MARGARETE FEHLINGER ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT KLIENTEN-/PERSONZENTRIERTE PSYCHOTHERAPIE UND NARRATIVE FORMEN DER SYSTEMISCHEN THERAPIE 1 Auf der Suche nach hilfreichen psychotherapeutischen Handlungen, die das Finden von Lösungen für Probleme und die Linderung von seelischen Leidenszuständen unterstützen, begegnete ich 1976 der klienten-/personenzentrierten Psychotherapie, damals unter dem Namen „Gesprächstherapie". Meine zwei Wegbegleiter oder besser gesagt „auf den Weg Bringer“ waren Ilse Papula und Alfred Klinglmair - Ilse Papula mit ihrer anregenden, unterstützenden und bestätigenden Art, Alfred Klinglmair mit seinem (manchmal auch ziemlich konfrontierendem) „in Frage Stellen“. Die Ausbildung bei Eva-Maria Biermann-Ratjen, Jochen Eckert und Alfred Klinglmair faszinierte und überforderte mich zugleich. Die Aufforderung zum Wagnis, den eigenen Bezugsrahmen zu verlassen und die innere Welt des Klienten mit dessen Augen zu sehen und diese Haltung dann noch im Sinn des einfühlenden Verstehens zu äußern und zugleich auch kongruent zu sein, brachte mich immer wieder hart an meine Grenzen, manchmal sogar zur „Verzweiflung“ und zu dem Eindruck, für diesen psychotherapeutischen Ansatz, bzw. für die Ausübung der Psychotherapie überhaupt, völlig unzulänglich zu sein. Aber ich gab nicht auf und hoffte 1978 umso mehr im Rahmen meiner Familientherapieausbildung, die in einer Verbindung der Arbeit von Virginia Satir (1964) mit dem strukturellen Ansatz der Familientherapie (Haley 1977, Minuchin 1983) bestand, zu lernen, wie man „aus Problemen Lösungen macht“, ohne sich so sehr auf eine therapeutische Beziehung einlassen zu müssen. Die Einladungen, die diese Methode barg, waren in der Tat verführerisch. Da sich die damalige systemische Sichtweise noch an dem Ansatz der Kybernetik I orientierte, verfiel ich der Illusion den interaktionellen Prozess von Systemen (objektiv) beobachten zu lernen, sozusagen den „Systemfehler“ aufspüren zu können, der ein Problem/eine Krankheit hervorbringt. Sollte das gelingen, dann müsste auch klar sein, was zu tun ist, um Veränderungen herbeizuführen. 1. Diesen Artikel widme ich in Dankbarkeit und Hochachtung vor ihrem Sein und ihrer Arbeit Ilse Papula, die für mich Lehrerin, Wegbegleiterin und Freundin ist. 2. Aus der klientenzentrierten Perspektive scheint der systemischen Therapie vorrangig ein Interesse an Ziel- und Lösungsorientierung zugeschrieben zu werden, das aber Begegnung insofern vermeidet, als absichtsvoll, nicht absichtslos gehandelt wird (Korbei 2001). Rückblickend glaube ich heute, dass die Hoffnung auf Vermeidung von Begegnung genau das Faszinierende an der neuen Methode für mich war. Allerdings fand ich an meiner wichtigsten Lehrerin in dieser Methode, Virginia Satir, nicht nur eine „Systemveränderin“, sondern auch eine Meisterin im Zuhören. Sie konnte auf ihre so unverwechselbare Art verschiedenste Menschen auf Missverständnisse in der Kommunikation aufmerksam machen, welche sie als die "Wurzel des Leids" und der Krankheit in Familien und anderen sozialen Systemen verstand. Unvergesslich bleibt mir ihre Fähigkeit der Umdeutung. „Dies war eine ihrer Methoden, mit denen sie das gegenseitige Zuhören von Menschen sanft machte“ (Hoffman 2000, S.156). Bevor ich aber noch mit den Enttäuschungen meiner Erwartungen durch meine praktische Arbeit konfrontiert werden konnte, gab Paul Dell mit seinem Vortrag auf dem Züricher Kongress 1981 die Initialzündung zum Übergang von der Familientherapie zu einer umfassenderen systemischen Therapie. (Ludewig 2000). Seine Überlegungen stützten sich auf die Arbeiten Humberto Maturanas (1982), die einen nachhaltigen Einfluss auf die weitere Entwicklung hatten. Dazu gesellten sich dann die sogenannte Kybernetik 2. Ordnung nach Heinz von Foerster (1985) und der radikale Konstruktivismus, wie ihn Ernst von Glasersfeld (1987) ausformulierte. Eine Verbindung zwischen Theorie und Praxis schafften etwas später vorrangig Harry Goolishian, Harlene Anderson (1990) und Steve der Shazer (1982). Michel White und David Epston (1990) richteten ihre Aufmerksamkeit auf die sprachlichen Vorgänge, auf die Art und Weise, wie ihre Klientinnen ihre Geschichten erzählen und gaben mit dieser Zuwendung zu Narrativem den Anstoß für eine der Bezeichnungen der Systemtherapie zweiter Ordnung, die als „narrative Formen der Psychotherapie“, oder „narrativer Ansatz“ (Kriz 1997) im Sprachgebrauch ist. Allerdings wird die Verwendung des Begriffs sehr unterschiedlich gehandhabt und erfasst vor allem jenen Teil neuerer Entwicklungen, der sich eindeutig dem Bereich „nichtinterventiv“ zuordnet. Interessant dabei ist, dass einige der vielen geistigen Väter und Mütter dieses Ansatzes wie z.B. Harry Goolishian sich weigerten, unter den Oberbegriff „systemische Therapie“ eingereiht zu werden. Es scheint es vor allem die Eigenheit des deutschen systemischen Diskurses zu sein, unter die Begriffe „narrative Therapie“ oder „narrative Formen der Therapie“ ein breites Spektrum von unterschiedlichen Therapieformen miteinzuschließen, die andernorts als jeweils eigenständige Formen differenziert werden (Deissler 2000). 1. Theoretische Zugänge zum narrativen Ansatz Narrative Ansätze gehen davon aus, dass die Art und Weise, wie wir im Alltag die Welt beschreibend wahrnehmen, deuten und bewerten von vergangenen und gegenwärtigen sozialen Austauschprozessen definiert ist. In dieser aus dem sozialen Konstruktionismus gewonnenen Sichtweise wird „der Diskurs über die Welt nicht als Widerspiegelung oder Landkarte der Welt gesehen, sondern als ein Produkt gemeinschaftlichen Gedankenaustausches.“ (Gergen 1985, S 266) In einem Vorgang des Konstruierens von Ähnlichkeiten und Unterschiedlichkeiten im sozialen Austausch (er)finden Menschen sich und ihre Umwelt, entwickeln Geschichten über sich selbst (Selbst-Erzählungen) und über andere (Beziehungsgeschichten), über ihre Leiden, ihren Schmerz und ihren Ärger (Problemgeschichten). Dieser Prozess führt zu dominanten Erzählungen, der andere mögliche Wirklichkeitskonstruktionen auslässt. Erzählungen über Leiden, Schmerz und Ärger (Problemgeschichten) entsprechen diesem Muster. Die Form dieser Erzählungen ist kontextabhängig und verändert sich im Dialog mit den jeweiligen Gesprächspartnerinnen. Harlene Anderson (1999) - langjährige Kollegin von Harry Goolishian, die nach seinem Tod die gemeinsame Arbeit eindrucksvoll weiterentwickelte - nennt ihren Ansatz "kollaborativ". Sie umschreibt damit den notwendigen Abschied vom Expertinnentum der Psychotherapeutinnen, wenn sie sich auf die Perspektive der im Gespräch gemeinschaftlich gesuchten und gefundenen alternativen Erzählungen einlassen. Dem liegt eine einfache Kernprämisse zugrunde „die natürliche Konsequenz von Dialog oder dialogischen Gespräch ist Änderung oder Transformation“ (Anderson 2000, S 86). Damit ergibt sich die Frage, was psychotherapeutische Gespräche von Alltagsgesprächen unterscheidet, denn „wenn alle Gespräche erfolgreich wären, gäbe es keinen Bedarf für Therapeuten“ (Paff 2000). 2. Der therapeutische Dialog - Narrative Form der Psychotherapie Wenn eine Klientin und eine Psychotherapeutin ein Gespräch miteinander führen, dann besteht dieses aus ihrem (hörbaren) Dialog, sowie ihrem innerem (stummen) Dialog. “Daher bezeichne ich den therapeutischen Prozess als ein dialogisches Gespräch; es stellt einen generativen Prozess dar, in dem neue Bedeutungszusammenhänge – eine andere Art, die eigenen Erlebnisse zu verstehen, sinnvoll erscheinen zu lassen, oder zu akzentualisieren oder zu interpunktieren – hervortreten und wechselseitig konstruiert werden“ (Anderson 1999, S 134). Psychotherapie wird so zu einem gemeinsamen Erkunden, das sich durch einige Merkmale auszeichnet: Festgelegter dialogischer Raum, gemeinsame Intentionalität von Klientin und Psychotherapeutin, Gefühl der Zugehörigkeit zum Gespräch, Verstehen aus dem Gespräch heraus, innerer Dialog und Aussprechen des Ungesagten (Anderson 1999). Diese durch gemeinsames Suchen und Finden entwickelten neuen Erzählungen repräsentieren neue Beschreibungen, Bedeutungszusammenhänge und neue Bewertungen, die von beiden Klientinnen und Psychotherapeutinnen - anders erlebt werden ....... leichter, weniger ohnmächtig, freudvoller, hoffnungsvoller ....... Dies kann aber nur geschehen, wenn auch die bisherige problemaufrechterhaltende Geschichte ernst genommen und gewürdigt wird. 2.1.Verstehen aus dem Gespräch heraus „Um zu einem Dialog und zur kollaborativen Befragung einzuladen und sie aufrechtzuerhalten, müssen die Handlungen eines Therapeuten sich kohärent auf die Geschichte einer Person beziehen. Ich möchte ihnen (Klientinnen) zuhören und hören, was sie wollen, dass ich höre“ (Anderson 2000, S 93) Klaus Deissler (Deissler 2000) unterscheidet zwischen einem "nachvollziehenden Verstehen“, das sich darauf beschränkt rückzuversichern, ob die Erzählerin bei ihren Ausführungen sich verstanden fühlt und einem „kreativen Verstehen“, das zu möglichen anderen oder neuen Verstehensweisen beitragen will. Harlene Anderson (2000, S 139) meint, dass es sich beim „Verstehen um einen interpretierenden Prozess handelt, eine Erzählung, deren Zweck durch das deutsche Wort Deutung recht gut getroffen ist: die tiefere Bedeutung zu erfassen. Diese Bedeutungsvorschläge sollten von der Klientin als optimale Differenz zu den bisherigen Sichtweisen erlebt werden; optimal in dem Sinn, dass sie von Klientinnen angenommen werden, indem sie eine Brücke zwischen Vertrautem und Neuem spannen. 2.2. Aussprechen des Ungesagten “Narrative Therapie gründet in der Idee, dass sich therapeutische Dialoge als gemeinsame Erzählvorgänge verstehen lassen, die hilfreiche Unterschiede im Leben, Zusammenleben und Problemlösungshandeln erzeugen.“ (Grossmann 2000, S 16). Zu der Frage, wie man solche hilfreichen Unterschiedsbildungen findet, hat die systemische Therapie zahlreiche Ideen hervorgebracht – eine beeindruckende, verdichtete Zusammenfassung, die zwischen der Innenseite der Erzählung (was zwischen den Personen ausgetauscht wird) und der Außenseite (in welchem Kontext diese Erzählung eingebettet ist), findet sich bei Konrad Großmann (2000). Die Aufgabe der Psychotherapeutin ist es aufmerksam zuzuhören, was in Sprache (3) gebracht wird und was ungesagt bleibt; und Ausgelassenes im Sinne der Unterschiedsbildung durch Fragen oder andere Wege wieder in Kommunikation zu bringen. Das ermöglicht Ungesagtes weiterzuentwickeln und zum Ausdruck zu bringen. Voraussetzung dafür ist die Unterscheidung, welches Verhalten (4) Teil der dominanten Erzählung ist und welches unterlassen wird (Simon 1997). 3. Nicht nur Hörbares wird in die therapeutische Kommunikation gebracht, sondern auch „Unhörbares“ – Stille, Stimmung, Bewegung .......... in Form von Sprache oder in Ausdrucksformen jenseits der Sprache, etwa indem auf Gesagtes mit (ausgelassenem) Schweigen reagiert wird, oder der Körper in Form einer Bewegung antworten kann. 4. Wenn ich von Verhalten spreche, dann umfasst dieses den sprachlichen und nicht-sprachlichen Austausch in der therapeutischen Beziehung Bei allem Ringen um passende (interventive) Formen des Fragens, verweist narrative Therapie auf die einfache, aber wesentliche Bedeutung der therapeutischen Beziehung. Lynn Hofmann drückt dies über die Antwort einer ihrer Klientinnen aus: „Ob Sie mir die richtige Frage gestellt haben, weiß ich nicht, aber wichtig war, dass Sie mich akzeptiert haben“ (5) 2.3. Innerer dialogischer Raum Das Herstellen und die Aufrechterhaltung eines inneren dialogischen Raumes bedeutet für die Psychotherapeutin, dass sie innerlich einen Raum schafft, in dem sie der Klientin Raum gibt und gleichzeitig Kommunikation mit sich selbst aufnimmt. Dieses Raum-Geben soll in einer Haltung des „Nicht-Wissens“ erfolgen, in einer Haltung des Verzichts auf den Glauben an erworbenes Fachwissen, der Bereitschaft des Infragestellens und der Bescheidenheit. Denn „Wissen" hieße anzunehmen verstehen zu können. Damit macht man sich unempfänglich für das Unerwartete, Unausgesprochene und „Noch-nicht-Gesagte“. Dieses „Horchen“ auf die eigenen inneren Stimmen, auch auf Widersprüche, Inkohärenzen, die Fähigkeit, sie transparent zu machen und dem therapeutischen Dialog zur Verfügung zu stellen, sind die zentralen Anforderungen an die Psychotherapeutin (Lyotard 1989). 3. Der therapeutische Dialog – klienten-/personenzentrierte Psycho-therapie (6) Auf dem Hintergrund der Auseinandersetzung mit Martin Bubers „Dialogischen Prinzip“ (Buber 1962), konzentrierte sich Carl Rogers auf die Bedeutung der realen Begegnung von „Person zu Person“, ohne das Konzept der „Alter-Ego-Beziehung“ aufzugeben (Finke 1999). Er betonte wie wichtig es für die Klientin ist, die Therapeutin auch in ihrer unmittelbaren Gegenwärtigkeit als konkrete und authentische Person zu erleben (Rogers 1973). Konsequenterweise sollte diese den Wunsch entwickeln, die Klientin als Person kennen zu lernen und nicht sosehr ihr helfen zu wollen. Es ist die Begegnung, die hilft oder heilt (Rogers/Buber 1960). Die passende therapeutische Beziehung wird damit nicht zur Voraussetzung von Therapie, sondern „sie ist selbst Therapie“ (Schmid 2001, S 59). 5 Persönliche Mitteilung von Gisela Schwarz (in dem Vortrag „postmoderne Ansätze in der systemischen Therapie am 10.10.2001 in Linz) über ihre Kollegin Lynn Hofmann 6. In meinen folgenden Ausführungen konzentriere ich mich auf die Strömung der klienten/personenzentrierten Psychotherapie, die die Beziehung in den Mittelpunkt stellt (Keil, Stumm 2002) und dabei nur auf jene Aspekte, die eine Verbindung zur narrativen Therapie nahe legen. Ich erlaube mir diese Einschränkung, da es meines Erachtens hinsichtlich der jeweiligen Persönlichkeitstheorien wesentliche theoretische Unterschiede gibt. Hier ließ sich für mich keine Brücke zwischen narrativer und klienten-/personenzentrierter Therapie finden. Die Bemühungen von Jürgen Kriz (1997) eine Verbindung zu schaffen, indem er beobachtbare Interaktionen stets auch als persönlichen Ausdruck der beteiligten Individuen versteht, sind noch nicht ausreichend befriedigend. Diese therapeutische Beziehung vollzieht sich im Beziehungsangebot der Kongruenz, der bedingungslosen Wertschätzung und Empathie – sie ist Haltung und Handeln zugleich, die sich in Entsprechung zur jeweiligen Situation/zum jeweiligen therapeutischen Dialog erst entfalten und seinen Ausdruck finden muss. Wolfgang Keil (2001) warnt davor, diese drei Elemente auf eine Methode oder Verhaltensanweisung zu reduzieren. Auch wenn in der Nachfolge von Carl Rogers im klienten/personenzentrierten Ansatz eine Hinwendung zur klinischen Orientierung (Swildens 1991, Speirer 1994) zu beobachten ist, sagen die "Grundannahmen nichts darüber aus, wie die Kommunikation zwischen Klientin und Psychotherapeutin zu erfolgen hat" (Schmid 2002). Noch deutlicher rücken Van Kessel W. und van der Linden P. (1993) das interaktionelle Geschehen in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit - nicht nur jenes zwischen Klientin und Psychotherapeutin, sondern auch jenes ihres Eingebundenseins in ein weiteres Beziehungsfeld. Äußere Dialoge gestalten die inneren, die "äußere Welt" findet in der "inneren Welt" ihre Entsprechung. Mit dieser Sichtweise wird eine neue Idee eingeführt: Die Exploration des eigenen Selbst erschafft nicht ein feststehendes und gleich bleibendes Selbstbild, sondern bezieht sich darauf, wie jemand in der Kommunikation mit anderen zu seinem eigenen Erleben gelangt und daraus wieder handelt. Somit wird die dem Menschenbild des klienten-/personenzentrierten Ansatzes zugrunde liegende Annahme einer Aktualisierungstendenz als ein Prinzip der Selbstorganisation nicht nur "individualistisch" gesehen, sondern als eine Kraft, die sich in der Beziehung entfaltet, denn „Rogers geht davon aus, dass die individuell konstruktive Entwicklungstendenz auch eine sozial konstruktive ist“ (Schmid 2001, S 65). 4. Findet sich ein Unterschied? Je länger ich nachdenke, schreibe, überlege, nachlese ............, umso schwerer wird mir das Erkennen und Benennen von Unterschieden zwischen beiden Ansätzen. Mir ist es, als würde ich auf meine Anfänge zurückschauen und damit mein gegenwärtiges und vielleicht sogar zukünftiges therapeutisches Handeln neu bewerten. Aus diesem Lernprozess heraus versuche ich meine ersten Gedanken zu formulieren. 4.1. Große Übereinstimmung findet sich in dem Bereich, den man „Abschied vom Expertentum“ nennen kann, was einen besonderen Umgang mit „Wissen“ (diagnostisch, störungsspezifisch, klinisch.....) zur Folge hat. Im theoretischen Diskurs der klienten-/personenzentrierten Psychotherapie wie der systemischen Therapie nimmt die Auseinandersetzung mit der Frage, ob Krankenbehandlung eines speziellen Wissens bedarf, in den letzten Jahren breiten Raum ein (Swildens 1991, Speirer 1994, Retzer/Simon 1998, Ludewig 2000). Diese Entwicklung scheint u.a. auch eine Folge der Psychotherapiegesetzgebungen (8) und der daraus resultierenden Forderung des Nachweises von Wissenschaftlichkeit. Die narrative Psychotherapie ist diesbezüglich viel radikaler. In der geforderten Haltung des „NichtWissens", die dem Begriff der „Absichtslosigkeit“ entspricht, wird solches Expertinnentum abgelehnt. In dieser Sichtweise stimmt sie mit jenen „Strömungen“ der klienten-/personenzentrierten Psychotherapie überein, welche die personale Beziehung und die Verwirklichung der Grundeinstellungen in völliger diagnostischer Absichtslosigkeit fokussiert (Stumm, Keil 2002). 4.2. Beide Methoden vertreten die Sichtweise, dass die therapeutische Beziehung den wesentlichen Raum herstellt, in dem Heilung/Veränderung geschehen kann. Allerdings sind die Erklärungsmodelle über das, wie Beziehung zu beschreiben ist, unterschiedlich. In der Tradition der humanistischen Psychologie beschreibt die klienten-/personenzentrierte Therapie Beziehung als einen Austausch von Personen, der durch das Wesen/das „Selbst“ dieser Personen bestimmt ist. Die Personen „mit Leib und Seele“ sind somit die Gestalterinnen der Beziehung. Ganz in der Tradition der postmodernen Philosophie verabschiedet sich die narrative Form der systemischen Therapie von der Idee des ungeteilten Selbst/der Persönlichkeit (Gergen 1996). Sie legt bei der Betrachtung von Beziehung den Focus der Aufmerksamkeit auf den Kommunikationsprozess. Die Personen werden damit zu „Trägern“ dieses Prozesses, der sich abhängig von den Kontextbedingungen entwickelt, formt, verändert ..... Damit ist die Person nicht Voraussetzung, dass Beziehung geschehen kann, sondern sie (er)findet sich durch den und in dem Prozess sozialen Austausches. 4.3. Auch „das Verstehen aus dem Gespräch heraus“ und das „einfühlende Verstehen“ beschreibt denselben Prozess aus einer unterschiedlichen Perspektive, einmal ausgehend vom Kommunikationsprozess, das andere Mal ausgehend von den Personen. Ob sich dieser Unterschied in der therapeutischen Praxis abbildet, erscheint mir immer fraglicher. Beide Methoden hoffen, dass dieses Bemühen um Verstehen in der therapeutischen Beziehung sich anregend auf das „SelbstVerstehen“ der Klientin (und natürlich auch das der Therapeutin) auswirkt. Die narrative Form der Psychotherapie gibt aus der Tradition der Unterschiedsbildungen und der vielfältigen Fragetechniken der systemischen Therapie bereits beschriebene (s. 2.1. und 2.2.) Hinweise, wie dieses Verstehen gemeinsam sprachlich konstruiert werden kann. Diese Aussage wage ich nur für den deutschsprachigen Raum zu machen. Die Entwicklung in anderen Bereichen von Europa und den USA entzieht sich leider meiner Kenntnis. Allerdings entwickelt sich die Vision des kollaborativen Ansatzes (Anderson 1999) in eine andere Richtung. Sie reflektiert, inwieweit Fragen nicht bereits Erklärungen in sich tragen und etwas darüber aussagen, was die Therapeutin denkt. Sollte sich diese Sichtweise weiterentwickeln, dann rücken beide Methoden noch näher zusammen. Die klienten-/personenzentrierte Therapie lehnt Techniken ab, die dieses schwierige Einfühlen und Verstehen leichter machen könnten. Sie verweist fast kompromisslos auf die Grundhaltung der Empathie. Finke (1994) unterscheidet die beiden Komponenten „Einfühlen“ und „Verstehen“. Mit „Einfühlen“ versucht die Psychotherapeutin, sich der inneren Welt der Klientin zu nähern. Die aus dieser Wahrnehmung gewonnenen Orientierung hilft zum „Verstehen“ des inneren Bezugssystems der Klientin. „Verstehen“ bedeutet zunächst das Nachzeichnen eines mehr oder weniger manifesten Sinnes und sodann das Erhellen eines verborgenen, also latenten Sinnes. Hierbei geht er von der Annahme aus, dass im Kontext eines intrapsychischen Konfliktes wesentliche Aspekte des Selbst gar nicht oder nur verzerrt symbolisiert werden (Finke 1999, S 129). Die entscheidende Aufgabe der Therapeutin besteht darin, das „Unerklärliche“ zu verstehen und das Verstandene so zu kommunizieren, dass es bei der Patientin zu einer affektiv verankerten, das Erleben ändernden Einsicht führt. Dieses „Unerklärliche“ oder „Verborgene“ entfaltet sich in einem Suchprozess, innerhalb dessen die Psychotherapeutin das, was sich in der Beziehung entfaltet und vor allem das, was sich an der Grenze des Gewahrwerdens noch nicht gezeigt hat, auf sich wirken lässt und sich hierfür als Interaktionspartnerin anbietet. "Verstehen" besteht aus mehreren Schritten; es erfasst schließlich mehr als das nur ausdrücklich Gemeinte. Diese Beschreibung des "Verstehensprozesses" entspricht dem Wandel, der sich für die "narrative Therapie" aus jener transformierenden Kraft dialogischer Gespräche ergibt, die aus dem Erzählen und Nacherzählen vertrauter Geschichten entsteht. Das gemeinsame Erkunden bewegt sich von vertrauten zu ausgelassenen und verborgenen Erzählungen. Personen wandeln sich in Beziehung zu diesen neu erzählten Geschichten. 5. Schluss „Carl Rogers (1951) bahnbrechende Auffassung der therapeutischen Beziehung hat die klinische Praxis für immer verändert und war Grundlage eines Großteils der Psychotherapieforschung, die in den vergangenen vierzig Jahren geleistet wurde.“ (Miller 2000, S 102). Ein bisschen leichtfertig und auch erwartungsvoll etwas „Besseres“ zu finden, war ich in das weite Land der systemischen Therapie aufgebrochen und kann mich jetzt, 20 Jahre später nur diesem Satz anschließen und mich vor der Größe eines Carl Rogers nur verneigen. Nach all den Auseinandersetzungen mit den postmodernen Entwicklungen der systemischen Therapie glaube ich zu seinen Sichtweisen dessen, was hilft, um seelische Leidenszustände zu lindern, einen Zugang gefunden zu haben, der weniger fordert als befreit. Ich weiß nicht, ob ich mit der Behauptung zu weit gehe, dass die narrativen Formen der systemischen Therapie die wesentlichen Erkenntnisse von Carl Rogers durch die „Brille“ der postmodernen philosophischen Ansätze betrachtet wieder gefunden bzw. neu erfunden haben. Umso mehr befremdet es mich, dass viele „Vordenkerinnen“ narrativer Therapie Carl Rogers und die Nähe ihrer Sichtweisen zum klienten-/personenzentrierten Ansatz nicht oder nur am Rande erwähnen. Lynn Hoffmann (2002) beschreibt, wie beeindruckt sie von einem Video von Carl Rogers war, das sie für einen ungehobenen Schatz (natürlich nur für Systemikerinnen!) im psychotherapeutischen Feld hält "I found his practices, including the way he embodied his words, resembled what I think of as a collaborative working style" (Hoffmann 2002, S 181). Meine Absicht ist, diese unzulässige Auslassung in Sprache zu bringen. Ich hoffe, mit diesem Artikel einen kleinen Beitrag zur gegenseitigen Wertschätzung von psychotherapeutischen Methoden geleistet zu haben. 6. Literatur Anderson, Harlene/ Goolishian Harry (1990): Menschliche Systeme als sprachliche Systeme Familiendynamik 15: 212 - 243 Anderson, Harlene (1999): Das therapeutische Gespräch – Der gleichberechtigte Dialog als Perspektive der Veränderung Stuttgart 1999, Klett-Cotta Anderson, Harlene (2000): Kollaborative Sprachsysteme und Beziehungen. Ein postmoderner Ansatz für Therapie und Beratungspraxis In: Deissler, Klaus, Mc Namee, Sheila (Hrsg): Phil und Sophie auf der Couch. Die soziale Poesie therapeutischer Gespräche Heidelberg, Carl Auer Biermann-Ratjen, Eva-Maria/Eckert, Jochen/Schwartz, Hans Joachim (1995): Gesprächspsychotherapie. Veränderung durch Verstehen Stuttgart, Kohlhammer, 7. 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MARGARETHE FEHLINGER ist Psychologin und Psychotherapeutin (Familientherapie) in freier Praxis, Lehrtherapeutin der Fachsektion Systemische Familientherapie des ÖAGG, Linz.