XZ/1. Aspekte der psychiatrischen Notfalltherapie, der Aufnahme in die Krankenhausabteilung und der Beschränkungsmaßnahmen. Einleitung Aufgaben der Notfallpsychiatrie nach der Untersuchung des Patienten: - möglichst schnelle Minderung oder Eliminierung der Symptome, welche den Eingriff begründen, - Entscheidung, ob der Patient weiterhin versorgungsbedürftig ist: - wenn ja, ist psychiatrische oder sonstige Versorgung angebracht, - ist die Aufnahme in die Krankenhausabteilung begründet, - ist die Hinzuziehung einer nicht medizinischen Institution (Sozialnetz, Kinderschutz, Vormundschaft, Polizei usw.) begründet, - Entscheidung, ob das Verhalten des Patienten gefährdend oder unmittelbar gefährdend ist: - wenn ja, ist eine sofortige Aufnahme in die Krankenhausabteilung erforderlich, - ist die Anwendung von Beschränkungsmaßnahmen begründet. XZ/1.1. Medikamentöse Notfallpsychiatrie. und nichtmedikamentöse Eingriffe in der XZ/1.1.1. Medikamentöse Eingriffe in der Notfallpsychiatrie. Wichtig In der Notfallpsychiatrie werden meistens Antipsychotika und Anxiolytika (Benzodiazepine mit hohem Potential) eingesetzt. Neben den Indikationen sind vor der Anwendung in jedem Fall auch die Kontraindikationen der einzelnen Mittel zu erwägen. In erster Linie ist die orale Gabe von Medikamenten anzustreben (Tabletten, Lösungen, sich im Mund lösende Präparate), da diese Verabreichungsmethode seltener zu Komplikationen führt. Die häufigsten Indikationen für Antipsychotika in der Notfallpsychiatrie: - akute psychotische Symptome (z.B. Halluzinationen, Wahnvorstellungen), - agitierte oder gehemmte Psychomotorik, - aggressives oder feindseliges Verhalten. Die häufigsten Indikationen für Anxiolytika in der Notfallpsychiatrie: - schwere Angstzustände (z.B. wegen einer Panikattacke, einem psychotischen Zustand oder der Einwirkung von Suchtmitteln), - Schlaflosigkeit oder übertriebene Munterkeit, - agitierte oder gehemmte Psychomotorik, - aggressives oder feindseliges Verhalten, - Entzugserscheinungen (z.B. Alkohol, Benzodiazepine). Indikationen für die parenterale Verabreichung von Medikamenten (den Anwendungsvorschriften des jeweiligen Mittels entsprechend intramuskuläre oder intravenöse Injektion, Infusion): - Mangel an Kooperation, - Anspruch auf schnelle Wirkung des Medikaments, - gefährdendes Verhalten. In vielen Fällen und/oder bei Begleiterkrankungen kann als Teil der Versorgung in der Notfallpsychiatrie auch die Verabreichung von sonstigen Medikamenten erforderlich werden (z.B. bei Alkoholentzug Ersatz von Kalium und Thymian, Betablocker, Antibiotikum; bei Nebenwirkungen von Antipsychotika Anticholinergika, Betablocker, Dopaminagonisten; Notfallversorgung von Herzschwächen, Hyperglykämie, usw.). Diese Fälle werden in anderen Lerneinheiten behandelt. XZ/1.1.2. Nichtmedikamentöse Eingriffe in der Notfallpsychiatrie. Über die genannten Fälle hinaus gehören auch nichtmedikamentöse Eingriffe zur Versorgung in der Notfallpsychiatrie. Das Hauptziel dieser Eingriffe besteht darin, entsprechende Informationen einzuholen und dadurch die Kooperation seitens des Patienten und/oder seiner Angehörigen zu erhöhen, und Angstzustände zu mäßigen, um den Prozeß der Notfallversorgung reibungsloser zu gestalten. Bestimmte nichtmedikamentöse Eingriffe (z.B. Beginn der Krisenintervention) können auch als erster Schritt der späteren Therapie betrachtet werden. Die häufigsten nichtmedikamentösen Eingriffe in der Notfallpsychiatrie: - Psychoedukation des Patienten und/oder der Angehörigen: Erläuterung der wahrgenommenen Symptome, der erforderlichen Eingriffe (auch der Art und des rechtlichen Hintergrundes von Einschränkungsmaßnahmen), des voraussichtlichen Ablaufes, - Verständigung der Angehörigen/des Vormunds: Nach Möglichkeit soll gewährleistet werden, dass der Patient den Kontakt zu seinen Angehörigen aufnehmen kann; bei Vormundschaft ist die Verständigung des Vormundes verbindlich, - Krisenintervention: Der gezielte psychotherapeutische Eingriff kann bereits im Rahmen der Notfallversorgung beginnen (Details siehe: Lernmaterial Psychotherapie im Vierteljahr). XZ/1.2. Indikationen der Aufnahme in die psychiatrische Abteilung Die Symptome vermindern sich bedeutend oder gar verschwinden bei einem Teil der Patienten bereits nach der Versorgung in der Notfallpsychiatrie, und auch ihre Hintergründe können beruhigend geklärt werden, deshalb kann der Patient entlassen und/oder in ambulante Versorgung verwiesen werden. Bei einem bestimmten Anteil ist jedoch weiterhin Krankenhausversorgung angebracht. Diese Patienten werden in die psychiatrische oder in eine andere (toxikologische, internistische usw.) Abteilung aufgenommen. Wichtig Unbedingt erforderlich ist die Krankenhausaufnahme (sogar gegen den Willen des Patienten) in den Fällen, wo die Sicherheit des Patienten oder seiner Umwelt gefährdet ist (unmittelbar gefährdendes Verhalten gemäß den gültigen Rechtsvorschriften): - Selbstmordgefahr, - heteroaggressives Verhalten infolge mentaler Störungen (z.B. psychotischer Zustand oder Wirkung von Suchtmitteln), - gehemmtes oder unruhiges Verhalten, eventuell abwechselnd, - erster psychotischer Zustand, - Bewußtseinsstörung, - die Herkunft der zur Notfallversorgung führenden Symptome ist nicht geklärt, weitere Untersuchungen/Behandlung sind erforderlich. Nicht unbedingt erforderlich, aber zu erwägen ist die Krankenhausaufnahme (sofort oder zu einem bestimmten Zeitpunkt) in folgenden Fällen: - die Untersuchungen/Behandlung des Patienten ist im ambulanten Rahmen nicht oder nur schwer möglich (z.B. mangelnde Kooperation, unkontrollierbares Verhalten, von der Versorgungsstelle entfernt liegender Wohnsitz des Patienten, sein Zustand kann sich verschlechtern), - die Entfernung von seiner Umgebung kann zur Verbesserung der Symptome des Patienten führen. Der Patient kann auch bei schweren Symptomen (z.B. Selbstmordgedanken, Psychose) in ambulante Versorgung verwiesen werden, wenn auf beruhigende Weise nachgewiesen werden kann, dass seine Symptome chronisch sind, noch zu keinem unmittelbar gefährdenden Verhalten führten, die Umgebung des Patienten sicher und unterstützend ist, und der Patient bereits ambulant versorgt wurde. XZ/1.3. Indikationen und Regeln der Beschränkungsmaßnahmen. Im Sinne der gültigen Rechtsvorschriften kann die Freiheit der in der psychiatrischen Abteilung behandelten Patienten bei gefährdendem Verhalten im Interesse der Gefahrenabwehr im unbedingt erforderlichen Umfang und Zeitrahmen durch physische, chemische, biologische oder psychische Methoden beschränkt werden. Wichtig Am häufigsten getroffene Beschränkungsmaßnahmen: - Krankenhausaufnahme und Behandlung gegen den Willen des Patienten (Aufnahme in die Notversorgung im Sinne der gültigen Rechtsvorschriften), - Unterbringung in der geschlossenen Abteilung, - Anwendung von Medikamenten, die Schläfrigkeit verursachen und/oder die psychomotorische Aktivität verringern, - physisches Festbinden. Es soll betont werden, dass die entsprechende Information des Patienten, die Berücksichtigung seiner Bedürfnisse und der Einsatz von psychotherapeutischen Methoden während der Versorgung auch bei der Anwendung von Beschränkungsmaßnahmen erforderlich ist. Durch entsprechende Informationen und empathisches Verhalten kann die Kooperation verbessert und die Gefahr der Verletzung auch dann verringert werden, wenn bei der Notfallversorgung eines aggressiven/feindseligen Patienten der Einsatz von Übermacht/Beschränkungen erforderlich war! Im Sinne der gültigen Rechtsvorschriften ist die Tatsache der Notfallversorgung binnen 24 Stunden dem regional zuständigen Gericht mitzuteilen. Das Gericht prüft binnen 72 Stunden, ob die Aufnahme (und die Beschränkung) rechtmäßig und fachlich gerechtfertigt war. Wenn ja, und sich der Patient weiterhin gefährdend verhält, verfügt das Gericht die verbindliche medizinische Behandlung des Patienten, die alle 30 Tage verbindlich zu überprüfen ist. Bei physischen Beschränkungen (Festbinden) ist der Vertreter der Patientenrechte und das regional zuständige Gericht umgehend über diese Tatsache zu informieren. Während der Dauer des Festbindens ist der Zustand des Patienten fortlaufend (alle 15 Minuten) zu kontrollieren. Alle 2 Stunden ist zu erwägen, ob das Festbinden noch erforderlich ist. Die maximale Zeitdauer des Festbindens beträgt bei dementen und mental retardierten Patienten 1 Woche, in sonstigen Fällen 3 Tage.