Sonderausstellung im Naturmuseum Solothurn Pilzgeschichten 24. April 2009 - 20. September 2009 Eine Ausstellung des Naturmuseums Winterthur im Naturmuseum Solothurn Pilze tragen Hüte mit Sti(e)l – und viel mehr! Streng genommen verarbeiten wir in der Küche bloss den oberirdischen Fruchtkörper der Speisepilze. Das dichte Pilzgeflecht im Waldboden bleibt jedoch den PilzsammlerInnen meist verborgen. Die Ausstellung erlaubt einen lohnenden Blick über den Tellerrand hinaus, auf mikroskopisch kleine Schimmelpilze, meterlange Pilzgeflechte des Hallimasch oder auf Symbol- und Zauberpilze aus dem Alltag und der Märchenwelt. Die Ausstellung führt anschaulich durch die Welt der Pilze. Mit täuschend echten Pilzmodellen des bekannten Bremer Präparators Klaus Wechsler, Filmsequenzen und Bildserien erhält die BesucherIn faszinierende Einblicke in den Formen- und Farbenreichtum dieser Lebewesen. Pilze sind viel mehr als „nur“ ein Teil der Natur. Pilze sind genauso Kulturwesen mit unterschiedlichen Gesichtern – einmal harmlos als Kinderspielzeug, andermal böse als Fusspilz zwischen den Zehen. Geschichten zu einzelnen Pilzarten, zusammengetragen von der Pilzsachverständigen Dr. Ursula Tinner und dem Volkskundler Dr. Eberhard Wolff, führen dabei nicht nur die kleinen BesucherInnen in eine Symbolund Märchenwelt voller Überraschungen. Pilze zum Anbeissen Morcheln und Steinpilze sind kulinarische Delikatessen. Sie werden zu feinen Gerichten weiterverarbeitet. Doch nur ein kleiner Teil des Speisepilzes, nämlich der oberirdische Fruchtkörper mit Hut und Stiel, gelangt in die Suppe, Pastete oder Sauce. Das unterirdische Pilzgeflecht im Waldboden bleibt für die meisten von uns verborgen. Hut, Stiel und Myzel Der Pilz lebt im Verborgenen. Was wir sammeln ist streng genommen nur der Fruchtkörper, bestehend aus Stiel und Hut. Der Rest ist nicht auf den ersten Blick sichtbar. Unter der Erdoberfläche bilden die Pilzfäden (Hyphen) ein dichtes Netz, das Myzel. Wenn sich diese Hyphen zu einem Knäuel verflechten und sich die Zellen strecken, bildet sich ein Fruchtkörper daraus, der an die Oberfläche gelangt. Am Fruchtkörper werden die Sporen ausgebildet, die für die sexuelle Vermehrung der Pilze verantwortlich sind. Sporen und Sporenbehälter variieren je nach Pilzart in Form und Farbe. Sporen und Sporenbehälter Die Sporen sind nur einige Tausendstel Millimeter gross. Sie werden vom Fruchtkörper auf der HutUnterseite in riesigen Mengen produziert. Dies ist nur mit einem Trick, nämlich einer Oberflächenvergrösserung möglich. Diese wird erreicht, indem Extraflächen in Form von Lamellen, Röhren, Stacheln oder Poren ausgebildet werden. Die höheren Pilze werden aufgrund ihrer Sporenbehälter in zwei Klassen aufgeteilt. Die Schlauchpilze (Ascomyceten) bilden ihre Sporen in Schläuchen aus. Ein Schlauch enthält meistens 8 Sporen. Morcheln gehörten zu den bekanntesten Vertretern dieser Kategorie. Bei den Ständerpilzen (Basidiomyceten) hingegen stehen meistens 4 Sporen auf einem Ständer. In diese Gruppe fallen beispielsweise Vertreter der Röhrenpilze oder Lamellenpilze. Wie Pilze aus dem Boden schiessen Die Sporen werden mit dem Wind verfrachtet. Sie setzen sich irgendwo wieder ab – beispielsweise auf einer Brotscheibe – wo sich schon bald ein Netz aus Pilzfäden entwickeln wird. Auch Tiere tragen zur Besiedlung neuer Lebensräume bei. Wildschweine beispielsweise fressen gerne Morcheln und scheiden die Sporen über den Kot wieder aus. Vom Hefepilz bis zum Hallimasch – Pilzgrössen im Vergleich Pilze lassen sich grob in zwei Wachstumsformen gliedern: dem Einzeller wie der Hefepilz und den Vielzellern. Das Grössenspektrum reicht von mikroskopisch kleinen Arten bis zu Grosspilzen. Das Myzel eines Hallimaschs (Armillaria ostoyae) kann eine Fläche von mehreren km 2 durchziehen. Pflanze oder Tier? Aufgrund ihrer sesshaften Lebensweise wurden Pilze früher zum Reich der Pflanzen gezählt. Heute ist aufgrund von genetischen und physiologischen Merkmalen klar, dass es sich um ein eigenes Reich handelt – das dritte Reich neben Pflanzen und Tieren. Partner Pilz Pilze besitzen kein Blattgrün und können ihre Nahrung nicht selber produzieren. Sie sind genau wie wir Menschen auf Ernährer oder im Fall der Pilze auf einen Partner angewiesen. Diese Partnerschaften können verschiedene Formen annehmen: - Pilze übernehmen Funktion als Abfallbeseitiger (Saprophyt) (Bsp. Braunfäule). Sie ernähren sich von totem pflanzlichem oder tierischem Material und bauen dieses ab. Beim Abbau entsteht Kohlendioxid, welches den Pflanzen für ihre Fotosynthese wieder zur Verfügung steht. Sie spielen als Destruenten eine wichtige Rolle im Ökosystem. Zusammen mit Bakterien und tierischen Kleinlebewesen bilden sie aus organischem Abfall Humus. - Pflanze und Pilz profitieren vom Zusammenleben (Mykorrhiza). Die meisten unserer Waldbäume leben zusammen mit einem Pilz. Der Pilz umschliesst mit seinen Hyphen die Baumwurzeln. Das Pilz-Myzel kann Wasser und darin gelöste Nährstoffe viel besser aufnehmen als die Baumwurzel. Der Baum seinerseits liefert dem Pilz als Gegenleistung Nahrung in Form von Kohlenhydraten (Produkt aus der Fotosynthese). Diesen Verbund des beidseitigen Gewinns und Abhängigkeit nennt man Symbiose. In diesem Fall beschreibt die Mykorrhiza die spezifische Symbiose zwischen Pflanzenwurzeln und Pilz-Myzel. - Alge und Pilz profitieren voneinander (Flechten). Der Pilz bildet den Flechtenkörper und nimmt Wasser und anorganische Nährstoffe auf. Die Alge besitzt die Fähigkeit zur Fotosynthese und ernährt den Pilz mit Zucker (Produkt aus der Fotosynthese). - Pilze als Pflanzenschädlinge (Bsp. Hallimasch). Schmarotzende Pilze oder Parasiten wachsen an geschwächten, noch lebenden Organismen und schädigen dabei den Wirt. Ist der Baum abgestorben, wachsen die Pilze oft weiter und zersetzen das Holz als Destruenten. Derartige Pilze sind in Försterkreisen gefürchtete Waldschädlinge. - Pilze als Krankheitsverursacher beim Menschen (Bsp. Fusspilz) Pilze sammeln Erfahrene Sammlerinnen und Sammler wissen, wo die verschiedenen Pilzarten wachsen. Jede Art hat ihre bevorzugten Standorte. Pilze sammeln ist ein überaus kultureller Akt. Die zehn Gebote des Pilze Sammelns: - Du sollst nur diejenigen Pilze sammeln, die du kennst oder - Lass dein Sammelgut bei der Pilzkontrolle kontrollieren - Lass alte, verschimmelte Pilze stehen - Sammle nur häufige Pilzarten und lass seltene, schützenswerte Arten stehen, - Iss keine rohen Pilze, sondern gare sie gut Putze die Pilze (anstelle von waschen), damit kein überschüssiges Wasser an ihnen hängen bleibt Für die Pilzkontrolle: - Lege die Pilze nach Arten getrennt vor - Bringe ganze Pilze zur Kontrolle - Drehe die Pilze beim Sammeln vorsichtig aus dem Boden heraus, so dass auch die Stielmerkmale sichtbar sind Achtung: Auch Pilzarten, die früher beliebte Speisepilze waren, entpuppten sich im Laufe der Zeit als gefährliche Giftpilze. Mit alten Bestimmungsbüchern ist also Vorsicht geboten! Pilzkalender Der Herbst gilt als Pilzsaison. Sehr viele Pilze erscheinen zwischen Juli und November. Aber Pilze gibt es das ganze Jahr über. Es gibt Spezialisten unter den Pilzen, die zu extremen Jahreszeiten wie dem Winter ihre Fruchtkörper ausbilden. Eigentlich gibt es keinen Monat im Jahr ohne Pilze, nur sind sie nicht immer so einfach zu finden. Heil- und Zauberpilze Europa kennt keine durchgehende Tradition, Pilze als Heilmittel einzusetzen. Heute werden Heilpilze in der Alternativmedizin verwendet, vor allem asiatische Pilze. Die Inhaltsstoffe einiger Pilzarten können Rauschzustände und Halluzinationen hervorrufen. Das Wissen um solche Pilze und deren Gebrauch ist bei Naturvölkern fest verankert. Sie werden dort bei rituellen Handlungen und für Heilungsprozesse eingesetzt. Als Zauberpilze oder „Magic Mushrooms“ treten bei uns Pilze in der Drogenkultur auf. Bedeutung für den Menschen Pilze werden gekocht, zu Bier gebraut, als Backhilfe genutzt, zu Blauschimmelkäse verarbeitet oder als Heilmittel verwendet. Genau so artenreich wie die Welt der natürlichen Pilze ist diejenige der künstlichen. Letztere wachsen auf Spielplätzen, schmücken Glückwunschkarten und spuken in Geschichten und Märchen herum. Oft spielen sie eine doppeldeutige Rolle, mal empfinden wir sie als gut, mal als böse. Der Fliegenpilz verkörpert genau diese beiden Gesichter: einerseits ein gefürchteter Giftpilz, andererseits ein erwünschter Glücksbringer. Beim bösen Pilz wird einerseits auf giftige Pilze als Mordinstrument angespielt. Bereits im Jahr 54 n. Christus liess Agrippina ihren Mann, Kaiser Claudius mit einem Pilzgericht töten, damit ihr Sohn Nero Kaiser werden konnte. Pilzmorde haben den Ruf, eine weibliche Tötungsart zu sein. Sie bedarf keiner direkten Gewalt und kann leicht als zufällige Vergiftung kaschiert werden. Auch die, für den Menschen oft als ungeheuerlich wahrgenommene Vermehrung der Pilze kann als Sinnbild für Böses verwendet werden. Veranstaltungen Eröffnung: Freitag, 24. April 2009, 20 Uhr. Öffentlicher Anlass ohne Anmeldung. Zur Eröffnung der Sonderausstellung spricht Dr.rer.soc. Eberhard Wolff, Volkskundler Workshop für Kinder ab 6 Jahren: Mittwoch, 9. September 2009, 14 - 16 Uhr. Kostenlos, Anmeldung obligatorisch beim Naturmuseum, Begleitpersonen willkommen. Einführung für Lehrerinnen und Lehrer: Dienstag, 26. Mai 2009, 17 - 19 Uhr, Anmeldung ab sofort über die Weiterbildung der PH Solothurn: www.fhnw.ch/ph/iwb Joya Müller, Museumspädagogin Naturmuseum Solothurn, Klosterplatz 2, 4500 Solothurn 032 622 70 21, [email protected]