausdrücken betrachtet
werden. Genetisches Programmieren ist deshalb besonders gut anwendbar, wenn die Sprache der
Programme ihre Manipulation in Form von Datenstrukturen erlaubt. Dies ist z.B. bei der Sprache
LISP der Fall, deshalb wurde das erste Genetische Programm auch für LISP-Programme entwickelt.
Beim Genetischen Programmieren ist ein Problem durch eine Repräsentation und eine Fitnessfunktion definiert. Die Repräsentation besteht aus Funktionen und Terminalen, die zusammen eine
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Sprache definieren. Die Programme in dieser Sprache sind die Individuen der Population. Sie
können in Form von Bäumen repräsentiert werden. Der Fitnesswert der Individuen wird dadurch
bestimmt, dass sie ausgeführt werden und dann nach Kriterien wie Laufzeit und/oder Speicherbedarf bewertet werden. Als Beispiel ist die Funktion f = (x – y) – (a + b) in Abbildung 7.4
dargestellt. Das Genetische Programm modifiziert die Repräsentationen der Programme, hauptsächlich durch Austausch von Teilbäumen zwischen den einzelnen Bäumen und Verändern einzelner
Knoten oder Zweige eines Baums, und es bestimmt den fittesten Baum in der Population.
-
-
x
+
y
a
b
Abbildung 7.4
7.3.6. Praktische Aspekte evolutionärer Algorithmen
Die folgenden Aspekte sollten beachtet werden, wenn ein Problem mit evolutionären Algorithmen
gelöst werden soll:




Modellauswahl: Die Repräsentation der Individuen einer Population, die Zahl der Individuen in der Population, die Evaluationsfunktion(en) und die Auswahloperatoren beeinflussen alle die Performanz eines evolutionären Algorithmus;
Initialisierung der Population: Da evolutionäre Algorithmen eine explorative Suche im
Suchraum durchführen, ist die Initialisierung der Population in den meisten Fällen nicht von
entscheidender Bedeutung für die Performanz des Algorithmus. Jedoch kann Vorwissen
nützlich sein um die Population zielgerichtet auf die Lösung hin zu initialisieren.
Konvergenzgeschwindigkeit und –analyse: Evolutionäre Algorithmen benötigen u.U. –
ähnlich wie Neuronale Netze – viel Zeit um eine Lösung zu finden, was ihre Anwendbarkeit
auf Realweltprobleme einschränkt. Formale Konvergenzbeweise sind i.A. schwer zu führen.
Parametersetzung: Verschiedene Parameter beeinflussen die Performanz eines evolutionären Algorithmus, z.B. die Variationsoperatoren und ihre Wahrscheinlichkeiten.
Ein allgemeines Problem der evolutionären Algorithmen ist die Modellauswahl und die ParameterJustierung. Die meisten Methoden zur Behandlung dieses Problems fallen in die Klasse der adaptiven evolutionären Algorithmen. Für das Setzen von Parameterwerten wurde u.A. eine Taxonomie
vorgeschlagen (Eiben und Kollegen), vgl. Abbildung 7.5. Sie enthält zwei Hauptstrategien, das
Parametertuning und die Parametersteuerung. Bei der ersten werden die Parameterwerte vor dem
Programmlauf gesetzt, bei der zweiten während des Programmlaufs. Die Art der Veränderung der
Parameterwerte bei der Parametersteuerung unterteilt sich in drei Formen:



Deterministisch: Die Werte werden nach einer deterministischen Regel geändert;
Adaptiv: Die Werte werden auf Grund eines Feedback aus der Suche bezüglich Größe und
Richtung geändert;
Selbst-adaptiv: Hier findet eine Evolution in der Evolution statt, d.h. die Parameter, deren
Werte sich ändern sollen, werden in Chromosomen kodiert und einem evolutionärem
Prozess unterworfen.
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Parametertuning
Parametersetzen
deterministisch
Parametersteuerung
adaptiv
selbst-adaptiv
Abbildung 7.5
7.4.
Vergleich der Ansätze
7.4.1. Elementare Komponenten
Für AIS wurde der Formenraum als formaler Rahmen für die Definition abstrakter Modelle von
Immunzellen und –moleküle eingeführt. In der einfachsten Form sind die elementaren Einheiten
Attributstrings. In einigen Anwendungen werden aber komplexere Strukturen als elementare Einheiten verwendet, z.B. Neuronale Netze oder Petrinetze. Im Netzwerkansatz können die Einheiten
des AIS miteinander verknüpft werden. Die Einheiten von AIS können auch Berechnungen
durchführen, z.B. ihr Stimulationsniveau berechnen, und sie können Informationen speichern, z.B.
ihre Reaktivitätsschwelle oder den Attributstring, der ein Antikörper-Molekül repräsentiert.
In Neuronalen Netzen ist die elementare Einheit ein künstliches Neuron, das aus einer Menge von
Gewichten (Kantenstärken), einer Integrationsfunktion und einer Aktivierungsfunktion besteht. Ein
künstliches Neuron kann also, wie eine AIS-Zelle, Informationen speichern und verarbeiten. Sie
kann mit den Eingaben aus der Umwelt (Stimuli) Berechnungen durchführen und eine Ausgabe
erzeugen. Trotz dieser Ähnlichkeiten unterscheiden sich künstliche Neuronen und AIS-Zellen
grundlegend. Die in AIS-Zellen gespeicherte Information ist individuell für die einzelne Zelle
(Stimulationsniveau, Attributstring), während sie bei den künstlichen Neuronen auf die Verbindung
zu anderen Neuronen (Kantengewichte) bezogen ist, im Rest des Neurons wird keine Information
gespeichert, sondern nur verarbeitet. Ein künstliches Neuron berechnet hauptsächlich das skalare
Produkt des Eingabevektors und des Gewichtsvektors. Bei den AIS-Zellen nach dem NetzwerkModell entspricht die Stärke einer Verbindung zwischen zwei Zellen dem Grad der Interaktion
zwischen den beiden Zellen. Deshalb haben die Informationen, die in den Verbindungen zwischen
den Zellen der beiden Zellarten repräsentiert sind, unterschiedliche Bedeutung.
Bei den evolutionären Algorithmen werden die Individuen (Chromosomen) üblicherweise als
Strings repräsentiert. Sie können reellwertig, ganzzahlig, binär usw. sein, je nach Anwendung,
ähnlich wie bei den Formenräumen der AIS. Es gibt aber bei bestimmten evolutionären Algorithmen, z.B. beim Genetischen Programmieren, auch andere Repräsentationen von Individuen, z.B.
Bäume als Repräsentationen von Programmen. Der wesentliche Unterschied zwischen beiden
Typen von Algorithmen liegt in der Art, wie die das Verhalten des jeweiligen Systems in der Zeit
gesteuert wird.
7.4.2. Struktur (Architektur)
Populationsbasierte AIS und evolutionäre Algorithmen sind sich insofern ähnlich, als die Komponenten der Systeme in Form von Matrizen angeordnet sind, die Repertoires von Zellen oder
Molekülen bzw. Populationen von Chromosomen repräsentieren. Die Matrizen können feste oder
variable Größe haben. Die Komponenten sind diskret, d.h. sie sind nicht mit anderen Elementen
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verknüpft. Sie interagieren miteinander auf indirekte Weise durch eine Affinitäts- bzw. Fitnessfunktion und durch genetische Variationsoperatoren bei den evolutionären Algorithmen (Crossover).
Im Immunnetzwerk-Modell und in Neuronalen Netzen sind die Elemente der Population in einer
Netz-artigen Struktur angeordnet. Die Architektur der Immunnetzwerke folgt aus oder repräsentiert
die räumliche Verteilung der antigenen Muster, Neuronale Netze haben gewöhnlich eine vordefinierte Architektur. Das gilt abgewandelt auch für dynamische Netzstrukturen (Growing cell
structures), denn bei ihnen verändert sich die Zahl der Neuronen, die Zahl der Schichten und das
Verknüpfungsmuster nach einer deterministischen Regel. Die einzige Ausnahme bilden Neuronale
Netze, die durch evolutionäre Algorithmen konstruiert werden.
7.4.3. Wissensspeicherung (Gedächtnis)
Als Wissen eines Systems wird nur durch Interaktion mit der Umwelt oder der Elemente
untereinander erworbenes Wissen betrachtet, nicht die Werte voreingestellter Parameter. In
populationsbasierten AIS stellen die Attributwerte und die Zahl der Elemente das Wissen dar. Sind
Parameterwerte adaptiv, z.B. die Reaktivitätsschwelle, dann sind auch ihre Werte Bestandteil des
Wissens. In Immunnetzwerken enthalten außerdem die Verbindungsstärken zwischen den Einheiten
Informationen; sie quantifizieren die Interaktionen zwischen den Elementen. In der Regel ist der
Speicher Inhalts-adressierbar und verteilt.
In herkömmlichen Neuronalen Netzen ist das Wissen nur in den Verbindungsstärken zwischen den
Neuronen gespeichert. In neueren dynamischen Architekturen und Netzen mit adaptiven Parametern sind die am Schluss vorliegende Zahl der Schichten und Neuronen sowie die Form der
Aktivierungsfunktionen eine Folge der Interaktionen mit der Umgebung und deshalb Teil des
gespeicherten Wissens. Der Speicher ist normalerweise selbst-adaptiv oder Inhalts-adressierbar und
verteilt.
In evolutionären Algorithmen repräsentiert jedes Chromosom die im Algorithmus enthaltene
Information. Sind die Parameter adaptiv, dann wird diese Information durch die Interaktion mit der
Umwelt erworben, kann also als Wissen des Algorithmus betrachtet werden. Der Speicher ist
Inhalts-adressierbar und verteilt.
7.4.4. Adaption (Dynamik)
Als Adaption wird hier die Veränderung oder Anpassung der Strukturen und freien Parameter eines
Systems in Reaktion auf die Erregung durch andere Komponenten des Systems und auf die Interaktion mit der Umgebung bezeichnet. Im Kontext der AIS wurde die Adaption freier Parameter als
Dynamik bezeichnet, die strukturelle Adaption als Metadynamik. Evolutionäre und Lernprozesse
schließen zwar Adaption ein, es besteht aber trotzdem ein grundlegender Unterschied zu den AIS.
Die Evolution ist eine Veränderung in der genetischen Komposition einer Population im Verlauf
mehrerer Generationen, die durch die natürliche Auslese der variierten Individuen entsteht. Das
Lernen dagegen ist eine lang anhaltende Veränderung im Verhalten auf Grund früherer Erfahrungen. Evolutionäre Systeme können sich nur durch genetische Veränderungen adaptieren, Neuronale
Netze nur durch Lernen, AIS können beides.
In AIS hat die Adaption hauptsächlich zwei Aspekte: Veränderung der Zahl der Zellen und
Moleküle und Veränderung der Form der Attributstrings. Die Elemente, die ihre Aufgabe am besten
ausführen (Antigen-Erkennung oder Funktionsoptimierung) werden für die klonale Vermehrung
ausgewählt, wodurch sich die Zahl dieser Elemente vergrößert. Während der klonalen Expansion
vollzieht sich gleichzeitig die Affinitäts-Reifung der Elemente. Dabei wird ihre Affinität zu
Antigenen durch Mutation und Selektion vergrößert. Bei den Immunnetzwerken hat das Lernen
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auch die beiden anderen Aspekte (wie bei den Neuronalen Netzen bzw. evolutionären Systemen):
Modifizieren, Hinzufügen und Entfernen von Verbindungen zwischen den Elementen und die
Erzeugung neuer Elemente und die Entfernung nutzloser (Metadynamik).
Neuronale Netze adaptieren sich an die Umgebung mit Hilfe eines Lernalgorithmus, der die freien
Parameter der Netze ändert, hauptsächlich die Verbindungsstärken zwischen den Neuronen, aber
auch die Zahl der Neuronen, Schichten und Verbindungen sowie die Form der Aktivierungsfunktionen. Die evolutionären Algorithmen adaptieren sich im Wesentlichen durch Verändern der Attribute
in den Chromosomen. In allen Systemen werden auch Parameter benutzt, die über die Zeit
variieren.
7.4.5. Plastizität und Verschiedenartigkeit (Metadynamik)
Unter Metadynamik werden zwei Prozesse zusammengefasst, das Einfügen neuer Elemente in das
System und das Entfernen nutzloser Elemente. Man nennt diese Eigenschaft auch Plastizität. Sie
gibt dem System die Fähigkeit, sich an die Umwelt zu adaptieren. Sie hat zur Folge, dass auch die
Architektur des Systems sich mehr an die Umgebung anpassen kann und dass seine Suchfähigkeit
durch das Einfügen neuer Elemente gesteigert wird. Außerdem kann die Metadynamik die
Redundanz im System durch Entfernen überflüssiger Elemente vermindern.
Populationsbasierte AIS haben normalerweise eine feste Repertoiregröße. Einige Attributstrings
werden klonal expandiert oder positiv oder negativ ausgewählt, aber die endgültige Populationsgröße ist vorab festgelegt. Bei den Immunnetzwerken ist die Metadynamik eine ihrer wesentlichsten
Eigenschaften. Einzelne Zellen und/oder Verbindungen werden ständig zum Netz hinzugefügt oder
daraus entfernt. Wegen dieser Eigenschaft, nämlich sowohl die elementaren Komponenten als auch
die Struktur adaptieren zu können, werden die Immunnetzwerke manchmal als doppelplastische
Strukturen bezeichnet.
Bei den Neuronalen Netzen gibt es einen Unterschied zwischen den Standardformen und den
dynamischen Formen. Die ersten können sich nur durch Ändern der Verbindungsstärken zwischen
den Neuronen adaptieren. Bei den zweiten ist es möglich, Neuronen, Verbindungen und sogar
ganze Schichten aus dem Netz zu entfernen oder hinzuzufügen. Sie besitzen deshalb die
Eigenschaft der Metadynamik.
Bei den evolutionären Algorithmen würde Metadynamik bedeuten, dass individuelle Chromosomen
aus der Population entfernt werden und neue hinzugefügt, wodurch sich die Größe der Population
ändern kann. Die meisten evolutionären Algorithmen erlauben das nicht, nur solche mit Parametersteuerungs-Strategien erlauben es.
7.4.6. Interaktion mit anderen Komponenten
Bei den AIS besteht in dieser Hinsicht wieder ein Unterschied zwischen den populationsbasierten
und den Netzwerkmodellen. Bei den ersten gibt es keine Interaktion zwischen den Elementen, nur
mit der Umgebung. Bei den zweiten dagegen sind die Elemente miteinander verknüpft durch eine
Verbindung, die den Grad der Interaktion quantifiziert. Die Verbindungsstärke zwischen zwei
Zellen kann stimulierend oder hemmend sein, was zum Überleben und der klonalen Expansion der
Zelle beiträgt.
In den Neuronalen Netzen sind die Neuronen durch Kanten fest miteinander verbunden. Die
Verbindungsstärken können positiv (stimulierend) oder negativ (hemmend) sein. Ein einzelnes
Neuron interagiert mit anderen Neuronen einschließlich sich selbst oder mit der Umgebung nur
über diese Verbindungen.
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In den evolutionären Algorithmen sind die Chromosomen nicht miteinander verbunden, aber sie
interagieren miteinander durch die Reproduktionsoperatoren (Crossover) und/oder die Fitnessfunktion. Bei Nischen-Algorithmen gibt es auch die Interaktion über die Fitnessfunktion, weil hier
ähnliche Individuen denselben Fitnesswert bekommen (Fitness-Sharing) oder durch neue Individuen ersetzt werden (Crowding). Die Ähnlichkeit wird durch ein Abstandsmaß bestimmt. Bei den
Speziations-Algorithmen bestimmt die Ähnlichkeit, welche Individuen für die Crossover-Operation
in Frage kommen.
7.4.7. Interaktion mit der Umgebung
In AIS werden die antigenen Muster dem System präsentiert. Es findet ein Erkennungs- und Lernprozess statt, an dessen Ende jede Komponente des AIS das interne Bild eines Teils der Umgebung,
in der es sich befindet, repräsentiert. Soll eine Funktion mit einem AIS optimiert werden, dann
können die Attributstrings kodierte Werte der Eingabevariablen für die Funktion repräsentieren. In
diesem Fall müssen die Strings dekodiert und die Funktion ausgewertet werden.
Neuronale Netze nehmen Eingaben von der Umgebung auf, verarbeiten sie durch Propagieren
durch das Netz und erzeugen eine Ausgabe. Neuronale Netze werden typischerweise dazu verwendet, Informationen aus der Umgebung zu approximieren, zu klassifizieren oder zu optimieren.
In evolutionären Algorithmen stellen die Chromosomen Lösungen für ein Problem dar. Sie sind
kodierte Werte einer Kostenfunktion und bewerten die Richtung und die Qualität der Suche. Ein
einzelnes Element der Population spezifiziert die beste Lösung und repräsentiert die Umgebung. In
manchen Ansätzen stellt auch die ganze Population die Lösung dar und repräsentiert somit die
Umgebung. Nischen und Arten interagieren mit getrennten Teilbereichen der Umgebung.
7.4.8. Schwellenwerte
In AIS wird die Interaktion zwischen Antigen und Antikörper durch die Reaktivitätsschwelle 
beschränkt, die einen kleinen Interaktionsbereich um einen Attributstring (Antigen oder Antikörper)
herum spezifiziert.
Die Mehrzahl der Neuronalen Netze benutzen Schwellenwerte in den Aktivierungsfunktionen, die
auch durch eine Bias-Einheit mit entsprechend gewichteten Kanten zu den jeweiligen Einheiten
repräsentiert sein können. Der Schwellenwert bestimmt, wie sensitiv die Ausgabe einer Einheit im
Verhältnis zu ihrer Aktivierung ist.
In evolutionären Algorithmen gibt es keine expliziten Schwellenwerte. Man könnte aber die
Wahrscheinlichkeiten, mit denen die genetischen Operatoren angewendet werden, in diesem Sinn
verstehen, weil sie für das Maß an genetischen Veränderungen zuständig sind. Unter diesem Aspekt
kann man auch die Mutationsrate in AIS als Schwellenwert betrachten.
7.4.9. Robustheit
Wegen der Verteiltheit der Systeme auf viele Komponenten verschlechtert eine Beschädigung oder
fehlerhaftes Verhalten einzelner Elemente das Verhalten des Gesamtsystems nicht wesentlich. Alle
drei Systeme sind in hohem Maß robust. Die Elemente in den Systemen können kollektiv,
kooperativ oder kompetitiv agieren um eine bestimmte Aufgabe auszuführen.
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7.4.10. Verallgemeinerungsfähigkeit
Unter Verallgemeinerungsfähigkeit wird hier verstanden, dass ein System neue, ihm noch nicht
bekannte Daten behandeln kann und eventuell klassifizieren kann. Das System ist auf bestimmte
Daten trainiert worden und wird mit anderen Daten auf seine Verallgemeinerungsfähigkeit getestet.
In AIS kann ein Attributstring nicht nur sein genaues Komplement matchen, sondern auch ihm
ähnliche Strings. Die Menge der Strings, die gematcht werden können, ist durch die Reaktivitätsschwelle definiert. Jeder String innerhalb des Volumens V des Attributstrings m matcht m. V
verallgemeinert deshalb die in m enthaltene Information. Manche Immunologen vermuten, dass
Antikörper multispezifisch sein können, d.h. dass sie mit Antigenen relativ unterschiedlicher Strukturen matchen können, wenn genügend Interaktionen zwischen dem Antigen und dem betreffenden
Antikörper stattfinden. In diesem Sinn trägt Multispezifizität zur Verallgemeinerungsfähigkeit von
AIS bei.
Neuronale Netze können Eingabemuster generalisieren, wenn sie trainiert werden. Dies kann auf
zwei Arten geschehen: durch Verminderung der Dimensionszahl des Parameterraums oder durch
Verminderung des Umfangs jeder einzelnen Dimension, d.h. durch Modellauswahl oder Regularisierung bzw. Cross-Validation. Bei der Modellauswahl werden konstruktive oder Pruning-Methoden angewendet, während Regularisierung die Kostenfunktion minimiert und Cross-Validation die
Konvergenzkriterien beeinflusst.
Bei der Verwendung evolutionärer Algorithmen für die Optimierung spielt die Verallgemeinerungsfähigkeit keine Rolle. Anders ist dies bei ihrer Verwendung für die Mustererkennung oder
Klassifikation. Hier ist die Aufgabe, ein gemeinsames Schema zu finden, das von vielen Individuen
einer Population geteilt wird und eine andere Menge von Strings kollektiv matcht.
7.4.11. Nichtlinearitäten
In AIS gibt es Nichtlinearitäten hauptsächlich bei den Bindungsfunktionen, die spezifizieren, wie
stark die Bindung zwischen zwei Antikörpern entsprechend ihrer Affinität ist. In manchen AIS
werden Gauss-Funktionen verwendet, um die Wahrscheinlichkeiten der Reifung und Vermehrung
in Abhängigkeit von Grad der Verbindung einer Immunzelle im Netzwerk zu beschreiben.
Bei Neuronalen Netzen sind die Aktivierungsfunktionen der Einheiten oft nichtlinear. Das gesamte
Netz besitzt dadurch in hohem Maß die Fähigkeit nichtlineare Approximationen durchzuführen. Die
Aktivierungsfunktionen können unterschiedliche Gestalt haben, sie können z.B. Sigmoid- oder
Gauss-Funktionen sein.
In evolutionären Algorithmen gibt es keine explizite Nichtlinearität. Die Chance eines Individuums
auf Grund seiner Fitness ausgewählt zu werden, kann jedoch als eine Art Nichtlinearität betrachtet
werden. Ein ähnlicher Fall liegt auch bei AIS mit der Affinitäts-proportionalen Auswahl vor.
Manche evolutionären Algorithmen können die Fitnesswerte von Individuen verändern, z.B. bei
Fitness-Sharing. Sie benutzen meist eine nichtlineare Sharing-Funktion.
7.4.12. Charakterisierung
Die drei Systeme können nach ihrer Struktur und nach dem in ihnen realisierten Paradigma
klassifiziert werden. Dies ist in Tabelle 7.2 dargestellt.
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Charakterisierung
AIS
Struktur
Populationsbasiert oder netzwerkbasiert
Paradigma
Lernen und/oder Evolution
NN
EA
Netzwerkbasiert Populationsbasiert
Lernen
Evolution
Tabelle 7.2
7.4.13. Zusammenfassung der Ähnlichkeiten und Unterschiede
Die Ähnlichkeiten zwischen AIS, Neuronalen Netzen und evolutionären Algorithmen sind kurz
zusammengefasst in Tabelle 7.3 dargestellt.
Vergleich zwischen AIS, NN und EA
AIS
NN
EA
Komponenten
Attributstrings
Einheiten
Chromosomen, als
Strings repräsentiert
Struktur
Diskrete Elemente oder
Netz
Diskrete Elemente
Netzstruktur
Wissensspeicherung Attributstrings und
Verbindungsstärken
Chromosomenstrings
Verbindungsstärken
Dynamik
Lernen und Evolution
Lernen
Evolution
Metadynamik
Entfernen und Einfügen
Konstruktive und
Entfernen und Einfüvon Komponenten
Pruning-Algorithmen
gen von Komponenten
Interaktion zwischen Erkennen von AttributNetzverbindungen
Rekombinationsstrings oder
operatoren und
den Komponenten
Netzverbindungen
Fitnessfunktion
Interaktion mit der
Erkennung von EingabeEingaben über die
Auswertung einer
mustern oder Auswertung Eingabeplätze
Umgebung
Zielfunktion
einer Zielfunktion
Schwellenwerte
Beeinflussen die Affinität
Beeinflussen die
Beeinflussen
der Komponenten
Aktivität der Einheiten Mechanismen der
genetischen Variation
Robustheit
Population bzw. Netz von Netz von Komponenten Population von
Komponenten
Komponenten
Verallgemeinerungs- Reaktivitätsbereich
Extrapolation durch das Entdeckung gemeinfähigkeit
Netz
samer Schemata
Nichtlinearität
Bindungsfunktionen
Aktivierungsfunktionen Nicht explizit
der Einheiten
Paradigma
Evolution und/oder Lernen Lernen
Evolution
Tabelle 7.3
Technische Universität Chemnitz
Sommersemester 2006
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