Von Mischa Ehrhardt

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Rundfunk
hr2-kultur
Redaktion: Volker Bernius
Wissenswert
Was bleibt von Spinoza?
Von Mischa Ehrhardt
Freitag, 23.11.2007, 08.30 Uhr,
hr2-kultur
Sprecherin: Ilona Strauß
Sprecher:
Helmut Winkelmann
07-114
COPYRIGHT:
Seite 2
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Zitator:
„Dieses Buch ist voll von Frevel und Gottlosigkeit, wahrlich wert, in die Finsternis der
Hölle zurückgeworfen zu werden, woraus es zum Schaden und zur Schande des
Menschengeschlechts ans Licht gekommen ist. Der Erdkreis hat nichts
Verderblicheres die Jahrhunderte her gesehen.“
Sprecherin:
Dieses Buch, von dem hier gesprochen wird, stammt von Baruch de Spinoza; ein harsches
Urteil eines zeitgenössischen Professors. Doch nicht nur ihm missfällt die Philosophie
Spinozas: Thomasius, ein anderer Denker seiner Zeit, spricht von Spinoza als einem
„lichtscheuen Schreiber, einem lästernden Erzjuden und völligem Atheisten“, ja: einem
„scheußlichen Ungeheuer“. Andere werfen ihm „philosophischen Lumpenkram“ vor,
beschimpfen ihn als „elenden Wicht“, der „Werke der Finsternis“ schreibe und betreibe. Und
so kann heute der Philosoph Wilhelm Weischedel in seinem Buch „Die philosophische
Hintertreppe“ schreiben, dass Spinoza ohne Zweifel der Philosoph sei, der in der Geschichte
die meisten Beschimpfungen auf sich gehäuft habe.
Doch dabei bleibt es nicht. Den Spinoza-Feinden, die ihn beschimpfen und hassen treten
andere entgegen, die nicht minder wortgewaltig Spinoza verehren. Darunter Lessing, der
schreibt, es gebe keine andere Philosophie als diejenige Spinozas. Herder gesteht, ihn
mache diese Philosophie sehr glücklich, ihm gehe sogar das Herz auf, wenn er „von dieser
allzu erhabenen Philosophie nur einen Laut höre“. Und schließlich schreibt kein geringerer
als Goethe über den Philosophen:
Zitator:
Ich fühle mich ihm sehr nahe, obgleich sein Geist viel tiefer und reiner ist als der
meinige… Die alles ausgleichende Ruhe Spinozas kontrastierte mit meinem alles
aufregenden Streben … und … machte mich zu seinem leidenschaftlichen Schüler, zu
seinem entschiedensten Verehrer.
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Musikakzent
Sprecher:
Verehrung und Hass – an Spinoza scheiden sich die Geister seiner Zeit. Spinoza ist ein
Rationalist, dessen Denken die Idee Gottes konsequent einschließt. Glaube und Vernunft
finden hier zueinander – das musste fast zwangsläufig Widerspruch hervorrufen. Mit diesen
Polen seines Denkens postiert sich Spinoza weder als radikaler Aufklärer, noch als
Überlieferer der Tradition. Er sitzt gleichsam zwischen den Stühlen – und diese Konstellation
seines Denkens macht ihn bis heute lesenswert.
Prof. Thomas Schmidt 1
Was ich spannend finde an Spinoza ist
Sprecherin:
Sagt der Frankfurter Philosoph Thomas Schmidt –
Prof. Thomas Schmidt 1
dass er über viele Fragen nachdenkt, die heute auch eine breitere Öffentlichkeit
interessieren wenn wir an Philosophie denken. Das ist das Verhältnis von Freiheit und
Determinismus aber das ist gerade auch das Verhältnis von Religion und moderner
Wissenschaftlichkeit und das Verhältnis von Religion und Politik in einem
pluralistischen Umfeld. Und dabei ist das Interessante an Spinoza, dass er zwischen
den Stühlen sitzt: Weder ist er jemand, der sagt, wir brauchen die Religion weil es
ohne Religion kein funktionierendes Gemeinwesen gibt; er fordert auch nicht zu einer
sentimentalen Rückkehr, zu einer religiösen Tradition auf. Auf der anderen Seite ist er
aber auch kein oberflächlicher, radikaler, eindimensionaler Religionskritiker – er ärgert,
wenn Sie so wollen, auch die radikalen Aufklärer dadurch dass er sagt: Die Idee
Gottes ist eine unverzichtbare vernünftige Idee.
Sprecher:
Der Frankfurter Philosoph Thomas Schmidt. Spinoza lebt in einer Zeit der Umbrüche: In
Europa tobt der dreißigjährige Krieg. Der merkantile Kapitalismus erhebt sein Haupt und
krempelt die tradierte Gesellschaftsform um. Und die aufstrebenden modernen
Naturwissenschaften dienen zunehmend als Kompass für die geistige Orientierung. Zudem
entwickelt sich in Europa auch langsam so etwas wie ein religiöser Pluralismus.
Die Eltern von Spinoza waren Juden auf der iberischen Halbinsel und emigrieren in die
Niederlande. In der dortigen Gemeinde und Talmud-Schule stellt der junge Spinoza bereits
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das tradierte Lehrer-Schüler-Verhältnis in Frage. Er formuliert Einwände, die seine Lehrer für
unangemessen halten. Doch Spinoza meint, wer wirklich lernen will, der sollte weder seinem
Lehrer noch sonst einer Autorität vertrauen; er muss den Dingen selbst auf den Grund
gehen. Das gilt auch für die heiligen Schriften selbst. Und so wird Spinoza zum Begründer
der historisch-kritischen Bibelanalyse. Und macht sich damit natürlich unbeliebt, erklärt Jörg
Splett, Professor für Philosophie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule StGeorgen in Frankfurt.
Prof. Jörg Splett 2
2’17In diesem allgemeinen Umbruch der dort stattfand ist er nun ein ganz eigenwilliger
und eigenständiger Denker, weil er begann zu sagen: das ist ja unmöglich, dass das 5.
Buch Mose von Mose geschrieben wurde, wo doch sein Tod mit behandelt wurde. Das
führte dann dazu, dass er ganz feierlich aus der Synagoge ausgestoßen wurde. Damit
musste er dann auch aus dem elterlichen Geschäft heraus. Und er hat sich dann
ernährt vom Linsenschleifen.
Musikakzent
Sprecherin:
Aus der Gemeinschaft ausgeschlossen vereinsamt der Einzelgänger Spinoza weiter. Er lebt
zurückgezogen in seinem Studierzimmer, tagsüber schleift er optische Linsen und verdient
sich so das zum Leben Notwendige. In seinen Gedanken und Studien kümmert sich Spinoza
nicht um gängige Meinungen, Tradition ist wie alles andere zu hinterfragen. Sein
bescheidenes Leben also steht im Dienste der Wahrheit und sein friedfertiges Motto lautet:
Zitator:
Ich lasse jeden nach seiner Natur leben und, wer will, mag für sein Heil sterben: wenn
ich nur für die Wahrheit leben darf.
Sprecherin:
Den Ansatz von Wahrheit findet Spinoza bei René Descartes. Der hatte angenommen, dass
es in der Welt zwei verschiedene Substanzen gebe. Die denkende Substanz oder die Seele
und die unbelebte, ausgedehnte Substanz – die leblose Materie. Zwischen beiden besteht
ein Abgrund, den Descartes nicht überbrücken konnte. Denn wie könnte die eine auf die
andere Substanz einwirken, wenn es zwei derart verschiedene Substanzen sind? Spinoza
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setzt bei dieser Frage an und versucht nun, beide Substanzen nicht wie Descartes zu
trennen, sondern nebeneinander, ja: ineins zu denken. Und diese Substanz ist Gott.
Prof. Jörg Splett 3
5‘25Für ihn heißt Substanz eine Wirklichkeit, die ganz aus sich ist und sich aus sich
erklärt und aus sich sein kann und da kann es nur eine absolute Substanz geben. Und
diese eine Substanz, die hat jetzt unendlich viele Eigenschaften,
Wesenseigenschaften. Weil sie zugleich vollkommen und unendlich ist hat sie
unendlich viele Eigenschaften. Und von diesen Eigenschaften kennen wir nur zwei,
das Denken und die Ausgedehntheit.
Sprecherin:
Materie und Geist denkt Spinoza also in einer Substanz zusammen. Und diese Substanz ist
bei ihm nichts anderes als Gott. Die ausgedehnte Materie unserer Welt, alle Dinge um uns
herum und in der Natur sind bloße Eigenschaften des göttlichen Wesens; und wie alles
andere, so ist auch das menschliche Denken eine Eigenschaft der göttlichen Substanz. Alle
Bewegungen in der Natur kommen aus der Kraft Gottes. Er ist keine erste Ursache, der die
Prozesse der Natur einmal angestoßen hat und nachher seine Schöpfung beschauen könnte,
sondern Gott wirkt immer und in allem fort.
Zitator:
Alles, was ist, ist in Gott, und nichts kann ohne Gott sein oder begriffen werden. Gottes
Vermögen ist seine Wesenheit selbst.
Sprecherin:
Weil Gott die denkende Substanz ist, ist die Natur und deren Wandel wohl geordnet und
mathematisch beschreibbar, nicht etwa chaotisch. Und da nun die Natur selbst Ausdruck
Gottes ist, muss auch deren naturgesetzlicher Ablauf eine Eigentümlichkeit Gottes sein.
Damit aber gibt es keine Freiheit Gottes mehr im Sinne der christlichen Theologien. Der
Religionsphilosoph Thomas Schmidt:
Prof. Thomas Schmidt 4
1’45/2 Der Gedanke, dass er einen von der Welt radikal unabhängigen Schöpfer gibt,
das ist ein Gedanke, den Spinoza in der Tat kritisiert. Insofern ist das, was wir
Theismus nennen, also der Gedanke eines persönlichen Wesens, das die Welt
schafft, etwas, was Spinoza distanziert betrachtet.
Seite 6
Sprecherin:
Im Gegensatz dazu kann man Spinozas Philosophie als Pantheismus bezeichnen. Gott ist
nicht mehr persönlich zu begreifen, sondern zeigt sich in allen Erscheinungen der Welt. Und
die läuft nach der inneren Notwendigkeit Gottes ab. Philosophen und weise Menschen
bemühen sich daher, die Welt so zu sehen, wie Gott sie sieht – unter dem Aspekt der
Ewigkeit. Und das wiederum bedeutet die Einsicht in die Notwendigkeit dessen, was passiert.
Philosophisch ausgedrückt also zu ergründen, welche notwendigen Ursachen hinter den
sichtbaren Erscheinungen liegen. Nun ist der Mensch aber auch ein Teil dieser Natur und
wird von äußeren Ursachen bestimmt. Insofern gibt es für den Menschen ebensowenig eine
Willensfreiheit, wie es einen Zufall in der Natur gibt. Jörg Splett spricht daher von einer
Haltung der Ergebenheit in der Philosophie Spinozas:
Prof. Jörg Splett 5
18’50 Es gibt keine Freiheit, es gibt eigentlich keine Möglichkeiten, sondern das
Wirkliche ist möglich und das Mögliche ist wirklich, da könnte man auch sagen, es ist
notwendig; alles, was ist, ist notwendig und deswegen heißt die Grundhaltung
eigentlich Ergebenheit. Warum er dann überhaupt noch Vorschläge macht, also dass
man an sich arbeiten soll, seine Affekte in den Griff bekommen soll, wenn doch alles
schon notwendig ist, das kann man sich fragen. Das ist genau die Spannung, die in
ihm drin steckt: Einerseits herrscht eherne Notwendigkeit und deshalb hat man sich
dahinein zu begeben und das zu bejahen sogar, so wie in der Antike man gesagt hat,
den, der will, den führt das Schicksal und den, der nicht will, den schleift es.
Sprecherin:
Mit der Vernunft oder der Seele können wir etwas von der Wesenheit Gottes und dessen
Notwendigkeit schauen, sofern wir die Ursachen in uns durch den Verstand ergründen. Doch
behindern uns dabei die Affekte von außen. Aufgabe ist es also, uns so weit wie möglich von
den Affekten unabhängig zu machen.
Prof. Jörg Splett 6
9’40 Spinoza meint also, dass ich mit dem Denken auch meine Körperlichkeit
mitbestimmen kann, mich unabhängig machen kann von den unmittelbaren Begierden
und Bedürfnissen und Affekten, darum geht es ihm, also die Frage, wie führe ich ein
beruhigtes und friedvolles Leben und dem soll die ganze Philosophie dienen.
Sprecherin:
Seine Philosophie schreibt Spinoza vor allem in seiner Ethik nieder. Sie wird erst nach
seinem Tod erscheinen. Es ist eine Ethik, die er nach der geometrischen Methode Euklids
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verfasst. Damit will er die Strenge der Gedankenführung der Mathematik der Form nach auf
die Philosophie übertragen. Dem Inhalte nach aber ist seine Ethik auf das Glück der
Menschen aus, erklärt der Philosoph Thomas Schmidt:
Prof. Thomas Schmidt 7
5’40/2Für ihn ist Ethik, so habe ich ihn immer verstanden, vor allen Dingen eine Lehre
vom menschlichen Glück. Es ist nicht so sehr eine Handlungsanweisung oder eines
Sets von Regeln und Normen, sondern Ethik hat es damit zu tun, uns philosophisch
zum Glück hin zu führen, zu einem gelungenen Leben. Insofern lebt er vielleicht vom
Impuls des Sokrates: Wir haben unser Leben vernünftig zu prüfen und diese
vernünftige Prüfung dient zu einem glücklichen, zu einem aufgeklärteren Leben.
Sprecherin:
Das Grundmotiv des Menschen in der Welt stellt dabei der Selbsterhaltungstrieb. Und das
kritisiert der Philosoph Jörg Splett.
Prof. Jörg Splett 8
Das ist in meinen Augen eine betrübliche Sicht der Dinge. Denn wenn ich als
eigentliche Grundkraft die Selbsterhaltung ansehe, dann wird die Sache eigentlich
sinnlos. Wenn ich dazu lebe, mich zu erhalten, das ist ja eine merkwürdige
Bestimmung, die da rauskommt. Mir scheint, Spinoza hat damit ein Grundwort für die
ganze Neuzeit gegeben.
Specherin: (abnehmen, Stimme bleibt oben!)
-wie etwa Nietzsche dann den Willen zur Macht als das Grundprinzip des Menschseins
ausmachen wird. Trotz dieser Kritik aber ist Spinoza in vielen seiner Gedanken heute noch
aktuell – so eben in Bezug auf Religionsfragen in einer pluralistischen Gesellschaft – und
nicht zuletzt mit seinem Konzept einer inneren Freiheit durch das Denken:
Prof. Jörg Splett 9
Denken heißt ja charaktervoll leben, verantwortlich leben. Das alles gehört ja für ihn
mit hinein. Dieser grundsätzliche Mut zum Denken, was immer dabei rauskommt, auch
wenn man herausgeschmissen wird aus der Synagoge und dergleichen. Also wenn
man sagt: der Wahrheit sehe ich mich verpflichtet und bringe mich dort ein und
erreiche dort meine innere Freiheit. Das ist dieser Denkmut – etwas wirklich
Unverzichtbares.
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