Erfahrungsbericht Singapur Ein Austauschjahr in Singapur: Dass dies anders als bei einem Austauschprogramm über Erasmus in einem europäischen Land beispielsweise bedeutet, dass man nicht mal eben für ein paar Tage nach Hause fahren kann, war mir klar. Doch auch in der Vorbereitungsphase zeigten sich schon Unterschiede: Trotz eines schlechten Gefühls nach dem Bewerbungsgespräch, bekam ich relativ bald eine Zusage. Eine Zusage bedeutet jedoch nicht automatisch eine Zusage für einen Studienplatz an der National University of Singapore (NUS), sondern lediglich für das Austauschprogramm durch die Universität Heidelberg vorgeschlagen zu werden. Die letzte Entscheidung liegt damit immer noch bei der NUS. Zwar wurde mir gesagt, dass diese zu 99% den Vorschlägen der Uni Heidelberg nachkommt, für mich stellte sich aber dennoch die Frage, ob ich auf dieser Grundlage eine Flug buchen sollte, der an die € 1000 kostet. Die Nichtannahme an einer Hochschule wird von einer Reiserücktrittsversicherung schließlich nicht abgedeckt. So stieg mit der Unruhe, noch immer keine Bestätigung von der NUS erhalten zu haben, auch die Unruhe, dass der Flugpreis immer weiter stieg. Auch diese Unruhe löste sich aber in Wohlgefallen auf, als die Zusage endlich ins Haus flatterte und ich auch noch einen relativ günstigen Flug ergattern konnte. Der Zeitdruck rasch einen Flug zu buchen herrscht, da in Singapur andere Semesterzeiten gelten als in Deutschland: Das „Wintersemester“ beginnt in Singapur nämlich schon Anfang August und endet um den Nikolaustag herum. Das „Sommersemester“ wiederum beginnt kurz nach Silvester und dauert bis Anfang Mai. Dadurch steht überhaupt wenig Zeit zur Vorbereitung zur Verfügung. Zum Ende des Semesters musste ich meine Wohnung auflösen, die Möbel bei meinen Eltern in Frankfurt zwischenlagern und von dort quasi direkt an den Flughafen eilen. Semesterferien sind also gestrichen, das sollte jedoch kein ernsthaftes Argument gegen einen Auslandsaufenthalt in Singapur sein. Glücklicherweise ist für Formalitäten ohnehin nicht allzu viel Zeit zu veranschlagen. Etwas verwirrend ist lediglich das Visumsystem: Die Bewerbung für Studienvisa funktioniert online über ein Programm namens SOLAR. Nach der Bewerbung erhält man jedoch noch kein Visum, sondern lediglich einen Ausdruck des Eingangs der Bewerbung. Mit diesem Ausdruck und einem Brief, der erst bei der Registrierung an der Universität übergeben wird, kann dann der „student pass“, also das Visum, bei der zuständigen Behörde abgeholt werden. Dem Personal der Fluggesellschaft war dies bei meinem Abflug leider nicht bekannt. Daher musste ich auf Grund eines fehlenden Visums eine „indemnity form“ unterschreiben, in der ich zu garantieren hatte, selbst für sämtliche Kosten aufzukommen, falls mir die singapurischen Behörden die Einreise verweigern sollten. Dies hat meinen Flug natürlich nicht angenehmer gemacht. Neben den Formalitäten hatte ich mich auf meinen Aufenthalt noch vorbereitet, indem ich mich, hauptsächlich mit Hilfe des Internets, über Singapur informiert hatte. So wusste ich etwa, dass Singapur sich, was seine Pressefreiheit betrifft, nach Statistiken der Reporter ohne Grenzen zwischen Ländern wie dem Sudan oder Weißrussland tummelt. Ebenso hatte ich von den gleichzeitig herrschenden liberalen Wirtschaftsbedingungen gehört. Im Großen und Ganzen war es aber doch ein Sprung ins kalte Wasser. Ich bin im Übrigen aber der Meinung, dass ein Auslandsaufenthalt geradezu zwangsläufig ein solcher Sprung ist. Das würde ich keineswegs als negativ bezeichnen, denn ein Auslandsaufenthalt dient ja auch dazu, in einem ungewohnten Umfeld zurecht zu kommen. Jedenfalls würde ich meine Erfahrung, mich im ungewohnten Singapur zu orientieren, ohne jemanden zu kennen und ohne allzu viel über das Land zu wissen, als einen sehr wichtigen Teil und große Bereicherung meines Aufenthaltes bezeichnen. Singapur ist zunächst einmal nicht so fremd, wie man sich das vielleicht vorstellt. Sicherlich ist die absolute Mehrheit der Menschen asiatischer Herkunft und das Stadtbild ist nicht nur von modernen Hochhäusern, sondern auch teilweise von traditionellen chinesischen „shophouses“ geprägt. Doch durch die gute Organisation der Stadt, den Wohlstand und das im Verhältnis zu anderen asiatischen Städten geringe und vor allem geordnete Verkehrsaufkommen, besteht eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Stadt wie Frankfurt. Überhaupt macht der hohe Entwicklungsstand es relativ leicht, sich in der Stadt einzuleben: Der öffentliche Nahverkehr ist recht gut ausgebaut (leider ist der Campus noch nicht sonderlich gut angebunden) und auch günstige Taxipreise fördern das Erkunden der Stadt. Es gibt zahllose Restaurants und gut bezahlbare „Food Courts“ die hervorragendes asiatisches Essen anbieten, das anders als in vielen anderen Ländern Südostasiens auch überall unbedenklich gegessen werden kann. Für Zeiten des Heimwehs oder der Reismüdigkeit gibt es Einrichtungen wie ein deutsches Brauhaus oder italienische Restaurants. Neben „Shopping“ ist Essen eine der großen Leidenschaft der Singapuris. Und so erweist sich gerade das kulinarische Angebot als Spiegelbild der multikulturellen Gesellschaft: Schon an der Universität gibt es in jeder Mensa jeweils mindestens einen Stand mit chinesischem, malaysischem, japanischen und „westlichem“ (meist weniger empfehlenswert, da sehr britisch geprägt) Essen. Dieser Mikrokosmos bedeutet auf die ganze Stadt hin, dass in den verschiedenen Bereichen wie Chinatown, Little India, Arab Street und Holland Village jeweils zahllose Restaurants ihre landestypischen Spezialitäten anbieten. Doch selbstverständlich wird in diesen Vierteln nicht nur die regionale Küche, sondern auch die Kultur gepflegt, da sich dort tatsächlich fast ausschließlich die jeweiligen Bevölkerungsgruppen aufhalten. Vom Staat wird dieses Ausprägen der eigenen Kultur beispielsweise dadurch gefördert, dass Kinder mit einem bestimmten ethnischen Hintergrund auch diese Sprache in der Schule erlernen müssen. Zudem sind die wichtigsten Feiertage der größten Religionsgruppen auch nationale Feiertage in Singapur. So bietet Singapur die großartige Gelegenheit, Einblicke in verschiedene Religionen zu erhalten. Insgesamt habe ich bei meinem Aufenthalt es so empfunden, dass Singapur zwar ein sehr multikultureller Staat ist, jede Bevölkerungsgruppe aber mehr oder weniger für sich selbst lebt, wie sich schon in den oben genannten Vierteln zeigt. Überhaupt spielt die „Rassenzugehörigkeit“ im öffentlichen Leben eine große Rolle. Dies wurde schon angedeutet, als ich für meinen Visumsantrag aus etwa 40 „Rassen“, meine auswählen musste. Singapuris müssen dies regelmäßig im Behördenverkehr tun. Die „Rasse“ wird dann etwa berücksichtigt, indem jeder Minderheit eine bestimmte Anzahl an Sitzen im Parlament zusteht. Auch bei der Vergabe von Wohnungen in öffentlicher Hand kommt die „Rasse“ zum tragen, indem darauf geachtet wird, dass keine Bevölkerungsgruppe in einem Haus einen zu starken Einfluss hat. In solchen Maßnahmen zeigt sich die Sorge der Regierung vor Spannungen zwischen den Bevölkerungsgruppen. Die Regierung ist ganz besonders auf Stabilität bedacht, da der bahnbrechende Erfolg Singapurs zu einem großen Teil seiner politischen Stabilität geschuldet ist. Es darf hierbei aus meiner Sicht jedoch keineswegs vergessen werden, dass diese Stabilität durch Mittel erreicht und erhalten wurde, welche die Rechte des Einzelnen wesentlich einschränken. Demonstrationen etwa sind in Singapur grundsätzlich nicht erlaubt. Der Weltöffentlichkeit wurde dies beim Gipfel des IWF und der Weltbank vor Augen geführt, als die singapurische Einwanderungsbehörde selbst solchen NGOs den Zutritt in das Land verweigerten, die von dem IWF ausdrücklich eingeladen worden waren. Den wenigen Vertretern, die schließlich einreisen durften, wurde dann erlaubt innerhalb eines zugewiesenen Gebäudes zu demonstrieren, keinesfalls unter freiem Himmel. Einschränkungen des Staates wirken bis in den persönlichsten Bereich der Bürger. Dies wird etwa an Gesetzen zu sexuellen Praktiken deutlich. Bis Anfang 2007 standen Oral- und Analsex unter Strafe. Im Laufe einer Gesetzesreformation wurde dies geändert, sexueller Verkehr unter Gleichgeschlechtlichen ist jedoch weiterhin ein strafbewährtes Vergehen. Ein allgemein anderes Verhältnis gegenüber Sexualität wurde auch auf dem Campus deutlich: So war z.B. Besuch auf dem Zimmer im Wohnheim durch ein Mitglied des anderen Geschlechts nur dann erlaubt, wenn die Tür geöffnet blieb. Ich muss allerdings hinzufügen, dass ich nie von Fällen gehört habe, in denen Verstöße gegen dieses Verbot bekannt wurden. Dies ist sicherlich nicht auf fehlende Verstöße, sondern auf fehlende Kontrolle zurückzuführen. Ich kann mir vorstellen, dass nach meinen vorigen Ausführungen die Frage aufgeworfen wird, wie sich ein solch striktes Regime auf das Leben an der Universität auswirkt. Ich muss dazu sagen, dass ich teilweise erst durch meine Kurse an der NUS von bestimmten Einschränkungen erfahren habe. In meinem Kurs „Anti-Terrorism Law and Policy“ etwa haben wir die Möglichkeiten des singapurischen Staates, Bürger ohne einen Prozess festzuhalten besprochen und kontrovers diskutiert. Andere Professoren machten immer wieder Witze über so genannte „government linked corporations“. Zudem habe ich wiederholt sehr kritische Aufsätze eines Professors der NUS über die in Singapur herrschende und offensichtlich von der breiten Bevölkerung akzeptierte Todesstrafe gelesen. Zugegebenermaßen wurden diese Artikel in juristischen Zeitschriften veröffentlicht und keineswegs in Zeitungen, die üblicherweise von dem Volk gelesen wurden. Ausdrücken möchte ich damit jedoch, dass das akademische Umfeld der Universität, so wie ich es im juristischen Fachbereich kennen gelernt habe, kaum vom restriktiven Wesen des Staates beeinflusst wurde. Interessante Erscheinungen waren jedoch, dass einige meiner Kurse auch von Angestellten des Staates, also etwa Mitarbeitern von Ministerien, zur Weiterbildung besucht wurden. Ich kann mir gut vorstellen, dass dadurch jedoch auch ein gewisses Maß an Kontrolle ausgeübt wurde. Abschließend zu meinen Ausführungen über das Staatswesen in Singapur möchte ich zwei Anmerkungen machen: Zum einen konnte ich in Singapur ein ganz normales Leben als Austauschstudent führen. Auf der Straße sind kaum Polizisten, viel weniger als in Deutschland zu sehen. Dies bedeutet natürlich nur, dass sehr viele verdeckt arbeiten, weshalb stets mit einer bestimmten Überwachung zu rechnen ist. Unter der Prämisse nicht öffentlich zu Demonstrationen gegen die Regierung aufzurufen und mit Rücksicht auf die drakonischen Strafen, etwa für Drogenvergehen, ist jedoch zumindest gefühlt ein ebenso freies Leben möglich wie in einem europäischen Staat. Zum anderen, auch wenn ich ein Verfechter einer offenen liberalen Gesellschaft bin, habe ich es doch als gewisse „Würze“ meines Auslandsaufenthaltes empfunden, dabei nicht nur andere Menschen, andere Kulturen und andere Studieninhalte kennen zu lernen, sondern auch eine andere Staatsform. Nun möchte ich jedoch zum uneingeschränkt positiven Teil, der Beschreibung meiner Studien an der NUS kommen. Das akademische Angebot der NUS äußert sich zunächst einmal in einer großen Anzahl von Kursen: Dieses Angebot umfasst unzählige Kurse im internationalen Recht aber auch regionsspezifische Kurse, insbesondere Einführungen in Rechtssysteme anderer asiatischer Länder und einige Kurse im chinesischen Recht. Im ersten Semester habe ich für mich für eine Mischung von wirtschaftlich und politisch geprägten Kursen entschieden und im zweiten Semester meine Studien auf Investment Kurse fokussiert. Die Klassengrößen lagen bei mir zwischen 20 und 50 Personen, was immer eine persönliche Betreuung durch die Dozenten garantierte. Nur so ist es möglich, dass auch Präsentationen oder Aufsätze und sogar die mündliche Beteiligung teilweise in die Noten mit einfließen. Die Dozenten waren durchweg sehr engagiert, kompetent und gestalteten einen interessanten interaktiven Unterricht. Jeder der Professoren besitzt mindestens einen Abschluss aus dem Ausland, in der Regel einen LLM einer amerikanischen Ivy-League Universität oder von Oxbrigde. Dies bürgt für Qualität und die juristische Fakultät der NUS gilt wohl zu recht als beste in ganz Asien. Besonders hervorheben möchte ich die Internationalität der Universität insgesamt und der Fakultät im Besonderen: Nicht nur die Professoren kommen aus unterschiedlichen Ländern wie Sri Lanka, Kanada oder Australien. Auch unter den Studierenden machen die ausländischen einen sehr großen Anteil aus. Es gibt zahlreiche Master-Studenten und während meines Aufenthaltes gab es immer mindestens 60 andere Austauschstudenten aus Nordamerika, Asien, Europa und Australien. So herrscht eine internationale und offene Atmosphäre. Auch die Betreuung der Austauschstudenten ist dank dieser Erfahrung erstklassig. Die juristische Fakultät befindet sich auf einem eigenen Campus. Dies hat den Nachteil, dass etwa 20 Minuten mit dem Shuttle-Bus einzurechnen sind. Der Vorteil ist ein wunderschön gelegener klosterähnlicher Gebäudekomplex, der erst 2007 fertig gestellt wurde und somit technologisch auf dem neusten Stand ist. Zudem werden Annehmlichkeiten wie ein Fitnessstudio und eine Studenten-Lounge mit Couches und Billardtisch geboten. Fast wöchentlich gibt es Vorträge zu interessanten Themen und ich hatte z.B. auch die Möglichkeit während meines Aufenthaltes an einem Workshop zum Thema „Bilaterale Investmentverträge“ teilzunehmen, der mir ermöglichte, interessante Kontakte zu knüpfen. Schließen möchte ich damit, dass ich durch meinen Aufenthalt in Singapur sehr vielschichtig profitiert habe. Ich konnte meine Neugier fremde Länder kennen zu lernen befriedigen, indem ich Singapur als Sprungbrett genutzt habe, Südostasien zu erkunden. Fachlich habe ich mir zuvor vollkommen unbekannte Themenbereiche lernen und schätzen gelernt, in denen ich mir nun gut vorstellen kann, später mal tätig zu werden. Menschlich habe ich unzählige interessante Menschen aus der ganzen Welt kennen lernen und so Netzwerke knüpfen können, die sicherlich lange Bestand haben werden. Ich bin der Baden-Württemberg Stiftung zu tiefstem Dank verpflichtet, da sie mir erst all diese Möglichkeiten eröffnet hat.