Rückenprobleme

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Rückenprobleme
Das empfindliche Gerüst
Von FOCUS-Online-Autorin Petra Apfel
Flexibel und stabil, bewegungsfreudig und knallhart – unser Rücken ist
sensationell gebaut. Und sensibel wie eine Mimose. Um Rückenschmerz
in den Griff zu bekommen, gehen Experten neue Therapiewege.
Probleme mit dem Rücken – eher Regel als Ausnahme
80 Prozent der Deutschen erleben mindestens einmal im Leben heftige Schmerzen
zwischen Nacken und Steißbein. Zu jedem beliebigen Zeitpunkt haben 39 Prozent der
Frauen und 31 Prozent der Männer hierzulande gerade irgendeinen Schmerz im
Rücken. Jede fünfte Frau und jeder siebte Mann leiden nach dem Gesundheitsbericht
des Robert-Koch-Institutes für 2006 an chronischen Schmerzen entlang der
Wirbelsäule.
Demgegenüber steht, dass nur Bruchteil der Rückenpatienten unter Schmerzen mit
konkreten organischen Ursachen leiden. Für die anderen lassen sich trotz
aufwändiger Diagnose keine eindeutigen Ursachen feststellen. Das heißt: Teure
bildgebende Verfahren wie Kernspin- oder Computertomographie zeigen keine
Veränderungen der Wirbel oder Bandscheiben. Die subjektiv empfundenen
Schmerzen stehen in keinem Verhältnis zu den medizinischen
Untersuchungsergebnissen.
"Das Problem ist, dass viele Mediziner Rückenschmerzen noch immer zu wenig
differenziert betrachten“, sagt dazu Hans-Raimund Casser, Leiter des DRK SchmerzZentrums im Mainz. „Funktionsstörungen durch Fehlhaltungen und muskuläres
Ungleichgewicht und vor allem die psychosozialen Aspekte werden oft völlig
vernachlässigt. Aus Unsicherheit in der Diagnose kommen dann viele HightechMethoden zum Einsatz, die überflüssig sind.“
Umdenken in der Therapie
Die Diskrepanz zwischen zunehmenden Rückenschmerzen und kaum nachweisbaren
organischen Ursachen setzte ein Umdenken der Mediziner in Gang: weg von zu viel
Diagnostik, raus aus Schonhaltung und passiver Behandlung, hin zu aktiver
Schmerzregulierung, zurück in den Alltag, rein in die Bewegung. Fachleute sind
zunehmend der Ansicht, dass eine „Übertherapie“ Rückenschmerzen eher verlängert
und den Übergang von akuten Rückenbeschwerden in chronische Schmerzen fördert.
„Den Großteil der Rückenprobleme kann man in der Tat sehr zurückhaltend
behandeln. Manchmal genügt schon die Aufklärung des Patienten, dass er in
Bewegung bleiben und seinen Lebensrhythmus beibehalten soll“, erklärt der
Schmerz-Mediziner Casser.
Mit einer Kombination aus Vorbeugung – unter Berücksichtigung psychosozialer
Faktoren wie Lebens- und Arbeitszufriedenheit – sowie Bewegungsprogrammen soll
dem Problemkreis Rücken der Krankheitsaspekt genommen werden, und vor allem:
Es soll verhindert werden, dass aus akuten Rückenschmerzen chronische
Beschwerden werden. Denn die können den Betroffenen das Leben zur Hölle
machen.
Fachliche Beratung: Prof. Dr. Hans-Raimund Casser, Ärztlicher Direktor am DRK
Schmerz-Zentrum in Mainz und Prof. Dr. Thomas Kohlmann, Institut für C
Der ganzheitliche Schmerz: Seelenqual und Kreuzweh
Der Seelenzustand beeinflusst das körperliche Wohlbefinden, Schmerz zermürbt die
Psyche – diese Wechselwirkung macht sich natürlich auch bei Rückenschmerzen
bemerkbar. Der Mediziner Hans-Raimund Casser sieht es täglich in der Klinik: „Wir
wissen heute, dass Probleme im psychosozialen Umfeld sehr oft Verspannungen und
damit Rückenschmerzen verursachen. Andererseits drücken häufige oder dauerhafte
Schmerzen die Stimmung. So ein Schmerz kann die Persönlichkeit verändern.“
Menschen die unter Depressionen leiden, haben doppelt so häufig Rückenschmerzen
wie Frohnaturen. Aber auch ein Schicksalsschlag wie der Tod eines geliebten
Menschen, der Jobverlust oder tagtägliche Überforderung können die seelische und
körperliche Balance aus dem Gleichgewicht bringen. Als Erstes reagiert die
Schwachstelle des Körpers auf den Extremstress, bei vielen eben der Rücken.
Schmerzen spielen dabei eine zentrale Rolle. Denn mit einem körperlich spürbaren
Schmerz kann man dem seelischen Problem ausweichen. Man kann aber auch
endlich einmal ohne schlechtes Gewissen sagen „ich kann nicht mehr“, weil man ja
diese Schmerzen hat.
Psychische Aspekte tragen auch dazu bei, dass Rückenschmerzen chronisch werden.
Dazu gehört etwa der Glaube des Patienten, dass Rückenschmerzen gefährlich sind,
dass eine falsche Bewegung sie noch schlimmer macht. Betroffene steigern sich in ein
Angst-Vermeidungs-Verhalten, und die Furcht vor neuem Schmerz bestimmt ihr
ganzes Leben.
Rückenfreundliche Haltung: Raus aus dem Einerlei
Dass der aufrechte Gang an unseren Rückenproblemen Schuld trägt, wird oft betont.
Nur – damit müssen wir leben. Wir können schlecht auf allen Vieren kriechen, weil
es die Wirbelsäule entlastet. Allerdings tun wir dem strapazierten Kreuz im Alltag
vieles an, was wir problemlos anders und besser machen könnten: beim Sitzen,
Stehen, Gehen, mit Mobiliar, Schuhen, Freizeitverhalten, im Büro, hinter dem Steuer
und beim Sport.
Vor allem braucht die Wirbelsäule eines: jede Menge Abwechslung. Sie muss sich viel
bewegen, aber zwischendurch auch mal ausruhen. Sie muss sich gerade halten, aber
auch mal rumlümmeln dürfen. Sie mag sich dehnen und strecken, biegen, beugen
und drehen. Sie ist für Aktivität geschaffen, wie ihr Aufbau zeigt. Und sie kann es
ganz wunderbar, wenn starke Muskeln sie stabilisieren, Belastungen auffangen und
abfedern.
Ursachenforschung: Schmerzen, aber keine Krankheit
Trotz allem medizinischen Know-hows ist erstaunlich wenig über die Ursachen und
den Verlauf von Rückenproblemen bekannt. Der Grund: Rückenschmerzen entstehen
meist allmählich, verändern sich, werden kompensiert. „Viele Betroffene nehmen die
Schmerzen nicht besonders ernst, solange sie erträglich sind“, weiß der Orthopäde
Hans-Raimund Casser. Und wenn der Schmerzgeplagte endlich zum Arzt geht, lassen
sich die vielfältigen Symptome nicht mehr eindeutig zuordnen. Organische Ursachen
sind meist nicht feststellbar.
Dabei wird der Grundstein für die Schmerzen vermutlich bereits im frühen Alter
gelegt., berichtet die Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie. Vor Jahren seien die
Menschen pro Tag bis zu 15 Kilometer zu Fuß gegangen, heute laufen die meisten nur
noch 900 Meter.
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