Dermatitis digitalis (Mortellarosche Krankheit, „Erdbeerkrankheit“) und Klauenrehe werden immer häufiger beobachtet Grundsätzlich muss davon ausgegangen werden, dass Rinder in den derzeitigen modernen Haltungsformen nicht artgerecht gehalten werden. Die Haltung ist leistungsorientiert, das heißt, die Rinder sollen in kurzer Zeit und mit einem möglichst geringen Einsatz von Arbeitszeit, Futtermitteln und finanziellen Ausgaben eine hohe Leistung erbringen. Das bedeutet unter anderem, daß viele Tiere sich auf kleinen Flächen, harten Böden bewegen und auf unbequemen Liegebereichen liegen. Sie werden an den Grenzen ihrer metabolischen Kapazitität und darüber hinaus gefüttert. Das gehäufte Auftreten von Klauen- und Gliedmaßenleiden ergibt sich zwangsläufig. Die Dermatitis digitalis als Erkrankung mit infektiöser Komponente wird als Folge mangelnder Stallhygiene und mangelhaftem Kuhkomfort gesehen, die Klauenrehe verursacht als Belastungsrehe Fütterungsrehe, bei intensiver aber vor allem Rinderhaltung auch einen als sog. enormen wirtschaftlichen Schaden. Dermatitis digitalis Die Verbreitung der Dermatitis digitalis (Erdbeerkrankheit, Mortellarosche Krankheit) und der im gleichen Zusammenhang zu nennenden Dermatitis interdigitalis (Klauenfäule) nimmt immer größere Ausmaße an. Seit der Erstbeschreibung in Italien im Jahre 1974 durch Cheli und Mortellaro („Mortellarosche Krankheit“) wurde von der Krankheit aus Deutschland, Holland, Österreich, England, Nordamerika, Israel, Australien sowie Japan, etc. berichtet. Es handelt sich um eine sogenannte Faktorenkrankheit mit infektiöser Komponente. Aussehen Die Tiere fallen durch einen vorsichtigen Gang auf, z.T. kommt es auch zu deutlichen Lahmheiten, die vereinzelt bis zum Festliegen führen können. Diese Tiere müssen umgehend im Klauenstand untersucht werden, um die Ursache der Lahmheiten festzustellen. Innerhalb der ersten 24 h einer Lahmheit sinkt die Milchleistung eines lahmenden Tieres um durchschnittlich 2 %, danach geht es z.T. rapide bergab, die Milchleistung kann um 60 % und mehr reduziert sein. Neben anderen Lahmheitsursachen wie Rusterholzsches Sohlengeschwüren, Wandgeschwüren oder Spitzendefekten kann die einwandfreie Diagnose nur am angehobenen und gereinigten Fuß gestellt werden. Charakteristisch ist für die Dermatitis digitalis die Lokalisation in der behaarten Haut, meist entlang des Kronsaumes, bevorzugt in der Ballenregion, in der Fesselbeuge, aber auch auf der Vorderseite der Zehe oder rund um die Afterklauen. Auch weiter oben an der Gliedmaße liegend, sogar am Euter wurde das Krankheitsbild bereits beschrieben. Im typischen Fall handelt es sich um eine rundliche, z.T. unregelmäßige, haarlose Stelle. Sie ist bei Berührung hochgradig schmerzempfindlich, dies verursacht die Lahmheit. Vor der Reinigung meist von gelblich-schmierigem Detritus bedeckt, ist die Oberfläche dieser Läsion darunter stark gerötet. Sie besitzt eine leicht höckrige Oberfläche (Erdbeere) und ist von einem dünnen Epithelwulst umgeben, aus dem teilweise lange, nach oben stehende Haare sprießen können. Andere Erscheinungsformen sind proliferativer Natur, das heißt, es wachsen direkt aus der Hautläsion warzenartige oder fadenartige Fortsätze hervor. Ursachen und Entstehung Beobachtungen über die Verbreitung dieser Erkrankung innerhalb der Bestände legen eine ansteckende Genese nahe. Eingehende Forschungen der letzten Jahre ergaben ein variierendes Keimspektrum, bei dem offensichtlich Treponema-Arten, Porphyromonas levii, Fusobacter-Spezies und Mycoplasmen die wichtigste Rolle spielen. Diese Erreger werden in wechselnder Zusammensetzung auf den typischen Hautveränderungen gefunden. Sie wirken synergistisch, das heißt, erst gemeinsam führen sie zu einer Erkrankung. Dies macht eine Impfung schwierig. Die Ansteckung erfolgt meist durch den Zukauf infizierter Tiere, die selbst keine Krankheitssymptome zeigen müssen. Befindet sich die Infektion im Stall, hängt die Ausprägung des Befalls von verschiedenen Faktoren ab. Vor allem der Stallhygiene, der Luftfeuchtigkeit und dem Luftdurchsatz kommen große Bedeutung zu. Auf kotverschmutzten Laufflächen, in Kotresten in Ecken und Winkeln, v.a. auch in Kotresten auf den Liegeflächen können sich die verursachenden Keime halten und vermehren. In feuchten, warmen Stallungen finden die Keime ideale Bedingungen, zudem werden die Tiere durch schlechtes Stallklima negativ beeinflusst. Die Befallshäufigkeit auf der Weide ist wegen der günstigeren Umweltbedingungen meist niedriger als im Stall. Da es sich bei Dermatitis digitalis um eine sog. FAKTORENKRANKHEIT handelt, die erst durch Streß im weitesten Sinne zum Ausbruch kommt, müssen weitere Aspekte berücksichtigt werden. Dazu zählen z.B. Infektionskrankheiten (z.B. IBR, BVD, Paratuberkulose), Probleme in der bedarfsgerechten Futterzuteilung, Unruhe im Stall durch Zukauf neuer Tiere oder ständige Umstallung in Tiergruppen, mangelnde Klauenpflege und minderwertiges oder gar schimmeliges Futter. Äußerst wichtig ist in diesem Zusammenhang mangelnder Stallkomfort. Tiere, die unter ungünstigen Haltungsbedingungen leben, stehen unter ständigem Streß. Alle diese Faktoren schwächen die körpereigene Abwehr der Kühe und können zu einem schwerwiegenden Aufflammen dieser Krankheit führen. Nachfolgend kommt es neben aufwendigen und eventuell auch kostenintensiven Behandlungsversuchen v.a. zu Milchrückgang, Fruchtbarkeitsproblemen und Gewichtsverlust. Therapie Ist die Dermatitis digitalis diagnostiziert, ist neben der Einzeltierbehandlung die Beurteilung der Herdengesundheit notwendig. An erster Stelle steht eine Überprüfung der gesamten Herde im Rahmen der funktionellen Klauenpflege. Die Klauengesundheit muß gewährleistet sein, um eine optimale Heilung zu ermöglichen. Gleichzeitig kann bei der Dokumenation die Befallsdichte in der Herde festgestellt werden. Handelt es sich um weniger als 2-4 % der Tiere, kann die Einzeltierbehandlung weitere wirtschaftliche Verluste verhindern. Sind 5 – 10 % oder gar mehr betroffen, muß eine gezielter Prophylaxe unter Einbeziehung zahlreicher Umwelteinflüsse entwickelt werden (siehe unten). Für die Einzeltierbehandlung wird bei jeder betroffenen Gliedmaße die erkrankte Stelle sorgfältig trocken gereinigt (mit Einmalpapier, Ansteckungsgefahr!), und ein geeignetes Tetrazyklin-Spray wird auf die Stelle gesprüht (zweimal im Abstand von 10 bis 30 Sekunden). Bei einer Reinigung mit Wasser und Bürste, evtl. mit Kernseife, muß die Läsion abtrocknen, bevor Spray aufgetragen wird. Die Läsionen heilen meist bereits nach einer einmaligen Lokaltherapie aus, eventuell muß bei schwerst betroffenen Tieren im 2-tägigen Abstand die Behandlung wiederholt werden. Die Läsionen sollten nie herausgeschnitten werden, da dies die lokale Abwehr schwächt und die bereits ins umliegende Epithel eingewanderten Keime nun die Krankheit verstärkt auslösen können. Ebenso ist von einer Verbandsbehandlung abzusehen. Die Keime können sich explosionsartig unter dem nie ganz trockenen Verband vermehren. Sind die betroffenen Hautregionen allerdings sehr groß und extrem schmerzhaft, kann ein Verband eine Schutzfunktion erfüllen Bei einer zweimaligen Klauenpflege im Jahr kann die Klauengesundheit so optimal überwacht werden. Prophylaxe Nur die Korrektur der Haltungsbedingungen führt jedoch zu einem dauerhaften Erfolg in der Bekämpfung dieser Geisel der Rindviehhalter. Da die Keime nie mehr vollständig aus einem Stall entfernt werden können, müssen die auslösenden Faktoren der Erkrankung beseitigt werden. Eine eingehende Problemerkennung steht am Anfang, sämtliche in Frage kommenden Umweltbedingungen müssen beachtet werden. Spezialisten auf dem Gebiet der Herdenbetreuung unterstützen den Landwirt bei dieser Aufgabe. Neben einer niedrigen Luftfeuchtigkeit, einer regelmäßigen, täglichen Reinigung und ebenso einer regelmäßigen, etwa halbjährlichen Desinfektionsmaßnahme im Stall muß die Aufstallungsform (Liegeboxenart, Laufflächengröße/-boden) optimiert werden. Die Zusammensetzung der Herde und der Umgang mit den Tieren sollte Streßfreiheit garantieren. Der Fütterung ist größtmögliche Aufmerksamkeit zu widmen, Endotoxine und Mykotoxine müssen ausgeschaltet werden. Nur durch derartige Maßnahmen kann die Herdengesundheit wieder hergestellt werden, die Tiere bringen nicht nur hinsichtlich der Gliedmaßengesundheit wieder größtmöglichen Ertrag. Die Durchführung von Klauenbädern darf nach den gesetzlichen Bestimmungen nur der Reinigung und Pflege der Klauen dienen (Arzneimittelgesetz §§ 3,4). Sie dürfen nicht im Sinne von Arzneimittelanwendungen zur Heilung, Linderung oder Verhütung von Krankheiten eingesetzt werden (Arzneimittelgesetz §§ 2, 2123). Formalin, Kupfer- und Zinksulfat, Peressigsäre, aber auch industriell hergestellte Klauenbadlösungen können somit nicht zur eigentlichen Bekämpfung von Krankheiten verwendet werden Die Ursachen einer Erkrankung an Dermatitis digitalis liegen in unhygienischen und nicht optimal tiergerechten Haltungsformen. Während eine Erkrankung an der erwähnten Klauenfäule vorwiegend auf unsaubere, feuchte Lauf- und Liegeflächen zurückzuführen ist – dort findet eine immense Keimvermehrung statt und begünstigt die Infektion – bricht die Dermatitis digitalis bei gleichem Keimspektrum v.a. bei „gestressten“ Kühen aus. Nicht tiergerechte Haltung kann u.a. die Immunabwehr schwächen – offensichtlich ein Wegbereiter für die Zeichen der Mortellaroschen Krankheit. Die Einzeltierbehandlung ist immer noch Mittel der Wahl, Verbesserungen der Haltungsbedingungen sind die einzig erfolgversprechenden Prophylaxemaßnahmen. Klauenbäder sind zum Zwecke der Therapie, aber auch zur Desinfektion nicht zugelassen. Klauenrehe – eine Zivilisationskrankheit Die Klauenrehe ist durch eine Entzündung der hornbildenden Lederhaut an der Klaue gekennzeichnet. Akute, hochgradige Entzündungen sind selten. Wirtschaftlich bedeutender ist die sogenannte subklinische (unterschwellige) und nachfolgend die chronische Klauenrehe. Wurde früher vorwiegend die Fütterung mit hohem Eiweiß- oder Kohlenhydratanteil bei zu geringem Rohfaseranteil für Entzündungsprozesse in der empfindlichen Lederhaut verantwortlich gemacht, ist die „Belastungsrede“ nun in aller Munde. Zwar sollen sich die Kühe in den Laufställen selbstverständlich bewegen, übermäßiges Stehen und Gehen auf hartem Untergrund kann jedoch nicht als tiergerecht angesehen werden. Entstehende Durchblutungsstörungen an der Zehe verhindern die Bildung gesunden, widerstandsfähigen Hornes. Sie führen nachfolgend zu Horndeformationen, Rusterholzschen Sohlengeschwüren, doppelten Sohlen, losen und hohlen Wänden und bei Nichtbehandlung auch zum Übergreifen von Infektionen auf Unterhaut, Gelenke, Sehnen und Knochen. Nur eine artgerechte Fütterung und eine tiergerechte Haltungsumgebung mit komfortablen Laufflächen und bequemen Liegeflächen können die Klauenrehe eindämmen.